Inhalt



Stefan Burban

Schattenlegion

Das Titelbild fehlt!

 

Atlantis



Eine Veröffentlichung des
Atlantis-Verlages, Stolberg
Dezember 2017

Druck: Schaltungsdienst Lange, Berlin


Titelbild: Allan J. Stark
Umschlaggestaltung: Timo Kümmel
Lektorat und Satz: André Piotrowski


ISBN der Paperback-Ausgabe: 978-3-86402-555-6
ISBN der E-Book-Ausgabe (EPUB): 978-3-86402-564-8

Dieses Paperback/E-Book ist auch als Hardcover-Ausgabe direkt beim Verlag erhältlich.

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www.atlantis-verlag.de

Was bisher geschah …

Mitte des 29. Jahrhunderts führt die Terranisch-Imperiale Liga einen erbitterten Krieg gegen die Drizil, eine fledermausartige Rasse, die einen Raumsektor an den Grenzen des Imperiums bewohnt. Ansonsten ist über diese rätselhafte Rasse nicht viel bekannt.

Von Anfang an ist das Imperium ist zum Großteil auf Verteidigungsbemühungen und Stellungskrieg konzentriert, da die Position der Drizil-Heimatwelten unbekannt ist. Trotz intensiver Bemühungen konnten diese noch nicht aufgespürt werden.

Als die Drizil in einem letzten logischen Schritt zu einem entscheidenden Schlag ausholen, wird das terranische Militär völlig überrumpelt. Die Drizil fegen in einer gewaltigen Offensive quer durch den imperialen Raum und zerschlagen die Verteidigung mehrerer Schlüsselsektoren des Imperiums – darunter auch das Solsystem. Daraufhin bricht der organisierte Widerstand des Imperiums weitestgehend zusammen.

Nur einer kleinen Flotte imperialer Kriegsschiffe unter dem Kommando von Commodore Horatio Lestrade gelingt es, aus dem belagerten Solsystem zu fliehen, bevor sogar die Erde unter dem Ansturm der Drizil fällt.

Lestrade und seine kleine Schar Überlebender laufen Perseus an, den einzigen Sektor, der von den Drizil bisher weitestgehend verschont worden ist, und das aus einem einfachen Grund: Dieser ist schlicht unbedeutend. Er findet Verbündete in den Soldaten der dort stationierten 18. Legion und General Carlo Rix.

Als dieser vom Fall der Erde hört, entsendet er Aufklärungskommandos in andere Systeme, um die Lage auszukundschaften. Es gelingt ihm, weitere überlebende Truppenteile auf Perseus zu sammeln. Unbeabsichtigt lockt er jedoch auch die Drizil herbei. Es kommt zu einer erbitterten Abwehrschlacht, die die imperialen Truppen auf Perseus knapp für sich entscheiden können.

Nach dem Abwenden der unmittelbaren Gefahr wird Rix und Lestrade jedoch schnell klar, dass ihre Position äußerst verwundbar ist, nun, nachdem die Drizil wissen, wo Perseus zu finden ist. Sie beschließen gegen den ausdrücklichen Willen der zivilen Regierung, in die Offensive zu gehen.

Der Augenblick zum Zuschlagen ist günstig, da die Drizil damit beschäftigt sind, die eroberten imperialen Welten zu befrieden. Es flackert allerorts Widerstand und Unruhe auf. Dies nutzen Rix und Lestrade für mehrere koordinierte Schläge. Als Erstes fällt Barinbau, der Standort mehrerer wichtiger Rohstoffe. Anschließend wird Vector Prime in einer blutigen, tagelangen Schlacht erobert. Um das System einzunehmen und zu halten, greift man auf lange vergessene Technologien wie Minen und Raketenwerfer zurück. Technologien, mit denen die Drizil nicht vertraut sind. Die Überraschung gelingt und die Drizil können aus Vector Prime vertrieben werden, wodurch die imperialen Truppen erstmals wieder Zugang zu einer voll ausgerüsteten Werft besitzen.

Zeitgleich werden sowohl auf Vector Prime selbst als auch auf einem Mond seltsame Anlagen gefunden, die weder dem Imperium noch den Drizil zuzuordnen sind. Es scheinen sich um Kommunikationsanlagen zu handeln. Die imperialen Soldaten aktivieren versehentlich eine, sind sich aber über die Tragweite dessen noch nicht bewusst. Des Weiteren findet Doktor Nicholas Chest – wissenschaftlicher Leiter der Widerstandstruppen unter General Rix – heraus, dass am genetischen Code der Drizil herummanipuliert wurde.

Kurz darauf trifft ein Schiff der Drizil ein, das eine Nachricht des gefangen gehaltenen Kaisers abspielt. Er fordert darin alle verbliebenen imperialen Streitkräfte auf, die Waffen zu strecken.

