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Fußnoten

1

pietistisch: auf einer theologischen Bewegung fußend, die seit der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts, in Nachfolge der Reformation, den Fokus auf das fromme Subjekt richtet, theologische Lehrmeinungen sowie die kirchliche Einheit rücken dabei in den Hintergrund. Durch die Betonung der Persönlichkeit des Einzelnen hatte der Pietismus zwar zunächst eine moderne, aufklärerische Tendenz, wurde aber im Laufe der Zeit eine theologisch und sozial zunehmend konservative Bewegung.

2

Metaphysik: Lehre, die sich mit den nicht erfahrbaren und nicht erkennbaren Dingen des Seins beschäftigt.

3

Sigrid Weigel, »Die geopferte Heldin und das Opfer als Heldin«, in: Inge Stephan / Sigrid Weigel, Die verborgene Frau. Sechs Beiträge zu einer feministischen Literaturwissenschaft, Berlin 1983, S. 142.

4

Inge Stephan, »›So ist die Tugend ein Gespenst‹. Frauenbild und Tugendbegriff im bürgerlichen Trauerspiel bei Lessing und Schiller«, in Lessing Yearbook 1985, S. 120, hier S. 17. Stephan stellt die immer wieder notwendige Frage nach der Bedeutung der Vorstellung »weiblicher Tugend« für das patriarchalische Weltbild und erläutert die Eingrenzung und Verschiebung des Begriffs weiblicher Tugend auf die sexuelle Unberührtheit im Zusammenhang mit dem »Paradigmenwechsel des Weiblichen von der autonomen, sexuell und gesellschaftlich aktiven Frau hin zur passiven, empfindsamen Frau im 18. Jh. Ergänzend zu den bisherigen Bestimmungsversuchen der weiblichen Tugend als Kampfbegriff bürgerlicher Wertvorstellungen gegen die Unmoral der Aristokratie interpretiert Stephan den Begriff weiblicher Tugend auch als Manöver, die Bedrohung und Verunsicherung der patriarchalischen Macht im 18. Jh. durch eine Neubestimmung von Weiblichkeit und Familie zu kompensieren. Zentral ist hier die Vater-Tochter-Beziehung: Tugend als Ware in den Tauschverhältnissen zwischen den Familien = Vätern, die Sexualität der Töchter als Bedrohung der väterlichen Macht.«

5

Weigel (s. Anm. 3) S. 141.

6

Im »Tagebuch« äußert sich Lenz in einem ähnlichen Zusammenhang: »Wir redten vom König von Preußen, von da kam ich auf die Bordelle in Berlin und die Antwort so er den Pfaffen gegeben, die ihm darüber Vorstellungen getan: ›Wollt ihr eure Weiber und Töchter hergeben?‹ Ich malte ihm lebhaft vor die Unordnungen die junge Freigeister in Familien anrichten könnten und rührte ihn, daß ihm die Augen wässerten.« (J. M. R. Lenz, Werke und Briefe in drei Bänden, hrsg. von Sigrid Damm, Bd. 2, München/Wien 1987, S. 322 f.)

7

Erheiternd ist allerdings, wie das Objekt, welches sonst als weibliche Tugend absolut zentralen Stellenwert hat, nun in seiner neuen Funktionalisierung vom Oberst von Spannheim galant als »Delikatesse der weiblichen Ehre« bezeichnet wird.

8

Ich würde Lützeler zustimmen, daß man »das Begehren Maries weder allein auf das Erotische noch lediglich auf die sozialen Aufstiegswünsche reduzieren« kann, beides ist eng gekoppelt. Nicht in dem Sinn, daß das Erotische in den Dienst gesellschaftlicher Aufstiegspläne gestellt wird, es scheint eher so zu sein, daß Maries »Eros stimuliert (wird) im Umgang mit Vertretern einer höheren sozialen Schicht, während der bürgerliche Stolzius sie offenbar langweilt und ihre sinnliche Phantasie nicht beflügelt«. (Paul Michael Lützeler, »Lenz. Die Soldaten«, in: Interpretationen. Dramen des Sturm und Drang, Stuttgart 1987, S. 134 f.)

