Doppelband Chronik der Sternenkrieger Folge 9/10

Alfred Bekker

Published by Alfred Bekker, 2018.

Inhaltsverzeichnis

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Chronik der Sternenkrieger – Folge 9 und 10

Band 9: Überfall der Naarash

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Band 10: Der Palast

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Chronik der Sternenkrieger – Folge 9 und 10

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Doppelband: Überfall der Naarash / Der Palast

von Alfred Bekker

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EIN CASSIOPEIAPRESS E-Book

© 2005, 2008, 2012 by Alfred Bekker

© 2014 der Digitalausgabe by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich (Westf.)

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

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MITTE DES 23. JAHRHUNDERTS werden die von Menschen besiedelten Planeten durch eine kriegerische Alien-Zivilisation bedroht. Nach Jahren des Krieges herrscht ein brüchiger Waffenstillstand, aber den Verantwortlichen ist bewusst, dass jeder neue Waffengang mit den Fremden das Ende der freien Menschheit bedeuten würde. Zu überlegen ist der Gegner.

In dieser Zeit bricht die  STERNENKRIEGER, ein Raumkreuzer des Space Army Corps , unter einem neuen Captain zu gefährlichen Spezialmissionen in die Weite des fernen Weltraums auf...

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ALFRED BEKKER schreibt Fantasy, Science Fiction, Krimis, historische Romane sowie Kinder- und Jugendbücher. Seine Bücher um DAS REICH DER ELBEN, die DRACHENERDE-SAGA,die GORIAN-Trilogie und seine Romane um die HALBLINGE VON ATHRANOR machten ihn einem großen Publikum bekannt. Er war Mitautor von Spannungsserien wie Jerry Cotton, Kommissar X und Ren Dhark. Außerdem schrieb er Kriminalromane, in denen oft skurrile Typen im Mittelpunkt stehen - zuletzt den Titel DER TEUFEL VON MÜNSTER, wo er einen Helden seiner Fantasy-Romane zum Ermittler in einer sehr realen Serie von Verbrechen macht.

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DIESES EBOOK ENTHÄLT folgende zwei Bände:

Band  9:  Überfall der Naarash

Band 10:  Der Palast

Der Umfang dieses Ebook entspricht 259 Taschenbuchseiten.

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Band 9: Überfall der Naarash

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Gators Gesicht war durch locker sitzende Tücher aus einem speziellen, atmungsaktiven Material bedeckt. Es gab eine hervorspringende Wölbung in der Mitte des breiten Kopfes, der ungefähr ein Drittel der Körperlänge ausmachte. Der Naarash sog mit einem tiefen Atemzug die Methanatmosphäre ein, die an Bord der LASGARAN herrschte. Ein paar Kurzzeitintervalle lang hatte er sich der inneren Versenkung sowie der Zwiesprache mit dem Verborgenen Gott gewidmet. Er brauchte Zuversicht und innere Kraft für die kommende Schlacht...

»Kommandierender Handelsherr, wir haben das Zielgebiet erreicht«, sagte der Ruderoffizier der IASGARAN. Auf dem großen Panoramaschirm erschien das Licht einer gelben Sonne.

Die Grenzen dreier Sternenreiche bilden hier einen Schnittpunkt, ging es Gator durch den Kopf. Die insektenartigen Ontiden, Menschen und die reptilienhaften Fulirr – vereint in einem lockeren Bündnis.

Wir werden es über kurz oder lang mit allen dreien zu tun bekommen...

»Uns erreicht eine Grußbotschaft der Raumstation Lerols Auge«, meldete der Kommunikationsoffizier.

»Ignorieren!«, befahl Gator. »Wir greifen an!«

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Dreiunddreißig tropfenförmige Raumschiffe waren vor kurzem aus dem Zwischenraum materialisiert und flogen nun mit einer Geschwindigkeit von beinahe 0,5 LG auf die Station Lerols Auge zu. Sie alle gehörten zum Handelshaus Algaror, und Gator war der vom Kapitänsrat gewählte Kommandierende Handelsherr dieser Flotte.

Wie lange ist es her, dass einer meiner Amtsvorgänger die Waffen unserer Schiffe einsetzen musste?, überlegte der Naarash. Und um wie vieles länger mag es her sein, dass einer von ihnen sich nicht nur gegen Angreifer verteidigte, sondern seinerseits zum Aggressor wurde?

Die Naarash waren normalerweise friedlich, pflegten den Ausgleich und boten ihre Dienste als Zwischenhändler und Transporteure an. Vor allem innerhalb des Heiligen Imperiums der vogelartigen Qriid waren die Methan atmenden Naarash ein Stützpfeiler der Wirtschaft, ohne den es dem Imperium wohl kaum möglich gewesen wäre, über Jahrhunderte hinweg einen nur von kurzen Phasen des Interregnums unterbrochenen Expansionskrieg zu führen. Die Naarash hatte das Imperium davor bewahrt, seine Kräfte zu überdehnen und damit irgendwann unweigerlich unterzugehen.

Aber auch außerhalb des Heiligen Imperiums gab es Naarash-Gruppen, die unabhängig voneinander agierten, Handel trieben und dabei oftmals auch die technischen Errungenschaften ihrer jeweiligen Handelspartner adaptierten.

Sie kannten keinen Staat im herkömmlichen Sinn, sondern nur den Zusammenschluss zu kleineren Gruppen, die sich selbst zumeist als Handelshäuser bezeichneten. Jene Naarash, die innerhalb des Qriid-Reichs lebten, hatten sich dem Imperium sogar so weit angepasst, dass sie Namen benutzten, die dem imperialen Kodex entsprachen.

Qriid-Namen!

Dafür hatte Gator kein Verständnis.

Der ausgeprägte Opportunismus hatte den Naarash zwar bisher das Überleben gesichert, aber so weit durfte die Anpassung an ein Staatsgebilde, dass letztlich doch eigentlich nur ein Handelspartner – ein Kunde – war, dann doch nicht gehen. Auch nicht, wenn eine der uralten Überlieferungen besagte, dass der Oberste unter den Kommandierenden Handelsherren immer der Käufer ist.

Obwohl sich die einzelnen Naarash-Gruppen teilweise stark voneinander unterschieden, so gab es doch etwas, was sie alle verband. Es war der gemeinsame Glaube an den Verborgenen Gott, eine Religion, die selbst von religiös so intoleranten Qriid geduldet wurde – sahen sie darin doch eine Glaubensrichtung, die prinzipiell ihren eigenen Vorstellungen von der Ordnung des Universums nicht widersprach.

Auch wenn die Naarash-Handelshäuser notgedrungen dafür sorgten, dass ihre Schiffe sich gut verteidigen konnten, so kam es doch äußerst selten vor, dass sie tatsächlich in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt wurden. Aber in diesem Fall gibt es keine andere Handlungsoption, deren Erfolgswahrscheinlichkeit hoch genug wäre, überlegte Gator, dem der Gedanke an den bevorstehenden Angriff nicht gefiel.

