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Nr. 2931

 

Kampf um Quinto-Center

 

Verräter in der USO – keiner weiß, woher sie kommen

 

Verena Themsen

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog: Zeit, zu sterben

1. Zeit der Ahnung

2. Zeit des Reisens

3. Zeit der Wahrheit

4. Zeit des Chaos

5. Zeit der Zweifel

6. Zeit der Wagnisse

7. Wendezeit

8. Zeit des Zorns

9. Zeit des Kampfes

10. Zeit des Übergangs

11. Endzeit

Leserkontaktseite

Glossar

Risszeichnung ZÜNDER

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Gut dreitausend Jahre in der Zukunft: Perry Rhodans Vision, die Milchstraße in eine Sterneninsel ohne Kriege zu verwandeln, lebt nach wie vor. Der Mann von der Erde, der einst die Menschen zu den Sternen führte, möchte endlich Frieden in der Galaxis haben.

Unterschwellig herrschen immer noch Konflikte zwischen den großen Sternenreichen, aber man arbeitet zusammen. Das gilt nicht nur für die von Menschen bewohnten Planeten und Monde. Tausende von Welten haben sich zur Liga Freier Galaktiker zusammengeschlossen, in der auch Wesen mitwirken, die man in früheren Jahren als »nichtmenschlich« bezeichnet hätte.

Besucher aus anderen Galaxien suchen Kontakt zu den Menschen und ihren Verbündeten; dazu zählen auch die Thoogondu aus der Galaxis Sevcooris. Einst waren sie in der Milchstraße beheimatet und haben nun den Wunsch geäußert, erneut Kontakt aufzunehmen. Gegenwärtig hält sich Rhodan in ihrem Goldenen Reich auf, wo er auch auf ein Splittervolk der Menschheit gestoßen ist: das Neue Solare Imperium.

In der Milchstraße dreht sich hingegen vieles um die Gemeni, die angeblich die Galaxis im Auftrag einer Superintelligenz gegen feindselige Kräfte sichern sollen. Inmitten all dieser Entwicklungen stand die United Stars Organization (USO) als galaxisweiter autarker Geheimdienst wie ein Fels in der Brandung. Doch ganz plötzlich entbrennt ein KAMPF UM QUINTO-CENTER ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Monkey – Der Lordadmiral verteidigt das Herz der USO.

Dolleringh Tempu – Die Haspronerin denkt quer.

Allard Schneider – Als »Nachtwächter« führt er den Kampf gegen die Schatten.

Airi Unger – Die Kommandantin der HARL DEPHIN hat einen Schnupfen.

Prolog

Zeit, zu sterben

 

Der USO-Mann zuckte zusammen, als der Alarmgeber an seinem Oberarm vibrierte. Hastig löschte er die Holoanzeige des Terminals, vor dem er stand. Nur die Leitstreifen auf den Wegen zwischen den wuchtigen Energieaggregaten ringsum und da und dort eine Kontrollleuchte durchbrachen die Dunkelheit.

Er lauschte.

Das allgegenwärtige Summen der Energieerzeuger erfüllte die hohe Halle. Irgendwo in der Ferne war das Rauschen eines Robotschwebers zu hören, schwoll an und klang dann wieder ab, als das Fahrzeug zu einem anderen Sektor des Peripheriedecks weiterglitt. Die Anspannung ließ den Mann die Kälte stärker spüren, die vom Stahl der Wände und Aggregatblöcke auszugehen schien. Sogar die Luft roch metallisch.

Erneut machte sich der Vibrationswarner bemerkbar.

Zwei kurz. Eins lang. Äußerer Überwachungskreis. Keine unmittelbare Gefahr, aber Vorsicht ist geboten.

In einem weiten Perimeter um das Terminal hatte er systematisch Sensorpunkte verteilt. Auf diese Weise wollte er verhindern, dass ihn jemand überraschte, während er in seine Arbeit vertieft war.

In den weitläufigen Decks im Außenbereich der Station bewegten sich normalerweise nur Roboter auf ihren berechenbaren Bahnen. Die Sensoren, die er verteilt hatte, sprachen aber ausschließlich auf die Kombination von Körperwärme, Bewegung und Zellschwingungen an. Entgegen aller Wahrscheinlichkeiten hielt sich also eine lebende Person in der Umgebung auf.

