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T. Stern

Triple Love Match 1

Daisuki





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Titel

Triple Love Match 1

Daisuki

 

Handlung

In der heutigen Gesellschaft scheint es vollkommen normal auf andere herabzublicken. Jemanden weit vor einem einzigen persönlichen Wort zu verurteilen und ihn dann auch noch für eine Andersartigkeit schlecht zu behandeln.

Weder Aussehen, soziale Stellung, Religion, Herkunft, persönliche Vorlieben, ein gelebter Lebensstil oder gar das zu einer eigenen Meinung stehen, sollten Grund sein, um einen Menschen respektlos und würdelos zu behandeln.

Es würde nicht schaden, würde der Mensch sich vor Augen führen, dass Gevatter Tods Gesetz für jeden gilt. Denn letztlich holt er jeden zu sich.

Und das ist der Beweis dafür, dass wir letztlich alle gleich sind.

 

Wir sind Menschen.

 

T. Stern

Danksagung

 

Kekschen, Diana, Sam, Biggy, Bettina, Bernd, Traude, Hase & Hörnchen und Grace & Luca.

 

Außerdem jeder treuen Fellnase, meinen geduldigen und unerschütterlichen Lesern.

 

Ebenso gilt mein aufrichtiger Dank „AnBi Öz“ für das Lektorat und viele Tipps und Ratschläge, um ihre und eure Nerven in Zukunft zu schonen.

 

Und dir … für deine Unterstützung. <3

1

 

Je näher er seinem Ziel kommt, desto mehr Unwohlsein erfüllt ihn. Die auf ihm lastenden Blicke ihm unbekannter Leute sind dabei nicht mal das Problem. Vielmehr ist es die Befürchtung, nein das Wissen, dass an diesem Tag wieder dasselbe passieren könnte, wie an fast jedem Tag, den er hier herkam.

Langsam werden seine Schritte schwächer und er merkt plötzlich, dass er stehengeblieben ist.

Ihm ist unwohl. Eine seltsame Mischung aus Übelkeit und Angst. Am liebsten würde er einfach umdrehen und gehen. Woanders hin. Nicht hier her. Nicht in die Hölle, die sich ihm in diesem Land offenbarte.

Es ist kaum vorstellbar.

Vor drei Monaten war seine Welt noch in Ordnung. Er ging gerne zur Universität, war einer der besten Studenten seines Jahrgangs. Doch hier war nichts so, wie in seiner Heimat. Der Umzug in ein fremdes Land konfrontierte ihn zugleich auch mit einer befremdlichen Universität. Nun, seine Leistungen sind nach wie vor sehr gut. Er ist mit unter den besten seines Jahrgangs. Allerdings quält er sich jeden Tag aufs Neue hierher.

Belastet mit schrägen Blicken, die ihn den ganzen Weg über begleiten, wildes Tuscheln, über sein Auftreten, sein Aussehen. Dabei tut er niemandem etwas. Weder hat er je jemanden verletzt, noch irgendwie angegriffen.

Er hat einfach gelernt, dass man Menschen respektieren sollte. Ob man sie kennt oder nicht. Vor allem, wenn man sie nicht kennt, sollte man dies tun. Denn niemand konnte sagen, ob sich der Lebensweg mit einem Menschen nicht noch mal kreuzen würde.

Ach, die Standards seiner Heimat waren und sind einfach komplett anders. Zwar war er sich darüber bewusst, als seine Eltern ihm verkündeten, dass sie aus beruflichen Gründen umziehen mussten, dass er als ihr einziger Sohn, ihr Ein und Alles, mit ihnen kommen solle. Aber er konnte nicht ahnen, dass es für ihn so ein Kessel elender Pein werden würde.

„Hey, Japse! Steh nicht so dumm im Weg herum!“

Ja. Und dieser Spruch war noch ein harmloser.

Er tritt einfach zur Seite, wobei es für den anderen auch kein Problem gewesen wäre, um ihn herumzugehen. Aber so etwas kann man hier nicht erwarten. Rücksichtnahme auf Mitmenschen? Wo käme man denn da hin?

Wenn er ganz ehrlich zu sich selbst ist, dann hat er heute echt keine Lust auf Uni. Und es geht nicht ums Lernen oder die Vorlesungen. Nein. Es geht um die Menschen, mit denen er sich hier herumschlagen muss. Mit deren Art, mit der er einfach nicht warm wird.

Er versteht es nicht. Versteht die Welt hier nicht.

Schon am ersten Tag wünschte er sich zurück nach Tokyo. Zurück in sein wunderschönes Japan.

Da fällt er nicht auf. Hier hingegen wird er als „verrückt“ betitelt, nur weil er nicht wie die anderen ist.

Er gehört der ‚Visual Kei Szene‘ an. In Japan sehr beliebt und bekannt. Hier allerdings scheint man damit wenig anfangen zu können.

Auf seiner Universität in Japan war er nur einer von vielen. Hier ist er das schwarze Schaf und zugleich der Sündenbock für viele. Und das, obwohl er nichts gemacht hat. Gar nichts.