Doch Rix denkt nicht daran aufzugeben. Er plant, den Kaiser zu befreien. Auf der Suche nach weiteren Verbündeten wendet er sich an die Allianz – einer mit dem Imperium verfeindeten Nation aus Plünderern und Piraten. Dort angekommen, muss er jedoch feststellen, dass seine größte Hoffnung sich in seinen größten Albtraum verwandelt. Die Allianz ist mit den Drizil verbündet. Doch durch ein Missverständnis aufseiten der Drizil und deren rabiates Vorgehen wandelt sich das Bündnis und die Allianz kämpft an der Seite des Imperiums, um eine Drizilinvasion aufzuhalten.

Nachdem es gelingt, die Drizil zu vertreiben, reist Rix mit einer kleinen Truppe Soldaten auf die Erde. Dort dringen sie mithilfe von ehemaligen Prätorianern in den kaiserlichen Palast ein, doch sie werden entdeckt und eingekesselt, bevor sie entkommen können.

Zeitgleich reist Chest auf den Mars, um der Genmanipulation der Drizil auf die Spur zu kommen. Er findet dort eine weitere Anlage. Im Verlauf der Handlung wird aufgedeckt, dass die Drizil in Wirklichkeit eine Sklavenrasse waren, die von ihren Herren – den Nefraltiri – als Soldaten eingesetzt und genetisch auf Unterwerfung gegenüber den Nefraltiri programmiert wurden. Auch am Gencode der Menschen wurde herummanipuliert. Sie wurden als Schlüssel für die Nefraltiri-Anlagen benutzt. Es war nie geplant, dass sich die Menschen so weit entwickelten. Die Nefraltiri verließen vor langer Zeit unsere Galaxis in dem Glauben, dass weder Menschen noch Drizil ohne sie lange überleben könnten. Die versehentlich aktivierte Anlage lockt nun die Nefraltiri zurück.

Währenddessen kämpfen Rix, die Legionäre und die Prätorianer, um ihren Kaiser in Freiheit zu halten. Die kaiserliche Residenz auf Malta wird schwer belagert. Die Lage wird noch durch einen Verräter in den eigenen Reihen verschlimmert. Der Prätorianergeneral spielt ein falsches Spiel. Als er enttarnt und verhaftet wird, kommt heraus, dass Lestrade den ersten Schuss auf die Drizil abgegeben hat, den Schuss, der den Krieg auslöste. Die Drizil versuchten zu verhindern, dass das Imperium die erste gefundene Anlage aktiviert, dabei kam es dann zu diesem folgenschweren Schusswechsel, der das Imperium letztendlich zu Fall brachte.

Die Verteidiger auf Malta stehen kurz davor, überrannt zu werden. Da kommt ihnen die imperiale Flotte zu Hilfe, die aber ebenfalls bald angesichts einer erdrückenden Übermacht in Bedrängnis gerät. Gerade als es so aussieht, als würde es keinen Ausweg mehr geben, kommt den Belagerten eine Flotte der Allianz zu Hilfe, die den Belagerungsring aufbricht.

Angesichts der veränderten Kräfteverhältnisse schließen beide Seiten einen vorübergehenden Waffenstillstand. Man kommt zu der Einigung, dass die imperialen Soldaten die Erde ungehindert verlassen dürfen, doch der Kaiser muss bleiben.

Rix und die überlebenden Legionäre und Prätorianer müssen geschlagen, gedemütigt und desillusioniert aufbrechen, während ihr Kaiser auf der Erde zurückbleibt.

Prolog

Die Hoffnung schwindet


Es ist nicht alles Gold, was glänzt
(Sprichwort)


Terranisch-Imperiale Liga
Bewaffnetes Allianzfrachtschiff Schutz der Freiheit
Hyperraum
Auf dem Rückflug nach Perseus

11. Februar 2851

General Carlo Rix stand allein in der Aussichtslounge des Allianzschiffes Schutz der Freiheit und starrte in Gedanken versunken hinaus ins All. Dabei war der Begriff All ein wenig irreführend. Das Schiff befand sich derzeit im Sprung im Hyperraum mit Kurs auf Perseus. Im Hyperraum gab es nichts wirklich Interessantes, das man sich ansehen konnte. Es handelte sich nur um eine einzige alles erdrückende Schwärze.

Er kratzte sich über das unrasierte Kinn. Für einen Mann, der normalerweise großen Wert auf seine Körperhygiene einschließlich der Enthaarung wichtiger Zonen legte, war es überaus ungewöhnlich, dass sich derartiger Bartwuchs überhaupt entwickeln konnte. Aber verdeckte Missionen hatten es so an sich, die eigenen Pläne über den Haufen zu werfen oder zur Nebensache zu deklarieren.

