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EUGEN SPEYER

Wind der Freiheit

Historischer Roman

Boyens Buchverlag

Mein Dank gilt

meiner Tochter Marna

für ihre Unterstützung

und meiner Frau Ingrid

für ihre Hilfe und Geduld

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1

Die Schreckensnachricht traf Wulf Isebrand wie ein Schlag. Er konnte es nicht fassen: Unter den Männern im Kriegsrat sollte ein Verräter sitzen? Er wollte es nicht glauben.

„Ein Spion mitten unter uns?“, fragte er seinen Freund Claus Grove, der ihm die Hiobsbotschaft überbracht hatte.

„Ja“, antwortete Grove kurz angebunden, „mitten in eurem Kriegsrat befindet sich so ein Schwein, das eure geheimen Verhandlungen und Pläne gleich an den Feind weitergibt.“ Er tätschelte dabei den Hals seines Pferdes, das ruhig mit gesenktem Kopf neben Isebrands schwarzem Hengst dahintrottete.

Saßen nicht im Rat die ehrenhaftesten und angesehensten Männer der Bauernrepublik Dithmarschen? Wenn die Meldung stimmt, dachte Isebrand bestürzt, schwebt das Land in höchster Gefahr. Alle militärischen Überlegungen und Entscheidungen wären für die Katz. Die Folgen könnte man sich an fünf Fingern abzählen: Der kurz bevorstehende Krieg gegen Dänenkönig Hans wäre nicht mehr zu gewinnen, die Freiheit des kleinen Bauernstaates für immer verloren und die Aussicht der Bevölkerung, den bewaffneten Konflikt zu überleben, gleich null.

„Ein Spion in der Landesführung“, bemerkte Isebrand gereizt, „das ist das Ende.“

Grove nickte. Auch ihm war völlig schleierhaft, wie es dem Dänenkönig gelungen war, ein Mitglied des dithmarscher Kriegsrats auf seine Seite zu ziehen. Denn im Rat, der für die Landesverteidigung verantwortlich war, saßen nur achtbare Männer der Regierung.

„Ich sehe schon, wie das riesige Dänenheer unser kleines Bauernaufgebot vollständig aufreiben wird“, malte sich Isebrand im Geiste aus. „Und ich sehe mordgierige Söldnerhorden alle unsere Dörfer niederbrennen und über unsere wehrlosen Frauen, Kinder und Alten herfallen.“

„Und vergiß nicht die Überlebenden “, nahm Grove die düsteren Gedanken seines Freundes auf. „Sie werden von hochmütigen ausländischen Fürsten gnadenlos unterjocht und bis aufs Blut ausgesaugt werden.“

Und das alles nur wegen eines einzigen Schurken, verfluchte Isebrand den Kerl, der seine Seele an den Feind verkauft hatte. Ich muß ihn erledigen, bevor noch der Krieg richtig beginnt!

Grove hatte ihm bereits in den vergangenen Wochen mehrfach geheime Meldungen über die Kriegsvorbereitungen des dänischen Königs gesteckt. Er war darüber im Bilde, woher die Berichte stammten, wenn auch nur umrißhaft. Sie kamen aus dem Caland, einer verschworenen geistlichen Bruderschaft in Meldorf. Ihr gehörten zwölf papsttreue Priester an, ebenso viele Laien und einige Dominikanermönche.

Als er zum erstenmal von der geheimnisvollen Vereinigung gehört hatte, hatte ihn gleich eine dunkle Vorahnung befallen: Dieser Caland kann mir eines Tages gefährlich werden. Denn genauso, wie der katholische Geheimbund über Pläne des Dänenkönigs Bescheid wußte und einiges davon durch undichte Stellen nach draußen sickerte, könnte es umgekehrt mit dithmarscher Plänen passieren. Die Besorgnis hatte er aber verdrängt. Als ihm nun sein Freund den Verräter meldete, fiel ihm schlagartig wieder der Caland ein. Von dem Geheimbund schien tatsächlich eine Bedrohung auszugehen, sinnierte er.

„Wer ist der Kerl?“ Isebrand verlangte danach, den Namen des Spions zu erfahren.

Grove zuckte mit den Schultern: „Noch kennen wir ihn nicht.“

Wenn auch diese Antwort für Isebrand enttäuschend war, so hatte er doch im Stillen damit gerechnet. Es handelte sich also um einen schlauen Fuchs. Er spürte, wie er auf den unbekannten Lump immer zorniger wurde. Sicher gehörte der Bursche zu den erbärmlichen Ratten, die von vornherein mit einer Niederlage rechneten und sich den Dänen andienten, um wenigstens die eigene Haut zu retten.

Da sind doch Dithmarschens Frauen aus ganz anderem Holz geschnitzt, fuhr es ihm durch den Kopf. Sie waren es nämlich gewesen, die ihre Männer dazu gebracht hatten, sich für den Kampf um die Freiheit ihrer Familien zu entscheiden. Wenn Dithmarschen den Krieg gewinnen sollte, dachte er, sind sie die wahren Helden des Landes. Wie jämmerlich machen sich dagegen die Feiglinge aus, die aus Angst um Besitz und Leben ihr Vaterland verraten. Daß es nun sogar ein Ratsmitglied ist, macht die Sache noch schlimmer.

Im Moment schien Isebrand der Spion weit gefährlicher zu sein als das ganze Dänenheer zusammen. Er verwünschte die verfahrene Lage im Rat – und den verdammten Krieg dazu. Für den Bruchteil einer Sekunde war ihm seine Rolle als militärischer Berater des Landes zuwider. Warum hatte er sich nur darauf eingelassen, warf er sich mißmutig vor.

Aber die Freude und der Stolz, in dieses hohe, ehrenvolle Amt berufen worden zu sein, überwogen seine Verärgerung. Und da war noch die Genugtuung, von den Dithmarschern endlich als einer der Ihren anerkannt und kein Fremder mehr zu sein. Als solchen hatte man ihn lange Zeit angesehen, nachdem er vor zwanzig Jahren aus Holland gekommen war.

Erst vor zwei Tagen hatte ihn der Rat für die Dauer des Krieges als Adjutanten an seine Seite geholt. Darüber hinaus wurde er zum Befehlshaber des Bauernheeres ernannt. Daß ausgerechnet ihm das Kommando über das Landesaufgebot übertragen worden war, mußte hauptsächlich drei Gründe haben, vermutete Isebrand. Erstens hielt man ihn, den ehemaligen Hauptmann eines holländischen Landsknechtshaufens, für kriegserfahren – was er selbst bezweifelte, aber unerwähnt gelassen hatte. Schließlich lag seine Söldnerzeit zwanzig Jahre zurück. Zweitens, und das mußte wohl ausschlaggebend gewesen sein, war er seit sechs Jahren militärischer Berater der Westerdöfft, einem der fünf Wehrbezirke im Land. Allerdings hatte er in dieser Stellung nur einmal im Jahr gemeinsam mit dem Bezirksvogt eine Waffenschau unter den wehrfähigen Männern abzuhalten. Truppenübungen oder gar Manöver gab es in Dithmarschen nicht; die hielten die Regenten für Zeitverschwendung. Und drittens war er ein Bauer, der es mit seiner Tüchtigkeit zu gehörigem Ansehen gebracht hatte.

