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Johannes Krüger

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Moses Mendelssohn

Phaedon

oder über die Unsterblichkeit der Seele

In drei Gesprächen

In Sprache und Ausdrucksweise modernisiert


Impressum

Digitalisierung: Gunter Pirntke

Covergestaltung: Erhard Koch

2017 andersseitig.de

ISBN:

9783961185610 (ePub)

9783961185627 (mobi)






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Inhalt

Impressum

Vorrede

Leben und Charakter des Sokrates

Charakter des Sokrates.

Erstes Gespräch

Zweites Gespräch

Drittes Gespräch

Anhang zur 2. Auflage

Anhang zur 3. Auflage

Fußnoten


Vorrede

 

Folgende Gespräche des Sokrates mit seinen Freunden, über die Unsterblichkeit der Seele, sollten meinem Freunde Abbt gewidmet werden. Er war es, der mich aufgemuntert hatte, diese vor einigen Jahren angefangene und weggelegte Arbeit wieder vorzunehmen. Als er noch zu Rinteln Professor war, gab er mir, in einem von seinen freundschaftlichen Briefen, seine Gedanken über Spaldings Bestimmung des Menschen zu erkennen. Aus unserm Briefwechsel über diese Materie sind die kleinen Aufsätze entstanden, die in dem neunzehnten Teil der Literaturbriefe, unter dem Titel: Zweifel und Orakul die Bestimmung des Menschen betreffend, vorkommen. Ich hatte das Glück, über einige der wichtigsten Punkte meines Freundes Einstimmung zu erhalten, ob ich ihm gleich nicht in allem Genüge leisten konnte. Mit der Offenherzigkeit eines wahren Freundes, goss er die geheimsten Empfindungen seiner Seele, sein ganzes Herz in meinen Busen aus. Seine philosophischen Betrachtungen erhielten durch die sanften Empfindungen des guten Herzens einen eignen Schwung, wodurch sie die Liebe zur Wahrheit in der kältesten Brust würden entzündet haben, und seine Zweifel selbst unterließen niemals neue Aussichten zu entdecken, und die Wahrheit in ein helleres Licht zu setzen. Unserer Abrede gemäß, sollte ich folgende Gespräche ausarbeiten, und darin die vornehmsten Lehrsätze, worin wir übereinkamen, auseinandersetzen; und diese sollten in der Folge zur Grundlage unseres Briefwechsels dienen.

 

Allein es hat der Vorsehung gefallen, dieses aufblühende Genie vor der Zeit der Erde zu entziehen. Kurz und rühmlich war die Laufbahn, die er hienieden vollendet hat. Sein Werk vom Verdienst wird den Deutschen ein unvergessliches Denkmal seiner eigenen Verdienste bleiben: mit seinen Jahren verglichen, verdienet dieses Werk die Bewunderung der Nachkommenschaft. Was für Früchte konnte man nicht von einem Baume hoffen, dessen Blühte so vortrefflich war. Er hatte noch andre Werke unter der Feder, die an Vollkommenheit, wie er an Erfahrenheit und Kräften des Geistes, zugenommen haben würden. Alle diese schönen Hoffnungen sind dahin! Deutschland verliert an ihm einen trefflichen Schriftsteller, die Menschlichkeit einen liebreichen Weisen, dessen Gefühl so edel, als sein Verstand aufgeheitert war; seine Freunde den zärtlichsten Freund, und ich einen Gefährten auf dem Wege zur Wahrheit, der mich vor Fehltritten warnte. –

 

Nach dem Beispiel des Plato, habe ich den Sokrates in seinen letzten Stunden die Gründe für die Unsterblichkeit der menschlichen Seele seinen Schülern vortragen lassen. Das Gespräch des griechischen Schriftstellers, das den Namen Phädon führet, hat eine Menge ungemeiner Schönheiten, die, zum Besten der Lehre von der Unsterblichkeit, genutzt zu werden verdienten. Ich habe mir die Einkleidung, Anordnung, und Beredsamkeit desselben zu Nutze gemacht, und nur die metaphysischen Beweistümer nach dem Geschmacke unserer Zeiten einzurichten gesucht. In dem ersten Gespräche konnte ich mich etwas näher an mein Muster halten. Verschiedene Beweisgründe desselben schienen nur einer geringen Veränderung des Zuschnitts, und andere einer Entwickelung aus ihren ersten Gründen zu bedürfen, um die Überzeugungskraft zu erlangen, die ein neuerer Leser in dem Gespräche des Plato vermisset. Die lange und heftige Deklamation wider den menschlichen Körper und seine Bedürfnisse,1 die Plato mehr in dem Geiste des Pythagoras, als seines Lehrers geschrieben zu haben scheinet, musste, nach unsern bessern Begriffen von dem Wert dieses göttlichen Geschöpfes, sehr gemildert werden; und dennoch wird sie den Ohren manches jetzigen Lesers fremde klingen. Ich gestehe es, dass ich bloß der siegenden Beredsamkeit des Plato zu Gefallen, diese Stelle beibehalten habe.

