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Carolin Schairer

KÜSSE
MIT ZUKUNFT

Roman

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ISBN (eBook) 978-3-89741-974-2
ISBN (Print) 978-3-89741-404-4

© eBook nach der Originalausgabe
© 2017 Copyright Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach/Taunus
Alle Rechte vorbehalten
Covergestaltung: Atelier KatarinaS / NL
unter Verwendung des Fotos »Herz aufs Herz von Miss X«,
© Copyright Miss X / photocase

Ulrike Helmer Verlag
Neugartenstraße 36c, D-65843 Sulzbach/Taunus
E-Mail: info@ulrike-helmer-verlag.de

www.ulrike-helmer-verlag.de

Inhalt

Flughafen Kastrup, Dänemark

Marriot Hotel, Brüssel

Kopenhagen, Christianshavn

In der Nähe von Leibnitz, Südsteiermark

Wiener Hofburg, European Congress of Neurology

Wien, achtzehnter Bezirk

Universitätsklinik für Neurologie, Graz

Kopenhagen, Nyhavn

Wien, achtzehnter Bezirk

Wien, Spittelberg

Kopenhagen, Christianshavn

Berlin, Westin Grand Hotel

Flughafen Kopenhagen-Kastrup und Christianshavn

Kopenhagen, Fredriksberg

Barcelona, Crown Plaza Hotel

In der Nähe von Leibnitz, Südsteiermark

Rasmussen Pharma, Büroviertel Messe Wien

Wien, achtzehnter Bezirk

Wien, zweiter Bezirk

Wien, achtzehnter Bezirk

Christianshavn, Kopenhagen

Amagar Strand, Kopenhagen

Wien, siebter Bezirk

Kopenhagen, Christianshavn

In der Nähe von Leibnitz, Südsteiermark

Orestad, Kopenhagen

Kopenhagen, Christianshavn

Wien, achtzehnter Bezirk

Wien, siebter Bezirk

Kopenhagen, Vesterbro

London, Soho

Flughafen Kastrup, Dänemark

Stoßstange an Stoßstange. Die Schlange von Taxis, deren Fahrer Flugreisende am Flughafen Kopenhagen-Kastrup absetzen wollten, schob sich nur langsam voran.

Herbst, die Hochsaison der Geschäftsreisenden. Ich hätte es wissen müssen.

Lisbeth Jacobsen, die in einem der Taxis saß, rutschte nervös auf der Rückbank hin und her. Ein schneller Blick auf die Uhr sagte ihr, dass es verdammt knapp werden würde. Möglicherweise würde sie ihren Flug nach Brüssel verpassen.

Sicher, Lotta, die Abteilungssekretärin, würde einen neuen Flug buchen. Vielleicht war noch ein Platz auf einem der Nachtflieger frei. Oder ganz früh morgens. Das Abendessen mit den europäischen Kollegen würde eben ohne sie stattfinden. Sie würde das verschmerzen können. In den elf Jahren, in denen sie für das Unternehmen arbeitete, hatte sie wirklich mehr als genug dieser Abendessen erlebt, bei denen sich die Konversation fast ausschließlich um Firma und Branche drehte, Klatsch und Tratsch inklusive.

Was ihr leichtes Kopfweh bereitete, war die Tatsache, dass Lotta natürlich an Personalbüro und Chefetage melden müsste, dass sie den Flug verpasst hatte. Das schrieb die Betriebsvereinbarung nun mal so vor. Sie würde sich rechtfertigen müssen, sicher vor dem Personalchef und vor Thorben Hilsted, ihrem direkten Vorgesetzten. Vielleicht dränge die Sache sogar bis zu Jasper Lund, der erst vor wenigen Wochen die Geschäftsführung übernommen hatte, sich aber seinen Ruf als Sparefroh bereits in früheren Positionen der Firma erarbeitet hatte.

Sie hatte mit ihm und vier weiteren Kollegen ein Großraumbüro geteilt, kurz nachdem sie als Junior-Produktmanagerin eingestiegen war. Lund und sie hatten das gleiche Alter; ihre Schreibtische waren lediglich durch eine hölzerne Sichtbarriere voneinander getrennt gewesen. Er war damals noch Praktikant, aber als Sohn des Firmengründers genoss er eine beispiellose Sonderbehandlung. Kopieren? Lästige Anrufer abwimmeln? Besprechungen vorbereiten? – Keine Tätigkeiten für Papas Sohn. Mit diesen Aufgaben wurde plötzlich sie betraut, trotz Studienabschluss und Arbeitserfahrung. Lund junior hingegen durfte mit den Kollegen aus Übersee am Telefon über Marketingstrategien plaudern. Nicht einmal sein Englisch war damals überzeugend gewesen, und das trotz seines Auslandsstudiums an der amerikanischen Ostküste. Nach zwei Monaten war der Spuk vorüber gewesen: Japser setzte sein Betriebswirtschaftsstudium fort, und alle in der Abteilung atmeten erleichtert auf.

Bis zum letzten Tag hatte er nur mit der Chefin kommuniziert – die anderen Kollegen im Büro waren für ihn Luft. Wie sehr, war Lisbeth am vorletzten Tag seines Praktikantendaseins klargeworden, als er mit Telefon am Ohr und großen Augen in die Runde fragte: »Da will jemand eine Lisbeth Jacobsen sprechen. Arbeitet die hier?«

Wie auch immer. Nun war er ihr Chef. Und mittlerweile kannte er auch ihren Namen, davon war sie überzeugt, obwohl ihr nun das Gegenteil lieber gewesen wäre. Auch wenn Lund vor einem Jahr noch als Marketing-Leiter in England eingesetzt gewesen war, zweifelte sie nicht daran, dass man ihn über die Causa Jacobsen/Christiansen informiert hatte.

Das Eis, auf dem sie balancierte, war dünn. Und wenn sie nicht wollte, dass es unter ihr brach, sollte sie diesen Flug wohl besser erwischen, um nicht erneute Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Endlich. Terminal 2, Haupteingang. Lisbeth drückte dem Taxifahrer drei Scheine in die Hand und schob, als sie an seiner Miene sah, dass sie das Trinkgeld nicht miteinkalkuliert hatte, noch einige Münzen nach. Ihren Trolley hinter sich herzerrend, hastete sie geradewegs auf die Tür zu. Sie stand bereits mitten im Drehkreuz, als ihr bewusst wurde, dass sie vergessen hatte, sich eine Quittung geben zu lassen.

430 Kronen aus ihrem eigenen Budget. Kein Einreichen in den Spesen möglich.

Es blieb keine Zeit, um sich lange damit aufzuhalten. Mit angehobenem Trolley drängte sie sich an einer Gruppe japanischer Touristen auf der Rolltreppe links vorbei, während sie gleichzeitig in den Tiefen ihrer geräumigen Handtasche nach dem eben noch schnell ausgedruckten Boardingpass tastete. Sie fühlte ihren Lippenstift, das Brillenetui, den Plastiksack mit den Kosmetika … ihre Geldtasche … den Ausweis … und Papier.

Hah! Zum Glück.

