Ausgerechnet Lara

Brigitte Winter

Roman

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Alle in diesem Roman vorkommenden Personen, Schauplätze, Ereignisse und Handlungen sind frei erfunden.
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Erste Auflage 2017

© net-Verlag, 39517 Tangerhütte

© Coverbild: Detlef Klewer

Covergestaltung, Lektorat und Layout: net-Verlag

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2017

ISBN 978-3-95720-205-5

Ich fühle mich eingehüllt von dir

wie durch ein weißes Blütenmeer,

als strecktest du liebevoll

deine weichen, zärtlichen Hände zu mir her.

Ich sehe, welche Liebe in mir steckt,

und doch wird diese stille Sehnsucht

nie von dir erweckt.

So bleibt lediglich meine Erinnerung wach

von deinem Duft, den ich rieche,

nur noch schwach.

Brigitte Winter

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Zitat

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Die Autorin

Buchempfehlungen

Kapitel 1

Oliver hatte Schluss gemacht. Dabei hatte alles so schön begonnen. Lara Keuzinger dachte: dass er sich so feige davongestohlen hatte. Das machte sie wahnsinnig wütend, so übelgelaunt, dass sie, wenn er in ihre Nähe kommen würde, sie ihn am liebsten beschimpfen würde wie ein kleiner Rohrspatz, auf jeden Fall würde sie am liebsten so richtig Gift und Galle spucken.

Da läutete ihr Telefon. Wer störte? Natürlich, es war ihre Freundin Nina. Aber es freute sie in diesem Moment nicht abzuheben. Sie war frustriert. Dabei hatte sie gehofft, Oliver würde anrufen. Aber wieso sollte er? Wäre ja auch ein Wunder! Auch egal. Männer sind halt so … ein wenig anders … Er könnte ihr ja auch eine SMS schreiben mit den Worten: »Hallo, du!«

Wie klang das? Es klang so … so richtig zärtlich. Oder las sich jedenfalls so. Sie bildete sich ja immer etwas ein, was dann so gar nicht der Wirklichkeit entsprach oder sich nie so entwickelte. Es wäre göttlich, wenn er doch noch, ganz klein geworden, weil sie ihm vielleicht fehlte, angeschlichen käme, ein wenig bettelnd, ein klein wenig unterwürfig, ja fast beschwörend, dass sie ihn wiederaufnehmen würde, er wieder bei ihr einziehen könnte.

Ach, was wäre das für ein Hochgenuss und eine Freude! Doch das würde sie nicht erleben, denn er war ein Ego. Was konnte sie dafür, dass sie sich in einen egoistischen Idioten verliebte, den sie sich schöngedacht hatte. Von dem sie sich gedacht hatte, er wäre nicht nur äußerlich schön, sondern hätte auch innerliche Werte, einfach ein warmes, liebes Wesen.

Damals, als er von dieser Zicke verlassen wurde, also besser gesagt, als er nicht so richtig bei ihr landen konnte, hatte er sie gebraucht. Natürlich zum Reden. Und sie Naivling hatte gedacht, er würde sie benötigen. Er hatte sie lediglich benutzt wie einen Waschlappen, den man, wenn man ihn nicht mehr braucht, achtlos in die Schmutzwäsche wirft.

Und jetzt? Sie würde sich wünschen, Oliver würde nach ihr verlangen, auch wenn er sie nur ausnutzte. Aber er würde sie wenigstens brauchen. Doch nichts!

Ihre aufgestaute Wut entlud sich in einem tiefen, verzagten Seufzer. Wenn er sich melden würde, sie würde ihm ihre Meinung geigen, so sehr, dass er nie, nie mehr wieder mit ihr reden würde. Auch wenn es nichts nutzen würde. Das nahm sie sich jedenfalls vor. Ob sie es in die Tat umsetzte, war wieder etwas anderes. Denn sicherlich verließ sie dabei sowieso ihr Schneid.

Sie wusste genau, er rannte der anderen nach. Überall, wo die andere war, erschien er auf einmal auch. Rein zufällig natürlich! Versteht sich von selbst. Aber ihr war klar, dass er sie nicht einmal fürs Bett benötigte, und das ärgerte sie maßlos und frustrierte sie noch mehr.

Dann seine letzten Worte, die er per SMS sandte:

»Es ist aus. Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben.«

Gehört viel Charakter dazu, per SMS Schluss zu machen. Hochachtung! Als sie ihm antwortete, weshalb er denn so plötzlich Schluss machen würde, kamen seine letzten Worte, die ihr völlig den Rest gaben:

»Lass mich in Ruhe, alle Nachrichten von dir sind nichts wert! Lass mich endlich mit deiner Blödheit in Ruhe!«

Das hatte gesessen. Und wie. Sie war verletzt. Sehr sogar! Sie war zutiefst verletzt. Zuerst schnaubte sie, nein richtigerweise fauchte sie heftig ein und aus wie ein wildgewordenes, nicht mehr zu bändigendes Rhinozeros und wusste in diesem Moment nicht, wie sie ihre ungeheure Wut verdampfen lassen könnte. Sie war sich nicht ganz sicher, ob er ihr die letzten Worte nicht mit einer zynischen, großen Freude geschrieben hatte. Aber das dachte sie sich nur, weil sie ihn nur zu gut kannte, weil sie ihn so einschätzte.

Die Luft entlud sich stoßweise aus ihrer hübschen, aber ihrer Meinung nach einfach zu breiten Nase.

Schnell schluckte sie das aufkeimende Schluchzen hinunter, das sich in ihrem Hals bedenklich stark aufstaute. Dann, langsam, ganz langsam kam sie wieder zur Ruhe.

Am liebsten hätte sie ihm ja noch ein paar saftige und deftige Worte zurückgeschrieben. Aber diese hätte sie sicher nachher wieder bereut.

Er hatte zwar nie viel von Gefühlen zu ihr gesprochen, wenn sie es recht bedachte, eigentlich nie, aber durch die gemeinsame Zeit und die schönen Nächte hatte sich eine besondere Nähe entwickelt. Sicher hatte nur sie etwas gefühlt.

Ihre Freundin Nina hatte sie vor ihm gewarnt. Sie sagte, er sei ein rücksichtsloses, egoistisches Mannsbild. Das hatte sie aber nicht wahrhaben wollen. Daran glaubte sie trotz allem noch immer nicht. Wenn sie ihn jetzt jedoch sah, ignorierte er sie meistens. Er tat, als ob sie überhaupt nicht existieren würde. Sah durch sie hindurch, als ob sie Luft wäre.

Lara litt fürchterlich. Es tat so weh. Manchmal hatte sie den Eindruck, dass er ihr Leiden sichtlich genoss. Sie war sich nicht ganz sicher, ob er nicht doch eine kleine sadistische Ader besaß, die er vor ihr gut versteckt gehabt hatte. Wie oft hatte sie sich seitdem vorgenommen, ihn aus ihrem Leben zu streichen. Ihre Gedanken an ihn einfach ignorieren. Das Eigenartige an ihrer Beziehung war gewesen, dass er manchmal nett und lieb mit ihr geredet hatte und plötzlich, ohne irgendeine Vorwarnung, so ganz aus heiterem Himmel, war irgendeine beleidigende Äußerung von ihm gekommen, die sie nur mühsam verkraften konnte.