 

In der Folge sehe ich mich genötigt, den Plato völlig zu verlassen. Seine Beweise für die Immaterialität der Seele scheinen, uns wenigstens, so seichte und grillenhaft, dass sie kaum eine ernsthafte Widerlegung verdienen. Ob dieses von unserer bessern Einsicht in die Weltweisheit, oder von unserer schlechten Einsicht in die philosophische Sprache der Alten herrühret, vermag ich nicht zu entscheiden. Ich habe in dem zweiten Gespräche einen Beweis für die Immaterialität der Seele gewählt, den die Schüler des Plato gegeben, und einige neuere Weltweisen von ihnen angenommen. Er schien mir nicht nur überzeugend, sondern auch am bequemsten, nach der Sokratischen Methode vorgetragen zu werden.

 

In dem dritten Gespräche musste ich völlig zu den Neuern meine Zuflucht nehmen, und meinen Sokrates fast wie einen Weltweisen aus dem achtzehnten Jahrhunderte sprechen lassen. Ich wollte lieber einen Anachronismus begehen, als Gründe auslassen, die zur Überzeugung etwas beitragen können.

 

Auf solche Weise ist folgendes Mittelding zwischen einer Übersetzung und eigenen Ausarbeitung entstanden. Ob ich auch etwas Neues habe, oder nur das so oft gesagte anders vorbringe, mögen andere entscheiden. Es ist schwer, in einer Materie, über welche so viel große Köpfe nachgedacht haben, durchgehend neu zu sein, und es ist lächerlich, es affektieren zu wollen. Wenn ich hätte Schriftsteller anführen mögen, so wären die Namen Plotinus, Cartes, Leibnitz, Wolf, Baumgarten, Reimarus u. a. oft vorgekommen. Vielleicht wäre dem Leser auch alsdann deutlicher in die Augen gefallen, was ich von dem Meinigen hinzugetan habe. Allein dem bloßen Liebhaber ist es gleichgültig, ob er einen Beweisgrund diesem oder jenem zu verdanken hat; und der Gelehrte weiß das Mein und Dein in so wichtigen Materien doch wohl zu unterscheiden. Ich bitte gleichwohl meine Leser, auf die Gründe, die ich von der Harmonie der moralischen Wahrheiten, und insbesondere2 von dem System unserer Rechte und Obliegenheiten herhole, aufmerksam zu sein. Ich erinnere mich nicht, sie bei irgend einem Schriftsteller gelesen zu haben, und sie scheinen mir für denjenigen, der in die Grundsätze einstimmet, überzeugend zu sein. Die Art des Vertrags hat mich genötigt, sie als bloße Überredungsgründe anzubringen: ich halte sie aber für fähig, nach der Schärfe der strengsten Logik ausgeführt zu werden.

 

Den Charakter des Sokrates habe ich für dienlich erachtet, voraus zu schicken, um bei meinen Lesern das Andenken des Weltweisen aufzufrischen, der in den Gesprächen die Hauptperson ausmachet Coopers Life of Socrates3 hat mir dabei zum Leitfaden gedient, jedoch sind auch die Quellen zu Rate gezogen worden.

 

Leben und Charakter des Sokrates

Charakter des Sokrates.

 

Sokrates, Sohn des Bildhauers Sophroniskus und der Hebamme Phänareta, der weiseste und tugendhafteste unter den Griechen, ward in dem vierten Jahre der sieben und siebzigsten Olympiade, zu Athen, in der alopecischen Zunft daselbst geboren. Der Vater hielt ihn in seiner Jugend zur Bildhauerkunst an, in welcher er keine geringen Progressen gemacht haben muss, wenn die bekleideten Grazien, die auf der Mauer zu Athen, hinter der Bildsäule der Minerva standen, wie verschiedene versichern, von seiner Arbeit gewesen. Zeiten, in welchen ein Phidias, Zeuxis und Myron lebten, können keiner mittelmäßigen Arbeit eine so wichtige Stelle eingeräumt haben.