9

Diese Erfahrung läßt sich als Maries Initiation in den Ernst bürgerlichen Frauenlebens lesen.

10

Was Stephan für die Emilia Galotti und Luise Millerin herausgearbeitet hat, die »wilden Wünsche« auch der Tugendheldinnen, die Doppeldeutigkeit des Bildes der »verführten Unschuld«, ist hier sehr viel offener in Szene gesetzt: weniger in der Argumentation allerdings macht es sich bemerkbar als im unmittelbaren gestischen und szenischen Ausdruck.

11

Vgl. Edward McInnes, J. M. R. Lenz, »Die Soldaten«. Text, Materialien, Kommentar, München/Wien 1977, S. 88.

Die Soldaten

Eine Komödie

[3]Personen

WESENER, ein Galanteriehändler in Lille

FRAU WESENER, seine Frau

ihre Töchter

MARIE,

CHARLOTTE,

STOLZIUS, Tuchhändler in Armentieres

SEINE MUTTER

DESPORTES, ein Edelmann aus dem französischen Hennegau, in französischen Diensten

DER GRAF VON SPANNHEIM, sein Obrister

PIRZEL, ein Hauptmann

EISENHARDT, Feldprediger

Officiers

HAUDY

RAMMLER

MARY

DIE GRÄFIN DE LA ROCHE

IHR SOHN

FRAU BISCHOF

IHRE COUSINE und andere


Der Schauplatz ist im französischen Flandern.

[5]Erster Akt

Erste Szene

In Lille

Marie. Charlotte.

MARIE

(mit untergestütztem Kopf einen Brief schreibend). Schwester, weißt du nicht, wie schreibt man Madame, M a ma, t a m m tamm, m e me.

CHARLOTTE

(sitzt und spinnt). So ’st recht.

MARIE.

Hör, ich will dir vorlesen, ob’s so angeht, wie ich schreibe: »Meine liebe Matamm! Wir sein gottlob glücklich in Lille arriviert«, ist’s so recht arriviert, a r ar, r i e w wiert?

CHARLOTTE.

So ’st recht.

MARIE.

»Wir wissen nicht, womit die Gütigkeit nur verdient haben, womit uns überschüttet, wünschte nur imstand zu sein« – ist so recht?

CHARLOTTE.

So lies doch, bis der Verstand aus ist.

MARIE.

»Ihro alle die Politessen und Höflichkeit wiederzuerstatten. Weil aber es noch nicht in unsern Kräften steht, als bitten um fernere Continuation.«

CHARLOTTE.

Bitten wir um fernere.

MARIE.

Lass doch sein, was fällst du mir in die Rede.

CHARLOTTE.

Wir bitten um fernere Continuation.

MARIE.

Ei, was redst du doch, der Papa schreibt ja auch so.

(Macht alles geschwind wieder zu, und will den Brief versiegeln.)

CHARLOTTE.

Nu, so les Sie doch aus.

MARIE.

Das Übrige geht dich nichts an. Sie will allesfort klüger sein, als der Papa; letzthin sagte der Papa auch, es wäre nicht höflich, wenn man immer wir schriebe, und ich und so dergleichen. (Siegelt zu.) Da Steffen (gibt ihm Geld) tragt den Brief auf die Post.

[6]CHARLOTTE.

Sie wollt mir den Schluss nicht vorlesen, gewiss hat Sie da was Schönes vor den Herrn Stolzius.

MARIE.

Das geht dich nichts an.

CHARLOTTE.

Nu seht doch, bin ich denn schon schalu darüber gewesen? Ich hätt ja ebenso gut schreiben können, als du, aber ich habe dir das Vergnügen nicht berauben wollen, deine Hand zur Schau zu stellen.

