Inhalt



Stefan Burban

Die Ritter des Königs

 

Atlantis



Eine Veröffentlichung des
Atlantis-Verlages, Stolberg
Juli 2017

Druck: Schaltungsdienst Lange, Berlin


Titelbild: Mark Freier
Umschlaggestaltung: Timo Kümmel
Lektorat und Satz: André Piotrowski


ISBN der Paperback-Ausgabe: 978-3-86402-524-2
ISBN der E-Book-Ausgabe (EPUB): 978-3-86402-528-0

Dieses Paperback/E-Book ist auch als Hardcover-Ausgabe direkt beim Verlag erhältlich.

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Prolog – Die letzte Zuflucht

Hochmeister Araul, hoher Kastellan und Befehlshaber der Ordensfestung Banjandrova, zog seinen weißen Mantel enger um die hageren Schultern. Der feine Stoff vermochte ihn vor dem eisigen, beißenden Wind zu schützen, der über die Gipfel strich, nicht aber vor den eigenen düsteren Gedanken.

Der Brief, der ihn vor fünf Tagen erreicht hatte, steckte halb zusammengefaltet, halb zerknittert in einer Manteltasche. Den Wortlaut kannte er inzwischen auswendig. Unzählige Male hatte er die Worte gelesen, immer hoffend, etwas zu entdecken, das ihm zuvor entgangen war, etwas, das diesem Wahnsinn einen Hauch Sinn verlieh. Seine Hoffnungen wurden ein ums andere Mal enttäuscht. Die Botschaft, die Erzbischof Aronius ihm gesandt hatte, war unmissverständlich:

Araul,

mein alter, alter Freund. Dies sind düstere Tage und ich befürchte, sie werden noch düsterer werden, bevor die Menschen von Hasterian wieder das Licht erblicken.

Ich bürde dir eine schwere Last auf. Nichtsdestoweniger muss die Aufgabe, die vor uns liegt, gemeistert werden. Die Krone hat der Kirche Ariadnes den Krieg erklärt. Während ich diesen Brief schreibe, rüstet sich der Orden zum Kampf und es ist nur eine Frage der Zeit, bis Caralyn belagert wird.

Wir werden die Klosterfestung bis zum letzten Mann halten, doch unsere Chancen stehen schlecht, die nächsten Tage zu überleben.

Cedric ist mit den Goblins und dem Kult von Agranon im Bunde. Er fühlt sich stark genug, uns herauszufordern.

Leider kann ich dir nicht im Einzelnen erklären, was hier vor sich geht. Das meiste verstehe ich selbst nicht, wie ich zugeben muss. Wichtig ist nur, dass Cedric aufgehalten wird. Ich schicke Botschaften an jede Abtei, jedes Kloster und jeden Außenposten der Kirche und des Ordens. Wer kann, soll sich nach Banjandrova aufmachen. Nimm sie in deine Obhut.

Ich zweifle nicht daran, dass bald schon eine große Armee auf dem Weg zu dir sein wird. Halte die Stellung! Um jeden Preis! Banjandrova ist vielleicht schon bald die letzte Zuflucht der Kirche.

Ich weiß, dass ich viel von dir verlange, alter Freund. Aber ich bin mir sicher, dass die Leben der Flüchtenden bei dir in guten Händen sein werden.

Verzage nicht. Noch ist nicht alle Hoffnung verloren. Kämpfe guten Mutes und halte Banjandrova. Für die Göttin, für die Kirche und für mich.

Ich bezweifle, dass wir uns in diesem Leben wiedersehen werden. Unser Schicksal liegt nun in Ariadnes Hand – und in der des wahren Königs.

Lebe wohl, Araul.

Gez. Aronius, Erzbischof der Kirche von Ariadne der Lichtbringerin

Aronius’ Unterschrift war krakelig und kaum zu lesen. Er musste in Eile gewesen sein, als er den Brief aufgesetzt hatte. Kein Wunder, wenn man bedachte, dass sich Caralyn auf den Krieg vorbereitet hatte.

Seitdem hatte keine Botschaft ihn mehr erreicht. Nachricht um Nachricht hatte er per Brieftaube abgeschickt. Antwort hatte er keine bekommen. Die ersten Informationen hatte er von den kurz darauf eintreffenden Flüchtlingsströmen erhalten.

Wie angekündigt hatte Aronius jede Enklave der Kirche und des Ordens benachrichtigt. Die Geschichten, die sie zu erzählen hatten, sprachen Bände – Bände des Grauens.

Caralyn war gefallen, Aronius tot. Nach einem Tag der Belagerung nur hatten die schwarzen Garden Cedrics, unterstützt durch seine Goblin-Verbündeten, die Wälle der wehrhaften Festung gestürmt und alle innerhalb der Mauern niedergemetzelt: Ordensritter, Priester, Novizen. Ohne Ausnahme. Ohne Gnade.

Das Gleiche hatte sich in Dutzenden von Klöstern und Abteien wiederholt, die Aronius’ Nachricht nicht schnell genug erhalten oder deren Evakuierung einfach zu lange gedauert hatte.

