Cover

Stationen eines an Ereignissen reichen Lebens: Die früheste Kindheitserinnerung von Hans Christoph Buch führt ihn nach Wetzlar, wo im März 1945 ein abgeschossener US-Bomber mit schwarzer Rauchfahne über der Stadt abstürzt. Ein Jahrzehnt später entgeht er knapp einer Katastrophe, als über Bonn-Kessenich zwei britische Kampfjets kollidieren und eine Tragfläche unweit von Buchs Elternhaus einschlägt. In Stillleben mit Totenkopf führt der Autor zusammen, was zusammengehört: seine Reisen in Kriegs- und Krisengebiete, Kindheits- und Jugenderlebnisse sowie – ein Novum in Buchs Werk – Erinnerungen an den Literaturbetrieb. Begegnungen mit Herbert Marcuse, Heiner Müller und Susan Sontag wechseln ab mit Streifzügen durch Indianerreservate, Reisen nach Haiti und ins Herz der Finsternis, die Zentralafrikanische Republik. Das alles und noch viel mehr wird zusammengehalten durch eine widersprüchliche Persönlichkeit, deren schillernde Facetten der Text sichtbar macht.

»Hans Christoph Buch macht seit über vierzig Jahren Literatur, deren weltumspannender Horizont seinesgleichen sucht.«

DER TAGESSPIEGEL

»Hans Christoph Buch ist Schriftsteller, Essayist, eine einflussreiche Persönlichkeit im deutschen Literaturbetrieb, dazu ein weitgereister Beobachter, der die Kriegs- und Krisengebiete der Welt aus eigener Anschauung kennt und seine Leserschaft mit Reportagen konfrontiert, die mittlerweile selten geworden sind.«

RADIO BREMEN

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»Wie durch angeschlagene und löchrige Gefäße
rinnt die Zeit durch die Seelen hindurch …«

Seneca: De brevitate vitae

INHALT

BANGUI, AUGUST 2017 (Statt eines Prologs)

Erstes Buch: WEIT WEG UND LANGE HER

Ein Flugzeug über dem Haus

Ich habe ihn geliebt

Abschied von gestern

Ihr Literaten macht es euch leicht

Zweites Buch: AUF FREMDEN PFADEN

Haiti und kein Ende

Müllermaterial

Solange Gras wächst und Wasser fließt

Etwas wird sichtbar

Drittes Buch: ERINNERUNGEN AN DEN LITERATURBETRIEB

Als werde ein Buch erwartet

Frühstück bei Tiffany

Helden des Rückzugs

Nachmittag eines Nobelpreisträgers

Anhang: OFFENER BRIEF

BANGUI, AUGUST 2017 (Statt eines Prologs)

 

In Bangui der Hauptstadt der Zentralafrikanischen

Republik Hauptstadt ist zu viel gesagt Republik

ebenfalls ist mir der Tod begegnet im Büro der

Welthungerhilfe wo Alassane Cissé aus Gao ein

Malier vom Volk der Mandingo mir einen Haus-

ausweis ausstellte genannt Badge gut sichtbar um

den Hals zu tragen oder an der Brust um nicht aus

Versehen oder absichtlich getötet zu werden Don’t

shoot at us Civilians are not a target der Tod trägt

eine Sonnenbrille einen Panamahut er beugt sich

interessiert wie mir scheint über den Kühler eines

Landrovers mit dem Aufkleber Pas d’armes No

weapons on board der Tod hat es nicht eilig er hat

Zeit seit die Toten oder das was Hunde und Geier

übriglassen eingesammelt wird vom Roten Kreuz

dem Roten Halbmond früher musste der Tod sich

selbst zum Tatort bemühen am Kilometerstein fünf

einem Moslemviertel mit Markt vis-à-vis der großen

Moschee dort fallen täglich Leichen an von Kinder-

soldaten verstümmelt was die Identifizierung schwer

oder unmöglich macht der Tod hat es nicht eilig er

hat viel Zeit bis auch das zu Ende ist Rien ne va plus

Rotes Kreuz und Roter Halbmond stellen die Arbeit

ein nur im Hinterland von Bangui in Bema Bambari

Bangassou Bocaranga Kaga-Bandoro Ouanga Zemio

geht das Morden weiter dort wird fleißig gestorben

wie der Honorarkonsul aus Wien mit einer vagen

Handbewegung nach draußen zeigend sagt der Tod

schnäuzt sich die Nase mit einem Tempotaschentuch

er hat es nicht eilig er hat Zeit späht durch die Ritzen

der Jalousie und sieht zu wie Monsieur Cissé meinen

Ausweis abstempelt und unterschreibt eine Lebens-

versicherung nein eine Sterbepolice Kreuzen Sie an

wer im Ernstfall benachrichtigt werden soll und wer

die Kosten für die Überführung Ihres Leichnams trägt

*

Der Tod ist ein Bademeister der Blätter aus dem

Pool des Ledger Plaza Hotels fischt der Tod ist

ein Motorradbote mit schwarzem Sturzhelm und

gelbem Regencape der seine Maschine unter das

Wellblechdach schiebt auf das tropischer Sturz-

regen prasselt der Tod ist ein Pygmäe der durch

ein überschwemmtes Reisfeld watet und dir bis

zum Bauch im Wasser zublinzelt bei dem Wort

Pygmäe fangen alle zu lachen an als handle es

sich um eine Witzfigur der Tod ist das Frauen-

gefängnis in Bimbo gestiftet von USAID der

Tod ist eine Marktfrau die sechs übereinander

gestapelte Stühle auf dem Kopf balanciert

eine schwarze Mamba die den stellvertretenden

Institutsleiter beißt der Tod ist die Waage im

Duschraum des Ledger Plaza Hotels die kein

Gewicht mehr anzeigt der Tod ist ein weißes

Huhn das als Krokodilköder dient Krokodil-

fleisch schmeckt wie Weißfleisch wie Huhn

sagt der Belgier der es satt hat jeden Abend

dasselbe Musikstück zu hören Take Five der

Tod ist ein Pygmäe der Affenbabys verkauft

das Wort Pygmäe löst schallendes Gelächter aus

der Tod ist der gegrillte Capitaine auf dem Hotel-

büfett die mehrfach vergewaltigte Frau die mitten

im Interview zu stottern anfängt der Kindersoldat

der bei der Frage nach dem Verbleib seiner Mutter

zu weinen beginnt der Tod ist das Monument am

Unabhängigkeitsplatz das man nicht fotografieren

darf der Tod ist ein Latrinenprogramm namens

FDAL Fin de la défécation à l’air libre der Tod ist

ein schaler Geschmack im Mund eine Durchfall-

epidemie die zu schlagartiger Entleerung führt der

Tod ist ein Stromausfall ein Blackout Brownout

ein Burnout-Syndrom der Tod ist ein T-Shirt mit

dem Aufdruck Der Weg ist das Ziel der Tod ist ein

dumpfer nein stechender Schmerz in der Brust die

Schutthalde der Philosophie im Rücken die Fata

Morgana der Literatur vor Augen verstorbene

Freunde winken dir zu Komm rüber zu uns!

Erstes Buch: WEIT WEG UND LANGE HER