Eigentlich versuchte ein Naarash immer, zu einer Übereinkunft zu kommen. Dem lag die Erkenntnis zu Grunde, dass selbst ein schlechter Vertrag oft kostengünstiger und gewinnträchtiger war als ein siegreicher Krieg, zu dem die Naarash auf Grund ihrer Zersplitterung in kleine Einheiten auch in der Regel nicht die ausreichenden Mittel besaßen.

In diesem Fall aber reichten die Mittel des Hauses Algaror gerade aus, um durch einen schnellen, entschlossenen Schlag ans Ziel zu kommen. Wenn sich das MATANG'AR öffnet, werden wir als Erste bereit stehen, um die Kontrolle zu übernehmen...

»Die Fernortung zeigt insgesamt vier Kriegsschiffe der Ontiden an, die sich in einem Umkreis von einer Lichtstunde um Lerols Auge befinden«, meldete der Ortungsoffizier.

Auch sein Gesicht war vollkommen verhüllt, wie es bei den Naarash üblich war. Ein Naarash war das Heilige Abbild des Verborgenen Gottes, der sein Gesicht niemals offenbarte.

Angehörige der diesen Teil des Universums beherrschenden Sauerstoff-Völker bekamen die Naarash ohnehin nur in ihren Schutzanzügen zu Gesicht, durch deren Helmvisiere kein Blick ins Innere möglich war. Bewegten sie sich innerhalb ihrer Raumschiffe oder einem der wenigen planetaren Habitate, die ihren physiologischen Voraussetzungen angepasst waren und die es vereinzelt in stationären Handelsstationen und -konteren gab, so zeigten sie sich auch dort niemals unverhüllt. Darüber hinaus herrschte innerhalb der Naarash-Kultur ein vollkommenes Bilderverbot im Hinblick auf die Darstellung all jener, die Ebenbilder des Verborgenen Gottes waren und sich deswegen der Überlieferung zufolge ebenfalls im Verborgenen zu halten und ihr Geheimnis zu bewahren hatten. Die Überlieferung forderte dies und so lange die Aufzeichnungen der Naarash zurückreichten, war dieses Gebot nie in Frage gestellt worden. In letzter Konsequenz führte es dazu, dass es unter Naarash lediglich Kom-Verbindungen im Audio-Modus gab, aber keinerlei Bildübertragung.

»Funker! Geben Sie den Befehl des Kommandierenden Handelsherrn an die gesamte Flotte des Handelshauses Algaror!«, sagte Gator und erhob sich dabei aus seinem Kommandantensitz. Der entfernt humanoide Körperbau ließ sich unter dem weiten, an eine Mönchskutte erinnernden Gewand nur erahnen. Mit der gewaltigen, prankenähnlichen sechsfingrigen Hand fasste sich Gator an das fluoreszierende Rangabzeichen, das ihm an einer Kette um den Hals hing. Es stellte eine strahlende Sonne dar. Das Symbol der Verklärten Ordnung, jenes paradiesähnlichen Zustandes, den die Prophezeiungen der Heiligen des Verborgenen Gottes ankündigten.

»Konferenzverbindung zu sämtlichen Einheiten hergestellt«, meldete der Funker. »Sprechen Sie, Kommandierender Handelsherr!«

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Die Flotte der Naarash teilte sich auf. Der Großteil der Schiffe bremste stark ab und würde in vier oder fünf Stunden die Station Lerols Auge erreichen.

Drei Verbände aus jeweils zwei Tropfenschiffen steuerten jedoch mit unverminderter Geschwindigkeit auf die wenigen im Umkreis von Lerols Auge operierenden Ontiden-Schiffe zu.

Die Naarash-Schiffe würden mit enormer Geschwindigkeit an den hantelförmigen Ontiden-Raumern vorbeirasen – viel zu schnell, um dabei in eine direkte Gefechtssituation von Schiff zu Schiff zu geraten.

Aber genau das wollte die taktische Doktrin des Handelshauses Algaror auch um jeden Preis vermeiden. Die Schiffe waren für die Naarash mehr als nur ein Transportmittel von Stern A nach Stern B. Sie waren ihre Heimat und durften um keinen Preis auch nur beschädigt werden. Also gingen sie kein Risiko ein.

Im Augenblick der größten Annäherung sollten die Tropfenschiffe Dutzende von völlig selbstständig operierenden Drohnen ausschleusen, die sowohl Raketen verschießen konnten als auch mit Trasergeschützen operierten, die dem Stand der Technik in der Kriegsflotte des Qriid-Imperiums entsprachen. Aufgabe der Drohnen war es, sich in Kurs und Geschwindigkeit an die Flugbahn des zu attackierenden Schiffes anzugleichen und das Feuer zu eröffnen.

Da es sich um unbemannte Flugkörper handelte, konnten extreme Beschleunigungs- und Bremsmanöver gefahren werden, ohne entsprechende Andruckabsorber zu benötigen.

Der Rest der Naarash-Flotte des Handelshauses Algaror strebte auf Lerols Auge zu.

Die Station war ein interstellarer Treffpunkt. Obgleich das Gebiet Teil des Ontidenreichs war, wurde es auch von Schiffen der Menschen, Fulirr oder K'aradan angeflogen.

Gravitationswellen ermöglichten es, im Weltall zu surfen, was zu einem regelrechten Sport geworden war, in dem offizielle Wettkämpfe abgehalten wurden. Dimensionsfragmente und Gravitationsschlaufen hatten sich in einer Weise verzahnt, dass dadurch eine Wölbung im Raumzeit-Kontinuum entstanden war, die das möglich machte.

Diese Wölbung hatte aber auch noch eine andere Eigenschaft, die zahllose Besucher in diese Region des Weltraums lockte und ihr auch den Namen gegeben hatte: Picus Wunder. Das Wunder bestand darin, dass die mehrere Lichtminuten durchmessende Raumzeitwölbung wie eine Linse zu wirken schien. In scheinbar rasender Geschwindigkeit wurden Ereignisse auf die Oberfläche dieser »Linse« projiziert, von denen bisher nicht klar war, ob sie an weit entfernten Orten oder möglicherweise auch in einer anderen Zeitebene stattfanden. Explodierende Sterne, auseinander driftende Galaxien, Supernovae, sich zu Sternen verdichtende Wolken aus interstellarem Gas und Staub... All das konnte man hier in unendlicher Folge wie in einem Zeitraffer auf der größten natürlichen Kinoleinwand des bekannten Universums sehen.

Generationen von ontidischen Herrscherhäusern hatten daher die Region um Picus Wunder zu einem neutralen Bereich werden lassen, in dem sich Schiffe aller Spezies treffen konnten. Selbst dann, wenn sie andernorts im Krieg miteinander waren. Die ontidische Flotte hatte sich daher im Hintergrund gehalten. Sie war angewiesen worden, zwar einerseits durch Präsenz klar zu stellen, zu wessen Territorium dieser Sektor gehörte, aber andererseits jedes martialische Gehabe zu vermeiden.

