Titel der Originalausgabe:

Return of the Primitive

The Anti-Industrial Revolution

Die Veröffentlichung erfolgt mit Genehmigung von

Peikoff Family Partnership, LP

c/o CURTIS BROWN Ltd., 10 Astor Place, New York, NY 10003 USA

LICHTSCHLAG 42

© Natalia Lichtschlag Buchverlag Grevenbroich 2017

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlag: Lichtschlag Medien Düsseldorf

ISBN: 978-3-939562-68-9

Mit einer Einleitung und zusätzlichen Essays von Peter Schwartz

Aus dem Englischen übersetzt von Philipp Dammer

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Als 1971 die Erstauflage dieses Buches herauskam, schienen die Mauern der Zivilisation einzustürzen. Es war die Zeit der Neuen Linken – eine Zeit mit organisierter Gewalt, militantem Emotionalismus und offenem, um sich greifendem Nihilismus. Es war eine Zeit, in der Colleges gewaltsam von jungen Verbrechern abgeriegelt wurden, die Plakate mit der Aufschrift „Redefreiheit“ trugen. Es war eine Zeit, als Firmengebäude und Rekrutierungsbüros durch Guerillas gestürmt wurden, die „Frieden Jetzt“ forderten. Es war die Zeit der psychedelischen „Blumenkinder“ und der „Volksarmeen“, von Timothy Leary, Abbie Hoffman und Charles Manson, des Theater of the Absurd und der Black Panther.

An der Speerspitze dieser Hirnlosigkeit stand eine Bewegung, die sich jeder Definition entzog. Ihr Feind war alles Amerikanische, ihre Vorbilder waren diktatorische Mörder wie Ho Chi Minh und Fidel Castro, ihr Ziel war wahllose Zerstörung – und doch wurden ihre Anführer von Kommentatoren als idealistische Verteidiger des Individuums gegen einen brutalen Staat gefeiert.

Die amerikanische Gesellschaft befand sich in einem verwirrenden Belagerungszustand. Sie war auf dem Rückzug und unsicher, ob sie diesen Angriff willkommen heißen oder ihn abwehren sollte – einen Angriff, der im Namen einer Sache gestartet wurde, die niemand benennen konnte.

Ayn Rand ging daran, sie zu benennen.

In diesem Buch identifizierte sie den ideologischen Kern dieser Sache. Sie erklärte, wie diese „Revolutionäre“ alle wichtigen Ideen ihrer Vorväter getreu praktizierten. Sie zeigte, dass die Neue Linke ein Spross der Philosophen des Establishments und ihrer vernunftfeindlichen Lehre aus Anti-Individualismus und Anti-Kapitalismus war.

Diese Lehren wurden in den 60er Jahren in eine überwältigende Feindseligkeit gegen ein speziell westliches Ziel zusammengeschweißt: die Industrialisierung. Die Neue Linke erklärte, dass der Westen korrupt sei und dass sein Einfluss durch den Verzicht auf Technologie ausgelöscht werden müsse. Die Menschen wurden dazu angehalten, ihre Autos, ihre Einkaufszentren, ihre Klimaanlagen und ihre Atomkraftwerke aufzugeben.

Dies war das spezielle Merkmal der Neuen Linken. Sie vertrat offen das, was ihre Philosophie besagt und was die Kollektivisten früher nicht zugeben wollten – nicht einmal sich selbst gegenüber. „Die Aktivisten der Neuen Linken“, so schrieb Ayn Rand, „sind [im Gegensatz zu denen der Alten Linken] näher dran, die Wahrheit über ihre Motive zu zeigen: Sie wollen keine Fabriken übernehmen, sie wollen die Technologie zerstören.“1

Auch wenn die Neue Linke mit ihrer „anti-industriellen Revolution“ nicht triumphierte, so bereitete sie doch den Weg für einen fortgesetzten Angriff auf den rationalen Verstand und seine Produkte. In einem Artikel über die Studentenkommandos der Neuen Linken schrieb Ayn Rand: „Obwohl die Studentenrebellion nicht viel öffentliche Sympathie erregte, besteht der unheilvollste Aspekt der Situation aus der Tatsache, dass sie keine ideologische Opposition angetroffen hat“, dass sie gezeigt hat, dass „der Weg frei [ist], ohne intellektuelle Barrieren in Sicht“ und dass „der Kampf weitergehen wird“.2

Und er geht tatsächlich weiter.

Er wird heute von zwei kulturellen Bewegungen geführt, die virulent gegen den materiellen und intellektuellen Fortschritt der westlichen Zivilisation stehen. Die eine Bewegung ist die Umweltbewegung, die andere der Multikulturalismus. Beide wollen ein neues primitives Zeitalter einläuten.

„Primitiv“ bedeutet dem „Oxford English Dictionary“ zufolge: „Zur frühesten Periode oder zum frühesten Zustand gehörig; aus frühesten Zeiten stammend...“ In Bezug auf die menschliche Entwicklung bedeutet „primitiv“ einen vor-rationalen Zustand. Es ist ein Zustand, in dem der Mensch in ängstlicher Ehrfurcht vor einem Universum lebt, das er nicht verstehen kann. Der primitive Mensch kennt das Gesetz der Kausalität nicht. Er begreift nicht die Tatsache, dass die Welt durch Naturgesetze regiert wird und dass jeder Mensch, der diese Gesetze entdeckt, die Natur beherrschen kann. Für einen Primitiven gibt es nur geheimnisvolle übernatürliche Dinge. Sonnenschein, Dunkelheit, Regen, Dürre, Donnergrollen, der Schrei einer Eule – alles ist für ihn unerklärlich, orakelhaft und sakrosankt. Seiner nicht-begrifflichen Denkart zufolge ist der Mensch der Natur metaphysisch untergeordnet, der man nicht befehlen darf, sondern der demütig gehorcht werden muss.

Das ist die Geisteshaltung, zu der die Umweltschützer uns bringen wollen.

Wenn der primitive Mensch die Welt für unerkennbar hält, wie entscheidet er, was er denken und was er tun soll? Da solches Wissen nicht angeboren ist, wohin wendet sich der primitive Mensch? An seinen Stamm. Mitgliedschaft in einem Kollektiv gibt so jemandem sein einziges Gefühl der Identität. Die Edikte des Stammes werden somit zu seinen unbezweifelbaren Maßstäben, und das Wohlergehen des Stammes wird sein fundamentaler Wert.

Das ist die Geisteshaltung, zu der die Multikulturalisten uns bringen wollen. Sie behaupten, dass die grundlegende Einheit des Daseins der Stamm sei, den sie durch die primitivsten und anti-begrifflichsten Kriterien wie zum Beispiel Hautfarbe definieren.

Sowohl die Umweltbewegung als auch der Multikulturalismus wollen die Werte einer rationalen, industriellen Zeit zerstören. Beide sind Sprösslinge der Neuen Linken, die eifrig ihre Kampagne für die Opferung des Fortschritts zugunsten der Steinzeit betreiben.