Von seinem Aussichtspunkt aus, dem höchsten Turm von Banjandrova – genannt der Wächter –, hatte Araul einen guten Blick auf das Flachland jenseits der Berge, die die Ordensfestung wie schützende Mauern umgaben.

Allein aus seinem derzeitigen Blickwinkel konnte er am Horizont acht Rauchfahnen ausmachen, die Standorte ehemaliger Kircheninstitutionen markierten. Vom Feind überrannt, geplündert und gebrandschatzt.

Er verdrängte den Gedanken an die vielen Opfer der letzten Tage und versuchte seinen Blick auf das Wesentliche zu richten: die Festung und die taktische Situation, der sich ihre Verteidiger gegenübersahen.

Um Banjandrova zu erreichen, musste eine feindliche Armee eine Reihe schmaler Spalten zwischen den Berggipfeln passieren. Das würde jede Streitmacht enorm ausbremsen, ganz davon abgesehen, dass es geradezu zum Legen von Hinterhalten einlud. Außerdem begrenzte es die Möglichkeit des Gegners, Belagerungsgerät heranzuschaffen.

Die Festung selbst lag eingekeilt zwischen drei Berghängen, zu denen ein schmaler Weg heraufführte. Die Hänge bildeten eine natürliche Barriere und waren nicht zu erklimmen. Die Frontseite der Festung mit dem Tor war die einzige angreifbare Stellung.

Ein Versuch, Banjandrova einzunehmen, konnte für eine angreifende Armee nur in einer Katastrophe enden. Die Ordensritter unter seinem Kommando freuten sich bereits darauf.

Hunderte ihrer Kameraden lagen erschlagen auf unzähligen Schlachtfeldern in ganz Hasterian. Sie brannten darauf, Rache zu nehmen, brannten darauf, endlich die Untätigkeit abzulegen und den Feind büßen zu lassen.

Ein diskretes Hüsteln hinter ihm brachte seine Gedanken ins Hier und Jetzt zurück. Araul brauchte sich nicht umzusehen, um zu wissen, dass sein Primus Estral hinter ihm stand.

Auf einen Wink Arauls trat der Ordensritter näher und gesellte sich zu seinem Vorgesetzten. Der junge Mann trug sein blondes Haar fast schulterlang. Durch den eisigen Wind, der über den Wächter pfiff, flatterte es wie ein Banner hinter ihm.

Der Ritter wirkte viel zu jung für eine so verantwortungsvolle Aufgabe. Als Primus der Truppen war es sein Verantwortungsbereich, die ihm unterstellten Soldaten zu führen und ständig ihre Kampfbereitschaft auf dem Höchststand zu halten.

Aus Erfahrung wusste Araul aber, dass keiner so geeignet für diesen Posten war wie Estral. Er war enthusiastisch, fromm und hatte einen scharfen Geist. Araul hatte ihn nicht leichtfertig in diese Position erhoben. Er würde seinen Scharfsinn für Taktik und Logistik in den kommenden Wochen sehr nötig haben.

»Es kommen weitere Flüchtlinge an, Hochmeister«, sagte Estral demütig.

»Wie viele?«

»Zwischen drei- und vierhundert. Aber nur etwa fünfzig oder sechzig Ordensritter.«

Estral schwieg, während Araul die Zahlen verarbeitete. Sein Blick wanderte nach unten, wo Priester und Novizen die Neuankömmlinge begrüßten und sie versorgten, wo es notwendig war.

Banjandrova war viel größer, als es den Anschein hatte. In jahrzehntelanger, mühseliger Kleinarbeit hatte man Kammern in den nackten Fels unter der Festung getrieben und so eine Zufluchtsstätte gebaut, die Tausende von Menschen aufnehmen konnte.

Dass der Platz knapp werden könnte, machte ihm keine Sorgen. Viel eher das Verhältnis, in dem die Flüchtlinge zu ihnen kamen. Den Großteil bildete der Klerus: Priester, Novizen und Akolythen. Nur einen verschwindend geringen Anteil bildeten die Ordensritter.

Sie blieben häufig zurück und deckten den Rückzug ihrer Schutzbefohlenen mit ihrem Schwert und leider oft genug auch mit ihrem Leben. Damit taten sie zwar, wofür sie ausgebildet waren, aber sie schwächten auch Banjandrovas Kampfkraft in der kommenden Schlacht. Sie würden jedes Schwert bitter nötig haben.

In der Ordensfestung waren fünfhundert Ritter stationiert. Seit die Flüchtlingsströme begonnen hatten, war ihre Stärke auf fast tausend Mann angewachsen. Das war eine beachtliche Streitmacht. Er hoffte, es würde reichen, denn sie waren inzwischen für den Schutz von mehr als dreitausend Kirchenmitgliedern verantwortlich, von denen die meisten nicht wussten, mit welcher Seite eines Schwerts man zustieß. Im Klartext: Sie würden im Kampf wenig hilfreich sein.