»Wir erhalten eine Bildbotschaft von der Station!«, meldete der Kommunikationsoffizier. »Sie warnen uns, dass eine weitere Verweigerung der Kommunikation als Kriegsgrund angesehen würde!«

»Diese sittenlosen Gesichterzeiger!«, entfuhr es Gator. Seine prankenartigen Hände ballten sich dabei unwillkürlich zu Fäusten.

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Erdorbit, Spacedock 13

Sämtliche Offiziere des zurzeit an die Orbitalstation Spacedock 13 angedockten Leichten Kreuzers STERNENKRIEGER hatten sich im Raum des Captains eingefunden, an dessen Konferenztisch gerade jeder von ihnen einen Sitzplatz fand.

Commander Rena Sunfrost, die Kommandantin der STERNENKRIEGER, ließ kurz den Blick schweifen. Das Schiff war bereit zum Start. Alle Vorbereitungen für eine Mission ins Heptagon-System, wo das Space Army Corps der Humanen Welten einen Horchposten unterhielt, mit dessen Hilfe sich die Kommunikation innerhalb des Heiligen Imperiums der Qriid teilweise abhören ließ, waren abgeschlossen. Langsam aber sicher konnten die vogelähnlichen Eroberer zurückgedrängt werden. Mittlerweile hatten die Qriid sämtliche Systeme, die sie der Kontrolle der Humanen Welten hatten entreißen können wieder räumen müssen. Ihre Verteidigungslinien lagen nun tief im ehemaligen Niemandsland zwischen beiden Machtbereichen und teilweise auch schon im Bereich des Heiligen Imperiums selbst. Den Botschaften nach, die man von Heptagon aus aufgefangen hatte, sprach vieles dafür, dass dies mit dem Erstarken der von den Qriid-Priestern als Ketzer diffamierten Bewegung des Predigers Ron-Nertas zu tun. In der so genannten Noirmad-Exklave – einem Gebiet, das erst seit relativ kurzer Zeit dem Imperium angehörte, aber von immenser Bedeutung für die Industrieproduktion war – hatte sich die Bewegung des Predigers, in dem viele den legendären Friedensbringer der Qriidischen Überlieferung sahen, geradezu explosionsartig ausgebreitet.

Ron-Nertas, der Prediger, zweifelte daran, dass der permanente Heilige Krieg zur Ausbreitung des wahren Glaubens tatsächlich dem Willen Gottes entsprach. Und tatsächlich schienen viele Qriid inzwischen kriegsmüde geworden zu sein. Ganze Schiffsbesatzungen waren zu den Anhängern des Predigers übergelaufen und auch wenn die Informationen aus dem Inneren des Qriid-Imperiums nach wie vor nur spärlich flossen, so konnte man getrost als gesichert ansehen, dass in der Noirmad-Exklave inzwischen ein regelrechter Bürgerkrieg begonnen hatte, der natürlich Kräfte von der Invasionsflotte des Reiches abzog.

Rena Sunfrost sah in die leicht irritierten Gesichter der Offiziere.

Eigentlich war nämlich alles für die Mission im Heptagon-System besprochen gewesen. Eine Mission, in der es im Wesentlichen darum ging, Flagge zu zeigen.

Die einheimischen Fash'rar befürchteten Racheakte versprengter Qriid-Verbände, da sich die fischähnlichen Bewohner des Heptagon-Systems durch die Erlaubnis, die sie den Humanen Welten zur Errichtung eines Horchpostens gegeben hatten, erkennbar auf eine Seite geschlagen hatten.

Den Erkenntnissen des Geheimdienstes nach gab es solche versprengten Verbände nicht, aber die Fash'rar, deren Raumfahrt nicht über ihr eigenes System hinausging, zweifelten dies an.

Ein Routineauftrag ohne besonderes Gefährdungspotential also.

Dazu die Rückkehr zu einer ausgesprochen interessanten und noch viel zu wenig erforschten Welt, auf der sich intelligente Fischabkömmlinge an ein im Laufe der Zeitalter immer trockener werdendes Wüstenklima auf ihrem Planeten angepasst hatten.

Bruder Guillermo, der an Bord der STERNENKRIEGER die Funktion eines Beraters mit Offiziersprivilegien einnahm, freute sich schon darauf, erneut den Boden Heptagons zu betreten. Der Angehörige des Wissenschaftlerordens der Olvanorer hatte schon konkrete Pläne für die Fortsetzung seiner Studien. Die erste Mission, die die STERNENKRIEGER nach Heptagon geführt hatte, war von ungleich größerer Brisanz gewesen. Schließlich war es darum gegangen, in einer extrem angespannten politischen Lage den Fash'rar die Genehmigung zur Errichtung des Horchpostens abzuringen.

Das war auch gelungen, allerdings nur mit dem Versprechen, notfalls Beistand zu leisten. Und genau das wurde jetzt eingefordert. Commodore Tim Bray Jackson, Sunfrosts direkter Vorgesetzter im Space Army Corps hatte schon die Vermutung geäußert, dass die Fash'rar jetzt einfach die Gelegenheit wahrnahmen, um die Vertragstreue der Humanen Welten auf die Probe zu stellen.

»Es mag Sie verwundern, dass ich Sie alle so kurzfristig noch einmal zusammengerufen habe«, sagte Sunfrost. »Der Grund dafür ist einfach. Ich erhielt soeben eine offizielle Transmission vom Oberkommando des Space Army Corps, wonach unsere Mission ins Heptagon-System abgeblasen wurde.« Für einen kurzen Moment ging ein Raunen durch den Raum, ehe Sunfrost die Hand hob und es wieder verstummte. Die Blicke aller Anwesenden waren konzentriert auf den Captain gerichtet. »Bevor Sie mich nach Gründen fragen, möchte ich Ihnen sagen, dass ich darüber nicht informiert worden bin, allerdings hat man mir bedeutet, dass ich in Kürze weitere Befehle erhalte und die STERNENKRIEGER im Bereitschaftsstatus gehalten werden soll.«

»Dann gehe ich davon aus, dass wir bald Spacedock 13 verlassen werden«, schloss Lieutenant Commander Raphael Wong, der Erste Offizier des Leichten Kreuzers.

Captain Sunfrost nickte. »Richtig, nur dass wir ein anderes, bisher unbekanntes Ziel bekommen werden.« Rena richtete den Blick auf Bruder Guillermo. »Tut mir Leid für Sie, aber ich schätze, Sie werden Ihre Studien der Fash'rar-Gesellschaft auf Heptagon ein anders Mal fortsetzen müssen.«

Der noch recht junge und immer etwas schüchtern wirkende Olvanorer-Mönch hob leicht die Schultern. »Bedauerlich, aber wohl nicht zu ändern, Captain.«

»Sie sagen es.« Sie wandte sich an den leitenden Ingenieur des Schiffes. »Lieutenant Erixon?«

»Ja, Ma'am.«

»Halten Sie die Maschinen auf Bereitschaftsstatus, sodass wir jederzeit starten können.«

»Aye, aye, Captain.«

»Lieutenant Taranos?«, fuhr Sunfrost fort.