So sehr es ihn auch danach begehrt einfach auf dem Absatz umzudrehen und zu gehen, zumindest diesen einen Tag der Uni fernzubleiben, er kann es nicht.

Ehrgefühl hält ihn davon ab.

Seine Eltern ermöglichen ihm ein sorgenfreies Leben. Er kann studieren, hat ein Dach über dem Kopf und wird versorgt. Er bekommt ein großzügiges Taschengeld, für dessen Ausgabe er sich nie rechtfertigen muss.

Natürlich will er sein Elternhaus stolz wissen, darum bemüht er sich nicht nur, sondern strengt sich wirklich an, einer der Besten zu sein.

Einfach einen Tag Uni schwänzen würde ihm ein schlechtes Gewissen bereiten.

Aus seinem Gedankenmonolog wird er gerissen, als sein Smartphone vibriert. Er zückt es und blickt auf das Display.

Eine Sprachnachricht. Dank seiner Kopfhörer, die er immer trägt, da er ohne Musik keinen Meter aus der Wohnung gehen könnte, kann er sie sofort und problemlos abhören.

>Yuki-Sama! Wir vermissen dich! Ich hoffe es geht dir heute besser als gestern. Lass dich nicht unterkriegen. Denk dran, du kannst immer behaupten, ich wäre deine feste Freundin, wenn diese Idioten da sich dumm benehmen. Ich denke an dich, jeden Tag.<

Er lächelt.

Diese vertraute Stimme zu hören erweckt das starke Gefühl von Zugehörigkeit in ihm.

Den Klang seiner Heimatsprache … er wurde zweisprachig erzogen, beherrscht Japanisch und Englisch perfekt. Aber in Japan musste er nie großartig englisch reden. Es sei denn, die Situation erforderte es. Schule. Universität.

Seine beste Freundin, Sayuri, mit der er seit Kindertagen befreundet ist, scheint immer zu spüren, wenn er etwas Erheiterung benötigt.

Und das obwohl sie über 10.000 Kilometer trennen.

Es ploppt ein Bild auf. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge, betrachtet er seine beste Freundin, die ihm einen sehr bedeutenden Kuss schickt.

Alleine an ihrem Auftreten kann er sehen, dass sie mit den anderen aus ihrer Clique unterwegs ist. Sie sind bestimmt wieder dabei durch die Spielhallen zu ziehen. Oder sie entern einen Manga Shop. Oder sie sitzen irgendwo in einem Restaurant.

Yuki spürt die Sehnsucht in sich so stark, wie nie zuvor in den letzten drei Monaten.

Dort würde es niemanden stören, dass er ‚Visual Kei‘ hört und sein Style genau dementsprechend auch ausfällt.

Aber hier … hier ist einfach alles anders.

Ohne Zeit zu verschwenden, antwortet er ihr, gibt allerdings vor, alles wäre in Ordnung. Der Zeitunterschied beträgt vierzehn Stunden. Während Yuki hier zur Uni muss, sind seine Freunde in Japan schon im Abendmodus.

>Sayuri-chan, ich vermisse dich auch. Ich vermisse unsere Clique. Ich vermisse es, mit euch abzuhängen und mich unter Gleichgesinnten wohlzufühlen. Aber ich muss jetzt zur Uni. Habt einen schönen Abend. Ich denke an dich, meine Freundin.<

Yuki steckt sein Smartphone weg und beschließt, aus Sayuris Nachricht Kraft zu tanken. Es muss nicht für ewig sein. Er muss nicht immer hier bleiben. Irgendwann kann er zurück nach Japan. Zurück zu seinen Freunden. In den Schoß seiner Heimat und der ihm vertrauten Kultur.

Tief atmet er durch, setzt sich in Bewegung … wird aber abrupt gestoppt.

Etwas, nein, jemand steht im Weg.

Allerdings unterschätzt Yuki die Wucht seines Tempos und die Kraft des Hindernisses. Sein eher schmächtiger Körper prallt schier dran ab, wird zurück gefedert und droht nach hinten wegzukippen.

Was es letztlich verhindert ist eine blitzschnelle Aktion und ein starker Arm, der sich um seinen Körper schlingt und ihn aufrecht hält.

Der Schreck sitzt Yuki in den Knochen. Hastig versucht er sich zu entkrampfen, aber es bedarf ein wenig Zeit, bis es ihm gelingt.

„Sorry. Ich habe nicht aufgepasst. Tut mir leid.“

Anstand. Ja. Vielleicht aber auch Panik, dass wieder jemand einen Grund hat, ihm das Leben hier zur Hölle zu machen.

Es dauert erneut einen Moment, dann hebt er langsam den Blick an und …

Er erstarrt und verkrampft sich wieder gänzlich.

Das kann nicht wahr sein! Warum ausgerechnet er?

Dunkelblaue Augen mustern ihn und das bekannte Gesicht des Unilieblings Ethan Ryan sieht auf ihn herab.

Nicht schwer auf Yuki herabzublicken. Er ist deutlich kleiner als gut 5/6 der männlichen Studenten hier.

Im Vergleich zu Ethan Ryan, einem der Asse des Sports, ist Yuki wirklich klein. Und vor allem unbedeutend.

