Das Osterfest
im Märchenland

Anthologie

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Erste Auflage 2017

© Coverbild: Jenny Schneider

Covergestaltung, Korrektorat

und Layout: net-Verlag

Auswahl der Geschichten:

Lysann Rößler & Leserteam

© Illustrationen:

Silke Vogt (S. 22)

Barbara Brosowski Utzinger (S. 32)

Lars O. Heintel (S. 96)

Heidemarie Opfinger (S. 188)

© net-Verlag, Tangerhütte

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2017

ISBN 978-3-95720-199-7

Das Osterfest im Märchenland

Ostern wird auch in den Märchen gefeiert.

Ob bei Dornröschen oder Rotkäppchen -

alle Märchenfiguren möchten gern,

dass der Osterhase pünktlich die Eier

versteckt. Doch es gibt auch Hindernisse.

Tolle Geschichten rund um den Osterhasen für unsere Kleinsten.

Wir wünschen allen Lesern

einige unterhaltsame Stunden!

Ihr net-Verlag-Team

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Zum Buch

Silke Vogt

Ein ganz besonderer Osterhase

Christine Schär

Meisterdieb Kian und die Eiergondeln

Volker Liebelt

Hasenkinder

Kerstin Gramelsberger

Der kleine Has’ und die Wunschfee

Sabine Kohlert

Bruzeln, Backen, Brühen

Andreas Engel

Schatzsuche

Anna Neunsiegel

Als die Schneekönigin Ostern feierte

Wolfgang Rödig

Osterzeit im Märchenland

Lydia Teuscher

Die verlorenen Eier

Isa-Martina Eisfeld

Ein Roller für den kleinen Schnulp

Lars O. Heintel

Die Osterreise

Tine Sylwa

Drei Wünsche für den Osterhasen oder Froschkönigs zweite Chance

Susanne Weinsanto

Hilfe für den Osterhasen und den Weihnachtsmann

Christine Prinz

Die Ritter vom Tulpenweg retten das Osterfest

Martina Dinkel

Das Osterkaninchen

Elisabeth Ehrenreich

Die böse Hexe

Christina Emmerling

Sina lässt nicht locker

Karen Wright

Drachenzahn und Krötendreck

Matthias Biehl

Froschkönigs Osterfest

Doreen Hauswald

Ein Osterhase in der Weihnachtswelt

Gabriele Grausgruber

Die Hexe Amanda will Ostern feiern

Gisela Brix

Hase Muck stiehlt ein Ei

Antje Steffen

Dornröschen und das Osterfest

Freia-Anastasia

Ciesinger Ein Ostertag im Märchenland

Sandra Pulletz

Hilfe für den Osterhasen

Melanie Scharley

Der Oster-Tausch

Basima Mai

Melas erster Frühling

Heinz-Helmut

Hadwiger Osterhas’, mal mir was!

Ute Fette

Bimbo, Trixi und Pellegrin

Heidemarie Opfinger

Wiedersehen auf der Osterwiese

Autorenbiografien

Illustratorenbiografien

Buchempfehlungen

Silke Vogt

Ein ganz besonderer Osterhase

Kennst du das Märchenland? Hast du eine Idee, wie es aussehen könnte? Nein? Eigentlich kannst du es dir ganz ähnlich wie unsere Menschenwelt vorstellen. Auch dort gibt es genau die gleichen Länder, wie wir sie kennen, also Deutschland, unsere Nachbarn in Europa, aber natürlich auch die anderen Erdteile.

Für dich, mich und alle anderen Menschen ist das Märchenland unsichtbar. Ähnlich wie bei einer Zwiebel legt es sich wie eine zweite Hülle um die Erdoberfläche herum, allerdings mit einem Luftpolster dazwischen. Bei der Zwiebel liegt ja eine Schicht direkt über der nächsten, ohne Abstand. Das Märchenland hingegen kann die Entfernung zum Erdboden verändern.

Bei wolkigem Wetter zum Beispiel beginnt es direkt über der Wolkendecke, durch die hindurch du es gerade so eben nicht mehr sehen kannst. In ganz dichtem Nebel könntest du es beinahe mit den Händen greifen, wenn du nur zehn Zentimeter größer wärst.