Der Ruderoffizier hob die Augenbrauen. »Captain?«

»Lassen Sie Fähnrich Al-Katibi die Startsequenz fliegen. Er braucht dringend weitere Praxis. Ich nehme an, dass ich auf Ihre Erfahrung spätestens am Einsatzort wieder zurückgreifen muss.«

»Gegen eine Freischicht habe ich nichts einzuwenden«, bekannte Taranos.

Sunfrost erhob sich. »Halten Sie sich alle bereit. Wir müssen unter Umständen sehr kurzfristig aufbrechen. Wegtreten.«

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Lieutenant Simon E. Erixon saß in Kontrollraum A des Maschinentraktes der STERNENKRIEGER, von wo aus man unter anderem die Ionentriebwerke sowie die Sandströmaggregate kontrollieren konnte. Es gab eine Unzahl von Displays, größeren Bildschirmen, Touchscreens und ganz konventionellen Schaltpulten. Überall blinkten Kontrolllämpchen, deren jeweilige Bedeutung sich nur jemandem erschloss, der sich mit Raumschifftriebwerken auskannte.

Da Erixon mit seinen Facettenaugen lediglich im Infrarotbereich zu sehen vermochte, waren die meisten dieser Anzeigen für ihn vollkommen nutzlos. Schließlich wurden die Darstellungen auf den Schirmen durch Helligkeitsunterschiede im sichtbaren Bereich elektromagnetischer Strahlung – dem Licht – abgebildet und nicht durch feinste Differenzierungen in der Emission von Wärmestrahlen, durch die Erixon seine Umwelt wahrnahm.

Das elektromagnetische Spektrum reichte von den langwelligen Radiowellen bis zu den extrem kurzwelligen Gammastrahlen. Dazwischen lagen der Infrarotbereich, der winzige Bereich des sichtbaren Lichts, ultraviolettes Licht und die Röntgen-Strahlung. Gemessen an der Gesamtbandbreite des Spektrums war Erixons Wahrnehmungsvermögen viel breiter als das schmale Band des sichtbaren Lichts, mit dem genetisch nicht optimierte Menschen auszukommen hatten.

Und doch bedauerte er manchmal, dass seine Wahrnehmungsfähigkeit nicht über den Infrarotbereich hinausging.

Wenigstens ein bisschen...

Ursprünglich war genau das bei seiner genetischen Optimierung wohl beabsichtigt gewesen. Nur ein kleiner Schritt weiter in den Kurzwellenbereich und er wäre in der Lage gewesen, Radiowellen zu empfangen. Das wäre für einen ursprünglich als Bergbauingenieur konzipierten Genetic, dessen Aufgabe die Kontrolle gigantischer, vollautomatischer Bergbaufördermaschinen auf Extremwelten mit Methanatmosphäre war, sicherlich sehr praktisch gewesen.

Schließlich wäre er dann in der Lage gewesen, diese Kontrolle sehr viel direkter auszuüben, als dies durch die Betätigung eines Schaltpultes möglich war.

Aber das alles lag hinter ihm.

Niemand brauchte die Stoffe noch, die er hätte abbauen sollen. Sein Typ war plötzlich nicht mehr gefragt gewesen und so hatte sich Erixon schließlich mangels einer anderen Perspektive beim Space Army Corps gemeldet und die Eingangstests bestanden. Auch hier hatte er letztlich nichts anders zu tun, als technische Großsysteme rechnergestützt zu kontrollieren und Modifikationen am System selbst vorzunehmen.

Allerdings ist die Umgebung hier sehr viel angenehmer, als auf irgendeiner schweinekalten Methanwelt!, ging es dem Genetic durch den Kopf, dessen Augen auf andere menschliche Betrachter immer etwas verstörend wirkten. Erixon wusste um diese Wirkung. Es gab nichts, was er dagegen tun konnte.

Durch die Andersartigkeit seiner Augen, die jedem sofort auffallen musste, fehlte ihm einfach ein wichtiger Teil nonverbaler menschlicher Kommunikation.

Was die Anzeigen auf den Displays anging, so ließ sich Erixon diese entweder auf einem mobilen Spezialmodul anzeigen oder auf einen speziellen Infrarotschirm projizieren.

Die Helligkeitsunterschiede wurden dabei in feinste Temperaturunterschiede übertragen. Bis zu einem zehntausendstel Grad vermochte Erixon zu unterscheiden.

Selbst bei absoluter Dunkelheit hatte er auf diese Weise ein Bild seiner Umgebung, das an Detailschärfe und Kontrast jedem menschlichen Auge überlegen war.

Erixon hatte sich in Kontrollraum A einen für ihn geeigneten Infrarotschirm installieren lassen. Andernfalls wäre er gezwungen gewesen, stets mit dem etwa handgroßen Modul zu arbeiten, was auf die Dauer etwas anstrengend sein konnte.

Aber im Augenblick lief auf dem Infrarotschirm – unsichtbar für jeden normalsichtigen Durchschnittserdmenschen – eine Live-Übertragung aus dem großen Pressesaal des Humanen Rates.

Julian Lang – der Vorsitzende dieses höchsten Gremiums der Humanen Welten – und Jurij R. Zaid – von den Wissenschaftsräten der Systeme Epikur, Aurelis und Einstein zum regierenden Lordmanager der Genetiker-Föderation gewählt – traten vor die Vertreter der Medien, um der Öffentlichkeit eine Übereinkunft vorzustellen, die den in letzter Zeit eskalierten Streit über den Geltungsbereich der Bundesgesetze nun wohl beenden würde.

Die Auseinandersetzung war ohnehin fruchtlos, wie Erixon meinte. Das Ultimatum, nach dem die Genetiker-Föderation wieder auf den Boden der Bundesgesetze zurückkehren sollten, war längst und lange verstrichen, ohne dass die Humanen Welten es tatsächlich gewagt hätten, die Genetiker mit Waffengewalt im Verbund der Humanen Welten von Sol zu halten, zumal diese inzwischen ihre eigene Produktion von Kriegsschiffen aufgenommen hatten. Heute erfolgte nun das, was politische Beobachter schon seit längerem vorhergesagt hatten: die Trennung zwischen den Humanen Welten und der Genetiker-Föderation.

»Der Humane Rat und der Lordmanager der Genetiker-Föderation sind übereingekommen, dass beide in Zukunft unabhängige Staatsgebilde mit eigenem Territorium und eigener Gesetzgebung darstellen werden«, erklärte Julian Lang gedehnt.

Lordmanager Zaid machte ein erfreutes Gesicht, enthielt sich aber jeden Kommentars und ließ Lang den Vortritt.

