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Heinz Bähre

Bürokratie ist meine Leidenschaft

Bürokratie und Humor





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Vorwort

 

 

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IMPRESSUM

Bürokratie ist meine Leidenschaft
von Heinz Bähre

© 2016 Heinz Bähre
Alle Rechte vorbehalten.

Autor: Heinz Bähre

31832 Springe
info@heinz-baehre.de

 

Inhaltsverzeichnis

Zugang zur Bürokratie 9

Der Herr Dezernent klopft um 16:25 Uhr 13

Sechs Durchschriften mit Kohlepapier 17

Das Dienstjubiläum 19

Der fleißige Beamte in der Schulabteilung 24

Die Löwen sind los 27

Der Kopierer im Keller 33

Telefonate mit Vorwahl „0“ 35

EDV im Berufsleben 37

Die öffentliche Verwaltung kann auch unbürokratisch 38

Das Lineal am Schreibtisch 45

Herr Beste ans Telefon 46

Die Kinder der Familie Kmiec 48

Die Bescheide holen mich ein 50

Berufserlaubnis und Aufenthaltserlaubnis 52

Der ausländische Arzt heiratet 56

Die Erlaubnis für einen zweiten Zahnarzt 58

Facharztkenntnisse in Peru? 63

Facharztbescheinigung aus Asien 65

Mein Zahnarzt hat keine Berufserlaubnis 66

140 Unterschriften für das Ausland 68

Apotheker und Zweithaus 69

Wie bekommen wir neue Büromöbel 71

Der Schuhkäufer 73

Urlaubsanspruch des Stadtdirektors 74

16.000 Stimmzettel in der Makulatur 77

100.000 DM für eine Feier 79

Der Grenzübergang bei Saarbrücken 83

Ein Ford Transit mit Motorschaden 85

Der Cidre und die deutsche Steuer 86

Reisebustaufe mit Champagner 88

Kölner Poller gegen Kulmbacher Kreis 91

Betriebsausflug Puttgarden/Rödby 93

Wir führen die Gleitzeit ein 95

Verjähren Vorgänge zum Jahresende? 99

Ein Amtsleiter auf dem Weg in die Zeitung 100

Wo wird ein Personalausweis verlängert? 102

Vater kann sich sein Brot selbst schmieren 104

Der Grüßonkel für die Tagungsgetränke 106

Die Zuständigkeiten der Bauverwaltung 109

Anbau am eigenen Haus 111

Fließen Fäkalien bei Ratsherren bergauf 116

Wie wichtig ist der Ortsrat? 118

Baugestaltung mit 50 cm 120

Kandidatur als Bürgermeister 122

Arbeitsrecht in der Ritterzeit 125

Das Diziplinarverfahren 127

Neuwahl der Knechte und Mägde 129

Krieg bis zu Kapitulation 132

Die Besenkammer als Büroraum 136

Fahrtkostenabrechnung liegt auf Halde 137

Mobbing bis zum Ende 140

Ein Mitarbeiter mit drei Dienstzimmern 142

Der Pilotenkoffer in Echtleder 145

Die verschmähte Mercedes S-Klasse 147

50 DM Eigenanteil für die Ehefrauen 149

Die Oblaten beim Stabwechsel 151

Katastrophenhilfe in der Diakonie? 153

Erlebnisse auf einer Auslandsdienstreise 156

Der Weg nach Frankfurt und der Hinflug 158

Mit dem Arabertaxi zur Arbeit 162

Guten Tag Herr Bähre 163

Lobpreisung der Baufirmen 165

Biberschwanzziegel als Flugobjekte 168

Kleinere Erlebnisse in Israel 169

Verhaftung in Rom 174

Die Beteiligungsrechte der MAV 178

Der Rentenantrag 182

 

Heinz Bähre

 

Bürokratie ist

 

meine Leidenschaft

 

 

…. aber verlangen sie bitte nicht von mir, dass ich ihre eifrigen Verfechter nach nun 45 Berufsjahren wirklich noch ernst nehme. Nach langen Zeiten in Behörden, Einrichtungen und Dienststellen des öffentlichen und kirchlichen Dienstes, das meiste in sogenannten Verwaltungseinheiten, ist mir nichts mehr fremd, was mit Papier und Kugelschreiber zu tun hat. Oder ….? Nun ja, heute macht es die Verwaltung viel gründlicher mit dem Computer. Vielleicht muss ich auch selbstkritisch feststellen, dass ich das Wesen des öffentlichen Dienstes bis heute nicht in vollem Umfang erfasst habe.