Entgegen seiner Erwartungen aber sagt Ethan gar nichts. Er geht sicher, dass Yuki wieder aufrecht steht und lässt dann langsam von ihm ab. Nur um sofort den Blick zu einem Haufen Mädchen schweifen zu lassen, die euphorisch quietschend ihren Gefallen an der Situation kundgeben.

Auch Yuki bemerkt das und er zieht instinktiv den Kopf ein.

„Danke“, bringt er schleunig hervor und stürmt los, vorbei an Ethan und ab aufs Gelände.

 

Ethan hingegen steht da, blickt ihm nach und atmet tief durch. Der feine Hauch von Ingwer und Kirschblüte liegt in seiner Nase.

„Yuki“, flüstert er leise und betrachtet seine Hand, die bis vor wenigen Augenblicken noch diesen zierlichen Körper gehalten hat.

„Hey! Ethan! Bist du festgewachsen oder was? Na komm schon! Das Training fängt bald an!“

Wie nervig seine Teamkollegen manchmal sein können … fast schon wieder eine bodenlose Frechheit.

„Bin schon auf dem Weg!“, kontert der Blonde und setzt sich gemächlich in Bewegung. Doch das Kribbeln in seinen Fingerspitzen will nicht weichen. Dieser Duft in seiner Nase nicht weggehen.

Bevor er ums Eck biegt, stoppt er, wirft einen prüfenden Blick über seine Schulter und erkennt, dass die Mädchentraube noch immer da steht, wo sie vorhin stand und sie noch immer eifrig am Gackern und Kickern sind.

Leicht überfordert schüttelt er den Kopf und setzt seinen Weg fort. Das Verhalten kann er den Mädchen aber nicht übel nehmen. Er weiß selbst, dass diese Szene einfach wie eine typische, kitschige Begegnung aus einem ihrer heißgeliebten Boys-Love-Mangas gewesen sein musste.

Er weiß es zu gut.

Natürlich entsprechen Yuki und er genau den gewöhnlichen Standards dieser Manga.

Der Liebling der Schule, der von allen begehrt und verehrt wird, ist der rettende Held des eher in sich gekehrten Außenseiters, der nicht wirklich wahrgenommen wird. Nun, wahrgenommen wird der kleine Japaner. Allerdings nicht positiv.

Ethan weiß, dass man Yuki das Leben hier seit seinem ersten Tag zur Hölle macht. Immer wieder wird er gemobbt und das nicht nur verbal. Erst vor einer Woche wurde er so lange herumgeschubst, bis er hinfiel. Den Verband an seiner Hand trägt er noch heute.

Eigentlich hasst Ethan solche Ungerechtigkeit. Viel dagegen ausrichten kann er allerdings nicht. Er bemüht sich wirklich, jegliche Angriffe gegenüber denen, die sich nicht zur Wehr setzen können, zu unterbinden. Aber es gelingt ihm nun mal nicht immer.

Nur weil er zu den eher Beliebten der Uni gehört, bedeutet es nicht, dass alle auf ihn hören.

Vor dem Eingang in die Turnhallen stoppt Ethan erneut. Er hebt seine Hand und sieht sie an.

Irgendwie kann er den Kontrast nicht aus seinem Kopf bekommen. Seine Hand lag auf Yukis Rücken, hielt ihn damit fest. So zierlich und filigran. So leicht.

„Hey? Träumst du schon wieder?“ Diese Worte werden mit einem kräftigen Handschlag auf seine Schulter untermauert.

Ethans Gedankengang ist weit entfernt vom Geschehen im Hier und Jetzt.

Dieser Schlag, für ihn eine normale Geste, die er gewohnt ist, hätte Yuki umgehauen.

„Du wirkst, als wärst du echt weit entfernt in deinen Gedanken“, murmelt sein Kollege ihm leicht verdorben zu.

Ethan seufzt. Klar, seine Kumpel denken natürlich gleich wieder an eine heiße Nacht oder eine weitere Errungenschaft auf der Liste der flachgelegten Mädchen.

Er stöhnt: „Hab nur überlegt, ob ich die Kaffeemaschine ausgemacht habe. Mehr nicht.“

„Die Kaffeemaschine?“ Skepsis. Die Begründung folgt sofort. „Du trinkst doch nicht mal Kaffee.“

Ethan zuckt mit einem Mundwinkel: „Sind wir hier zum Trainieren oder zum Verhör?“

Ohne seinem Gesprächspartner länger die Chance zu lassen selbiges fortzusetzen, setzt Ethan sich in Bewegung und steuert zu den Mannschaftskabinen, um sich fertig zu machen.

„Hat er heute einen guten Tag, ja?“, will ein anderer wissen, während er Ethan nachschaut.

„Keine Ahnung. Wirkt ein wenig durch den Wind. Hat von einer Kaffeemaschine gesprochen.“

„Er mag doch nicht mal Kaffee. Er trinkt doch nur Tee.“

Das Gespräch der beiden Sportler wird jäh unterbrochen, als sich die harte und strafende Stimme ihres Trainers einmischt: „Anstatt hier wie alte Waschweiber zu tratschen, solltet ihr euch aufwärmen. Vier extra Runden für euch! Wenn ihr schon Zeit zum Tratschen habt, dann seid ihr wohl nicht richtig ausgelastet!“

Die schockierten Gesichter der beiden zucken kurz, ehe sie sich sofort umdrehen und los stürmen.