War man ihm auf der Spur? Oder war es nur Zufall? Ein Wartungsingenieur vielleicht, der etwas überprüfen wollte? Oder ein Pärchen auf der Suche nach einem stillen Eckchen?

Es kann nur Zufall sein, schoss es ihm durch den Kopf. Ich habe keinerlei Spuren hinterlassen, anhand derer sie mich aufspüren könnten; erst recht nicht hier. Trotzdem ... besser kein Risiko eingehen.

Er aktivierte die tiefer liegenden und nicht zur Standardausstattung gehörigen Kontrollen seines Armbandkoms, lotste den mikropositronischen Manipulator damit aus dem Inneren des Terminals und ließ ihn hinter einer Klappe seines Spezialgeräts verschwinden. Als er gerade im Licht einer kleinen Arbeitsleuchte die Abdeckplatte des Terminals wieder montierte, vibrierte es erneut an seinem Oberarm.

Drei kurz. Zwei lang.

Ein Prickeln setzte sich im Nacken des Mannes fest. Wer immer sich ihm näherte, tat das zwar nicht auf einer direkten Linie, aber er würde unweigerlich an diesem Ort vorbeikommen. Die Anordnung der Aggregate ließ keinen anderen Weg zu, wenn der andere seine Richtung beibehalten wollte.

Hastig schloss er die Arbeit ab, schaltete die Leuchte aus und wartete, bis seine Augen sich wieder an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Er hörte keine Schritte oder andere Geräusche, die auf die Annäherung eines anderen hindeuteten. Aber er brauchte Deckung.

Er hätte hinter einem der Aggregate verschwinden können, aber das hatte den Nachteil, dass er den anderen nicht so ohne Weiteres beobachten konnte. Sein Blick blieb stattdessen an einem der massiven Stahlträger hängen, die in regelmäßigen Abständen schräg vom Boden bis hinauf zur hundert Meter höheren Decke verliefen. Unterwegs verzweigten sie sich, lehnten sich auf Stützen und waren mit Querstreben untereinander verbunden. Sie bildeten eine Art stählernes Netz.

Er sprang auf den nächsten Träger und ging ihn ein Stück hinauf. Seine Erinnerung trog ihn nicht. Nur wenige Meter weiter stieß von der Seite ein anderer Stahlträger heran. Dieser führte zwischen zwei Metallblöcken hindurch in die Gegend, aus der sein Verfolger kommen musste.

Der Mann von der USO wechselte auf den zweiten Träger und schob sich an ihm hoch, bis er eine Position erreicht hatte, von der aus er den Weg vor dem Terminal beobachten konnte. Ein erneutes Vibrieren am Arm ließ ihn reglos verharren.

Unvermittelt stanzte ein breiter Lichtkegel einen Teil des Durchgangs unter ihm aus der Dunkelheit. Das Licht wanderte hin und her, beleuchtete einen Energieverteiler, ein Gestell voller Versorgungsrohre, einen zwanzig Meter hohen Aggregatwürfel voller Spalten und Nischen, in die der Schatten floh. Es kehrte zum Boden zurück und streifte den Wartungsschacht mit dem Terminal, an dem bis vor Kurzem noch der USO-Mann gearbeitet hatte.

Die Lichtquelle kam in den Sichtbereich des Wartenden. Die Gestalt, vor deren Brust sie saß, war nur als schwarzer, leicht geduckt über den Weg gleitender Schemen zu erkennen. Sie war humanoid, aber kleiner als ein Durchschnittsterraner. Die Richtung des Lichtkegels bestimmte sie mit geschmeidigen Bewegungen des Oberkörpers, während die Hände am Gürtel ruhten, bereit zu reagieren. Der Kopf war nicht immer zum Lichtkegel gerichtet. Der Schemen starrte stattdessen die meiste Zeit bewusst in die Dunkelheit.

Das ist kein Ingenieur. Es muss ein Spion sein! Ist er hinter mir her? Bin ich verraten worden? Aber ... wer weiß von meinem Einsatz?

Er presste die Lippen zusammen. Nein, sie konnten nichts von ihm wissen. Es hätte sonst einfachere Wege gegeben, ihn zu fassen. Bestenfalls konnte ein vager Hinweis den schemenhaften Spion hergeführt haben, eine Ahnung, wo jemand Zugriff auf das Netz nehmen könnte. Oder er patrouillierte lediglich, und das Zusammentreffen war reiner Zufall.