Das gilt aber genauso für größere Kinder, auch die kommen selbst auf Zehenspitzen ganz knapp nicht dran.

Ist der Himmel klar und blau, schwebt das Märchenland leicht wie eine Seifenblase weiter nach oben. Dann beginnt es jenseits der Grenze, die du soeben noch mit deinen Augen wahrnimmst.

Aha, höre ich dich sagen, dann fliegt man einfach in einem Flugzeug in die Höhe, so weit es geht. An sich eine gute Idee, aber selbst von dort, weit über den Wolken, gelingt dir kein Blick auf das Märchenland, und wenn du dich noch so anstrengst, vielleicht sogar ein Fernglas dabei hast.

Du kennst das doch vom Regenbogen. Als ich noch ein Kind war, so alt wie du, wollte ich immer auf einen Regenbogen klettern. Aber wenn ich in seine Richtung marschierte, sogar rannte, so schnell ich konnte, wich er unaufhaltsam vor mir zurück. Der Abstand zwischen uns blieb immer gleich. Erreichen lässt sich so ein Regenbogen nie. Ebenso wenig das Märchenland. Wirklich schade.

Nun fragst du dich, besser mich, woher ich bitteschön wissen will, dass es dieses Märchenland tatsächlich gibt, wenn es doch für Menschen unsichtbar ist. Schließlich kann ich dir viel erzählen, oder? Obwohl es manchmal kaum zu glauben ist: Was hier geschrieben steht, musste ich mir nicht ausdenken. Märchen gibt es schließlich schon genug. Nein, ein lebendiger Märchenlandbewohner hat mir alles erzählt, und der sollte sich auskennen.

Genaugenommen ist es ein ehemaliger Bewohner, denn der fand es so schön bei mir daheim, dass er einfach hierblieb.

Wie es dazu kam? Eine wirklich ungewöhnliche Geschichte. Mach es dir auf dem Sofa gemütlich oder deinem Lieblingsplatz, wo auch immer, und hör’ gut zu.

Auch im Märchenland gibt es dieselben Jahreszeiten wie bei uns. Alles begann kurz vor Ostern. Ganz besonders geschäftig ging es dort bei den Hasen zu, längst aus ihrer langen Winterruhe erwacht. Sie bereiteten emsig alles vor, um dir und den anderen Kindern eine Freude zu bereiten. Ich kenne viele Bilderbücher, in denen niedliche Osterhasen kleine Pinsel in den Vorderpfötchen haben. Das ist natürlich ein Märchen. Wie sollten sie die auch festhalten? Sie haben doch gar keine Finger, nur Krallen. Schau mal bei einem Stallhasen nach, falls du einen kennst.

Das Bemalen der Eier geht ohne Hände und Pinsel sowieso viel einfacher. Bei Hasen oder Kaninchen, die auch schon mal mithelfen dürfen, sind die Malwerkzeuge sozusagen schon festgewachsen. Um ein Ei ganz einzufärben, nehmen sie die Hinterpfoten, damit geht das richtig flott, denn die sind lang und breit.

Dicke Streifen lassen sich prima mit den kleineren Vorderpfoten malen, mittlere Linien mit den Ohrspitzen. Sogar ganz dünne Striche sind kein Problem, dazu wird ein einzelnes Barthaar in die Farbe getaucht. Für wilde Kleckse oder schöne runde Punkte sind die Puschelschwänzchen zuständig. So hat jedes Körperteil seine eigene Aufgabe, wenn es um das Verschönern von Ostereiern geht.

Bestimmt hast du schon mit einem Tuschkasten gemalt. Dann weißt du, dass man immer wieder den Pinsel auswaschen muss, damit die anderen Farben in ihren Töpfchen nicht schmutzig werden. Das kann manchmal ganz schön nerven! Man darf nur mit einem sauberen Pinsel von einer Farbe in die andere gehen, sonst ist am Ende alles braun. Braune Ostereier wären aber sehr langweilig. Genaugenommen müssten die noch nicht mal angemalt werden, denn es gibt ja genug Hühner, die sowieso braune Eier legen.

