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Christine Piepiorka

Lost in Time & Space

Transmediale Universen & Prozesshafte Serialität

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© 2017 Christine Piepiorka

ISBN

Paperback:978-3-7439-3035-3
Hardcover:978-3-7439-3036-0
e-Book:978-3-7439-3037-7

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Lost in Time & Space

Transmediale Universen & Prozesshafte Serialität


Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Philosophie in der Fakultät für Philologie der Ruhr-Universität Bochum

vorgelegt von Christine Piepiorka aus Dortmund

Gedruckt mit der Genehmigung
der Fakultät für Philologie
der Ruhr-Universität Bochum

Referentin: Prof. Dr. Eva-Maria Warth
Koreferent: Prof. Dr. Oliver Fahle
Tag der mündlichen Prufung: 03.02.2017

ERLÄUTERUNG ZU DIESEM BUCH

Die Entscheidung zu einer Veröffentlichung per Book-on-Demand und als Online-Version über den Universitätsserver der Ruhr-Universität ist keine zufällige. Vielmehr gibt es für mich Gründe:

Ich sehe eine Problematik in der Verbreitung von wissenschaftlichen Ideen nur zu teuren Preisen – für Autor und Leser gleichermaßen. Ich möchte mit meiner Arbeit einer einfachen Beschaffung von wissenschaftlicher Literatur und dem Austausch von Ideen, die nicht übermäßig preisintensiv ist, begegnen. Dies bietet eine Online-Veröffentlichung. Doch: Ich liebe Bücher. Ich liebe ihre Haptik und ihren Geruch. Man kann Sie mitnehmen, ›Stellen markieren und darin arbeiten‹. Daher entschied ich mich zusätzlich per Book-on-Demand zu veröffentlichen. So ist meine Arbeit als Buch verfügbar und ich kann gleichzeitig helfen, die immer knapperen Ressourcen unseres Planeten zu schonen, indem mein Buch nur bei Bedarf gedruckt wird.

DIE AUTORIN

Christine Piepiorka (*1981) hat 2001-2005 Medienökonomie auf Diplom an der Business and Information Technology School studiert. Im Anschluss hat sie in den Bereichen Marketing, Online-Marketing, Öffentlichkeitsarbeit, Fernsehproduktion und Filmproduktion gearbeitet. Währenddessen publizierte sie ihre erste Monographie (LOST IN NARRATION, 2011). Um den wissenschaftlichen Horizont erweitern zu können, entschloss sie sich Medienwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum zu studieren. Nach erfolgreichem Abschluss 2009 promovierte sie und war als Lehrbeauftragte am Institut für Medienwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum tätig. Neben zahlreichen Konferenzbeiträgen und der Organisation einer internationalen Konferenz, entstanden in den letzten Jahren weitere Fachbeiträge. Seit 2015 arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin und doziert an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft Köln im Bereich Medien- und Eventmanagement.

DANKSAGUNG

Ein Dissertationsprojekt ist als Einzelner zu erdenken und zu schreiben. Trotzdem ist an diesem Prozess stets ein Netzwerk von Menschen und Institutionen beteiligt, ohne die ich dieses Projekt nicht hätte umsetzen können. Diesen möchte ich meinen Dank aussprechen.

Zum einen danke ich Prof. Dr. Eva Warth und Prof. Dr. Oliver Fahle, die die Betreuung meiner Dissertation übernommen haben. Mit großem Engagement wurde ich von ihnen in Bezug auf die Fragestellungen und auch die zeitliche Realisierung meiner Arbeit unterstützt. Stets konnte ich einen Ratschlag und auch Motivation erhalten. Ich hätte mir keine bessere Betreuung wünschen können!

Die Fakultät für Philologie der Ruhr-Universität Bochum, das Institut für Medienwissenschaft, die Freunde der Ruhr-Universität Bochum sowie die Research School Bochum ermöglichten mir zum einen die Finanzierung von Reise- und Materialkosten und boten zum anderen die Möglichkeit der Vernetzung und Weiterbildung.

Weiter haben mich zahlreiche Fachkollegen, Freunde und Bekannte unterstützt. Besonderen wissenschaftlichen Austausch verdanke ich Daniela Olek, mit der ich theoretische Ideen mit Spaß entwickeln und umsetzen konnte. Auch Kim-Carina Hebben danke ich, die im selben Forschungsbereich tätig ist und mich mit entsprechendem Input begleitete. Ich werde es gern zurückgeben. Auch Julia Eckel und Bernd Leiendecker begleiteten mich mit Rat und Tat. Ebenso danke ich allen weiteren Mitgliedern der inoffiziellen Bochumer Doktorand_innen-Gruppe (›Die Bo-Bros‹). Katharina Hülscher kennt und teilte meine Höhen und Tiefen und gab pragmatische Kommentare. Danke an alle Genannten für die zahlreichen hilfreichen Hinweise, die moralische Unterstützung und die in mich investierte Zeit.

Last but not least: Ohne die uneingeschränkte Unterstützung von Gerd und Regina Piepiorka hätte ich den Weg meines Studiums bis zu diesem Projekt und der Promotion nicht schaffen können. Danke, dass Ihr immer an mich glaubt, mich unbegrenzt unterstützt und mir vertraut (Nach Chicago ist alles machbar). Michael Havojic war stets an meiner Seite; durch nicht endende Unterstützung in emotionaler und motivierender Hinsicht. Der Dank gilt auch meinen Schwestern und all meinen Freunden, die mich in dieser Zeit unterstützt, aber auch ertragen haben.