Sie hatte es ihm immer wieder verziehen, nicht, weil er sich bei ihr vielleicht entschuldigt hätte. Nein! Das wäre ihm ja nicht einmal im Traum eingefallen. Er hatte ja immer recht. Wäre sie von Oliver nicht mehr erniedrigt worden, was hätte sie dann getan? Sie selber hatte Entschuldigungen für sein gemeines Benehmen gesucht. Hatte gedacht, er stehe in seinem Berufsleben sehr unter Druck, daher seine schlechte Laune, oder sie hatte die Schuld bei sich selbst gesucht. Sie hatte ihn so sehr geliebt, dass sie ihm alles verzeihen konnte. Oder war sie ihm hörig gewesen? Sicher war es eine emotionale Abhängigkeit gewesen. Sie dummes Huhn war seinen Attacken sogar noch mit besonderem Verständnis begegnet, hatte gedacht, sie könnte sich dadurch mehr in sein Herz schwindeln, wenn sie sie über sich ergehen ließ.

Jetzt, wenn sie so darüber nachdachte, konnte sie sich selber nicht verstehen, dass sie alles so hingenommen hatte. Manchmal dachte sie jetzt verdrossen und mit Sarkasmus, dass er sogar im Schlaf grantig schaut. Aber das tat er ja gar nicht immer. Er konnte auch zuckersüß lächeln. So war sie ihm ja auch auf den Leim gegangen. Und wie er mit ihr anfangs freundlich geredet hatte. Das hatte er gleich erkannt, wie er sich bei ihr verkaufen musste. So ein Schleimer, ein hinterhältiger.

Natürlich war sie voll auf ihn hereingefallen. Und jetzt war es aus. Er hatte ihr einfach einen Tritt in den Hintern verpasst, sie einfach, weil es ihm grade so passte, hinausgeworfen aus seinem Leben.

Einen Vorteil hatte dieser Schritt von ihm, sie musste seine Allüren nicht mehr ertragen. Das spielte zwar jetzt keine große Rolle mehr, weil es sowieso aus war, aber nun verbot sie es sich selber, an ihn zu denken. Nur war ihr noch nicht klar, wie sie es in die Wirklichkeit umsetzen sollte oder besser konnte.

Desillusioniert schob sie sich ein kleines Stück Brot in den Mund hinein und kaute hingebungsvoll. Am liebsten würde sie ihn entsorgen. Aber wohin? Am besten als Biomüll. Könnte knapp werden, ihn so zu entsorgen, denn er erschien ihr auch als Sondermüll noch als unanbringlich. Sicher blieb man auf ihm sitzen. Dabei lachte sie gequält und schloss kurz die Augen. Sie hätte alles für ihn getan und alles gegeben. Doch er schob sie sofort mit fadenscheinigen Argumenten wie: »Lass uns Zeit! Wir haben ja alle Zeit der Welt« ab.

Dabei stieß es ihr jetzt noch sauer auf. Zum Teufel mit ihm! Sie war ja so dumm und einfältig gewesen.

Lara ging ins winzige Bad und wollte sich die Zähne putzen mit dem Gedanken: Es wird mich wieder so ekeln, und ich werde mich sicher wieder fast übergeben müssen, sobald ich die Zahnpasta in meinem Mund spüre. Es ging ihr immer so beim Zähneputzen. Nur mit Mühe überstand sie diesmal die Zahnputzprozedur. Ihre Augen tränten fürchterlich, sie musste dringend ausspucken, und das Nass rann über ihre trockenen, gebräunten Wangen.

Es war jedes Mal dasselbe Spiel. Aber Zähneputzen musste schließlich sein. Wie schaute sie denn mit gelben, ungepflegten, ekelhaften Zähnen aus! Grrr. Widerlich!

Sie sah dabei kurz in den Spiegel. O. k. … Nicht gerade erbaulich und schon gar nicht beruhigend, was sie da sah. Resultat: Also nicht in den Spiegel sehen, entschloss sie notgedrungen.

Na gut! Konnte nur besser werden. Sicher konnte sie später noch mal vorsichtig den Blick in den Spiegel riskieren, wenn sie wieder anständig, nicht so zerknittert, zerknautscht und mitgenommen aussah.

Es war sicher nur die Spitze des Eisberges, wenn sie an ihre Erlebnisse mit Oliver zurückdachte. Also Angst, dass ihm Lara überlegen war, konnte er nicht gehabt haben. Das konnte ihn nicht gestört haben. Männer fürchten ja zu starke Frauen. Aber Lara war nicht stark gewesen, hatte meistens nachgegeben, um ihn nicht zu verlieren. Eigentlich hätte sie sich bereits früher von ihm trennen sollen, denn sie hatte ja immer ein wenig im Hinterkopf das Gefühl gehabt, es stimme etwas nicht. Aber sie hatte es sehr, sehr lange Zeit einfach nicht wahrhaben wollen, dass er ihr langsam entglitt.

Wie konnte man nur so blöd sein wie sie? Oliver war jedenfalls so arrogant und selbstgefällig gewesen, dass ihm gar nicht aufgefallen war, dass auch Lara gar nicht so glücklich mit ihm war. Da denkt man sich, ein intelligenter Mann müsste das doch sicher spüren. Aber vielleicht wollte er es nicht erkennen, weil sie ihm egal war.

Je mehr Verständnis Lara für Oliver aufgebracht hatte, desto heftiger wurden zum Schluss seine Entgleisungen. Eins war ihr klar: Sie wollte es nicht mehr sehen, wenn er sie überlegend, mitunter berechnend und zugleich sehr spöttisch anstierte. Boshaft und voller Falschheit hatte er oft auf ihre traurigen, ungeschickten und unsicheren Reaktionen gewartet, sie lauernd angeschaut, dann verspottet, um sich nachher daran zu belustigen, wenn sie wieder fürchterlich litt. Aber sie hatte nie vor ihm geweint, wenn er ihr wehgetan hatte. Diesen Triumph hatte sie ihm nicht gönnen wollen. Aber wenn sie wieder alleine war, waren die Tränen geflossen. Und wie!

So verrückt es klingen mag, sie hatte trotzdem immer wieder Entschuldigungen für sein Verhalten gesucht.

Jetzt griff sie sich nur noch an den Kopf, dass sie so blöd gewesen war.

Manches Mal hatte Lara Blindschleichen als Kind in ihrem Heimatdorf im Gras aufgehoben und in Sicherheit gebracht, weil sie hie und da in der Mitte durchtrennte Tiere gefunden hatte. Ja, so fühlte sie sich jetzt, schwach und angeknackst wie eine wehrlose, sich dahin windende Blindschleiche. Schwächer und einsamer als je zuvor und unfähig, daran etwas zu ändern.

Irgendwann musste endgültig Schluss damit sein! Aber was sollte sie jetzt tun?

Sie wimmerte leise. Sie wusste, dass der Schmerz in ihrer Brust sie immer noch anfallartig überfiel.