»Sorge für ihre Unterbringung. Sie sollen erst mal essen und sich ausruhen. Sie haben viel hinter sich.«

Estral nickte gehorsam, bevor er fortfuhr. »Meine Späher berichten von mindestens drei weiteren Gruppen, die sich auf uns zubewegen. Sie werden im Lauf der nächsten vier Tage nach und nach hier eintreffen.«

»Wie groß sind die Gruppen?«, fragte Araul, obwohl er sich die Antwort bereits denken konnte.

»Sie sind in etwa mit der Größe dieser Gruppe da unten identisch.« Er zögerte einen Moment. »Auch hinsichtlich der Zusammensetzung.«

Araul stieß einen tiefen Seufzer aus. Der Laut entwich seinem Mund, bevor er ihn aufhalten konnte. »Die Späher sollen dafür sorgen, dass diese Menschen sicher den Weg zu uns finden. Jeder, den wir retten, ist eine Niederlage für den sogenannten König Cedric.«

Mit einem Wink entließ er Estral, der sicherlich Besseres zu tun hatte, als bei seinem alternden Hochmeister Händchen zu halten. Entgegen seiner Erwartung entfernte sich der junge Ritter aber nicht. Stattdessen betrachtete er die Menschen, die im Hof der Festung herumliefen wie kleine Ameisen.

Dem Ordensritter lastete etwas auf der Seele. Das konnte Araul deutlich auf dessen Gesicht ablesen. Sein sonst so freundliches Äußeres war zerfurcht von Sorgenfalten. Sein sonst lächelnder Mund wirkte verkniffen und ernst.

»Du hast noch etwas auf dem Herzen?« fragte Araul.

»Hochmeister«, setzte Estral würdevoll an, »glaubt Ihr, dass es noch Orte des Widerstands gibt? Außer Banjandrova meine ich.«

»Du willst wissen, ob wir die Einzigen sind, die noch kämpfen?« fragte Araul zurück.

Estral nickte, nicht im Klaren darüber, ob er die Antwort auf diese Frage wirklich hören wollte.

»Darauf weiß ich keine Antwort, Estral. Ich weiß nicht, ob es außer uns noch Ordensritter gibt, ob es noch Priester und Novizen gibt, ob es noch Klöster gibt, die nicht niedergebrannt worden sind. Aber eins weiß ich: dass es für unsere Aufgabe, unsere Pflicht völlig unerheblich ist, ob wir die einzigen Überlebenden sind oder nicht. Ein gnadenloser, unnachgiebiger Feind ist auf einem finsteren Kreuzzug gegen uns und es ist unser Schicksal, uns ihm in den Weg zu stellen. Nicht, weil er uns vernichten will, nicht, weil wir keine andere Wahl haben, als zu kämpfen, sondern einfach deswegen, weil es richtig ist.«

Arauls Gedanken kehrten ein weiteres Mal zu Aronius’ Brief zurück. Die Worte des Erzbischofs waren kraftvoll und weise gewählt. Von ihnen ging eine Stärke aus, die Aronius in den letzten Jahren hatte vermissen lassen. Offenbar hatte er sie in seinen letzten Stunden zurückgewonnen.

Der Tod seines Erzbischofs hatte eine klaffende Wunde in Arauls Herz gerissen, aber das Wissen, dass Aronius am Ende inneren Frieden gefunden hatte, tröstete ihn. Aronius’ Abschiedsworte kamen ihm in den Sinn. Lebe wohl.

Aronius hat gewusst, dass er sterben wird, als er den Brief aufsetzte. Er hat es gewusst und trotzdem hat er getan, was richtig war. Wie könnte ich mich … wie könnte sich irgendjemand weigern, es ihm gleichzutun?

»Vergiss nicht, Estral. Wir haben eine Aufgabe zu erfüllen. Wir halten Banjandrova um jeden Preis. Für die Kirche. Für den Orden. Und für Erzbischof Aronius.«

Caralyn lag in Schutt und Asche. Der Hof und die Wehrgänge der Festung waren mit Leichen übersät: Leichen mit der charakteristischen, grünen Haut der Goblins, Leichen im Schwarz der Gardisten und Leichen im Weiß der Ordensritter.

Allerdings viel zu selten im Weiß der Ordensritter, dachte Cedric angewidert.

Die Trümmer schwelten noch an allen Ecken und Enden. Die Feuer waren auf sein Geheiß inzwischen gelöscht worden. Auch wenn die Goblins kaum zu bremsen gewesen waren. Sie hatten sich fast völlig dem Blutrausch ergeben, hatten gewütet wie die Tiere, für die er sie im Grunde auch hielt. Es hatte fast eine Woche gedauert, die grünhäutigen Monster zur Räson zu bringen.

Er warf einen Blick zurück den Weg, den er gekommen war. Die Straßen von Tansara wirkten wie ausgestorben. Seit die Goblins in der Stadt waren, trauten sich die Menschen nicht mehr vor die Tür.