Genau wie Kinder sollten also auch malende Hasen gut darauf achten, die Farben zu trennen, damit sie fröhlich bunte Eier zaubern, statt Matschepampe anzurichten. Müssten sie sich für jede neue Farbe, die auf ein Ei soll, immer wieder waschen, wären die Ostervorbereitungen wohl sogar zu Weihnachten noch nicht abgeschlossen. Sei mal ganz ehrlich: Würdest du dich im tiefsten Winter über Ostereier freuen, versteckt unter einer dicken Schneeschicht im Garten? Ich glaube, eher nicht.

Die Osterhäschen im Märchenland machten das ganz geschickt. Es war nicht so, dass ein Hase ein Ei in verschiedenen Farben bemalte, dann das nächste und immer so weiter. Nein, jeder Maler war nur für eine ganz bestimmte Farbe zuständig, mit der er dann jedes Ei verzierte, je nach Muster als Kleckse, Punkte, Striche in verschiedener Dicke oder auch als Grundfarbe für die gesamte Fläche.

Es gab also Rot-, Orange-, Gelb-, Grün-, Blau- und Lilahasen, das waren die häufigsten. Außerdem noch ein paar für Braun, Silber und Gold, die aber eher selten gebraucht wurden.

Damit alles seine Ordnung hatte, malten die Hasenkinder immer in genau der gleichen Farbe wie ihre Eltern. Es gab richtige Familienfarben, die weitervererbt wurden.

Die klugen Tiere arbeiteten sehr gut zusammen, indem sie sich die Aufgaben teilten. So kamen sie viel schneller voran, als wenn jeder ein ganzes Ei alleine bemalt hätte. In der Gruppe geht halt vieles leichter, probier’ es doch mal mit deinen Freunden und Freundinnen aus! Vielleicht beim Anmalen von Ostereiern?

Natürlich wuschen sich die fleißigen Malerhasen sehr gründlich, sobald alles fertig verziert war. Sie wollten schließlich nicht das ganze Jahr über farbig herumhoppeln. Da sie natürlich nur ungiftige Lebensmittelfarben nahmen, ließen die sich ganz gut wieder abwaschen. Aber bei genauem Hinsehen konnte man am Schwänzchen, den Ohrspitzen, Barthaaren und zwischen den Krallen doch noch ganz schwach erkennen, welcher Farbton benutzt worden war. An dieser leichten Tönung kann man Osterhasen von normalen unterscheiden.

Schwarz ließen sie ganz weg, das hätte zum fröhlichen Osterfest nicht gepasst. Hasen zum Auftragen weißer Farbe gab es leider auch nicht, da sich Deckweiß, genau wie bei deinem Tuschkasten, ganz schlecht wieder abwaschen lässt. Die meisten Eier hatten ja sowieso eine weiße Schale, da ließ man Stellen, die im Muster weiß bleiben sollten, einfach frei.

Alles wäre also eigentlich in bester Ordnung gewesen. Allerdings vermalten sich junge Osterhäschen, die erst wenig Übung hatten, ziemlich oft. Das passiert dir sicher auch manchmal. Diese sehr klecksigen Eier sahen so hässlich aus, dass sie weggeworfen werden mussten. Mit Weiß hätte man die meisten Fehler übermalen und die geretteten Eier doch noch an Kinder verteilen können. Eigentlich ist es sehr schade, etwas nur deshalb wegzuschmeißen, weil man gerade nicht die nötigen Werkzeuge oder Sachen hat, um es zu reparieren. Das fanden auch die Märchenlandhasen, wussten aber keine Lösung für ihr Problem, so sehr sie auch überlegten.

Bis letztes Jahr kurz vorm Osterfest eine Art Wunder geschah, mit dem niemand gerechnet hatte.