Im Endspurt rannte sie mit dem ratternden Koffer den Gang entlang zur Handgepäckskontrolle. Als sie die Menschenschlange sah, die sich in Serpentinen zu den Schaltern schlängelte, hielt sie abrupt inne. Es gab kein Vorbeikommen, keine Möglichkeit, sich vorzudrängeln. Dazu standen die Menschen zu dicht und die uniformierten Ordnungshüter blickten zu grimmig.

Resigniert reihte Lisbeth sich am Ende der Schlange ein. Der Sprint vom Taxi quer durch den Terminal und nach oben zu den Abflügen war vergebens gewesen. Ihre Füße schmerzten in den engen hohen Schuhen. Sie schwitzte unter ihrem Mantel. Ihre Kehle war trocken.

In Gedanken sah sie sich bereits bei Human Resources im Büro sitzen und erklären, weshalb sie diesen schon so lange im Voraus gebuchten Flug nicht pünktlich erwischt hatte.

Wunderbar. Ganz wunderbar.

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Rund drei Stunden Verspätung! Die Anzeigetafel offenbarte in nüchternen weißen Ziffern auf schwarzem Grund die unabänderliche Tatsache, dass sie noch mehr Zeit auf diesem Flughafen würde verbringen müssen. Die Aussicht auf ein kurzes Nickerchen während des Fluges und eine anschließende warme Dusche im Hotel rückten in weite Ferne.

Marlene Brunner unterdrückte ein Seufzen. Wenn sie zumindest irgendwo ein gemütliches Café entdeckt hätte. Auf den poppig gestalteten Treff mit Bubble Tea und Zuckergussglasur-Cookies links neben dem Duty-Free-Shop, dessen rockige Hintergrundmusik ihr schon aus der Entfernung Kopfschmerzen bereitete, hatte sie genauso wenig Lust wie auf das Bistro mit der Bier- und Hamburger-Werbung dahinter.

Sie sehnte sich nach einer ruhigen Ecke, nach Möglichkeit auch mit einem Glas guten Rotwein. Nebenbei wollte sie ihre Mails checken, sich mit dem neuen Laptop vertraut machen, im Firmenintranet surfen. Und vor allem wollte sie die schwere Tasche, die an ihrer rechten Schulter zerrte, endlich einmal abstellen. Das Gepäck hatte sie zum Glück aufgegeben. Nicht dass sie dieses Mal eine andere Option gehabt hätte. Kleidung und Schuhwerk für eine Woche ließen sich nicht mehr in einen handgepäckstauglichen Koffer pressen.

Dabei war es ihre eigene Entscheidung gewesen, zwei Stunden vor dem geplanten Abflug hier zu sein. Sie war nun einmal keine Freundin von Last-Minute-Hetze. Pünktlichkeit war ihr schon immer wichtig gewesen. In der alten Firma belustigten sich die Kollegen regelmäßig über ihr Zeitmanagement, das üppige Puffer einschloss. Bei Rasmussen Pharma, wo sie erst vor einer Woche begonnen hatte, war ihr Wunsch, früh zum Flughafen aufzubrechen, anstatt noch mit den Kollegen in der Kantine zu essen, mit Erstaunen aufgenommen worden.

Ich möchte noch shoppen, hatte sie erklärt – und von den Kolleginnen etwas neidische, von den männlichen Kollegen amüsierte Blicke geerntet. Sie hatte bewusst darauf verzichtet, ihre großzügigen Zeitpolster zu thematisieren. Vor den neuen Kollegen wollte sie nicht gleich wieder pedantisch erscheinen.

Außerdem war sie nach der zweieinhalbtägigen medizinischen Einführungsschulung in der Konzernzentrale, die für Neuzugänge in ihrer Position obligatorisch war, sehr froh, einen Nachmittag Ruhe vor Small Talk in englischer Sprache und dem wohl unumgänglichen Fachkauderwelsch zu haben.

Zum wiederholten Male drehte sie ihre Runde durch den Duty-Free-Shop, vorbei an dem Geschäft mit den furchtbaren grellen Regenjacken, vorbei an den Porzellanwaren von Royal Copenhagen, vorbei am Curry-Imbiss. Kurz blieb sie vor dem Büchergeschäft stehen, ließ ihren Blick über die englischsprachige Literatur schweifen. Nichts, was sie genug interessierte, um ihr Ablenkung zu verschaffen von den ständigen Durchsagen, vorbeieilenden Menschen, dem ganzen Getümmel am Flughafen, von den vielen neuen Eindrücken der letzten Tage, vom turbulenten vergangenen Jahr.

Lounge.

Sie schnappte das Wort von einem Herren im Anzug auf, der unmittelbar hinter ihr lautstark und mit hartem norddeutschem Einschlag in sein Smartphone sprach. Was sie aus den kurzen Gesprächsbrocken heraushörte, war, dass er sich nun dorthin begeben wollte, um in Ruhe arbeiten zu können.

Prinzipiell eine gute Idee.

Wieso war ihr das nicht selbst eingefallen? – Irgendwo in diesem Terminal musste es ja einen Aufenthaltsraum geben, den sie auch ohne Platinum-Flugmeilenkarte oder Business Ticket nutzen konnte.

Die Laptop-Tasche hing inzwischen wie ein Stück Blei an ihrem Arm. Entnervt fragte sie am Informationsschalter nach der Lounge. Es gab zwei, die sie dank ihrer Kreditkartenfirma besuchen konnte; sie wählte bewusst die kostenpflichtige, die hoffentlich weniger frequentiert war als ihr Gratis-Pendant.

Die Lounge übertraf ihre Erwartungen. Kein steriles Flughafen-Flair, sondern gemütliche Sofas, gedämmtes Licht und gerahmte Fotografien dänischer Landschaften an den Wänden. Im Hintergrund leise Klaviermusik aus dezent platzierten Lautsprechern. Auf der anderen Seite des architektonisch raffiniert unterteilten Raumes dagegen Schreibtische, einige Apple- Computer, zahlreiche Steckdosen, Drucker und sogar ein Kopiergerät. Im dritten Bereich lockte ein Restaurantbetrieb mit weiß eingedeckten Tischen.

Marlene entschied sich für einen Platz in einer der Sofaecken. Dankbar stellte sie die Tasche mit Unterlagen und Laptop ab und rieb sich die Schulter. Mails checken konnte sie etwas später immer noch. Erst einmal entspannen.

Sie griff nach der Getränkekarte. Ein Cola zum Einstieg, später vielleicht ein Glas Wein. Sie sah sich wartend um.

Der einzige Kellner, den sie erblickte, stand hinter der Bar und war damit beschäftigt, einen stählernen Cocktailmixer bedrohlich hin- und herzuschwenken.

SELF SERVICE TILL 5.00 P.M.

Erst jetzt entdeckte sie den kleingedruckten Vermerk auf der Karte. Okay, das erklärte, weshalb sich die wenigen Besucher, die es in diesem Bereich gab, an der Bar drängten.

Sie schob ihre Laptop-Tasche unter den Mantel und gesellte sich an die Bar.

»One Cola light, please.«

Während sie auf ihr Getränk wartete, nahm sie aus den Augenwinkeln wahr, wer auf dem Barhocker links neben ihr saß: ein sportlich wirkender Mittfünfziger, graumeliertes Haar, dezent gebräunt. Kein langweiliger Krawattenträger im grauen Anzug, sondern ein souverän wirkender Mann in Jeans und Pulli mit Markenemblem. Ein Mann mit teuer aussehenden italienischen Designer-Schuhen an den Füßen und einem gewinnenden Lächeln im Gesicht.