Es war ein trügerischer Friede. Darüber war sich Cedric sehr wohl im Bilde. Er war sich der Stimmen bewusst, die hinter seinem Rücken bereits Gerüchte in Umlauf brachten: Gerüchte darüber, dass er ein Ketzer war; dass er den Orden hatte vernichten lassen, weil sie ihm auf die Schliche gekommen waren; und auch Gerüchte darüber, dass Neirons Sohn die Nacht des Feuers überlebt hatte. Wusste der Teufel, wie sie das aufgeschnappt hatten.

Gestern Nacht waren an mehreren Häusern im nobelsten Viertel der Stadt Schmierereien mit Tierblut aufgetaucht. Er hatte es mit eigenen Augen sehen müssen, um es zu glauben. In großen Lettern stand dort zu lesen:

DER WAHRE KÖNIG LEBT. LANG LEBE ADRIAN DRAGOR!

Die Garde hatte sofort nach den Übeltätern gefahndet und einige beibringen können, die die Tat auch sofort zugaben. Es waren Halbwüchsige, kaum dem Knabenalter entwachsen. Noch in der gleichen Stunde waren sie hingerichtet worden, als Mahnung für andere. Es waren keine weiteren Schmierereien aufgetaucht, aber die Stimmung in der Stadt brodelte, gleichermaßen vor Furcht wie auch vor Wut über den Tod dieser Jugendlichen.

Cedric seufzte und wandte sich wieder dem zerstörten Caralyn zu. Kaum ein Gebäude in der einstmals mächtigen Klosterfestung stand noch. Überall roch es nach Rauch und Tod. Darüber hinaus hatten die Goblins sich nicht nur damit begnügt, die Bewohner der Festung zu töten. Sie hatten auch noch die Leichen verstümmelt und auf grauenhafte Art geschändet.

Als er das zertrümmerte Tor und die Reste des Rammbocks passiert hatte, war ein Goblin an ihm vorübergelaufen, der an etwas genagt hatte, das erschreckende Ähnlichkeit mit einem menschlichen Arm gehabt hatte.

Warum muss ich mich nur mit solchen Kreaturen abgeben? Ich bin der König von Hasterian.

»Weil Ihr Eure Königswürde auch behalten wollt. Darum sind die Goblins für Euch so wichtig.«

Die krächzende Stimme Hestals ließ ihn zusammenfahren. Über das plötzliche Auftauchen des Mannes war Cedric so verstört, dass er ein paar Sekunden brauchte, um zu begreifen, dass Hestals Antwort auf seine Gedanken bezogen war. Konnte der verdammte Kerl inzwischen auch Gedanken lesen? Eins war auf jeden Fall sicher. Hestal wurde ihm immer unheimlicher.

Und seit der Nacht, in der Caralyn gefallen war, hatte sich auch der Ratgeber des Königs enorm verändert. Er wirkte viel … zielstrebiger als früher. Ein anderes Wort dafür fiel ihm beim besten Willen nicht ein. Es war, als wären sämtliche Anspannung und jedes noch so kleine bisschen menschlicher Emotion von ihm abgefallen und hätten etwas anderem Platz gemacht, etwas viel Angsteinflößenderem, als es Ehrgeiz oder Grausamkeit je sein könnten. Cedric wusste selbst nicht genau, was er von dem Wandel in seinem Ratgeber halten sollte.

In Hestals Kielwasser folgte, wie ein gehorsamer Hund, der neue Hohepriester Memnon. Der Mann ging geduckt, als würde er erwarten, jeden Augenblick geprügelt zu werden. Cedric wäre nur zu gern bereit, ihm diese Erwartung zu erfüllen, aber der Kerl war Hestals Mann mit Leib und Seele. Deshalb hatte nur der unheimliche Ratgeber das Recht dazu. Margan war tot und Hestal hatte keine Zeit verloren und sogleich einen neuen Hohepriester ernannt. Cedrics Meinung zufolge war Memnon sogar noch unheimlicher als sein Vorgänger.

Hestals Lippen verzogen sich zu einem, wie er hoffte, beruhigenden Lächeln. Istartos hatte ein paar Stunden gebraucht, um die Handhabung seines neuen Körpers zu meistern, aber nun konnte er darauf so gut spielen, wie ein Virtuose sein Instrument beherrschte.

Und diese Menschen waren leichtgläubige Narren: leicht zu täuschen, leicht zu verführen und noch leichter zu kontrollieren. Sie glaubten grundsätzlich nur, was sie sahen, waren ohne Sinn für die höheren Dinge – und ohne den Verstand, hinter die Fassade des Offensichtlichen zu blicken.

Hestals Rolle zu spielen würde ihm Spaß machen. Daran hatte er nicht den Hauch eines Zweifels.

Großspurig sah er sich im Hof dessen um, was einmal eine Hochburg der Kirche und ihrer dreimal verfluchten Ritter gewesen war. Die Kirche war nicht mehr. Der Weg war frei, um den Kult von Agranon als Staatsreligion einzuführen. Die Anbetung würde seinen Herrn dabei unterstützen, die Ketten seines Gefängnisses einzureißen und in die Welt der Menschen zurückzukehren.