Der Schemen blieb an dem Terminal stehen und aktivierte es. Wohl um die Kontrollen nicht zu überstrahlen, nahm er die Lampe von der Brust und stellte sie neben sich auf den Boden. In ihrem Licht verrieten die typischen ausgeprägten Augenwülste ihn als Ferronen. Er trug schwarze, eng anliegende Kleidung, die nur Gesicht und Hände freiließ. Mit schnellen Bewegungen schnippte er sich durch einige Menüs des Holoterminals.

Der Mann auf dem Träger lächelte in sich hinein. Nein, so leicht würde der andere die Manipulation nicht bemerken. Dafür hätte er ein Spezialist sein müssen ... ein Spezialist wie er selbst.

Der Ferrone desaktivierte die Kontrollen und trat einen Schritt zurück. Etwas knirschte unter seinem Stiefel. Sofort hob er den Fuß wieder und sah zu Boden.

In dem USO-Mann schrillte eine Alarmglocke. Genau dort, wo der Ferrone seinen Fuß hingesetzt hatte, hatten die Abdeckstifte der Terminalabdeckung gelegen. Hatte er in der Eile vergessen, sie alle einzusetzen?

Der Spion machte Anstalten, sich nach dem Grund für das Geräusch zu bücken.

Falls er die Abdeckung anschaut und tatsächlich ein Stift fehlt, weiß er, dass sie unbefugt geöffnet wurde ...

Er musste handeln – und das, obwohl sein Spezialgebiet die Technik war, und nicht der Kampf. Er verfluchte sich dafür, keinen Paralysator mitgenommen zu haben. Aber noch hatte er den Vorteil der Überraschung.

Während der Ferrone einen weiteren Schritt zurücktrat und sich bückte, schob der USO-Mann sich ein Stück weiter vor, glitt über dem Spion vom Träger und ließ sich fallen.

Der andere musste etwas gehört oder einen Schatten gesehen haben. Im letzten Moment warf er sich zur Seite. Die Faust des USO-Mannes fuhr dicht am Schädel des Gegners vorbei, während sie gemeinsam zu Boden gingen.

Der Spion packte die Jacke des USO-Mannes, doch der stieß seinen Kopf in Richtung Nase des anderen und rammte ihm zeitgleich sein Knie in den Leib. Als der Griff des Spions sich lockerte, riss er sich los und rollte zur Seite. Ungezielt trat er in die Richtung des Gegners. Im letzten Moment spürte er die zupackende Hand, riss den Fuß wieder zurück und federte hoch.

Weg! Im direkten Nahkampf bist du unterlegen!

Er sah den anderen vom Boden her auf sich zuspringen und wich zur Seite aus. Etwas schepperte. Der Lichtkegel kippte zur Seite, leuchtete nur noch die Unterseiten einiger Aggregate aus.

Der Gegner blieb in Bewegung. Mehr aus einer Ahnung heraus duckte der USO-Mann sich unter einem Tritt hindurch, fintierte und rannte in die Gegenrichtung. Er bog um eine Ecke, sprang und packte ein Rohr. Mit einem Ruck zog er sich auf eine Versorgungsgalerie und machte sich ganz flach. Sofort schob er sich wieder zurück in die Richtung, aus der er gekommen war. Still blieb er liegen, lauschte und spähte zwischen zwei Rohren hindurch auf den Weg hinunter.

 

*

 

Das Pochen seines Herzens ertränkte alle anderen Geräusche. Die Lungen brannten ihm. Aber das alles war nicht wichtig, wenn es um das Überleben und die Mission ging.

Der Ferrone kam in sein Blickfeld. Er mied das Licht der Bodenstreifen nicht. Mitten auf dem Weg blieb er stehen und hob einen weiß schimmernden Fleck hoch.

Den USO-Mann durchfuhr es heiß. Das war eine seiner Sonden!

»Du bist aufgeflogen«, sagte der Ferrone. »Komm raus und stell dich, dann wird mein Chef vielleicht nachsichtig sein.«

Der USO-Mann presste die Lippen zusammen. Selbst wenn deiner es wäre, wäre meiner es nicht.