Um diese philosophischen Sprösslinge der Neuen Linken zu analysieren, ist diese erweiterte Ausgabe von „Die Neue Linke“ zusammengestellt worden.

Ich habe sämtliches Material aus der ersten Auflage beibehalten und eigene Aufsätze über die Umweltbewegung, den Multikulturalismus und den Feminismus hinzugefügt. Weil die Multikulturalisten eine enorme Verwirrung über das Wesen des Rassismus und der „Ethnizität“ hervorgerufen haben, habe ich noch zwei von Ayn Rands Artikeln über diese Themen ausgewählt, nämlich „Rassismus“ und „Globale Balkanisierung“, wenngleich sie bereits an anderer Stelle erschienen sind (in „Die Tugend des Egoismus“3 und in „The Voice of Reason“).

Das Ergebnis ist eine Sammlung von Aufsätzen, die die verschiedenen Manifestationen derselben anti-industriellen Revolution identifizieren, erklären und einschätzen.

Es öffnet einem die Augen, wenn man sieht, wieviel der einstmals radikalen Tagesordnung der Neuen Linken heute von der Gesellschaft nicht nur angenommen wurde, sondern nicht einmal mehr kontrovers ist. Die Fallen der Neuen Linken sind weg, aber ihre Substanz dauert an.

In den 60er Jahren gab es zum Beispiel wiederholt hitzige Auseinandersetzungen zwischen Unternehmen und „Zurückzur-Natur“-Hippies über Themen wie Umweltverschmutzung und Recycling. Heute ist „Earth Day“ ein jährlich stattfindendes kulturelles Ereignis – das von großen Konzernen gesponsert wird. Heute werben viele Firmen damit, „umweltfreundlich“ zu sein (wie zum Beispiel McDonald’s, das sich damit brüstet, dass seine Hamburger nicht von Kühen stammen, die im „Regenwald“ weiden). Heute sind die Schurken in den Cartoon-Sendungen für Kinder nicht länger Verbrecher, sondern gierige Holzfäller, und die meisten Staaten machen einem Artikel in der „New York Times“ zufolge „zur Bedingung, dass Schulen in buchstäblich allen Fächern und allen Jahrgängen Umweltthemen behandeln“.

In den 60er Jahren besetzten Studenten gewaltsam College-Gebäude und verlangten Kurse über „schwarze Wissenschaft“. Heute hat jede Universität ganze Institute (und sogar spezielle Schlafsäle und Cafés) für bestimmte ethnische Phantasiegebilde. Heute gibt es anstelle von gewaltsamen Sit-ins einen stillen Putsch von „Diversitäts-Komitees“, deren autoritäre Gedankenpolizei den Campus regiert und „politisch nicht korrekte“ Abweichler in die Verliese von Umerziehungskursen schickt.

Diese Degeneration ist nicht das Resultat der intellektuellen Überzeugungskraft ihrer Vertreter, sondern der intellektuellen Leere ihrer Gegner. Die anti-industriellen Revolutionäre haben nur durch Unterlassung gewonnen. Wie Ayn Rand sagte: „Die nicht bekämpften Absurditäten von heute sind die akzeptierten Parolen von morgen. Sie werden schrittweise akzeptiert, durch Präzedenz, durch Implikation, durch Erosion, durch Unterlassung, durch Ausübung ständigen Drucks von der einen Seite und ständigen Rückzug von der anderen – bis zu dem Tag, da sie zur offiziellen Ideologie des Landes erklärt werden. Auf diese Weise hat unser Land den Sozialstaatsdirigismus akzeptiert.“4

Auf diese Weise wurden auch der Multikulturalismus und die Umweltbewegung akzeptiert. Aber dieser heimtückische Prozess muss nicht so weitergehen. Die Absurditäten dieser beiden Bewegungen können und müssen bekämpft werden. Aber sie können nicht durch die typische Methode der Konservativen bekämpft werden, indem man argumentiert, dass es gute Ideen sind, die aber „leider zu weit gehen“. Dieser Kampf erfordert eine unnachgiebige Loyalität zu rationalen Werten – und eine Entlarvung dieser Bewegungen als fundamental irrational.

Vielleicht wird dieses Buch Ihnen helfen, die intellektuellen Mittel und die moralische Überzeugung für einen solchen Kampf zu erwerben.

Peter Schwartz

Januar 1998

Vorwort zur ersten Auflage

Vor ungefähr einem Jahr erhielt ich folgenden Brief:

„Sehr geehrte Miss Rand,

Ich studiere Soziologie an der Universität von Northern Illinois und bin ein Anhänger des Objektivismus...

Eigentlich wollte ich mit Ihnen aber Ihre Arbeiten über die Neue Linke diskutieren. Ich habe sie alle gelesen und sie sind meiner Meinung nach die beste kritische Analyse, die je über diese Bewegung geschrieben worden ist. Ihre Artikel ‚Die Linke: Alt und neu‘, ‚Apollo und Dionysos‘ und Ihr vor kurzem erschienener Artikel in ‚The New York Times Sunday Magazine‘, ‚Die neue Linke repräsentiert ein intellektuelles Vakuum‘ waren exzellent. Vor kurzem habe ich Ihren Artikel ‚Zur Kasse bitte: Die Studenten-‚Rebellion‘‘ von 1965 noch einmal gelesen und war verblüfft, wie genau und prophetisch Ihre Analyse seinerzeit gewesen ist.

Nachdem ich diese Artikel gelesen hatte, kam mir die Idee, dass, wenn sie in einer Sammlung erscheinen würden, sie einen enormen Einfluss auf die Kultur und besonders auf die Colleges haben könnten.

Es ist meine aufrichtige Hoffnung, dass Sie, sehr geehrte Miss Rand, ernsthaft darüber nachdenken, ein solches Buch herauszubringen. Glauben Sie mir, es gibt keine anderen Analysen über die Neue Linke, die es mit denen in „The Objectivist“, aufnehmen könnten. Wenn dieses Buch wie Ihre anderen als Taschenbuch bei Signet herauskäme, wäre es fast in jedem Laden und in allen Colleges erhältlich. Genauer gesagt haben die meisten College-Buchläden eine eigene Abteilung mit Büchern über die Neue Linke und die Studentenunruhen. Ihr Buch würde deswegen große Aufmerksamkeit erregen. Die Veröffentlichung und der Vertrieb eines solchen Buches wäre ein Wendepunkt für die Studenten, die es lesen. Es wäre für die Studenten eine Stimme der Vernunft, der sie sich zuwenden könnten. Es würde ihnen die intellektuelle Munition geben, die sie sonst nirgendwo finden können...

Mit freundlichen Grüßen,

G.M.B.“

Im Allgemeinen mag ich keine praktischen Vorschläge von Lesern. Aber dies war eine so gute Idee und so überzeugend präsentiert, dass ich diesen Brief meinem Verleger zeigte, der ihm aus ganzem Herzen zustimmte. So entstand dieses Buch – mit meinem Dank an Mr. G.M.B.