Was ihn zurück zu dem Grund brachte, weshalb er hier war. Weshalb die Erstürmung von Caralyn überhaupt erst nötig gewesen war. Die Pergamentrolle von Caral dem Stummen sowie die Ergreifung von Neirons Sohn. War erst der Sohn des ehemaligen Königs in seiner Hand, wäre die Gefangennahme der kleinen Prinzessin ohne Land, dieser kleinen verwöhnten Göre Julianna, kein Problem mehr. Seinen Informanten nach versteckte sie sich immer noch in Aredus-Celat.

Er knirschte mit den Zähnen. Dem aufmüpfigen Emporkömmling Cadir und seiner Familie würde es schlecht bekommen, Agranons Feinden Zuflucht zu gewähren. Das würde er den Kerl noch lehren.

Alles zu seiner Zeit, ermahnte er sich. Alles wird sich so fügen, wie es soll.

Dann würde Agranon wieder frei und die Zeit der Menschen ein für alle Mal Geschichte sein.

»Also! Wo ist dieses ominöse Pergament, das Ihr sucht?« fragte Cedric.

Istartos sah den Monarchen durch Hestals Augen an, spießte ihn förmlich auf. Nur mit Mühe konnte er sich beherrschen, der nervtötenden kleinen Eintagsfliege den Hals umzudrehen. Aber noch brauchte er ihn. Noch.

Der Blick, mit dem er Cedric bedachte, beunruhigte Crevios und einige seiner Gardisten so, dass sie anfingen, ihre Schwerter in den Scheiden zu lockern. Eine nervöse Geste, die ihn daran erinnerte, warum er den König noch brauchte. Er verfügte über die militärischen Mittel, die für eine Umsetzung von Istartos’ – und letzten Endes auch Agranons – Plänen unabdingbar waren.

»In dem geheimen Gewölbe der Bibliothek«, sagte Istartos schließlich und entließ den Monarchen aus seinem brennenden Blick.

»Dann sollten wir keine Zeit verlieren und nach dem verdammten Ding suchen.«

Nach dem verdammten Ding, dachte Istartos amüsiert. Eine wirklich treffende Wortwahl, aber ich verzweifle, dass der kleine Monarch sich der Ironie seiner eigenen Worte bewusst ist.

»Vorher habe ich noch etwas anderes zu erledigen«, erwiderte Istartos, drehte sich um und ließ den verblüfften Cedric einfach stehen. Dieser riss sich mit sichtlicher Mühe zusammen und beeilte sich, den Mann, den er für seinen Ratgeber hielt, einzuholen. Crevios und seine Gardisten wichen nicht von seiner Seite.

Istartos steuerte auf einen Teil der westlichen Mauer zu, der so gut wie unzerstört geblieben war. In seinem Schatten drängten sich etwa zwei Dutzend Menschen Schutz suchend zusammen, bewacht von einigen Gardisten.

Auf Hestals Befehl – bevor Hestals Bewusstsein von dem Dämon ausgelöscht worden war – hatten die Gardisten nach der Einnahme von Caralyn einige Priester und Novizen zusammengetrieben. Es war einer der letzten Befehle des Ratgebers gewesen und so ziemlich das Einzige, was er richtig gemacht hatte.

Die Gefangenen waren wichtig. Sie boten Istartos eine Informationsquelle, die er auszuschöpfen gedachte. Einer von ihnen würde etwas wissen, das von Wert für ihn war. Das war zwangsläufig so. Selbst Gerüchte waren ihm recht. In Gerüchten steckte oftmals ein Körnchen Wahrheit.

Wenn er mit ihnen fertig war, gehörten sie seinem Herrn. Istartos würde sie mit Freuden opfern. Er konnte es kaum erwarten.

Aber diesmal gehörte seine Aufmerksamkeit einem ganz bestimmten Gefangenen. Auf einen Wink von Istartos gingen zwei Soldaten durch die Menge und ergriffen einen älteren Mann, der kraftlos auf dem Boden lag. Sein Gesicht war von Blutergüssen übersät und unter den Resten seiner Robe konnte man erkennen, dass mindestens zwei Rippen gebrochen sein mussten. Die sich bildenden Blutergüsse stachen deutlich hervor.

Die Soldaten schleppten ihn vor Istartos und ließen den Priester zu Boden sinken. Der Mann blickte auf und sah direkt in Hestals Gesicht. Eins seiner Augen war so zugeschwollen, dass er es nicht öffnen konnte.

»Braksus, mein lieber Freund«, sagte Istartos freundlich. »Es ist schön, dich zu sehen.«

Braksus schaute sein Gegenüber mit dem einen unversehrten Auge wie schlaftrunken an. Er taumelte ein wenig. Einer der Gardisten packte ihn am Rücken, da er drohte umzukippen.