Oldenwöhrden hieß das Dorf, in dem Isebrand den eigenen Hof bestellte. Es war auch Standort des Kriegsrats, der sein Hauptquartier aus Sicherheitsgründen vom politischen Hauptort Heide weg und dorthin verlegt hatte. Isebrand ging wieder durch den Kopf, wie er vor dem Rat hatte schwören müssen, König Johann I., den Herrscher über Skandinavien, Schleswig und Holstein, zu besiegen und die Republik vor dem Untergang zu bewahren. Und ausgerechnet jetzt kam ihm dieser elende Verräter in die Quere.

Verärgert hantierte er mit seinen Zügeln und nahm sie zwischen Daumen und Zeigefingern fester in die Fäuste. Da verlangte man von ihm beinahe Unmögliches, murrte er in Gedanken vor sich hin, dabei war der Rat selber nicht einmal in der Lage, in den eigenen Reihen Ordnung zu halten. Nur deshalb hatte er nun ein Problem mehr am Hals. Eigentlich sollte er sich um den äußeren Feind kümmern und nicht um den Schmutz im Rat. Aber war er nicht gezwungen, erst schleunigst den Stall auszumisten, damit er überhaupt freie Hand für die Landesverteidigung hatte?

„Ich hasse diesen Verräter, und ich hasse diesen verfluchten Krieg“, brach es aus ihm heraus. Nervös rückte er sein Gesäß im Sattel zurecht.

„Deine Kampfmoral läßt nach, mein Lieber“, spottete Grove.

„Wundert dich das? Unsere Möglichkeiten, den Krieg zu gewinnen, sind ohnehin sehr beschränkt. Und jetzt noch mehr, da jede unserer Planungen gleich dem Dänenkönig auf den Tisch gelegt wird.“

Isebrand trieb sein Pferd zu schnellerer Gangart an. Groves Schreckensnachricht hatte dem Tag eine düstere Wende gegeben. Dabei hatte er für ihn so gut angefangen.

Es war ein Wintermorgen gewesen, wie er ihn liebte. Er hatte in aller Frühe Plinius, seinen jüngsten Rappen, gesattelt und war aus der Finsternis des Stalls durch das Dielentor hinaus über den weiten Hof in die Kälte geritten. Für einen Moment hatte ihn der erste Schein der aufgehenden Sonne geblendet, deren glühende Scheibe bereits einen Finger breit über den Ostdeich ins Land hereinleuchtete. Isebrand hatte sein Pferd angehalten, und vom Sattel aus genoß er das Naturschauspiel, mit dem Gott ihn für seinen frühen Aufbruch belohnte. Vor seinen Augen tastete die Sonne die starr gefrorene Tiefebene neugierig und zögerlich mit weichen Strahlen ab. Isebrand spürte auf seinem Gesicht die ringsum langsam wachsende Wärme, die dem neugeborenen Morgen behutsam aus dem eiskalten Nebel der erschlaffenden Nacht half. Als wenig später die Sonne wie weißgelbe Glut über dem Seedeich stand, übergoß sie die baumlose Weite verschwenderisch mit grellem Licht, das die letzten Schleier der Dämmerung aufsog. Isebrand vermeinte den Atem des jungen Morgens zu spüren, der sich in der endlosen Marschniederung mit dem neuen Tag vereinte. Der Himmel zog sich nach allen Seiten tief zur Erde herunter. Vor ihm öffnete sich die platte Tiefebene nach allen Seiten – behäbig, mächtig und wie für alle Zeit in sich ruhend, kam es Isebrand vor.

Er verharrte andächtig vor dem erregenden Schauspiel des Tagesanbruchs. Für einen Moment vergaß er die kühne militärische Unternehmung, die ihm bevorstand. Seine große und kräftige Figur war in einen fellgefütterten Mantelumhang gehüllt. Darunter straffte ein muskulöser Oberkörper die gerafften Schulterteile zu beiden Seiten. Das wettergegerbte Gesicht stand in auffallendem Gegensatz zu seinen feingeschnittenen Zügen, ebenso wie das dichte blonde Kopfhaar zu den braunen Augen mit den dunklen Brauen. Die schlanken, festen und sehnigen Hände zogen gefühlvoll an den Zügeln und lenkten den schwarzen Hengst schließlich ins gleißende Gegenlicht der Sonne.

Vor ihm auf der Erde glitzerte und funkelte ein Meer winziger Sterne. Ihm war, als hätte die Sonne mit ihrem harten Licht den silbrig flimmernden Rauhreif aus gefrorenem Nebel der vergangenen Nacht zu Millionen kleiner Edelsteine geschliffen. Sie blinkten und sprühten Blitze in buntesten Farben, und sie schienen in einen durchsichtigen weißen Schleier eingewirkt, der das erdige Braun der hartgefrorenen Äcker und das graue Grün der frostig steifen Gräser auf den Viehweiden nur flüchtig bedeckte.

Eigenartig, überlegte Isebrand, es war Anfang Februar 1500, und so lange er sich zurückerinnern konnte, lag zum erstenmal um diese Zeit kein Schnee; auch war es viel kälter als sonst. Außerdem blieb der Wind, der entlang der Meeresküste so gut wie nie Ruhe gab, an diesem Tag still.

Isebrand hatte noch jetzt das Pfeifen, Heulen und Röhren des Orkans im Ohr, der gerade mal vor zwei Wochen eine herantobende Sturmflut mit geballter Wucht gegen die Deiche schleuderte. Zuerst hatten, nur fünf Steinwürfe von seinem Anwesen entfernt, tosende Wellenberge große Brocken aus der Außenseite des Deichkörpers gerissen. Dann hatte er hilflos zusehen müssen, wie schäumende Wasserzungen immer wieder über die Deichkrone schnellten, lechzend die Deichinnenseite abtasteten, dort gierig die feuchte, verwundbare Grasnarbe leckten und heißhungrig Löcher, Rinnen und Spalten ins Erdreich fraßen.

Die Menschen um ihn herum, mit denen er den zerfetzten Deichkörper zu flicken versuchte, waren in heillose Panik geraten. Gemeinsam mit den Männern hatte er in peitschendem Schneeregen unzählige, mit klebrigem Lehm und nassem Sand prall gefüllte Säcke herangeschleppt und in die klaffenden Deichwunden geworfen. Und die Frauen hatten Hunderte mit Hanf gebundene Reisigmatten durch knöcheltiefen Schlamm zu den hastig arbeitenden Bauern und Knechten am Deich gezogen. War zwischendurch noch Zeit, wuchtete man, halb wahnsinnig vor Angst, stapelweise rauhe Holzpfähle in die vorderste Verteidigungslinie, wo sie ins Erdreich geschlagen wurden.

Doch alles umsonst. Irgendwann hatte Isebrand, ebenso wie die wenigen Zuversichtlichen unter den Deichverteidigern, den Kampf gegen die wutentbrannte See als sinnlos aufgegeben. Alle wußten plötzlich, daß jetzt nur noch Flucht in Frage kam. Da geschah das Wunder: Der brüllende Sturm ließ urplötzlich nach, fiel kurz vor dem Höchststand der Tide kraftlos in sich zusammen. Die Sturmflut war nicht mehr in der Lage, eine vernichtende Attacke gegen den Deich zu führen.