INHALTSVERZEICHNIS

1. EINLEITUNG

2. SERIELLES TERRAIN

2.1 Narration

2.2 Zuschauer

2.3 Serie und Serialität

3. (TRANS)MEDIALITÄTEN

3.1 Dazwischen – Intra-, Inter-, Crossmedialität

3.2 Miteinander – Medienkonvergenz & Transmedialität

3.3 Durchdringend – Transmedia Storytelling

3.4 Umfassend – Transmediales Universum

4. EXTENSITÄT – TRANSMEDIALE(R) ZEIT & RAUM

4.1 Zeit & Raum

4.2 Transmediale Serien in Zeit & Raum

4.2.1 Narrative & Welten

4.2.2 Adressierungen & Optionen

5. ZWISCHENFAZIT – ZEITLICHES UND RÄUMLICHES UNIVERSUM

6. SERIELLE PROZESSUALITÄT

6.1 In – Serie

6.2 Wiederholend –Serialisierung

6.2.1 Raum

6.2.2 Zeit

6.2.3 Adressierung

6.3 Fortsetzend – Serialität

6.4 Oszillierend – Performanz und Diffusion

6.5 Entwickelnd – Prozessualität

7. TRANSMEDIALE UNIVERSEN & PROZESSHAFTE SERIALITÄT

8. QUELLENVERZEICHNIS

8.1 Literaturverzeichnis

8.2 Internetquellen

8.3 Serienverzeichnis

8.4 Filmverzeichnis

8.5 Bildquellen

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Vergleich S1E1 Breaking Bad und Comic All Bad Things
Abbildung 2: The Interrogation: A Hank Shrader Game
Abbildung 3: The Cost of Doing Business: A Jesse Pinkman Game
Abbildung 4: Webseite BetterCallSaul.com
Abbildung 5: Team S.C.I.E.N.C.E.
Abbildung 6: DEA Evidence Board
Abbildung 7: Gale Boetticher Evidence File
Abbildung 8: Kleidung Walter White und Jesse Pinkman in Breaking Bad
Abbildung 9: Colorizing Walter White´s Decay
Abbildung 10: Konsistenz der Ästhetik zwischen Comic All Bad Things und Serientext Breaking Bad
Abbildung 11: Vergleich Comic und Serientext von The Walking Dead S6E16
Abbildung 12: Dead Reckoning Adventure Game
Abbildung 13: Vergleich Serientext Game of Thrones und Game of Thrones – A Telltale Game Serie
Abbildung 14: Warnung auf der Tür, Warnung geschrieben von Paul in The Oath Part 3, Warnung entdeckt von Rick in The Walking Dead S1E1
Abbildung 15: Rotes Fahrrad in Torn Apart Part 1 & The Walking Dead S1E1
Abbildung 16: Verbindungen zwischen The Walking Dead und Breaking Bad
Abbildung 17: Walter White im Wandel
Abbildung 18: Backstory Negan und Lucille
Abbildung 19: Autoplay-Funktion auf Netflix
Abbildung 20: Die Startseite des Facebook-Profils von Game of Thrones an unterschiedlichen Daten
Abbildung 21: Start-Bild und ›Inside‹ des Game of Thrones-Viewers Guides
Abbildung 22: ›Quotations‹, ›People‹, ›Locations‹ des Game of Thrones-Viewers Guides
Abbildung 23: Gebrauchsanweisung, Starseite, ›Watch Together‹ der The Walking Dead-Story Sync
Abbildung 24: ›Prediction‹, ›Remember‹, ›Judgement‹, ›Graphic Origins‹ der The Walking Dead-Story Sync
Abbildung 25: ›Kill Shot‹, ›Gore Gauge‹, ›Quote‹, ›Threat Level Meter‹, ›Tactical & Morality Matrix‹ der The Walking Dead-Story Sync
Abbildung 26: Surrounded und Feast
Abbildung 27: The Walking Dead: Alexandria
Abbildung 28: Invasion durch Untote
Abbildung 29: Truhe, Düfte und Karten von The Maester´s Path
Abbildung 30: Virtueller Sound-Raum, Menü-Karte, Wetter-App von The Maester´s Path
Abbildung 31: Pinker Teddybär in Breaking Bad
Abbildung 32: Visualisierung des pinkfarbenen Teddys in Breaking Bad
Abbildung 33: Hashtag-Kampagne The Walking Dead
Abbildung 34: Spread the Dead 215  

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

bzw.beziehungsweise
et al. et alli
etc. et cetera
mins Minuten
o. J. ohne Jahresangabe
o. V. ohne Verfasserangabe
S1E1 S=Staffel, E=Episode: Staffel 1 Episode 1
vgl. vergleiche
z. B. zum Beispiel
zit. n. zitiert nach

1.EINLEITUNG

Abgerissene Gesichtshaut, weiße, starrende Augen, blutverschmierter Mund!

Dieses Bild wirkt nahezu verstörend, bis der Betrachter unten rechts die Schriftzeile »The Walking Dead. Dead Yourself« sieht. Nun wird klar, das Foto ist ein digital bearbeitetes Bild, sofort kommt die Fernsehserie THE WALKING DEAD in den Sinn, in der sich die Handlung um Überlebende in einer Zombie 1 Apokalypse dreht. Dieses Bild ist als Post auf Facebook zu sehen. Durch die Bildunterschrift wird der Betrachter animiert, nach der Serie zu suchen. Mit einer kurzen Internetrecherche kann die offizielle Webseite der Serie und des USamerikanischen Fernsehsenders AMC gefunden werden. Hier wird schnell klar, dass es eine Handy-Applikation gibt, mit der man sich offensichtlich fotografieren und mithilfe von Bildbearbeitung in einen Untoten verwandeln kann. Die Internetseite bietet aber noch mehr Möglichkeiten: Einen Shop mit Merchandising-Artikeln zur Serie, Games, Apps2, virtuelle Touren durch die Serienumgebung, Webisodes3. Ein Klick auf eine angezeigte Episode leitet zu einer anderen Plattform weiter, auf der diese Episode angesehen werden kann. Das durch die Internetseite geweckte Interesse veranlasst jemanden, diese Episode anzuschauen und parallel auf dem Handy eine Story Sync-App4 zu nutzen, in der man abstimmen kann, welche Personen überleben werden, einen ›Kill-Count‹ verfolgen kann, Zitate der Folge nachlesen kann und Informationen zu den genutzten Waffen in der Serie erhält. Letztlich ist noch ein Hinweis auf das Handyspiel zu sehen, das zum Download animiert. Danach folgt ein Blick in die Programmhinweise von AMC: Wann wird die nächste Episode der Serie ausgestrahlt? Diese wird sich der Betrachter mit Sicherheit nächsten Mittwoch im laufenden Fernsehprogramm ansehen. Der Betrachter wird zum Rezipienten 5 und ist somit tief eingetaucht in das ›transmediale Universum‹ der Fernsehserie.