»Hestal?« brachte er schließlich hervor. Dann schüttelte er verwirrt den Kopf. »Nein, nicht Hestal, oder bin ich schon so verrückt, dass ich Halluzinationen habe?! Was ist das für eine Teufelei?«

Genau das hatte Istartos herausfinden wollen. Den Verdacht hatte er schon immer gehabt. Um diesen Verdacht aber zu untermauern hatte er einem hochrangigen Mitglied der Kirche gegenübertreten müssen und bisher war das einfach zu gefährlich gewesen.

Die magiekundigen Mitglieder der Kirche von Ariadne der Lichtbringerin waren imstande, einen Dämon zu erkennen, egal in welcher Verkleidung oder welchem Körper er gerade steckte. Die anderen Gefangenen, allesamt Priester und Novizen niedrigen Ranges, schauten sich nur gegenseitig verängstigt an. Sie sahen in ihm nur den Ratgeber des Königs. So, wie es sein sollte.

Braksus war imstande, in ihm das zu sehen, was er war: ein Dämon, der den Körper des unglückseligen Hestal in Besitz genommen hatte. Als Hestals Diener war er in der Hierarchie des Kults zu unbedeutend gewesen, als dass er es hätte riskieren können, seine Tarnung auffliegen zu lassen. Nun, als Hestal selbst und mit der Zerschlagung der Kirche, war diese Gefahr gebannt. Nun wusste er, was er wissen wollte.

»Bringt diesen Gefangenen in die Kerker unter dem Palast«, befahl er den Gardisten. »Er darf mit niemandem sprechen und niemanden sehen. Kettet ihn am besten gleich in einer Zelle an, bis ich mich mit ihm befassen kann.«

Einer der Soldaten nickte und beide packten den gefangenen Braksus und schleiften ihn fort. Er wehrte sich so gut wie gar nicht. Zufrieden blickte Istartos den drei hinterher.

So viel zu diesem Problem.

»Was sollte das?« fragte Cedric.

Istartos widerstand dem Drang dem Mann alle Knochen zu brechen, zählte langsam bis zehn und drehte sich erst um, als er sicher war, ruhig zu bleiben. Als er in das Gesicht seines nervtötenden Werkzeugs blickte, hätte er aber beinahe seine Vorsätze über Bord geworfen. Nur mit Mühe gelang es ihm, seinen Wunsch zu beherrschen, dem Monarchen wehzutun.

»Das muss Euch nicht kümmern«, erwiderte er stattdessen. An Cedrics Gesicht konnte er ablesen, dass ihn diese Antwort ganz und gar nicht befriedigte. Andererseits traute er sich aber auch nicht, weitere Fragen zu stellen.

Wenn Ihr klug seid, gebt Ihr Eurer Neugier besser nicht nach. Ich bin Euch keinerlei Rechenschaft schuldig.

Zu seiner Erleichterung entspannte sich Cedric etwas. Der König war wohl bereit, es dabei bewenden zu lassen. Istartos ging an ihm vorbei und steuerte den Haupttrakt der Klosterfestung an. Cedric wurde davon so überrumpelt, dass der Dämon bereits die Treppe erreicht hatte, als sich der König erst in Bewegung setzte.

Istartos beachtete ihn nicht weiter. Er war überrascht, dass das Gebäude die Schlacht bis auf einige Brandspuren an der Fassade und größere Blutlachen auf den Stufen relativ gut überstanden hatte.

Er war noch nie hier gewesen, trotzdem wusste er instinktiv, in welche Richtung er sich wenden musste. Das Labyrinth aus Gängen und Kammern durchschritt er so schnell, als hätte er sein Leben lang nichts anderes gemacht. Bis er endlich in der großen Bibliothek von Caralyn stand, dem Heiligtum der Kirche.

Bei dem Gedanken hätte er fast laut aufgelacht. Im letzten Moment unterdrückte er den Laut, sodass nur ein leises Kichern zustande kam. Cedric und Crevios bemerkten es trotzdem und sahen ihn von der Seite beunruhigt an.

Die Bibliothek wimmelte von Kultanhängern. Sie durchstöberten die Regale, warfen alles auf einen Haufen, dem sie keine Bedeutung beimaßen. Die Tür des geheimen Gewölbes stand weit offen. Auch hier waren Hunderte von Kultisten am Werk. Einer der schwarz gekleideten Männer bemerkte sie und kam mit gesenktem Kopf näher. Die Kapuze seiner Kutte war weit ins Gesicht gezogen.

»Herr, welche Ehre, dass Ihr uns mit Eurer Anwesenheit beehrt.«

Istartos verzog beim schleimigen Auftreten des Mannes angewidert den Mund. »Habt ihr sie gefunden? Wo ist die Pergamentrolle? Und wo ist Neirons Sohn?«

Noch während er die Fragen stellte, wusste er, dass etwas nicht stimmte. Sämtliche Geräusche im Raum schienen für einen Sekundenbruchteil zu verstummen. Alle Kultisten wandten sich ihnen gespannt zu, nur um sich daraufhin wieder ihrer Arbeit zu widmen, und zwar eine Spur zu geräuschvoll, als dass es wirklich ernst gemeint sein konnte.