Klar, dass sie sich nicht fröhlich fühlen konnte. Das zu behaupten wäre Blasphemie. Sie war sicher eine Versagerin in Sachen Beziehungen. Langsam hatte sie diesen Eindruck von sich selber. Also stolz brauchte sie nicht darauf zu sein, sich diesen Burschen geangelt zu haben, der es nicht einmal der Mühe wert fand, persönlich mit ihr Schluss zu machen. Wie einfach es einem die neuen Medien doch machen und wie ernüchternd solche SMS sein können.

Lara dachte, dass sie jeden Kerl haben könnte, wenn sie nur wollte, also, um nicht zu sehr zu übertreiben, sagen wir fast jeden zehnten. Dachte sie jedenfalls. Die Wirklichkeit sah anders aus. Darauf bildete sie sich aber wieder gar nichts ein, weil es ihr nichts bedeutete. Ja, wenn ihr einer seine Liebe gestehen würde, das würde für sie einen Wert haben. Aber so fühlte sie sich, wie schon gesagt, als Niete, die nichts zustandebringt.

Aber sie sollte ihre unpassenden Gedanken zur Seite schieben. Denn Traumwelt und Einfältigkeit war in ihrem Fall nicht zielführend. Es führte zu nichts. Zu gar nichts. Außer zu diesem belämmerten Liebeskummer, der sie jetzt so furchtbar quälte.

Bei ihren Arbeitskolleginnen war sie wegen ihres netten Wesens beliebt, aber beneiden tat sie sicher keine ihrer Kolleginnen und wenigen Freundinnen, da war sie sich sicher. Vielleicht auch, weil sie nichts Besonderes zu bieten hatte. So sah sie selber es jedenfalls. Na ja, sie konnte arbeiten, richtig hart ackern, wenn sie wollte. Aber wen interessierte das schon? Das konnten schließlich viele. Da war sie keine Ausnahme. Deshalb wurde sie von den Männern regelmäßig übersehen oder einfach abgestempelt als fade Tussi.

Das war es …, es konnte nur das sein. Ihre Mutter, Eva Hauer, hatte auch nie etwas Besonderes in ihr gesehen. Meistens stülpte sie ihr nur bei Besuchen den unangenehmen, beengenden Mantel von Schuldgefühlen und schlechtem Gewissen über. Sie könnte ja viel öfter kommen. Nicht nur alle heiligen Zeiten. Aber sie wollte nicht öfter kommen. Also nahm sie die ständigen, immer wiederkehrenden Vorwürfe als gegeben hin. Vielleicht war sie ja ein unerwünschter »Bastard«? Manchmal kam sie sich jedenfalls so vor. Wie ein lästiges Insekt, das man zertritt oder verjagt.

Als Kind hatte sie ihre Mutter gefragt, wieso sie einen anderen Familiennamen hatte. Da hatte sie ihr erklärt, dass sie vor der Ehe mit ihrem Vater auf die Welt gekommen war und deshalb ihren ledigen Namen erhalten hatte.

Viele Jahre später hatte sie noch mal gefragt, wieso ihr Vater sie nicht adoptieren würde, wieso sie anders hieß. Da hatte ihre Mutter gesagt: »Das kostet zu viel!« Damit war das Thema erledigt.

Aber es gab in Wirklichkeit andere Gründe, und Lara vermutete, dass es mit der Ablehnung ihres Vaters Martin Hauer zu tun hatte. Aber vielleicht war er ja gar nicht ihr leiblicher Vater. Ein leiblicher Vater hätte sie adoptiert, damit sie denselben Namen tragen konnte wie er. Denn sie hatte ihre vielen Verrücktheiten in ihrer Jugend nur deshalb gemacht, um seine Aufmerksamkeit zu erhalten. Was ihr wiederum nur Schläge und harte Strafen eingebracht hatte. Vielleicht hatte sie sich darum sehr rebellisch entwickelt, eben weil sie sich nicht geborgen gefühlt hatte in ihrem Elternhaus. Lediglich ihre Schwester Annika Hauer hatte sie in Schutz genommen. Ihre Mutter, Eva, hatte die vielen Bestrafungen durch ihren Vater nur stumm hingenommen. Nicht ein einziges Mal hatte sie sich für sie eingesetzt.

Gut, sie erfasste widerwillig, dass sie keine große Schönheit war und manchmal, wenn ihre Mutter sie so nachdenklich ansah, dachte Lara, dass sie genau diese Gedanken hegte.

Nie hatte sie jemanden gehabt, der zu ihr gesagt hätte, sie sei hübsch. Schon gar nicht Oliver. Da hätte sie eher aus einer toten Maus einen Piepser herausgedrückt. Aber vielleicht bildete sie sich vieles ja nur ein, weil sie sich ungeliebt fühlte.

Laras Naturhaare waren dunkelbraun. Momentan hatte sie einen Farbspleen. Alle halben Jahre färbte sie sie um. Mal schwarz, mal blond. Jetzt war grade die Farbe bordeaux dran. Na ja, jeder hatte schließlich seinen Vogel. Sie musste sich dauernd verändern, es war wie ein Zwang, um aufzufallen. Das war ihr als lästiges Anhängsel aus der Jugend geblieben, unbedingt Aufsehen erregen zu wollen.

Auf dem Weg in die Küche leerte sie ihre halbvolle Kaffeetasse, schluckte den heißen Kaffee auf einmal hinunter, dass ihr Hals unwillkürlich brannte wie Feuer, und blickte aus dem alten Fenster in den hässlichen, verwahrlosten Hinterhof, der ihr Zuhause war.

Aber so ganz unschuldig war sie ja bei ihren Zwisten mit Oliver auch nicht gewesen, wenn sie es recht bedachte. Denn sie hatte die Angewohnheit, sich eben diese romantischen Filme anzusehen, die ihr eine solche heile Welt vorgaukelten. Wenn er bei ihr war, dann drehte sie Sender auf, wo eben solche schnulzigen Filme gerade gesendet wurden, und dann lief sie meistens aus dem Zimmer, um irgendeine Hausarbeit in der kleinen Küche zu erledigen. Sie liebte halt diese sentimentalen Filme, besonders die von Rosamunde Pilcher.

Oliver war von ihnen weniger angetan gewesen. Dann hatte er ihr immer genervt nachgerufen: »Lara, was du tust, ist seelische Grausamkeit, mich mit diesem Film allein zu lassen! Mein Aggressionspotential steigert sich ins Unendliche, wenn ich mir so einen Film anschauen muss.«

»Tu ich doch nicht!«

»Tust du doch!«, hielt er ihr ganz nett lächelnd entgegen und drückte zugleich mit genervtem Blick auf einen anderen Sender.

Und wenn sie zurückkam, schaltete sie stur wieder auf diesen Film, was dann natürlich zu ausgedehnten und heftigen Streitgesprächen zwischen ihnen führte.