Der Trainer allerdings blickt zur Umkleidetür und seufzt schwermütig.

„Was das Elternhaus nicht gelehrt hat, kann auch ein Lehrer nicht mehr nachholen.“ Mit dieser vor sich hingemurmelten Feststellung dreht er ab und widmet sich dem Scheuchen der Sportler.

 

Alle Vorlesungen hinter sich gebracht, packt Yuki seine Sachen zusammen. Er umging jegliche Möglichkeit in Ärger zu geraten geschickt und stürmte von Vorlesungssaal zu Vorlesungssaal. So gab er niemandem die Chance ihn irgendwie abzupassen oder dergleichen.

Nun allerdings, darüber ist er sich auch bewusst, steht der letzte Weg des Tages an. Das Verlassen der Universität. Die letzte gefährliche Meile. So kommt es ihm zumindest vor.

Seufzend kramt er sein Manga aus dem Rucksack und grinst von einem bis zum anderen Ohr. Es kam gestern per Post an. Sayuri hat es ihm geschickt. Sie versorgt ihn hier mit Manga. Ein weiterer Punkt, wofür er seiner besten Freundin unendlich dankbar ist.

Diese unscheinbaren, oftmals zu Unrecht verurteilten Bücher, in denen Geschichten überwiegend durch bildliche Darstellung erzählt werden, gehören für Yuki zum Alltag. In Japan vollkommen normal, wenn man Manga liest. Hier jedoch … das Mühlrad des Teufels.

Dieses Exemplar ist ihm besonders wertvoll. Selbst in Japan erscheint es eigentlich erst in zwei Wochen. Aber Sayuri hat über Vitamin B vorab ein Exemplar ergattert und es ihrem besten Freund Yuki, der schon seit Wochen danach geiert, prompt mal zugeschickt.

Er hofft, dass das Wetter es zulässt, dass er schon auf dem Heimweg anfangen kann, darin zu lesen.

Seine Jacke übergezogen, den Rucksack geschultert, die Kopfhörer auf den Ohren, das Büchlein in der Hand, setzt er sich als letzter in Bewegung und verlässt den Saal. Wie immer. Um mit niemandem in Kontakt zu kommen, um Stress und Streit aus dem Weg zu gehen, nimmt Yuki es gerne in Kauf, der letzte zu sein, der geht.

Aus dem Gebäude herauszukommen ist immer einfach. Lediglich der Weg über das Innengelände der Anlage, bis hin zum Ausgang, und vor allem der Weg nach Hause, birgt die Gefahr doch noch aufgeschnappt und zum Opfer gemacht zu werden.

Unwohl fühlt er sich immer dabei. Aber heute versucht er einfach Ablenkung in seinem Manga zu finden.

Ein prüfender Blick gen Himmel zeigt, dass seiner Flucht aus der realen Welt nichts im Weg steht. Zumindest nichts Wetterbedingtes.

So klappt er es auf und fängt an mit wachsamen Augen die ersten Seiten zu überfliegen, während er dennoch genug Aufmerksamkeit auf seinen Weg legt. Noch so einen Vorfall, wie den am Morgen, will er schließlich vermeiden.

Vertieft in seine Welt aus Bildern bemerkt er nicht, dass eine Gruppe Kerle direkt auf ihn zusteuert. Ihm bekannte Gesichter, wohlgemerkt. Jene, denen er besser schnellstens aus dem Weg gehen sollte.

Gerade noch ein flüchtiges Lächeln über eine Unterhaltung der beiden Protagonisten im Manga auf den Lippen, wird seine Welt jäh auf den Kopf gestellt.

Er wird hart angerempelt. So hart, dass es seinen eher schmächtigen Körper zur Seite wegreißt.

Erschrocken blickt er auf und kann die Truppe Kerle erkennen, die ihm zu gerne auflauert und das Leben vermiest.

„Kannst du nicht aufpassen?“, fletscht der eine schon los.

Yuki weicht instinktiv einen Schritt zurück und senkt den Blick. Innerlich sendet er Stoßgebete um Schutz vor dem, was er befürchtet, was ihm erneut bevorsteht. Nichts was er nicht kennt. Das ist das Mühlrad der Grausamkeit, das er erlebt.

„Scheiße man! Wie läufst du rum? Und wieder diese Comics. Und sowas will ein Mann sein!“

So sehr es in Yuki auch brodelt, er hält sich zurück. Je mehr er entgegensetzt, umso schlimmer wird es letztlich für ihn. Sie sind zu sechst. Er ist alleine. Wie groß sind seine Chancen? Eben. Gleich null.

Wieder verpasst der Typ ihm einen Schubser und wieder taumelt Yuki zurück. Normal. Traurig aber wahr.

Das passiert jeden Tag. Wenn er Glück hat, nur einmal. Wenn er Pech hat, schikanieren sie ihn mehrmals täglich.