Istartos spähte in die Dunkelheit der Kapuze seines Gegenübers. Dem Mann standen dicke Schweißperlen auf der Stirn. Er wirkte überaus nervös, um nicht zu sagen, panisch vor Angst. Istartos trat einen Schritt näher. Der Kultist wollte zurückweichen, aber der Dämon packte ihn an den Schultern und zwang ihn dazu, still zu stehen.

»Wo ist die Pergamentrolle und wo ist Neirons Sohn?« fragte er erneut, wobei er jedes einzelne Wort deutlich betonte. Falls überhaupt möglich, wurde der Kultist noch panischer. Dann hielt er die Spannung selbst nicht mehr aus und die Worte sprudelten nur so aus ihn heraus.

»Als … als … wir die Bibliothek stürmten, fanden wir den Geheimgang geöffnet vor. Der Großmeister des Ordens und einige andere sind wie erwartet geflohen. Unsere Brüder am anderen Ende des Tunnels versuchten sie aufzuhalten, aber sie haben es irgendwie geschafft durchzubrechen. Unsere eigenen Verluste waren enorm. Aber … es tut mir leid, Herr … aber … sie haben es geschafft zu entkommen. Und …«

»Und?«

»Und sie haben die Pergamentrolle mitgenommen.«

Ein fast tierischer Aufschrei entrang sich Hestals Kehle, als der Dämon seine ganze Wut herausschrie. Der Schrei hallte in der Bibliothek unheimlich lange nach.

Crevios wich einen Schritt zurück und zog aus einem Reflex sein Schwert. Cedric bemühte sich, hinter seinem General in Deckung zu gehen, und versuchte möglichst unsichtbar zu werden. Die Gardisten sammelten sich um ihren Befehlshaber und machten sich kampfbereit. Memnon warf sich zitternd zu Boden. Die Kultisten hielten den Atem an und bereiteten sich darauf vor, so schnell wie möglich das Weite zu suchen.

»Entkommen?« brüllte Istartos und packte den Kultanhänger an der Kehle. »ENTKOMMEN? Und das wagst du mir zu sagen, du elende Kreatur? Denkst du, es kümmert mich, wie hoch eure Verluste waren?! Ich würde euch alle opfern, wenn es den Zwecken meines Herrn dient. Jeden Einzelnen von euch, ihr jammernden Würmer. Solange ich nur erreiche, was ich will.«

Er drehte seine Hand, die sich wie ein Schraubstock um den Hals des Mannes gelegt hatte, um neunzig Grad und brach ihm ohne sichtbare Mühe und ohne dabei ins Schwitzen zu geraten, das Genick. Danach entließ er die Leiche aus seinem Griff, die schwer zu Boden fiel. Es war das einzige Geräusch in der großen Bibliothek.

Istartos atmete schwer, nicht vor Anstrengung, sondern vor Wut. Vor ungezügelter, brennender Wut. Die Erfüllung seiner Pläne, für die er Tausende von Jahren gearbeitet hatte, war zum Greifen nah gewesen. Nun waren sie erneut in weite Ferne gerückt. Er wandte mühsam alle Kraft, die er hatte, auf, um sich erneut unter Kontrolle zu bringen, versuchte Klarheit in seine Gedanken zu bekommen.

Erst jetzt wurde er sich der angsterfüllten Blicke ringsum bewusst – und der Leiche zu seinen Füßen. Zum ersten Mal fragte er sich, ob er nun nicht vielleicht etwas zu weit gegangen war. Aber geschehen war geschehen und es war müßig, sich über etwas Gedanken zu machen, das nicht mehr zu ändern war.

»Also schön«, überlegte er. »Das wirft unsere Pläne zurück. Sogar weit zurück.«

»Was tun wir jetzt?«, wagte Cedric zu fragen.

»Habt ihr nichts Besseres zu tun?«, herrschte Istartos unvermittelt die Kultisten an, die ihn immer noch wie gebannt anstarrten. Als hätten seine Worte einen Bann gebrochen, wandten sich die Scharen von Schwarzkutten wieder der Aufgabe zu, die Schätze der Bibliothek zu sichten. Erst dann machte sich der Dämon die Mühe, auf Cedrics Frage zu antworten.

»Wir müssen sie verfolgen. Das steht außer Frage. Der Junge ist wichtig und die Schriftrolle sogar noch wichtiger.«

»Es gibt noch ein Problem, um das wir uns kümmern müssen«, mischte sich Crevios vorsichtig ein.

»Was denn jetzt noch?« bellte Istartos ihn an.

»Gestern erhielt ich Nachricht von unseren Streitkräften, die dabei sind, die Kirche zu zerschlagen. Die Angriffe verlaufen in höchstem Maße zufriedenstellend. Die Kirche ist größtenteils handlungsunfähig und der Orden ist so gut wie am Ende. Bis auf …«

»Bis auf?« wollte Istartos ungeduldig wissen.