 

Sie haben hier eine Sammlung von Kurzgeschichten in den Händen. Manche Erzählungen, die auf rechtlichen Dingen aufbauen, mögen heute nicht mehr den aktuell geltenden Gesetzen entsprechen, amüsant sind sie trotzdem. Die seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts vermehrt auftretende Juristenschwemme wird in den meisten Fällen aber dafür gesorgt haben, dass die Bestimmungen und Paragrafen präziser, ausführlicher und jeder nur denkbaren (manchmal mit Hilfe der Juristen auch eigentlich undenkbaren) Auslegung zugänglicher geworden sind.

 

Sind die folgenden Kurzgeschichten deshalb vielleicht die bösartige Rache des Verwaltungsbeamten, der doch an der Bürokratie gescheitert ist? All diesen Fragen will ich mit diesem Buch nachgehen. Es sind frei erfundene Geschichten und Handlungen, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen waren nicht beabsichtigt. Aber manches davon ist auch heute in Verwaltungen zu erleben.

 

 

 

 

 

 

zur Einstimmung auf dieses Buch:

 

Kennen Sie eigentlich den Alptraum und den Traum eines jeden Deutschen?

 

Der Alptraum:

In einer deutschen Behörde in der Warteschlange vor dem Schalter zu stehen.

 

Der Traum:

Einmal einen Tag hinter dem Schalter zu sitzen.

Zugang zur Bürokratie

 

.. hat nicht jeder. Aber ich kann ihnen einfach einmal beschreiben, wie ich zu einem guten Einstieg gekommen bin. Vielleicht erkennen sie auch, dass es jeden von uns hätte treffen können. Sie haben eben gerade noch einmal Glück gehabt. Für mich war Bürokratie jedenfalls unausweichlich. Irgendwann nach dem Abitur habe ich mich für den öffentlichen Dienst beworben. Schuld waren eindeutig widrige Umstände zu Beginn meiner Bundeswehrzeit. Damals dauerte die Wehrpflicht noch volle 18 Monate. Ein ordentliches Studium an deutschen Universitäten konnte aber nur zum Wintersemester begonnen werden. Mathe war nie mein schlechtestes Fach gewesen. So hatte ich rechnerisch schnell erkannt, dass ein Abitur im Mai/Juni und die Wehrpflicht ziemlich genau auf das Ende der Weihnachtszeit hinaus laufen. Das wäre bei einem Studienbeginn neun Monate später im Oktober schon einmal ein gelungener Fehlstart.

 

Da war es kein weiter Weg, statt 18 Monate mit knappem Wehrsold doch gleich 24 Monaten als Zeitsoldat und echtem Gehalt zu kalkulieren. Rund 100 DM Wehrsold und 600 DM Alimente vom Staat sind schon eine gewisse Differenz. Alimente? Hier lernen Sie gleich etwas Dauerhaftes. Der Beamte hat keinen Arbeitsvertrag. Er dient dem Staat, der Kommune …. unter voller Hingabe an den Dienst. Da er dabei keine Zeit für andere Dinge hat und sich auch nicht Sorgen um schnödes Einkommen machen soll, hat er Anspruch auf eine „amtsangemessene Vergütung“. Vater Staat alimentiert ihn und seine Familie. Auch Zeit- und Berufssoldaten bekommen diese „Rundumabsicherung nach den beamtenrechtlichen Besoldungsstufen“. Da es keine Entlohnung für geleistete Arbeit oder Dienste ist, kann es auch gleich zu Beginn des Monats ausgezahlt werden, denn wie könnte der Beamte sonst ohne andere Einkommensmöglichkeiten Brot und Butter kaufen? Sie haben das mit der Alimentation doch jetzt verstanden, oder? Und wer kann heute kurz vor der Pension von sich sagen, dass er mal mit der Besoldungsstufe A1 (die gab es damals wirklich) und dort ganz links in der Tabelle bei den kleinen Zahlen angefangen hat um fast alles zu durchlaufen, nur um jetzt in den höheren A-Stufen ganz rechts in der Tabelle zu enden? Damit haben Sie als geneigter Leser auch gleich gelernt, wie die jährlich neu erscheinenden und von den Beamten sehnsüchtig erwarteten Besoldungstabellen aufgebaut sind.