Seine Gestik, seine Mimik, selbst seine angenehme, volle Stimme – er erinnerte sie unwillkürlich an Alexander.

Der Mann sprach Englisch mit unüberhörbarem US-amerikanischem Zungenschlag. Wenn er lachte, zeigten sich über seinen Mundwinkeln tiefe Grübchen. Im Unterschied zu Alexander, der meistens recht ernst wirkte.

Sie wollte nicht zu ihm hinsehen, tat es aber doch. Verstohlen. Er war genau ihr Typ. Ein Mann, der nicht viel tun müsste, um sie ins Bett zu bekommen, dem sie schon nach kurzer Zeit voll und ganz vertraute, dem sie womöglich sogar ihr Ja-Wort gab – und der sie dann knapp sieben Jahre später wegen einer Jüngeren verließe. Irgendeiner vollbusigen Pharmareferentin, die auf hochhackigen Schuhen in sein Büro stolziert war.

Komm runter, Marlene. Was geschehen ist, ist geschehen. Und dieser smarte Charmeur neben dir ist nicht dein Ex-Mann.

Ein Flirt. Vielleicht ein klitzekleiner Flirt bei Cola und Wein, einer, der ihr nach all der schmerzhaften, erkenntnisreichen Zeit, die hinter ihr lag, das Gefühl geben würde, lebendig und begehrenswert zu sein. Sie bliebe an der Bar stehen, würde langsam ihr Cola trinken, auf eine günstige Gelegenheit warten, das Gespräch mit ihm suchen …

Moment. Denkfehler.

Der Mann neben ihr war bereits mitten in einem anregenden Gespräch, das ihm ganz offensichtlich auch eine gewisse Herausforderung bot. Er flirtete schamlos mit der Blondine, die links von ihm auf dem Barhocker saß, gelegentlich an ihrem Rotwein nippte und aufgrund ihrer angespannten Körperhaltung in Marlenes Augen nicht wahnsinnig euphorisch wirkte, was seine Gesellschaft betraf.

Die vollbusige Pharmareferentin, wegen der Alexander auf Scheidung bestanden hatte, war auch blond. Allerdings im Gegensatz zu dieser Frau künstlichblond.

Wie auch immer.

Warum flogen diese Männer so auf Blondinen? Was war so verkehrt an einer Frau wie ihr, mittelgroß, schlank, mit rotbraunen vollen Locken, auf die sie immer stolz gewesen war? Einer Frau, die in jeder Gesellschaft eine gute Figur machte, die sich präsentieren konnte, ohne affektiert zu wirken? Eine, deren fachspezifisches Wissen über angelernte Marketing-Phrasen hinausreichte, die Studien lesen und hinterfragen konnte und eine wirklich adäquate Gesprächspartnerin für Ärzte von Alexanders Format war. Keine sechsundzwanzigjährige Publizistikabsolventin, die erst vor einem halben Jahr die staatliche Pharmareferentenprüfung knapp geschafft hatte und nur Dank Vitamin B bei dieser Generika-Firma untergekommen war, um ihr dann den Ehemann wegzuschnappen.

»Your Coke, Miss.«

Miss. Wie schmeichelhaft.

Immerhin schien sie zumindest der junge Barkeeper nicht automatisch in der Altersklasse seiner Urgroßmutter einzuordnen. Mit achtunddreißig Jahren als Miss zu gelten, tat gut.

Vielleicht sollte sie einem Gespräch mit dem Typen doch eine Chance geben? Ein kleiner Flirt würde sie von Alexander ablenken, ihr wieder Selbstvertrauen geben.

Sie schielte zu der blonden Frau, die immer noch die gesamte Aufmerksamkeit des Mannes auf sich zog. Sie war von zierlicher Statur, hatte feine, ebenmäßige Gesichtszüge, grüne Augen, schmale, blasse Lippen. In ihrem dunklen, tailliert geschnittenen Business-Kostüm war sie eine äußerst elegante Erscheinung. Eine Frau, die auf sich achtete. Der zweite Blick ließ Marlene ihr Urteil etwas revidieren: Der graue Lidschatten am rechten Auge war verschmiert, die Lidstriche wirkten leicht asymmetrisch und die Aufsteckfrisur schien sich allmählich aufzulösen. Ein paar wellige Strähnen hingen bereits lose nach unten und fielen ihr immer wieder ins Gesicht. Unwillkürlich fiel Marlenes Blick auf die Hand, die das Weinglas hielt. Kein Ehering und sehr kurze Fingernägel ohne Nagellack.

Unwillkürlich betrachtete sie ihre eigenen gepflegten Hände. Seit sie den Ehering abgelegt hatte, trug sie wieder jene zwei schmalen goldenen Opal-Ringe, die sie sich selbst von ihrer ersten Prämie gekauft hatte. Ihre Nägel waren perfekt und glänzten unter dem durchsichtigen Nagelhärter. Marlene zählte sich selbst nicht zu diesen aufgetakelten Damen, die ihr im Außendienst so oft begegnet waren, doch wenn sie mit Tablet oder Foldern vor den Ärzten hantierte, fiel deren Blick schließlich zunächst auf ihre Hände. Grund genug, auf tadellose Maniküre zu achten.

OMG. Der Typ wird wirklich direkt. Auf charmante Art direkt, aber eben direkt …

Marlene hatte das Kompliment, das er seinem Gegenüber soeben gemacht hatte, nur halb mitbekommen. Seine Körpersprache sprach hingegen Bände. Er näherte sich der blonden Frau immer mehr an, berührte wie zufällig ihren Arm.

Für einen kurzen Moment stellte Marlene sich vor, wie sich seine Hand auf ihrer nackten Haut anfühlen würde …

»Oh, Darling, hier bist du ja endlich!«

Sie begriff erst, dass sie gemeint war, als sich Arme um ihren Nacken schlangen – die Arme der blonden Unbekannten. Schon drückten sich die Lippen der Frau auf die ihren – warme, unglaublich weiche Lippen, die nach Rotwein schmeckten.

Zu überrascht, um zu reagieren, ließ Marlene den Kuss einfach geschehen.

»Joe, entschuldigen Sie mich.« Die Unbekannte bedachte den Alexander-Verschnitt mit einem zuckersüßen Lächeln. »Meine Freundin ist jetzt hier. Wir wollen ein bisschen Zeit für uns. – Gute Heimreise! Bye!«

»O…okay. Ebenfalls … bye.«

Joe wirkte nicht minder überrascht als Marlene selbst. Das Gespräch, das weiterhin auf Englisch geführt worden war, ließ aufgrund der Wortwahl keine Fragen offen: Girlfriend hatte die Blondine gesagt, deren Arm sich nun besitzergreifend um ihre Taille legte. Nicht friend im Sinne von platonischer Freundin. Wenn der Kuss Joe noch nicht in die Flucht geschlagen hatte – spätestens durch diese klare Ansage hatte er wohl jegliches Interesse verloren. Und das nicht nur an der Frau, sondern auch an ihr, Marlene.

Kein Flirt, kein Hype für das angekratzte Ego, dafür aber eine Begleiterin, die ihr jetzt ungefragt in Richtung Sofaecke folgte und sich unmittelbar neben ihr niederließ.