Verdeckte Missionen.

Dieser Gedanke brachte ihn zurück ins Solsystem, zurück zu seinem Kaiser, zurück zur Schande, die das Imperium auf sich geladen hatte. Sechs Jahre Krieg, Millionen Tote, zahlreiche Welten zerstört oder von den Drizil okkupiert. Einschließlich des Solsystems. Carlo seufzte tief. Und wofür? Damit eine kleine Clique um den Kaiser vertuschen konnte, dass sie etwas besitzen wollten, was ihnen nicht zustand – ja, sie nicht einmal verstanden –, und darüber auch noch einen Krieg vom Zaun brachen. Carlo senkte den Kopf.

Und nun stand er da: allein. Perseus stand da: allein. Und ihre Feinde zogen den Kessel enger. Die Drizil würden nicht ewig damit beschäftigt sein, die Scherben aufzukehren, die einstmals ein Imperium gewesen waren. Irgendwann würden sie ihren Herrschaftsbereich konsolidiert und befriedet haben.

Bereits jetzt war diese Tendenz ersichtlich. Die Menschen verloren die Hoffnung, waren kriegsmüde. Wer sollte es ihnen verdenken? Nach und nach würden sie die Waffen niederlegen und sich in ihr Schicksal fügen. Bis nur noch eine Handvoll Fanatiker übrig blieben, und mit denen würden die Drizil kurzen Prozess machen. Möglicherweise dauerte es noch einige Jahre, aber dieser Augenblick würde kommen. Sobald die Vorgänge auf der Erde die Runde machten – und das würden sie –, würde es den Vorgang sogar noch beschleunigen. Und sobald die Drizil die Zeit fanden – und die Ressourcen –, würden sie sich um Perseus kümmern. Es würde ein harter – ein vernichtender – Schlag werden.

Aber was hieß das für Perseus und die Welten, um die sie gekämpft, um deren Freiheit sie so hart gerungen hatten? Für Vector Prime? Für Barinbau? Carlo fand darauf keine Antwort. Er musste eine finden, bevor sie Perseus erreichten. Die Legion würde eine erwarten, ebenso wie die Zivilgouverneure.

Carlo stieß wütend mit dem Fuß gegen das Metall des Schiffsrumpfs. Alle kamen immer zu ihm, wenn es darum ging, den aktuellen Kurs festzulegen. Als hätte er die Weisheit mit dem Löffel gefressen. Er wünschte, er hätte auch jemanden, zu dem er gehen könnte. Jemanden, den er um Rat fragen könnte.

Leises Schaben von Leder auf Metall lenkte ihn ab und er fuhr auf dem Absatz herum. Hinter ihm stand Bastian Genaro, der offenbar gerade die Lounge hatte verlassen wollen. Der Präsident der Allianz vereinigter Kolonien neigte leicht entschuldigend den Kopf.

»Ich bitte um Verzeihung. Ich wollte Sie nicht stören.«

Carlo winkte ab. »Das haben Sie nicht.« Er drehte sich erneut zu dem großen Fenster um. Die Schwärze schwand schlagartig und machte dem Lichtermeer des Weltraums Platz. Nacheinander materialisierten die Schiffe der Allianz sowie die imperialen Kampfeinheiten – angeführt von der Vengeance – im System. Das Schlusslicht bildeten die Truppentransporter der Legion.

Carlo sah sich das System genauer an. Es war keines, das er schon einmal besucht hatte. Auf ihrem Kurs lagen zwei Planeten, die er sehen konnte. Hinter der hellen Sonne, die gut zwei Stufen heller war als die des Solsystems, lagen bestimmt weitere Planeten. Einer der Planeten war Ödland, das konnte Carlo problemlos selbst aus der Entfernung erkennen. Der andere war von einem Ringsystem umgeben und in seiner Nähe gab es regen Schiffsverkehr. Die vereinigte alliierte Flotte nahm Kurs ins innere System.

»Wo sind wir?« Sein Interesse war geweckt. »Das kann unmöglich bereits die Allianz oder das Neue Protektorat sein. Wir sind erst wenige Tage unterwegs.«

»Das ist Palatino. Wir müssen hier Vorräte aufnehmen und ein paar Reparaturen durchführen, bevor wir weiterfliegen können. Es geht nicht anders.«

»Palatino? Das ist drizilbesetztes Territorium.«

Noch während Carlo seine Erkenntnis laut aussprach und die Flugbahn der alliierten Schiffe verfolgte, bemerkte er, wie weitere Schiffe hinter ihnen materialisierten.

Carlo stutzte. Sie waren mit bloßem Augen kaum auszumachen, eigentlich nur Stecknadelköpfe vor der Schwärze des Alls, doch sie waren – in kosmischen Maßstäben – zu nah materialisiert, als dass es sich um einen Zufall hätte handeln können.