Der Zweck dieses Buches wird in diesem Brief deutlich benannt: Dieses Buch richtet sich an Studenten – an jene, die wirklich „eine Stimme der Vernunft“ suchen. Es soll auch für all jene gedacht sein, die sich um die Studenten und den Zustand der modernen Bildung Sorgen machen.

Ich habe die Veröffentlichung dieses Buches hinausgezögert, um zwei Artikel, die ich zu dieser Zeit plante, mit einzuschließen („Die anti-industrielle Revolution“ und „Die Comprachicos“). Ich habe auch „Zur Kasse bitte: Die Studenten- ‚Rebellion‘“ dazu genommen, um die Leser selbst beurteilen zu lassen, wie genau ich die philosophische Bedeutung dieser Bewegung, ihre Ziele und Ursprünge verstanden habe.

Die anderen Artikel in diesem Buch sind mit einer Ausnahme ursprünglich in meiner Zeitschrift „The Objectivist“ erschienen. Das Datum am Ende jedes Artikels weist auf die jeweilige Ausgabe hin. Die Ausnahme ist ein kurzer Artikel, der als Teil eines Symposiums im „The New York Times Magazine“ erschienen ist.

Ayn Rand

New York City

April 1971

Die Schulen

Zur Kasse bitte: Die Studenten-„Rebellion“

(Juli – September 1965)

Die sogenannte Studenten-„Rebellion“, die an der Universität von Kalifornien in Berkeley gestartet und von dort mit ihren Hauptargumenten versorgt wurde, hat eine hohe Bedeutsamkeit, aber nicht die, die die meisten Kommentatoren ihr zuschreiben. Und das Wesen dieser falschen Darstellung ist Teil dieser Bedeutsamkeit.

Die Ereignisse in Berkeley begannen im Herbst 1964, scheinbar als Studentenprotest gegen die Anordnung der Universitätsverwaltung, politische Aktivitäten – genauer gesagt Spendensammlungen, das Anwerben und das Organisieren von Studenten für politische Aktionen außerhalb des Campus – auf einem bestimmten Grundstück, das an den Campus grenzt und der Universität gehört, zu verbieten. Mit der Behauptung, ihre Rechte seien verletzt worden, scharte eine kleine Gruppe von „Rebellen“ Tausende von Studenten aller politischen Lager, inklusive vieler „Konservativer“ um sich und verlieh sich den Titel „Bewegung für Redefreiheit“. Die Bewegung hielt „Sit-ins“ im Verwaltungsgebäude ab und beging andere Zwangshandlungen, wie zum Beispiel Angriffe auf die Polizei und die Ergreifung eines Polizeiautos als Rednerbühne.

Der Geist, der Stil und die Taktik der Rebellion werden am besten an einem bestimmten Ereignis deutlich. Die Universitätsleitung berief eine Versammlung ein, an der 18.000 Studenten und Fakultätsmitglieder teilnahmen, um eine Ansprache des Universitätspräsidenten Clark Kerr über die Situation zu hören; es wurde ausdrücklich angekündigt, dass keine Sprecher der Studenten zugelassen werden würden. Kerr versuchte, die Rebellion durch Kapitulation zu beenden: Er versprach, den meisten Forderungen nachzugeben. Es sah aus, als habe er das Publikum auf seine Seite gezogen – woraufhin Mario Savio, der Rebellenführer, das Mikrophon unter Missachtung der Regeln und der Tatsache, dass die Versammlung vertagt worden war, an sich riss und versuchte, die Veranstaltung zu übernehmen. Als er zu Recht von der Bühne gezerrt wurde, gaben die BfR-Führer offen und jubilierend zu, dass sie ihren Kampf fast verloren hätten, ihn aber durch die Provokation der Leitung zu einem Akt der „Gewalt“ gerettet hätten (und gaben somit zu, dass das Erreichen ihrer öffentlich erklärten Ziele nicht das Ziel ihres Kampfes gewesen war).

Es folgte eine seltsame landesweite Publicity. Es war ein plötzlicher und scheinbar spontaner Strom von Artikeln, Studien und Umfragen mit einer seltsamen Einmütigkeit in der Herangehensweise an verschiedene Grundfragen: Sie schrieben der BfR die Wichtigkeit einer landesweiten Bewegung zu, obwohl die Fakten das nicht hergaben – sie verwischten die Fakten mittels sinnloser Generalisierungen, verliehen den Rebellen den Titel „Sprachrohr der amerikanischen Jugend“, bejubelten ihren „Idealismus“ und ihre „Entschlossenheit“ zu politischen Aktionen und priesen sie als ein Symptom für das „Erwachen“ der Studenten aus „politischer Apathie“. Wenn je etwas von der Presse aufgebauscht wurde, dann dies.

Unterdessen folgte in Berkeley ein heftiger Dreieckskampf zwischen der Universitätsleitung, den Regenten und der Fakultät, ein Kampf, über den die Presse so dürftig berichtete, dass sein genauer Hergang im Dunkeln bleibt. Man kann nur folgern, dass die Regenten anscheinend eine „harte“ Vorgehensweise gegen die Rebellen forderten, dass die Mehrheit der Fakultät auf Seiten der Rebellen war und dass die Verwaltung in der „gemäßigten“ Mitte eingekeilt war.

Der Kampf führte zum Rücktritt des Kanzlers (eine Forderung der Rebellen), dem vorläufigen Rücktritt und der späteren Wiedereinsetzung von Präsident Kerr und letztendlich zu einer fast vollständigen Kapitulation vor der BfR, indem die Verwaltung die meisten Forderungen der Rebellen erfüllte. (Diese enthielten das Recht, zu Straftaten aufzurufen, und das Recht zu unbegrenzter Redefreiheit auf dem Campus.)

Zum Erstaunen der Naiven beendete dies die Rebellion nicht: Je mehr Forderungen erfüllt wurden, desto mehr wurden gestellt. Als die Verwaltung ihre Anstrengungen intensivierte, die BfR zu beschwichtigen, intensivierte die BfR ihre Provokationen. Die unbegrenzte Redefreiheit nahm die Form einer „Bewegung für schmutzige Sprache“ an, die aus Studenten bestand, die Plakate mit aus vier Buchstaben bestehenden Wörtern trugen und Obszönitäten durch die Lautsprecheranlage der Universität riefen. (Diese Bewegung wurde von der Presse leicht gerügt und als „jugendlicher Leichtsinn“ abgetan.)

Dies war anscheinend sogar zuviel für die Sympathisanten der Rebellion. Die BfR begann Anhänger zu verlieren und wurde dann aufgelöst. Mario Savio verließ die Universität mit der Erklärung, dass er „die undemokratischen Prozeduren der Verwaltung nicht ertragen könne“ [Hervorhebung von mir] und verschwand – angeblich, um eine landesweite revolutionäre Studentenbewegung zu organisieren.