»Sorry.« Die Unbekannte warf einen kurzen Blick über die Schulter in Richtung Bar. Joe raffte soeben seinen Rucksack und seine Jacke zusammen und verschwand aus ihrem Blickfeld. »Ich hatte keine andere Wahl. Er wurde aufdringlich.«

»Und wenn ein Mann aufdringlich wird, stürzen Sie sich auf die nächstbeste Frau und ziehen diese Lesben-Show ab?«

Marlene hatte die Sprache wiedergefunden. Es fiel ihr schwer, ihr Unverständnis und den aufkeimenden Ärger zu verbergen. Sie sollte hier mit Joe, dem charmanten Designschuhträger sitzen, nicht mit dieser etwas fahrig wirkenden Blonden, die sich zum wiederholten Male eine ihrer losen Haarsträhnen aus dem Gesicht strich.

»Es bot sich gerade an, und mir fiel nichts anderes ein. – War es denn so schlimm?«

Die Fremde hatte den Kopf schief gelegt. Ein zaghaftes Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. Marlene war noch immer zu verstimmt, um es zu erwidern.

»Sie finden diesen Mann aufdringlich, der lediglich mit Ihnen geredet hat, und ich persönlich finde es absolut dreist, dass Sie mich aus dem Nichts heraus küssen. – Dabei sollten wir es jetzt belassen. Nachdem Ihr Verehrer jetzt weg ist, können Sie zurück an die Bar.«

Die Fremde blieb sitzen und streckte ihr die Hand entgegen.

»Lisbeth Jacobsen. – Tut mir leid, wenn ich Sie verärgert habe. Das war nicht meine Absicht.«

Marlene unterdrückte ein Seufzen. Sie war nicht gut darin, die gekränkte Zicke zu spielen. Vielleicht war es ohnehin besser, dass ihr ein Flirt mit diesem Joe versagt geblieben war. Womöglich hatte er nicht nur äußerlich Ähnlichkeit mit Alexander.

Sie nahm die Hand, die sich ihr entgegenstreckte, und sagte: »Marlene Brunner. Damit Sie wissen, wie Ihre Liebhaberin heißt.«

Lisbeth Jacobsens Lächeln vertiefte sich.

»Darf ich Sie auf ein Glas Wein einladen, um mein schlimmes Verhalten wieder gut zu machen?«

»Das dürfte schwierig werden, nachdem sämtliche Getränke im Eintrittsgeld für diese Lounge bereits enthalten und deshalb for free sind.«

Lisbeth lachte hell auf. Marlene betrachtete mit leichter Faszination, um wie viel jünger diese Frau wirkte, wenn sie lachte. Zuvor hatte sie sie auf ihr Alter geschätzt – Ende dreißig, vielleicht auch etwas älter. Nun wirkte sie fast wie eine unbefangene junge Studentin. Lediglich die kleinen Falten um die Augen verrieten Marlene, dass sie mit ihrer ersten Schätzung wohl der Realität näher kam.

»Wir könnten anderswo hingehen. Ich lade Sie ein. Als Entschädigung.«

»Danke, nein. Ich möchte wirklich nichts anderes, als in dieser wunderbaren dunklen Sofaecke bleiben.«

»Oh, ich verstehe. Sie möchten mit mir ungestört sein.«

Lisbeth zwinkerte ihr zu.

Du lieber Himmel, was wird das? Flirte ich jetzt tatsächlich mit einer Frau?!

Ihr Gegenüber schien sich offenkundig zu amüsieren.

Marlene legte ihren leisen Groll endgültig ad acta. Wer auch immer diese Lisbeth Jacobsen war – sie schien humorvoll und unterhaltsam. Warum sollte sie nicht ein bisschen Spaß haben, ehe auf sie in den nächsten drei Tagen wieder eine Menge trockener, ernster Themen zukam. Sie würde ein wenig herumplänkeln, auf rein platonischer Basis natürlich, und sich auf diesen spaßigen Flirt einlassen, soweit es ihre Sprachkenntnisse zuließen. Während ihr Fachenglisch erstklassig war, rang sie im Alltag gelegentlich um die passenden Worte.

Ihre Gesprächspartnerin, die dem Namen nach wohl Dänin war, schien mit Eloquenz keine Probleme zu haben.

»Entspannen Sie sich. Wenn ich Sie schon nicht einladen kann, werde ich uns zumindest etwas zu trinken organisieren. – Ist Rotwein okay?«

Marlene griff nach der Getränkekarte.

»Nur, wenn ich ihn aussuche.«

Sie ließ ihren Blick über die offenen Weine schweifen. Neben einem fränkischen Roten standen hauptsächlich Spanier und Franzosen zur Auswahl. Kein österreichischer Wein. Sie wählte einen Vino Tinto, von dem sie glaubte, dass er einen gewissen Qualitätsanspruch erfüllen würde, und wartete, bis Lisbeth Jacobsen mit zwei Gläsern zurück an den Tisch kam.

Sie stießen an.

»Auf meine wunderschöne Freundin«, sagte Lisbeth und sandte ihr ein engelsgleiches Lächeln entgegen.

Marlene grinste amüsiert.

»Sie machen das sehr gut. Fast könnte man glauben, Sie haben wirklich Übung im Flirten mit Frauen.«

»Oh, ich habe Übung. Nur mit Frauen, um präzise zu sein.«

Lisbeth Jacobsen lächelte sie offen an, und Marlene begriff.

Oh … okay. Also keine Lesben-Show, sondern Reality.

Marlene schluckte.

Interessant. Das also ist eine echte Lesbe? Sehen die im Fernsehen nicht immer wie Kerle aus?

Meine Güte, seit wann dachte sie in solchen Klischees? Peinlich berührt, griff sie erneut nach ihrem Weinglas und nahm einen tiefen Schluck.

»Sind Sie aus Deutschland?«

Ihr Gegenüber schien ihre Verlegenheit nicht zu bemerken – oder bewusst zu übergehen.

»Österreich.«

»Wir können gern auch Deutsch sprechen«, erwiderte Lisbeth Jacobsen in genau dieser Sprache. Fast fehlerlos, grammatikalisch einwandfrei und nur mit leichtem Akzent. »Fremdsprachen liegen mir.«

»Ich gebe zu, Sie überraschen mich von Minute zu Minute mehr. Perfektes Englisch, perfektes Deutsch …«

»Vergessen Sie das perfekte Küssen nicht!«

Marlene lachte.

»Bist du eigentlich immer so?«

Sie konnte diese Frau angesichts ihres lockeren Geplänkels nicht mehr länger siezen.

»Wie denn?«

Sie sahen sich an. In Lisbeths Augen tanzte der Schalk.

»So …« Marlene machte eine ratlose Geste. »Ich meine, wir kennen uns überhaupt nicht.« Genauer gesagt, sprechen wir noch nicht einmal eine halbe Stunde miteinander. Ich kann mich wirklich nicht erinnern, jemals mit irgendjemandem zuvor derartige Dialoge geführt zu haben. »Normalerweise macht man sich auf andere Weise bekannt, oder? Zumal … ich meine, ich flirte nicht mit Frauen. Ich bin heterosexuell.« Du lieber Himmel, was rede ich da eigentlich?

