Déjà-vu

Ein Ruhrgebiets-Thriller

Nadine Baumann

Impressum

© 2016 Dr. Nadine Baumann

Titelbild: © Stefan Betz www.betz-naturfoto.de

Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

ISBN 978-3-7375-8585-9

Prolog

Ich hatte alles minutiös geplant. Und dennoch war ich einigermaßen nervös, das letzte Mal war schließlich schon eine ganze Weile her. Dazu sollte ja schließlich alles genauso aussehen wie damals, was das Ganze nicht gerade einfacher machte. Aber ich hatte ja eines im Überfluss, und das war Geduld, und nun war es endlich so weit. Ich fuhr in seine Wohnung und wartete dort auf ihn. Dass ich mir ihn als erstes ausgesucht hatte war eigentlich Zufall gewesen, aber ein besseres Opfer gab es wohl kaum. Er hatte abgesehen von seinen Jobs keinerlei Kontakt zu Menschen, es war also nicht zu befürchten, dass er jemanden mit nach Hause brachte. Er war fast noch asozialer was das anging als ich, eigentlich konnte ich ihn daher ganz gut leiden. Er war absolut würdig. Ich hatte alles schon vorbereitet, die dünne Schnur, die bereits früher mein Markenzeichen gewesen war, lag ruhig in meiner behandschuhten Hand. Der Schutzanzug war luftig genug, sodass ich nicht allzu sehr schwitzte und selbst die Atemmaske störte mich kaum. Bald würde er nach Hause kommen, wie immer zum Kühlschrank gehen und das vorderste Bier nehmen, das ich bereits mit Thiopental versetzt hatte. Ich liebe es, wenn sie Rituale haben, das macht es so planbar. Es würde nicht allzu lange dauern, bis die Wirkung einsetzte und ich zum Höhepunkt schreiten konnte. Ich machte es fast zärtlich, ganz langsam legte ich die Schnur um seinen Hals und zog sie enger, er wehrte sich nicht, er bekam es vermutlich nicht einmal mehr mit. Nicht, dass ich das aus Mitleid tat, aber Opfer, die sich wehrten, konnten eventuell Spuren hinterlassen, an mir, an sich selbst, in der Wohnung. Und bisher hatte ich nie Spuren hinterlassen, und das sollte auch in Zukunft so bleiben. Als es vorbei war löste ich die dünne Schnur und zog stattdessen das dickere Seil um seinen Hals fest. Der eine oder andere meiner Morde war so schon als Selbstmord durchgegangen. Nicht dass das zwingend nötig wäre, aber dieser Extrakick, ob der Mord überhaupt entdeckt würde, bereitete mir zusätzliche Freude. In den Tagen danach konnte ich es kaum erwarten, die Tageszeitungen zu lesen, und manchmal erschien erst nach Tagen nur eine Todesanzeige, dann war klar, dass sie mal wieder keine Ahnung hatten. Als das zweite Mal das erste überdeckte kam der kritische Punkt. Ich musste ihn unbemerkt ins Auto schaffen. Ich band ihm ein Halstuch um, setzte ihm eine Schirmmütze auf, die das Gesicht verdeckte, und legte einen Arm um meine Schulter. So torkelten wir aus dem Haus und ich verfrachtete ihn auf den Beifahrersitz. Dabei schimpfte ich die ganze Zeit leise vor mich hin, irgendwas von wegen musst Du immer so viel saufen und so weiter. Die Rechnung ging wie immer auf, keiner der Passanten schenkte uns mehr als einen flüchtigen Blick. Dann fuhr ich ihn an den ausgewählten Ort, hängte ihn auf und verschwand wieder. Ein kurzes Vergnügen... aber bis zum nächsten Mal würde es sicher nicht allzu lange dauern.