Dies ist eine grobe Zusammenfassung der Presseberichte über die Ereignisse. Aber erhellende Informationen kamen von Freiwilligen außerhalb der regulären Nachrichtenkanäle, zum Beispiel aus Leserbriefen.

Alexander Grendon, Biophysiker im Donner Laboratory an der University of California, gab in einem Brief an die „New York Times“ (31.3.1965) einen vielsagenden Bericht ab:

„Die BfR hat immer Zwang angewendet, um ihren Sieg sicherzustellen. Eine Ein-Parteien-‚Demokratie‘ wie in den kommunistischen Ländern oder den schneeweißen Teilen des Südens maßregelt Abweichler von der Parteilinie durch Bestrafung. Die Bestrafung der widerspenstigen Universitätsleitung (und der mehr als 20.000 Studenten, die an dem Konflikt nicht teilhatten) bestand darin, die Universitätsleitung durch körperliche Gewalt zu einer ‚Vollbremsung‘ zu bringen.

Vor einer solchen Perversion der Demokratie zu kapitulieren, heißt, den Studenten beizubringen, dass diese Methoden richtig sind. Präsident Kerr kapitulierte wiederholt...

Kerr stimmte zu, dass die Universität den ‚Aufruf zu Straftaten‘ nicht regeln würde, was eine Abstraktion blieb, bis sie durch Beispiele illustriert wurde: In einem Hörsaal unterwies ein selbsternannter Anarchist die Studenten darin, wie man durch Betrug die Ausmusterung aus dem Militärdienst erreicht; ein landesweit bekannter Kommunist benutzte die Universitätseinrichtungen dazu, unsere Regierung für ihre Maßnahmen in Vietnam übel zu beschimpfen, während illegal Spenden zur Unterstützung des Vietcong gesammelt wurden; Propaganda zum Gebrauch von Marihuana und Adressen, wo es zu kaufen sei, wurden offen auf dem Campus verteilt.

Sogar die Abstraktion ‚Obszönität‘ kann man besser verstehen, wenn man einen Redner hört, der über den Universitätslautsprecher in vulgären Worten seine Erfahrungen mit Gruppensex und Homosexualität beschreibt und diese Praktiken empfiehlt, während ein anderer vorschlägt, dass Studenten auf dem Campus dieselben sexuellen Freiheiten haben sollten wie Hunde...

Dass Clark Kerr über jede Provokation eines ordentlichen Universitätsbetriebs ‚verhandelte‘ (was ein Euphemismus für Kapitulation ist), trägt nicht zu einer liberalen, sondern zu einer gesetzlosen Universität bei.“

David S. Landes, Professor für Geschichte an der Harvard University, machte in seinem Brief an die „New York Times“ (29.12.1964) eine interessante Beobachtung. Mit der Aussage, dass die Berkeley-Revolte einen der potentiell schwersten Angriffe auf die akademische Freiheit in Amerika darstelle, schrieb er:

„Zum Schluss möchte ich die schädlichen Implikationen dieses Disputs für die University of California aufzeigen. Ich kenne fünf oder sechs Fakultätsmitglieder persönlich, die die Universität verlassen – aber nicht aus Mangel an Sympathie für ‚Redefreiheit‘ oder ‚politische Aktion‘. Einer drückte es wie folgt aus: ‚Wer will schon an der Universität von Saigon lehren?‘“

Die deutlichste Darstellung und aufmerksamste Einschätzung kommt aus einem Artikel im „Columbia University Forum“ (Frühjahr 1965) mit dem Titel „Was in Berkeley übrig ist“ von William Peterson, Professor für Soziologie an der University of California in Berkeley. Er schreibt:

„Zunächst einmal hat die Bewegung für Redefreiheit wenig oder nichts mit Redefreiheit zu tun... Was, wenn nicht Redefreiheit, ist dann ihr Thema? Das wirkliche Thema, erbärmlich wie dies auch sein mag, ist die Ergreifung von Macht...

Dass eine kleine Anzahl (ein paar hundert von über 27.000 Studenten) in der Lage war, den Campus zu stören, ist die Konsequenz von mehr als nur Eifer und Agitationsgeschick. Diese winzige Gruppe hätte nicht erfolgreich so viele Studenten in Bewegung setzen können, ohne drei andere gelegentlich unheilvolle Unterstützungsquellen: die Universitätsleitung, die Fakultät und Hilfe von außerhalb.

Jeder, der die effiziente und fast militärische Organisation der Agitatoren gesehen hat, kann vernünftigerweise annehmen, dass geschultes Personal und Geld in die Berkeley-Schlacht gesteckt wurden... Um Berkeley herum schossen ein Dutzend ‚Ad-hoc-Komitees‘ für dieses oder jenes Element der Studentenrevolte wie aus dem Nichts aus dem Boden.

Wenn es die Aufgabe der Verwaltung wäre, eine rebellische Studentenschaft hervorzubringen, hätte ihr eingeschlagener Kurs es kaum besser erreichen können. Zweifelhafte Beschränkungen einzuführen und sie dann beim ersten Angriff durch unvernünftige Argumente zu verteidigen, ist schlimm genug; schlimmer noch verhängte die Universität keine Sanktionen, die nicht letztendlich verpufften...

Gehorsam gegenüber Normen entsteht, wenn er angemessen belohnt und wenn Ungehorsam angemessen bestraft wird. Dass man professionelle Pädagogen an dieses Axiom erinnern muss, zeigt an, wie tief die Wurzeln der Berkeley-Krise gehen.

Aber der wichtigste Grund für den Sieg der Extremisten unter den Studenten war die Einstellung der Fakultät. Die vielleicht schlimmste Kapitulation an die BfR war eine Resolution, die am 8.12. vom Senat verabschiedet wurde, in der die Fakultät nicht nur feststellte, dass sie alle Forderungen der Radikalen unterstütze, sondern auch, dass sie quasi willens sei, wenn nötig gegen die Regenten zu kämpfen. Als diese Resolution mit einer überwältigenden Mehrheit von 824 zu 115 verabschiedet wurde, brachte es die Anti-BfR-Organisationen effektiv zum Schweigen...

Die BfR erinnert an die kommunistische Front der 1930er Jahre, aber es gibt entscheidende Unterschiede. Das Schlüsselmerkmal, dass ein radikaler Kern legitime Fragen doppeldeutig benutzt, um eine große Masse zu manipulieren, ist identisch. Der Kern besteht in diesem Fall jedoch nicht aus der disziplinierten Kommunistischen Partei, sondern aus einer heterogenen Gruppe radikaler Sekten.“

Professor Petersen listet dann die verschiedenen sozialistischen, trotzkistischen, kommunistischen und sonstigen beteiligten Gruppen auf. Sein Fazit lautet:

„Die radikalen Anführer in Berkeley sind, wie jene an lateinamerikanischen oder asiatischen Universitäten, nicht weniger radikal, obwohl sie in vielen Fällen außerhalb der Disziplin einer formellen politischen Partei stehen. Sie werden nicht dadurch definiert, dass sie Beiträge an eine Partei bezahlen, sondern durch ihre Handlungen, ihr Vokabular und ihre Gesinnung. Der beste Begriff, sie zu beschreiben, ist meiner Meinung nach ‚Castroit‘. [Dieser Begriff, so erklärt er, gelte primär für ihre Wahl der Taktik, die Tatsache, dass] sie in wesentlichen Gesichtspunkten alle die Castro-Bewegung imitieren...