Sie fühlte Lisbeths Hand auf der ihren.

»Das ist nichts, wofür man sich schämen müsste«, hörte sie ihr Gegenüber mit übertriebenem Pathos in der Stimme sagen. »Viele Menschen stehen heutzutage zu ihrer Heterosexualität. Ich habe einige Heterosexuelle in meinem Bekanntenkreis und wirklich kein Problem damit. Wenn du darüber sprechen willst – ich bin jederzeit für dich da.«

Marlene fühlte, wie ihr das Blut in den Kopf stieg. Sie hatte das verdient, eindeutig. Mit resigniertem Seufzen ließ sie sich zurück ins Sofa sinken.

»Tut mir leid. Ich rede dummes Zeug. Ich wollte nicht … ich meine … ich …«

»Psst. Kein Stress.« Lisbeth hatte den Abstand zwischen ihnen verringert. Sie legte zwei Finger auf Marlenes Lippen. »Ich will meine wunderschöne neue Freundin ja nicht überfordern.«

Marlene lächelte matt. Ihr Blick fiel auf Lisbeths Hand, die inzwischen von den Lippen auf den Oberschenkel hinabgeglitten war. Lisbeth, der ihr kritischer Blick nicht entging, zog die Hand zurück.

»Wir können auch über etwas anderes reden«, schlug sie vor. »Diese normalen Dinge. Wo komme ich her, wo kommst du her, was machst du beruflich, was sind deine Hobbys …«

»Okay. Woher kannst du so gut Deutsch?« Lisbeth setzte bereits zu einer Antwort an, als es sich Marlene plötzlich anders überlegte. Es war doch nur eine Flughafen-Bekanntschaft, eine Fremde, deren Wege sich zufällig für einige Stunden mit dem ihren kreuzten. Warum ihr also so persönliche Fragen stellen? »Nein, nein. Warte. Lass mich raten. Du bist Dolmetscherin. Du fliegst auf irgendeine langweilige, staubtrockene EU-Konferenz nach Brüssel und dolmetschst zwischen den Deutschen und den Dänen, und wahrscheinlich geht es um ein sehr wichtiges Thema wie die Krümmung der Bananen oder darum, welches Gemüse zum Anbau zugelassen ist. Du wohnst in Kopenhagen. Du verdienst nicht schlecht, deshalb kannst du dir einen sanierten Altbau leisten, nicht weit vom Stadtzentrum … kein Außenbezirk. In deiner Freizeit reist du gerne. Du hast einige Zeit in den USA verbracht, und dein Deutsch hast du weder in Österreich noch in Süddeutschland perfektioniert. Du bist Single. Aber du hast ein Haustier … vermutlich eine Katze.« Marlene lehnte sich mit verschränkten Armen zurück. »Und? Wie war ich? Liege ich richtig?«

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Lisbeth wusste selbst nicht, was in sie gefahren war: Erst überfiel sie diese fremde Frau mit einem Kuss, jetzt saß sie hier mit ihr und flirtete auf Hochtouren. Im Grunde war Joe, der US-Amerikaner an der Bar, nur eine willkommene Ausrede für ihr Tun. In ihrem Leben hatte es viele Joes gegeben – Männer, mit denen sie ein lockeres, unverfängliches Gespräch begann und die ihr kurze Zeit später Avancen machten. Bisher war sie noch jeden Verehrer auf galante Weise losgeworden, ohne sich küssend auf die nächstbeste Frau zu stürzen.

Diesmal war es anders. Sie hatte Marlene schon eine Weile heimlich beobachtet, während sie noch mit Joe sprach: schlank, mittelgroß, eine Frau mit in sich ruhender Ausstrahlung. Ihr Haar war ein echter Blickfang: eine kastanienbraune Lockenmähne, die ihr offen weit über die Schultern fiel. Es duftete leicht nach Pfirsich, sie hatte das Shampoo oder auch die Pflegespülung gerochen, als sie die Fremde auf ihre vollen Lippen küsste.

Zu einer hellgrauen, schlichten Businesshose trug Marlene einen dunkelgrünen Samtblazer, tailliert geschnitten. Sie mochte Goldschmuck, das war eindeutig. Die Ringe an ihren Fingern, der dazu passende Armreif, die in Gold gefassten Perlenohrringe und eine grobgliedrige auffällige Halskette machten daraus kein Geheimnis.

Dass diese Frau eindeutig auf Männer stand, war auf den ersten Blick klar gewesen – zumal sie ihren Gesprächspartner angestarrt hatte, als wäre er ein unwiderstehliches Dessert. Sie wusste, zumindest ein Hauch von schlechtem Gewissen hätte sie plagen sollen, weil sie Marlene durch ihre dreiste Aktion um den Flirt mit ihm gebracht hatte. Doch stattdessen fühlte sie eine leise Genugtuung: Immerhin war sie es jetzt, die mit dieser interessanten, attraktiven Frau hier saß, nicht dieser Joe.

»Lisbeth? War das zu viel?«

Die besorgt klingende Stimme riss Lisbeth aus ihren Gedanken. Ach ja, Marlenes Einschätzung zu ihrer Person. Witzig, wie richtig sie mit einigen Punkten lag. Zugleich wollte ihre neue Bekannte den Ball anscheinend flach halten: nicht zu viel persönliche Details. Lisbeth verstand das – sie waren sich schließlich noch immer fremd und würden sich wohl kaum je wieder über den Weg laufen, andererseits bedauerte sie es auch ein wenig. Sie hätte Marlene gerne besser kennengelernt, heterosexuell hin oder her.

»Kannst du hellsehen?«, nahm Lisbeth den lockeren Faden wieder auf. »Ja, ich fliege tatsächlich auf eine staubtrockene Konferenz nach Brüssel und, ja, es geht wirklich um Zulassungen, unter anderem … mit Obst und Gemüse hat es allerdings nichts zu tun. – Wie kommst du darauf, dass ich Single bin?«

»Würdest du sonst wildfremde Frauen küssen?«

»Für einige ist das kein Hindernis.«

»Und für dich?«

Marlenes Blick ruhte auf ihr. Interessiert, abwartend.

Lisbeth fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.

»Ich habe noch nie jemanden betrogen«, sagte sie schließlich. »Du?«

»Gilt ein Kuss als Betrug?«

Lisbeth riss die Augen auf.

»Du meinst … jetzt vorhin …«

»Beruhig dich.« Marlenes Hand streifte ihren Arm. Eine angenehme, fast vertraute Berührung. »Ich bin geschieden und mehr Single, als ich es in meinem ganzen bisherigen Leben war. – Außerdem: das eben zählt wohl wirklich nicht, selbst wenn es anders wäre. Ich war schließlich ein passives Opfer.«

»Bist du normalerweise eher der aktivere Part?« Lisbeth hatte beschlossen, wieder zum lockeren Geplänkel überzugehen.

»Tja, das wirst du wohl nie erfahren.« Marlene grinste amüsiert.

»Wer weiß? – Nachdem ich dich nun mit einem Kuss auf den Geschmack gebracht habe, wäre ich da nicht mehr so sicher.«

»Nun übertreib mal nicht. Ein kleiner Kuss auf die Lippen hebt nicht gerade meine Welt aus den Angeln, Schätzchen.«

In diesem Moment ritt Lisbeth der Teufel. Was gab es schon zu verlieren? – Sie verringerte den Abstand zu Marlene, zog sie an sich und küsste sie zum zweiten Mal an diesem Tag – diesmal richtig. Der erwartete Widerstand blieb aus. Ein Kuss ohne Zunge, aber ein Kuss.