Dieser fuhr fort: »Beide Staaten betrachten sich in Zukunft in außen- und sicherheitspolitischen Fragen als Verbündete, die ihre diesbezüglichen Interessen miteinander abstimmen. Was die innere Ordnung und die Gesetzgebung angeht, so wird ausdrücklich festgestellt, dass die der Genetiker-Föderation angehörenden Systeme Einstein, Epikur und Aurelis nicht mehr dem Zwang unterliegen, dem Bundesrecht der Humanen Welten widersprechende Regelungen als nichtig zu behandeln. Dies gilt – und darauf legten unsere Gesprächspartner auf Seiten der Genetiker-Föderation größten Wert – insbesondere für die derzeit auf dem Gebiet der Gentechnik bestehenden gesetzlichen Beschränkungen.« Julian Lang machte eine kurze Pause und Lordmanager Zaid nickte leicht zu den Worten seines Verhandlungspartners.

Im Anschluss an die eher trockene Erklärung des Ratsvorsitzenden, brach ein Schwall von Fragen über die beiden Verhandlungspartner herein.

Insbesondere interessierten sich die Medienvertreter dabei für ganz praktische Fragen. Woran war die Staatsbürgerschaft der Genetiker-Föderation künftig gebunden? Galt sie nur für genetisch optimierte Menschen oder für alle Bewohner der Genetiker-Systeme? Und wie war es mit der Freizügigkeit? Hatten Bürger der Humanen Welten weiterhin das Recht, sich auf Genet und den anderen Föderationswelten niederzulassen?

Gleiches galt natürlich umgekehrt. Hatten die Humanen Welten in Zukunft mit einer Flut von genetisch optimal an ihre Berufe angepassten Arbeitskräften zu rechnen, die in ihrer Spezialisierung möglicherweise den Normalmenschen in der Konkurrenz um Arbeitsplätze überlegen waren?

Jurij Zaid wich diesen Fragen weitgehend aus. Er versteckte sich hinter Floskeln. Vielleicht versuchte er damit auch nur zu verbergen, dass die Regelung, die er gemeinsam mit seinem Verhandlungspartner gefunden hatte, noch gar nicht bis in diese Details ausgearbeitet war.

»Wir haben gegenseitige Freizügigkeit unter der Voraussetzung vereinbart, dass die Betroffenen über ein gewisses Vermögen verfügen, dass sie in die Lage versetzt, sich selbst zu unterhalten«, erklärte Zaid. Ein Lächeln erschien auf dem Gesicht des hochintelligenten Mannes, der für die

Erfordernisse eines politischen Amtes gentechnisch optimiert war. Das »R.« in seinem Namen machte dies deutlich. Es stand für »Ruler« – »Herrscher«. Zaid beugte sich vor und erklärte des Weiteren: »Auch wenn manche Anti-Gentechnik-Aktivisten auf den Humanen Welten Schwierigkeiten haben, dies zu akzeptieren: Wir sind alle Menschen! Ein Genetic ist kein Monstrum, sondern ein menschliches Wesen, dessen Evolution bewusst beeinflusst worden ist. Wir sind offensichtlich biotechnisch dazu in der Lage und auf Genet und den anderen Genetiker-Welten sieht es niemand ein, dass man von der damit verbundenen Möglichkeit nur wenig Gebrauch machen soll.«

»Glauben Sie, dass mit dem heutigen Tag sich zwei unterschiedliche Entwicklungslinien in der Menschheitsgeschichte trennen?«, fragte einer der Medienvertreter.

Ein Geräusch riss Erixon aus den sehr widersprüchlichen Gedanken, mit denen er die Live-Übertragung verfolgte.

»Fähnrich Clayton Gomes meldet sich zum Dienst!«

Erixon blickte sich um.

Die Brauen über seinen nichtmenschlich wirkenden Facettenaugen zogen sich etwas zusammen und bildeten eine geschlängelte Linie.

»Stehen Sie bequem, Fähnrich«, erwiderte Erixon. »Ich bin kein Freund militärischer Formen, auch wenn wohl an Bord eines Raumschiffs im Dienst des Space Army Corps kein Weg daran vorbeigehen mag, sie einzuhalten.«

»Danke, Lieutenant.«

Fähnrich Gomes gehörte seit drei Monaten zur technischen Crew der STERNENKRIEGER. Sein Gesicht war bis auf die Nase und kleinere Zonen um die Augen herum vollkommen von dichtem, schwarzem Haar bedeckt. Haar, das auch auf seinen Handrücken wucherte. Er war ein so genannter Wolfsmensch – Träger einer genetischen Besonderheit, die auf der Erde seit Jahrhunderten nachweisbar war. Was die irritierten Blicke anging, hatten Erixon und Gomes durchaus ein ähnliches Problem. Beide hatten in etwa dieselbe Konsequenz daraus gezogen, nämlich sich nicht um das Urteil anderer zu kümmern.

Gomes deutete auf den Infrarotschirm. Er selbst hatte nur die Audiospur der Übertragung mitbekommen.

Die Anzeige auf dem Schirm selbst war für ihn natürlich unsichtbar geblieben.

»Wenn meine Eltern auf Genet geboren wären, hätte ich wahrscheinlich ein paar Probleme weniger gehabt«, murmelte Gomes vor sich hin.

Erixon verzog das Gesicht. »Nur unter der Voraussetzung, dass Ihre Eltern vermögend genug gewesen wären, um Sie in den Genuss einer genetischen Optimierung kommen zu lassen.«

Gomes atmete tief durch. »Möglicherweise haben Sie Recht, Lieutenant.«

»Und wie Sie an mir sehen können, ist die genetische Optimierung manchmal auch nicht die Lösung eines Problems, sondern dessen Beginn...«

Gomes' Lächeln wirkte etwas gezwungen. »Lieutenant, ich weiß nicht, weshalb ich überhaupt auf dieses Thema zu sprechen gekommen bin. Es war nur so... Ich stand in der Tür und bekam etwas von Audio-Live-Stream mit, den Sie sich angehört haben. Ich habe mir als Jugendlicher immer gewünscht, ich wäre auf Genet geboren worden und man hätte das Gen, das mich über Jahre zu einem Außenseiter machte, eliminieren können.«

»Ich persönlich weigere mich einfach, darüber nachzudenken, was gewesen wäre, wenn die Mineralien, zu deren Abbau ich erschaffen worden bin, nicht durch die technische Entwicklung überflüssig geworden wären«, erwiderte Erixon. »Gedanken an die Vergangenheit sollen

einen niemals beherrschen – und schon gar nicht Gedanken über eine mögliche Vergangenheit, die niemals Realität wurde. Das habe ich gelernt.«

Er schaltete den Live-Stream ab.

Eine umständliche und eher ausweichende Antwort, die Julian Lang auf die Frage eines Medienvertreters gab, wurde dadurch einfach abgeschnitten.

Ein Lächeln flog plötzlich über Erixons Gesicht. Ein Lächeln, das in seiner Menschlichkeit und mit seinem fast schon melancholischen Ausdruck in einem grotesken Gegensatz zu den kalt wirkenden Eacettenaugen stand. »Es gibt allerdings Momente, in denen ich meinen Grundsätzen in dieser Hinsicht nicht treu bleiben kann«, bekannte er.