Was hat dieses Beispiel zeigen können? Es scheint hier eine mediale Ordnungsstruktur vorzuliegen, die mehrere Medien verbindet. Eine Fernsehserie weist offenbar für diese unterschiedlichen Medienplattformen relevante Aspekte auf und ist demzufolge auf diese verteilt. Ebenso liegen Verweise zwischen diesen Teilen vor, die den zeitlichen Ablauf der beschriebenen Rezeption bestimmen. Diese Feststellungen werfen Fragen auf, die einer genauen Betrachtung unterzogen werden müssen.

Das Medium Fernsehen indes ist sicherlich kein neues Medium, aber eines, das sich scheinbar neu im Umfeld anderer Medien verortet. Es befindet sich nun in einer medialen Überschneidung mit anderen Medien. Gab es bis vor einiger Zeit noch unter anderem eine Trennung von Fernsehgerät und anderen Bildschirmen, wie z. B. Computerbildschirm, wird diese Trennung der technischen Endgeräte aufgehoben (vgl. Olek/Piepiorka 2012, 76). Das beschriebene Phänomen ist begründet in der Möglichkeit, dass Mediengrenzen sich verschieben oder gar verschwinden durch eine ›Medienkonvergenz‹ 6 , die neue Möglichkeiten bietet, Narrationen auszufalten. Neue Techniken, wie das Internet oder Smartphones, können diese neue Narrative begünstigen. Produzenten nutzen zunehmend Möglichkeiten, Inhalte zu ihren Formaten auch auf anderen Medienplattformen anzubieten (vgl. Kurp 2012, 15). Hierbei entsteht zwar kein neues Medium, wohl aber ein erweiterter Medienverbund, der immer neue Narrative hervorbringt. Das derzeitige ›Fernsehen‹ und seine Formate zeichnen sich durch diesen Aspekt des Medienverbunds und ›Transmedialität‹ aus. Dies ist ein Phänomen, das Henry Jenkins (2006) als narrative Erweiterungen auf unterschiedlichen Medienplattformen (Print-Comic, Videospiel, Blogs7, Webisodes, soziale Netzwerke etc.) beschreibt. Die dort zu verortenden Narrative können als ›Transmedia Storytelling‹ bezeichnet werden, die eine komplexe ›Storyworld‹ eröffnen können. So ›fransen‹ televisuelle Serien über ihre Mediengrenzen hinweg aus und werden zu fragmentierten Extensionen, die den Zuschauer in eine narrative Welt einbeziehen (vgl. Jenkins 2006, 1ff). In transmedialen Fernsehserien, deren Narration über Mediengrenzen hinweg verbreitet wird, verlässt der Zuschauer zunehmend dieses Narrativ und vollzieht den Griff zum ›Second Screen‹8, um das Narrativ auf anderen Medien(plattformen) weiterzuverfolgen.

Exemplarisch zeigen diese Fernsehserien, dass sie zunehmend fortlaufender, epischer und komplexer auf differenten Ebenen erzählen.9 Wie Olek und Piepiorka (2012) 10 darlegen, sind sie nicht mehr auf die Ausstrahlung im Medium Fernsehen beschränkt, sondern von einem spezifischen Gerät (vgl. Köhler/Keilbach 2012, 4) sowie Programmablauf entkoppelt. Dies bezieht sich nicht nur auf differente Distributionswege 11 oder die »ubiquitären« Zugriffsmöglichkeiten (vgl. ebd.). In den Blick genommen werden spezifische Modifikationen, in denen narrative Elemente zeitgleich 12 in unterschiedliche Medien und deren jeweilige spezifische Formen eingebunden werden und dadurch die Geschichte erweitern, wobei die Serie weiterhin als Kerntext fungiert (vgl. Olek/Piepiorka 2013). Wie das eingangs skizzierte Beispiel zeigt, werden transmediale Elemente zu einem großen Teil im Internet 13 präsentiert. Bereits 1997 postulierte Janet Murray (1997, 84f), dass sich digitale Umgebungen besonders für episch ausgebreitete Erzählungen anbieten, sodass sich das Internet schon sehr früh als Erweiterung von Fernsehserien etabliert hat (vgl. Olek/Piepiorka 2012, 77). In dieser Zeit entstanden die ersten Vorläufer transmedialer Extensionen. In diesen werden eine Vielzahl von Medienplattformen an unterschiedlichen ›Orten‹ als narrative Erweiterungen eingebunden, um von dort aus potenzielle Zuschauer zu adressieren.

Diese Ausfaltung von Fernsehserien in andere Medien erweitert die serieninhärente Annahme, dass es eine dynamische Entwicklung statt eines repetitiven Stillstandes gibt. Dies schließt an das Konzept von Wiederholung und Differenz nach Deleuze an, welches eine schöpferische Kraft des Seriellen annimmt und eine Serie damit dynamisch auf ein Werden ausgerichtet ist (vgl. Blättler 2012, 75). Eine weitere Ebene der Differenz außerhalb des Serientextes wird in den transmedialen Extensionen deutlich, welche die Möglichkeiten des Seriellen potenzieren (vgl. Olek/Piepiorka 2013). Diese sind, je nach ihrer medialen Spezifizität14, in sich selbst sukzessive wahrnehmbar und teils nicht zwingend mit der inhärenten Zeitlichkeit der Serie zu verknüpfen, sodass die Reihenfolge der Wahrnehmung einzelner Fragmente beliebig 15 sein kann. Infolgedessen entsteht eine Synchronität von Fragmenten (vgl. ebd.). Die transmediale Fernsehserie kann demnach als eine »gleichzeitige Präsentation der Fragmenten in unterschiedlichen Medienkontexten 16 als Angebot pluraler Möglichkeiten«, die stetig wächst und »hypertextuelle Charakteristiken aufweist« (Olek/ Piepiorka 2012, 81), verstanden werden. Wie Olek (2011) ausführt, sind Hypertexte generell als ein Set in sich geschlossener Einheiten jeder Art (Bilder, Texte, Tabellen, Videoclips)17 zu verstehen und können mit- und untereinander über Verlinkungen verbunden sein (vgl. Murray 1997, 84f; Olek 2011, 19ff). Wie Olek/Piepiorka (2012) bemerken, hat das hypertextuelle Netzwerk, basierend auf Deleuze/Guattari, die Struktur eines Rhizoms, eines »sich permanent weiterverzweigende[n] Wurzelgeflecht[s]« (Kajetzke/Schroer 2010, 197), das ohne übergeordnete Ordnungsstrukturen keinen Anfang und kein Ende hat, sondern aus der Mitte herauswächst, die sich jederzeit verschieben kann (vgl. Deleuze/Guattari 1997, 36f).