Der General der 18. Legion bemerkte, wie Bastian Genaro leichtfüßig wie eine Katze neben ihn trat und seinem Blick folgte.

»Drizil«, beantwortete er missmutig die unausgesprochene Frage.

»Gab es bisher Probleme?«

Genaro schüttelte den Kopf. »Sie verfolgen uns lediglich und beobachten. Sie scheinen sich an den provisorischen Waffenstillstand zu halten, den wir im Solsystem mit ihnen vereinbart haben. Sie lassen uns anscheinend tatsächlich zurückkehren.«

Carlo erinnerte sich nur mit Schaudern an die Gespräche. Kurz vor ihrer Abreise war Abraham Cole, der Prätorianerverräter, zu ihnen gekommen und hatte eine Botschaft der Drizil übermittelt. Sie gewährten sowohl der Allianz als auch den imperialen Welten, die sich unter der Bezeichnung des Neuen Protektorats vereinigt hatten, einen begrenzten Waffenstillstand, solange die 18. Legion und ihre Verbündeten darauf verzichteten, weitere ehemalige imperiale Welten anzugreifen, einzunehmen oder dortige einheimische Widerstandsnester passiv oder aktiv zu unterstützen.

Carlo war sich nicht ganz sicher, was er von diesem Angebot zu halten hatte, doch eine Einwilligung war unumgänglich, verschaffte sie dem Protektorat und ihren neuen Verbündeten von der Allianz vereinigter Kolonien eine dringend benötigte Atempause. Die letzten Jahre waren hart, entbehrungsreich und voller Leid gewesen. Das Blut war in Strömen geflossen. Männer und Material brauchten dringend eine Pause.

»Vorerst.« Carlo antwortete nur zögerlich. Die Drizil würden den Waffenstillstand brechen. Nicht heute oder morgen, aber ganz sicher irgendwann. Sie würden die Abmachung genau so lange einhalten, wie diese für sie von Vorteil war. Er bemerkte, wie Genaro ihn von der Seite her aufmerksam beobachtete. Schließlich nickte der Präsident der AVK.

»Ja, ich weiß. Der Krieg ist nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Ich vermute, die Drizil werden die Zeit nutzen, um ihre Stellungen im ehemaligen Imperium zu konsolidieren und den Restwiderstand auszuräuchern. Die Drizil wurden in den letzten Jahren mehrmals besiegt, aber die Schlacht im Solsystem kann beim besten Willen nur als Patt bezeichnet werden. Das wird sie mutiger machen. Früher oder später.«

»Patt?« Carlo schüttelte den Kopf. »Sie träumen, Genaro, wenn Sie tatsächlich denken, das wäre ein Patt gewesen. Wir haben verloren – und zwar weit mehr als nur eine Schlacht. Wir haben einen Souverän und eine ganze Nation verloren. Das Imperium, das ich geliebt und dem ich voller Stolz gedient habe – ich frage mich, ob es das je gab.«

Genaro lächelte beinahe mitfühlend. »Das ist eine Erkenntnis, die wir in der Allianz schon lange gewonnen haben. Es ist nicht alles Gold, was glänzt.«

Carlo stieß einen tiefen Seufzer der Frustration aus. »Der Krieg wird weitergehen, eher gestern als morgen.« Er wandte sich erneut an Genaro. »Und diesmal weiß ich nicht, ob wir ihn gewinnen können.« Er senkte den Kopf. »Ehrlich gesagt, bezweifle ich es.« Carlo deutete auf die Drizilschiffe, die inzwischen etwas besser auszumachen waren. Die Feindeinheiten hatten die Entfernung zu der alliierten Flotte deutlich verringert. »Die Fledermausköpfe sind schlau. Sie lassen die Neuigkeiten aus dem Solsystem erst einmal in das Bewusstsein der menschlichen Bevölkerung sickern. Vermutlich werden sie dann gar nicht viel kämpfen müssen. Warum Schiffe und Truppen gefährden, wenn der Feind vor Hoffnungslosigkeit die Waffen streckt?«

»Also jetzt sehen Sie das Ganze möglicherweise ein wenig zu pessimistisch.«

»Meinen Sie?« Carlo bezweifelte es.