In Berkeley stellten sich provozierende Taktiken als enorm effektiv heraus – nicht gegen eine Diktatur, sondern gegen die liberale, gespaltene und schwankende Universitätsverwaltung. Jede Provokation und jeder darauffolgende Sieg führte zur nächsten...“

Professor Petersen beendet seinen Artikel mit einer Warnung:

„Nach meiner Diagnose... ist der Patient [die Universität] nicht nur nicht genesen, sondern kranker als je zuvor. Das Fieber ist vorübergehend gesunken, aber die Infektion breitet sich aus und wird virulenter.“

Nun lassen Sie uns anhand der Presseberichte die Ideologie der Rebellen anschauen. Den generellen Ton der Berichte traf eine Schlagzeile in der „New York Times“ (15.3.1965) am besten: „Die neue studentische Linke: Ernst zu nehmende Aktivisten für Wandel“.

Was für Wandel? In dem fast seitenlangen Artikel gibt es keine spezifische Antwort. Bloß „Wandel“.

Einige dieser Aktivisten „die ihre Bewegung mit einer ‚Revolution‘ vergleichen, wollen Radikale genannt werden. Die meisten von ihnen ziehen es jedoch vor, ‚Organisatoren‘ genannt zu werden.“

Organisatoren – wovon? Von „zu kurz gekommenen Leuten“. Wofür? Keine Antwort. Bloß „Organisatoren“.

„Die meisten drücken ihre Verachtung für spezifische Etiketten aus, und es macht ihnen nichts aus, Zyniker genannt zu werden... Die große Mehrheit der Befragten sagte, sie seien dem Kommunismus so skeptisch gegenüber wie jeder anderen Form politischer Kontrollen... ‚Man könnte sagen, dass wir a-kommunistisch sind‘, sagte einer, ‚genau wie man sagen könnte, dass wir amoralisch und a-fast-alles sind.‘“

Es gibt jedoch Ausnahmen. Eine der Anführerinnen der Berkeley-Revolte von der University of California wird mit den Worten zitiert:

„Sogar mit all ihren Problemen nähert sich die sozialistische Welt zur Zeit mehr als andere Länder der Art von Gesellschaft an, die meiner Meinung nach existieren sollte. In der Sowjetunion ist sie fast verwirklicht worden.“

Ein weiterer Student vom City College in New York wird zustimmend zitiert: „Die Sowjetunion und der gesamte sozialistische Block sind auf dem richtigen Weg.“

Angesichts der Tatsache, dass die meisten jungen Aktivisten in der Bürgerrechtsbewegung aktiv waren und dass die Berkeley-Rebellen damit angefangen hatten, sich hinter der Frage von Bürgerrechten zu verstecken (mit dem erfolglosen Versuch, jegliche Opposition als „rassistisch“ zu verleumden), ist es interessant zu lesen, dass

„es unter den Aktivisten wenig Diskussion über Rassenintegration [gibt]. Einige von ihnen halten das Thema für passé. Sie erklären, dass Integration fast so schlimm wie Trennung ist, wenn sie in eine zufriedene, multikulturelle Mittelklasse-Gesellschaft mündet.“

Das zentrale Thema und die grundlegende Ideologie aller Aktivisten lautet: Anti-Ideologie. Sie sind militant gegen alle „Etiketten“, Definitionen und Theorien; sie proklamieren die Überlegenheit des unmittelbaren Augenblicks und Entschlossenheit zu Aktionen – zu subjektiven, emotional motivierten Aktionen. Ihre anti-ideologische Einstellung zieht sich wie ein Leitmotiv durch alle Presseberichte.

Ein Artikel im „New York Times Magazine“ (14.2.1965) erklärt:

„Die Berkeley-Meuterer schienen nicht in dem Sinne politisch zu sein wie die Studentenrebellen in den turbulenten 30er Jahren. Sie sind allen erwachsenen Institutionen zu misstrauisch gegenüber, um auch nur eine diese Ideologien anzunehmen, die das System zerschlagen wollen. Eine anarchistische Strömung scheint so ausgeprägt wie jede marxistische Lehre. ‚Sie haben eine Art politischen Existentialismus‘, sagt Paul Jacobs, Forschungsassistent am Center for the Study of Law and Society in Berkeley, und einer der Sympathisanten der BfR. ‚Die alten Etiketten sind out...‘

Die wild entschlossenen Eiferer der BfR verfolgen einen aktivistischen Glauben, dass nur Entschlossenheit das Leben von seiner Leere befreien kann – von seiner Sinnleere in einer ‚Denkfabrik‘ wie Berkeley.“

Ein Artikel in der „Saturday Evening Post“ (8.5.1965), der die verschiedenen linken Gruppen behandelt, zitiert einen Anführer der „Students for a Democratic Society“:

„‚Am Anfang stand die Ablehnung der alten sektiererischen Linken und ihrer uralten Streitereien, und die Verachtung für die amerikanische Gesellschaft, die wir als dekadent ansahen. Wir interessierten uns für direkte Aktionen und spezielle Fragen. Wir verbringen nicht endlose Stunden mit Diskussionen über die Sowjetunion oder ob Jugoslawien als Arbeiterstaat degeneriert ist.‘... ‚Mit Sit-ins sahen wir zum ersten Mal die Chance auf direkte Teilnahme an einer sinnvollen gesellschaftlichen Revolution.‘

Wenn sie nicht gerade als Streikposten Dienst tun, treiben sich die jungen P.L.-Mitglieder [Progressive Labour] in den experimentellen Theatern und Kaffeehäusern von Manhattans East Village herum. Ihr Lesegeschmack tendiert eher zu Sartre als zu Marx.“

Mit einer interessanten Einmütigkeit zitiert eine Studie in „Newsweek“ (22.3.1965) einen jungen Mann auf der anderen Seite des Kontinents: „‚Diese Studenten lesen nicht Marx‘, sagte der BfR-Anführer. ‚Sie lesen Camus.‘“

„Wenn das Rebellen sind“, so die Studie weiter, „sind sie Rebellen ohne Ideologie und ohne langfristige revolutionäre Programme. Sie schließen sich Themen an, nicht Philosophien, und scheinen nicht in der Lage, eine systematische politische Gesellschaftstheorie, sei sie links oder rechts, zu formulieren oder zu verteidigen.“