Aus den Augenwinkeln erkennt er einige Mädchen die er ab und an im Buchladen trifft. Generell immer bei den Manga. Eine der vier jungen Frauen macht Anstalten ihm helfen zu wollen, aber Yuki wendet den Blick ab, schlägt ihre Hilfe aus. Er weiß genauso gut wie sie selbst, dass sie nichts ausrichten könnten. Im Gegenteil. Diese Bande gewissenloser Idioten würde auch vor den jungen Frauen nicht Halt machen.

Zumindest zweifelt Yuki an, dass Ben, so der Name des Anführers seiner Peiniger, in seiner Rage einen Unterschied zwischen Mann und Frau erkennen würde. Und da seine Gefolgschaft auch nicht sonderlich selbstdenkend scheint, erübrigt sich, dass diese ihr Hirn einsetzen können.

Das Problem an solchen Menschen ist, dass sie vor nichts und niemandem wirklich Respekt haben. Demnach kann nichts und niemand sie stoppen. Sie hören erst auf, wenn … Yuki weiß es nicht.

Bisher beschränkt er sich einfach darauf, es mit Würde zu ertragen. Jedes Mal aufs Neue. Was bleibt ihm auch anderes übrig?

Sobald jemand eingreift und ihm helfen will, wird er ebenso ein potentielles Opfer. Und wer macht sich schon freiwillig zum Opfer, um mit der stetigen Angst zu leben, solchen Übergriffen ausgeliefert zu sein? Niemand.

Yuki nimmt es daher auch keinem Übel, dass niemand ihm hilft. Er wüsste nicht, ob er eingreifen und helfen würde. Wahrscheinlich käme es auf die Situation an.

Es ist traurig genug, dass er sich in den drei Monaten, die er nun hier ist, daran gewöhnt hat. Er erträgt es. Bis er zuhause ist. In seinem Zimmer. Dann kann er sich erlauben, sich seinen Gefühlen zu ergeben. Aber niemals vor anderen. Diese Blöße muss und kann er sich nicht auch noch geben.

Worte prasseln auf ihn herab. Er wird geschubst. Sein Rucksack wird ihm von den Schultern gerissen, der Inhalt auf den Boden gekippt. Yuki steht nur da und lässt es geschehen. Innerlich hofft er, dass es einfach gleich vorbei ist. Er wird seine Sachen einsammeln und einfach nach Hause gehen. Wie immer.

Nichts Besonderes. Normalität.

Beleidigungen. Auf seine Herkunft bezogen. Er überhört sie. Ebenso wie jedes Wort, welches sich gegen seine Mutter richtet. Er weiß, dass alles nur Worte sind.

Seine Mutter ist eine ehrenwerte und hart arbeitende Frau. Anscheinend schon mal mehr, als die Mütter der Kerle, die sich so respektlos verhalten.

Als die Kerle endlich realisieren, dass von ihrem Opfer keinerlei Gegenwehr kommt, machen sie kurze Anstalten abzulassen, doch dann entscheiden sie sich wohl doch noch mal um.

Das heißt, einer macht auf dem Absatz kehrt, um genau zu sein wieder mal Ben, tritt rasend schnell auf Yuki zu, grapscht nach dem Manga und will es Yuki entwenden.

Aber leider reagiert der junge Japaner da nicht so willig. Er klammert es an sich und hebt den Blick. Bitter starrt er sein Gegenüber an, den das zwar wenig beeindruckt, aber das geht zu weit.

Dieser Manga ist ein Geschenk seiner besten Freundin aus Japan. Es ist ein rares Exemplar und Yuki hat lange darauf gewartet, es überhaupt lesen zu können.

Die ihm entgegenschallenden Worte ignoriert er gepflegt. Sein Augenmerk durchbohrt den Typen, der ihm das Buch entreißen will.

„Finger weg!“, zischt Yuki ihm entgegen und ist selbst ganz erstaunt darüber, dass er die innere Ruhe nicht länger aufrechterhalten kann. Nein. Es geht hier um etwas, was einen verdammt großen Wert für ihn hat.

Sie haben seinen Rucksack schon ausgekippt, sind auf seinen Blöcken herumgetrampelt, haben seine Zeichnungen ruiniert … das Buch bekommen sie nicht auch noch. Nur über seine Leiche!

„Was hast du gesagt, scheiß Japse?!“, brüllt sein Kontrahent ihn an.

Yuki ist erfüllt von Wut und Verzweiflung. Ein Geschenk ehrt man!

„Ich sagte: Finger weg!“, wiederholt er lauter und versucht sich der Aufdringlichkeit seines Gegners zu entziehen.

Allerdings ohne großen Erfolg.

Es wirkt wie David gegen Goliath.

Im Handgemenge passiert es dann. Yuki wird von Bens Ellenbogen getroffen. Und zwar direkt im Gesicht. Der Schmerz an und um seine Nase geht bis in die letzte Faser seines Körpers. Der Schreck veranlasst ihn, beide Hände in sein Gesicht schnellen zu lassen, was zur Folge hat, dass er von seinem Manga ablässt.

Er bekommt im ersten Moment gar nicht mit, was um ihn herum passiert. Ihm ist schwindelig und zugleich wird ihm Übel. Die feuchte Wärme an seinen Händen macht es nicht gerade besser.