Dazu müssen wir uns nun ganz weit weg von den märchenhaften Osterhasen an den Nordpol begeben, den es ebenso im Märchenland gibt – die Heimat des Weihnachtsmanns. Wie du sicher weißt, hält er jedes Jahr bis weit in den Herbst hinein seinen Sommerschlaf, sobald alle Geschenke an die richtige Adresse verteilt sind. Zusammen mit ihm begeben sich auch seine Rentiere zur Ruhe und ebenso alle Wichtel, die ihm immer so schön beim Verpacken der milden Gaben helfen. Ohne seine vielen fleißigen Freunde würde er solche Mengen an Päckchen ja niemals schaffen können. Überleg doch bloß, wie viele Kinder es auf der Welt gibt, die zudem noch überall verstreut leben!

Wer gute Ohren hat, kann das laute Schnarchen all der vielen Schläfer sogar bis auf die Erde hören, egal, wie weit der Nordpol entfernt ist. Sei ganz still und lausch mal!

Jetzt erzähl mir nicht, das sei bloß dein Opa bei seinem Mittagsschläfchen …

Bevor der Weihnachtsmann letztes Jahr in den Sommerschlaf fiel, sagte er sehr zufrieden: »Ach, was hab ich es jetzt gut. Kann mich einfach hinlegen und lange, lange ausruhen. Zur gleichen Zeit müssen anderswo im Märchenland, weit von hier entfernt, unsere lieben Osterhäschen hart arbeiten. Sie bemalen Unmengen von Eiern ganz wunderschön, um sie als Geschenke für die Kinder in den Gärten zu verstecken. Dann dauert auch die Warterei bis zum nächsten Weihnachtsfest nicht ganz so lange.« Das hatte er, schon nicht mehr richtig wach, einfach so dahingesagt, nur zu sich selbst.

Neugierig gespitzte Lauscher schnappten jedoch auf, was der Weihnachtsmann da erzählte. Diese Löffel gehörten einem jungen Schneehasen. Seit wann kann man denn mit Löffeln hören? Die sind doch zum Suppe essen da. Weil Hasenohren aber so geformt sind, dass man damit prima Suppe löffeln könnte, heißen sie eben Löffel. Hast du überhaupt schon mal etwas von Schneehasen gehört? Nun, die sehen ganz genauso aus wie die braunen Hasen hier bei uns, nur sind sie, das sagt der Name ja schon, schneeweiß. So weiß wie bei unseren Hasen nur das Schwänzchen.

Diese besondere Fellfarbe ist oft ihre Rettung, denn sie werden von anderen Tieren, meist Eisbären und Polarfüchsen, gejagt. Das ist am Märchenlandnordpol genau wie bei uns. Der weiße Schnee macht sie aber fast unsichtbar, wenn sie sich nicht bewegen. So können sich Schneehasen gut verstecken und ihre Feinde an der Nase herumführen.

Nun wird weder am Nordpol noch in seiner Nähe Ostern gefeiert, und bei den Weihnachtsvorbereitungen haben Hasen schon mal gar nichts zu suchen. Würden sie beim Einpacken der Weihnachtsgeschenke mithelfen, käme die ganze schöne Märchenlandordnung völlig durcheinander. Kein Wunder, dass diesem kleinen Schneehasen oft langweilig war. Er kam sich irgendwie nutzlos und überflüssig vor.

Außerdem war sein Fell, weshalb auch immer, besonders dünn, für den Nordpol natürlich sehr unpraktisch. Immerzu fror er erbärmlich. Daher kam auch sein Name: Flocki, war doch sein Fell so flockig weiß wie frisch gefallener Schnee. Und, als wollte ihm die Natur noch einen Streich spielen, hatte er ein dunkelbraunes Schwänzchen. Vielleicht war früher mal ein brauner Hase unter seinen Vorfahren gewesen. Durch diesen auffälligen Puschel lebte er weitaus gefährlicher als Schneehasen, die ganz weiß und damit viel besser getarnt waren. Schon manchmal war er einem Jäger nur mit knapper Not entkommen. Ich finde, man kann gut verstehen, dass Flocki ziemlich unzufrieden mit sich und der Welt drumherum war.