Etwa in seinem dreißigsten Jahre, als sein Vater längst tot war, und er, ohne sonderliche Neigung, aber aus Not, die Bildhauerkunst noch immer trieb, lernte ihn Krito, ein vornehmer Athenienser, kennen, bemerkte seine erhabenen Talente, und urteilte, dass er dem menschlichen Geschlechte durch sein Nachdenken weit nützlicher werden könnte, als durch seine Handarbeit. Er nahm ihn aus der Schule der Kunst, und brachte ihn zu den Weisen der damaligen Zeit, um ihm Schönheiten einer höheren Ordnung zur Betrachtung und Nachahmung vorhalten zu lassen. Lehret die Kunst, das Leben im Leblosen nachzuahmen, den Stein dem Menschen ähnlich zu machen; so suchet die Weisheit hingegen, das Unendliche im Endlichen nachzuahmen, die Seele des Menschen jener ursprünglichen Schönheit und Vollkommenheit so nahe zu bringen, als es in diesem Leben möglich ist. Sokrates genoss den Unterricht und den Umgang der berühmtesten Leute in allen Wissenschaften und Künsten, von welchen seine Schüler den Archelaus, Anaxagoras, Prodikus, Evenus, Isimachus, Theodorus und andere nennen.

 

Krito versah ihn mit den Notwendigkeiten des Lebens, und Sokrates legte sich anfangs mit vielem Fleiße auf die Naturlehre, die zur damaligen Zeit sehr im Schwange war. Er merkte aber gar bald, dass es Zeit sei, die Weisheit von Betrachtung der Natur auf die Betrachtung des Menschen zurückzuführen. Dieses ist der Weg, den die Weltweisheit allezeit nehmen sollte. Sie muss mit Untersuchung der äußerlichen Gegenstände anfangen, aber bei jedem Schritte, den sie tut, einen Blick auf den Menschen zurückwerfen, auf dessen wahre Glückseligkeit alle ihre Bemühungen abzielen sollten. Wenn die Bewegung der Planeten, das Wesen der himmlischen Körper, die Natur der Elemente u.s.w. nicht wenigstens mittelbar einen Einfluss in unsre Glückseligkeit haben: so ist der Mensch gar nicht bestimmt, sie zu untersuchen. Sokrates war der erste, wie Cicero sagt, der die Philosophie vom Himmel herunter gerufen, in die Städte eingesetzt, in die Wohnungen der Menschen geführt, und über ihr Tun und Lassen Betrachtungen anzustellen genötigt hat. Indessen ging er, wie überhaupt die Neuerungsstifter zu tun pflegen, auf der andern Seite etwas zu weit, und sprach zuweilen von den erhabensten Wissenschaften, mit einer Art von Geringschätzung, die dem weisen Beurteiler der Dinge nicht geziemet.

Damals stand in Griechenland, wie zu allen Zeiten bei dem Pöbel, die Art von Gelehrten in großem Ansehen, die sich bemühen, eingewurzelte Vorurteil und verjährten Aberglauben durch allerhand Scheingründe und Spitzfindigkeiten zu begünstigen. Sie gaben sich den Ehrennamen Sophisten, den ihre Aufführung in einen Ekelnamen verwandelte. Sie besorgten die Erziehung der Jugend, und unterrichteten auf öffentlichen Schulen so wohl, als in Privathäusern, in Künsten, Wissenschaften, Sittenlehre und Religion, mit allgemeinem Beifall. Sie wussten, dass in demokratischen Regierungsverfassungen die Beredsamkeit über alles geschätzt wird, dass ein freier Mann gerne von Politik schwatzen höret, und dass die Wissensbegierde schaler Köpfe am liebsten durch Märchen befriediget sein will: daher unterließen sie niemals, in ihrem Vortrage gleißende Beredsamkeit, falsche Politik und ungereimte Fabeln so künstlich durcheinanderzuflechten, dass das Volk sie mit Verwunderung anhörte und mit Verschwendung belohnte. Mit der Priesterschaft standen sie in gutem Vernehmen; denn sie hatten beiderseits die weise Maxime: leben und leben lassen. Wenn die Tyrannei der Heuchler den freien Geist der Menschen nicht länger unter dem Joche halten konnte: so waren jene Scheinfreunde der Wahrheit bestellt, ihn auf falsche Wege zu verleiten, die natürlichen Begriffe durcheinander zu werfen, und allen Unterschied zwischen Wahrheit und Irrtum, Recht und Unrecht, Gutem und Bösem, durch blendende Trugschlüsse aufzuheben. In der Theorie war ihr Hauptgrundsatz: Man kann alles beweisen und alles wiederlegen, und in der Ausübung: Man muss von der Torheit anderer, und seiner eigenen Überlegenheit, so viel Vorteil ziehen, als man nur kann. Diese letztere Maxime hielten sie zwar, wie leicht zu erachten, vor dem Volke geheim, und vertrauten dieselbe nur ihren Lieblingen, die an ihrem Gewerbe teilnehmen sollten; allein die Moral, die sie öffentlich lehrten, war nichts destoweniger für das Herz der Menschen ebenso verderblich, als ihre Politik für die Rechte, Freyheit und Glückseligkeit des menschlichen Geschlechts.