MARIE.

Hör, Lotte, lass mich zufrieden mit dem Stolzius, ich sag dir’s, doch ich geh gleich herunter, und klag’s dem Papa.

CHARLOTTE.

Denk doch, was mach ich mir daraus, er weiß ja doch, dass du verliebt in ihn bist, und dass du’s nur nicht leiden kannst, wenn ein andrer ihn nur mit Namen nennt.

MARIE.

Lotte. (Fängt an zu weinen und läuft herunter.)

Zweite Szene

In Armentieres

Stolzius und seine Mutter.

STOLZIUS

(mit verbundenem Kopf). Mir ist nicht wohl, Mutter!

MUTTER

(steht eine Weile und sieht ihn an). Nu, ich glaube, Ihm steckt das verzweifelte Mädel im Kopf, darum tut er Ihm so weh. Seit sie weggereist ist, hat Er keine vergnügte Stunde mehr.

STOLZIUS.

Aus Ernst, Mutter, mir ist nicht recht.

MUTTER.

Nu, wenn du mir gute Worte gibst, so will ich dir das Herz wohl leichter machen. (Zieht einen Brief heraus.)

STOLZIUS

(springt auf). Sie hat Euch geschrieben?

MUTTER.

Da, kannst du’s lesen. (Stolzius reißt ihn ihr aus der Hand, und verschlingt den Brief mit den Augen.) Aber hör, der Obriste will das Tuch ausgemessen haben für die Regimenter.

[7]STOLZIUS.

Lasst mich den Brief beantworten, Mutter.

MUTTER.

Hans Narr, ich rede vom Tuch, das der Obrist bestellt hat für die Regimenter. Kommt denn –

Dritte Szene

In Lille

Marie. Desportes.

DESPORTES.

Was macht Sie denn da, meine göttliche Mademoiselle?

MARIE

(die ein Buch weiß Papier vor sich liegen hat, auf dem sie krützelte, steckt schnell die Feder hinters Ohr). O nichts, nichts, gnädiger Herr – (Lächelnd.) Ich schreib gar zu gern.

DESPORTES.

Wenn ich nur so glücklich wäre, einen von Ihren Briefen, nur eine Zeile von Ihrer schönen Hand zu sehen.

MARIE.

O verzeihen Sie mir, ich schreibe gar nicht schön, ich schäme mich von meiner Schrift zu weisen.

DESPORTES.

Alles, was von einer solchen Hand kommt, muss schön sein.

MARIE.

O Herr Baron, hören Sie auf, ich weiß doch, dass das alles nur Komplimenten sein.

DESPORTES

(kniend). Ich schwöre Ihnen, dass ich noch in meinem Leben nichts Vollkommeners gesehen habe, als Sie sind.

MARIE

(strickt, die Augen auf ihre Arbeit niedergeschlagen). Meine Mutter hat mir doch gesagt – sehen Sie, wie falsch Sie sind.

DESPORTES.

Ich falsch? Können Sie das von mir glauben, göttliche Mademoiselle? Ist das falsch, wenn ich mich vom Regiment wegstehle, da ich mein Semestre doch verkauft habe, und jetzt riskiere, dass, wenn man erfährt, dass ich nicht bei meinen Eltern bin, wie ich vorgab, man mich in Prison wirft, wenn ich wiederkomme, ist das [8]falsch, nur um das Glück zu haben, Sie zu sehen, Vollkommenste?

MARIE

(wieder auf ihre Arbeit sehend). Meine Mutter hat mir doch oft gesagt, ich sei noch nicht vollkommen ausgewachsen, ich sei in den Jahren, wo man weder schön noch hässlich ist.

Wesener tritt herein.

WESENER.

Ei, sieh doch! gehorsamer Diener, Herr Baron, wie kommt’s denn, dass wir wieder einmal die Ehre haben. (Umarmt ihn.)

DESPORTES.