»Und jener Augenblick, in dem die Genetiker-Föderation ihre Unabhängigkeit bekommt, gehört dazu, Sir?«, fragte Fähnrich Gomes.

Der Leitende Ingenieur der STERNENKRIEGER nickte.

»Schon möglich. Übernehmen Sie bitte die Kalibrierung der Sandströmaggregate. Wir haben Order in ständiger Bereitschaft zu bleiben.«

»In Ordnung.«

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Zwei Stunden später hatte sich Rena Sunfrost in Konferenzraum C auf Spacedock 13 zu einem Briefing einzufinden.

Commodore Tim Bray Jackson erwartete sie.

»Rühren und setzen«, begrüßte der seit seiner in der Schlacht um das Tridor-System erlittenen Verstrahlung vollkommen haarlose Jackson. Sein Gesicht wirkte angespannt. »Ich sagte Ihnen ja bei unserem letzten Interkom-Kontakt, dass Sie bald neue Befehle bekommen würden.«

»Ja, Sir.«

»Ihre Mission im Heptagon-System muss abgeblasen – na ja, sagen wir – verschoben werden.«

»Das bedeutet, andernorts hat sich in der Zwischenzeit eine Krise zusammengebraut«, schloss Rena Sunfrost.

Commodore Jackson nickte. »Das kann man wohl sagen!« Er aktivierte einen Bildschirm. In beeindruckender Pseudo-Drei-D-Qualität war eine räumliche Darstellung des von den Humanen Welten beanspruchten Raumgebiets zu sehen, einer Raumkugel mit einem Radius von ungefähr 50 Lichtjahren um Sol herum.

Mit ein paar Schaltungen, die Jackson über ein Handheldmodul vornahm, wurde ein bestimmtes Gebiet näher herangezoomt.

»Die Station Lerols Auge und das so genannte Picus Wunder sind Ihnen ja bekannt«, sagte Jackson, der auf dem Bildschirm das Grenzgebiet zwischen dem Reich der Ontiden, dem »Nalhsara«, wie das Staatsgebilde der Fulirr genannt wurde, und den Humanen Welten noch mehr vergrößerte. Die Sonne Beta Picus und die Position von Lerols Auge waren markiert. Sie lagen eindeutig auf der ontidischen Seite der Grenze.

Die nächstgelegenen Systeme auf dem Territorium der Humanen Welten waren Alpha Picus und Picus Major.

»Eine Flotte von hochmodernen Naarash-Schiffen hat die in der Nähe des Picus Wunders gelegene Station Lerols Auge erobert und die in der Gegend operierenden ontidischen Flotteneinheiten entweder vernichtet oder in die Flucht geschlagen. Das Herrscherhaus der Ontiden hat ein dringendes Hilfeersuchen an den Humanen Rat gerichtet, was dem Oberkommando des Space Army Corps natürlich extrem ungelegen kommt. Schließlich sammeln sich derzeit Qriidische Einheiten zu einer Gegenoffensive im Rasina-Sektor und wir werden aufpassen müssen, dass die Geierköpfe den Spieß nicht wieder umdrehen, wozu sie trotz der inneren Unruhen, die in der Noirmad-Exklave ausgebrochen sind, zweifellos noch die Fähigkeit besitzen!«

Jackson zuckte mit den breiten Schultern. Es hielt ihn nicht in seinem Schalensitz. Er stand auf und deutete auf das System Picus Major. »Es gibt hier drei Planeten mit insgesamt etwa einer Million menschlichen Siedlern, die inzwischen natürlich sehr nervös geworden sind. Die Ontiden werden diesen Fall auch als Gradmesser für die Verlässlichkeit der Humanen Welten als Bündnispartner sehen...«

»Ich wundere mich darüber, dass das Ontiden-Reich mit einer Flotte von dreißig Schiffen nicht fertig zu werden vermag«, erklärte Sunfrost.

»Diese Schiffe sind ausgesprochen kampfstark. Sie setzen Schwärme von robotischen Drohnen ab, die mit Trasern Qriidischer Bauart ausgestattet sind. Die Ontiden haben unserem Geheimdienst ein umfangreiches Dossier überlassen, das vor allen Dingen aus den Aufzeichnungen besteht, die während des Überfalls auf Lerols Auge gemacht wurden. Die Files werde ich Ihnen in Kürze auf den Bordrechner der STERNENKRIEGER überspielen. Sie werden mit Ihrem Schiff in den Picus Sektor fliegen und sich dort mit dem Flottenverband von Commodore Soldo treffen, dessen Befehlsgewalt Sie auch unterstellt sein werden.« 

»Wenn die Naarash-Schiffe tatsächlich so kampfstark sind, wie Sie gesagt haben, werden wir mit einer Flottille von zehn Einheiten kaum in der Lage sein, die Invasoren zu vertreiben«, gab Sunfrost zu bedenken.

»Vollkommen richtig, Commander. Ihre Aufgabe wird in erster Linie darin bestehen, Flagge zu zeigen und die Invasoren daran zu hindern, möglicherweise noch weitere Ziele heimzusuchen.«

»Gibt es denn irgendwelche Anhaltspunkte darüber, worin diese weitergehenden Ziele bestehen?«, hakte Sunfrost nach.

Commodore Jackson schüttelte den Kopf.

»Nein, Commander. Was die Motive der Naarash angeht, stehen wir vor einem Rätsel, zumal dieses Volk bisher als sehr friedlich galt. Natürlich haben die Naarash als Zwischenhändler und Transporteure am Heiligen Krieg des Qriid-Imperiums profitiert, aber sie waren niemals selbst in Kampfhandlungen verwickelt. Allerdings stellen wir seit kurzem über unseren Horchposten Heptagon fest, dass ganze Flotten von Naarash-Schiffe sich aus dem Herrschaftsbereich des Imperiums zurückziehen.«

»Könnte dies nicht mit den bürgerkriegsähnlichen Unruhen zusammenhängen, die inzwischen in der Noirmad-Exklave ausgebrochen sind?«, vermutete Sunfrost.

»Ja, das vermuten wir auch. Aber möglich wäre auch ein Zusammenhang mit den Ereignissen im Picus Sektor.«

»Worauf wollen Sie hinaus?«

»Was unter dem Begriff Wurmloch Alpha zu verstehen ist, brauche ich ihnen ja wohl nicht zu erklären«, sagte Jackson.

Vor zehn Jahren hatte sich in der Nähe der Sonne Alpha Picus aus bisher unbekannter Ursache ein Wurmloch geöffnet. Für einen Zeitraum von anderthalb Jahren hatte es eine permanente Verbindung zu einer mehr als 50.000 Lichtjahre entfernt auf der anderen Seite der Galaxis gelegenen Region hergestellt. Zunächst hatte es so ausgesehen, als wäre damit eine dauerhafte Möglichkeit gegeben, so tief ins Universum vorzudringen, wie es Antriebssysteme sämtlicher bisher bekannten raumfahrenden Völker wohl erst in mehreren tausend Erdjahren vollbringen konnten.