Der Winter damals machte ihm besonders zu schaffen, denn er fiel noch kälter aus, als es die Nordpolarwinter normalerweise ohnehin schon sind. Flocki bibberte und zitterte immerzu. Auch andere Tiere litten sehr unter der Eiseskälte. So hatten die Rentiere alle eine blaue Frostbeulennase. Nur eines nicht, dessen Nase war lila. Du ahnst sicher schon, wer: Rudolph. Der ist zwar eigentlich für seine leuchtend rote Nase bekannt, doch was ergeben Rot und Blau zusammen? Na eben: Lila. Zu gerne hätte er mal genauso ausgesehen wie alle anderen Rentiere, aber das klappte wieder nicht.

Armer Rudolph, armer Flocki!

Dessen Löffel standen zum Glück immer auf Empfang, um ja nichts zu verpassen. So hörte er zufällig mit an, dass es weit weg anderswo im Märchenland Hasen gab, die sich nützlich machten. Ach, wie sehr er sie beneidete. In warmen, sonnigen Gärten durften sie bunt angemalte Eier an die Kinder verteilten und sie glücklich machen. Was für eine tolle Arbeit! Seit er wusste, dass es so etwas gab, erkannte er für sein Leben auf einmal einen echten Sinn. Er musste es nur anpacken.

»Ich gehe fort, hier hält mich gar nichts mehr!«, sprach sich das bibbernde Schneehäschen selber Mut zu und kehrte dem Nordpol den Rücken. Nicht einmal mehr sah sich Flocki nach seiner Heimat um, sondern landete direkt auf unserer Erde. Alle Märchenlandbewohner können das ohne Probleme. Dazu brauchen sie noch nicht mal eine Leiter oder ein Seil. Sie schweben ganz sanft von ihrem Land zu uns hinab. Hinauf geht das ebenso, allerdings immer nur auf dem kürzesten Weg, nie schräg.

In der Menschenwelt kam er daher ebenfalls am Nordpol an, von wo aus für ihn eine sehr lange Abenteuerreise begann.

Im Polarmeer trieb er mit den Eisschollen. Manchmal musste er sogar von einer zur anderen springen, um die Südrichtung beizubehalten. Aber Hasen sind ja für ihre tollen Sprünge bekannt, vor allem im Zickzack. War Flocki zu erschöpft, durfte er auf freundlichen Robben, manchmal sogar Walen reiten. Über weite Strecken paddelten die Eskimos in ihren Kajaks mit ihm als Mitfahrer. Diesen ungewöhnlichen Schneehasen mit dem dunklen Schwanz hielten sie für einen Geist, den man freundlich stimmen musste. Auf den Booten durfte sich unser Held daher gemütlich unter die warmen Rentierfelle kuscheln und einfach nur ausruhen. Weil es auf dem Wasser keine andere Frischkost gab, musste er mit Seetang oder Algen auskommen, auch wenn das alles ziemlich nach salzigem Meer stank und schmeckte. Fische gab es reichlich, aber die mochte er noch weniger fressen.

Deutlich schneller ging es dann auf großen Frachtschiffen voran, auf die er sich nachts heimlich schlich. Besonders schön warm war es weit unten in den Schiffsbäuchen bei den Maschinenräumen. Die luden zum Träumen ein. Ach, wie war er froh, die Polarkälte endlich los zu sein, hoffentlich für immer!

Sogar Möhren gab es auf den Frachtern. Zwar ließ man ihm nur schrumplige Karotten mit braunen Stellen übrig, aber da unser Kleiner noch den ekligen Geschmack von Tang und Algen im Maul hatte, war er gar nicht wählerisch.

Von Norwegen aus ging es weiter nach Süden auf dem Rücken von Wildgänsen. Manchmal fuhr Flocki sogar auf der Ladefläche von riesigen Holzlastern mit. Da musste er sich aber ordentlich an den Stämmen festkrallen, um nicht herunterzupurzeln. Das fand er mit der Zeit ziemlich ermüdend. Auch pfiff ihm der Fahrtwind selbst bei schönstem Sonnenschein allzu frisch um die Ohren, Verzeihung, Löffel.

Auf diese abenteuerliche Weise kam er insgesamt gut voran, vor allem in immer wärmere Gegenden, wo er ja unbedingt hin wollte.