Ich bin nur auf einige Wochen hier, einen meiner Verwandten zu besuchen, der von Brüssel angekommen ist.

WESENER.

Ich bin nicht zu Hause gewesen, werden verzeihen, mein Mariel wird Sie ennuyiert haben; wie befinden sich denn die werten Eltern, werden die Tabatieren doch erhalten haben –

DESPORTES.

Ohne Zweifel, ich bin nicht bei ihnen gewesen, wir werden auch noch eine Rechnung miteinander haben, Vaterchen.

WESENER.

O das hat gute Wege, es ist ja nicht das erste Mal. Die gnädige Frau sind letzten Winter nicht zu unserm Karneval herabgekommen.

DESPORTES.

Sie befindet sich etwas unpass – Waren viel Bälle?

WESENER.

So, so, es ließ sich noch halten – Sie wissen, ich komme auf keinen, und meine Töchter noch weniger.

DESPORTES.

Aber ist denn das auch erlaubt, Herr Wesener, dass Sie Ihren Töchtern alles Vergnügen so versagen, wie können sie dabei gesund bleiben?

WESENER.

O wenn sie arbeiten, werden sie schon gesund bleiben. Meinem Mariel fehlt doch, Gott sei Dank, nichts, und sie hat immer rote Backen.

MARIE.

Ja, das lässt sich der Papa nicht ausreden, und ich [9]krieg doch so bisweilen so eng um das Herz, dass ich nicht weiß, wo ich vor Angst in der Stube bleiben soll.

DESPORTES.

Sehn Sie, Sie gönnen Ihrer Mademoiselle Tochter kein Vergnügen, und das wird noch einmal Ursach sein, dass sie melancholisch werden wird.

WESENER.

Ei was, sie hat Vergnügen genug mit ihren Kamerädinnen, wenn sie zusammen sind, hört man sein eigen Wort nicht.

DESPORTES.

Erlauben Sie mir, dass ich die Ehre haben kann, Ihre Mademoiselle Tochter einmal in die Komödie zu führen. Man gibt heut ein ganz neues Stück.

MARIE.

Ach Papa!

WESENER.

Nein – Nein, durchaus nicht, Herr Baron! Nehmen Sie mir’s nicht ungnädig, davon kein Wort mehr. Meine Tochter ist nicht gewohnt, in die Komödie zu gehen, das würde nur Gerede bei den Nachbarn geben, und mit einem jungen Herrn von den Milizen dazu.

DESPORTES.

Sie sehen, ich bin im Bürgerskleide, wer kennt mich.

WESENER.

Tant pis! ein für allemal, es schickt sich mit keinem jungen Herren; und denn ist es auch noch nicht einmal zum Tisch des Herrn gewesen, und soll schon in die Komödie und die Staatsdame machen. Kurz und gut, ich erlaube es nicht, Herr Baron.

MARIE.

Aber Papa, wenn den Herrn Baron nun niemand kennt?

WESENER

(etwas leise). Willstu ’s Maul halten? niemand kennt, tant pis wenn ihn niemand kennt. Werden pardonieren, Herr Baron! so gern als Ihnen den Gefallen tun wollte, in allen andern Stücken haben zu befehlen.

DESPORTES.

A propos, lieber Wesener! wollten Sie mir doch nicht einige von Ihren Zitternadeln weisen?

WESENER.

Sogleich. (Geht heraus.)

DESPORTES.

Wissen Sie was, mein englisches, mein göttliches Mariel, wir wollen Ihrem Vater einen Streich spielen. Heut geht es nicht mehr an, aber übermorgen geben sie [10]ein fürtreffliches Stück, »La chercheuse d’esprit«, und die erste Piece ist der »Deserteur« – haben Sie hier nicht eine gute Bekannte?

MARIE.

Frau Weyher.

DESPORTES.

Wo wohnt sie?

MARIE.

Gleich hier, an der Ecke beim Brunnen.

