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Band 173

 

Lockruf des Kreells

 

Ruben Wickenhäuser

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Katastrophe

1. Perry Rhodan

2. Jepprafomm

3. Perry Rhodan

4. Perry Rhodan

5. Glücklose Jagd

6. Expedition nach Rivar

7. Julian Tifflor

8. Schneegestöber

9. Perry Rhodan

10. Perry Rhodan

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

Im Jahr 2036 entdeckt der Astronaut Perry Rhodan auf dem Mond ein außerirdisches Raumschiff. Damit erschließt er der Menschheit den Weg zu den Sternen.

In den Weiten der Milchstraße treffen die Menschen auf Gegner und Freunde; es folgen Fortschritte und Rückschläge. Nach 2051 wird die Erde unbewohnbar, während Milliarden Menschen an einen unbekannten Ort umgesiedelt werden.

2055 reist Perry Rhodan mit dem riesigen Raumschiff MAGELLAN in die Galaxis Andromeda, findet dort aber keine Spur zur vermissten Erdbevölkerung. Er kehrt in die Milchstraße zurück – doch die Passage in die Heimat schlägt fehl.

Die MAGELLAN strandet in der Eastside der Galaxis. Die Besatzung begegnet den fremdartigen Blues und knüpft nach anfänglichen Konflikten erste Freundschaftsbande. Den Menschen eröffnet sich unverhofft die Chance, mehr über jene fremddimensionale Gefahr herauszufinden, die auch die Erde bedroht. Perry Rhodan und seine Gefährten spüren diesem Geheimnis nach und folgen dem LOCKRUF DES KREELLS ...

Katastrophe

 

Es passte wirklich gut zusammen. Jepprafomm betrachtete das Ortungshologramm, das aussah wie ein schlecht geführter Fellpflegesalon nach der Verwüstung durch eine Horde Kinder. Das ganze Verremsystem starrte geradezu vor Dreck. Und er war auf dem Weg mitten hinein in diese Suppe – zu den Dreckwühlern.

Was für eine originelle Benennung die hohen Himmelssammler den Wühlkreisen auf Rivar gegeben haben, dachte Jepprafomm. Sein tellerförmiger Kopf pendelte verächtlich auf dem langen Halsstamm, bis er den Hals wieder in die Kissen seines Pilotensessels sinken ließ. Der Kopf ragte über die Rückenlehne hinaus, sodass Jepprafomm mit den hinteren Augen freie Sicht auf weitere Kontrollen hatte.

Nein, Vorfreude auf die Ankunft in den Knotennestern der Himmelssammler sah anders aus. Aber die Knotennester waren nun einmal ein Hort der Neuigkeiten und Gerüchte, was Jepprafomm zu schätzen gelernt hatte. Der Prospektor arbeitete als Bindeglied zwischen den Wühlkreisen unten auf dem Planeten und den Tentra in den Knotennestern im Orbit. Vom Kreellschürfer hatte er sich zum Schürfer von Informationen entwickelt. Ein sich ankündigender Bedarf da, der vielversprechende Vorstoß zu einer Molkexschicht dort: Rechtzeitig zur Stelle zu sein, entschied für ihn über Erfolg oder Misserfolg.

Dazu gehörte es, sich nicht nur mit den Himmelssammlern auseinandersetzen zu müssen, sondern auch ihre zahlreichen Feiern zu besuchen.

»Das ist unangenehm«, murmelte Jepprafomm. Bei dem Gedanken an den Trubel stellte sich ihm regelmäßig das Fell auf. Andere Azaraq liebten Gesellschaft, konnten gar nicht eng genug mit anderen zusammenleben, aber er ... Er konnte zu viele Azaraq um sich herum nicht ertragen. Hinweise aus der Masse der Gerüchte zu sieben, erinnerte ans Kreellwaschen, aber Kreellwaschen in einem reißenden Fluss. Wenigstens konnten die Informationen bares Kreell wert sein, sofern man die reichhaltige Spreu vom Gerrkorn zu trennen wusste.