Sie lösten sich voneinander und sahen sich eine ganze Weile stumm an. Lisbeth konnte Marlenes Blick nicht deuten. War es Verwirrung, die in ihren Augen stand? Zumindest war es keine Abscheu.

Lisbeth richtete sich auf.

»Ich … hole uns was zu trinken. Denselben Wein nochmal?«

Marlene strich sich durch ihr offenes Haar.

»Ein zweites Glas verkrafte ich nicht auf nüchternen Magen. Ich habe seit dem Frühstück nichts mehr gegessen.«

»Dann hole ich uns dazu Fingerfood vom Buffet.«

Als Lisbeth mit einem Teller zurückkam, standen bereits zwei volle Weingläser am Tisch.

»Dim-Sum, Wantan-Taschen, Prosciutto mit Melone, Oliven … ich war mir nicht sicher, was du willst, deshalb habe ich von allem etwas genommen.«

»Keine Sorge, ich bin kulinarisch sehr aufgeschlossen.«

Einer der kleinen Mozzarella-Tomaten-Spieße wanderte in Marlenes Hand.

»Nur kulinarisch oder auch in anderer Hinsicht?« Lisbeth legte den Kopf schief. Lass das, ermahnte sie sich selbst. Übertreib es nicht.

Marlene hörte einen Moment lang auf zu kauen und starrte sie nur an. Dann wischte sie sich mit der Serviette über den Mund und schob den Holzspieß zurück auf den Teller.

»Gehört dazu nicht ein bisschen mehr als ein Quantum Aufgeschlossenheit?«

»Zum Beispiel was?«

»Einstellung. Eine gewisse Neigung. Was weiß ich. Ehrlich gesagt, ich hatte noch keinen Grund, mich damit auseinanderzusetzen. Frauen haben mich in dieser Hinsicht nie interessiert.«

Lisbeth schluckte den letzten Bissen der chinesischen Teigtasche hinunter. Sie konnte es einfach nicht lassen. Diese Frau weiterhin zu necken, war mehr als nur reizvoll.

»Bis heute.«

»Das ist eine äußerst gewagte Aussage. – Ich finde es nett, hier zu plaudern, aber …«

Lisbeth ließ sie ihren Satz nicht vollenden.

»Du hast es selbst gerade gesagt: Frauen haben dich bisher nicht interessiert. Vergangenheitsform.«

Marlene schüttelte schmunzelnd den Kopf.

»Deine Deutschkenntnisse sind wirklich außergewöhnlich gut.«

»Ja, fast so gut wie meine Küsse, nicht wahr?«

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Marlene fühlte sich warm und leicht, frei und zugleich benommen. Es war wie ein Rauschzustand, der weniger mit den drei Gläsern Wein zusammenhing, die sie inzwischen getrunken hatte, als mit der Person dicht neben ihr. So sehr sie sich auch gegen ihre verwirrenden Empfindungen zu wehren versuchte, indem sie sich immer wieder gewaltsam in Erinnerung rief, dass es eine Frau war, von der sie sich während ihres amüsanten, verbalen Schlagabtauschs wie zufällig am Arm und am Oberschenkel berühren ließ, so sehr genoss sie dennoch die Situation, in die sie da gänzlich unerwartet geraten war.

Lisbeth Jacobsen besaß nicht nur Humor, sondern auch Charme. Sie war witzig, eloquent und ohne Zweifel gebildet. Marlene war sich mittlerweile ziemlich sicher, dass Joe die uninteressantere Bekanntschaft dargestellt hätte. Inzwischen war ihr auch klar, dass sie zumindest mit zwei weiteren Vermutungen richtig gelegen hatte: Lisbeth wohnte tatsächlich zentrumsnah in Kopenhagen und sie hatte eine Perser-Katze mit dem klangvollen Namen Miss Marple.

Marlene wiederum hatte Lisbeth von ihrer neu bezogenen Altbauwohnung in Wien erzählt und ihrer Leidenschaft für gutes Essen und guten Wein. Die Scheidung von Alexander, der Grund, weshalb sie ihren Arbeitgeber wechselte und bei einer neuen Firma anfing, Jakob und die Kinder – das waren keine Themen für die Unterhaltung mit einer Frau, die sie danach nie wiedersehen würde. Und auch grundsätzlich kein Gesprächsstoff, der zu der Heiterkeit passte, die sie spätestens seit dem zweiten Wein vom Kopf bis zu den Zehenspitzen erfüllte.

Sie hatte sich gerade bequem zurückgelehnt und lauschte versonnen Lisbeths spritzigen Ausführungen über die Touristenboote, die durch die Kopenhagener Kanäle schipperten und die sie von ihrem Wohnzimmerfenster aus beobachten konnte, als Norah Jones sie aufschrecken ließ. Ihr Privathandy. Es gab nicht viele Möglichkeiten, wer sich hier meldete.

Hastig kramte sie das Smartphone aus der Tasche.

»Marina? Was ist los?«

Wollte sie noch einmal fünfzehn sein? – Sicher nicht. Das Auf und Ab eines Teenagerlebens war wohl noch schlimmer als jede Scheidung. Zumindest schlimmer als ihre Scheidung, die im Großen und Ganzen ohne üble Streitigkeiten verlaufen war. Sie sprach Marina eine Weile gut zu, verwies dann aber auf die Tatsache, dass sie unterwegs war, und schloss mit den Worten: »Reden wir am Wochenende nochmal darüber, okay?«

»Kommst du?«

Marlene unterdrückte ein Seufzen. Sie hatte nicht vorgehabt, nach einer Woche auf Dienstreise in die Steiermark zu fahren, aber was blieb ihr anderes übrig?

»Ja. Aber erst am Samstagnachmittag. Früher schaffe ich es nicht.«

Das Handy landete wieder in der Tasche.

»Alles okay?«

Sie fühlte Lisbeths Blick auf sich ruhen. Und nicht nur ihren Blick. Lisbeths Hand lag erneut auf ihrem Oberschenkel. In diesem Moment empfand sie die Berührung allerdings als ungemein tröstlich.

»Meine Nichte«, erklärte sie knapp. »Ein verliebter Teenager und ein Vater, der mit der Launenhaftigkeit und den Wünschen seiner pubertierenden Tochter nicht umgehen kann.«

»Und eine Tante, die offenbar den Status einer besten Freundin genießt.«

Lisbeth lächelte sie aufmunternd an. Marlene erwiderte ihr Lächeln, fand sich selbst dabei aber nicht sehr überzeugend. Sie hatte vorgehabt, sich am Wochenende mit Susanne zu treffen, einer Freundin, die sie schon lange nicht mehr gesehen hatte. Außerdem wollte sie in die neue Chagall-Ausstellung, und vor allem wollte sie auf dem Sofa liegen und entspannen, während sie sich nebenbei durch die zahlreichen Unterlagen wühlte, die sie bei der Schulung bekommen hatte. Doch stattdessen erwartete sie nun familiäre Krisenbewältigung.