Der Ferrone hatte inzwischen den anderen Arm angewinkelt und versuchte offensichtlich, seinen Multikom per Sprachsteuerung zu aktivieren, ohne den Blick von der Umgebung zu nehmen. Der USO-Mann lächelte schmal.

Hältst du mich für einen Anfänger? Selbstverständlich habe ich die üblichen Frequenzen im unmittelbaren Umfeld meines Arbeitsplatzes gestört. Du musst schon weitergehen, wenn du wieder Empfang haben willst ...

Der Ferrone trat einen Schritt vor, dann noch einen. Der USO-Mann fixierte seinen Gegner und betätigte eine Taste an seinem Armbandkom.

Die Sonde in der Hand des Spions explodierte in einem kurzen, blendenden Blitz, der allerdings keinen großen physischen Schaden anrichten konnte. Im gleichen Moment stieß der USO-Mann sich ab und sprang seinen Gegner von schräg hinten an.

Der Spion schrie überrascht auf, während sie erneut zu Boden gingen. Aber dieses Mal behielt der USO-Mann die Oberhand. Der Spion landete halb auf dem Bauch, halb auf der Seite, mit seinem Gegner rittlings auf ihm sitzend. Der USO-Mann griff nach der Waffe des Gegners. Er riss daran, doch nichts tat sich.

Im Holster gesichert!

Sein Gegner bäumte sich auf, warf sich herum und riss den USO-Mann mit sich. Pfeifend entwich die Luft aus dessen Lunge, und für einen kurzen Moment wurde ihm schwarz vor Augen. Dann schoss ihm Schmerz durch den Arm, als der andere ihn packte und auf den Bauch warf. Ein Klicken, dann ein Kitzeln an der Schläfe, das ihm verriet, dass die Waffe seines Gegners dicht davor hing.

»Weißt du nicht, dass unsere Waffen auf uns geprägt sind?«, zischte der Ferrone. »Nur der Besitzer kann die Waffe auslösen. Und in meiner Einheit ist sogar der Holsterverschluss kodiert, damit Idioten wie du uns nicht ohne Weiteres entwaffnen können.«

Der USO-Mann ächzte. War es vorbei? War das der Moment zum Sterben? Nervös ließ er die Zungenspitze über seine Zähne gleiten.

Der andere ließ ihn los und trat zurück. »Langsam aufstehen! Lass deine Hände dabei da, wo ich sie sehen kann. Glaub nicht, dass ich zögere, dich zu paralysieren.«

Stöhnend, die Hände weit zur Seite gestreckt, arbeitete der USO-Mann sich auf die Knie. Taumelnd stand er auf. Er musste nicht einmal viel spielen – der Kampf hatte ihn mitgenommen. Seine Lunge und jeder Muskel seines Körpers schmerzten, sein Herz raste, und als seine Zungenspitze über seine Lippen fuhr, nahm sie den Geschmack von Blut auf. Er war die Anstrengung nicht gewohnt.

»Hände weiter hoch, aber schön auseinander lassen. Jetzt umdrehen!«

Wieder gehorchte er. Es war sein Glück, dass der andere offensichtlich keine Lust hatte, seinen paralysierten Körper durch die Gegend zu schleppen. Oder war ihm nur daran gelegen, seine Macht auszukosten?

»Nimm ganz langsam dein Armband ab und wirf es weg!«

Der USO-Mann nickte, um seinen Gehorsam anzuzeigen, führte die Hände sehr langsam vor dem Körper zusammen und löste den Verschluss des Bandes. Er ließ es zu Boden fallen, doch der Blick seines Gegenübers folgte dem Gerät nicht. Der USO-Mann seufzte.

Langsam, mit nach vorne weisenden Handflächen, hob er wieder die Arme. Unvermittelt knickte er die rechte Hand so weit zurück, wie es ging.

Er spürte den Mikronadler unter der Haut zünden. Er biss die Zähne zusammen, als die Nadel seine Haut punktierte und das Geschoss am Handballen vorbei auf den Schatten zujagte. Sein Gegner konnte im schwachen Licht nicht sehen, was auf ihn zukam, bis es zu spät war.

Ein Ächzen.

Die Waffe des Ferronen sank abwärts. Tränenwasser sickerte über die Wange unterhalb des Auges, durch das die Mikronadel eingedrungen war. Das Gesicht des Spions zeigte noch das Erstaunen, das er im Moment des Treffers empfunden haben musste.