Die durchnäßten, verdreckten und zu Tode erschöpften Bauern und ihre Frauen, die Knechte und Mägde hatten erleichtert aufgeschrien, gelacht und geweint, sich gegenseitig umarmt und nicht aufgehört, wie verrückt im schlüpfrigen Matsch zwischen den herumliegenden Schaufeln, Hämmern, Sägen, Hanfseilen, Sandsäcken, Reisigmatten und Holzpflöcken herumzutanzen. Auch Isebrand war, inmitten der überschwappenden Ausgelassenheit, trunken vor Freude und Glück gewesen, aber ebenso ergriffen von dem gerade Erlebten: Nur ein einziger kurzer Atemzug der Natur hatte ihm und den anderen das Leben gerettet! Die Menschen der Marsch waren wieder einmal davongekommen – wie schon ihre Väter und deren Väter und deren Väter in den Jahrhunderten zuvor.

Isebrand liebte den Wind. Der war wie das Land, in dem er sich wohlfühlte. Er konnte sanft, weich und friedlich sein, aber auch wild, brutal und tödlich. Isebrand brauchte ihn zum Leben wie andere Essen und Trinken. Wenn ihm der Wind ins Gesicht blies, der Sturm seinen Körper rüttelte oder Orkanböen ihm beinahe die Luft abschnitten, dann durfte er dagegen ankämpfen, sich dabei unbändig stark fühlen, unabhängig von allen und allem – und frei wie ein Vogel sein. Das war Natur, mit der er sich eins fühlte und die nur ihm allein gehörte, wenn er einsam war.

Er hatte es nie bereut, nach seiner Flucht aus Holland zufällig nach Dithmarschen gekommen zu sein. Er hatte eine neue Heimat gefunden und gleich einen Freund dazu, den damaligen, nur zwei Jahre älteren Theologiestudenten und heutigen Priester Claus Grove. „Du bist jetzt in einem Land“, hatte damals Grove gesagt, „das es nirgendwo auf der Welt ein zweites Mal gibt.“

Isebrand hatte es gefallen, daß ein junger Mann so stolz auf das Land seiner Väter war. Und mit Recht: Denn hier regierte ein freies Bauerntum sich selbst. „Wir haben den Adel schon vor dreihundert Jahren aus dem Land gejagt. Wir wollten niemals bäuerliche Lehnsknechte auf fremden Höfen unter adliger Grundherrschaft sein und nur für Abgaben und Fronden arbeiten, damit Grafen und Fürsten ein feudales Leben führen können. Unser Landesherr ist ein Bischof.“ Und dann hatte Grove hell aufgelacht: „Aber er ist weit weg, wird von Vögten vertreten, hat nur einige Nutzungsrechte und läßt uns dafür das Land selbständig führen.“

Weiter hatte Isebrand gleich am ersten Tag von Grove erfahren, daß der Bauernstaat an der Nordseeküste zwischen Hamburg und Dänemark sehr klein war, nur ungefähr zwei Tagesritte breit und drei Tagesritte lang. Aber dafür war es ein blühendes Land, in dem strenge moralische und sittliche Grundsätze herrschten. Damals hatte er sofort gewußt: Das war das Land seiner Träume.

Was er dann später mit eigenen Augen erleben durfte, übertraf seine kühnsten Erwartungen. Auf Weiden, die bis zum Horizont reichten, grasten riesige Herden fleischiger Rinder oder wolliger Schafe. Auf ebenso weiten Getreidefeldern standen Millionen goldgelber Ähren, prall gefüllt mit kostbarem Weizen. Ein überwältigender Reichtum. Auf kleineren Flächen gab es Mais und Flachs. In vielen Gärten standen auf schwarzbrauner Erde Staude an Staude mit prachtvollem Gemüse. Geradezu übermächtig waren ihm die Bauernhäuser erschienen, die behäbig breit und langhingestreckt unter tiefhängenden Reetdächern ruhten. Der Wohnteil darunter war mit geschnitzten Möbeln, erlesenem Geschirr, kostbaren Seidenvorhängen und kunstvoll gekachelten Kaminöfen ausgestattet.

Die Einwohner pflegten das Althergebrachte und hielten sich an Altbewährtes; Tradition war ihnen heilig. Zu den regelmäßigen Wochenmärkten zogen ganze Familien mit bepackten Pferden, schlachtreifen Ochsen und schwergewichtigen Kühen zu den Handelsplätzen. Sie gingen zu Fuß oder saßen auf hochbeladenen Wagen und Karren mit Getreidesäcken, Milchkannen, Bierfässern, Gemüsekisten und allerlei Trödel. Auf den Märkten herrschte zwischen Zelten und Ständen buntes Treiben. Bauern, Handwerker und Händler verkauften ihre Erzeugnisse oder tauschten sie gegen Waren von friesischen, hanseatischen und sogar holländischen Kaufleuten ein. Die waren von weit her angeritten oder auf dem Seeweg gekommen. Der lebhafte Handel war durch den Marktfrieden geschützt. Laut Landrecht waren das Tragen von Waffen und handfeste Streitigkeiten während der Marktzeit verboten.

Besonders hatte Isebrand das geschäftige Leben in den Häfen gefesselt, wo Handelsschiffe aus aller Herren Länder lagen. Unter zusammengerollten Segeln an hohen Masten schleppten Seeleute Ballen mit feinen Stoffen, Gefäße mit orientalischen Gewürzen und Kisten mit deutschen, französischen und italienischen Weinen an Land. Dorthin, wo zwischen aufgestapelten Fässern, Körben und Säcken geschäftige Menschen lärmten, Lastpferde keuchten, Wagenräder quietschten und über dem quirligen Leben hungrige Möwen kreisten, die mit jämmerlichem Geschrei um Freßbares bettelten, zwischendurch kopfüber auf die Erde stürzten und gierig genießbare Abfälle verschlangen.

Isebrand war von seinen ersten Eindrücken überwältigt gewesen. Das hatte seine Absicht beflügelt, sich als Ausländer den Sitten und Bräuchen der Bewohner anzupassen und alles zu tun, damit sie ihn in ihren Kreis aufnahmen. Grove hatte ihn nämlich auch gewarnt: Gegen Fremde in den eigenen Reihen seien sie sehr abweisend. Er wollte aber einer von ihnen werden. Er glaubte, in den Menschen des Landes sich selbst wiederzuerkennen. Sie schienen unverbildet, eigenwillig, kraftvoll, dabei ruhig, gelassen und zurückhaltend; er war ebenso wortkarg und bedächtig wie sie – und voller Leidenschaft, wenn es um die eigene persönliche Freiheit ging …

Ein Reiter näherte sich aus der Ferne. Als Isebrand ihn erblickte, fühlte er sich wie aus angenehmen Erinnerungen in den feindlichen Alltag gezerrt. Auf ihn und die vermummte Gestalt dort auf dem Braunen wartete eine selbstmörderische militärische Mission. Grove und er hatten sich für einen gemeinsamen Ritt zur Ostgrenze des Landes verabredet, wo Dänenkönig Hans auf dem Gebiet des benachbarten Herzogtums Holstein ein Riesenheer gegen Dithmarschen aufmarschieren ließ. Beide wollten auskundschaften, wie stark die fremden Truppenverbände waren. Der Kriegsrat hatte Isebrand befohlen sicherzustellen, ob die Beobachtungen von eigenen Spähern mit der Wirklichkeit übereinstimmten.