So war es mit den Männern. Da sah man wieder: Nichts konnte man ihnen recht machen. Da war man bereit, alles zu geben, ihnen alles recht zu machen (und das war jetzt nicht spöttisch gemeint), und sie ließen dich trotzdem fallen wie eine heiße Kartoffel. Erkannte sie demoralisiert. Der einzige Mensch, den sie von Herzen liebte, war ihre wundervolle Schwester Annika. Aber jetzt ihr Herz bei ihr ausweinen wollte sie auch nicht. Sie musste selber damit fertig werden, und sie musste sich so akzeptieren, wie sie war. Und wenn jetzt dieser eine Mann die Flucht ergriff, na wenn schon! Dann hatte er sie auch nicht verdient, dachte sie schon ein wenig getröstet.

Außerdem konnte sie jetzt wenigstens wieder ihre geschmacklosen und zum Teil anspruchslosen, zu Herzen gehenden Filme, bei denen sich am Anfang schon herauskristallisiert, wie das Ende ausgeht, bis zum Sankt-Nimmerleinstag anschauen. Er kam zwar nicht zurück, aber sie hatte den Vorteil der freien Programmwahl ihres Fernsehers. Was ja auch nicht zu verachten war!

Wenn sie sich jetzt bei ihrer Freundin Nina ausgeweint hätte, hätte diese sicher nur gesagt: »Die Härten sind verfrontet. Ähh … Legastheniker …, die Fronten sind verhärtet.«

Oliver würde jetzt sicher seinen Sieg mit anderen Frauen über sie feiern. Sollte er! Er sollte aber nicht vergessen, was er dafür geopfert hat. Nämlich sie. Dachte sie mit ihrem Galgenhumor, bei dem sowieso nur sie sich erheitern konnte und den sie immer an den Tag legte, wenn etwas nicht so lief, wie sie es sich vorstellte. Aber genau das gab ihr Trost. Dann stellte sie es sich vor, wie er mit anderen Frauen unterwegs war und sie innig küsste. Wenn sie daran dachte, wie schuftig er sich ihr gegenüber verhalten hatte, machte es ihr jetzt auch gar nichts mehr aus. Im Gegenteil! Sie war froh, sich nicht mehr an so einen Mann, beziehungsweise so ein Ekel, gebunden fühlen zu müssen.

Als sie nach draußen blickte, ihr Blick zwischen den düsteren, verwahrlosten Gemäuern, die sich aneinanderreihten, entlangwanderte und das Fenster öffnete, erkannte sie, dass sich die Sonne an diesem Morgen nicht durchsetzen würde.

Fröstelnd zog sie die Schultern ein. Es war jetzt so zeitig am Morgen noch kühl. Was sollte sie bei diesem Wetter anziehen? Sie wusste, sie musste arbeiten. Sie arbeitete als Verkäuferin in einem Supermarkt. Sie verdiente damit sicher keine Reichtümer, aber man ernährte sich redlich. Große Sprünge konnte sie mit ihrem Gehalt nicht machen, aber sie konnte sich selber über die Runden bringen. Daher war sie auch zufrieden mit ihrem Leben. Nur das Alleinsein machte ihr im Moment ganz schön zu schaffen.

Damals, als sie ihn kennenlernte, hatte er mit seinem Äußeren ihre Begeisterung geschürt. Damals! Jetzt, da sie sein Wesen enthüllt hatte und nun kannte, war ihre große Begeisterung verflogen. Es ist sicher schmeichelhaft für eine Frau, wenn sie fühlt, sie ist begehrt. Weniger angenehm und schmeichelhaft ist es, wenn ihr ein Mann kurz und tief in die Augen schaut und dabei im selben Atemzug sagt: »Ich muss gehen, habe morgen wichtige Dinge zu erledigen.«

So war Oliver in letzter Zeit gewesen. Dann, genau dann, folgt nämlich die Ernüchterung.

Lara war sich nicht sicher, ob Männern überhaupt bewusst war, wie kränkend manchmal ihr Verhalten war, das sie so ungezwungen bei Frauen an den Tag legten.

Dabei spürte sie einen schalen Beigeschmack, als ihre Gedanken wieder zu Oliver wanderten. Aber vielleicht hatte sie ja auch Schuld gehabt, ihm automatisch Vorwürfe gemacht, weil ihre Beziehung nicht so lief, wie sie es sich erträumte. Es war dieses Gefühl der Unzufriedenheit, der Leere in ihr gewesen. Das hatte sich sicher auch in ihren Stimmungen bemerkbar gemacht.

Lara tastete sich mit ihren Fingern durch einen dicken Stapel von Wäsche in einem Schrank, den sie bereits dringend zusammenräumen sollte wie ihr verkorkstes, trauriges Leben. Dann nahm sie mit ungestümem und sicherem Griff ein orangefarbenes T-Shirt heraus, das sie aber schnell wieder, jetzt aber gar nicht geordnet, sondern zerwühlt, wütend und voller Frust in den Kasten zurückwarf, weil es ihr dann doch nicht gefiel. Was konnte schließlich das arme T-Shirt dafür, dass sie miese Laune hatte?

Zack, schon war die Schranktür wieder mit kräftigem Schwung zu.

Normalerweise waren ihr die knalligen Farben lieber. Sie fand sich einfach zu dick, änderte aber nichts an ihrer Figur und wartete, bis ihr der Kragen einmal platzen würde und sie sich endlich durchringen würde abzunehmen. Wie gesagt, sie wartete … und wartete. O.k … die äußeren Werte sollte sie dringend auffrischen und in Form bringen. Jetzt! Nein, wirklich nicht! Es lief ihr ja nichts davon. Überhaupt, in diesem Moment, da sie wieder allein war, hatte sie keine Lust dazu. Es half auch nichts wegzufahren, denn große Urlaube konnte sie sich noch nie leisten und bei ihrem grandiosen Appetit hätte sie bei Fernreisen sowieso nur den Kamelen das Futter weggefressen.

Doch nun brauchte sie einfach ihre Süßigkeiten als Seelentröster.

Schnell griff sie mit gespreizten Fingern in ihre verschwenderische dunkelrote Haarpracht und prüfte, ob ihre Frisur den ganzen Tag noch standhalten würde. Dann entschied sie entschlossen, es musste halten, denn sie war sowieso wieder mal zu spät aufgestanden. Sie wollte heute nicht arbeiten, hatte überhaupt keine Lust dazu. Hoffen konnte man ja, dass Leiss, ihr Filialleiter, anrufen würde, um ihr die Nachricht mitzuteilen, der Supermarkt wäre in der Nacht bis auf die Grundmauern abgebrannt. Tat er aber nicht. Also hieß es Zähne zusammenbeißen und durch.

Sie empfand sich ja selber als nicht ungewöhnlich. Leider! Eher wie eine graue, fade, unbedeutende, winzig kleine Maus, wohnhaft in einem noch winzig kleineren Mausloch, die mit bunten, ins Auge springenden Farben besonders aufgedonnert werden musste. Halb angezogen, die letzten Knöpfe ihrer Bluse hatte sie sich aus Zeitgründen zuzumachen gespart, stürmte sie, die Treppen fast im Flug nehmend, mit quellendem, lockigem dunkelroten Schopf aus dem alten, baufälligen Mietshaus, das ihr Zuhause war.