 

Da sie listig genug waren, das herrschende Religionssystem mit ihrem Interesse zu verwickeln: so gehörte nicht nur Entschlossenheit und Heldenmut dazu, ihren Betrügereien Einhalt zu tun, sondern ein wahrer Tugendfreund durfte es ohne die behutsamste Vorsichtigkeit nicht wagen. Es ist kein Religionssystem so verderbt, das nicht wenigstens einigen Pflichten der Menschheit eine gewisse Heiligung gibt, die der Menschenfreund verehren, und der Sittenverbesserer, wann er nicht seiner eigenen Absicht zuwider handeln will, unangetastet lassen muss. Von Zweifel in Religionssachen zur Leichtsinnigkeit, von Vernachlässigung des äußerlichen Gottesdienstes zur Geringschätzung alles Gottesdienstes überhaupt, pflegt der Übergang sehr leicht zu sein, besonders für Gemüter, die nicht unter der Herrschaft der Vernunft stehen, sondern von Geiz, Ehrsucht oder Wollust regieret werden. Die Priester des Aberglaubens verlassen sich nur allzu sehr auf diesen Hinterhalt, und nehmen zu demselben, wie zu einem unverletzlichen Heiligtum, ihre Zuflucht, so oft ein Angriff auf sie geschieht.

 

Solche Schwierigkeiten und Hindernisse standen dem Sokrates im Wege, als er den großen Entschluss fasste, Tugend und Weisheit unter seinen Nebenmenschen zu verbreiten. Er hatte, von der einen Seite, seine eignen Vorurteil der Erziehung zu besiegen, die Unwissenheit anderer zu beleuchten, Sophisterei zu bestreiten, Bosheit, Neid, Verleumdung und Beschimpfung von Seiten seiner Gegner auszuhalten, Armut zu ertragen, festgesetzte Macht zu bekämpfen, und, was das schwerste war, die finstern Schrecknisse des Aberglaubens zu vereiteln. Von der andern Seite waren die schwachen Gemüter seiner Mitbürger zu schonen, Ärgernisse zu vermeiden, und der gute Einfluss, den selbst die albernste Religion auf die Sitten der Einfältigen hat, nicht zu verscherzen. Alle diese Schwierigkeiten überstand er mit der Weisheit eines wahren Philosophen, mit der Geduld eines Heiligen, mit der uneigennützigen Tugend eines Menschenfreundes, mit der Entschlossenheit eines Helden, auf Unkosten und mit Verlust aller weltlichen Güter und Vergnügungen. Gesundheit, Macht, Bequemlichkeit, Leumund, Ruhe und zuletzt das Leben selbst, gab er auf die liebreichste Weise für das Wohl seiner Nebenmenschen hin. So mächtig wirkte in ihm die Liebe zur Tugend und Rechtschaffenheit, und die Unverletzlichkeit der Pflichten gegen den Schöpfer und Erhalter der Dinge, den er durch das reine Licht der Vernunft auf die lebendigste Art erkannte.

 