Isebrand wußte, daß ihm sein Freund niemals verziehen hätte, wenn er allein geritten wäre. Grove war neben seiner geistlichen Berufung auch heißblütiger Patriot. Er stammte aus einer alteingesessenen Familie. Er hatte sich fest vorgenommen, die Freiheit der Republik nicht nur mit Gottes Wort zu verteidigen, sondern auch mit der Waffe in der Hand. „Genauso, wie es seit Jahrhunderten meine Vorfahren getan haben“, hatte er gegenüber Isebrand bekräftigt.

Kurz bevor Isebrand mit Grove ganz nah zusammenkam, drehte er sich noch einmal im Sattel um, schaute zurück und suchte die Marschniederung nach seinem Hof ab. Zwar wußte er, daß er zu lange geritten war, um das Gebäude noch erkennen zu können. Doch vor seinem geistigen Auge sah er deutlich sein Gehöft mit den zwanzig Ulmen zu beiden Seiten und dem Birkenwäldchen dahinter auf einer kleinen Wurt stehen. Die geringe Bodenerhebung war vor Jahrhunderten von Menschenhand mitten in das eingedeichte Watt aufgeworfen worden, aus dem später fruchtbare Felder und fette Weiden wurden.

Nun stand sein gesamtes Lebenswerk auf dem Spiel, fuhr es ihm durch den Kopf. Er hatte für das Erreichte viele Jahre hart gearbeitet und so manches entbehrt. Er hatte zuerst gegen harte Widerstände der Natur und auch der Nachbarn ankämpfen müssen. Mit unermüdlichem Fleiß, ungebrochenem Eifer und zähem Willen war es ihm schließlich gelungen, sich eine neue Heimat aufzubauen. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen, sagte er sich stolz.

Als Bauer und Eigentümer des mittelgroßen Marschenhofes, den er gut in Schuß hatte, galt er bereits mit achtunddreißig als leidlich wohlhabend. Er besaß sechzig Morgen Ackerland und Weideflächen, baute mit zwölf Knechten Weizen, Hafer und Kohl an, züchtete Rinder und Schafe, belieferte die nahe Käserei mit Milch und mästete Ochsen und Schweine. Er säte, pflanzte und erntete jedes Jahr mehr, als er und seine Knechte und Mägde verbrauchen konnten. Er verkaufte große Mengen Getreide, Fleisch und Gemüse. Händler brachten seine Waren, wie auch die der anderen Bauern, auf einheimischen Märkten an den Mann, fuhren sie auf dem Landweg zu Abnehmern in vielen Städten des nördlichen Kaiserreichs oder führten sie sogar mit Hilfe von Schiffen einheimischer Reeder oder des hanseatischen Handels über See europaweit aus.

Zu seinen Landarbeitern war Isebrand streng, aber gerecht. Er zahlte guten Lohn für gute Leistung, galt deshalb unter benachbarten Bauern als unnötig großzügig. Er selber sah es anders. Wer gut und gerecht behandelt wird, lautete sein Wahlspruch, arbeitet besser, ist fleißig und treu. Der Erfolg hatte ihm Recht gegeben. Seine Art, Menschen zu führen, warf gute Gewinne ab, und er hatte Jahr für Jahr weitere Felder, Weiden und Rinder erwerben, seinen Hof vergrößern und sein Eigentum mehren können.

Weniger Glück hatte er in seinem privaten Leben. Seine Frau Wiebe, mit der er nur wenige Jahre verheiratet war, hatte die Geburt ihres zweiten Kindes nicht überlebt. Sie war, ebenso wie der Säugling, im Kindbett gestorben. Sie hatte ihm zwar ein Jahr zuvor eine Tochter geboren, durch ihren Tod jedoch eine große Leere hinterlassen. Er hatte sie nie vergessen können und nicht durch eine andere Frau ersetzen wollen. Vielleicht auch deshalb nicht, weil er seiner Tochter Maria, die er von Herzen liebte, keine Stiefmutter zumuten wollte. Inzwischen war Maria achtzehn und mit dem reichen Großbauern Olde Peter Nanne in Lunden verheiratet. Vielleicht aber hatte er auch einfach zu wenig Zeit und Gelegenheit gehabt, die Richtige zu finden, obgleich er sich manchmal nach der Wärme einer Frau sehnte.

In solchen Stunden war ihm in seinen ungezügelten Vorstellungen immer nur die schöne Anna Muhlen erschienen, die Schwester seiner verstorbenen Frau. Anna war seine Geliebte gewesen, bevor er sich für Wiebe entschieden hatte. Er sah sie noch jetzt vor sich, wie sie nackt und entspannt auf seinem Bett lag. Nach dem Tod seiner Frau hatte er sich oft in einsamen Träumen nach der einstigen Geliebten gesehnt. Dabei war ihm schon während der Beziehung damals klar gewesen, daß ihn mit Anna nicht tiefempfundene Liebe verband.

Tatsächlich war es lange her, daß beide ihr gegenseitiges Verlangen ausgelebt hatten; so um die zwanzig Jahre, zählte Isebrand die Zeit zurück. Als er Anna dann gestanden hatte, daß er ihre Schwester heiraten würde, war sie seelisch fast zerbrochen. Obendrein hatte sie für ihre verschmähte Liebe schwer büßen müssen.

Isebrand erfuhr erst davon, als es zu spät war, das Rad zurückzudrehen. Noch Jahre danach hatte er sich schuldig gefühlt und mit seinem Gewissen herumgequält. Wiederholt hatte er versucht, Anna zu bitten, ihm zu verzeihen. Vergebens. Sie verwehrte ihm jede Gelegenheit dazu. Er hatte ihr sagen wollen, daß er mit ihr niemals eine körperliche Liebe eingegangen wäre, hätte er gewußt, wie streng die Landessitten waren. Jungfrauen nämlich, die sich einem Fremden hingaben, wurden grausam bestraft: Anna war als Geächtete an den Pranger gestellt und öffentlich tief verletzt und gedemütigt worden.

Es hatte ihn nur ungeheuer beruhigt, daß Anna kurz darauf den Großbauern Carsten Holm geheiratet und bei ihm sicheren Schutz und Geborgenheit gefunden hatte. Er war einer der angesehnsten und reichsten Männer des Landes. Auf ihrer Hochzeitsfeier jedoch hatte sie Isebrand für ihre Qualen am Schandpfahl ewige Rache geschworen. Haßerfüllt schleuderte sie ihm ins Gesicht: „Eines Tages wirst du dafür büßen müssen! Dann werde ich dir alles doppelt und dreifach heimzahlen!“

Erschrocken fuhr Isebrand im Sattel zusammen. Groves laute Stimme riß ihn aus seinen Gedanken. „Ich grüße dich!“, hörte er ihn sagen. Er war auf Rufweite herangekommen und lenkte sein Pferd vorsichtig über die hartgefrorenen Furchen und Wülste des Lehmweges zu ihm hin.