Sie würde so gerne eine legere Eleganz ausstrahlen wie ihre Schwester, doch sie empfand, sie war einfach nicht der Typ dafür. Schließlich war sie nicht Wonder Woman, tollpatschig wie sie war, sicher nicht, nur einfach Lara Keuzinger, wohnhaft in Wien, 20. Bezirk.

Natürlich war sie wieder viel zu spät dran. Nichts Neues in ihrem Leben.

Männer legten sowieso die Worte: »Ich bin gleich fertig, komme sofort« immer anders aus als Frauen. Männer dachten immer, dass das ein paar Minuten wären bei Aussagen wie: »Ich komme sofort.«

Was bei Lara aber meistens in einer Viertelstunde oder noch länger gipfelte.

Oliver hatte immer frustriert über ihre Unpünktlichkeit genörgelt. Sie selber nahm ihre Unpünktlichkeit nur in ihrem Unterbewusstsein wahr, also am Rande. Sie fand sie nicht so schlimm und hatte sich immer erfolgreich herausgeredet und Oliver regelmäßig die Schuld gegeben. Ihre Ausrede war immer gewesen, er hätte sie mit seinen Erzählungen aufgehalten.

Sie konnte es förmlich vorher schon spüren, wenn sie zu weit gegangen war mit ihren Worten, aber ein kleiner, ungebändigter Teufel in ihr veranlasste, dass sie die Worte trotzdem ausspuckte. Sie konnte in solchen Momenten einfach nicht den Mund halten und ablassen vom bösen Spiel. Was er natürlich nie auf sich sitzen ließ und sie ständig deswegen aneinandergerieten.

Sein Sarkasmus und seine Ironie waren manchmal schwer für sie zu ertragen gewesen. Ganz logisch, dass er sie regelmäßig auf die Palme getrieben hatte. Eines war sie sich sonnenklar, sie würde sicher auch auf ihre eigene Beerdigung zu spät kommen.

Sollte ihr Leben ewig so weitergehen, bis das Navi von ihrem Auto irgendwann einmal vor einem Friedhof in ihr Ohr rief: »Sie sind am Ziel?«, um dann total überrascht, fast schon dämlich, zu schauen und sich zu fragen: »War das jetzt alles?«

Kapitel 2

Als sie in die Straßenbahn stieg, setzte sie ein professionelles, nichtssagendes kühles Lächeln auf, das zwar nicht ganz ihre Art war, aber heute setzte sie es trotzig auf. Sie schaute auf die Straße, und mürrisch und verdrossen, wie sie an diesem Morgen war, wollte sie am liebsten nicht angesprochen werden. Lediglich der Fahrer bekam ein schnelles, gewohnheitsmäßiges »Guten Morgen« hingeknallt. Das war bei ihrer morgendlichen, lustlosen und üblen Laune und seelischer Zermürbung ja schon ein Fortschritt, mehr war sie nicht bereit, ihrer Umwelt angedeihen zu lassen. Dabei war sie ein Morgenmensch und sonst eher gut gelaunt. Aber an diesem Morgen ging ihr alles auf den Nerv.

Kaum zu glauben, dass sie jeden Morgen zur selben Zeit diese Straßenbahn benutzte. Niemandem schien aufzufallen, dass sie immer hier fuhr. Jeder schien mit sich beschäftigt zu sein. Die Straßenbahn war rettungslos überfüllt mit Schülern, die entweder ungestüm rangelten oder mit ihren Schulrucksäcken voll Lernsachen den Weg verstellten.

Mühsam kämpfte sich Lara durch die Reihen. Mist! Wieder kein Platz, machte sich der Tenor in ihrem Hirn breit. Unwillig blieb sie daher stehen und hielt sich an einer verchromten Stange fest. Ein Weiterkommen in der Enge war sowieso nicht möglich. Ihre lockigen Haare fühlten sich strubblig an, weil sie sie in der Eile nur kurz durchgekämmt hatte.

Gähnend und verdrossen überflog sie mit ihren Blicken die Leute. Der dicke Schuljunge mit dem hässlichen, missmutigen Gesicht, der auch immer hier fuhr, aber kaum etwas redete, starrte wieder frustriert zum Fenster hinaus. Wirre Haare nahmen ihm dabei die Sicht, was ihn aber nicht zu stören schien. Er hatte im Gegensatz zu Lara einen Vorteil: Er hatte einen Sitzplatz. Was sie wiederum enorm wurmte, weil nie ein Platz frei war, wenn sie einstieg.

Da stieg hinter ihr dieser unangenehme, schmuddelige Mensch ein, der ihr durch seine Rücksichtslosigkeit, die er immer an den Tag legte, schon mehrfach aufgefallen war. Schon sein unerträglicher Blick hatte etwas an sich, dem sie gerne auswich. Er war immer übelgelaunt. Sofort fing er an zu meckern: »Die Jugend, dieses undankbare, unnötige Pack! Es fällt keinem ein, für einen aufzustehen. In unserer Jugend war das noch etwas anderes. Da hatte man noch Respekt!«

So lange giftete er herum, bis ein Kind aufstand und ihm notgedrungen Platz machte, weil es die Anschuldigungen nicht mehr aushielt.

Es war immer dasselbe Spiel, wenn er mitfuhr. Lara entwickelte einen richtigen Hass auf diesen Menschen. Sie mochte diesen alten, kauzigen Mann sowieso nicht, der solange schimpfte, bis er sein Ziel erreicht hatte und ihm jemand freiwillig seinen Platz überließ, nur um aus seiner unangenehmen Nähe und seinen stechenden, unerträglichen Blicken wegzukommen.

Lara lächelte beschwichtigend und nachsichtig in sich hinein, um ihre strapazierten Nerven zu beruhigen. Doch der schrullige alte Mann, obwohl er jetzt ja seinen dicken Hintern auf einem Sitzplatz ausruhen konnte, hörte nicht mit seinen Schimpfkanonaden über die Jugend auf. Da musste Lara an Folgendes denken, während sie Abstand zu ihm brachte, indem sie eilig im Gang weiterging: Es gibt Leute, denen würde man am liebsten einen Sack überstülpen, zusammenbinden und fest draufschlagen. Und dieser zermürbende, unsympathische Griesgram gehörte zu solchen Leuten, die man nur zu gerne und ohne Gnade in den Sack stecken würde. Dabei war sie absolut kein Misanthrop.

Sie schaute auf die noch ruhige Straße und versuchte, ihn damit in ihrem Kopf auszuradieren, was natürlich nicht klappte, um ihr Inneres auf einen für sie erträglichen, angenehmen, nicht ausflippenden Zustand zu befördern und sich gedanklich wieder auszuklinken. Erst bei der nächsten Haltestelle verrauchten langsam ihr unbändiger Zorn und ihr Ärger. Um die Wahrheit zu sagen, hätte sie diesen Menschen ja am liebsten angebrüllt. Was sie aber tunlichst unterließ, weil ihr ihre morgendliche Ruhe heilig war, sie verbale Angriffe so früh am Morgen nicht leiden konnte und die Tür der Straßenbahn in der Haltestelle aufging.