»Ja, allerdings. Die AVK wird sich nie ergeben, ganz egal wie die Chancen stehen. Das haben wir in der Vergangenheit nicht getan und wir werden es auch in Zukunft nicht tun.« Er zuckte die Achseln. »Es liegt uns einfach nicht im Blut. Und nach dem, was ich von den Legionären gesehen habe, werden die das ganz ähnlich sehen.«

Carlo warf dem eher schmächtigen Mann einen amüsierten Blick zu. »Bieten Sie mir etwa ein Bündnis an?«

Genaro wandte leicht verlegen den Blick ab, bevor er den General erneut eindringlich musterte. »Warum nicht? Was die Drizil betrifft, so tragen wir jetzt alle riesengroße Zielscheiben auf unserem Rücken. Da können wir uns auch gleich zusammenschließen.«

Carlo dachte ernsthaft über den Vorschlag nach. Schließlich schüttelte er den Kopf. »Wir sind Verbündete – gute Verbündete –, doch für mehr sehe ich zu viele Widerstände.«

Genaro zuckte die Achseln. »Wie Sie wünschen. Es war nur so eine Idee. Die Allianz hat die Ressourcen sowie das Personal und Ihr Protektorat hat die Technik und das Know-how. Ganz zu schweigen von einem immer beeindruckenderen Militär. Es wäre ein Bündnis, vor dem sich selbst die Drizil in Acht nehmen müssten.«

Carlo schwieg. Genaro deutete es fälschlicherweise als weitere Ablehnung und zuckte erneut die Achseln. »War nur so ein Gedanke.«

»Und was wären wir?«

Carlos Frage brachte Genaro für einen Moment aus dem Konzept. »Wie bitte?«

»Was wären wir? Ein Imperium? Eine Monarchie? Welche Gesellschafts- oder Herrschaftsform würden wir hervorbringen? Die Unterschiede sind viel zu groß. Ich befürchte, wenn wir diesen Vorschlag machen, würden Ihre Leute Sie lynchen und ich denke, meine wären auch nicht gerade erfreut.«

Genaro schmunzelte verhalten. »Wen interessiert das?« Der Präsident der Allianz vereinigter Kolonien wurde jedoch schnell wieder ernst. »Ich verstehe aber, was Sie damit andeuten wollen. Ja, die Probleme wären nicht zu verachten.« Er zog eine Augenbraue hoch. »Eines ist mal sicher, ein Imperium werden wir ganz bestimmt nicht. Wir sind eine Demokratie und meine Leute würden das auch mit Sicherheit bleiben wollen.« Er zuckte erneut die Achseln. »Nur mal so hypothetisch.«

Carlo wandte sich ihm halb zu, während seine Gedanken rasten. »Also eine Demokratie … nur mal so hypothetisch.«

Genaro schürzte die Lippen. »Eine Republik also?«

Carlo schüttelte halb amüsiert den Kopf. »Wenn meine Leute mich jetzt reden hören könnten. Die würden mich glatt aus der nächsten Luftschleuse werfen.«

»Und meine erst«, stimmte Genaro zu.

Carlo senkte den Blick und betrachtete in Gedanken versunken seine Fingerspitzen. Wie sein ganzes Äußeres waren sie ungepflegt und mit schwarzen Rändern unter den Nägeln. Das musste er unbedingt bei nächster Gelegenheit ändern. Schließlich sah er auf. »Meine Leute haben wenig Erfahrung mit Demokratien. Die Terranisch-Imperiale Liga hatte für Hunderte von Jahren bestand.«

»Vor dem Aufbruch zu den Sternen gab es eine Menge Demokratien auf der Erde. Warum sollte es nicht wieder funktionieren?«

»Auf der Erde war auch nicht alles Gold, was glänzte. Und nicht jede Republik war auch eine Demokratie.«

Genaro überlegte einen Moment, bevor sich sein Blick aufhellte. »Dann brauchen wir jemanden, der sich darum sorgt, dass bei uns die Macht wirklich beim Volk bleibt und nicht bei einer einzelnen Person oder einer Institution.«

Carlo dachte angestrengt über Genaros Worte nach. »Einen Geheimdienst also?«

»Ja, aber einen, der sich um alles kümmert. Von der inneren Sicherheit bis hin zur Aufklärung gegen Feinde von außen. Es muss aber eine Militäreinheit sein. Ein ziviler Geheimdienst hätte Schwierigkeiten, sich gegen das Militär durchzusetzen. Wir sollten nicht vergessen, dass das Imperium eine lange Militärtradition hat, und dem sollten wir Rechnung tragen.«

»Es werden also Wächter unserer Freiheit sein«, meinte Carlo und ließ jedes einzelnes Wort über seine Zunge gleiten, als müsste er erst dessen Geschmack prüfen. Plötzlich streckte er seine muskulöse Gestalt und seine Augen zuckten. Genaro entging die Änderung in der Haltung des Generals keineswegs.

»Was?«, fragte er.