Isebrand erwiderte den Gruß und fragte lachend: „Na, Priester, hast du dir genug dichte Hosen angezogen?“ Er spielte auf das gefährliche Abenteuer an, das beiden bevorstand.

Grove zeigte ein breites Grinsen: „Ja, Bauer, ganze drei. Hab’ aber gleich vier als Ersatz für dich mitgebracht.“ Das Lächeln auf seinem Gesicht verschwand wieder: „Ich habe sehr, sehr schlechte Nachrichten für dich.“ Isebrand sah seinem Freund an, daß er keinen Wert mehr auf weitere Scherze legte.

Nach dem ersten Schreck über Groves Hiobsbotschaft, daß im Kriegsrat ein Spion sitze, hatte Isebrand sich bald wieder gefangen: „Sofort nach unserer Rückkehr werde ich den Verräter entlarven.“

„Das wird den Kriegsrat ganz schön durcheinanderwirbeln.“

„Der darf vorerst auf keinen Fall eingeweiht werden.“ Isebrand erschien das zwingend notwendig.

„Aber wie willst du den Schurken stellen?“

„Mit List.“

„Mit List?“ Grove sah erstaunt zu Isebrand hinüber. Der hatte sich im Sattel kerzengerade aufgerichtet, als wolle er seine kalte Entschlossenheit sichtbar machen. „Und mit welcher, wenn ich fragen darf?“ Es klang ironisch. Isebrand ärgerte das.

„Das weiß ich noch nicht,“ antwortete er. In Wirklichkeit hatte er bereits einen Plan fertig im Kopf .

2

Anna Holm fand sich schön. Sie stand vor dem Wandspiegel, der bis zum Boden reichte und sah lange hinein. Sie lächelte dem Spiegelbild zu, das mit den Händen, wie gedankenverloren, langsam, sanft und prüfend über die straffen Brüste glitt, den schlanken Leib behutsam abtastete und die runden und festen Hüften berührte. Dann griff ihr Ebenbild mit den Händen ins volle rotblonde Haar, hob es mit gestreckten Armen, wie triumphierend, zu beiden Seiten hoch und ließ es wieder sacht durch die Finger fließen, so daß es sich wallend über den Nacken, die Schultern und den Rücken hinab bis zu den Hüften ergoß. Ihre achtunddreißig sah man ihr nicht an; Anna freute sich hochgestimmt.

Sie fühlte sich gut, war stolz auf den Körper vor sich im Spiegel. Ihr Blick wanderte verträumt wieder hinauf zu den weichen Schultern, dem glatten Hals und dem ebenmäßigen Gesicht mit den winzigen Sommersprossen, die auf der kleinen Nase und den zarten, hochknochigen Wangen sprenkelten. Um den breiten Mund war die Haut weiß und rein wie der gesamte Körper.

Als sich ihr Blick erneut mit dem ihres Spiegelbildes traf, zuckte sie zusammen. Für einen Moment war es ihr peinlich, was sie getan hatte. Sie fand es plötzlich anstößig, den eigenen Körper wohlgefällig im Spiegel zu betrachten. Sie fühlte sich irgendwie ertappt. Ihr fiel ein, wie überaus streng die Regeln von Sitte und Anstand in diesem Land waren. Verfehlungen wurden immer noch erbarmungslos und grausam geahndet.

So hatte noch vor zwölf Jahren ein reicher Mann aus Wellinghusen zusammen mit seinen Vettern die eigene Schwester unter dem Eis ertränkt: Sie hatte sich als Jungfrau mit einem Fremden eingelassen. Anna vermochte sich noch daran zu erinnern. Oder da war der Fall der schönen Clare Werner aus Nalmenhusen, die von ihrer Familie in einer Grube lebendig begraben worden war. Ihr Verbrechen: Sie hatte mit einem jungen Viehhändler aus Hamburg eine Nacht im Stroh verbracht. Es mußte also ein unberührtes Mädchen, wenn es die Gebote der Keuschheit verletzte, mit grausamen Strafen rechnen, weil es Schande über die engsten Angehörigen gebracht hatte.

Bei dem Gedanken an die beiden Mädchen wurde sie wieder daran erinnert, daß sie selbst einmal Opfer der scharfen Sittengesetze gewesen war. Vor zwanzig Jahren. Es war der grauenhafteste Tag ihres Lebens. Bei der Bestrafung war sie nur knapp mit dem Leben davongekommen und heilfroh darüber gewesen. Aber die Schande, die hatte sie nie vergessen können.

Die Bilder von damals vergällten ihr die Freude über den Anblick. Sie empfand auf einmal den Blick auf ihre nackte Blöße als anzüglich und schamlos. Sie spürte, wie sich in ihr das Gewissen rührte. Schnell trat sie hinter den Fenstervorhang, spähte heimlich durch die Scheiben hinunter auf die Straße vor dem Haus. Sie atmete erleichtert auf. Niemand hätte von außen ins Zimmer hereinsehen und sie beobachten können. Sie befand sich im oberen Stockwerk des Hauses, das am Rande des großen Marktplatzes in Heide stand.

Anna wollte auf keinen Fall den guten Ruf ihres Mannes leichtfertig gefährden. Davor hatte sie am meisten Angst. Als Frau des mächtigen Carsten Holm hatte sie sich ein Leben lang fleißig darum bemüht, ihm eine treue, anständige und gehorsame Gemahlin zu sein. Es war ihr gelungen, dachte sie zufrieden. Nach zwanzig Ehejahren bedeutete sie ihm noch immer soviel wie am ersten Tag. Anna mußte an Wulf Isebrand denken. Die Besessenheit, mit der sich ihre Körper gesucht hatten, vergaß sie nie. Die Erinnerung daran erregte sie, obgleich sie diesen Mann haßte.

Ihr Ehemann war anders. Er legte größten Wert darauf, vor den Leuten als rechtschaffen, ehrlich und verläßlich zu gelten. Von seiner Familie verlangte er, daß sie sich ebenso verhielt. Anna tat, was er verlangte. Sie bestärkte ihn sogar darin, daß die Tugenden, wie er sie verstand, erst ein glückliches Familienleben ermöglichten. In Wirklichkeit war sie sich sicher, daß ihm sein Gehabe in erster Linie dabei helfen sollte, seinen Reichtum zu mehren – mit allen Mitteln. Er scheute sich nicht, als Waffe auch das Evangelium einzusetzen, wenn es galt, bei den anderen das schlechte Gewissen zu rühren, um es zu seinen Gunsten auszunutzen. Nur zu gut kannte Anna seine Wendigkeit und seine goldene Lebensregel: Niemals auffallen, immer allen gefallen. Sie richtete sich danach – wenn ihr Mann dabei war. Dann bemühte sie sich, ihr wahres Gesicht nicht zu zeigen. Das war ihre goldene Lebensregel.

So war sie eine glänzende Gastgeberin, wenn ihr Mann Freunde zu Besuch hatte. Sie verstand es, den Aufenthalt der Gäste in ihrem Hause äußerst anregend und angenehm zu gestalten. Sie tat es mit unaufdringlichem Geschick, gefälligem Feingefühl und rücksichtsvoller Aufmerksamkeit. Darauf war ihr Mann mächtig stolz. Aber er war nie ganz sicher, ob es seine Frau ehrlich meinte. Anna wußte um sein Mißtrauen, ließ ihn im dunkeln und genoß es, daß er verunsichert war.