Denn da geschah etwas Unerwartetes. Herein kam ein Traumtyp; verwegenes Aussehen, ausgewaschenes Jeanshemd, braun-grüne Augen, dunkelbraune Mähne und dieses Gesicht. Sowas von gut geschnitten und wahnsinnig anziehend. Also auf den zweiten Blick verwegen. Sie fand, er sah nicht wirklich draufgängerisch oder gar schneidig aus, eher vollkommen normal, aber er hatte ein gewisses undefinierbares Etwas, das sie nicht beschreiben konnte. Na ja! Um es ganz kurz und bündig zu sagen. Lara blieb die überflüssige Spucke in ihrem schlanken Hals stecken, deshalb hustete sie kurz. Fast hätte sie etwas in die falsche Kehle bekommen. Vor lauter Anerkennung und hundertprozentiger Verwirrung blieb ihr baff der Mund offenstehen.

»Lara«, wisperte eine lästige, leise raunzende Stimme in ihrem Kopf. »Steh nicht wie ein schwerfälliger, starrer, unnachgiebiger Holzstoß da. Rühr dich! Tu irgendetwas! Sprich ihn an! Mach irgendetwas, aber mach was!«

Doch die kräftige, angespannte Erschütterung in ihrem einsamen, jetzt munter gewordenen, noch immer verletzten, aber nun kurz aufgewachten Herzen führte natürlich zu rein überhaupt nichts. Sie mimte mal wieder eine unscheinbare, unzugängliche Zicke, mit drangsaliertem Selbstbewusstsein, die zwar meistens herausgeputzt war in grellen Farben, und doch am Wegesrand unter all den vielen noch viel prächtigeren Blumen im grünen Gras versank, weil sie niemand beachtete und schon gar niemand wahrnahm, als hätte sie sich unsichtbar gemacht, einfach weggebeamt.

Im Nu hatte sich ihr maßloser Ärger, den sie eben noch gespürt hatte, verflüchtigt, gänzlich fortgeschlichen, und das nur durch diese eine Person.

Ihr war nur noch nicht klar, wie sie sich bemerkbar machen könnte. Vor lauter Nervosität wusste sie gar nicht, wohin mit ihren Händen. Er löste eine Fahrkarte und suchte nach einem Sitzplatz.

Vergebens! So wie es ihr vorher ergangen war. Soll es dir besser gehen als mir?, dachte Lara mit leiser Schadenfreude. Der Schweiß trat ihr aus allen Poren bei diesem Mann, als wäre sie plötzlich in der Sahara. Kommt ja nicht jeden Tag vor, dass just, wenn man überhaupt nicht damit rechnet, der Traummann plötzlich wie aus dem Nichts vor einem steht. Kann sicher jeder verstehen und nachempfinden, wie einem da die schier unglaubliche Hitze und ein Strom durch den ganzen Körper fährt und man wie elektrisiert und hypnotisiert dasteht.

Lässig stellte er sich rein zufällig in ihre Nähe. Natürlich noch immer auf der Suche nach einem begehrten Sitzplatz. Das merkte man an seinem suchenden Blick. Von ihr nahm er keine Notiz. Klar! Zu so einem Typen passt nur eine Traumfrau, und sie war das sicher nicht. In ihren Augen hatte er überhaupt keinen Makel. Lara tröstete und munterte sich mit der überflüssigen, aber für sie balsamischen Einbildung auf, dass einem so ein toller, interessanter Mann sowieso nie alleine gehört, denn auch andere Frauen nehmen so ein Exemplar wahr, die Stutenbissigkeit mancher Frauen war schließlich kein Fremdwort für sie. Aber dass man so einen Mann nicht alleine besitzt, damit trösten sich immer die einsamen und bedrückten, in der Straßenbahn stehen gelassenen, bekümmerten Frauen, wenn sie ein solches Individuum nicht ergattern können und schon gar nicht in seine direkte Nähe gelangen. So einen Mann würde man sofort ausselektieren und um ihn kämpfen. Natürlich! Keine Frage. Und das mit allen Mitteln. Versteht sich von selbst! Genau! Würde doch jede!

Ihre rötlichen, flutenden Zotteln aus dem ungeschminkten, rundlichen Gesicht wirbelnd, betrachtete sie ihn aus kleinen, schlaftrunkenen Äugelein verstohlen und heimlich mit schmachtenden Blicken von der Seite. Warum lernte sie nie solche Männer kennen?, haderte sie kurzfristig mit ihrem momentan so grausam für sie gefühlten Schicksal. Aber wieso gleich aufgeben und alles hinschmeißen? Es sind ja schon Nachtwächter beim Tag auch gestorben. Also wieso gleich alles von vornherein ausschließen. Und dabei weiß man gar nicht, ob die Frau des Nachtwächters dann pensionsberechtigt ist, wenn er am Tag stirbt, lachte Lara in sich hinein. Sie liebte solche Wortspiele, die sie immer wieder belustigten. Nur darum stellte sie öfter solche irrelevanten Vergleiche an, die nur dazu da waren, sie zu erheitern.

Sie war keine dieser Frauen, die dreist alles einforderten. Immer hatte sie nach der Pfeife von Oliver getanzt, jedenfalls solange sie zusammen gewesen waren.

Schon zu Beginn ihrer Beziehung hätte sie sich auflehnen müssen gegen Oliver. Das war ihr jetzt klargeworden. Immerhin waren sie zwei Jahre zusammengewesen. Er hatte es immer verstanden und sie immer wieder geschickt verbal in ihre Schranken verwiesen. War sie wirklich so dämlich und nichtsnutzig, wie er immer angedeutet hatte? Ihre Resonanz darauf war gewesen, dass sie sich danach einfach still gefügt hatte, immer unsicherer geworden war.

Wenn sie ehrlich war, konnte sie dem Schicksal nur dankbar sein, dass er sie nun sitzen gelassen hatte. Und trotzdem hatte sie es noch nicht gänzlich überwunden. Es war halt noch nicht bis in ihr zerrissenes, eingeschnapptes Herz durchgedrungen. Ihr war schon klar, dass sie nicht sehr flexibel war. Um es auf den Punkt zu bringen, war sie flexibel wie eine unbewegliche, tonnenschwere Eisentraverse. Also überhaupt nicht! Wenn sie über ihren eigenen Tellerrand schauen könnte, hätte sie auch wirklich mehr Erfolg in ihrem Leben. Aber das konnte sie nicht. Außerdem war sie nicht so leicht für etwas Neues zu begeistern.

So war sie eben, und sicher hatte Oliver damit nicht umgehen können.

Sie war an dem Punkt angelangt, wo sie die Schuld an dem Versagen ihrer Beziehung wieder bei sich selbst suchte. Was in diesem Moment auch nichts brachte. Wenn sie sich selber zerfleischte mit überflüssigen Selbstvorwürfen, würde es auch zu nichts führen. Sie hatte kein besonderes Talent, war nicht berauschend schön, eher gewöhnlich, nur ihre Haare waren etwas Besonderes.

Ihr Gesicht hatte keine erhebliche Qualität, aber bei näherem Hinsehen etwas wirklich Reizvolles. Lara hatte sich, schlicht gesagt, damit abgefunden, wie sie aussah, eben ganz gewöhnlich.