 

Damit haben wir aber auch schon den Einstieg in das Beamtenrecht geschafft. Ein diensteifriger Rechnungsführer beim Bund zahlt an einem der ersten schönen Julitage des Jahres 1971 rund 100 DM Wehrsold an die mit weniger Rechenkünsten ausgestatteten Wehrpflichtigen. Diesen Betrag kann der Wehrpflichtige wegen der Geringfügigkeit auch gleich im Portemonnaie behalten. Aber den Zeitsoldaten steht auf Grund der Alimentation auch gleich das gesamte Gehalt schon am Monatsersten zu. Der einschlägig vorgebildete Beamte hat sogar in der Ausbildung gelernt, dass das Gehalt am letzten Arbeitstag des Vormonats zur Verfügung stehen muss; also noch einen Arbeitstag früher. Aber am 30. Juni und noch vor der Vereidigung Anfang Juli bei der Bundeswehr - das können sie selbst von der Bürokratie nicht im Voraus verlangen.

 

Damals Anfang der 70er waren es auf einen Schlag bar auf Kralle gute 600 DM. Diese ungeheure Summe war aber für das Privatfach im Spind vollkommen ungeeignet und ein Bankkonto in Hamburg hatte ich damals noch nicht. So führte mich der Weg am Spätnachmittag zur Post. Dort konnte jedermann ein Postsparbuch und auch ein Postgirokonto eröffnen. In der Warteschlange, die damals noch keinen Diskretionsabstand kannte, hatte man Zeit um Werbung und Aushänge links und rechts des Schalters zu lesen.

 

Oben rechts hing ein gelbes Schild. Die Deutsche Bundespost suchte „Postinspektor-Anwärter für die Laufbahn des gehobenen Dienstes“. Na, das war doch schon mal was. Der Titel und die Aussicht später einmal als Beamter Postinspektor des gehobenen Dienstes zu werden, hatten sich erst einmal in meinem Gehirn fest eingebrannt. Doch zunächst wartete die Bundeswehr.

 

Erst einmal folgten nun 24 Monate bei der Luftwaffe in technischen Bereichen. Mathe und Physik kamen mir zu Hilfe und irgendwann konnte ich virtuos mit Funkgeräten und Funkmasten umgehen. Technik war meine Welt. Zum Ende der Bundeswehrzeit gab es dann noch alimentierten Sonderurlaub für die weitere Berufswahl. Und irgendwie; siehe die gelbe Reklame der Post, tauchte der gehobene Beamte wieder im Kopf auf. Das Land Niedersachsen hatte die heute so beliebten Assessementcenter schon damals erfunden. Am Ende nach mehreren ein- und mehrtägigen Auswahlverfahren hatte ich die dreifache Qual der Wahl bei unterschiedlichen Behörden. Die Fachhochschule für die allgemeine Verwaltung des Landes Niedersachsen und der damalige Regierungspräsident sollten es am Ende werden. Dort boten sie mir den Einstieg in den gehobenen Dienst an, akzeptable Anwärterbezüge und monatlich weiterhin im Voraus gezahlte Beamtengehälter.