Seinen Argwohn hatte sie schon vor vielen Jahren entdeckt. Immer wieder aber vermochte sie, ihren Mann erfindungsreich und zugleich taktvoll zu beschwichtigen und auf diese Weise behutsam zu entwaffnen. So ließ sie ihm wenig Spielraum zum Nachdenken. Zumal er wegen seiner Geschäfte wenig Zeit hatte, seine Gefühle gründlich in Ruhe zu erforschen. Also mußte er ihr zwangsläufig glauben, meinte Anna. Darum hatte sie ein leichtes Auskommen mit ihm.

Anna hatte ihren Mann nie richtig geliebt. Aber sie achtete ihn, spürte Zuneigung für ihn, ohne sich von ihm angezogen zu fühlen. Und sie sah zu ihm auf. Um nichts in der Welt hätte sie das Leben an seiner Seite gegen ein anderes getauscht. Sie fühlte sich bei ihm sicher, geborgen und beschützt. Sie hatte ihn vor zwanzig Jahren geheiratet, weil sie in großer Not war. Nun war Anna stolz darauf, eine Persönlichkeit zum Manne zu haben, so einflußreich und mächtig.

Carsten Holm war Großbauer, Großhändler, Fernhändler, Viehzüchter und Reeder. In Friedenszeiten hatte er sein Land sogar als Handelsgesandter am dänischen Königshof in Kopenhagen vertreten. Er gehörte außerdem zu Dithmarschens führenden Köpfen im Kollegium der 48 Regenten, welche die Regierung des Landes bildeten und auf Lebenszeit als oberste Richter und Ratgeber gewählt wurden. Carsten Holm war schon Achtundvierziger, als er damals die fünfzehn Jahre jüngere Anna vom Pranger befreit, in Sicherheit gebracht und gleich darauf geheiratet hatte. Er hatte es getan, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, ob es seinem Ansehen schade oder nicht. Das rechnete Anna ihm zeitlebens hoch an.

Wenn sie an die damaligen Ereignisse dachte, fühlte sie sich tief in seiner Schuld. Dieses Gefühl wurde noch verstärkt, wenn er ihr und ihrer Tochter jeden Wunsch von den Augen ablas. Er war seiner Familie gegenüber stets aufmerksam, zartfühlend und aufopferungsvoll. Sie hatte oft dem Herrgott dafür gedankt, daß er ihr diesen Mann zugeführt hatte.

Ihre Dankesschuld versuchte Anna sogar mit einer Wallfahrt abzutragen. Vor vier Jahren war sie mit ihrer damals fünfzehnjährigen Tochter Telse nach Aachen gepilgert. Dort stellte die Kirche alle sieben Jahre die Reliquien aus dem Marienschrein als Heiligtümer aus. Die Veranstaltung lockte stets Tausende von Gläubigen an. Anna hatte die beschwerliche Reise noch aus einem weiteren Grund auf sich genommen. Sie wollte den Frauen anderer bedeutender Männer des Landes auf keinen Fall an Frömmigkeit und Kirchentreue nachstehen. Zumindest nach außen hin nicht. Immerhin hatten schon einige von ihnen entbehrungsreiche Buß- oder Dankwallfahrten zu bekannten Wallfahrtsorten hinter sich; darunter Einsiedeln in der Schweiz, Rom, Santiago de Compostela im spanischen Galicien oder gar Jerusalem.

Anna fragte sich oft, ob sie eine gute und fromme Christin sei. Sie wollte ihrer tiefgläubigen Tochter in jeder Beziehung Vorbild sein. Sie suchte im Gebet Gottes Barmherzigkeit und Gnade. Sie lebte so gut es ging nach der strengen Papstlehre. Sie bat um Vergebung, wenn sie über sündige Gedanken und Wünsche gestrauchelt war. Und sie kaufte pflichtgemäß den Ablaß, um wieder frei von Schuld zu sein. Im Grunde ihres Herzen waren ihr allerdings tiefe Frömmigkeit, heilige Gottesfurcht und ergebene Kirchentreue eher unbequem und nicht selten sogar lästig.

Lieber gab sie in ihrem Haus für Freundinnen und Nachbarinnen glänzende Feste. Da konnte sie ihren Luxus zeigen und sich daran weiden, wie ihre Gäste beinahe vor Neid und Mißgunst platzten. Mit großem Geschick gelang es ihr immer wieder, derartige Aufführungen nur dann zu veranstalten, wenn ihr Mann auf Reisen war. Inzwischen hatte sie zu ihrer Freude herausgefunden, daß er ihr diese heimliche Schwäche vergab. Diskret, dezent und höflich behielt er es stets für sich, wenn er hintenherum von der seltsamen Neigung seiner Frau erfuhr.

Sie jedenfalls fühlte sich wohl dabei, wenn ihr die Damen heuchlerisch Respekt erwiesen oder sie scheinheilig mit übertriebener Höflichkeit behandelten. Sie wußte, daß die Frauen ihr dabei am liebsten die Augen ausgekratzt hätten. Aber gerade das genoß sie – und es stürzte sie gleichzeitig in Zwiespalt. Einerseits widerte sie das unterhaltsame Spielchen an, wenn sich alle verlogen gegenseitig mit Freundlichkeiten zuschütteten. Andererseits fühlte sie sich gut dabei, ungeniert und selbstsüchtig ihre Pracht entfalten und das Schauspiel als reizvolle Abwechslung zum Alltagseinerlei genießen zu können.

Am schlimmsten marterte sie die panische Angst, ihre Tochter würde bemerken, wie unbeherrscht sie sein konnte. Bisher hatte sie das meisterhaft vor ihr verborgen. Das aber belastete sie auch wieder, weil sie sich vor ihrer Tochter schuldig fühlte. Sie meinte, sie belüge und betrüge sie, weil sie ihr etwas ganz Persönliches verheimliche. Das wiederum weckte in ihr fortwährend das Bedürfnis, etwas wiedergutzumachen. Für ihre Tochter tat sie alles.

An Telse, so dachte sie voller Dankbarkeit, hatte sie bisher nur Freude gehabt. Ihre Tochter war immer ein liebes, fröhliches Kind gewesen, wohlerzogen und gehorsam. Außerdem war sie im christlichen Glauben stark verwurzelt und der Kirche eine überzeugte und ergebene Dienerin. Nur wie die letzten drei Jahre fern von zu Hause sie geprägt hatten, das hatte Anna noch nicht herausfinden können. Eines wußte sie aber genau: Telse war das einzige, was sie auf der Welt wirklich liebte. Fortwährend wollte sie ihre Tochter behüten und beschützen, war ständig in Sorge um sie und wünschte nur ihr Bestes. Sie hatte sie in aller Ehrbarkeit und Frommheit großgezogen und von den Männern möglichst ferngehalten. Telse war inzwischen neunzehn – im richtigen Alter, hatte sich Anna oft Gedanken gemacht, um sie gut zu verheiraten. Unter gut verheiraten verstand sie eine Ehe mit einem anständigen, reichen und angesehenen Mann.