Die Knotennester von Rivar erschienen in den Anzeigen. Jepprafomm drosselte den Antrieb und ließ sich die Außenbeobachtung einblenden. Wie die Asteroiden, Molekülketten gleich, mit kurzen Brücken und Verbindungstunneln zusammengesteckt über dem Planeten schwebten, war immer wieder ein beeindruckender Anblick. Das Zentralgestirn Verrem ließ den Weltraumstaub um den Planeten in schwach goldenem Licht irisieren und verlieh der Szenerie einen erhabenen Eindruck. Für einen Augenblick vergaß Jepprafomm seine Gedanken an Himmelssammler und Azaraqmassen und genoss die innere Ruhe. Leise summte er vor sich hin.

Zwei Reflexe im Abtasterholo holten ihn aus seiner Versunkenheit. Dass es zwei Raumschiffe waren, die in der Nähe des Knotennests flogen, hätte ihn nicht weiter interessiert, es herrschte schließlich ein reger Handelsverkehr. Diese beiden Objekte hatten aber nichts mit Handel im Sinn: Sie umkreisten einander wie argwöhnische Greifvögel.

»Die wollen doch nicht etwa einen Zweikampf austragen?«, rief Jepprafomm in die bis auf ihn leere Zentrale.

Plötzlich krachte es in den Lautsprechern, und die Raumüberwachung meldete sich – alles andere als sachlich. »Ooh, meine sehr verehrten Damen und Herren, gleich ist es so weit, Tharvis Orlok und Tharvis Eerkaida haben das Band des Friedens zerschnitten. Wir haben es alle schon geahnt, da können sich zwei so gar nicht leiden. Nun haben wir das Resultat, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden Zeuge: Sie tragen es aus, hier und jetzt! Verpasst dieses Schauspiel nicht, meine Freunde!«

Jepprafomm starrte entgeistert das Außenbeobachtungsholo an, als habe es sich vor seinen Augen in eine Wanne Schlammwürmer verwandelt. »Sind die verrückt geworden?«, entfuhr es ihm.

»Und kommt schon Tharvis Orlok, sein Schiff hat da einen wundervollen Blitzgalopp hingelegt, haarscharf, wirklich haarscharf an Tharvis Eerkaida vorbei. Die lässt das ganz kalt, seht nur, ihr Schiff hat sich kein Jota vom Fleck bewegt, ich blende mal auf den Sternenstaub am Rumpf über, keine noch so kleine Verwirbelung auf der abgewandten Seite ... Aber jetzt, jetzt fährt sie herum, sehr schön, das nenne ich mal eine Punktwendung, und hier kommt der Nachbrenner!« Der selbst ernannte Kommentator schnappte nach Luft. »Einen Satz, meine Freunde, einen Satz hat sie auf Orlok zugemacht, und den lässt das natürlich ebenso kalt. Oh, oh, wird sie, wird sie ...? Nein, neeein, was für eine Aktion, sie ist genau vor ihm zum Stehen gekommen! Seht her, da passt kein Tellerkopf dazwischen, so dicht stehen die beiden Raumschiffe Saum an Saum, was für eine Aktion ... Aber damit ist hoffentlich das Geplänkel vorbei und sie kommen zur Sache. Das wollen wir doch sehen, und ja, beide Schiffe entfernen sich voneinander, die wollen Anlauf nehmen, das wird spannend!«

Jepprafomm betrachtete die dreidimensionale Darstellung inzwischen mit offener Feindseligkeit. Wie weggeblasen das Bild der Ruhe und Einkehr, nur wegen diesem ... diesem hirnverbrannten ... Jepprafomm konnte noch nicht einmal abschalten. Der selbst ernannte Sportkommentator funkte auf einer der Frequenzen der Raumüberwachung.

»Ist das zu fassen?«, brummte Jepprafomm entrüstet. Das Verremsystem war etwas abgeschieden und seine Bewohner kauzig, sie hatten ein eher lockeres Verhältnis zu Regeln und Gesetzen entwickelt. »Aber so ein Verhalten seitens eines Mitglieds der Raumüberwachung? Das geht zu weit.«

Der Kommentator störte sich offensichtlich nicht daran.

»Und Anlauf! Was für ein Bild! Und ... und ... jaaah, Orlok ist Eerkaida ausgewichen, das war ja ein Schritt zur Seite, im allerletzten Moment, was?« Ein begeisterter Choral ertönte im Hintergrund. Offenbar war die Besatzung des Kontrollraums ebenfalls ganz bei der Sache.

