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Marita und
Jürgen Alberts

TOD IN DER QUIZSHOW

Krimi image Nautilus

KALIBER .64

Dank an Atoussa Bayanifar

Edition Nautilus

Gewidmet allen Kandidatinnen und Kandidaten von Quizshows und denen, die sich über den verpatzten Auftritt bei Jörg Pilawas »Das Quiz« amüsiert haben.

1

Alexander Seemann war nicht wenig erstaunt, als er an diesem Morgen den Saal eines drittklassigen Hotels betrat. Abgestandene Luft, auf einigen Tischen standen noch halb volle Biergläser. Vor der Bühne eine Videokamera auf einem Stativ, umringt von einem halben Dutzend Turnschuhträgern. Jungs und Mädchen, die gut seine Enkel sein konnten.

Bestimmt mehr als fünfzig Kandidaten mochten es sein, die sich hier eingefunden hatten. Sollte heute das Programm für die nächsten Monate der Quizshow entstehen?

Seemann kannte nicht einen einzigen der Mitbewerber. Und niemand kannte ihn. Das beruhigte ihn.

»So, meine Damen und Herren, wir teilen jetzt einen Fragebogen aus. Dreißig Fragen in zehn Minuten, das sollte nicht zu schwer sein. Dann sehen wir weiter.«

Der junge Mann sprach die Kandidaten per Megafon an. Er trug Jeans zu seinen feuerwehrroten Turnschuhen.

Antworten nach der Methode multiple choice, die auch später in der Sendung angewandt wird.

Seemann brauchte nicht mal acht Minuten, um seine Kreuzchen zu machen. Die letzten zehn Fragen hatten sogar fünf Antworten zur Auswahl. Zwischen seinen Füßen hielt er die Aktentasche fest eingeklemmt. Niemand hatte ihn bisher kontrolliert. Er hoffte, dass es auch auf dem Studiogelände keinen Sicherheitscheck geben würde.

Kurz nachdem die Fragebögen wieder eingesammelt worden waren, wurden die Namen derjenigen vorgelesen, die sich sofort verabschieden mussten. »Leider haben Sie den Eingangstest nicht bestanden, meine Damen und Herren. Ich wünsche Ihnen noch eine schöne Heimfahrt … und tschüß.«

Nicht mal ein leises Murren bei den zwanzig Ausgeschiedenen, stellte Seemann fest. Scheint ihnen peinlich zu sein, dass sie diese einfachen Fragen nicht beantworten konnten.

»Wir teilen Sie jetzt in zwei Gruppen auf«, sagte der Megafon-Mann, »damit es schneller geht.«

Alexander Seemann war in der zweiten Gruppe und hatte eine halbe Stunde Zeit. Mit seiner Aktentasche unterm Arm verließ er den schlecht gelüfteten Saal.

Als er an der Bar einen Espresso bestellte, fragte die Serviererin, warum er sich das antue. Seit Tagen reisten Hunderte von Kandidaten für die Quizshow an, da habe man ja beim Lotto größere Chancen zu gewinnen.

»Ich verpasse keine Folge dieser Show seit Jahren«, log Seemann. Er hatte die Quizshow erst ein paar Mal gesehen, seitdem er seinen Plan gefasst hatte. Er wollte auf jede seiner Äußerungen achten. Man konnte nie wissen, ob nicht auch diese Frau zum Auswahlteam gehörte und seine Antwort nachher weiterpetzte.

Der Espresso schmeckte wider Erwarten gut.

»Wir machen nun mit Ihnen einen Kameratest«, sagte der Megafon-Mann. »Seien Sie so natürlich wie möglich, zeigen Sie uns, dass Sie ganz originell sein können. Nur die Persönlichkeit zählt. Nicht das Wissen.«

Wo steht meine Tasche?, dachte Seemann. Er entdeckte sie am Bühnenrand. Du musst besser auf sie aufpassen, Alexander.

»Wir stellen Ihnen nur ganz einfache Fragen, Herr …« Der junge Mann schaute auf seine Karte. Er stutzte. »Sind Sie das? Seemann? Den Namen kennt man doch.«

Seemann nickte.

»Alexander Seemann, dessen Fernsehspiele fast alle Preise abgeräumt haben? Alle Achtung, da haben wir ja einen dicken Fisch an der Angel.«

Das will ich hoffen, dachte Seemann, ziemlich erstaunt darüber, dass sich jemand an seinen Namen erinnern konnte. Und das nach der letzten Katastrophe, die beinahe für ihn »Edeka«, Ende der Karriere, bedeutet hätte.