Der Humane Rat hatte seinerzeit schon geglaubt, durch die Kontrolle dieser Passage in einen bis dahin völlig unbekannten Bereich des Kosmos einen Aufschwung in Wirtschaft und Handel nehmen zu können, der ohne gleichen in der Geschichte der Menschheit gewesen wäre. Aber die Freude hatte nicht lange gewährt, denn schon bald war klar gewesen, dass das Wurmloch von Alpha Picus sich in absehbarer Zeit wieder schließen würde. Feinste Schwankungen in den mit dem Auftreten des Wurmlochs einhergehenden Emissionen von Subraumwellen hatten diese Vorhersage sehr sicher gemacht und so hatte sich die Passage tatsächlich in dem vorhergesagten Zeitintervall wieder geschlossen. Es war unklar, ob es sich überhaupt je wieder öffnen würde. Seitdem kreiste um Alpha Picus eine kleine Forschungsstation, die die Aufgabe hatte, im Auftrag des Humanen Rates  nach Anzeichen für eine erneute Öffnung des Wurmlochs Ausschau zu halten.

Allerdings war die Hoffnung darauf gering. Zwar gab es in der Nähe auf ontidischer Seite der Grenze die berühmten Raumzeitverwerfungen des Picus Wunders, und es war inzwischen auch ein gesichertes Ergebnis der Forschung, dass diese Raumzeitwölbung in irgendeiner Weise mit Wurmloch Alpha in Zusammenhang stand.

Aber zumindest in jenen Zeiten, die die benachbarten Ontiden und Fulirr historisch zu überblicken vermochten, hatte es keine weitere Öffnung des Wurmlochs gegeben.

»Hat es denn bisher irgendwelche Anzeichen dafür gegeben, dass sich Wurmloch Alpha wieder öffnet?«, erkundigte sich Rena.

Tim Bray Jackson schüttelte den Kopf. »Nein, unsere Forschungsstation Alpha Picus hat nichts dergleichen aufzeichnen können. Aber ehrlich gesagt fällt uns nichts anderes in diesem Sektor ein, was die Naarash zu einem bewaffneten Angriff treiben könnte.«

Jackson hielt kurz inne, ehe er schließlich fortfuhr: »Und es wäre ja möglich, dass die Naarash über weitaus bessere Messverfahren zur Erfassung von Subraumwellen verfügen als die Ontiden oder wir. Schließlich scheinen sie von den Spezies, mit denen sie in Handelskontakt stehen, nach Möglichkeit auch die fortgeschrittenste Technik zu assimilieren und in ihre eigenen Schiffe zu installieren.« Das Gesicht des Commodores wirkte ausgesprochen besorgt. »Sollte es tatsächlich der Fall sein, dass die Naarash des Wurmlochs wegen in diesen Sektor gekommen sind, dann kann die

Eroberung von Lerols Auge eigentlich nur der Brückenkopf sein, um eine gute Ausgangsposition zu haben, wenn sich die Passage zur anderen Seite der Galaxis erneut öffnet und es darum geht, die Kontrolle darüber zu erringen.«

»Ich verstehe.«

»Commander Sunfrost, Sie werden mit der STERNENKRIEGER unverzüglich aufbrechen...«

»Ja, Sir!«

»...sobald der Passagier an Bord ist, auf den wir im Moment noch warten«, fügte Tim Bray Jackson mit einer gewissen Verzögerung noch hinzu.

Rena runzelte die Stirn. Ein Passagier? Wer mochte das sein?

»Um wen handelt es sich?«, erkundigte sie sich.

»Es ist ein guter alter Bekannter, Commander!«, sagte Jackson mit einem Grinsen. »Ich spreche von Professor Yasuhiro von Schlichten. Sie sollen ihn zur Station Alpha Picus bringen, schließlich ist er erwiesenermaßen eine der größten Kapazitäten im Bereich der Subraumwellen-Forschung.«

Rena Sunfrost atmete tief durch.

Der Kerl hat mir gerade noch gefehlt, durchfuhr es sie ärgerlich.

Sie hatte den Chefentwickler des Konzerns Far Galaxy zum ersten Mal an Bord gehabt, als es die Aufgabe der STERNENKRIEGER-Crew gewesen war, eine – wie sich dabei herausstellte noch unausgereifte – Antimaterie-Waffe zu testen.

Da von Schlichten sich während dieser Mission wiederholt in Belange der Schiffsführung eingemischt hatte, war es immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und dem Captain der STERNENKRIEGER gekommen.

»Professor von Schlichten befindet sich auf dem Weg hierher. Sein Shuttle wird in zwei bis drei Stunden Spacedock 13 erreichen«, erklärte Tim Bray Jackson. »Hören Sie, Commander, es ist bis zu mir durchgedrungen, dass es gewisse – sagen wir – menschliche Ressentiments zwischen ihnen beiden gibt. Aber ich bestehe darauf, dass Sie ungeachtet dessen gut mit Professor von Schlichten zusammenarbeiten.«

»Selbstverständlich, Sir«, versprach Rena. Was hätte sie auch sonst sagen sollen?

»Betrachten Sie ihn als Teil Ihres Offiziersstabs...«

»Was?«, entfuhr es Rena. »Entschuldigen Sie, Sir.«

»...zumindest auf wissenschaftlichem Gebiet, wollte ich noch hinzufügen, bevor Sie mich unterbrachen, Commander.«

»Ich war etwas unbeherrscht.«

»In der Tat!«, sagte Jackson. »Aber bedenken Sie, dass es bei dieser Mission unter anderem auch darum geht, herauszufinden, ob es nicht Anzeichen dafür gibt, dass sich Wurmloch Alpha wieder öffnet.«

»Anzeichen, die die Wissenschaftler auf Alpha Picus übersehen haben?«, fragte Sunfrost.

»Um ehrlich zu sein, ist das auch etwas, was mir einfach nicht in den Kopf will, Commander«, bekannte Commodore Jackson. »Aber ich bin überzeugt davon, dass Sie bald mehr wissen werden, wenn Sie vor Ort sind.«

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6

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Rena Sunfrost hatte im Sessel des Kommandanten Platz genommen. Fähnrich Lin Al-Katibi, der Lieutenant Taranos als Ruderoffizier vertrat, war damit beschäftigt, letzte Schaltungen und kleinere Modifikationen am System vorzunehmen. Seine Finger glitten geradezu hektisch über die Touchscreens seiner Konsole.

»Es ist alles bereit, Captain«, meldete Lieutenant Commander Raphael Wong. Rena hatte die Zeit genutzt, um die Offiziere der STERNENKRIEGER über den Charakter der bevorstehenden Mission in Kenntnis zu setzen.

»Professor von Schlichten ist soeben an Bord gekommen«, sagte Lieutenant David Kronstein, auf der Brücke der STERNENKRIEGER für Ortung und Kommunikation zuständig. »Er sendet Ihnen eine Botschaft über Kommunikator.«

»Auf den Nebenschirm damit«, befahl Rena.