Kapitel 1 – Déjà-vu

Es ist mitten in der Nacht als das Handy klingelt. Ich werde davon aus einem unruhigen Schlaf gerissen, gerade hatte ich irgendetwas abstruses geträumt, als ich darüber nachdenke ist die Erinnerung allerdings schon weg. Ich versuche, mich zu erinnern, wann ich ins Bett gegangen bin. Es muss ziemlich spät gewesen sein, ich hatte ein paar Bier getrunken, vielleicht ein paar zu viel, wie ich jetzt feststelle. Mir brummt dermaßen der Schädel und mir ist schwindlig. Und das verdammte Handy klingelt immer noch. Ein Anruf um diese Uhrzeit bedeutet nie etwas Gutes… Ich gehe ran, das Gespräch dauert nicht sehr lange. Kurz anziehen, schnell auf den Weg machen, ich bin noch halb im Schlaf, jetzt aber gleichzeitig hellwach und voll bei der Sache, der Kater ist nach zwei hastig eingeworfenen Kopfschmerztabletten im Keim erstickt. Am alten Kieswerk wurde eine Leiche gefunden, erhängt, aber augenscheinlich kein Selbstmord. Ich kann es kaum glauben, es fühlt sich an wie im Film, ein böses Déjà-vu. Auf dem Weg zum Tatort kreisen meine Gedanken um das alte Kieswerk, die alte Geschichte von damals. Alle Details sind sofort wieder da, die ganze verworrene Geschichte. Der Besitzer des Kieswerks in Rheinhausen war gefunden worden, erhängt unterhalb eines der Förderbänder ganz in der Nähe der Büros. Man hatte zunächst angenommen, er hätte Selbstmord begangen, einer seiner Mitarbeiter hatte ihn gefunden, am Strick hängend. Bei der Leichenschau fanden sich allerdings zusätzliche Würgemale unterhalb der Abdrücke, die das Seil hinterlassen hatte. Sie waren nur ein klein wenig versetzt, daher hatte man sie zunächst übersehen, und es wäre beinahe ein unentdeckter Mord geblieben. Allerdings war der Täter ohnehin nicht gefasst worden, ein weiterer ungeklärter Mordfall ist es also immerhin geblieben. Noch während ich über weitere Details der damaligen Ermittlungen nachgrübel, erreiche ich den neuen alten Tatort, und mir läuft ein Schauer über den Rücken. Die Leiche hängt exakt an derselben Stelle wie damals. Seit dem Tod des letzten Besitzers hatte es keinen neuen Betreiber gegeben, und die Gebäude zerfielen langsam. Soweit ich mich erinnere waren die Kiesgruben ohnehin zum größten Teil bereits abgebaut worden, eine Investition hätte sich also nicht mehr sonderlich gelohnt.

Als ich näher komme sehe ich, dass ich erwartet werde: Doro, unsere Rechtsmedizinerin, ist bereits vor Ort. Sie ist erst seit kurzer Zeit bei uns, Medizinstudium in Berlin, Facharzt für Rechtsmedizin und Promotion an der Charité und annähernd direkt im Anschluss die Stelle als Laborleiterin in Duisburg; dazu nicht unattraktiv, groß, schlank mit dunkelbraunen Haaren und Augen und einer dazu passenden dunklen Stimme. „Schön, dass der Herr Kommissar sich auch endlich aus dem Bett bequemt hat! Na, schon wach?“ Ich weiß, das ist nicht böse gemeint, aber manchmal… das Vorlaute ist definitiv einer ihrer wenigen Makel. Aber bereits nach der kurzen Zeit habe ich die Zusammenarbeit mit ihr so zu schätzen gelernt, dass ich über so manche Bemerkung hinwegsehe. „Ich bin gekommen so schnell es ging. Was habt ihr? Lass mich raten, sieht zunächst aus wie Selbstmord, aber es gibt doppelte Würgemale?“ „Ja, woher weißt du? Ich hätt´s fast übersehen, aber Alfred hat gemeint, es gab da schon mal so einen Fall hier draußen. Kennst du den auch?“ „Ich erzähl´s dir später in Ruhe, lass uns hier erst die Details klären.“ „Das Opfer ist männlich, ca. 45 Jahre alt und seit etwa zwei Tagen tot. Genaueres wie immer erst nach der Obduktion.“ Sie grinst mich schief an. „Wer hat ihn gefunden?“ „Ein paar Jugendliche, die heute Nacht hier Party machen wollten. Sind ziemlich durch den Wind die Jungs, Alfred hat sie drüben im Wagen, falls Du noch mit ihnen reden möchtest.“ Wollte ich, tat ich, aber natürlich hatten sie keine weiteren brauchbaren Hinweise. Die Durchsuchung der Leiche ergab zunächst auch nichts, kein Ausweis, kein Handy, nichts was auf die Identität des Toten schließen lassen würde. Also die Vermisstenanzeigen abgleichen und wenn sich dort auch nichts finden sollte, Akten wälzen bis zum Umfallen. Mann, wie ich mich auf die nächsten Tage freute…