»Östlich von hier verschanzen sich noch eine bedeutende Anzahl Ordensritter und Priester in Banjandrova. Sie scheinen sich dort auf eine Belagerung vorzubereiten. Meine Truppen verfolgen die Flüchtlinge, aber die meisten werden es in die sicheren Mauern der Bergfestung schaffen. Man braucht eine erheblich größere Anzahl Truppen, um diese Burg zu erobern.«

»Ihr habt diese Nachricht gestern erhalten? Wann hattet Ihr vor, uns davon in Kenntnis zu setzen?«

»Dazu … gab es noch keine passende Gelegenheit.«

Idioten. Ich bin nur von Idioten umgeben.

»Na schön, dann zieht eine Armee zusammen und setzt sie nach Banjandrova in Marsch. Das dürfte doch nicht allzu schwierig sein.«

»Banjandrova ist eine beachtliche Festung, die nicht leicht zu nehmen sein dürfte«, wandte Cedric besorgt ein.

»Das ist mir egal. Habt Ihr nicht zugehört? Es ist mir egal, wie viele ihr Leben lassen, solange ich bekomme, was ich will. Und solange Agranon bekommt, was er will.« Er holte tief Luft. »Dem Orden und der Kirche darf es nicht erlaubt werden, auch nur eine einzige Machtbasis zu behalten. Seien es Klöster, Abteien, Kastelle oder Festungen. Zerstört sie alle. Jagd sie in alle Himmelsrichtungen davon. Tötet und vernichtet sie, wo ihr ihnen begegnet. Bin ich denn wirklich nur von Ignoranten umgeben? Solange der Kirche auch nur ein Ort bleibt, an dem sie sich sammeln und neu formieren kann, wird sie eine Bedrohung bleiben. Das kann nicht geduldet werden. Den Menschen muss ein für alle Mal klargemacht werden, dass die Kirche von Ariadne der Lichtbringerin nicht mehr existiert und nicht mehr existieren wird. Nie wieder.«

»Aber hat das nicht Zeit bis …«

»Nein, das hat es nicht. Zerstört Banjandrova und lasst dort keinen Stein mehr auf dem anderen.«

»Um Banjandrova zu nehmen, werden wir aber eine große Anzahl Truppen zusammenziehen müssen. Das würde uns an anderen Orten schwächen und unsere Linien stark überdehnen«, wagte Crevios zu bedenken.

»Völlig gleichgültig. Die Goblins werden Euch Truppen zur Verfügung stellen, so viel Ihr braucht. Sie haben einen fast unerschöpflichen Vorrat an Kriegern und auch den Willen, sie einzusetzen. Nehmt Banjandrova. Wie Ihr das anstellt, ist mir egal.«

»Ich werde mich selbst darum kümmern«, versprach Crevios und wollte schon auf dem Absatz kehrtmachen.

»Oh nein, Crevios«, widersprach Istartos. »Nein, nein, nein. Banjandrova ist wichtig. Keine Frage. Aber trotz allem ist es nur ein Nebenschauplatz dieses Krieges. Diese Aufgabe könnt Ihr auch einem Eurer Generäle übertragen. Für Euch selbst habe ich eine viel wichtigere Aufgabe.«

»Und welche?«

»Sammelt eine ausreichend große Truppe Eurer besten Gardisten und bringt mir Neirons Sohn – diesen Adrian – hierher. Und die Pergamentrolle. Tötet alle anderen, die sich in seiner Gesellschaft befinden. Damit solltet Ihr eigentlich fertigwerden.«

Crevios bemühte sich, so zu tun, als hätte er die Beleidigung im letzten Satz nicht gehört. Seine Augen verengten sich aber zu Schlitzen und verrieten seine Emotionen, vor allem gegenüber einem so geübten Beobachter, wie es Istartos war.

Innerlich schmunzelte der Dämon, wie leicht es doch war, diese Menschen zu provozieren. Sie waren wie Marionetten, mit denen er nach Belieben spielen konnte.

Nein, korrigierte er sich selbst, eher wie Schachfiguren, die er für das kommende Szenario in Position brachte, um seinem Gegner den Todesstoß zu versetzen. Und in diesem Fall war sein Gegner – oder besser gesagt seine Gegnerin – die Lichtgöttin Ariadne. Dieses Miststück.

»Sie könnten inzwischen überall sein«, sagte Crevios immer noch wütend. »Wo soll ich anfangen zu suchen?«

»Es gibt nicht mehr allzu viele Orte, an die der Junge fliehen kann. Die Kirche ist auf der Flucht und bald vom Antlitz dieser Erde verschwunden. Ihm gehen langsam die Verbündeten und die Optionen aus.« Ein gefährliches Lächeln umspielte seine Lippen, bei dem es Crevios eiskalt über den Rücken lief. »Und ich wette, ich weiß ganz genau, wohin er fliehen wird.«