Ein kurzer Blick auf diese offenbart … Blut.

Das laute Lachen seiner Kontrahenten bewegt ihn dazu, den Blick weiter anzuheben, kann er nur noch dabei zusehen, wie dieser verdammte Bastard voller Genugtuung das Buch zerreißt. Einmal. Zweimal. Dreimal. Viermal.

Yukis blutende Nase ist egal. Sein Herz blutet viel mehr.

Es war ein Geschenk. Es hat ihm verdammt viel bedeutet. Wie soll er das bitte Sayuri erklären?

„Ekelhafte Japsenschwuchtel!“

Yuki zuckt merklich zusammen und spürt wie seine Knie immer weicher werden. Nein! Er darf jetzt keine Schwäche zeigen. Nicht noch mehr Angriffsfläche bieten, als er es ohnehin schon tut.

„Ich frage mich, was man zum Schwänze lutschen studieren muss? Das kann man auch so. Vor allem so einer wie du …“

Worte können so verdammt mehr wehtun, als ein Schlag ins Gesicht.

„Du solltest lieber deine Hände waschen. Wer weiß, welche Krankheiten du dir eingefangen hast bei der Schwuchtel.“

Lachend und weiterhin böse Worte über ihn sprechend ziehen sie sich endlich zurück.

Yuki steht nur da und atmet tief durch. Immer wieder ermahnt er sich, jetzt nicht einzuknicken. Nicht vor allen anderen.

Er sammelt seine Sachen auf, so gut er es in seinem Zustand schafft, beschließt letztlich, dass er nicht mehr kann, richtet sich auf, drückt die Überreste seines Manga an sich und geht.

Einige Papiere bleiben liegen. Es ist ihm egal. Im Moment ist Yuki alles egal.

Er hat niemandem etwas getan. Stets ist er so, wie seine Eltern ihn erzogen haben. Zuvorkommend. Freundlich. Respektvoll.

Und das ist der Lohn dafür?

In ihm keimt langsam aber sicher Hass. Ein Gefühl, welches er eigentlich nicht haben will. Denn es blendet und macht ihn zu einem genau solchen dummen Menschen, wie es jene sind, die ihn quälen. So will er nicht werden. Im Moment aber kann er dagegen nichts machen. Er ist verzweifelt, zutiefst erschüttert, verletzt und am Ende seiner Kraft.

Fahrig wischt er sich mit dem Handrücken übers Gesicht. Tränen mischen sich mit dem Blut auf seinen Händen.

Gebrochen stürmt er los, rennt, als würde sein Leben davon abhängen. Weg. Er will einfach nur weg. Weg von der Uni. Weg von den Menschen. Weg von dieser Hölle.

 

Ethan verlässt gerade die Sporthalle, zusammen mit zwei seiner Kameraden. Sie albern herum, äffen mal wieder die Standartsprüche ihres Trainers nach, der ihnen heute wieder ordentlich zugesetzt hatte.

Ethan sieht gerade noch, wie Yuki sich aufrichtet, etwas an sich drückt und sich umdreht um zu gehen. Auf dem Boden liegen vereinzelt einige Blätter herum.

Eine junge Frau fängt an diese einzusammeln und sieht betroffen in Yukis Richtung.

Ethan setzt sich eilig in Bewegung und steuert auf sie zu. Nein. Er stoppt bei einem Blatt Papier, blickt auf dieses herab und erkennt … eine Seite aus einem Manga. Eindeutig zwei Männer in deutlicher Pose.

Eine zweite junge Frau gesellt sich dazu und sammelt ebenso einige Papiere ein.

„Das kann so nicht weitergehen, Gina. Dieser verdammte Kerl hat ihn geschlagen. Yuki hat geblutet. Und er hat geweint. Ich habe es gesehen! Wenn wir nichts unternehmen, passiert vielleicht etwas Schreckliches. Und dann ist es zu spät und wir bereuen, dass wir nichts gemacht haben!“

„Ella, ich weiß! Aber was sollen wir machen? Du kannst tausendmal zum Direktor. Der macht doch nichts!“, entgegnet ihre Freundin verzweifelt.

„Yuki ist immer nett. Wenn wir ihn im Buchladen treffen, ist er immer freundlich. Er hat sich ganz normal mit uns unterhalten. Und erinnere dich, als wir ihn fragten, ob wir ein Foto mit ihm machen dürfen, weil er in seinem Outfit einfach so verdammt heiß ausgesehen hat. Wir können nicht einfach tatenlos dabei zusehen, wie er hier kaputt gemacht wird! Das ist falsch!“

Ethan kommt direkt neben den beiden jungen Frauen zum Stehen und sein Schatten ist es wohl, der ihrer beider Aufmerksamkeit erregt. Sie blicken auf und räuspern sich verlegen.

„Was ist hier passiert?“, will er wissen und hält einige Seiten in seiner Hand. Dass er ihre Unterhaltung mehr oder weniger gehört hat, betont er jetzt nicht noch extra. Seiner Erfahrung nach mögen es Mädchen überhaupt nicht, wenn man sie belauscht. Wobei lauschen nicht mal nötig ist, wenn sie so laut reden, dass man jedes Wort versteht.