»Hej.« Lisbeth war dicht an sie herangerutscht. Marlene fühlte die Wärme ihres Körpers, roch ihr blumiges Parfum. In Lisbeths Augen stand Sympathie, eine Herzlichkeit, die sie selten an einem Menschen bemerkt hatte, und aufrichtige Besorgnis.

Als sich Lisbeths Lippen diesmal ihrem Mund näherten, wich Marlene nicht zurück. Der Kuss war ihr mehr als nur willkommen. Gerade brauchte sie diese intime Berührung. Sie konnte Lisbeths Überraschung darüber fühlen, dass ihr Mund nicht verschlossen blieb. Ein wohliger Schauer lief durch Marlenes Körper, als sich ihre Zungen schließlich berührten. Impulsiv legte sie den Arm um die andere Frau und drängte sich ihr entgegen.

Keine kratzigen Bartstoppel. So weich.

Sie verlor jegliches Zeitgefühl. Küsste und küsste. Genoss die Nähe der Anderen. Doch dann hörte sie Lisbeth leise stöhnen, und dieses Stöhnen schoss einen unsichtbaren Blitz zwischen ihre Beine und in ihren Unterleib. Hitze, die sich wie ein Feuer in Marlene ausbreitete. Ihr Herzschlag, der sich beschleunigte.

Aufhören. Aufhören!

Die drängende innere Stimme überlagerte ihre Empfindungen. Sie brach den Kuss ab, wich zurück.

Lisbeth lächelte sie verhalten an.

Mit einem Mal fühlte Marlene die Blicke der Männer um sie herum, die auf sie aufmerksam geworden waren.

Oh geil, Lesben.

Sie konnte sich unschwer vorstellen, was in deren Phantasie gerade fortgesetzt wurde. Eilends erhob sie sich, griff nach ihrer Handtasche.

»Toilette«, sagte sie knapp und ließ Lisbeth sichtlich verdutzt zurück.

In der Abgeschiedenheit der Kabine hielt sie ihre heiße Stirn gegen die kalte Fliesenwand.

Was zum Teufel ist nur mit mir los?

War sie sexuell etwa schon so ausgehungert, dass sie auf alles reagierte, was ihr körperlich nahe kam? Sogar auf eine Frau?

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So war das nicht geplant. Nicht einmal daran gedacht hatte sie. Lisbeth wartete mit klopfendem Herzen und ineinander verschränkten Händen auf Marlenes Rückkehr.

Wow. Wow. Wow. Was für ein Kuss!

Stell dir vor, ich saß am Flughafen und wartete auf meinen Abflug, da kam diese heterosexuelle Frau und küsste mich fast besinnungslos … und wenn ich die Möglichkeit gehabt hätte, wäre ich sofort mit ihr auf ein Zimmer verschwunden und hätte den ersten One-Night-Stand meines Lebens gehabt.

Sie sah sich diese Geschichte im Geiste Merle erzählen, ihrer Schwester, und hörte auch schon deren Antwort.

Oh Lisbeth! Verzettle dich nicht schon wieder, du weißt doch …

Ja ja. Sie wusste sehr gut, wie leicht sie zu Fehlinterpretationen und Wunschträumen neigte. Wie es war, sich zu verzetteln, und Monate später immer noch dafür zu büßen. Merle brauchte ihr das nicht zu sagen, und daher würde sie ihr auch nie von Marlene aus Österreich und den Küssen am Flughafen erzählen.

Heterosexuell. One-Night-Stand.

Damit war ohnehin schon alles gesagt. Kein vielversprechender Auftakt für eine wunderbare Liebesgeschichte mit Langzeitwirkung.

»Der Flieger ist jetzt zum Boarding bereit. Wir müssen dann wohl.« Marlene war zurückgekommen. Sie schlüpfte umstandslos in ihren Mantel und griff nach ihrer Laptoptasche.

Flieger. Boarding. Ah ja. Ihr eigener Flug – fast hätte Lisbeth den Grund, weshalb sie überhaupt hier saß, vergessen. »Ich sollte wohl auch mal einen Blick auf die Abflüge werfen«, sagte sie vage. An Marlenes sachlichem Tonfall hatte sie bereits erkannt, dass der Zauber des Augenblicks vorüber war. »Der Flieger nach Brüssel müsste allmählich ja zum Einsteigen bereit sein …«

»Ist er. Dein Flug ist auch mein Flug.«

Es dauerte, bis Lisbeth begriff.

»Du fliegst auch nach Brüssel? – Davon hast du gar nichts gesagt.«

»Du hast nicht gefragt.«

Während Lisbeth ihren eigenen Mantel, die Handtasche und den Trolley einsammelte, tippte Marlene auf ihrem Handy herum. »Wäre wohl besser, ich sage den Leuten, dass bei dieser Verspätung das gemeinsame Abendessen ohne mich stattfindet«, murmelte sie.

Ach ja. Das Abendessen.

Sie hatte es ganz vergessen.

»Ich hätte eigentlich auch ein Abendessen«, entfuhr es ihr. »Aber ich vermute mal, dass meine Abwesenheit ohnehin nicht wahnsinnig ins Gewicht fällt.«

Sogleich biss sie sich auf die Lippen.

Too much information.

»Ich bin erst seit vergangener Woche in der Firma«, erklärte Marlene. »Das ist das erste offizielle Meeting mit meinen Kollegen. Da möchte ich doch noch einen guten Eindruck machen, zumindest aus der Ferne.«

»Ich bin schon seit elf Jahren in meiner Firma«, erwiderte Lisbeth, erleichtert darüber, dass Marlene ihre unvorsichtig geäußerte Bemerkung nicht weiter hinterfragte. »Der erste Job in Dänemark nach dem Studienabschluss.«

»Und vorher?«

Marlene sah sie interessiert an, während sie gemeinsam die Lounge verließen.

»Ein Jahr bei einer Eventagentur in Hamburg, dann eineinhalb Jahre im Eventmanagement einer großen Filmproduktionsfirma in Hollywood.«

»From Hollywood back to Copenhagen.«

»Sozusagen.«

Lachend fanden sie sich beim Abflugsteig ein. Das Boarding war bereits in vollem Gange.

Lisbeth kramte ihren Boardingpass aus ihrer Handtasche; Marlene hielt den ihren bereits in der Hand.

»Wo sitzt du?«

»Sechs F. – Du?«

Lisbeth unterdrückte ein Seufzen. Diese Frau war wirklich organisiert. Rechtzeitiges Einchecken, guter Platz, pünktliches Erscheinen am Flughafen. Ganz das Gegenteil von ihr selbst.

»Dreiundzwanzig B.«

Sie reihten sich in die Schlange der Passagiere ein.

»Vielleicht können wir ja mit jemandem tauschen. Dann könnten wir nebeneinander sitzen«, schlug Lisbeth vor und ärgerte sich selbst darüber, wie zaghaft und unschlüssig ihre Stimme klang.

»Dreiundzwanzig B? Mittelplatz? – Den Menschen möchte ich kennenlernen, der seinen Platz im vorderen Teil des Flugzeugs mit dir tauscht!«

Marlene lachte über ihre eigenen Worte.

Ihr Lachen schnitt Lisbeth ins Herz, aber sie wusste nur zu gut, dass ihre neue Bekanntschaft recht hatte. Und benachbarte Sitze ihr offenbar egal waren. Sie passierten die Lichtschranke.