DESPORTES.

Da komm ich hin, und da kommen Sie auch hin, so gehn wir miteinander in die Komödie.

(Wesener kommt mit einer großen Schachtel Zitternadeln. Marie winkt Desportes lächelnd zu.)

WESENER.

Sehen Sie, da sind zu allen Preisen – Diese zu hundert Talern, diese zu funfzig, diese zu hundertfunfzig, wie es befehlen.

DESPORTES

(besieht eine nach der andern, und weist die Schachtel Marien). Zu welcher rieten Sie mir?

(Marie lächelt, und sobald der Vater beschäftigt ist, eine herauszunehmen, winkt sie ihm zu.)

WESENER.

Sehen Sie, die spielt gut, auf meine Ehr.

DESPORTES.

Das ist wahr. (Hält sie Marien an den Kopf.) Sehen Sie auf so schönem Braun, was das für eine Wirkung tut. O hören Sie, Herr Wesener, sie steht Ihrer Tochter gar zu schön, wollen Sie mir die Gnade tun, und sie behalten.

WESENER

(gibt sie ihm lächelnd zurück). Ich bitte Sie, Herr Baron, das geht nicht an – meine Tochter hat noch in ihrem Leben keine Präsente von den Herren angenommen.

MARIE

(die Augen fest auf ihre Arbeit geheftet). Ich würde sie auch zudem nicht haben tragen können, sie ist zu groß für meine Frisur.

DESPORTES.

So will ich sie meiner Mutter schicken. (Wickelt sie sorgfältig ein.)

WESENER

(indem er die andern einschachtelt, brummt etwas heimlich zu Marien). Zitternadel du selber, sollst in deinem Leben keine auf den Kopf bekommen, das ist kein Tragen für dich.

(Sie schweigt still und arbeitet fort.)

[11]DESPORTES.

So empfehle ich mich denn, Herr Wesener! Eh ich wegreise, machen wir richtig.

WESENER.

Das hat gute Wege, Herr Baron, das hat gute Wege, sein Sie so gütig, und tun uns einmal wieder die Ehre an.

DESPORTES.

Wenn Sie mir’s erlauben wollen – Adieu Jungfer Marie! (Geht ab.)

MARIE.

Aber sag’ Er mir doch, Papa, wie ist Er denn auch?

WESENER.

Na, hab ich dir schon wieder nicht recht gemacht. Was verstehst du doch von der Welt, dummes Keuchel.

MARIE.

Er hat doch gewiss ein gutes Gemüt, der Herr Baron.

WESENER.

Weil er dir ein paar Schmeicheleien und so und so – Einer ist so gut wie der andere, lehr du mich die jungen Milizen nit kennen. Da laufen sie in alle Aubergen und in alle Kaffeehäuser, und erzählen sich, und eh man sich’s versieht, wips ist ein armes Mädel in der Leute Mäuler. Ja, und mit der und der Jungfer ist’s auch nicht zum Besten bestellt, und die und die kenne ich auch, und die hätt ihn auch gern –

MARIE.

Papa. (Fängt an zu weinen.) Er ist auch immer so grob.

WESENER

(klopft sie auf die Backen). Du musst mir das so übel nicht nehmen, du bist meine einzige Freude, Narr, darum trag ich auch Sorge für dich.

MARIE.

Wenn Er mich doch nur wollte für mich selber sorgen lassen. Ich bin doch kein klein Kind mehr.

Vierte Szene

In Armentieres

Der Obriste Graf Spannheim am Tisch mit seinem Feldprediger, einem jungen Grafen, seinem Vetter, und dessen Hofmeister, Haudy, Untermajor, Mary und andern Officiers.

DER JUNGE GRAF.

Ob wir nicht bald wieder eine gute Truppe werden herbekommen?

[12]HAUDY.

Das wäre zu wünschen, besonders für unsere junge Herren. Man sagt, Godeau hat herkommen wollen.