»Mir ist gerade eingefallen, wie unser neuer Geheimdienst heißen wird: Die Legio Umbra

Genaro lachte. »Schattenlegion? Klingt gut. Geradezu furchteinflößend.«

»Es gibt nur noch ein Problem zu lösen.«

»Welches wäre?«

»Wenn unsere Nationen mit der Zeit zusammenwachsen sollen und der Geheimdienst für uns alle eine Stütze sein soll, dann müssen auch Soldaten beider Nationen darin vertreten sein. Und zwar von Anfang an. Und der Befehlshaber sollte jemand sein, der keine Angst hat, seine Meinung zu sagen. Auch nicht vor Ihnen oder mir. Es muss jemand sein, der kein Blatt vor den Mund nimmt. Jemand, der Schwachstellen unserer neuen Republik erkennt, bevor uns überhaupt klar wird, dass sie da sind.«

Genaro lachte erneut auf, diesmal bei Weitem enthusiastischer. Er klopfte Carlo kameradschaftlich auf die Schulter. »Da habe ich genau den Richtigen.«

Schwer atmend rollte sich Major Finn Delgado zur Seite. Mit zitternden Händen strich er sich eine von Schweiß durchtränkte Haarsträhne aus dem Gesicht.

Er blickte zur Seite und schenkte seiner derzeitigen Gespielin ein wonniges Lächeln. »Das war … wirklich spaßig.«

Christina Jaramago, Kommandantin des bewaffneten Allianzfrachters Sturm über Cosa Tauri, verdrehte in gespieltem Ärger die Augen. Sie zog die Decke etwas höher, um ihre vor Schweiß glänzenden Brüste zu bedecken. »Das will eine Frau nach dem Sex hören … es war wirklich spaßig.«

Finn lachte schallend. »Aber wenn es doch spaßig war?!«

Sie stieß ihm den Ellbogen in die Seite, jedoch stärker als beabsichtigt, sodass er für einen Moment nach Luft schnappte. Trotzdem gelang es ihm, ein abgehacktes Lachen auszustoßen.

»Genauso gut könntest du sagen, ich könnte ruhig noch ein wenig lernen«, setzte sie nach.

Er drehte sich auf die Seite und stützte seinen Kopf auf die rechte Faust, während er mit der linken Hand die Decke erneut herunterzog, um ihren nackten Körper zu betrachten. Sie atmete immer noch schwer und ihr Brustkorb hob und senkte sich im Takt ihres Herzschlags.

»Das habe ich weder gesagt noch gedacht«, erwiderte er, während seine Hand die Kontur ihres Bauchnabels mit dem Finger nachzeichnete und dabei langsam nach oben wanderte. »Das würde ich nicht einmal denken.« Er schürzte die Lippen. »Tatsächlich bin ich der Meinung, dass du sogar noch mir etwas beigebracht hast.«

»Na da bin ich aber froh.« Sie klopfte ihm auf die Finger. »Schluss damit!«, schalt sie ihn.

»Wieso?« Er blickte betont unschuldig.

»Wieso?« Sie warf ihm einen ungläubigen Blick zu. »Wir befinden uns in Feindesland, umringt von Hunderten potenziell tödlichen Drizilschiffen, die nur darauf warten, uns zu erledigen, im Schlepptau eine Flotte des Imperiums – und du fragst, wieso? Echt jetzt?«

»Des untergegangenen Imperiums«, versetzte er ungerührt.

»Du magst sie nicht?«

»Die Imperialen? Wieso sollte ich? Sind wir nicht alle in die Allianz gegangen, weil im Imperium kein Platz für uns war?«

»Ich glaube nicht, dass es ganz so einfach ist. Die meisten von uns sind Kriminelle.« Sie lächelte schelmisch. »Vergiss das nicht.«

»Wie könnte ich? Du hast mir heute meine Kraft gestohlen – drei Mal.« Diese Bemerkung brachte ihm einen weiteren Rippenstoß ein, den er lachend quittierte. Wenn er an die Zeit auf Equuro während der Drizilinvasion und anschließend ihre Intervention zugunsten der Imperialen im Solsystem dachte, lief ihm ein eisiger Schauder über den Rücken. Beide Male hatte er nicht gekämpft, sondern hatte eher auf der Ersatzbank gesessen. Doch er hatte gesehen, was es brachte, wenn man sich mit Imperialen einließ. Die Hauptstadt von Equuro war ein Trümmerfeld und die überlebenden Soldaten erzählten Horrorgeschichten über die Kämpfe.

Bei Equuro war er Teil von Präsident Genaros Entsatzstreitmacht gewesen und war erst auf der belagerten Allianzwelt eingetroffen, als praktisch schon alles vorbei gewesen war. Er diente beim 21. Freien Infanteriekorps, einer Einheit, die praktisch schon seit der Gründung der Allianz existierte.

Im Solsystem hatte es zunächst geheißen, die Allianz würde sich zurückziehen, nur um anschließend umzukehren und die Drizilblockade um die Erde zu durchbrechen.

Zu diesem Zeitpunkt waren Teile seiner Einheit auf einem der Schiffe gewesen, die – zum Glück – nicht dazu auserkoren worden waren, als Projektile in die feindliche Flotte zu krachen.