Jepprafomm stöhnte. »Und ich habe gedacht, ich habe noch bis zum Andocken Zeit bis zu ihren schrecklichen Feiern ...«

»Da! Da! Neeeein, nein, oh war das kna... Oh aber jetzt! Guckt mal! Wie hat sie denn da... Oooh, was für ein Konter, Eerkaidas Schiff wirbelt wie ein wild gewordener Kreisel, da bleibt kein Magen voll, haha. Und sie nutzt das Moment, tatsächlich, spätestens jetzt herrscht bei ihr wirklich dicke Luft, ich meine – ooooh!« Der Choral, der nun aufbrandete, war ohrenbetäubend. »Getroffen! Getroffen! Eine volle Breitseite Prallrammtorpedos! Na, das wird Orlok eine Lehre sein, das ... Moment ... Was macht er denn jetzt ...?«

Jepprafomm sah es selbst. Die Manöver gewannen mit jedem Augenblick an Waghalsigkeit. Immer rascher drehten sich die Pirouetten, wenn die Kontrahenten knapp aneinander vorbeischossen, der Breitseite des anderen auswichen, ihre Diskusschiffe bis an die Belastungsgrenze abbremsten und dann wieder mit Vollschub aufeinander zurasten, als wollten sie einander rammen.

»Das ist unverantwortlich!«, entrüstete sich Jepprafomm und konnte doch die Augen nicht von dem Duell lösen, wenigstens soweit die Navigation es ihm erlaubte.

Die Kontrahenten erhöhten die Geschwindigkeit ihrer Anläufe und vergrößerten dabei den Radius ihres Kampffelds. In Verrems Licht zogen sie feine, glitzernde Kielwellen aus Sternenstaub hinter sich her. Der Kommentator überschlug sich vor Begeisterung und schrie nun zweistimmig ins Mikrofon, begleitet von enthusiastischen Sprechchören.

»Zwei zu eins! Zwei zu eins! Wird Orlok das aufholen? Gibt es einen technischen K. o., meine lieben ... Ooooh! Seht nur, welche Kraft! Welches Wagnis!«

Und dann verstummte er mit einem Schlag. Selbst die Gesänge erstarben. Ein hektisches Hin und Her drang aus dem Funk.

»Da hat dein Vorgesetzter dich wohl am Teller gepackt?«, fragte Jepprafomm bissig.

Wie als Antwort auf seine Bemerkung meldete sich die Raumüberwachung in plötzlich betont sachlichem Tonfall. »Raumkontrolle KALLOBUUR an TEN Gar-AV23B4 777 und TEN Gar-ZL83Z9 324, stellen Sie sofort Ihr Machtspiel ein, und fahren Sie mit Ihrem Auftrag fort. Ich wiederhole: Stellen Sie sofort Ihren Wettkampf ein.«

Jepprafomm pendelte mit dem Kopf. »Na endlich. Jetzt husch, nach Hause, Kinderchen.«

Tatsächlich drehten die beiden Raumer bei wie verstockte Jugendliche, die man bei einer Balgerei erwischt hatte. Jepprafomm widmete sich wieder dem Anflug auf das Nest. Ihm dröhnten die lebhaften Kommentare immer noch in den Ohren.

Plötzlich schrillte der Alarm. Jepprafomm riss die Augen auf, als er Tharvis Orloks Diskus mit Vollschub auf sich zurasen sah, im Versuch, seiner Kollegin doch noch ein Schnippchen zu schlagen. Schon ertönte der tiefe Gong des Kollisionsalarms, es folgte ein Schlag, der Jepprafomms Diskus aus der Bahn warf. Sofort griffen die Andruckabsorber und die Schutzkissen, auf die Jepprafomm besonderen Wert gelegt hatte. Seine vorausschauende Umsicht rettete ihm das Leben: Einfache Absorber hätten kaum genügt, die Fliehkräfte ausreichend zu dämpfen. Er hätte sich den Hals gebrochen.

Das Raumschiff trudelte. Holos flackerten und verzerrten sich. Für einen Moment wurde es Jepprafomm schwarz vor allen vier Augen. Der Belastungsalarm gellte durch die Zentrale. Irgendwo im Bauch des Boots riss ein Aggregat aus seiner Halterung, es krachte gegen eine Wand und prallte zurück. Ein ohrenbetäubendes Poltern war das Ergebnis.