»Aye, Captain.«

»Fähnrich Al-Katibi?«

»Ja, Ma'am?«

»Lösen Sie die Andockverbindung zu Spacedock 13 und leiten Sie die Startsequenz ein. Wir gehen auf maximale Beschleunigung und werden zum frühest möglichen Zeitpunkt in den Sandström-Raum eintreten.«

»Jawohl, Captain«, bestätigte der dunkelhaarige Fähnrich.

Wenig später durchdrang ein dumpfes Brummen die STERNENKRIEGER. Der Boden vibrierte leicht. Ein Zeichen dafür, dass sich die Ionentriebwerke in der Aufwärmphase befanden.

»Andockverbindung gelöst«, meldete Al-Katibi. »Beschleunigungsphase beginnt!«

Auf dem Panoramaschirm war zu sehen, wie die STERNENKRIEGER seitwärts schwenkte. Der Bildausschnitt, der bis dahin zu zwei Dritteln vom Anblick der Erde gekennzeichnet worden war, veränderte sich. Sterne funkelten.

Trotz maximaler Beschleunigung würde es beinahe acht Stunden dauern, bis die STERNENKRIEGER die für den Eintritt in den Sandström-Raum nötige Geschwindigkeit erreicht hatte.

Auf einem der Nebenbildschirme war inzwischen das Gesicht von Professor Yasuhiro von Schlichten erschienen, der zweifellos zu den genialsten Naturwissenschaftlern zählte, die es derzeit innerhalb der Humanen Welten gab. Neben ihm stand Fähnrich Susan Jamalkerim, die von Captain Sunfrost damit beauftragt worden war, den Wissenschaftler zu empfangen und zu seinem Quartier zu geleiten.

»Seien Sie gegrüßt, Captain Sunfrost«, sagte von Schlichten.

»Guten Tag, Professor«, erwiderte Rena relativ kühl.

»Es freut mich, mal wieder an Bord Ihres schönen Schiffes reisen zu dürfen, Captain. Ich denke, dass wir uns diesmal bei technischen Details nicht ins Gehege kommen werden. Bringen Sie mich einfach so schnell wie möglich zur Station Alpha Picus.«

»Wir sind bereits unterwegs, Professor.«

»Bei Gelegenheit sollten wir uns vielleicht über ein paar Einzelheiten Ihrer Mission unterhalten, Captain.«

Rena lächelte dünn. »Die Reise nach Alpha Picus wird etwa eine Woche dauern. Ich denke, da wird Zeit genug dafür bleiben!«

Die Verbindung wurde unterbrochen.

Rena bemerkte Raphael Wongs Blick und sagte: »Sie brauchen nichts zu sagen. Ich bin auch nicht begeistert von Professor von Schlichtens Anwesenheit.«

Etwa acht Stunden später trat die STERNENKRIEGER in den Sandström-Raum ein. Mit knapp 3000-facher Lichtgeschwindigkeit raste sie ihrem Ziel am äußerten Rand des Einflussgebietes der Humanen Welten entgegen...

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7

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Die nächsten Tage waren für die Crew der STERNENKRIEGER relativ ereignisarm. Sunfrost bekam regelmäßig einen Lagebericht über Sandström-Funk. Commodore Thorbjörn Soldo kommandierte den sich im Picus Sektor zusammenziehenden Flottenverband von der unter seinem Kommando stehenden Dreadnought LIBERTY aus. Alle anderen zu diesem Verband gehörenden Schiffe waren kleiner. Ein Zerstörer und ein Schwerer Kreuzer waren noch darunter. Der Rest der Flottille bestand aus Leichten Kreuzern wie der STERNENKRIEGER.

Niemand unter den Verantwortlichen war wirklich zufrieden damit – andererseits war es angesichts der bevorstehenden Gegenoffensive der Qriid im Rasina-Sektor einfach nicht möglich, weitere Schiffe abzuziehen.

Am dritten Tag nach dem Start der STERNENKRIEGER von Spacedock 13 im Erdorbit war etwa die Hälfte der zu Commodore Soldos Flottille beteiligten Einheiten im Operationsgebiet eingetroffen. Die andere Hälfte, darunter der Zerstörer ATLANTIS und der Schwere Kreuzer COLUMBUS waren von näher gelegenen Stationierungspunkten aus auf dem Weg in den Picus Sektor und würden dort auch deutlich vor der STERNENKRIEGER eintreffen.

Das Schiff von Commander Rena Sunfrost hatte mit 51,89 Lichtjahren, die im Mittel zwischen Alpha Picus und dem Sol-System lagen, mit Abstand den weitesten Weg zurückzulegen.

Rena kam der Direktive von Commodore Tim Bray Jackson nach und traf sich mit von Schlichten zu einer Unterredung.

Allerdings nicht unter vier Augen, wie von Schlichten zunächst gefordert hatte. Stattdessen bestand Rena auf der Anwesenheit ihres Ersten Offiziers mit dem Argument, dass sie diesen ohnehin über alles informieren müsste, was besprochen würde.

Die Wahrheit ist, dass du dich einfach wohler fühlst, wenn du von Schlichten nicht allein gegenübersitzt, sondern weißt, dass sich noch jemand im Raum befindet, der seine arrogante Art genauso wenig leiden kann wie du, erkannte Rena sehr wohl.

Von Schlichten – ein sehr hagerer Mann mit grauen Haaren und ebensolchen Augen, deren Blick Rena manchmal an die falkenhafte Kälte von Qriid-Augen erinnerte, nahm im Raum des Captains Platz, nachdem er als Letzter eingetreten war.

»Captain Sunfrost, ich möchte Sie auf zwei Dinge hinweisen«, begann von Schlichten. Seine Lippen bewegten sich dabei kaum. Er sprach mit leiser, aber dennoch sehr akzentuierter Stimme. »Zunächst einmal sollten Sie anerkennen, dass ich in offizieller Mission des Space Army Corps tätig bin. Natürlich bin ich weder Reservist noch verfüge ich über einen Dienstrang.«

»Sie sind Angestellter von Far Galaxy«, erwiderte Rena.

»Momentan sollten Sie mich nicht als Konzernvertreter sehen. Meine Aufgabe besteht daraus, die Messergebnisse der Alpha Picus Station zu überprüfen.«

»Glaubt das Space Army Corps, dass damit etwas nicht in Ordnung ist?«, hakte Sunfrost nach. »Commodore Jackson hat davon nichts angedeutet.«

»Das kann er auch kaum tun, Captain. Aber es ist doch mehr als erstaunlich, dass die Naarash offenbar über ein größeres Wissen über die mögliche Wiederkehr des Wurmlochs besitzen, als die Spezialisten von Alpha Picus, die nichts anderes zu tun haben, als Subraumwellen auf bestimmte Anomalien zu untersuchen. Ich gebe zu, dass das eine komplizierte Materie ist, aber es erstaunt mich schon, dass die Station in letzter Zeit keinerlei auffällige Werte aufgezeichnet hat.«