Diese höheren Aussichten des Weltbürgers hielten ihn indessen nicht ab, die gemeineren Pflichten gegen sein Vaterland zu erfüllen. In seinem sechs und dreißigsten Jahre tat er Kriegsdienste wider die Potidäer , die Einwohner einer Stadt in Thrazien, die sich wider ihre Tributherrn, die Athenienser, empört hatten. All hier versäumte er die Gelegenheit nicht, seinen Körper wider alle Beschwerlichkeiten des Kriegs und Rauigkeit der Jahreszeit abzuhärten, und seine Seele in Unerschrockenheit und Verachtung der Gefahr zu üben. Er trug, durch die allgemeine Einstimmung seiner Mitwerber selbst, den Preis der Tapferkeit davon, überließ aber denselben dem Alcibiades, den er liebte, und hierdurch aufmuntern wollte, solche Ehrenbezeigungen von seinem Vaterlande künftighin durch eigene Taten zu verdienen. Kurz vorher hatte er ihm in einem Gefechte das Leben gerettet. Man belagerte die Stadt Potidäa in der strengsten Kälte. Andere verwahrten sich wider den Frost, er blieb bei seiner gewöhnlichen Kleidung, und ging mit bloßen Füßen über das Eis. Die Pest wütete in dem Lager und in Athen selbst. Es ist fast nicht zu glauben, was Diogenes Laertius und Aelian versichern: Sokrates soll der einzige gewesen sein, den sie gar nicht angegriffen. Ohne aus diesem Umstande, der ein bloßer Zufall hat sein können, etwas zu schließen, kann man überhaupt mit Gewissheit sagen, dass er von einer starken und dauerhaften Leibesbeschaffenheit gewesen, und solche durch Mäßigkeit, Übung und Entfernung von aller Weichlichkeit so zu erhalten gewusst hat, dass er wider alle Zufälle und Beschwerlichkeit des Lebens abgehärtet war. Gleichwohl hat er auch im Felde nicht unterlassen, seine Seelenkräfte nicht nur zu üben, sondern äußerst anzustrengen. Man sah ihn zuweilen vierundzwanzig Stunden auf eben der Stelle, mit unverwandten Blicken, in Gedanken vertieft stehen, als wenn der Geist von seinem Körper abwesend wäre, sagt Aulus Gellius. Man kann nicht leugnen, dass diese Entrückungen eine Anlage zur Schwärmerei gewesen, und man findet in seinem Leben mehrere Spuren, dass er nicht völlig davon befreiet gewesen. Indessen war es eine unschädliche Schwärmerei, die weder Hochmuth noch Menschenhass zum Grunde hatte, und die in der Verfassung, in welcher er sich befand, ihm sehr nützlich gewesen sein mag. Die gemeinen Kräfte der Natur reichen vielleicht nicht hin, den Menschen zu so großen Gedanken und standhaften Entschließungen zu erheben.

 

Nach geendigtem Feldzuge kehrte er in seine Vaterstadt zurück, und fing an mit Nachdruck Sophisterei und Aberglauben zu bekämpfen, und seine Mitbürger in Tugend und Weisheit zu unterrichten. Auf öffentlichen Straßen, Spaziergängen, in Bädern, Privathäusern, Werkstätten der Künstler, wo er nur Menschen fand, die er bessern zu können glaubte, da hielt er sie an, ließ sich mit ihnen in Gespräche ein,4 erklärte ihnen, was recht und unrecht, gut und böse, heilig und unheilig sei; unterhielt sie von der Vorsehung und Regierung Gottes, von den Mitteln ihm zu gefallen, von der Glückseligkeit des Menschen, von den Pflichten eines Bürgers, eines Hausvaters, eines Ehemannes u.s.w. Alles dieses niemals in dem aufdrängenden Ton eines Lehrers, sondern als ein Freund, der die Wahrheit selbst erst mit uns suchen will. Er wusste es aber durch die einfältigsten Kinderfragen so einzuleiten, dass man von Frage zu Frage, ohne sonderliche Anstrengung, ihm folgen konnte, ganz unvermerkt aber sich am Ziele sah, und die Wahrheit nicht gelernte, sondern selbst erfunden zu haben glaubte. Ich ahme hierin meiner Mutter nach, pflegte er im Scherze zu sagen: Sie gebietet selbst nicht mehr, aber sie besitzet Kunstgriffe, wodurch sie andern ihre Geburten zur Welt bringen hilft. Auf eine ähnliche Weise versehe ich bei meinen Freunden das Amt eines Geburtshelfers. Ich frage und forsche so lange, bis die verborgene Frucht ihres Verstandes ans Licht kommt.

 

Diese Methode, die Wahrheit zu erfragen, war auch die glücklichste, die Sophisten zu widerlegen. Wenn es zu einem ausführlichen Vortrage kam, so war ihnen nicht beizukommen. Denn da standen ihnen so viel Ausschweifungen, so viel Märchen, so viel Scheingründe, und so viel rednerische Figuren zu Gebote, dass die Zuhörer verblendet wurden, und überzeugt zu sein glaubten. Ein allgemeines Händeklatschen pflegte ihnen selten zu entstehen. Und man stelle sich den triumphierenden Blick vor, mit welchem solche Lehrer alsdann auf ihre Schüler, oder wohl gar Widersacher, herabsahen. Was tat Sokrates bei einer solchen Gelegenheit? Er klatschte mit; wagte aber einige gar leichte von der Sache etwas entfernte Fragen, die der hochgelehrte Mann für albern hielt, und aus Mitleiden beantwortete. Nach und nach schlich er sich der Sache näher, immer mit Fragen, und immer indem er seinem Gegner die Gelegenheit abschnitt, in anhaltende Reden auszuschweifen. Dadurch wurden sie genötigt, die Begriffe deutlich auseinander zu setzen, richtige Erklärungen gelten, und aus ihren falschen Voraussetzungen ungereimte Folgerungen ziehen zu lassen. Zuletzt sahen sie sich so in die Enge getrieben, dass sie ungeduldig wurden. Er aber ward es niemals, sondern ertrug ihre Unart selbst mit der größten Gelassenheit, fuhr fort die Begriffe zu entwickeln, bis endlich die Ungereimtheiten, die aus den Grundsätzen der Sophisten folgten, dem einfältigsten Zuhörer handgreiflich wurden. Auf solche Weise wurden sie ihren eignen Schülern zum Gelächter.