Wie beschrieben, bieten die transmedialen Extensionen oftmals eine beliebige Reihenfolge, können aber dennoch nicht als rhizomatisch charakterisiert werden. Denn auch wenn es in Bezug auf die Anfangs- und Endpunkte Aufweichungen18 gibt, ist der Serientext an sich ganz eindeutig als Zentrum definiert und hierarchisiert so das narrative Netzwerk. Dennoch werden transmediale Serien oftmals bezüglich ihrer Organisation als netzwerkartig beschrieben (vgl. Olek/Piepiorka 2012, 82).

Folgt man dieser Beschreibung eines netzwerkartigen Raums und einer sukzessiven Wahrnehmbarkeit dieser transmedialen Serien, muss die Frage nach einer möglichen Transformation der Kategorien Raum und Zeit durch Transmedialität gestellt werden. Mit den fernsehserieninhärenten Prinzipien einer Aneinanderreihung und Wiederholung wird zunehmend gebrochen, da ein Erzählvorgang in Verbindung mit fragmentierten Expansionen der Serie vorherrscht (vgl. Olek/Piepiorka 2012, 78). Hierdurch entsteht eine Gleichzeitigkeit dieser Fragmente, die sich flächig und räumlich anordnen. Denn literarische Texte oder audiovisuelle Formen präsentieren nicht nur Räume als Handlungsorte, sondern »funktionieren selbst räumlich« (Sasse 2010, 304). Daraus ableitend stellt sich wiederum die Frage, wie eine ›Verräumlichung‹, wie sie durch eine flächige Anordnung hervorgerufen wird, in einem dominant sukzessiven Modell wie der seriellen Narration funktionieren kann (vgl. Olek/Piepiorka 2012, 78). In Unabhängigkeit vom Medium ist die Narration eine Abfolge von Ereignissen, die von einem Handelnden ausgelöst oder erfahren wird (vgl. Manovich 2001, 227). In diesem Zusammenhang ist Zeit als essentielle Kraft auf eine narrative Ereignisfolge als Schlüsselelement zurückzuführen (vgl. Lammes/ Verhoeff 2010, 10). Demnach steht hier im Fokus dieses Verständnisses das Voranschreiten der Handlung. Wie Olek/ Piepiorka (2012, 78) bereits hierzu anmerken, wird jedoch in der Literaturtheorie, allen voran von Genette (1994) und Bachtin (2008 [1973]), auch die räumliche Komponente betont, da sich Handlung auch im Raum erstreckt (vgl. Sasse 2010, 299). Der Raumbegriff bezieht sich hierbei also nicht nur auf den diegetischen Raum19 als Ebene der Inszenierung, sondern auch auf einen strukturellen Raum, der durch die Verbindung der einzelnen Narrationselemente an verschiedenen medialen Orten entsteht (vgl. Olek/Piepiorka 2012, 79). »Mithilfe dieses Raumbegriffs soll somit die Struktur transmedialer Narrationen, die durch die Verbindung der einzelnen Handlungselemente an verschiedenen medialen Orten untereinander entsteht, sichtbar gemacht werden« (vgl. Olek/Piepiorka 2013). 20 Grundlegend muss festgehalten werden, dass sich »Raum als metaphorisches Ordnungsprinzip von Narrationen definiert über ein relationales Modell und nicht über ein physikalisches, insofern er keine gegebene, feste Konstante ist, sondern durch ›soziale Praktiken [...] Handlung und Kommunikation hervorgebracht‹ (Schroer 2012, 275) wird« (Olek/Piepiorka 2012, 79). Daran schließt sich die Frage an, woran ›Räumlichkeit‹ in der Narration von Fernsehserien festgemacht werden kann? Die hier relevante Möglichkeit, ›Räumlichkeit‹ zu generieren, bietet die Einbindung aller ›Orte‹ des Medienverbundes bei der Konstruktion der Narration, indem einzelne Teile über den Raum verteilt werden.21 Hierbei entsteht ein Angebot pluraler Möglichkeiten durch die synchrone Präsentation der transmedialen Extensionen (vgl. ebd., 81). So stehen die Ebenen Raum und Zeit in einer Interdependenz zueinander. In dieser Untersuchung ist demnach darzustellen, wie sich die Kategorien Raum und Zeit durch Transmedialität verändern, und mit welchen Konzepten diese beschrieben werden können.

Die Annahme der Veränderungen von Raum-Zeit-Strukturen hat nicht nur Auswirkungen auf die Serie selbst, sondern bezieht sich auch auf das Konzept der Serialität als deren spezifisches Charakteristikum. Die transmedialen Extensionen leisten zumeist, gemäß Jenkins (2006, 95), einen eigenen, entscheidenden Beitrag zur transmedialen Story. Doch es gibt auch Extensionen, die nur eine Wiederholung von bereits Dargestelltem sind. Hier wird das serien-konstituierende Konzept von Wiederholung und Differenz deutlich: Die Differenzierung von bereits Gezeigtem wie eine Neuperspektivierung und ein neuer Handlungsstrang erweitert die Story und trägt damit zur Ausdifferenzierung der Narration bei und affirmiert zugleich das Konzept der Serialität.