„Die heutigen Studenten wollen sich durch ihre Handlungen finden, nicht durch das, was sie denken“, erklärt die Studie ausdrücklich und zitiert einige Autoritäten, die dies wohlmeinend bestätigen. „‚Was wir jetzt wie in den 30er Jahren haben‘, sagt „New York Post“ Herausgeber James A. Wechsler, ‚sind Aktivistengruppen, die im wirklichen Leben funktionieren wollen’. Aber nicht ideologisch. ‚Wir saßen herum und diskutierten Marxismus, aber die Studenten heute arbeiten für Bürgerrechte und Frieden.‘“ Richard Unsworth, Kaplan in Dartmouth, wird mit den Worten zitiert: „Heute sieht der Weg so aus: Erst handeln und dann die Handlung reflektieren, anstatt erst zu reflektieren, dann zu entscheiden und dann zu handeln, wie es vor einigen Jahren war.“ Paul Goodman, der als Schriftsteller, Pädagoge und „einer der aktuellen Helden der Studenten“ beschrieben wird, lobt die Berkeley-Bewegung, weil „die Anführer des Aufstands nicht besonnen waren. Sie nahmen Risiken auf sich, sie wollten verwirrt sein, sie wussten nicht, ob es ein Erfolg oder eine Niederlage werden würde.“ [Hervorhebung von mir. Das könnte man auch über jeden betrunkenen Autofahrer sagen.]

Das Thema „Macht übernehmen“ wird wieder und wieder erwähnt. Das unmittelbare Ziel ist anscheinend die Übernahme der Universitäten. Der Artikel des „New York Times Magazine“ zitiert einen der BfR-Anführer: „Wir denken, dass die Universität aus der Fakultät, den Studenten, Büchern und Ideen bestehen sollte. Die Verwaltung gibt es bloß dafür, dass die Bürgersteige sauber sind. Sie sollte der Diener der Fakultät und der Studenten sein.“

Der Höhepunkt dieses Standpunkts war ein Bericht in der „New York Times“ (29.3.1965) unter der Überschrift „Colleges verabschieden eine ‚Bill ofRights‘“:

„Eine Gruppe von Studenten erklärte an diesem Wochenende [in Philadelphia], dass die Universitätsleitung nur der Hausmeister der Studentengemeinde sein sollte.

‚Das moderne College und die moderne Universität sollten von den Studenten und den Professoren betrieben werden; die Verwaltung wäre das Wartungs- und Sicherheitspersonal, dessen Aufgabe es ist, den Willen der Fakultät und der Studenten durchzusetzen.‘“

Ein Manifest dazu wurde bei einem Treffen an der Universität von Pennsylvania angenommen. Daran teil nahmen 200 Jugendliche

„aus 39 Universitäten aus Philadelphia, New York, Harvard, Yale, der Universität von Kalifornien in Berkeley und dem Mittleren Westen.

Der rote Faden in diesem Treffen war die Aussage, dass Universitäten zum Diener des ‚finanziellen, industriellen und militärischen Establishments‘ geworden seien und dass die Studenten und die Fakultät von den Verwaltungen ‚verschachert‘ würden.

Unter den Forderungen des Manifests waren Erklärungen über die Freiheit, jeder Organisation beizutreten, sie zu organisieren und ihre Treffen abzuhalten..., Abschaffung von Studiengebühren, Kontrolle der Gesetzesorgane durch Studenten und Fakultät, Beendigung des R.O.T.C.5, Abschaffung von Gelöbnissen, Kontrolle des Curriculums...“

Die Methode, die bei der Verabschiedung dieses Manifests benutzt wurde, ist sehr aufschlussreich: „Circa 200 Studenten nahmen an dem Treffen teil, 45 blieben bis zum Ende, als die ‚Bill of Rights‘ verabschiedet wurde.“ So viel zu den „demokratischen Verfahren“ und dem Recht der Aktivisten auf den Titel „Sprachrohr der amerikanischen Jugend“.

Welche Bedeutung wird der Studentenrebellion von all diesen Berichten und den Autoritäten, die sie zitieren, zugeschrieben? Moralischer Mut ist kein Merkmal der heutigen Kultur, aber in keiner anderen zeitgenössischen Frage ist moralische Feigheit in einem so nackten und hässlichen Ausmaß zutage getreten. Nicht nur, dass die meisten Kommentatoren es an unabhängiger Bewertung der Ereignisse fehlen lassen oder dass sie sich ihre Worte von den Rebellen eingeben lassen – sondern von allen Beschwerden der Rebellen ist es die oberflächlichste, irrelevanteste und deswegen die sicherste, die sie unterstützen und als Ursache für die Rebellion akzeptieren: die Beschwerde, dass die Universitäten „zu groß“ geworden seien.

Als ob sie wie Pilze aus dem Boden geschossen wären, hält man die „Größe“ der Universitäten plötzlich für ein nationales Problem und sucht dort die Schuld für die „Unruhe“ der Studenten, deren Motive als jugendlicher „Idealismus“ gepriesen wurden. In der heutigen Kultur ist man immer auf der sicheren Seite, wenn man „Größe“ angreift. Und da die sinnlose Frage bloßer Größe auf allen Seiten aller politischen Lager seit langem als Mittel zur Vermeidung wirklicher Fragen gedient hat, gibt es nun ein weiteres Schlagwort auf dieser Liste: „Big Business“, „Big Labor“, „Big Government“, „Big University“.

Einem gebildeteren Publikum bietet das sozialistische Magazin „The New Leader“ (21.12.1964) eine marxistisch-Freudsche Einschätzung an, indem es die Rebellion primär der „Entfremdung“ (Zitat Savio: „Irgendwie werden Leute von etwas abgeschnitten“) und der „Generationenrevolte“ zuschreibt. („Spontan wurde der sexuelle Protest gegen die restriktive Universitätsleitung, die in loco parentis herrschte, zum natürlichen Idiom des politischen Studentenaufruhrs.“)

Aber der erste Preis für den Ausdruck des moralisch-intellektuellen Kerns der heutigen Kultur sollte an den kalifornischen Gouverneur Brown gehen. Denken Sie daran, dass die University of California eine staatliche Einrichtung ist, dass ihre Regenten vom Gouverneur ernannt werden und dass er deswegen das letztendliche Ziel der Revolte und all ihrer Manifestationen, von körperlicher Gewalt bis zu schmutziger Sprache, war.

„Haben wir unsere Gesellschaft sicher gemacht für Studenten mit Ideen? [sagte Gouverneur Brown.] Haben wir nicht. Die Studenten haben sich verändert, aber die Struktur der Universität und ihre Einstellung zu ihren Studenten haben mit der Veränderung nicht Schritt gehalten.

Deswegen hatten einige Studenten das Gefühl, sie hätten das Recht, Gesetze zu übertreten und die Veränderungen zu erzwingen. Aber damit zeigten sie den Gipfel an idealistischer Heuchelei. [Hervorhebung von mir.] Einerseits beriefen sie sich auf die Verfassung und verlangten deren politische Rechte. Gleichzeitig aber warfen sie das Prinzip der korrekten Verfahrensweise zugunsten eigenmächtiger Aktion über den Haufen.