Sie hatten anschließend Stunden damit zugebracht, die Überlebenden aufzusammeln, doch nicht alle Rettungskapseln hatten die riskante Taktik unbeschädigt überstanden. Es war nicht angenehm, eine Kapsel zu öffnen, deren Insassen dem Vakuum ausgesetzt gewesen waren.

Christina fuhr mit dem Zeigefinger sanft über seine Stirn und kam schließlich auf seiner Nase zum Stehen. »Woran denkst du?«

Er seufzte. »Was wir alles verloren haben, seit wir es mit diesen Bastarden zu tun haben.«

»Du redest nicht von den Drizil.«

Er neigte leicht den Kopf. »Wohl kaum. Wo auch immer die Imperialen hingehen, sie verursachen nur Ärger. Sie bringen Tod und Zerstörung über alles, was sie anfassen.«

Christina schüttelte leicht den Kopf, was bei Finn ein Stirnrunzeln hervorrief. »Was ist?«

»Ich vermisse gerade ein wenig Mitleid in deinen Ausführungen. Die Imperialen haben alles verloren.«

»Hast du es nicht gehört?«

Sie rümpfte die Nase. »Das sind doch nur Gerüchte.«

»Ich habe mit Genaro gesprochen. Es sind mehr als das – es ist wahr. Die Imperialen haben den Krieg begonnen. Sie haben ihr Schicksal selbst heraufbeschworen. Und wenn du mich fragst, sie haben ihr Schicksal verdient.«

»So einfach ist das nicht. Die Drizil haben ganze Welten zerstört, Frauen und Kinder umgebracht. In einem Krieg gibt es nie nur einen Schuldigen.«

Er zuckte die Achseln. »Mag sein, aber das ändert meine Meinung über die Imperialen keine Sekunde lang. Je schneller wir uns von ihnen trennen, desto besser.«

Die Bordsprechanlage in Christinas Quartier piepte einmal unaufdringlich. Sie sah ihren derzeitigen Bettgenossen an und der zuckte lediglich die Achseln, worauf beide in Gelächter ausbrachen und sich tiefer in die Decken kuschelten.

Es dauerte keine zehn Sekunden, da piepte die Bordsprechanlage erneut – und diesmal erheblich aufdringlicher. Um genau zu sein, piepte sie so laut, dass sowohl Christina als auch Finn von einer Sekunde zur nächsten praktisch aufrecht im Bett standen.

»Wenn das jetzt nicht wirklich wichtig ist«, grummelte Christina, arbeitete sich aus dem Gewirr aus Armen, Beinen und der Bettdecke und ging mit elegantem Schritt zur Tür, neben der sich der Anschluss für die Bordsprechanlage befand. Finn nutzte die Zeit, um ihren wogenden Gang und die sanften Rundungen ihres Hinterns zu bewundern, auf dem sich das spärliche Licht ihrer Deckenbeleuchtung spiegelte.

»Und hör gefälligst auf, mir auf den Hintern zu glotzen!«, protestierte die Kommandantin des Frachters auf ihrem Weg zu Tür in gespieltem Ärger.

Finn kicherte. »Ich weiß nicht so recht. Bei dem Anblick hab ich so einige Ideen, was ich die nächsten Stunden mit deinem Hintern so anstellen könnte.«

»Schuft!«, gab sie ebenfalls kichernd zurück.

Christina bestätigte die Verbindung, ließ den kleinen Bildschirm jedoch abgeschaltet. Sie verspürte keinerlei Lust, dass ihre Untergebenen sie nackt sahen. Innerhalb der Allianz war man nicht gerade prüde. Das war nicht weiter verwunderlich in einem Teil des Universums, in dem ein halbes Dutzend Banditenkönigreiche es gern gesehen hätten, wenn die Allianz unterging. Jeder Tag könnte das Ende bedeuten. Infolgedessen lebten die Menschen, als würde es kein Morgen geben. Die Wahrscheinlichkeit hierfür war überaus hoch. Trotzdem sollten manche Grenzen nicht überschritten werden, diese war eine davon.

»Bob? Ich hoffe, Sie haben einen wirklich guten Grund für die Störung. Die dritte Wache dauert noch mindestens vier Stunden und so lange haben Sie die Brücke.«

Von der anderen Seite der Verbindung erklang diskretes Hüsteln, das jedoch entschieden zu amüsiert klang, um wirklich ernst genommen zu werden. Bei Christinas Gesprächspartner handelte es sich um Commander Robert Tyler, den aber jeder an Bord lediglich Bob nannte, ihren Ersten Offizier.