Zu fragen ist dann: Wird somit die inhärente Zeitlichkeit oder gar die Serialität per se in Frage gestellt? Denn die Proliferation von Serien in andere Medien resultiert in einer Entgrenzung der Narration und hat letztendlich entscheidende Auswirkungen auf das Konzept von Serialität (vgl. Olek/Piepiorka 2012, 78): Es gibt einen Wandel von der seriellen Identität hin zu einer temporalen und räumlichen Prozessualität. Ist denn der Fortlauf einer transmedialen Erzählung in unterschiedlichen Medientexten eine Sukzession bei gleichzeitiger Verräumlichung? Das transmedial komplexe Erzählen stellt so die Zeitlichkeit sowie Räumlichkeit, im Grunde gar die Serialität per se, in Frage. Diese Thesen führen zu einer zwingenden Neukonzeption nicht nur des Begriffs der Fernsehserie, sondern auch der Serialität durch die Dimensionen von Zeit und Raum.

Weiter muss, mit dem Eingangsbeispiel im Gedächtnis, gefragt werden: Welche Konsequenzen hat dieser Umstand der Transmedialität von Fernsehserien auf das zeitliche und räumliche Zuschauerverhalten? So ist das transmediale Universum auf unterschiedlichen medialen Plattformen organisiert, bedarf jedoch der Adressierung und letztlich Handlung des wahrnehmenden Subjekts, um komplementiert zu werden (vgl. Lammes/ Verhoeff 2010, 2). »Der Einzelne wird auf verschiedene Arten adressiert, sodass seine Navigation durch den transmedialen Raum möglich wird. Er/sie konstruiert zugleich die Narration, infolgedessen ist Verräumlichung das Resultat menschlichen Handelns (vgl. Deleuze/Guattari 1997, 17).« (Olek/Piepiorka 2013). Vice versa bedeutet dies, dass ohne entsprechendes Handeln räumliches Erzählen nicht funktioniert und die Fernsehserien weiterhin ausschließlich televisuell bleiben. Wie Olek/Piepiorka (2012, 85) bereits feststellen: Die essenzielle Bedeutung von Bewegung für Narrationen beschrieb bereits Lev Manovich (2001, 247) im Kontext von Hyperfiktionen, insofern, als dass die Narration innehält, wenn der User22 nicht agiert: Die räumlich virtuelle Reise (vgl. Piepiorka 2011, 138) von einem Server zum anderen lässt sich als Bewegung von einem physikalischen Ort zu einem anderen beschreiben (vgl. Manovich 2001, 164f).

Doch da ›der Zuschauer‹ ohne eine empirische Rezeptionsforschung nur hypothetisch erfasst werden kann, soll von der These ausgegangen werden, dass der Medientext den Zuschauer als Leerstelle/Konzept einschreibt und damit zeitliche und räumliche Ordnungsstrategien anbietet, in denen er sich dann vermeintlich bewegen und agieren kann und letztlich als Schnittstelle zwischen den Extensionen fungiert. Demnach muss die Frage lauten: Wie schreibt der Medientext den Zuschauer als Leerstelle ein und erschafft damit eine zeitliche und räumliche Ordnungsstrategie für diesen? »Ist der Einzelne gewillt, das narrative Universum zu erfahren, muss er ›anders‹ mit der Erzählung umgehen, als wenn diese ausschließlich televisuell ist« (Olek/Piepiorka 2013). Transmediale Serien sind, in Anlehnung an Hickethier23 (1995, 75), als Vermehrung und Ausdifferenzierung dieses Formats zu betrachten, insofern, als diese Strategie den Zuschauer stärker einbinden soll. Da in Fernsehserien Hinweise auf transmediale Extensionen gegeben werden, kann der Zuschauer als eingeschriebenes Element im Serienuniversum gelten. Ob der Einzelne auf die unterschiedlichen Adressierungen reagiert, ist weiterhin von seinem subjektiven Bedürfnis nach weiterführenden Information und Unterhaltung abhängig. Dabei ist es essenziell, den kognitiven Sinn der Extensionen zu erschließen, um eine Storyworld zu erfahren, indem die narrativen Elemente untereinander und mit dem Serientext verbunden werden. Die Adressierung durch den Medientext, so lässt sich vermuten, evoziert schlussendlich eine serielle Handlungsmöglichkeit für den Adressaten, der er immer wieder erneut folgen kann: repetitives Adressieren und Aufsuchen von medialen Orten und Zeiten. Ausgehend von der These, dass Serien räumlich und zeitlich gedacht werden müssen, kann gefragt werden: Besteht damit also eine Serialisierung von Zeit und Raum sowie der Adressierung?

Und weiter: Kann angesichts der Verteilung des Medieninhalts auf unterschiedliche Medien überhaupt noch von einer Ausstrahlung im Fernsehen gesprochen werden? Gibt es eher eine Diffusion des herkömmlichen Fernsehtextes als solches? Andersherum kann angesichts der hier beobachteten Serialisierung von Ort und Raum gefragt werden, ob das Fernsehen gerade dadurch reperfomiert wird, dass es trotzdem noch als Fernsehen gelten kann. Kann das Fernsehen hier im Kontext von Medienkonvergenz als in einer Art Diffusion begriffen verstanden werden, da es mit anderen Medien verschmilzt oder sich so grundlegend wandelt, dass es nicht mehr als Fernsehen erkennbar bleibt (vgl. Stauff 2005, 8)? Sind die derzeitigen Entwicklungen nur Anzeichen für die Auflösung des Mediums, oder viel mehr Vorboten für die Möglichkeiten, wie Fernsehen sich ausdehnen kann? Auch wenn diese Frage noch zu beantworten ist, lässt sich festhalten, dass sich Bedeutung und Beschreibung des Fernsehens als Medium stets in einem Prozess befinden.