Die Zimmertür flog lärmend auf.

„Mutter!“ Es war wie ein Schrei des Entsetzens, der das ganze Zimmer auszufüllen schien.

Auf der Schwelle stand Telse, hoch aufgerichtet und steif wie ein Brett. Ihre Augen blitzten. Von den Nasenwurzeln zogen sich zwei Falten die Stirn hinauf. „Warum muß mich das Kind nur so sehen?“ durchfuhr es Anna. Ausgerechnet mich, die sie selbst streng und unnachsichtig zu aufrichtigem Anstand erzogen hat? Was mag sie jetzt von mir denken? Verstohlen blickte sie zu ihr hinüber. Sie bemerkte, daß die steile Falte zwischen den Augen ihrer Tochter verschwunden war und sich auch die Gesichtszüge entspannt hatten. Vor Freude darüber wäre sie beinahe in Tränen ausgebrochen. Glücklich genoß sie das stolze Gefühl, daß Telse ihr ein und alles war und nichts auf der Welt sie je von ihr trennen könnte. Wie gut sie doch aussieht, dachte sie bewundernd. Und wie intelligent, gebildet und kultiviert sie nun wohl nach dem Besuch der Klosterschule sein mag.

Bilder der kleinen Telse drängten sich ihr auf. Da war das zarte und reizende Geschöpf mit dem Engelshaar, das bereits in frühem Alter Lesen, Schreiben und Latein gelernt und später aus der Bibel die Kraft für die Hingabe zu Gott gewonnen hatte. Dann war da das junge Mädchen, das von Prior Augustinus viele Jahre im Kloster zu Meldorf unterrichtet worden war. Telse hatte dort ihre sittliche und geistige Reife und die Freundschaft des Dominikanermönchs erworben. Er war für sie stets ein feinfühliger Seelsorger und väterlicher Freund gewesen. Eifrig hatte er ihren Wissensdurst gefördert. Anna erinnerte sich mit Wärme an den Mönch. Auch ihr hatte Augustinus in all den Jahren selbstlos zur Seite gestanden, wenn sie Rat und Hilfe brauchte.

Augustinus war es auch gewesen, der Telse über das erzbischöfliche Domkapitel in Hamburg bis hin nach Rom als besonders gott-ergeben und kirchengehorsam empfohlen hatte. Sie bekam daraufhin die Erlaubnis, mehrere ausgesuchte Klosterschulen in Frankreich zu besuchen – für ein Mädchen nicht alltäglich in Europa; auch, daß es sich mit alten Sprachen und kirchlicher Philosophie beschäftigen durfte.

Nach drei Jahren in Paris und Toulouse war sie nun in die Heimat zurückgekehrt. Sie hatte vom drohenden Krieg in Dithmarschen erfahren und war sofort nach Hause gereist.

Anna und ihr Mann waren darüber nicht besonders glücklich, denn sie hätten ihre Tochter lieber im sicheren Ausland gewußt. Sie fragten sich, warum Telse Gesundheit und Leben aufs Spiel setzte und nicht das Kriegsende abwartete. Telse war auf die Besorgnis der Eltern nicht eingegangen. Auch schwieg sie bisher darüber, warum sie nicht in Frankreich geblieben war. Anna befürchtete, ihre Tochter wolle mithelfen, das Land zu verteidigen. Sie hatte gehört, daß einige dithmarscher Frauen ähnliches vorhatten und sogar mitkämpfen wollten, falls jeder gebraucht werde.

Daraufhin hatte sich Anna geschworen, mit allen Mitteln zu verhindern, daß sich ihre Tochter für lächerliche Ideale ins Unglück stürze.

Ihr Mann hatte am Tage vorher beide gedrängt, so schnell wie möglich das Haus zu räumen. Verwundert fiel ihr ein, daß Telse, die unten in der Diele auf sie warten sollte, schon heraufgekommen war, um sie abzuholen. Hatte sie es so eilig, nach Oldenwöhrden zu kommen? Heide würde voraussichtlich erstes Angriffsziel der dänischen Truppen werden. Es war politischer Hauptort und größter Handelsplatz des Landes. Wer Heide hat, hat das ganze Land, hieß es. Ein hochgerüstetes Heer erreichte es von der Ostgrenze her in nur zwei bis drei Tagesmärschen. „Bevor die unser Haus niederbrennen und uns umbringen“, hatte er gesagt, „sollten wir uns den anderen Leuten von der Geest lieber anschließen und den Krieg ebenfalls in der Marsch bei Verwandten abwarten.“

Telse hatte sich auf die Bank gegenüber dem Wandspiegel gesetzt, vor dem sich ihre Mutter ankleidete. Sie empfand es als befreiend, daß sie ihrer Mutter nicht böse sein konnte; sie liebte sie zu sehr.

Mit ihren großen, blauen Augen in dem schmalen Gesicht verfolgte sie aufmerksam jede Handbewegung der Mutter auf der anderen Seite des Raumes. Telse war groß und schlank. Ihr Haar war hellblond und stach grell vom tristen Schwarz ihres wollenen Kleides mit dem engen Oberteil und dem faltigen Rock ab. Sie hatte es zu einem Zopf geflochten, der vom Nacken beinahe bis zu den Hüften reichte.

Anna zog sich weiter hastig und geschäftig an, ohne dabei ihre Tochter auch nur einmal direkt anzuschauen. Sie wählte als nächstes ein gefüttertes wollenes Hemd, dessen Oberteil als Leibchen eng am Körper anlag. Der Rock war vorn und hinten in Falten gelegt. Dann folgten zwei leinene Leibchen mit farbigen Ärmeln. Und zum Schluß kam ein einteiliges Kleid mit eckig ausgeschnittenem Oberteil an die Reihe, dessen Rock vorne offenstand und mit einer Seidenschnur zusammengehalten wurde.

Telse wunderte sich, daß ihre Mutter die Landestracht anlegte, denn dies hatte sie in den letzten Jahren nur selten getan. Brustausschnitt und Ärmelenden des Kleides waren mit rotem Samt eingefaßt, und ein viereckiges Brusttuch mit Goldborte und Silberknöpfen bedeckte den großen Ausschnitt. Anna legte noch schnell den Samtgürtel um, der mit silbernen Rosen geschmückt war, steckte links ein Schnupftuch hinein und einen Eßlöffel rechts in ein Futteral, das an seidenen Schnüren mit silbernen Ketten hing.

Bevor sie die Kagel, eine Kragenkapuze anlegte, die je zur Hälfte aus rotem und schwarzem Stoff bestand, flocht sie ihr Haar in zwei hüftlange Zöpfe, die sie um den Kopf schlang und mit Hilfe zweier Flechtbänder miteinander verknüpfte. Darüber stülpte sie eine gezwirnte Haube, um das Haar zusammenzuhalten – und lachte hell auf. Sie fand ihr Spiegelbild komisch. Die Frauentracht des Landes hatte ihr nie gefallen. Sie war ihr zu schlicht und steif in der Form, zu feierlich und zu wenig festlich in der Farbe, modisch veraltet und deshalb fad. Sie bemerkte Telses erstaunten Blick.