 

Meinen Hauptfeldwebel traf fast der Schlag als ich ihm berichtete, dass ich als Regierungsinspektor-Anwärter (schöner Titel) anfangen würde. Er konnte sich seinen Unteroffizier nicht als Verwaltungsmann vorstellen. Meine Vorstellungskraft ging jedoch weiter und dieses Buch wird zeigen, dass Bürokratie und Verwaltung viel mehr zu bieten haben als langweilige Technik im Fernmeldebereich. Es konnte auch niemand ahnen, dass ich es in meiner Berufslaufbahn mit wilden Löwen, durchtriebenen Ärzten verkleideten Palästinensern, vollkommen ausrastenden Rittern und anderen Dingen zu tun bekommen sollte, die nur noch wenig mit Verwaltung zu tun hatten.

Der Herr Dezernent klopft um 16:25 Uhr


Dienstzeiten, Öffnungszeiten, Kernzeit und Gleitzeit sind heute in entsprechenden Dienstvereinbarungen geregelt. Aber zu Beginn meiner Laufbahn gab es noch die „Feste Arbeitszeit“ von 07:30 bis 16:30 Uhr mit geregelter Mittagspause. Nur die Dezernenten beim Regierungspräsidenten kamen trotz fester Arbeitszeiten eigentlich erst zur „Dezernenten-Time“ so kurz vor neun Uhr morgens. Meist störte das die Arbeitsabläufe nicht, aber in diesem Fall lief ein neuer Dezernent bereits nach wenigen Tagen fast gegen die Wand.


Zwei Monate Einführungsstudium waren ganz in Ordnung gewesen. Aber nun kam die Praxis … und dahinter lauerte die Bürokratie. In einem Zwei-Personen-Büro stand mein erster Schreibtisch. Gegenüber saß mein Ausbilder, Herr Müller, ein gestandener Oberinspektor. Das ist auch gehobener Dienst und mehr als Postinspektor, nämlich „Oberinspektor“ Wir beschäftigten uns mit Lehrerpersonalien an niedersächsischen. Gymnasien. Am gleichen Tag hatte auch ein neuer Dezernent, Herr Sorgfältig, vom Innenministerium kommend das Dezernat übernommen. Er war ein in langen Dienstjahren gestählter Aufstiegsbeamter. Das heißt im Klartext, er hatte den gehobenen Dienst durchlaufen, also Karriere gemacht und war nun auch noch für Aufgaben im Höheren Dienst vorgesehen. Böse Zungen behaupten seit langem, jeder Beamte wird so lange weiter befördert, bis er oben keinen Schaden mehr anrichten kann. Das schauen wir uns jetzt mal näher an.


Der Regierungspräsident hatte damals noch nicht die Erfindung der Gleitzeit gemacht. Wir begannen morgens um 07.30 Uhr und der Arbeitstag endete um 16.30. Uhr, dazwischen natürlich auch eine Kaffee- und eine Mittagspause. Ein Beamtenleben sollte berechenbar sein. Die ersten Tage zogen dahin und ich gewöhnte mich an diese zeitlichen Abläufe.


Der Feierabend kam wieder einmal näher. Auf dem hellhörigen Flur hörten wir Schritte, die vor unserer Tür Halt machten. Klopf Klopf … , Herr Dezernent Sorgfältig kam mit einem Aktenstapel herein. „Herr Müller, ich hätte da mal zu diesen Vorgängen ein paar Fragen.“ Sprach' es, nahm Platz und es ging los. Um 16.30 Uhr machte ich mich auf den Heimweg und ließ die zwei zurück.


Wenn wir auch in der Besoldungsstufe noch etwas auseinander waren, so hatte Herr Müller die gleiche Laufbahn des gehobenen Dienstes eingeschlagen. Am nächsten Morgen durfte ich mir daher schon die Frage erlauben, wie lange der Aktenstapel denn benötigt habe. Bis viertel nach fünf, also lange über den Feierabend teilte mir Herr Müller mit, den ich pflichtschuldig bedauerte.


Der Tag zog dahin und es wurde 16.25 Uhr. Fern auf dem Flur klappte eine Tür, Schritte auf dem hellhörigen Gang und nach dem Anklopfen öffnete sich die Tür. „Herr Müller, ich hätte da mal zu diesen Vorgängen wieder ein paar Fragen.“ Um 16.30 Uhr machte ich mich auf den Heimweg.