Der Ausdruck vereiste unvermittelt. Der USO-Mann zuckte ein wenig zusammen. Er wusste, dass in diesem Augenblick – von außen ungehört und ungesehen – eine Explosion im Gehirn seines Gegners stattgefunden hatte.

Ohne einen weiteren Laut von sich zu geben, brach der Ferrone zusammen.

Der USO-Mann senkte den Kopf und atmete durch. Er war blass geworden.

»Es tut mir leid«, sagte er, »Aber ich konnte nicht zulassen, dass du unsere Arbeit sabotierst. Zu viel Vorbereitung steckt darin, und wir stehen zu dicht vor dem Ziel, als dass wir Rückschläge tolerieren könnten. Ich wünschte, ich hätte dich nicht töten müssen ... aber du warst zu gefährlich, und das Ziel ist zu wichtig.«

Er kehrte zum Terminal zurück, in dem tatsächlich ein Stift fehlte, setzte ihn ein und bereinigte seinen Fehler. Sorgfältig beseitigte er alle Spuren ihres Kampfes. Das Multikom des Toten blinkte.

21. November 1551, 10:30 TSZ, informierte ihn die Anzeige, und: Anruf von der ISR-Zentrale.

Textnachrichten ließ sein Störsender passieren, aber das hatte der andere nicht gewusst – und selbst wenn, hätte er keine Gelegenheit gehabt, eine zu verfassen und zu senden.

Er kniete neben seinen Gegner, warf einen kurzen Blick auf das Namensschild an der Uniform des Toten, desaktivierte seinen Störsender und rief mit einem Tippen zurück.

»Jonin hier«, sagte er mit heiserem Tonfall. »Was ist los?«

»Schneider hier«, drang eine Stimme aus dem Akustikfeld. »Wir haben einen kurzen Impuls von Ihrem Alarmgeber empfangen. Ich wollte prüfen, ob bei Ihnen alles in Ordnung ist.«

Der Mann richtete sich unwillkürlich auf. Schneider! Der Oberkommandierende der Nachtwache persönlich!

»Alles in Ordnung, Chef«, sagte er, noch immer krächzend. »Aber diese verdammte Borianische Netzgrippe scheint mich erwischt zu haben. Ich hatte gerade einen Niesanfall und muss dabei aus Versehen den Impulsgeber berührt haben. Ansonsten keine besonderen Vorkommnisse.«

Einen Moment schwieg sein Gegenüber. Dann: »Melden Sie sich in der nächsten Medoabteilung. Ich habe jemand anderen zu Ihrer Patrouille eingeteilt.«

»Danke, Chef. Soll ich auf die Ablösung warten?«

»Nicht nötig. Sie müssen schnell wieder auf dem Damm sein.«

Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Mannes. »Danke. Ich melde mich, sobald ich voll dienstbereit bin.«

Er schaltete ab und legte den Multikom zurück auf den Körper des Toten. Dann nahm er Jonins Hand mit dem Kombistrahler. Er schaltete die Waffe auf Desintegratormodus und löste die Leiche und all ihre Ausrüstung systematisch auf. Niemand durfte zu diesem Zeitpunkt Verdacht schöpfen, dass etwas nicht in Ordnung war. Ein Toter aber würde sofortigen Alarm verursachen – insbesondere, wenn Reste des fremdartigen Projektils im Gehirn des Toten gefunden würden.

Schließlich waren nur Hand und Teile des Armes sowie die Waffe selbst übrig.

Er wickelte alles in seine Jacke. Später würde er alles in einen Konverter geben, der aus Abfällen feinstaublichen Brennstoff für die Daellian-Meiler erzeugte, die das Hauptquartier der USO mit Energie versorgten.

»Es tut mir wirklich leid«, murmelte der Mann erneut. »Aber du und ich, wir wissen, dass manchmal der Auftrag über allen menschlichen Regungen stehen muss. Und meine Tarnung muss nur noch einen Tag halten. Dann ist alles vorbei, und Quinto-Center gehört uns.«

1.