„Ach, diese Idioten haben Yuki aufgelauert und ihn mal wieder gemobbt. Im Handgemenge um den Manga, welchen Yuki beschützen wollte, wurde er im Gesicht getroffen“, fängt Ella an zu erklären und versucht vergebens mit einem Taschentuch das Blut von einer Seite zu wischen.

„Ich habe Angst um ihn, Ethan. Mobbing ist nichts, was spurlos an jemandem vorbeigeht. Es ist das erste Mal gewesen, dass Yuki sich aufgelehnt hat. Er wollte den Manga nicht hergeben. Und am Ende, ich bin mir ziemlich sicher, hat er geweint. Wenn ihm was passiert, dann nur, weil niemand was macht. Dauernd wird irgendwer das Opfer solcher respektloser Arschlöcher. Aber komischerweise greift niemand ein und unternimmt was dagegen.“ Ellas Angst ist echt. Nicht nur die Feuchtigkeit in ihren Augen bestätigt es, sondern auch ihr betroffenes Schluchzen.

Die traute Unterhaltung wird unterbrochen, als sich eine aufgebrachte Stimme einmischt.

„Ella? Was ist passiert? Ist alles in Ordnung mit dir? Was ist hier los?“

Ethan muss nicht mal hinsehen um seinen Kollegen Mick zu erkennen. Seine Sorge um Ella ist nicht grundlos.

„Mick!“ Die junge Frau fällt Mick sofort um den Hals und fängt bitterlichst an zu weinen. Da sie nicht reden kann, ohne dass ihr Schluchzen es Mick unmöglich macht ihre Worte zu verstehen, erklärt Gina den Vorfall nochmal bis ins letzte Detail.

„Ich kann nichts über den kleinen Japaner sagen, hatte bisher nichts mit ihm zu tun. Aber, wenn Ella ihn mag, dann kann ich mich da leider nicht heraushalten. Ich weiß, dass Yuki im selben Areal verkehrt wie meine Ella. Als Nächstes gehen sie wieder die Mädels an der Uni an. Nein, nicht mit mir. Ich breche denen …“

„Mick! Nein. Reiß dich zusammen. Wir werden morgen mit dem Coach reden. Aber für heute können wir nichts mehr machen.“ Eindringlich blickt der blonde Ethan seinen Teamkollegen an, der kurz tief durchatmet, Ella an sich drückt und dann beruhigt nickt.

Gina streichelt Ella die Schulter: „Morgen ist Yuki bestimmt wieder da und wir können ihn wieder anschmachten und ihn weiterhin als Vorlage für unsere Mangas verwenden. Hm?“

Die junge Frau nickt und Mick beschließt, dass er die beiden Mädels nach Hause bringen wird.

Ethan bejaht verstehend, sammelt die von allen eingesammelten Papiere zusammen und verstaut sie in seinem Rucksack.

„Es war ein langer Tag. Lasst uns nach Hause gehen. Morgen sehen wir weiter. Bis dann.“ Ethan verabschiedet sich knapp bei den anderen und setzt sich in Bewegung.

Er will nach Hause. Seine Gedanken kreisen irgendwie nur um Yuki und die Worte von Ella bereiten ihm Sorge.

Die Gefahr von Mobbing wird noch immer unterschätzt und heruntergespielt, die Folgen einfach nicht ernst genommen.

Ethan weiß, was es bedeutet, vor etwas Angst haben zu müssen. Er kennt das Gefühl sehr gut. Obwohl er der beliebte Sportler ist, sein Ruf an der Uni tadellos ist, viele ihn mögen, er bekannt und umworben ist. Wenn gewisse Dinge über ihn bekannt werden würden … dann wäre sein Leben … eine wahre Hölle.

Zuhause angekommen wirft er immer noch in Gedanken seine Umhängetasche ab, steuert ins Badezimmer und gönnt sich eine lange und ausgiebige Dusche. Danach geht er in die Küche, öffnet den Kühlschrank, überfliegt das Angebot und spürt plötzlich ein ziemlich fieses Stechen im Rücken.

Er ahnt ja schon, was gleich kommt. Er erwartet es eigentlich sogar viel mehr.

Das leise Anschleichen, welches er hört, bestätigt seine Vermutung.

Langsam neigt er sich etwas zurück und blinzelt an der Kühlschranktür vorbei.

Auf der Küchentheke sitzt etwas und starrt ihn ziemlich bitterböse an. Vorwurfsvoll. Beinahe scheint es ein angehender Killerblick zu werden.

Ethan seufzt und betrachtet das fast weiße Fellbündel, dessen besonderes Merkmal die beiden schwarzen Öhrchen sind. Die rosa Nase erhoben und die goldenen Äuglein leuchten ihm entgegen.

„Hat da jemand Hunger?“, fragt er. Rein rhetorisch versteht sich, denn natürlich hat das Fellbündel Hunger.

Es wäre nicht sein Kater, wenn er nicht Hunger hätte.

„Hast du mich noch lieb?“, will Ethan wissen.