HOFMEISTER.

Es ist doch in der Tat nicht zu leugnen, dass die Schaubühne eine fast unentbehrliche Sache für eine Garnison ist, c’est à dire eine Schaubühne, wo Geschmack herrscht, wie zum Exempel auf der französischen.

EISENHARDT.

Ich sehe nicht ab, wo der Nutzen stecken sollte.

OBRISTER.

Das sagen Sie wohl nur so, Herr Pastor, weil Sie die beiden weißen Läppgen unterm Kinn haben, ich weiß, im Herzen denken Sie anders.

EISENHARDT.

Verzeihen Sie, Herr Obriste! ich bin nie Heuchler gewesen, und wenn das ein notwendiges Laster für unsern Stand wäre, so dächt ich, wären doch die Feldprediger davon wohl ausgenommen, da sie mit vernünftigern Leuten zu tun haben. Ich liebe das Theater selber, und gehe gern hinein, ein gutes Stück zu sehen, aber deswegen glaube ich noch nicht, dass es ein so heilsames Institut für das Corps Officiers sei.

HAUDY.

Aber um Gottes willen, Herr Pfaff oder Herr Pfarr, wie Sie da heißen, sagen Sie mir einmal, was für Unordnungen werden nicht vorgebeugt oder abgehalten durch die Komödie. Die Officiers müssen doch einen Zeitvertreib haben?

EISENHARDT.

Mit aller Mäßigung, Herr Major! sagen Sie lieber, was für Unordnungen werden nicht eingeführt unter den Officiers durch die Komödie.

HAUDY.

Das ist nun wieder so in den Tag hinein räsoniert. Kurz und gut, Herr, (lehnt sich mit beiden Ellenbogen auf den Tisch) ich behaupte Ihnen hier, dass eine einzige Komödie, und wenn’s die ärgste Farce wäre, zehnmal mehr Nutzen, ich sage nicht unter den Officiers allein, sondern im ganzen Staat, angerichtet hat, als alle Predigten zusammengenommen, die Sie und Ihresgleichen in Ihrem ganzen Leben gehalten haben und halten werden.

[13]OBRISTER

(winkt Haudy unwillig). Major!

EISENHARDT.

Wenn ich mit Vorurteilen für mein Amt eingenommen wäre, Herr Major, so würde ich böse werden. So aber wollen wir alles das beiseite setzen, weil ich weder Sie noch viele von den Herren für fähig halte, den eigentlichen Nutzen unsers Amts in Ihrem ganzen Leben beurteilen zu können, und wollen nur bei der Komödie bleiben, und den erstaunenden Nutzen betrachten, den sie für die Herren vom Corps haben soll. Ich bitte Sie, beantworten Sie mir eine einzige Frage, was lernen die Herren dort?

MARY.

Ei was, muss man denn immer lernen, wir amüsieren uns, ist das nicht genug.

EISENHARDT.

Wollte Gott, dass Sie sich bloß amüsierten, dass Sie nicht lernten! So aber ahmen Sie nach, was Ihnen dort vorgestellt wird, und bringen Unglück und Fluch in die Familien.

OBRISTER.

Lieber Herr Pastor, Ihr Enthusiasmus ist löblich, aber er schmeckt nach dem schwarzen Rock, nehmen Sie mir’s nicht übel. Welche Familie ist noch je durch einen Officier unglücklich geworden? Dass ein Mädchen einmal ein Kind kriegt, das es nicht besser haben will.

HAUDY.

Eine Hure wird immer eine Hure, sie gerate unter welche Hände sie will; wird’s keine Soldatenhure, so wird’s eine Pfaffenhure.

EISENHARDT.