Somit hatten sie genauso unrecht wie die Universität. Dies ist also die große Herausforderung, der wir gegenüberstehen: die Herausforderung des Wandels.“6

Beachten Sie, dass Gouverneur Brown allgemein als fähiger Macher und sogar von den kalifornischen Republikanern als herausragender Gegner angesehen wird. Beachten Sie die Tatsache, dass „einer allgemeinen Wahlumfrage zufolge 74 Prozent der Kalifornier dem Studentenprotest in Berkeley ablehnend gegenüberstehen“.7 Dann beachten Sie, dass Gouverneur Brown es nicht wagte, eine Gruppe anzugreifen, die von 45 Studenten geführt oder manipuliert wird – und dass er sich verpflichtet fühlte, den Begriff „Heuchelei“ mit dem Adjektiv „idealistisch“ zu qualifizieren und somit eine der wirrsten Kombinationen im heutigen Verdrängungsvokabular schuf.

Nun beachten Sie, dass in all den Kommentaren, Lobgesängen und Interpretationen (inklusive der nachdenklichen Umfrage in „Newsweek“, die Statistiken über jeden erdenklichen Aspekt des College-Lebens brachte) nicht ein Wort über den Inhalt moderner Bildung gesagt wurde, über das Wesen der Ideen, die in den heutigen Universitäten gepredigt werden. Jede denkbare Frage wurde aufgeworfen und betrachtet, außer: Was wird den Studenten beigebracht? Anscheinend traute sich niemand, das zu diskutieren.

Und genau das werden wir jetzt diskutieren.

Wenn ein Dramatiker die Macht hätte, philosophische Ideen in echte Menschen aus Fleisch und Blut zu verwandeln, und versuchen würde, die wandelnden Verkörperungen der modernen Philosophie zu kreieren – dann wären die Berkeley-Rebellen das Resultat.

Diese „Aktivisten“ sind so vollständig, buchstäblich, getreulich und verheerend die Produkte der modernen Philosophie, dass jemand all den Universitätsleitungen und Fakultäten zurufen sollte: „Ihr habt’s ja nicht anders gewollt!“

Die Menschheit kann nicht erwarten, unbeschadet davonzukommen, nachdem sie jahrzehntelang der Strahlung von intellektuellen Spaltprodukten ausgesetzt war wie: „Die Vernunft kann Dinge, wie sie sind, nicht erkennen – Realität ist unerkennbar – Gewissheit ist unmöglich – Wissen ist nur Wahrscheinlichkeit – Wahrheit ist das, was funktioniert – Verstand ist Aberglaube – Logik ist eine gesellschaftliche Konvention – Ethik ist eine Sache subjektiver Verpflichtung zu willkürlichen Postulaten.“ Und die daraus entstehenden Mutationen sind diese verzerrten jungen Kreaturen, die in chronischer Angst schreien, dass sie nichts wissen und alles beherrschen wollen.

Wenn dieser Dramatiker einen Film drehte, könnte er ihn mit Fug und Recht nennen: „Mario Savio – Sohn des Immanuel Kant“.

Mit seltenen und akademisch vernachlässigten Ausnahmen besteht der philosophische „Mainstream“, der in jedes Klassenzimmer, jedes Fach und jedes Gehirn in den heutigen Universitäten sickert, aus erkenntnistheoretischem Agnostizismus, bekennendem Irrationalismus und ethischem Subjektivismus. Unser Zeitalter wird Zeuge des letztendlichen Höhepunktes, des Resultats eines langen Zerstörungsprozesses am Ende des von Kant bereiteten Weges.

Seit Kant die Vernunft von der Realität abspaltete, haben seine intellektuellen Nachkommen den Spalt fleißig vergrößert. Im Namen der Vernunft etablierte der Pragmatismus folgendes: den unmittelbaren Moment als aufgeklärte Lebensperspektive, Kontext-Ignorierung als Regel in der Erkenntnistheorie, Zweckdienlichkeit als Prinzip der Moral und kollektiven Subjektivismus als Ersatz für Metaphysik. Der Logische Positivismus führte ihn fort und erhob die uralte Psycho-Epistemologie8 von Winkeladvokaten im Namen der Vernunft zum Status eines wissenschaftlichen erkenntnistheoretischen Systems – indem er erklärte, dass Wahrheit aus linguistischen Manipulationen bestehe. Die linguistische Analyse nahm das ernst und erklärte, dass die Aufgabe der Philosophie nicht darin bestehe, universelle Prinzipien zu identifizieren, sondern den Menschen zu sagen, was sie meinen, wenn sie sprechen, was sie sonst nicht wissen könnten (was in philosophischen Kreisen mittlerweile auch stimmt). Dies war der letzte Schlag, mit dem die Philosophie ihre Leinen löste und abhob wie ein Heliumballon, der jeden Anschein eines Bezuges zur Realität und zu den Problemen des menschlichen Daseins verloren hatte.

Egal wie sorgsam die Vertreter solcher Theorien jegliche Bezugnahme auf das Verhältnis von Theorie und Praxis umgingen, egal wie schüchtern sie darum kämpften, Philosophie als Spiel für Salons oder Hörsäle zu behandeln, blieb die Tatsache, dass junge Menschen auf die Universität gingen, um theoretisches Wissen zur Anleitung praktischen Handelns zu erlangen. Die Philosophielehrer verdrängten Fragen nach der Anwendung ihrer Ideen auf die Realität, indem sie erklärten, dass „Realität ein bedeutungsloser Begriff ist“, oder durch die Behauptung, dass Philosophie nur dazu da sei, willkürliche „Konstrukte“ zu bilden, oder sie ihre Studenten dazu aufforderten, jede Theorie mit „gesundem Menschenverstand“ abzumildern – dem gesunden Menschenverstand, mit dessen Widerlegung sie zahllose Stunden verbracht hatten.

Als Resultat kommt der Student nach vier bis acht Jahren aus einer modernen Universität heraus – und was von seinem Hirn noch übrig ist, sieht wie folgt aus: Das Dasein ist ein unverzeichneter, unerkennbarer Dschungel, Angst und Unsicherheit sind der Dauerzustand des Menschen, Skeptizismus ist das Zeichen der Reife, Zynismus ist das Zeichen des Realismus – und vor allem: Das Aushängeschild eines Intellektuellen ist die Verleugnung des Intellekts.

Falls intellektuelle Kommentatoren einen Gedanken an die praktischen Resultate ihrer Theorien verschwendeten, waren sie sich vorwiegend einig in der Behauptung, dass Unsicherheit und Skeptizismus wertvolle gesellschaftliche Eigenschaften seien, die zu Toleranz, Flexibilität, gesellschaftlicher „Anpassung“ und Kompromisswillen führen würden. Einige gingen so weit, ausdrücklich zu behaupten, dass intellektuelle Gewissheit das Zeichen eines diktatorischen Geistes sei und dass chronischer Zweifel – die Abwesenheit fester Überzeugungen, der Mangel an Absolutem – die Garantie für eine friedliche, „demokratische“ Gesellschaft sei.