Die thematisierten Phänomene und Fragestellungen weisen auch auf ein Charakteristikum der Prozessualität von transmedialen Serien hin. Die netzwerkartige Struktur unterstreicht die untrennbare Korrelation von Raum und Zeit, denn die Progression einer Serie in unterschiedlichen Medientexten ist zeitliches Voranschreiten und Verräumlichung zugleich (vgl. Olek/Piepiorka 2012, 82). Daher lässt sich die Prozessualität durchaus auch auf die hier zu untersuchenden Kategorien Raum und Zeit beziehen. Lässt sich die transmediale Serie als Prozess beschreiben? Durch die stetige Veränderung der Fernsehserie wird eine ständige Reformulierung der wissenschaftlichen Perspektive auf Fernsehen, aber auch auf dessen eigene Grenzen, seine Formate angeregt. Daher fragt Markus Stauff (2005) folgerichtig, wie ein Fernsehen zu beschreiben ist, das sich fortlaufend verändert. Doch Veränderungen sind dabei nicht nur Übergangsphänomene zwischen zwei klar definierbaren Formen des Mediums, sondern sollen ihre eigene Beschreibung erfahren.

Die Analysen in dieser Arbeit gehen von einer Momentaufnahme aus, denn hier werden Fernsehen und transmediale Fernsehserien als in einem permanenten Wandel befindlich und mit immer neuen Möglichkeiten versehen begriffen. Daher sind transmediale Fernsehserien als Gegenstand zu fassen, der sich prozessual24 verändert.

Zusammenfassend ergeben sich folgende Forschungsfragen, die im Zentrum der Arbeit stehen: Wie transformieren sich in Serien die Kategorien Zeit und Raum und wie können diese beschrieben werden? Welche Konsequenzen hat Transmedialität von TV-Serien auf zeitliche und räumliche Serialität? Wie schreibt der Medientext den Zuschauer als Leerstelle/ Konzept ein und etabliert damit eine zeitliche und räumliche Ordnungsstrategie für diesen? Kann angesichts der Verteilung des Medieninhalts auf verschiedene Medien überhaupt noch von einer Fernsehserie gesprochen werden? Lässt sich die transmediale Fernsehserie mit der Kategorie der Prozessualität beschreiben?

Hierzu werden zunächst in Kapitel 2 theoretische Grundlagen als Abgrenzungsfolie der Transformation erarbeitet: Zeit und Raum serieller fiktiver Fernsehserien-Formate bezüglich Narration und Zuschauerschaft sowie die relevanten Begriffe der Serie und Serialität. Anschließend wird in Kapitel 3 Transmedialität zunächst im Unterschied zu Intramedalität, Intermedialität und Crossmedialität beleuchtet, um dann über die Beschreibung von Medienkonvergenz als Voraussetzung zur Definition von Transmedialität, ›Transmedia Storytelling‹ und dem ›Transmedia Universe‹ zu gelangen. Von dieser Grundlage ausgehend, geht die Untersuchung der Frage nach, welche Perspektive diese Konzepte bieten können und welche Erkenntnisse die auf Prozessualität ausgerichtete Perspektive der zeitlichen und räumlichen Dimension ermöglicht. Im folgenden Kapitel 4 werden dann anhand der Dimensionen von Zeit und Raum die Kategorien Narrativ und Welt sowie Adressierungen und Optionen in Serien anhand verschiedener theoretischer Konzepte beleuchtet und analysiert. Hierbei wird der Vorschlag formuliert, die Konzepte des Ortes und Raums bei Certeau sowie Deleuze/Guattari heranzuziehen, um Aspekte von Zeit und Raum in transmedialen Serien offenzulegen, die durch andere Konzepte nicht erfasst werden können. In diesem Zusammenhang soll ebenso der Begriff des ›Zuschauers‹ problematisiert und alternativ mit dem Konzept ›Adressat‹ gearbeitet werden, um dessen Funktionen als Zuschauer, Rezipient, User und Spieler auf den verschiedenen Medienplattformen gerecht zu werden.25

Hierbei soll als Untersuchungsgegenstand der gesamte Primärtext der zu analysierenden Fernsehserien im Fokus stehen. So sei erwähnt, dass reduktionistisch gearbeitet werden muss, da es, wie Rothemund trefflich formuliert, die Sichtung einer Serie mit sechs Staffeln und 86 Folgen z. B. einem Umfang von 4.300 Minuten und damit 71 Stunden gleichkommt. Sie verweist weiter auf das Postulat Faulstichs (2008), dass: »[...] der serielle Charakter einer Serie ist stets über das Totum ihres Gesamtangebots, mindestens einer kompletten Staffel zu fassen« (Rothemund 2013, 46). Hinzugezogen werden darüber hinaus transmediale Fragmente zu den entsprechenden Serien von verschiedenen Medienplattformen. Hierbei liegt der Fokus nicht auf der vollständigen Darstellung der transmedialen Universen, stattdessen sollen anhand exemplarischer Aspekte Aussagen über Zeit und Raum in transmedialen Fernsehserien entwickelt und darüber eine Neuperspektivierung des Gegenstandes Fernsehen und Fernsehserie entfaltet werden. Nach einem Zwischenfazit über die Anwendbarkeit der herangezogenen Konzepte für die analysierten Beispiele in Kapitel 5, wird in Kapitel 6 die Frage nach einer prozesshaften Serialität in Bezug auf Raum und Zeit gestellt. Essenzielle Aspekte sind hierbei die Serialisierung von Zeiten, Orten und Adressierungen, um vor diesem Hintergrund die Frage der Diffusion oder Performanz von Zeit und Raum und der Prozessualität zu erörtern. Abschließend werden die eingangs aufgeworfenen Hypothesen und die in Kapitel 4 entwickelten Analyseergebnisse aufgegriffen, um letztlich ein Fazit für einen Gegenstand, der sich laufend verändert, zu ziehen.