 

In Ansehung der Religion scheint er folgende Maxime vor Augen gehabt zu haben. Jede falsche Lehre oder Meinung, die offenbar zur Unsittlichkeit führet, und also der Glückseligkeit des menschlichen Geschlechts entgegen ist, wurde von ihm auf keinerlei Weise verschont, sondern öffentlich, im Beisein der Heuchler, Sophisten und des gemeinen Volks, bestritten, lächerlich gemacht, und in ihren ungereimten und abscheulichen Folgen gezeigt. Von dieser Art waren die Lehren der Fabeldichter von den Schwachheiten, Ungerechtigkeiten, schändlichen Begierden und Leidenschaften, die sie ihren Göttern zuschrieben. Über dergleichen Sätze, sowie über unrichtige Begriffe von der Vorsehung und Regierung Gottes, auch über die Belohnung des Guten und die Bestrafung des Bösen war er niemals zurückhaltend, niemals, selbst zum Scheine nicht, zweifelhaft, sondern allezeit entschlossen, die Sache der Wahrheit mit der größten Unerschrockenheit zu verfechten, und, wie der Erfolg gezeigt, sein Bekenntnis mit dem Tode zu versiegeln. Eine Lehre aber, die bloß theoretisch falsch, und den Sitten so großen Schaden nicht bringen konnte, als von einer Neuerung zu befürchten war, ließ er unangefochten, bekannte sich vielmehr öffentlich zu der herrschenden Meinung, beobachtete die darauf gegründeten Zeremonien und Religionsgebräuche, vermied hingegen alle Gelegenheit zu einer entscheidenden Erklärung; und wann ihr nicht auszuweichen war, so hatte er eine Zuflucht in Bereitschaft, die ihm niemals entstehen konnte: er schützte seine Unwissenheit vor.

 

Hierunter begünstigt ihn vorzüglich die Methode zu lehren, die er, wie wir gesehen, aus andern Absichten gewählt hatte. Denn da er seine Lehren niemals mit dem Hochmut eines alleswissenden Mannes ankündigte, da er vielmehr nichts selbst behauptete, sondern allezeit die Wahrheit durch Fragen von seinen Zuhörern herauszulocken suchte: so war ihm erlaubt, das nicht zu wissen, was er nicht wissen konnte, oder durfte. Die Eitelkeit, auf alle Fragen eine Antwort zu wissen, hat so manchen großen Geist verführt, Dinge zu behaupten, die er in dem Munde eines andern getadelt haben würde. Sokrates war von dieser Eitelkeit weit entfernt. Von Dingen, die über seinen Horizont waren, gestand er mit der naivsten Freimütigkeit: Dieses weiß ich nicht; und wann er merkte, dass ihm Fallen gelegt wurden, und gewisse Geständnisse abgelockt werden wollten, so zog er sich aus dem Spiele, und sagte: Nichts weiß ich! Das Orakel zu Delphi erklärte ihn für den weisesten unter allen Sterblichen. »Wisst ihr, sprach Sokrates, warum Apollo mich für den größten Weisen auf Erden hält? Weil andere mehren teils etwas zu wissen glauben, was sie nicht wissen. Ich aber sehe wohl ein und gestehe, dass alles, was ich weiß, darauf hinausläuft, dass ich nichts weiß

Der Ruhm des Sokrates, verbreitete sich in ganz Griechenland, und es kamen die angesehensten und gelehrtesten Männer von allen Gegenden zu ihm, um seines freundschaftlichen Umgangs und Unterrichts zu genießen. Die Begierde ihn zu hören, war unter seinen Freunden so groß, dass mancher sein Leben wagte, um nur täglich bei ihm zu sein. Die Athenienser hatten bei Lebensstrafe verboten, dass sich kein Megarenser auf ihrem Gebiete betreten lassen sollte. Euklides von Megara, ein Freund und Schüler des Sokrates, ließ sich dadurch nicht abhalten seinen Lehrer zu besuchen. Des Nachts ging er, in bunte Weiberkleider gehüllt, von Megara nach Athen, und des Morgens, ehe es Tag war, ging er wieder seine zwanzig tausend Schritte zurück nach Hause. Bey dem allen lebte Sokrates in der äußersten Armut und Dürftigkeit, und wollte sich nichts für seinen Unterricht bezahlen lassen, obgleich die Athenienser so lehrbegierig waren, dass sie sich große Summen würden haben kosten lassen, wann er auf Belohnung gedrungen hätte. Die Sophisten wussten von dieser Bereitwilligkeit schon bessern Gebrauch zu machen.