Sie haben sich verrechnet.

Man hat gesagt, dass Kants Dichotomie zu zwei Linien kantischer Philosophen führte, die beide seine Grundprämisse akzeptierten, aber entgegengesetzte Seiten wählten: jene, die die Vernunft wählten und die Realität aufgaben, und jene, die die Realität wählten und die Vernunft aufgaben. Die erste Gruppe lieferte die Welt an die zweite aus.

Der Profiteur dieser kantischen Rationalisierung – der Empfänger des bankrotten Trümmerfelds aus Sophisterei, Kasuisterei, Sterilität und abgrundtiefer Trivialität, zu dem sie die Philosophie reduziert hatten – war der Existentialismus.

Existentialismus besteht in etwa daraus, auf die moderne Philosophie zu deuten und zu sagen: „Da das Vernunft ist, zum Teufel damit!“

Trotz der Tatsache, dass die Pragmatisten-Positivisten-Analysten die Vernunft ausgelöscht hatten, akzeptierten die Existentialisten sie als Vertreter der Vernunft, verkauften sie der Welt als Beispiele für Rationalität und fuhren fort, die Vernunft komplett abzulehnen, ihre Ohnmacht zu proklamieren, gegen ihr „Versagen“ zu rebellieren und nach einer Rückkehr zur Realität, zu den Problemen des menschlichen Daseins, zu Werten und zu Taten aufzurufen – zu subjektiven Werten und hirnlosen Taten. Im Namen der Realität proklamierten sie die moralische Überlegenheit der „Instinkte“, Triebe, Gefühle und die kognitive Macht von Mägen, Muskeln, Nieren, Herzen und Blut. Es war eine Rebellion kopfloser Körper.

Der Kampf ist nicht vorbei. Die Philosophieinstitute der heutigen Universitäten sind das Schlachtfeld eines Kampfes, der aber nur ein Familienstreit zwischen den Analysten und den Existentialisten ist. Ihre Nachkommen sind die Aktivisten der Studentenrebellion.

Wenn diese Aktivisten „erst handeln und dann ihre Tat reflektieren“ – hat nicht der Pragmatismus ihnen beigebracht, dass Wahrheit an den Konsequenzen beurteilt werden müsse? Wenn sie „unfähig scheinen, eine systematische politische Gesellschaftstheorie zu formulieren oder zu verteidigen“, und doch mit moralischer Rechtschaffenheit schreien, dass sie ihre gesellschaftlichen Ziele durch körperliche Gewalt erreichen wollen – hat nicht der Logische Positivismus ihnen beigebracht, dass ethische Lehrsätze keine kognitive Bedeutung hätten, sondern bloß ein Befund über die eigenen Gefühle oder das Äquivalent emotionaler Auswürfe seien? Wenn sie allem außer dem unmittelbaren Moment gegenüber blind sind – hat nicht der Logische Positivismus ihnen beigebracht, dass man nicht mit Gewissheit behaupten könne, dass irgendetwas anderes existiert? Und während die linguistischen Analytiker beweisen, dass „Die Katze ist auf der Decke“ nicht bedeutet, dass „die Decke“ ein Merkmal von „Katze“ ist oder dass „auf der Decke“ das Genus ist, zu dem „die Katze“ gehört oder dass „die Katze“ gleich „die Decke“ ist – ist es ein Wunder, dass Studenten den Berkeley-Campus stürmen mit Plakaten, auf denen „Erst zuschlagen – dann analysieren“ steht? (Diese Parole wird von Professor Petersen zitiert.)

Am 14.6. strahlte CBS eine zusammengewürfelte, unzusammenhängende, sinnlose (und aus diesen Gründen authentische und bedeutsame) Dokumentation mit dem Titel „Die Berkeley-Story“ aus. Es liegt Methode in jeder Art von Wahnsinn – und für jemanden, der mit moderner Philosophie vertraut ist, war dieser Bericht wie ein Spiegelkabinett, das die verzerrten Abbilder und die zufälligen Echos des Gemetzels reflektiert, das in den akademischen Folterkammern des Geistes vor sich geht.

„Unsere Generation hat keine Ideologie“, erklärte der erste Junge mit einem Hass, der einst reserviert war, um „Nieder mit Wall Street!“ zu schreien, und brachte somit zum Ausdruck, dass der Feind von heute nicht der sogenannte Ausbeuter ist, sondern der Verstand. Die ältere Generation, so erklärte er verächtlich, hatte „eine nette kleine Pille“, die alles löst, aber die Pille funktioniere nicht länger. „Wir glauben nicht an Pillen“, sagte er.

„Wir haben gelernt, dass es keine absoluten Regeln gibt“, sagte ein junges Mädchen hastig und defensiv, als ob sie ein Axiom geäußert hätte, und fuhr fort, unartikuliert, mit nach innen zeigenden Gesten zu erklären, dass „wir Regeln für uns selbst aufstellen“ und dass „was richtig für mich ist, für andere falsch sein kann“.

Ein Mädchen beschrieb ihre Vorlesungen als „Worte, Worte, Worte, Papier, Papier, Papier“ und sagte ruhig, im Ton echter Verzweiflung, dass sie sich manchmal frage: „Was mache ich hier? Ich lerne hier nichts.“

Ein verbittertes junges Mädchen, das wortreich redete, nie einen Satz zu Ende brachte und keine Aussage machte, klagte die Gesellschaft als Ganzes an. Da Menschen Produkte der Gesellschaft seien, habe die Gesellschaft schlechte Arbeit geleistet. Mitten im Satz hielt sie inne und warf nebenbei ein: „Egal was aus mir wird, ich bin immer noch ein Produkt.“ Sie sagte es mit der Ernsthaftigkeit eines gewissenhaften Kindes, das eine selbstverständliche Tatsache der Natur feststellt. Es war nicht gestellt: Das arme kleine Geschöpf meinte es so.

Das hilflose Erstaunen auf dem Gesicht des Kommentators Harry Reasoner, als er zusammenzufassen versuchte, was er berichtet hatte, war ein vielsagendes Anzeichen dafür, warum die Presse nicht in der Lage ist, mit der Studentenrebellion richtig umzugehen. „Jetzt, sofort, jede Situation muss jetzt gelöst werden“, sagte er ungläubig über die Einstellung der Rebellen, weder zustimmend noch ablehnend, im leicht erstaunten, leicht hilflosen Ton eines Mannes, der nicht glauben kann, dass er Wilde auf dem Campus einer der großen Universitäten Amerikas frei herumlaufen sieht.

So sehen die Produkte der modernen Philosophie aus. Sie sind Studenten, die zu intelligent sind, um nicht die logischen Konsequenzen der Theorien zu sehen, die ihnen beigebracht wurden – die aber nicht intelligent oder unabhängig genug sind, die Theorien selbst zu durchschauen und sie abzulehnen.