2. SERIELLES TERRAIN

Nach der Einführung des Mediums Fernsehen wurde in der Wissenschaft Kulturkritik betrieben und das Fernsehen in seiner Form als trivial bezeichnet. Nun zeichnet sich im letzten Jahrzehnt das Gegenteil ab: Die qualitativen Möglichkeiten der Fernsehformate werden betont. Auf diesem Weg sind verschiedene Schwerpunkte der Fernsehforschung zu nennen, die Rothemund treffend zusammenfasst (2013):

In den 70ern und 80ern des letzten Jahrhunderts fand eine Analyse der Populärkultur, ebenso wie die Entwicklung einer feministischen Fernsehtheorie insbesondere in Bezug auf die Fernsehserie (Modelski, Seiter, Feuer, Kaplan, Bunsdon etc.) statt. Wissenschaftler wie Williams, Ellis, Newcomb, Hickethier, Faulstich und Fiske fragten nach medienadäquaten Analysemöglichkeiten für den Gegenstand und führten Einzelanalysen zur Fernsehserie fruchtbar durch. Seit den 1990ern lässt sich eine Ausdifferenzierung feststellen, die immer mehr Einzelaspekte der Fernsehserien, ihrer Produktion und Rezeption in den Fokus rückte. So wurden einzelne Serien intensiv beleuchtet (Akass, McCabe), narratolgogische Perspektiven eingenommen (Allrath, Fahle, Gymnich, Surkamp, Thompson etc.), Analysen von Fernsehserien-Fankulturen und transmedialem Storytelling durchgeführt (Jenkins, Mittell, Nelson etc.), narrative Komplexität untersucht (Mittell, Piepiorka, Rothemund) und bestimmte Begrifflichkeiten für Fernsehserien wie ›Cinematic Television‹ (Caldwell), ›Television Style‹ (Butler etc.), ›Quality TV‹ (Akass, Blanchet et al., Feuer, Janovich, McCabe, Mittell, Thompson, etc.) durchdacht. Ungeachtet des Standpunkts, von welchem aus die Fernsehserie beleuchtet wurde, sind sich alle einig: In den letzten drei Jahrzehnten lässt sich eine Vermehrung narrativer Experimente im Fernsehen und ein Diskurs darüber feststellen (vgl. Mittell 2006, 29).26

Um diesen Diskurs fortzuführen soll, wie eingangs eingeführt, eine Perspektive eingenommen werden, die bisher in dieser Form ein Forschungsdesiderat darstellt und somit neue Erkenntnisse generieren kann. Ziel dieser Arbeit ist es, transmediale Serien und die korrespondierenden transmedialen Universen durch die Lupe von Raum- und Zeitkonstellationen zu betrachten. Um dies leisten zu können, wird zunächst ein Konzept der ›Serie‹ formuliert, quasi als heuristische Folie, die der Abgrenzung zwischen nicht-transmedialen – mediumsinhärenten – Serien und transmedialen – in andere Medien expandierten – Serien dient. In beiden Fällen soll jedoch kein rigider, statischer Ist-Zustand beschrieben werden, sondern eine Momentaufnahme.

2.1 Narration

Geschichten zu erzählen ist seit Anbeginn der Zeit ein Phänomen, das Menschen beschäftigt. Erzählungen sind Darstellungen von Geschichte als Repräsentation von Ereignissen; sind Narrative. Das Phänomen der Narration wurde in der Forschung unter differenten Aspekten beleuchtet: existenziell, kognitiv, ästhetisch, soziologisch und technisch (vgl. Ryan 2004, 2ff). Wie Ryan bemerkt, variieren diese zwischen generellen Überlegungen zum Begriff und sehr kleinteiligen Definitionen: Während existenzielle Ansätze u. a. nach der Bedeutung des Produzierens von Narrativen fragen, interessieren sich die kognitiven Überlegungen für die jeweiligen Operationen des ›narrating minds‹. Diese Überlegungen werden konkret textuell in den Betrachtungen der narrativen Ästhetik. Jeder dieser Ansätze hat seine Legitimation, doch wo sind Gemeinsamkeiten für eine Minimaldefinition zu finden, die auch in dieser Arbeit zum Tragen kommt?

Wie bereits an anderer Stelle (vgl. Piepiorka 2011, 25) zusammengefasst: Genette definiert Erzählung für die Literaturwissenschaft als »[...] die narrative Aussage, den mündlichen oder schriftlichen Diskurs, der von einem Ereignis oder einer Reihe von Ereignissen berichtet« (1998, 15). Dabei ist die Narration nicht auf bestimmte Textsorten beschränkt, sondern ist definiert für alle Medien, Kulturen und Epochen (vgl. Chatman 1990, 114ff). Von dieser Prämisse ausgehend ist eine auf den Inhalt bezogene Definition möglich: Narration »is the text-type distinguished from others by a double chronologic – a logic of event sequence, performed by characters in a setting« (ebd., 114).