„Für eine Flucht über Land recht praktisch, oder?“, versuchte sie verlegen ihr Lachen zu entschuldigen.

„Du wirst einen dicken Umhang brauchen“, sagte Telse kurz angebunden. Im Gegensatz zu ihrer Mutter liebte sie die Landestracht. „In der Kälte ist der Weg nach Oldenwöhrden lang“, fügte sie hinzu. Sie spürte, daß sie ihrer Mutter gegenüber unfreundlich gewesen war. Das wollte sie nicht. „Du bist schön wie die heilige Mutter Maria.“

„Die Schutzpatronin unseres Landes“, ergänzte Anna. Den Anflug von Heiterkeit unterdrückte sie. Sie empfand Telses Vergleich übertrieben, war aber glücklich darüber. Sie schmeichelt mir, dachte sie, weil sie sich wieder mit ihrer Mutter vertragen möchte. Sie nahm Telse in die Arme, drückte sie fest an sich. Beide sahen sich an und entdeckten lachend, daß sie feuchte Augen hatten.

Inzwischen hatten Knechte Annas gesamte Garderobe und das Wertvollste ihres Hausstands auf große Pferdewagen unten vor der Haustür verstaut. Darunter auch ihre vierzig Kleider aus kostbaren Stoffen. Sie waren in Kisten verpackt. Anna und Telse schauten den Männern von oben durch das Fenster bei der Arbeit zu. Währenddessen band Anna ihre letzte Schleife.

Ihr ging es nicht aus dem Kopf, daß ihr Mann gewünscht hatte, unter allen Umständen vorübergehend nach Oldenwöhrden zu gehen. Sie wußte, daß es zwecklos gewesen wäre zu widersprechen, zumal das Dorf vorübergehend Regierungssitz und Hauptquartier des Kriegsrats war. Ihr Mann konnte dort, ohne Zeit zu verlieren, als Achtundvierziger und Mitglied des Rats bei den ständigen Beratungen dabei sein. Dafür hatte sie volles Verständnis. Als er ihr jedoch eröffnete, sie würden auf den Hof von Wulf Isebrand ziehen, hatte sie sich kaum beruhigen können. Es kamen zwiespältige Gefühle in ihr hoch, die sie verunsicherten.

Einmal war da die heimliche Neugier, wie sich wohl Isebrand verhalten werde, wenn sie einander begegneten. Zum anderen gab es da den immer noch schwelenden feindseligen Haß gegen diesen Mann. Sie hatte ihn nie mehr in ihrem Leben wiedersehen wollen, weil sie sich mit den unvergessenen Ereignissen von damals einfach nicht versöhnen konnte. Die Bitterkeit saß zu tief. Und nun war ihr Haß von ihrem Mann, wenn auch ungewollt, von neuem geschürt worden. Wieder fühlte sie den unwiderstehlichen Drang, die Schmach von damals um jeden Preis zu vergelten. Doch da war die Angst, womöglich alles zu verlieren, was sie bisher im Leben erreicht hatte: Ihre geliebte Tochter, ihren guten Mann, die Geborgenheit der Familie und den Reichtum, der ihr jeden Luxus bot. Ihre innere Zerrissenheit, unter der sie litt, wenn die Erinnerungen sie einholten, hatte sie vor ihrer Familie stets verbergen können. Und nun war es ausgerechnet ihre Tochter, dachte sie verärgert, die vom Plan des Vaters begeistert war.

Telse hatte die unbewältigte Vergangenheit ihrer Mutter unwissentlich neu belebt. „Dann kann ich endlich wieder Oma Heimen sehen“, hatte sie sich auf den Umzug nach Oldenwöhrden gefreut. Gretje Heimen war Annas Großtante, die Schwester ihrer verstorbenen Mutter. Sie war Telses Vertraute von klein an. Seit dem Tod ihres Mannes führte sie Isebrand den Haushalt.

Isebrand hatte den geerbten Hof von seiner verstorbenen Frau in Epenwöhrden verkauft, gegen den erfolglosen Widerstand seiner Schwägerin und ehemaligen Geliebten Anna. Mit dem Geld erwarb er Gretje Heimens wesentlich größeres Anwesen direkt hinter dem Deich, unweit vom Oldenwöhrdener Hafen. Sie erhielt bei ihm lebenslanges Wohnrecht. Von allen wurde sie liebevoll Oma genannt.

Telse hatte als Kind und junges Mädchen viel Zeit bei ihr auf dem Isebrandschen Hof verbracht. Die Nachbarn hatten ihr deswegen den Namen Telse von Oldenwöhrden gegeben. Sie hatten die Tochter des großen Holm aus Heide ins Herz geschlossen. Telse hatte Oma Heimen alles anvertrauen können, was sie bewegte oder ihren Eltern nicht zu erzählen wagte.

Energisch klopfte es gegen die Tür. Beide Frauen wandten sich vom Fenster ab. Sie hörten schon am Klopfen, wer draußen stand.

„Herein mit dir!“, rief Anna erwartungsvoll fröhlich, auch wenn es sie überraschte, daß ihr Mann zu diesem Zeitpunkt zu ihnen heraufgekommen war. Er mußte einen wichtigen Grund haben.

Mit seiner mächtigen Statur, auf dem ein ebenso mächtiger Kopf mit zwei großen dunkelblauen Augen die ganze Welt zu überragen und zu überblicken schien, stand Carsten Holm unter dem Türrahmen. Ein Bild von einem Mann, schoß es Anna durch den Kopf. Bei seinem Anblick fühlte sie sich stets beschützt und geborgen.

„Bitte, seid so nett und beeilt euch“, drängte er rücksichtsvoll. „Ihr habt keine Zeit mehr zu verlieren.“ Seine tiefe Stimme klang besorgt. Anna wußte gleich, daß er es sehr ernst mit seiner Warnung meinte. Sollten die Dänen etwa schon losmarschiert sein?

„Es tut weh, alles so schnell verlassen zu müssen“, sagte Telse. Tags zuvor hatte sie erst geweint, als Vater zum erstenmal von der Umsiedlung gesprochen hatte. Aber der Gedanke, die nächste Zeit gemeinsam mit Oma Heimen verbringen zu können, hatte sie für den Abschied entschädigt.

„Ich hoffe, der Dänenkönig ist nicht so dumm, erst alles zu zerstören, um es danach wieder aufbauen zu lassen“, sagte er mit leichtem Schmunzeln. Telse stutzte. Wie vermochte Vater nur derart gelassen vom Krieg zu sprechen, der Greuel, Verwüstung, Tote und Tränen bringen würde? Ach, offensichtlich wollte er seine Familie beruhigen, dachte Telse. Doch fiel ihr auf, daß er vom Dänenkönig sprach, als hätte der Dithmarschen schon in seiner Hand oder bereits ohne Blutvergießen unterworfen. Was machte Vater nur so sicher, fragte sich Telse auf einmal befremdet. Der Krieg hatte noch nicht einmal angefangen.

Während sich ihre Gedanken überschlugen, suchte sie den Blick ihrer Mutter – und fuhr zusammen. Sie hatte bemerkt, wie sich die Eltern für einen Lidschlag lang unmerklich ansahen, als wollten sie einander heimlich an etwas erinnern, das ihre Tochter nicht wissen durfte.