Der Asteroidenalarm schlug an und verstummte wieder. Das Schiff dröhnte unter den mit Überlast arbeitenden Triebwerken, die das Drehmoment zu kompensieren versuchten und gleichzeitig Raumschutt ausweichen sollten. Es dauerte eine quälend lange Zeit, bis die Belastung auf vertretbare Werte zurückgesunken war.

Hastig überprüfte Jepprafomm die Anzeigen, doch sein Schiff schien die Kollision mit vergleichsweise geringen Blessuren überstanden zu haben, und das, obwohl er im Gegensatz zu den Streithähnen über keinen Molkexpanzer verfügte. Hingegen schien bei den Knotennestern etwas ganz und gar nicht zu stimmen. Die Panik in der Stimme der Raumüberwachung war nicht zu überhören.

»Orlok! Abbrechen! Sofort den Anflug abbrechen! Ausweich...« Jähes Schweigen.

Jepprafomm ahnte Schreckliches. Es dauerte noch eine ganze Weile, bis die Bordpositronik die Kontrolle über sein Raumboot gänzlich wiedergewonnen hatte und er sich den Anzeigen widmen konnte.

»Oh nein!« Er sah seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt.

In dem verschlungenen, dreidimensionalen Gitter der Knotennester klaffte ein Loch. In hellen Garben sprühten brennende Gasgemische aus Verbindungsröhren, ein Asteroidennest hing abgeknickt an mehreren halb zerstörten Strängen, und hinter der Schneise, die Tharvis Orloks Diskus in die Kolonie gepflügt hatte, griffen die zu einer gespreizten Klaue aus Feuer formierten Asteroidenteile nach Rivar. Den Handteller der Flammenklaue bildete ein Bruchstück von über einem Kilometer Durchmesser.

Desintegratorgarben brannten sich durch die Atmosphäre, im Versuch der Nestpositroniken, das Unvermeidliche aufzuhalten. Allein, viel zu wenige Bruchstücke zerstoben im Sperrfeuer, vom Hauptbrocken brachen weitere Teile ab und vermehrten die Zahl der Krallen. Nur wenige Minuten trennten die Flammenklaue vom Aufschlag auf der Oberfläche.

1.

Perry Rhodan

 

Himmel oder Hölle?

Perry Rhodan war dieser Frage schon häufig begegnet. Was die einen als Segen betrachteten, fürchteten die anderen als Fluch. Wie er zu seiner Überraschung herausgefunden hatte, seit sie die Erde verlassen hatten, war diese Sichtweise ganz und gar nicht auf die Menschheit beschränkt. Vielmehr schien im ganzen Universum eine Vorliebe für den Dualismus der Extreme zu bestehen. Gerade wegen ihrer Befrachtung mit mythischer Bedeutung bezeichneten solche religiösen Begriffe diesen Umstand beinahe perfekt. Himmel oder Hölle ... Nun also auch bei den Blues.

Die MAGELLAN hatte bereits mehrere Transitionsetappen auf dem Weg nach Droo Karuuhm hinter sich gebracht, zu jenem geheimnisvollen Ort, der in den Augen der Blues entweder das eine oder das andere verkörperte. Nur dass es sich im Unterschied zu religiösen Mythen um einen höchst realen Ort handelte, der die Leben zahlreicher Expeditionen gefordert hatte – zumindest waren alle verschollen, die sich bisher dorthin auf den Weg gemacht hatten.

Rhodan stand zusammen mit drei Vierteln des Teams Leyden, das diese Bezeichnung mit Ausnahme ihres Leiters gar nicht gern hörte, vor einer holografischen Darstellung des Raumsektors. Viele Hyperraumsprünge benötigten sie nicht mehr, bis sie in die Gegend vorstießen, wo die Raumschiffe der Blues verschwunden waren.

»Ein Blues-Bermuda-Dreieck«, kommentierte Abha Prajapati.

»Das ist dann wohl das areligiöse Pendant zu Himmel und Hölle«, stellte Belle McGraw fest.