»Dann fange ich mal gleich mit einer Frage im oberen Bereich an. Für 150 000 Euro will ich von Ihnen wissen: An welchen Autor denken Sie, wenn Sie den Titel ›Der Prozess‹ hören? a) Felix Huby …«

»Franz Kafka«, unterbrach Seemann den jungen Frager. »Da brauche ich nicht lange zu überlegen.«

»Toll«, bekam er zu hören. »Das machen Sie prima. Es ist ja auch Ihr Metier. Sonst herrscht ja bei Literaturfragen meist Ebbe.«

Das war Alexander Seemann nicht entgangen. Oooh, oh nein, null Ahnung, das waren die häufigsten Reaktionen der Kandidaten, wenn es um Literatur ging. Dabei griffen sie sich an den Kopf, rauften sich die Haare oder tippten sich an die Stirn. »Literatur? Bei mir mission impossible.«

Seemann überstand auch die nächsten beiden Fragen.

»Das war’s schon. Hat doch nicht wehgetan, oder? In zwanzig Minuten wissen Sie mehr, Herr Seemann. Bestellen Sie sich noch ein Bier an der Bar, bevor es ernst wird.«

Er gab dem Fernsehautor die Hand und deutete einen Diener an. Zu gern hätte Seemann ihn gefragt, ob er den Titel auch nur eines Fernsehspiels, das er geschrieben hatte, wisse. Aber das hätte falsch ausgelegt werden können.

Nach dem Kameratest blieben von den dreißig nur noch zehn Kandidaten übrig.

Ein Bus brachte sie zum Studiogelände.

2

Der lang gestreckte Konferenzraum lag im zweiten Stock des Medienhauses. Lichtdurchflutet mit einer schönen Aussicht über das Studiogelände. Die Sitzmöbel aus einem schwedischen Einrichtungshaus erinnerten Seemann an seine frühen Jahre in Tübingen. Billy grüßte an den Wänden. Nur zwei Bücher fanden sich in den Regalen. Blindbände, wie sie IKEA in seinen Ausstellungsräumen zeigte. Von Autoren, deren Namen man noch nie gehört hatte.

Ein überaus beleibter Redakteur teilte Blätter aus. »Lesen Sie sich das gut durch, meine Damen und Herren, und geben Sie mir ein unterzeichnetes Exemplar zurück. Nur wer diesen Vertrag unterschreibt, darf an den Proben teilnehmen.«

Da könnte ich auch mein Todesurteil unterschreiben, dachte Seemann. Vier Seiten juristische Ausschlussklauseln, 23 Punkte, in denen es darum ging, die Rechte der Kandidaten zu minimieren. Allein acht Punkte bezogen sich darauf, wie Gewinne aus der Quizshow verwirkt werden konnten: unerlaubte Hilfsmittel, Kontakte mit dem Redaktionsteam, das die Fragen ausarbeitete, etc.; die Gewinne wurden erst nach Wochen ausgezahlt; nach der Ausstrahlung dürfe ein Kandidat zwei Jahre lang nicht in einer anderen Quizsendung des öffentlich-rechtlichen oder privaten Fernsehens auftreten, sonst müsste er den erreichten Gewinn zurückzahlen.

Seemann hatte eine Vielzahl an Verträgen mit Fernsehanstalten und Buchverlagen unterzeichnet, aber noch nie so einen Wisch, der einem alle juristischen Möglichkeiten raubte. Am Schluss fand sich der Hinweis, dass die Produktionsfirma keinerlei Spesen zahle, selbst nicht den Kandidaten, die in der Quizshow auftraten.

Als der Redakteur die unterzeichneten Erklärungen eingesammelt und bei jedem einzelnen die Unterschrift in Augenschein genommen hatte, sagte er: »Wir machen heute drei Aufzeichnungen, meine Damen und Herren. Das heißt, sieben von Ihnen werden leer ausgehen. Sie haben in den nächsten Stunden genügend Gelegenheit, sich zu bewähren. Es gilt das Darwinsche Gesetz … aber das kennen Sie ja sicher.«

In dem Vertrag hatte auch gestanden, wer einmal den Kandidatenstatus hatte, ohne in die Sendung zu kommen, darf sich in den nächsten drei Jahren nicht wieder bei der Quizshow bewerben.