Es war dieses Mal bis halb sechs gegangen. Aber Herr Müller kündigte mir bereits einen neuen Ablauf für den heutigen Tag an. Um 20 nach vier forderte er mich auf, aufzuräumen und die Jacke anzuziehen. Etwas später standen wir beide vollgerüstet und lauernd vor der Zimmertür. Auf Herrn Sorgfältig war Verlass. 16.25 Uhr, die ferne Tür klappt, die Schritte auf dem Flur kommen näher. Herr Müller wartet, bis die Schritte stoppen. Dann greift er entschlossen zum Türgriff und reißt schwungvoll die Tür auf. Der Griff gleitet Herrn Sorgfältig aus der Hand. „Oh, Herr Sorgfältig, Sie haben noch ein paar Akten? Da können wir morgen gern darüber sprechen. Und schönen Feierabend auch“. Mit diesen Worten zogen wir mit Hut und Mantel an Herrn S vorbei und schafften es pünktlich um 16:30 Uhr über die Treppen aus dem Haus.


Der Folgetag: Am Vormittag passiert erst einmal nichts. Dezernenten kommen wie schon geschildert trotz fester Arbeitszeit erst kurz vor 09.00 Uhr. Dafür gehen sie auch etwas später als der gehobene Dienst in die Kantine zur Mittagspause, die leicht bis 14.00 Uhr gedehnt werden kann. Notfalls hilft ein Spaziergang zum Maschsee und zurück. Danach geht es in den Nachmittag.


Aber heute ist es anders. Fern auf dem Gang klappt eine Tür, danach die bekannten Schritte auf dem hellhörigen Flur und nach dem Anklopfen öffnet sich die Tür. Herr Müller, ich hätte da mal zu diesen Vorgängen ein paar Fragen. Es ist erst 15.00 Uhr. Ich sitze dabei, habe etwas Wichtiges gelernt und bekomme jetzt beim Zuhören noch interessanten Anschauungsunterricht zu schwierigeren Fällen.


Sechs Durchschriften mit Kohlepapier


Der Personal-Computer und der angehängte Drucker waren Mitte der 70er Jahre noch lange nicht erfunden. Wer kennt aber noch das Kohlepapier, mit dem herrliche Durchschriften von Hand angefertigt werden können?


Herr Müller gibt mir meine ersten Arbeitsmaterialien. Ein Karteikasten ist gefüllt mit einer Unmenge an Karteikarten. Jeder Lehrer an Gymnasien des Regierungsbezirks steckt dort im Kasten. An der Wand stehen Aktenschränke mit damals moderner Hängeregistratur; die Personalakten. Zum Feierabend wird jeder Rollschrank penibel zugezogen und abgeschlossen, wie gesagt Personalakten.


Am Anfang der Berufslaufbahn wird noch in festen Zeitabschnitten befördert. Aktuell stehen die Studienreferendare an, nach zwei Jahren können sie Studienassessor werden.


Das Verfahren ist kompliziert. Schulrat, Abteilungsleiter und Dezernenten müssen zustimmen. Der Schulträger, also meist die Stadt am Sitz des Gymnasiums, der örtliche Personalrat, der Hauptpersonalrat; alle wollen gefragt oder zumindest informiert werden. Ich hoffe, ich konnte ihnen mit dieser Aufzählung erklären, dass nicht einfach befördert wird. Da hat die Verwaltung schon etwas mehr zu tun.


Hierfür haben wir Papier. Mangels Computer (noch nicht erfunden) oder Kopierer (damals noch zu teuer) gibt es vorgedruckte zum Thema passende Formulare und Kohlepapier. Ein Formular, ein Blatt Kohlepapier, das nächste Formular und so weiter. Am Ende sind es 7 Formulare und 6 Blatt Kohlepapier. Wenn ich beim Schreiben kräftig genug drücke, färbt das Kohlepapier auf den nächsten Bogen ab. Theoretisch gut, in der Praxis schafft der Arm aber nur zwei bis drei Durchschriften. Auch bei mir ist trotz gutem Willen auf der vierten oder fünften Durchschrift nichts mehr zu lesen.