Lisbeth blieb stehen.

Sei kein Feigling. Sag etwas!

»Das waren wirklich außergewöhnliche Stunden für mich, Marlene. Ich hatte viel Spaß … mit dir. So viel Spaß wie schon lange nicht mehr.«

»Ich auch.« Marlene lächelte, doch auf Lisbeth wirkte ihr Lächeln diesmal etwas verkrampft.

Sei kein Feigling, sei kein Feigling …

»Du bist eine faszinierende Person, du bist offen und warmherzig«, Lisbeth holte tief Luft. »Du bist eine grandiose Küsserin … und ich möchte dich wiedersehen. Bitte, sag nicht nein.«

Sie konnte sehen, wie das Lächeln im Gesicht ihres Gegenübers einfror.

Marlene sagte nicht nein. Sie sagte: »Lisbeth. Du bist nett und wirklich unterhaltsam. Aber wie schon gesagt, bin ich an Männern interessiert. Ich sehe in einem Wiedersehen also nicht wirklich einen Sinn. Es waren schöne Stunden. Lass sie uns als solche im Gedächtnis behalten.«

Lisbeth nickte nur stumm.

So war das also. Natürlich. Küsse ja, Interesse nein.

»Na dann. Lebe wohl.«

Sie setzte ihren Weg ins Innere des Flugzeugs fort, gefolgt von Marlene. Kein einziges Mal mehr drehte sie sich nach ihr um und war stolz auf ihre Disziplin und Haltung.

Erst als sie auf ihrem Sitz zwischen einem übergewichtigen Osteuropäer und einer penetrant nach Schweiß riechenden älteren Dame Platz genommen hatte, wischte sie sich eine kleine Träne aus dem Augenwinkel. Eine Träne der Enttäuschung oder eine Träne der Wut über ihre eigene Dummheit? – Sie konnte sich die Frage selbst nicht beantworten.

Marriot Hotel, Brüssel

Marlene ließ ihren Blick durch den voll besetzten Frühstücksraum schweifen, ohne genau zu wissen, nach was oder wem sie eigentlich Ausschau hielt. Die Marketing-Kollegen kannte sie schließlich noch nicht. Und vom Department für Research und Development, wo sie in den vergangenen Tagen ihre Einschulung in die Produkte erhalten hatte, würde diesmal niemand dabei sein.

Sie hatte Thorben Hilsted, der auf europäischer Ebene für das Marketing verantwortlich war, ihre Verspätung per SMS mitgeteilt und von ihm ein sachliches, knappes SEE YOU TOMORROW. 8.30 A.M. zurückbekommen. Das waren keine persönlichen Worte, aber was sollte er auch sonst schreiben? – Bisher hatten sie lediglich zwei, drei formelle Mails ausgetauscht, die sich in erster Linie auf ihre Teilnahme an dieser Tagung bezogen. In die personelle Besetzung der österreichischen Key-Account-Stelle, die sie nun bekleiden sollte, war er vermutlich nicht maßgeblich eingebunden worden. Human-Resources-Agenden waren bei einem Unternehmen dieser Größenordnung in der Regel noch Ländersache – zumindest, wenn es nicht um die Besetzung des Geschäftsführerpostens ging.

Entgegen ihren sonstigen Gewohnheiten auf Tagungen gönnte sie sich an diesem Morgen ein üppiges Frühstück mit Rührei, Speck, Semmeln und im Anschluss daran eine Schale Müsli. Das Fingerfood vom Vorabend hatte nicht lange vorgehalten.

Sie hatte in dieser Nacht schlecht geschlafen. Der Rotwein, von dem sie wohl doch etwas zu viel konsumiert hatte, die fremde Umgebung, die Aussicht, am nächsten Tag mit rund zwanzig neuen Kollegen auf einmal konfrontiert zu werden – es hätte viele Gründe für ihre Schlaflosigkeit gegeben. Doch wenn sie ehrlich zu sich selbst war, musste sich eingestehen, dass dies alles Ausreden waren. An Weinkonsum war sie als Tochter eines Winzers nun wirklich gewöhnt, und es war nicht das erste Mal in ihrem Leben, dass sie bei einer neuen Firma begann. Auch in Hotelbetten schlief sie mehrmals pro Monat, und dies seit fünfzehn Jahren.

Was sie wirklich wachhielt, war der Gedanke an Lisbeth Jacobsen – allerdings weniger an die Person selbst, sondern die Gefühle, die sie in ihr ausgelöst hatte. Korrekter ausgedrückt: das Gefühl. Singular.

Denn im Grunde hatte sie die Plauderei mit ihr zwar genossen, aber das wirklich Bestürzende an dieser Begegnung war die Lust, die sie dabei in sich entdeckt hatte. Lust, Begierde, sexuelle Erregung – wie auch immer man es nennen wollte, das Gefühl war dasselbe. Dieser dritte Kuss, in den sie sich so bereitwillig hatte fallen lassen, hatte ihre seit der Trennung von Alexander in Dornröschenschlaf gefallene Libido wieder zum Leben erweckt. Ein anderes Szenario – mehr Abgeschiedenheit, keine belebte Bar –, und sie hätte mehr zugelassen als nur einen Kuss, daran bestand kein Zweifel. Zum Glück hatte sich doch noch ihr Verstand eingeschaltet.

Und genau dieser hatte einen ruhigen Schlaf verhindert. Was war mit ihr, Marlene Brunner, heterosexuell, denn plötzlich los? – In ihrem ganzen achtunddreißigjährigen Leben hatte sie noch nie irgendetwas Erotisches an einer anderen Frau gefunden, geschweige denn das Bedürfnis verspürt, eine zu küssen oder intimer zu berühren.

Gedankenverloren rührte sie in ihrer Kaffeetasse.

Es tat ihr leid, dass sie Lisbeth Jacobsen so brüsk abserviert hatte. Sie hatte an Lisbeths Körperhaltung und ihrem Tonfall bemerkt, dass sie sie damit verletzte. Aber was hätte sie denn sagen oder tun sollen? – Die Wahrheit zu sagen war doch besser, als Telefonnummern auszutauschen und plötzlich eine Bekanntschaft am Hals zu haben, die mehr von ihr wollte, als gelegentlich Belanglosigkeiten über Skype oder Facebook auszutauschen.

Und überhaupt. Probleme hatte sie wirklich schon genug, abgesehen von Alexander, an den sie immer noch täglich denken musste, auch wenn sie es gar nicht wollte. Alexander, der bereits mit Miss Big Boops am Wörthersee golfen gewesen war, als sie noch verheiratet waren, während sie in der Buschenschank Jausenplatten servierte und mit Michael Rechnen übte.

Wie hatte sie nur so blind sein und glauben können, ihr Mann käme wirklich dauerhaft damit klar, dass sie sich um ihren Schwager und dessen Kinder kümmerte?

Sie sah auf die Uhr. Zeit, sich zum Meetingraum zu begeben.

Zügig trank sie ihren Kaffee und folgte der Ausschilderung mit dem Rasmussen Pharma Logo zu den Konferenzräumen.

Nicht an Alexander denken. Nicht an Küsse denken. Einen Strich unter den Vortag ziehen.

Rasmussen Pharma