Zeit der Ahnung

 

»QuinTech Dolleringh Tempu.«

Die angesprochene Haspronerin machte sich in ihrem Sessel unwillkürlich etwas kleiner, als sie ohnehin schon war. Sie löste den Blick von den beiden ausgeprägten Falten in der dunklen Haut ihres Gegenübers, die von seinen Nasenflügeln in einem Bogen an seinen Mundwinkeln vorbei bis fast zum Kinn verliefen und den reglosen, niemals lächelnden Mund betonten. Sie sah hoch und begegnete dem kühlen Blick des völlig kahlen Terraners, mit dem sie hatte sprechen wollen.

Der weiße, nur mit zweckmäßigen Möbeln aus dunklem Holzimitat eingerichtete und ansonsten völlig schmucklose Büroraum machte sie nervös. Insbesondere der wuchtige Schreibtisch zwischen ihr und ihrem Gegenüber fühlte sich für sie wie eine riesige Barriere an. Selbst die geruchlose und eine Spur zu kühle Luft wirkte abweisend.

Wenn sie sich selbst gegenüber ehrlich war, lag ihre Nervosität allerdings vor allem an Kommandant Pomeroy.

»Die bin ich«, bestätigte sie und unterdrückte erfolgreich das Meckern in ihrer Stimme.

Unwillkürlich strich sie mit den vierfingrigen Händen über die aus ihrem kurz gehaltenen dunkelbraunen Kopffell herausragenden Knochenkämme. Manche Terraner hatten diese Schädelstrukturen bei ihren ersten Begegnungen mit Haspronern für grazile, eng am Kopf anliegende Hörner gehalten.

Weil Terraner weiterhin – und wohl auch wegen der behaarten Beine und der Hufe – dazu neigten, Hasproner mit Ziegen zu vergleichen, stutzte Dolleringh wenigstens ihren Kinnbart und achtete auf ihre Stimme. So blieben die Assoziationen gering, solange die Leute nicht auf die unter der Hose ihrer QuinTech-Uniform hervorschauenden Hufe sahen.

Sie persönlich hielt den Vergleich mit den Faunen terranischer Mythen für deutlich treffender. Auf jeden Fall war er schmeichelnder.

»Sie arbeiten in der Abteilung KC-III?«

Dolleringh nahm sich ein Herz und rutschte auf ihrem cremeweißen Sitz nach vorne. Sofort passte die Oberfläche sich ihrer neuen Sitzhaltung an, stützte sie sanft und unauffällig auf ergo-optimierte Art.

Sie hasste diese Stühle. Sie ließen der Kreativität der Unvernunft keinerlei Freiraum. Außerdem schoben sie bei ihren Anpassungen immer wieder den Stoff ihrer Arbeitskleidung in der falschen Richtung über das Beinfell. Ieks.

Dolleringh blinzelte. Sie musste aufhören, sich ständig ablenken zu lassen.

»Ich arbeite seit siebzehn Jahren in KC-III mit Coco J-Acht zusammen. Ich habe bei Coco J-Achts Ausbildung mitgeholfen, als ich noch in KC-I war, der Entwicklungsabteilung der Kontra-Computersektion. Ich sollte dann eigentlich zu KC-II, aber dann fiel Argus Makvil aus, und weil ich Coco – so nenne ich Coco J-Acht, für mich ist sie wie eine Freundin –, also, weil ich Coco schon so gut kannte, sichte ich jetzt Innendaten mit ihr zusammen anstatt die Daten aus der Milchstraße auf maßgebliche kreuzvergleichsrelevante Unwahrscheinlichkeiten zu untersuchen ...«

Sie stockte, räusperte sich und kratzte ihre Nasenrillen. »Aber das wissen Sie sicher alles. Und eigentlich ist es gar nicht wichtig.«

»Doch, das ist es«, erwiderte Nester Pomeroy. »Als Kommandant kenne ich zwar jede Abteilung von Quinto-Center, aber ich kenne beileibe nicht jeden Spezialisten, QuinTech und sonstigen Angestellten, die hier arbeiten oder ausgebildet werden. Jemanden über sich selbst sprechen zu hören hilft mir also dabei, eine neu in mein Sichtfeld gekommene Person schneller einzuschätzen.«

»Oh. Ich glaube, ich verstehe. Sowohl das, was ich sage, als auch das, was ich auslasse, verrät etwas über mich, und daraus wiederum ergibt sich ein Bild meiner Glaubwürdigkeit. Also gut – was möchten Sie noch wissen?«