Mein Ausbilder stört sich daran nicht. „Die Empfänger kennen das, schicken Sie es ruhig ab.“ meint er lapidar. Es vergehen ein paar Tage und die ersten Rückläufe treffen ein. Natürlich ist oft kein Name zu lesen. Aber das Formular hat einen vorgedruckten Text, es geht um turnusmäßige oder damals auch sogenannte Regelbeförderungen. Da die Durchschreibesätze (Behördendeutsch) nummeriert sind, kann ich alle Rückläufe dem jeweiligen Referendar zuordnen. Alle „Beteiligungsstellen“ stimmen zu, niemand fragt zurück. Mein Ausbilder hat recht behalten und alle Studienreferendare können rechtzeitig befördert werden.

Das Dienstjubiläum


Das eigene Dienstjubiläum nach 25 oder manchmal auch 40 Jahren ist ein Highlight in der Beamtenlaufbahn. Mit meinem Englischlehrer hatte ich aber damals zu Schulzeiten einen Volltreffer in Antipathie gelandet. Nun hatte er das Pech, mit seinem Ansinnen auf ein Dienstjubiläum gerade auf meinem Schreibtisch zu landen.


Seine Marotten in der Schule (60er Jahre des letzten Jahrhunderts) stammen wohl noch aus der Militärzeit. Ich meine nicht das Türaufhalten, das war damals in Schulen noch üblich. Ein Studienrat konnte doch nicht schnöde den Türgriff bedienen. Er musste akademisch Denken für Abitur und Studium der ihm anvertrauten Schüler.


Hoch erhobenen Hauptes kam Herr Dr. phil. morgens fast im Stechschritt herein, schritt zum Lehrertisch und begrüßte uns mit „Good morning boys“. Englischbuch, Grammatik und Philologenkalender wurden akkurat links an der Kante ausgerichtet, danach setzte er sich und begann seinen Unterricht. Die Lehrbücher blieben dabei natürlich nicht links liegen. Zu seinem Standardwortschatz zählte immer wieder das Wort „meinethalben“ und ständig ließ er durchblicken, dass Arbeiterkinder am Gymnasium nichts zu suchen hätten. Immer von oben herab und arrogant bei der ständigen Verteilung und Eintragung der Noten in seinem Philologenkalender blieb er mir deshalb nachhaltig in Erinnerung. Wir schrieben das Jahr 1965 und die 68er lagen halt noch vor uns. Aber selbst im Lehrerzimmer war er nicht gern gelitten und deshalb hatte er sich ein anderes ruhiges Refugium im Schulgebäude gesucht. Er betreute die Schülerbibliothek. Genauer gesagt, hatte er einige Oberstufenschüler, die das taten und er saß an einem Schreibtisch dazwischen und führte die Aufsicht. So musste er nur selten ins Lehrerzimmer, was ihm und auch den anderen wohl recht war. Mir war er jedenfalls gehörig auf die Nerven gefallen und jetzt war ich in der Verwaltung wohl offenkundig in der besseren Position.


Herr Müller schiebt mir eine Akte herüber. „Sie waren doch am Schiller-Gymnasium. Schauen sie sich das mal an.“ Herr Dr. phil. beschwerte sich in einem langen Schreiben, dass man sein 25jähriges Dienstjubiläum vergessen habe. Ich stellte mir beim Aktenstudium (der Beamte liest nicht einfach die Akte) vor, wie Herr Hochnäsig an seinem Jubiläumstag mit Sekt und belegten Brötchen in seiner Bibliothek saß und auf die Ehrenurkunde wartete. Aber aller Aufwand war wohl für die Katz und außerdem gab es auch keine Jubiläumszuwendung.


Das alles ist rechtlich mit der notwendigen Berechnung der Jubiläumszeit in der Jubiläumsverordnung geregelt. 400 DM hätte es für 25 Jahre gegeben, man rechne sich das mal mit dem zusätzlichen Blumenstrauß auf 25 Jahre um. Die Wertschätzung der Beamtentätigkeit macht also pro Jahr 16 DM aus. Damals steuerfrei, heute zahlen wir auch noch Steuern drauf.