Ryan wird etwas ausführlicher und schlägt vor, dass bestimmte Merkmale erfüllt sein müssen, damit ein Text als Narrativ gelten kann (vgl. Ryan 2004, 8f): Der Text muss eine Welt kreieren, die durch Charaktere und Objekte besiedelt ist. Diese Welt muss sich durch Handlungen weiter entwickeln, die eine zeitliche Dimension haben und »place the narrativ world in the flux of history« (ebd., 9). Weiter muss der Text eine Rekonstruktion eines Netzwerks von Zielen, Plänen, Kausalzusammenhängen und Motivation sein, das Kohärenz und Verständlichkeit der Handlungen aufweist. Bal argumentiert weiter, dass dieses als Geschichte, in einem bestimmten Medium, einem Adressaten vermittelt wird (vgl. Bal 2009, 5). Essenziell hierbei ist eine logische und chronologische Verbindung von Ereignissen, ausgelöst oder erlebt durch die Charaktere (vgl. ebd.; Ryan 2004, 337). Demzufolge ist Erzählung also eine Kausal-Effektkette, die in Zeit und Raum stattfindet (vgl. Bordwell/Thompson, 1979, 60). Weiter ist es ein grundlegendes Verfahren zur Vermittlung von Geschehenem, Erlebten oder Erfahrenem. Dabei verweist das Verfahren nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf den Akt der Narration (vgl. Genette 1994, 15f). 27 Diesen Akt beschreibt ebenso Jason Mittell (2010, 219) und verweist auf das sogenannte Storytelling, also die Erzählung einer Geschichte (vgl. Pearson/Simpson 2001, 300ff). Dies bedeutet, dass Narration das Integral des Prozesses des Storytellings ist, da es Wörter und Bilder als sequenzielle Elemente beinhaltet, die für einen Zuschauer Sinn ergeben (vgl. Casey 2002, 138 ff). Daraus ergeben sich Möglichkeiten, wie sich die Zuschauer orientieren, wie auch Fiske (2010 [1987], 96) betont: »a work [is] potentially many texts, a text is a specific realization of that potential produced by the reader«. Denn diesen Sinnzusammenhang von kausalen Prozessen gilt es zu verstehen und zu deuten (vgl. Mahne 2007, 16). Diese Definition entstammt dem neoformalistischen Ansatz nach David Bordwell und Kristin Thompson, der zwar für den Film entwickelt wurde, aber seinen Ursprung in der Literaturwissenschaft und Genettes Definitionen hat. Bordwell postuliert die Begriffe ›plot‹ und ›story‹ (bzw. ›syuzhet‹28 und ›fabula‹ 29 ) 30 und beschreibt mit diesen den Erzählvorgang. »Syuzhet names the architectonics of the film´s presentation of the fabula [...]« (Bordwell 1985, 50). Damit ist der Plot31 als Präsentation der audiovisuellen Elemente zu verstehen: »everything visibly and audibly present« (Bordwell/Thompson 1979, 71). Die Story 32 wiederum ist das, erst durch die Präsentation des Plots entstehende, Produkt eines kognitiven Prozesses seitens des Zuschauers, in dem dieser die Kausalitätszusammenhänge und die Kohärenz der Geschichte bildet (vgl. Bordwell 1985, 49)33 : »all the events that we see and hear, plus all those that we infer or assume to have occurred, arranged in their presumed causal relations, chronological order, duration, frequency, and spatial locations. Opposed to plot, which is the film's actual presentation of events in the story« (Bordwell/Thompson 1979, 505). Es wird eine zeitlichlineare und kausal verknüpfte Kette der Handlung gebildet. Der Plot ist demnach als Basis der kognitiven Konstruktion einer Geschichte zu verstehen, deren resultierendes Produkt die Story ist. So definiert Bordwell eine komplexe Abfolge perzeptivkognitiver Vorgänge, welche die aktive Ausarbeitung vorgegebener, fragmentarischer und unvollständiger Informationen zu einer kohärenten Geschichte zum Ziel hat (vgl. Thompson 1995, 30ff).

Hierbei bestimmt der Plot, wie Bordwell (1985) beschreibt, die Menge an Informationen, die zur Story-Konstruktion zur Verfügung gestellt wird. Denn der Plot manipuliert die Zeit durch Aussparungen von Handlungen und Informationen mit dem Zweck, dem Rezipienten eine Story-Konstruktion abzuverlangen. Diese Informationen bestimmen die narrative Strategie, deren Wesensmerkmale sich für Bordwell (1985, 57) auf Wissensreichtum 34 , Selbstbezogenheit 35 und Mitteilungsbereitschaft36 beziehen. Das Konzept von Plot und Story soll hier für den Gegenstand der Serie übernommen werden, da bereits Kristin Thompson eine Übertragbarkeit vorschlägt: »Many of these norms have been adopted or adapted by tv precisely because they have been so suited to telling straightflow entertaining stories« (Thompson 2003, 19). Diese Adaptionsmöglichkeit ist nicht zuletzt begründet im übereinstimmenden audiovisuellen Charakter von Film und Fernsehen.37

Bei der Betrachtung der genannten Ansätze und Definitionen fallen einige Schlüsselbegriffe als Gemeinsamkeit auf, die im Folgenden genauer betrachtet werden sollen, sind sie doch wesentlich für das Erkenntnisziel dieser Arbeit. So ist neben der Handlung als Kausalkette von Ursache und Wirkung die handelnde Person zu beleuchten, setzt eine Handlung doch einen Handelnden voraus. Dieser sollte aber nicht auf seine reine Handlungsfunktion reduziert sein, wie es vor allem Ansätze aus dem Strukturalismus oder Aktantenmodellen tun (vgl. Eder 2008, 15). 38 Vielmehr sind sie ›characters‹39 , definiert durch Hamon als »[...] a bundle of relations of similarity, opposition, hierarchy and disposition, which enters into, on the plane of signifier and signified, successively and/or simultaneously, with other character or elements of the work« (Hamon 1977, 119 zit. n. Fiske 2010, 158).40 Der englische Ausdruck ›character‹ und das deutsche Wort ›Charakter‹ haben ihren Ursprung im Altgriechischen und meinen ›Zeichen, Stempel‹, zu interpretieren als das Wesen eines Menschen, das ihm gleichsam aufgeprägt, aufgestempelt ist (vgl. Gemoll 1954, 800 zit. n. Eder 2008, 13). Die Figuren oder auch Charaktere sind als durch einen fiktionalen Text dargestellte Gestalten, denen eine Form von Bewusstsein zugeschrieben wird, zu verstehen (vgl. Eder 2008, 13). Thompson betont deren Wichtigkeit, da sie Informationen liefern, Kamerafahrten motivieren, Parallelen aufzeigen, Formen und Farben verkörpern: Charaktere sind »[…] die wichtigsten Träger der verschiedenen kausalen Ereignisse einer Erzählung« (Thompson 1995, 57). Ein Charakter spezifiziert also das Ziel der Narration und ist ebenso eine Identifikationsmöglichkeit für den Zuschauer (vgl. Bordwell 1986, 18). Diese Identifikation ist möglich, da die Charaktere nicht gleich sind, sondern sich voneinander unterscheiden, individuell sind. Bal verweist auf »round and flat characters« (2009, 115): Erstere sind komplex und unterliegen einer Entwicklung; flach sind jene, die stereotypisch 41 sind. Eder (2008) entwirft für Charaktere – er nennt sie Figuren4243