Beim Allianzmilitär wurde vieles gelassener gehandhabt, als es allgemein bei den Streitkräften irgendeiner Sternennation – insbesondere des Imperiums – üblich gewesen wäre. Der Umgangston war lockerer und militärisches Protokoll fehlte oftmals ganz.

Ein Grund für diesen nicht zu leugnenden Umstand lag wohl in der Entstehungsgeschichte der Allianz. Sie war von Banditen, Wegelagerern, Piraten und Schmugglern gegründet worden. Einige Offiziere und Kommandanten gingen dieser Beschäftigung heute noch nebenberuflich nach. Die Obrigkeit ließ sie gewähren, solange deren Aktionen keine Verbündeten der Allianz trafen. Dadurch blieben die Soldaten im Training und potenzielle Gegner wurden geschwächt. Trotzdem – oder vielleicht auch gerade deshalb – war das Militär der Allianz zu erstaunlicher Schlagkraft fähig.

»Tut mir leid, Skipper, aber wir laufen gerade Palatino an. Wir treten etwa in einer Stunde in die Umlaufbahn ein.«

»Und? Kriegen Sie ohne mich kein Brems- und Parkmanöver mehr hin?« Bei ihren Worten zwinkerte sie Finn in ihrem Bett schelmisch zu. Im selben Moment registrierten jedoch beide, dass der amüsierte Tonfall aus Bobs Stimme schwand.

»Ein Dutzend Drizilschiffe sind in Stellung gegangen, in knapp zwei AE Entfernung.«

»Aktivierte Waffen? Führen Sie irgendwelche Manöver aus?« Christinas Stimme war von einem Moment zum anderen in höchstem Maße angespannt. Sie hatten gerade erst eine Schlacht gegen die Drizil hinter sich und die Flotte war in keinem guten Zustand. Auf gar keinen Fall war sie in der Lage, es mit frischen, unbeschädigten Drizileinheiten aufzunehmen, deren Besatzungen nicht unter Erschöpfung litten.

»Nein, nichts dergleichen. Sie beobachten uns lediglich, aber ich wollte Sie trotzdem informieren.« Sein Tonfall verriet, was er von dem ausgerufenen Waffenstillstand hielt – ungefähr dasselbe wie jeder andere an Bord oder in der gesamten Flotte.

»Danke, Bob. Halten Sie mich auf dem Laufenden.« Bevor sie die Verbindung deaktivieren konnte, hielt die Stimme ihres XO sie zurück.

»Das wäre noch etwas, Skipper.«

»Ja?«

»Genaro hat angeordnet, dass Ihr Spielgefährte auf die Schutz der Freiheit übersetzen soll, sobald wir Parkposition erreicht haben.«

Christina warf Finn einen verwirrten Blick zu, den dieser erwiderte.

»Hat er gesagt, warum?«

»Nein, Skipper, tut mir leid. Er hat lediglich gesagt, er hätte eine neue Aufgabe für ihn und – ich zitiere –: ›Es wird ihm auf keinen Fall gefallen!‹ Zitat Ende.«

Finns Stirnrunzeln vertiefte sich, während er die Anweisungen Genaros, übermittelt durch den XO der Sturm über Cosa Tauri, vernahm.

»Sonst noch was?«, fragte Christina ihren XO.

»Nein, das war alles. Viel Spaß noch!« Mit dieser letzten flapsigen Bemerkung deaktivierte der XO des Allianzfrachtschiffs die Verbindung.

»Quatschkopf!«, lachte Christina und schlug ebenfalls auf den entsprechenden Knopf, doch ihr Lächeln verflog, als sie ihren Geliebten musterte.

»Was hältst du davon?«

Finn war besorgt, doch das wollte er Christina auf keinen Fall zeigen. Sie hatte schon genug um die Ohren und sollte sich nicht auch noch Gedanken um ihn machen. Das 21. Freie Infanteriekorps galt innerhalb des Allianzmilitärs als Eliteeinheit und als Problemlöser. Sie wurde mobilisiert, wenn man Flagge zeigen und dem Gegner signalisieren wollte, dass man bereit war, bis zum Äußersten zu gehen.

Genaro und Finn waren seit Langem Freunde. Das hatte Vor- und Nachteile. Einer der Nachteile war, dass Genaro meistens nach ihm schickte, wenn er wirklich einen Höllenjob zu vergeben hatte, den er niemand anders anvertrauen wollte oder konnte. Diese Jobs hatten leider die Tendenz, Finns Gesundheit enorm abträglich zu sein. So wie es sich anhörte, war dies wieder einmal der Fall.

Er warf Christinas nackter Gestalt einen vielsagenden Blick zu und ließ seine Augen ihren Körper entlangwandern. Er klopfte neben sich auf das Bett.

»Was ich davon halte? Dass wir noch gut eine Stunde für uns haben.«

Teil I.
Eine neue Zeit