 

Es muss ihm desto mehr Überwindung gekostet haben, diese Dürftigkeit zu ertragen, da seine Frau, die berüchtigte Xantippe, eben nicht die genügsamste Hausfrau gewesen, und er auch für Kinder zu sorgen gehabt, die ihre Verpflegung von seiner Hand erwarteten. Es ist zwar noch nicht ausgemacht, dass die Xantippe von so böser Gemütsart gewesen, als man gemeiniglich glaubet. Die Märchen, die zu ihrer Beschimpfung bekannt sind, rühren von spätem Schriftstellern her, die sie nur vom Hörensagen haben konnten. Plato und Xenophon, die am besten davon unterrichtet sein mussten, scheinen sie als eine mittelmäßige Frau gekannt zu haben, von der sich weder viel gutes noch viel böses sagen lässt. Ja man wird in folgendem Gespräche nach dem Plato finden, dass sie, an dem letzten Tage des Sokrates, mit ihrem Kinde bei ihm im Kerker gewesen, und sich außerordentlich über seinen Tod betrübt hat.

Alles was man sonst bei diesen glaubwürdigsten Schriftstellern zu ihrem Nachtheile findet, ist etwa eine Stelle in dem Tischgespräche Xenophons, wo jemand den Sokrates fragt, warum er sich eine Frau genommen, die so wenig umgänglich wäre? worauf dieser in seinem gewöhnlichen Tone antwortet: »Wer mit Pferden umgehen lernen will, der wählet sich zu seiner Übung kein geduldiges Lasttier, sondern ein mutiges Ross, das schwer zu bändigen ist. Ich, der ich mit Menschen umgehen lernen will, habe mir aus eben der Ursache eine Hausfrau gewählt, die unverträglich ist, um die verschiedene Laune der Menschen desto besser ertragen zu lernen.« An einer andern Stelle lässt eben dieser Schriftsteller den Sohn des Sokrates, den Lamproklus, sich gegen seinen Vater über die harte Begegnung, mürrische Gemütsart und unerträgliche Laune seiner Mutter beschweren. Allein aus der Antwort des Sokrates erhellet, zu ihrem Lobe, dass sie, bei ihrem zänkischen Gemühte, die Pflichten einer Hausmutter gleichwohl sorgfältig beobachtet, und ihre Kinder geliebt, und gehörig verpflegt hat. Dieses Zeugnis ihres Ehemannes widerlegt offenbar alle schimpfliche Histörchen, die man auf ihre Unkosten ersonnen, und wodurch man sie der Nachwelt als ein Beispiel eines bösen Weibes aufgestellt hat. Man kann mit gutem Grunde glauben, dass Sokrates seine Kunst mit Menschen umzugehen an seiner Ehegenossin nicht vergebens geübt hat; dass er vielmehr durch unermüdlichee Geduld, Gefälligkeit, Sanftmut, und durch seine unwiderstehlichen Ermahnungen die Härte ihres Temperaments überwunden, ihre Liebe gewonnen, und sie dergestalt gebessert haben wird, dass sie aus einem unverträglichen Weibe, eine gute Hausmutter, und, wie ihre Aufführung vor seinem Ende ausweiset, eine zärtliche Ehefrau geworden. Dem sei indessen wie ihm wolle, so müssen ihm seine häuslichen Umstände die Armut weit beschwerlicher gemacht haben; da er nicht sich allein, sondern einer ganzen Familie, und vielleicht einer unzufriedenen und über seine strenge Genügsamkeit sich beklagenden Familie, von seinem Tun und Lassen Rechenschaft zu geben hatte. Niemand war besser von den Pflichten eines Hausvaters unterrichtet, als Sokrates. Er wusste wohl, dass ihm obliege, so viel zu erwerben und anzuschaffen, als zum ehrlichen Auskommen für seine Familie nötig sei, und er hat diese natürliche Pflicht seinen Freunden sehr oft eingeschärft. Allein was ihn selbst betraf, so stand ihm eine höhere Pflicht im Wege, die ihn verhinderte, jener Genüge zu leisten. Das Verderbnis der Zeiten, da alles des feilen Gewinnes halber geschah, und insbesondere die niederträchtige Habsucht der Sophisten, die ihre verderblichen Lehren um bares Geld verkauften, und die schändlichsten Mittel anwendeten, sich auf Unkosten des betrogenen Volks zu bereichern: diese legten ihm die Verbindlichkeit auf, ihnen die äußerste Uneigennützigkeit entgegen zu setzen, damit seine reinen und unbefleckten Absichten keiner üblen Auslegung fähig sein möchten. Er wollte lieber darben, und, wenn ihn der Mangel zu sehr drückte, von Almosen leben, als durch sein Beispiel den schmutzigen Geldgeiz dieser falschen Weisheitslehrer nur einigermaßen rechtfertigen.