Dennoch wäre er beinahe nie zum Osterhasen geworden, durch seine eigene Unvorsichtigkeit. Als er nämlich einmal ganz besonders müde war, rollte er sich in einer gemütlichen schwarzen Höhle zusammen. Die hatte er in einem schönen warmen Wagen gefunden, zuvor aber gar nicht weiter geschaut, was das für ein Fahrzeug war. Ein beinahe sehr schlimmer Fehler!

Ausgerechnet beim »Zirkus Pirandelli« war er nämlich gelandet, was ganz dick draußen dranstand. Aber da waren ihm die Augen ja schon fast zugefallen. Er hatte sich auch nicht irgendeinen Caravan ausgesucht, sondern ausgerechnet den des großen Zauberers Grimbaldi. Der wollte sich, wie er es immer tat, kurz vor der Vorstellung seinen Zylinder auf den Kopf setzen. Doch als er ihn vom Tisch nahm, traute er seinen Augen nicht: »Huch, was ist das denn? Ein fremdes weißes Kaninchen. Wie kommt das in meinen Zauberzylinder? Das hätte mal besser auf der Hut statt im Hut sein sollen. Schläft einfach tief und fest. Aber nicht mehr lange. Na warte, Bürschchen …«

Wie gut, dass Flocki die magischen Worte nicht hörte, »Kaninchen« ist für einen Hasen nämlich eine schlimme Beleidigung. Da hatte Grimbaldi in der Zauberschule offenbar geschlafen. Magier können von Zauberstäben und weißen Kaninchen, selbst, wenn es eigentlich Hasen sind, nie genug bekommen. So freute sich der Zirkusmensch riesig über den unerwarteten Neuzuwachs. Schwupps, setzte er sich den Zylinder auf, mitsamt dem Schneehasen drin. Vorsichtshalber drückte er sich mit einer Hand seinen Hut fest auf den Kopf und begann mit der Show.

Er wurde mit brausendem Applaus begrüßt, denn Zauberei ist immer eine sehr beliebte Nummer bei den Zuschauern.

Vom heftigen Ruck beim Aufsetzen und dem plötzlichen Lärm erwachte Flocki nun doch. Noch ganz schlaftrunken, war er völlig verwirrt: »Alles dunkel? Wo bin ich? Wieso ist der Tisch unter mir weg? Und was kratzt da so? Alles wackelt …« Er fühlte sich wie in einer Falle. Kein Wunder, hatte er doch über sich den Hut und saß auf etwas, das an ein sehr grobes Fell erinnerte. Sehen konnte der Mümmelmann nichts, aber diese neue Umgebung machte ihm Angst, denn ein Entkommen war unmöglich. Da ihm nichts Besseres einfiel, probierte er seine scharfen Krallen an dem »Fell« aus.

Der Zauberer merkte voller Grausen, dass ihn da etwas ganz heftig an den Haaren riss, sich in die empfindliche Kopfhaut krallte. Vor Schmerz und Wut fluchte er: »Verwünscht seist du zu den sieben Zwergen hinter den sieben Bergen!« Dabei zeichnete er aus alter Gewohnheit mit seinem Zauberstab merkwürdige Figuren in die Luft. Das tat er vor allem, weil er gerade mitten in der Zirkusarena stand und die Zuschauer bei Laune halten musste.

Die dachten zum Glück alle, das gehöre zur Vorstellung. So hatten sie eine Menge Spaß. Der Zauberer eher weniger.

Nun ist das so: Was Magier, auch in einem unbedachten Moment, von sich geben, geht ganz sicher in Erfüllung, wenn sie dabei mit ihrem Zauberstab in der Gegend herumfuchteln. Sonst wären sie schließlich keine Zauberer. Der Zylinder war also sofort wieder leer.

Die Verwünschung beförderte Flocki allerdings von der Erde zurück ins Märchenland. Das passte ihm eigentlich gar nicht, denn von dort kam er ja. Immerhin hatte der Zauberer ihn wenigstens nicht zurück an den Nordpol gewünscht, sondern mitten nach Märchendeutschland. Vielleicht sogar ganz in deine Nähe, falls es bei euch sieben Berge gibt.

