Thomas Köhler-Saretzki, Ilka Markwort, Dagmar Wiegel

Starke Kinder brauchen starke Eltern

Wegweiser für Betroffene, Eltern, Therapeuten und Pädagogen

RATGEBER

für Angehörige, Betroffene und Fachleute

Thomas Köhler-Saretzki, Ilka Markwort, Dagmar Wiegel

Starke Kinder brauchen starke Eltern

Wegweiser für Betroffene, Eltern, Therapeuten und Pädagogen

| Vorwort des Herausgebers

Die „Ratgeber für Angehörige, Betroffene und Fachleute“ vermitteln kurz und prägnant grundlegende Kenntnisse (auf wissenschaftlicher Basis) und geben Hilfestellung zu ausgewählten Themen aus den Bereichen Ergotherapie, Sprachtherapie und Medizin.

Die Autorinnen und Autoren dieser Reihe sind ausgewiesene Fachleute, die sich durch besondere Kenntnisse im thematisierten Bereich ausweisen. Sie sind jeweils für den Inhalt selbst verantwortlich und stehen Ihnen für Rückfragen gerne zur Verfügung.

Im Ratgeber „Starke Kinder brauchen starke Eltern“ bündeln die Autoren Thomas Köhler-Saretzki, Ilka Markwort, Dagmar Wiegel ihre vielfältigen Erfahrungen mit Kindern in psychisch belasteten Familienkonstellationen. So schaffen sie den Spagat zwischen wissenschaftlichem Anspruch und Verständlichkeit, um auch Laien einen guten Einstieg in das komplexe Thema zu ermöglichen.

Das Buch gliedert sich in zwei Bereiche, zum einen beschreibt es die Problematik und die Hintergründe von Eltern mit psychischen Erkrankungen und die Auswirkungen auf deren Kinder. Zum anderen gibt es Hilfestellungen für Eltern, Angehörige, die Kinder selbst, Pflegeeltern und auch Fachpersonen, um mit den aus den psychischen Erkrankungen entstehenden Herausforderungen besser umgehen zu können.

Begleitet durch das Fallbeispiel „Lina“ werden die Leser durch die einzelnen Kapitel geführt. Nach einem Überblick über häufige psychische Erkrankungen und ihre Auswirkungen auf den Alltag erkrankter Eltern folgt eine umfassende Beschreibung des belasteten Familiensystems.

Es werden Schutzfaktoren aufgeführt, die Kindern eine normale Entwicklung ermöglichen und alle Beteiligten erhalten konkrete Anregungen.

Ein weiteres Kapitel widmet sich der wichtigen Vernetzung der professionellen Akteure, die häufig gleichzeitig mit den Familien arbeiten.

Der Ratgeber gibt einen guten Überblick über die Hintergründe psychisch belasteter Familien und bietet konkrete Vorschläge an, wie die Kinder und Jugendlichen dennoch ihr Entwicklungspotenzial optimal nutzen können.

Er empfiehlt sich somit für Eltern und Angehörige, aber auch für Fachleute, die einen Einstieg in das Thema finden möchten.

Wir hoffen, mit diesem Ratgeber dazu beizutragen, dass die Kinder und Jugendlichen aus psychisch belasteten Familien einen möglichst kindgerechten und sorgenfreien Alltag erleben dürfen.

Arnd Longrée

Herausgeber für den DVE

Genderanmerkung:

Im Ratgeber wird immer von Mutter/Vater oder Eltern die Rede sein. Ansonsten wird in der Regel im Singular die weibliche Form, im Plural die männliche Form verwendet.

| Vorwort

Wie erleben Kinder das Zusammenleben mit psychisch erkrankten Eltern? Was bedeutet es für Kinder, wenn Mutter oder Vater unter einer psychischen Erkrankung leidet? Welche Auswirkungen kann die elterliche Erkrankung auf die Entwicklung der Kinder haben? Was stärkt die Kinder psychisch erkrankter Eltern?

Die Alltagsprobleme, Belastungen und Beeinträchtigungen der betroffenen Kinder rückten lange Zeit nur ausnahmsweise ins Blickfeld von Wissenschaft und psychosozialer Praxis. Zu Recht sprach man lange Zeit von den Kindern psychisch erkrankter Eltern als den „vergessenen Angehörigen“. Erfreulicherweise ist mittlerweile in Forschung und Praxis Bewegung gekommen. Das Thema „Psychische Erkrankung der Eltern und ihre Folgen für die kindliche Entwicklung“ findet zunehmend Beachtung in der Fachöffentlichkeit, in der Forschung und in der Gesundheitspolitik.

Parallel zu der Entwicklung von präventiv orientierten Initiativen und Projekten wurden in den letzten Jahren verstärkt praxisorientierte Forschungsaktivitäten durchgeführt, die wichtige Erkenntnisse über die Situation der Kinder und ihrer Familien erbrachten und wertvolle Ansatzpunkte für resilienzfördernde Interventionen lieferten.