Als ich im Büro ankomme ist es bereits halb sechs, schlafen hätte sich ohnehin nicht mehr gelohnt, also gleich ran ans Werk. Als erstes hole ich mir die alte Akte, lese Zeugenaussagen, Vernehmungsprotokolle, gehe Seite für Seite noch mal durch, aber ich bin immer noch genauso ratlos wie vor fünfzehn Jahren, so lange ist der Mord am Kieswerkbetreiber jetzt her. Und immer noch keine wirklich heiße Spur, es gab keine Verbindung zur organisierten Kriminalität, keine Hinweise auf ein mögliches Motiv, einfach nichts. Niemand hatte einen ersichtlichen Grund gehabt, den Mann umzubringen. Es wurden auch keine verwertbaren Spuren an der Leiche gefunden, nichts, was irgendwie hätte weiterhelfen können, es war ein Rätsel warum der Mann hatte sterben müssen. Und jetzt dieser neue Mord, gleicher Tatort, gleiche Handschrift, Opfer männlich und etwa im selben Alter. Ich wusste überhaupt nicht, was ich davon halten sollte. Und ein Detail wollte mir nicht aus dem Kopf, der exakt identische Tatort. Wie viele Leute hatten gewusst, wo genau der erste Mord stattgefunden hatte? Mit Sicherheit nicht viele, da diese Information soweit ich wusste nie veröffentlicht worden war. Woher also wusste der Mörder davon? Handelte es sich um denselben Täter? Oder war es nur ein dummer Zufall?

Doro traf ein, aber sie wollte sich jetzt doch zunächst unvoreingenommen an die Sache begeben, ohne weitere Details über den ersten Mordfall zu kennen. Obwohl sie das Wichtigste ja bereits herausgefunden hatte, die versteckten Würgemale… Da sie eine Perfektionistin war wusste ich, dass ich nicht allzu bald mit Neuigkeiten würde rechnen können, zunächst würde sie jeder noch so winzigen Spur akribisch nachgehen. Also setzte ich mich doch erst an die Vermisstenkartei, aber wie zu erwarten war, erwartete mich nichts, weniger als nichts. Und nach ein paar Stunden setzte die erste Frustration ein …

Ein Kribbeln erfasste mich als ich daran dachte, was ich getan hatte. Es war erst der Anfang, aber es war ein guter Anfang. Und ich war sicher, dass ich gut gewählt hatte, schließlich wollte ich nicht, dass sie zu schnell auf meine Spur kamen. Sicher würde es irgendwann geschehen, das sollte es sogar, aber bis dahin würde noch viel passieren. Und es würde noch besser werden, viel besser…

Kapitel 2 – Der Tiger

Auf dem Weg zu Doro dachte ich darüber nach, wen ich in mein Team holen sollte. Der Chef hatte darauf bestanden, eine „Soko Kieswerk“ einzurichten. Ich arbeite zwar eigentlich lieber für mich allein, aber etwas Unterstützung konnte ja nicht schaden. Alfred sollte auf jeden Fall dabei sein, er wusste über den alten Fall genauso viel wie ich, wir hatten damals auch schon zusammen daran gearbeitet. Aber dann wurde es auch schon schwierig, in letzter Zeit hatten sich viele gute Kollegen in den Ruhestand verabschiedet oder versetzen lasen, und die neuen Kollegen waren fast alle so karrieregeil, dass sie vor lauter Selbstdarstellung nicht mehr klar denken konnten. Dazu kamen noch einige, bei denen man sich fragte, wie sie überhaupt die Grundausbildung geschafft hatten, die brauchten schon ´ne halbe Stunde um sich in der Kantine zwischen Schnitzel oder Pasta zu entscheiden. Also mal sehen, wer blieb da noch übrig…? Frank Wolters wäre eine gute Wahl, der war immerhin schon ein paar Jährchen da, zuverlässig und hatte meist einige gute Ideen. Meike Sommer würde ich auch dazu holen, mit ihr war ich von Anfang an gut ausgekommen. Sie hatte so eine einnehmende Art und war weder zickig noch extrem kumpelhaft, einfach ein richtig guter Typ. Und obwohl sie seit einiger Zeit eine feste Beziehung hatte und bald heiraten wollte hatte ihre Arbeit darunter bisher nicht eine Sekunde gelitten. Ihr Freund hatte anscheinend ziemlich viel Verständnis für den Job und die mitunter absolut unkalkulierbaren Arbeitszeiten. So eine verständnisvolle Partnerin hatte ich selbst leider nie finden können. Also Alfred, Frank und Meike - das sollte dann hoffentlich reichen, mehr Leute würde ich vermutlich ohnehin nicht bekommen.