Aber jetzt war es so weit, wo sie endlich wieder gegen alle Konventionen verstoßen konnte, endlich reden konnte, wie ihr der freche, vorlaute, witzige Schnabel gewachsen war und wieder, endlich wieder, alles tun und lassen konnte, was sie wollte und sich so erdachte. Sie musste sich nur selber erst finden in dieser neuen, für sie ungewohnten Rolle der Befreiten, der Unabhängigen. So fühlte sie sich jetzt. Als Befreite! War doch auch schön, wieder ein freier Mensch zu sein.

Ihr Gehirn verbot ihr noch immer, gewisse Dinge aus dem Bauch herauszuplappern, also hatte im Großen und Ganzen die totale Befreiung ihrer eigenen frischen Freiheit noch immer nicht vollständig stattgefunden. Sie war unsicherer denn je.

Wenn sie es eher gewusst hätte, dass er mit ihr auf diese unrühmliche Art Schluss machen würde, hätte sie ihn schon früher zurückgegeben oder eingetauscht. Aber die Mutter von Oliver hätte sicher verständlicherweise zu ihr gesagt, sie könne ihn auch nicht mehr brauchen. Stellt sich die berechtigte Frage, an wen sie ihn abgeben hätte sollen. Am besten wäre gewesen, sie hätte ihn zum Teufel geschickt. Aber ob ihn der hätte haben wollen, war auch fraglich. Der Teufel hätte wahrscheinlich gesagt: »Habe ich dich vorher nicht gehabt, brauche ich dich jetzt auch nicht!« Und sicher hätte er ihn auch wieder mit der Post zurückgeschickt.

Sie gönnte ihn der Nächsten von Herzen, denn sie kannte ihn. Nur zu gut! Schließlich war sie auch kein dummes Gretchen, gut, sie war sicher nicht das gescheiteste von den drei kleinen Disney-Schweinchen, das sicher nicht. Sie musste es nur endlich so wie die Schweinchen machen: gründliche Vorbereitung und nicht immer unbeschwert in den Tag hineinleben, so wie sie es ewig gewohnt gewesen war.

Oliver hätte sicher wieder mit hochgezogener Augenbraue, ironisch und süffisant, mit hämischem Lächeln gesagt: »Was kannst du eigentlich?«

Aber Oliver war weit weg aus ihrem Leben. Sie musste nur wieder in ein neues Leben passen. Es war jedenfalls aus ihrer jetzigen Sicht kein Grund, in Tränen auszubrechen. Und dieser Mann da in der Straßenbahn belebte ihre Sinne. Und wie! Sie fühlte sich prickelnd, direkt beschwingt wie schon lange nicht.

Sie wollte ja nicht mehr wegen Oliver jammern. Nein, wirklich nicht! Das Leben ging schließlich weiter.

Genau so einer sollte es sein, vertiefte sich ein Gedanke in ihr, als sie ihn so begehrend und sehnsüchtig anstarrte. Natürlich viel zu auffällig und direkt anmaßend, wie sie ihn mit ihren Blicken durchbohrte. Er hielt sein Smartphone in der rechten Hand und durchsuchte anscheinend seine Nachrichten.

Mach ihn auf dich aufmerksam, sagte wieder diese vorlaute, lästige, nicht zu bändigende Stimme in ihrem Kopf, der sich furchtbar öde und ohne irgendwelche gescheiten Ideen anfühlte. Doch wie? Just in diesem Moment wollte ihr so gar nichts einfallen. Wohin hatte sich nur ihr Gehirn wieder verdünnisiert? Sie könnte ja etwas hinunterfallen lassen. Aber so nahe stand er nicht, dass er rechtzeitig da wäre, um es ihr aufzuheben. Sich an ihn anschleichen, sah auch nicht erbaulich gut aus und würde ihre kleinen Chancen, wenn es überhaupt welche gab, auch nicht vergrößern.

Vielleicht sollte sie einen plötzlichen Erstickungsanfall vortäuschen? Schnell verwarf sie aber diese nicht gerade sehr einfallsreiche Idee, um nicht als vollkommene Idiotin oder dumme Ziege dazustehen. Könnte schließlich gründlich danebengehen. Sie könnte ja beim nächsten Stopp zufällig den Halt verlieren und mit ihm zusammenstoßen. Was sie aber sogleich auch wieder verwarf. Mist!, dachte sie.

Wieso waren Olivers Gefühle zu ihr eigentlich so schnell gestorben?, wanderten ihre Gedanken wieder zu ihrem Ex-Freund. Kann sich der Zauber der Liebe so schnell verflüchtigen und dann gänzlich verschwinden? Anscheinend schon!

War ihre Beziehung zu Oliver befriedigend gewesen? Wenn sie jetzt so nachdachte, konnte sie es eigentlich nicht mehr genau sagen. Das erste Verliebtsein konnte man halt nicht länger hinauszögern. Wenn die Verliebtheit weg ist, ist sie weg. Es hätte ihr auffallen müssen, weil er sie kaum mehr geküsst hatte. Aber es war ihr nicht aufgefallen. Das ärgerte sie jetzt im Nachhinein sehr.

Schnell blendete sie ihre überflüssigen Gedanken an Oliver aus und starrte den Traum aller Männer an. Nur mit großer Mühe konnte sie ihr Interesse an ihm verbergen. Lediglich ihre erweiterten Pupillen verrieten sie noch immer.

Er hatte zwar nicht den begehrenswertesten Körper der Welt, doch eine Ausstrahlung, die sie in unerwartete Erregung versetzte. Genau nach so einem Mann hatte sie ihr Leben lang geschmachtet.

Na gut, sie war sicher selber keine große Offenbarung, aber sie war sehr humorvoll.

Wieder kam ihr der Gedanke, dass sie eine Situation erzeugen müsste, die es ihm unmöglich machte, sie nicht zu bemerken. Wie gesagt: Die Ideen dafür ließen auf sich warten. Wenn sie wenigstens eine außergewöhnliche Attraktivität reflektieren könnte. Aber sie, mit ihrem wunderbaren Gesicht, das so herrlich nicht mitreißend wirkte, würde hier keinen großartigen Sieg erringen.

Und wäre sie doch nicht so leger angezogen! Eine Jeans und eine Bluse mit offenen Knöpfen. Wunderbar aufregend für einen Mann! So würde sie sicher keiner an sich reißen. Mit diesem faden, nichtssagenden Äußeren brauchte sie sich nicht mal besonders unerfahren oder grenzdebil aufführen wie ein Steinzeitmensch, schon gar keine abstoßende Zahnlücke zu haben oder sonst wie entstellt sein, um garantiert nicht von interessanten und attraktiven Männern erspäht oder beachtet zu werden.

Sein Rücken, den er ihr in diesem Moment zuwandte, war beeindruckend und wirklich wohlproportioniert. Richtig schön zum Anlehnen! Aber solche Gedanken hegten halt nur Frauen. Da war sie sich sicher.