Herr Major, es verdrießt mich, dass Sie immer die Pfaffen mit ins Spiel mengen, weil Sie mich dadurch verhindern, Ihnen freimütig zu antworten. Sie könnten denken, es mische sich persönliche Bitterkeit in meine Reden, und wenn ich in Feuer gerate, so schwöre ich Ihnen doch, dass es bloß die Sache ist, von der wir sprechen, nicht Ihre Spöttereien und Anzüglichkeiten über mein Amt. Das kann durch alle dergleichen witzige Einfälle weder verlieren noch gewinnen.

HAUDY.

Na, so reden Sie, reden Sie, schwatzen Sie, dafür sind wir ja da, wer verbietet es Ihnen?

[14]EISENHARDT.

Was Sie vorhin gesagt haben, war ein Gedanke, der eines Nero oder Oglei Oglu Seele würdig gewesen wäre, und auch da bei seiner ersten Erscheinung vielleicht Grausen würde verursacht haben. Eine Hure wird immer eine Hure. Kennen Sie das andere Geschlecht so genau?

HAUDY.

Herr, Sie werden es mich nicht kennen lehren.

EISENHARDT.

Sie kennen es von den Meisterstücken Ihrer Kunst vielleicht; aber erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, eine Hure wird niemals eine Hure, wenn sie nicht dazu gemacht wird. Der Trieb ist in allen Menschen, aber jedes Frauenzimmer weiß, dass sie dem Triebe ihre ganze künftige Glückseligkeit zu danken hat, und wird sie die aufopfern, wenn man sie nicht drum betrügt?

HAUDY.

Red ich denn von honetten Mädchen?

EISENHARDT.

Eben die honetten Mädchen müssen zittern vor Ihren Komödien, da lernen Sie die Kunst, sie malhonett zu machen.

MARY.

Wer wird so schlecht denken.

HAUDY.

Der Herr hat auch ein verfluchtes Maul über die Officiers. Element, wenn mir ein anderer das sagte. Meint Er Herr denn, wir hören auf Honettehommes zu sein, sobald wir in Dienste treten.

EISENHARDT.

Ich wünsche Ihnen viel Glück zu diesen Gesinnungen. Solang ich aber noch entretenierte Mätressen und unglückliche Bürgerstöchter sehen werde, kann ich meine Meinung nicht zurücknehmen.

HAUDY.

Das verdiente einen Nasenstüber.

EISENHARDT

(steht auf). Herr, ich trag einen Degen.

OBRISTER.

Major, ich bitt Euch – Herr Eisenhardt hat nicht Unrecht, was wollt Ihr von ihm. Und der Erste, der ihm zu nahe kommt – setzen Sie sich, Herr Pastor, er soll Ihnen Genugtuung geben. (Haudy geht hinaus.) Aber Sie gehen auch zu weit, Herr Eisenhardt, mit alledem. Es ist kein Officier, der nicht wissen sollte, was die Ehre von ihm fodert.

[15]EISENHARDT.

Wenn er Zeit genug hat, dran zu denken. Aber werden ihm nicht in den neuesten Komödien die gröbsten Verbrechen gegen die heiligsten Rechte der Väter und Familien unter so reizenden Farben vorgestellt, den giftigsten Handlungen so der Stachel genommen, dass ein Bösewicht dasteht, als ob er ganz neulich vom Himmel gefallen wäre. Sollte das nicht aufmuntern, sollte das nicht alles ersticken, was das Gewissen aus der Eltern Hause mitgebracht haben kann. Einen wachsamen Vater zu betrügen, oder ein unschuldig Mädchen in Lastern zu unterrichten, das sind die Preisaufgaben, die dort aufgelöst werden.

HAUDY

(im Vorhause mit andern Officiers: da die Tür aufgeht). Der verfluchte Schwarzrock –

OBRISTER.

Lasst uns ins Kaffeehaus gehn, Pfarrer, Sie sind mir die Revanche im Schach schuldig – und Adjutant! wollten Sie doch den Major Haudy für heut bitten, nicht aus seiner Stube zu gehen. Sagen Sie ihm, ich werde ihm morgen früh seinen Degen selber wiederbringen.