Die weiße Katze erhebt sich geschmeidig und macht den letzten Abstand zwischen sich und ihrem Dosenöffner zunichte.

Beide Pfötchen gegen die Tür des Kühlgeräts gestemmt richtet sich das Tierchen auf und stupst freudig mit der feuchten Nase gegen die ihres geduldeten Bediensteten.

Ethan lächelt, hebt eine Hand und streichelt das Köpfchen des genau in dem Moment anspringenden, getarnten Rasenmähers. Er greift mit der anderen zugleich nach der vom Fellnäschen begehrten Futterdose.

„Ab an deinen Napf, Akito“, fordert er sein Haustier auf, sofort springt dieses auf den Boden und trabt freudig in Richtung seines Futterplatzes. Ethan folgt dem weißen Getier und füllt den Napf, worauf erfreutes Schmatzen, ab und an unterbrochen von lautem Schnurren der Glückseligkeit, seine Ohren beehrt.

Seinen Mitbewohner versorgt wissend, widmet sich Ethan seiner eigenen Versorgung. Er greift auf den restlichen Obstsalat vom Vortag zurück und begibt sich damit auf die Couch, um bei einer Runde TV zu entspannen.

Nach einer Weile ist er gesättigt, räumt das Geschirr weg und beschließt seine Tasche aus dem Gang zu holen, geht hierfür am Kratzbaum vorbei, auf welchem sein animalischer Kumpel sitzt, sich genüsslich die nicht vorhandenen Eier schlabbert und ihm einen fragenden Blick zukommen lässt, als Ethan erneut an ihm vorbei zurück Richtung Couch geht.

„Angeber“, murmelt er ihm zu und Akito, der weiße Kater mit den schwarzen Öhrchen sieht ihn ratlos an, lässt zugleich aber auch zwei Millimeter seiner Zunge herausgestreckt.

„Frecher Angeber!“, knurrt Ethan und schüttelt leicht den Kopf, lässt sich dann aber zurück auf die Couch fallen.

Er wühlt in der Tasche und stößt dabei auf die Papiere von Yuki. Vorsichtig zieht er sie heraus und fängt an, sie Blatt für Blatt zu betrachten.

Ein mildes Lächeln schleicht sich auf seine Lippen, als er das Schriftbild des jungen Japaners begutachtet. Mal schreibt er japanisch, dann wieder englisch, dann irgendwas dazwischen. Yuki hat eine schöne Schrift. Klein. Aber deutlich lesbar.

„Yuki Kaito“, liest er leise und streicht mit dem Finger über den in Kanji geschriebenen Namen.

Akito, sein Stubentiger scheint dies als Einladung oder Aufforderung zum Kuscheln gesehen zu haben, denn das vierbeinige Fellmonster springt mit einem großen Satz vom Kratzbaum aus auf die Couch und gleitet elegant auf die Sitzfläche herab, nur um sich neben seinen nun wieder geliebten Dosenöffner zu kuscheln.

„Akito“, seufzt Ethan, streichelt über das weiche Fell des neben ihm liegenden Katers und betrachtet eine der Seiten aus dem Manga, welches diesen Mobbern zum Opfer gefallen ist.

Der darauf abgebildete junge Mann ähnelt Yuki gewaltig. Die wilde Frisur, die Kleidung, diese mandelförmigen Augen.

„Yuki wirkt, als wäre er aus einem Manga entsprungen. Seltsame Sache.“ Mit dieser Feststellung, die er übrigens nicht zum ersten Mal trifft, hebt Ethan den Blick und betrachtet sein Bücherregal.

Nein, viel mehr betrachtet er eine Schrankwand. Aber hinter dieser weiß er um seine Sammlung. Die Sammlung dessen, was sein wahres Ich mag. Worauf er steht. Was er toll findet. Wonach er sich sehnt.

Kläglich seufzend legt Ethan die Zettel auf den Tisch vor sich, schnappt mit beiden Händen nach seinem Kater und zieht ihn auf seinen Oberkörper.

„Tut mir leid, Akito. Ich will Kuscheln. Und da du der einzige bist, der hier ist …“ Er muss nicht mal aussprechen. Akito gähnt ungeniert, macht es sich gemütlich und schnurrt eine kleine Arie, während er sich streicheln lässt und wohl im katerhaften Paradies weilt.

„Euch Tiere kümmert es nicht wie ein Mensch aussieht, wie er ist, was er macht … ihr seht mit eurem Herzen und lasst euch nicht von euren Augen blenden, hm?“

Keine Antwort. Nur ein leises, kaum hörbares Schnarchen. Ethan lächelt. Akito wird ihn immer mögen, egal was kommt. Zumindest solange er ihm die Dosen öffnet und ihm Katzenfutter gibt.

Mit diesem Gedanken, der ihn innerlich beruhigt, sinkt Ethans Kopf nach hinten und er schließt die Augen. Müdigkeit zerrt an ihm. So vehement, dass der Weg ins Bett unmöglich scheint. Außerdem hat er Akito auf sich liegen. Da der Kater das Bett meidet, ist die Couch für diese Nacht auch mal in Ordnung. Morgen wird die Rache folgen, wenn Ethans Rücken es ihm mit Schmerzen heimzahlt.