Hätte sie sich doch wenigstens mehr Zeit genommen, ihre Haare zu frisieren oder zu glätten, dann würden sie jetzt nicht so verstrubbelt mit ihrem Lockenkopf wirken, als hätte sie mit ihnen geschlafen, was ja auch der Fall war. Ihre Locken waren wirklich nicht leicht zu bändigen. Aber nein! Sie musste ja wieder zu spät aufstehen.

Wenn es machbar gewesen wäre, hätte sie sich am liebsten selber vor Ärger in den Hintern gebissen, so sehr bereute sie es, sich nicht netter zurechtgemacht zu haben.

Lara wünschte sich, dass sich ihre Blicke versehentlich treffen würden. Was natürlich beim Wunschdenken blieb. Was sollte er sie auch ansehen, so unscheinbar, wie sie sich fühlte. Sie fand, dass er das perfekte Gesicht hatte. Zu gern hätte sie ihn einmal lachen gesehen. Sie stellte sich vor, dass er sicher ein unwiderstehliches Lächeln haben musste. Doch er blickte mit einem leicht versonnenen Blick auf die Straße. Sein dunkler, etwas längerer Haarschopf wirkte durcheinander, was ihn in ihren Augen aber nur noch reizvoller erscheinen ließ. Seine Haut war glatt, ebenmäßig und gebräunt.

Vielleicht wäre sie ja auch ein strahlender Schwan, wenn sie nur ein wenig mehr Wert auf ihre Kleidung legen würde.

Jetzt war ihre Selbstsicherheit komplett am Nullstand angekommen, und dementsprechend wenig gelassen stand sie da. Nutzte es vielleicht etwas, wenn sie versuchte, den Bauch einzuziehen? Blödsinn! Er schaute ja gar nicht her und schon gar nicht auf ihren dämlichen Bauch, der sich mal wieder so unverschämt groß herauswölbte! Außerdem bekam sie so gar keine Luft mehr. Baucheinziehen ging gerade mal für eine halbe Minute. Länger auf keinen Fall.

So ein ansehnliches Mannsbild sollte sich einmal in ihren Supermarkt verirren, wo sie den Obststand betreute. Aber zu ihr kamen solche bevorzugten Männer nicht. Ja, in rauen Mengen Senioren, die alles genau hinterfragten, und die hoffnungslosen Fälle von Männern, die sowieso nie an den Mann oder besser Frau gebracht werden können, weil sie eben total hoffnungslos waren. Oder die Monk-Typen, die den Apfel in der Kiste einrichteten und am schlimmsten die Machos, die nur herumkommandierten. Doch so ein Prachtexemplar war ihr noch nie in die Quere gekommen.

Aber das spielte ja jetzt keine Rolle. Vielleicht fuhr er ja öfter hier, und in Gedanken malte sie sich schon aus, wie sie sich mit ihm angeregt unterhielt. Eben nur in Gedanken. Aber sie hatte ihn noch nie vorher hier gesehen.

Seine ganze Haltung drückte eine lässige Unbeschwertheit und Desinteresse an irgendeinem Kontakt aus. Er nutzte, wie gesagt, die Fahrt, um sein Smartphone nach Nachrichten zu durchforsten. Sie bemerkte, dass sein dunkelbraunes Haar perfekt sein Gesicht umrahmte.

Da hörte sie den Straßennamen, wo sie aussteigen musste, und sie riss nur sehr widerwillig ihren sehnsüchtig schmachtenden Blick von ihm los. Am liebsten wäre sie ja weitergefahren, nur, um ihn noch weiter ansehen zu können. Aber sie stellte sich selbstverständlich wie jeden Tag zur Tür der Straßenbahn, die sich automatisch und zischend öffnete. Da versuchte Lara, ihre Erinnerung an ihn wegzuschieben, und hastete die kurze Treppe hinunter ins Freie.

Manchmal sollte sie sich wirklich sexy herrichten und nicht wie ein verpatzter Junge durch die Straßen laufen. Dann würde sie ein Mann wie dieser vielleicht bemerken. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.

Sie hastete durch die jetzt schon voller werdenden Straßen. Genügte es ihr nicht, gerade verlassen worden zu sein? Kaum allein, starrte sie schon wieder Männern hinterher. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, je von so einem Mann gesehen oder erhört zu werden.

Ganz außer Atem, richtig schnell, schritt sie dahin, in der Annahme, dass dies ihre Gedanken an diesen Mann verrauchen lassen würde. Ob sie es auch einmal zu einem Mann bringen würde, der nicht gleich nach zwei Jahren wieder die Flucht ergriff?

Mittlerweile wurde Olivers Abgang, denn anders konnte sie es nicht nennen, leichter, ein wenig erträglicher für sie, besonders, wenn sie an seine Abschiedsworte per SMS dachte, die sie anfangs so tief geschmerzt hatten.

Ihre Freundin Nina würde sicher zu ihr sagen, du bist ein Glückskind, wenn sie ihr die Geschichte von Oliver erzählte. Aber von Glückskind war sie so weit weg wie eine behäbige alte Kuh vom Seiltanzen. Nina wusste noch nichts davon, dass sie sich jetzt wieder im Club der Singles befand. Vielleicht, ja wenn sie ein wenig Glück hatte, brachte sie es eventuell mal irgendwann in ihrem Leben wieder zu einem Mann. Irgendwann ist ja nicht nie, tröstete sie sich.

Verdammt, da hatte sie so einen Mann vor Augen, der ihr Interesse weckte, und dann war er im Nu wieder verschwunden aus ihrem Leben. Er schien keinerlei Notiz von ihr genommen zu haben, so ergreifend und auffällig sie sich auch in der Straßenbahn hatte darstellen wollen. Niemand wartete auf sie. Schon gar nicht so ein ansprechendes Objekt ihrer Begierde, das natürlich sofort zum Gegenstand ihres Interesses gediehen war.

Kapitel 3

Als der Supermarkt, in dem sie seit Jahren arbeitete, öffnete, hatte sie ihre schweren Obstkisten eingeräumt, ihr Kraut gestapelt und ihre Tomaten fein säuberlich geschichtet und ihre Gurken dekorativ und einladend geordnet.

Gleich zu Öffnungsbeginn kam eine dickbeleibte Frau in den Markt, die anscheinend kein Wasser in ihrem Haushalt hatte, denn es zog sich ihr süßlicher Schweißgeruch wie eine penetrante, nicht abreißende Nebelschwade durch die langen Gänge bis zur Kasse, die die Person, die so eine angenehme, anregende Ausdünstung mit sich zog, hinterließ.

Am liebsten hätte sich Lara gleich noch vor dem Frühstück übergeben. Außerdem verzehrte sie sich luftringend nach Frischluft und wünschte sich nichts sehnlicher als in Blitzesschnelle den Ausgang, um von diesem unangenehmen, widerwärtigen Odeur, das ihr fast die Sinne und den Verstand raubte, zu erreichen.

Rasch schritt sie in den winzigen Aufenthaltsraum, um ihren Kaffee zu trinken, riss das Fenster auf, spürte sofort die frische Luft, die sie einatmete, in gierigen Schlucken einzog, um den bestialischen süßlichen Geruch, der ihrer Vorstellung nach noch immer in ihrem Hals hing und den sie noch immer zu spüren glaubte, loszuwerden.