Es liegen mittlerweile umfangreiche wissenschaftliche Erkenntnisse über Belastungs- und Risikofaktoren vor. Die Resilienzforschung konnte eine Reihe spezifischer Schutzfaktoren für Kinder psychisch erkrankter Eltern identifizieren. Deutschlandweit hat sich auf der Grundlage der wissenschaftlichen Erkenntnisse eine Vielzahl spezifischer, noch stärker auf die Bedürfnisse der Kinder und ihrer Eltern ausgerichteter Angebote etabliert.

In dem vorliegenden Ratgeber „Starke Kinder brauchen starke Eltern“ werden relevante Erkenntnisse aus der Forschung und praktische Anregungen für die Gestaltung von Hilfen dargestellt. Es ist ein wissenschaftlich qualifizierter Text, in dem der aktuelle Erkenntnisstand verständlich verarbeitet und in vorbildlicher Weise umgesetzt ist. Anregend illustriert werden belastende und schützende Erfahrungen für die Kinder und die Familiensysteme erläutert. Der informative Wegweiser „Was kann man tun?“ wird nicht nur für Angehörige und die betroffenen Kinder hilfreich sein, sondern ganz sicher auch für Fachleute, die in pädagogischen Feldern mit den Kindern und Familien arbeiten. Die Lektüre ist ein echter Gewinn!

Ich beglückwünsche die Autorinnen und den Autor zu diesem Ratgeber und Wegweiser und wünsche dem Buch eine hohe Akzeptanz und Verbreitung.

Prof. Dr. Albert Lenz, Dipl.-Psychologe

Institut für Gesundheitsforschung und Soziale Psychiatrie (igsp) der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen (KatHo NRW)

Lina, 10 Jahre

Lina ist ein 10 Jahre altes Mädchen und besucht die 4. Klasse der Grundschule. An manchen Tagen geht es Lina sehr gut. Der Grund dafür ist, dass ihre Mutter gut gelaunt ist. Allerdings ist das leider eher die Ausnahme. Oft liegt die Mutter tagelang nur auf der Couch und spricht kaum mit ihr. Entweder weint sie oder meckert und schreit Lina an, obwohl Lina aus ihrer Sicht eigentlich gar nichts getan hat. Ihre Mutter ist häufig unruhig und angespannt und meidet dann andere Menschen.

Lina wird in diesen Situationen immer besonders traurig, ist ganz verwirrt und bekommt Angst. Sie zieht sich zurück, grübelt und stellt sich immer wieder die gleichen Fragen: „Was ist los?“, „Bin ich schuld daran, dass es meiner Mama nicht gut geht? Was kann ich denn dagegen tun?“

Ihr Vater muss viel arbeiten. Er ist häufig auf Dienstreisen und deshalb oft tagelang nicht zu Hause. Deshalb hat er auch relativ wenig Zeit für die Familie und kriegt gar nicht so richtig mit, dass es seiner Frau und seiner Tochter nicht gut geht.

Lina versucht zu Hause zu helfen und ihre Mutter zu unterstützen, wo es nur geht. Sie macht den Haushalt und kümmert sich um ihren kleinen Bruder Benjamin. Trotzdem hat dies in der Regel so gut wie keine Auswirkung auf die Stimmungslage ihrer Mutter. Lina ist dann besonders ratlos. Sie weiß nicht mehr, was sie tun soll, wie sie mit ihrer Mutter umgehen und die ganze Situation bewältigen soll. Sie fühlt sich, als würde sie die ganze Zeit alle ihre Nöte, Ängste und Sorgen in einem schweren Rucksack bei sich tragen.

In der Schule hat Lina Schwierigkeiten, sich ausreichend zu konzentrieren und bei der Sache zu bleiben. Mit ihren Mitschülern hat sie wenig Kontakt. Sie vermeidet es, Freundschaften einzugehen, weil sie nicht darauf angesprochen werden möchte, wie es bei ihr zu Hause ist. So bleibt sie mit dem großen, schweren Problemrucksack auf ihrem Rücken allein. Sie zieht sich immer mehr zurück, ist wütend und verzweifelt. Gleichzeitig schämt sie sich aber auch dafür, weil sie ihre Mama doch lieb hat.

Lina wird uns durch diesen Ratgeber begleiten. So erfahren die Leser manches über psychische Erkrankungen, die Folgen für das Familiensystem und wie man diese im Alltag erkennt.

Die Leser werden außerdem einiges über Kinder psychisch kranker Eltern in Pflegefamilien und im Heim, über Resilienz und Schutzfaktoren erfahren und schließlich, was Eltern und auch die Kinder selbst konkret tun können. Zum Schluss folgen noch Informationen über die Vernetzung von Jugendhilfe, Gesundheitshilfe und Eingliederungshilfe und konkrete Tipps für Anlaufstellen, Hilfsmöglichkeiten und Literatur.