Der kleine Schneehase fand sich auf einmal am Rande einer Versammlung brauner Hasen wieder, alle so sehr mit dem Bemalen von Ostereiern beschäftigt, dass sie seine Ankunft gar nicht bemerkten.

Endlich bin ich da, wo ich schon immer hinwollte!, schoss es dem Weitgereisten glücklich durch den Kopf. Er sprach dies aber nicht laut aus, sonst hätte er sich ja verraten. Erst mal wollte er nur heimlich beobachten. Das war auch besser so.

Die Stimmung bei den anderen war nämlich äußerst schlecht. Ein paar unerfahrene Hasenkinder hatten gerade mal wieder ziemlich viele Eier verdorben. Der Oberosterhase, liebevoll »Bossi« genannt, grummelte: »Wenn wir jetzt Deckweiß hätten, ließen sich die Eier retten. Aber ihr seid euch ja alle zu fein für Weiß.«

»Ich weiß, aber du selber doch auch!«, belehrte ihn Moppi, ein besonders vorwitziges Hasenkind.

Dem Frechdachs hätte der Alte beinahe die Ohren langgezogen – noch länger, als sie ohnehin schon waren.

Aber der kleine Naseweis hoppelte schnell außer Reichweite. Darin hatte er Übung.

Um die Streithähne zu beruhigen, trat Flocki in den Kreis der Maler, was allgemeines Erstaunen hervorrief. Noch nie hatte jemand einen weißen Hasen gesehen. Die braunen konnten gar nicht genug davon bekommen, ihn anzustarren. Der Neuankömmling erklärte geduldig, warum er die Lösung für all ihre Probleme sei. Er tauchte ohne Scheu seine Pfoten, Ohren, Barthaare und mit besonderer Wonne den falsch gefärbten Schwanz in weiße Farbe, um bei den missglückten Eiern alle Stellen zu übermalen, die nicht schön geworden waren.

Von da an mussten keine Eier mehr weggeworfen werden. Auch bekam er endlich einen weißen Schwanz, wie es sich für Schneehasen gehört. So hatten beide Seiten etwas davon, und alle waren glücklich.

Weil der weise Weiße den Frieden des Osterfestes rettete, durfte er als Belohnung natürlich mit den braunen Hasen hinunter zu uns Menschen, um die Eier zu verteilen.

Wie ich dir ja schon am Anfang erklärt habe, bildet das Märchenland unsere Welt auf einer zweiten Ebene nach. In meinem Vorgarten, da, wo ich wohne, stehen sieben Zwerge, keine echten natürlich, nur welche aus Ton. Und der Garten ist umgeben von sieben Bergen. Kein Wunder, dass der Ort des Märchenlandes, wohin der Schneehase vom Magier verwünscht wurde, genau über der Gegend liegt, wo ich zu Hause bin. Ein wirklich toller Zufall!

Damit nichts durcheinanderkommt, niemand vergessen wird, hat jeder Hase einen Garten mit Osternestern zu versorgen. Flocki, der Retter so vieler Eier, galt als Held. Deshalb durfte er sich als Erster seinen Garten aussuchen. Er wählte meinen!

Natürlich hätte ich das trotzdem alles nie erfahren, denn die bunten Eier werden normalerweise heimlich in der Nacht versteckt. Noch nie haben Menschen Osterhasen bei der Arbeit erwischt, auch wenn wohl alle Kinder davon träumen. Manche Erwachsene immer noch, aber das bleibt unter uns.

Nun war Flocki noch sehr müde von der langen Reise und der vielen Malerei, was man ja gut verstehen kann. Außerdem fror er nachts wegen seines dünnen Fells. So vergrub er sich, statt die Eier zu verteilen, in eine alte Gartenjacke, die ich aus Versehen draußen neben der Schuppentür vergessen hatte. Nur ein paar Minuten wollte er sich ausruhen, dann aber sofort loslegen, denn es lag eine Menge Arbeit vor ihm. Schließlich habe ich einen sehr großen Garten.

Während er noch versuchte, munter zu bleiben, verschlief er in seinem ungewöhnlichen Bett die ganze Nacht. Er wachte tatsächlich erst auf, als die durch den Tau glitzernden Strahlen der Morgensonne ihn wärmten.