Er unterbrach diese wohltätigen Beschäftigungen, und zog abermals freiwillig mit zu Felde wider die Böotier. Die Athenienser verloren eine Schlacht bei Delium, und wurden aufs Haupt geschlagen. Sokrates zeigte seine Tapferkeit sowohl im Treffen, als auf dem Rückzug. »Hätte jedermann seine Pflicht so getan, wie Sokrates, spricht der Feldherr Laches beim Plato, so wäre der Tag gewiss nicht unglücklich für uns gewesen.« Als alles floh, ging er auch zurück, aber Schritt vor Schritt, und indem er sich öfters umkehrte, um einem Feinde, der ihm etwa auf den Hals käme, Wiederstand zu tun. Er fand den Xenophon, der vom Pferde gefallen und verwundet war, unterwegs liegend, nahm ihn auf seine Schulter, und brachte ihn in Sicherheit.

 

Die Priester, Sophisten, Redner und andre, die dergleichen feile Künste trieben, Leute, denen Sokrates ein Dorn im Auge sein musste, machten sich desselben Abwesenheit zu Nutz, und suchten die Gemüter wider ihn aufzubringen. Bei seiner Rückkehr fand er eine geschlossene Partei, der kein Mittel ihm zu schaden zu niederträchtig war. Sie mieteten, wie man zu glauben Ursache hat, den Komödienschreiber Aristophanes, dass er durch ein Possenspiel, das man damals Komödie nannte, den Sokrates verhasst und lächerlich zu machen suchte, um das gemeine Volk teils auszuholen, teils vorzubereiten, und wann der Streich gelänge, ein mehreres zu wagen. Diese Fratze führte den Namen die Wolken. Sokrates war die Hauptperson, und die Figur, die diese Rolle machte, gab sich Mühe ihn nach dem Leben zu konterfeien. Kleidung, Gang, Gebärde, Stimme, alles äffte er natürlich nach. Das Stück selbst hat sich, zur Ehre des verfolgten Weltweisen, bis auf unsre Zeiten erhalten. Man kann sich kaum etwas ungezogenes denken.

 

Sokrates pflegte sonst niemals das Theater zu besuchen, außer wann die Stücke des Euripides, (daran er selbst, wie einige wollen, Antheil gehabt) aufgeführt wurden. Den Tag, da dieses Pasquill aufgeführt werden sollte, ging er gleichwohl hinein. Er hörte, dass viele Fremde, die zugegen waren, sich erkundigten, wer dieser Sokrates im Original sei, der auf der Bühne so gehöhnt werde? Er trat mitten im Schauspiel hervor, und blieb, bis ans Ende des Stücks, auf einer Stelle stehen, wo ihn jedermann sehen und mit der Kopie vergleichen konnte. Dieser Streich war für den Dichter und seine Komödie tödlich. Die possenhaftesten Einfälle taten keine Wirkung mehr: denn das Ansehen des Sokrates erregte Hochachtung und eine Art von Erstaunen über seine Unerschrockenheit. Auch fand das Stück keinen Beifall. Der Dichter veränderte es, und brachte es das folgende Jahr wieder auf die Bühne, aber mit ebenso schlechtem Erfolge. Die Feinde des Weltweisen sahen sich genötigt, die vorgehabte Verfolgung bis auf eine günstigere Zeit zu verschieben.

 

Kaum war der Krieg mit den Boeotiern beendet, so mussten die Athenienser schon ein neues Heer anwerben, um dem Lacedämonischen Feldherrn Brasidas Einhalt zu tun, der in Thrazien verschiedene Städte, und unter andern die wichtige Stadt Amphipolis ihrer Herrschaft entzogen hatte. SokratesAlcibiadesPlatoSokratesSokratesAristophanesMelitusMelitusSokratesKritiasKritobulusAlcibiadesPlatoMann in unsern Zeiten sich nicht entbrechen würde, wenn er an ein Frauenzimmer schreibt, wie verliebt zu tun.