»Und wir fliegen mitten hinein«, klagte Prajapati. »Wann schmeißen wir unser Genie eigentlich endlich raus, damit das mal ein Ende hat? Solange Eric in der Nähe ist, springen wir von einem halsbrecherischen Unternehmen zum nächsten.«

»Wie ich höre, plant mein Mitarbeiterstab wieder einmal Meuterei«, erklang es von der Tür. Eric Leyden betrat den Raum.

Rhodan räusperte sich. »Meine Damen, meine Herren, da wir nun vollzählig sind, kommen wir zur Sache. Wie ich Ihren Bemerkungen entnehme, sind Sie bezüglich der Ursache für das Verschwinden der Expeditionen nicht wesentlich weitergekommen?«

Leyden verzog sichtlich unangenehm berührt das Gesicht.

McGraw seufzte. Sie stellte sich neben ihn, wollte ihm offenbar zuvorkommen, bevor er eine seiner berüchtigten patzigen Antworten gab. »Leider ist das richtig«, bestätigte sie. »Und du hast einen Fleck da, Eric.« Mit einer beiläufigen Bewegung wischte sie ihm das Gröbste von dem Eigelbfleck fort, der auf Leydens Laborkittel von seinem üblichen, ausgedehnten Frühstück zeugte. »Wir haben uns die Abtastung des fraglichen Gebiets angesehen, konnten aber bislang noch nichts Auffälliges ...«

»Was meine Mitarbeiterin sich hier zu erklären bemüht«, unterbrach Leyden sie schroff, »ist, dass wir weder die Zeit noch die Mittel zur Verfügung hatten, um das berichtete Phänomen auf Wahrheitsgehalt, Wirkungsweise oder Ursache hin zu untersuchen. Es gibt eine ganze Reihe anderer Forschungsprojekte mit höherer Dringlichkeit, die nicht einfach so unterbrochen werden dürfen. Wir sind ja kein lustiges Glücksrad, das man nach Belieben drehen kann und das stets prompt ein bequemes Ergebnis liefert. Forschung braucht Zeit. Wenn ich nur daran erinnern dürfte ...«

»Wir kümmern uns darum«, fiel ihm McGraw ins Wort, ehe die Darlegungen des Chefwissenschaftlers der MAGELLAN in einen seiner endlosen Grundsatzvorträge ausuferten. »Alles, was wir bisher sagen können, ist, dass dort tatsächlich etwas Ungewöhnliches ist.«

»Ungewöhnlich ist das neue Gewöhnlich«, brummte Prajapati. »Seit dieses Kreell aufgetaucht ist, machen sich gewöhnliche Ergebnisse wirklich rar.«

»Jedenfalls«, fuhr McGraw mit leicht erhobener Stimme fort, »sind die Messungen noch viel zu vage, um mehr sagen zu können. Tut mir leid.«

»Nun, Doktor Leyden hat bestimmt recht, wenn er die Vielzahl der Aufgaben anspricht.« Rhodan nickte dem Hyperphysiker zu, der zustimmend grunzte. »Wir haben leider keinen Forschungskreuzer mit entsprechendem Personal zur Verfügung. Dennoch wäre mir wohler, wenn wir rechtzeitig vor dem Erreichen unseres Ziels mehr darüber erfahren könnten. Eine wenigstens ungefähre Gefahrenanalyse genügt mir vollkommen, Eric. Es muss nicht gleich eine ausgewachsene wissenschaftliche Theorie sein.«

Leyden bedachte diese mutmaßliche Unterforderung seines Genies mit einem unverhohlen empörten Blick.

»Erklären Sie mir doch bitte, was Sie bisher haben«, insistierte Perry Rhodan. »Was für Sie weniger als nichts ist, kann für Laien wie mich bereits eine alle Vorstellungen sprengende Erkenntnis darstellen.«

 

Es war tatsächlich nicht viel, was sie Rhodan berichten konnten. Dennoch war er nicht unzufrieden, als er nach der Besprechung die Zentrale betrat. Die MAGELLAN hatte noch ein paar Etappen vor sich, in denen Leyden und seine Kollegen nach Herzenslust Messungen vornehmen konnten. Bislang waren sie noch den meisten Rätseln auf die Schliche gekommen, da würde es sich mit dem gegenwärtigen Ziel des terranischen Expeditionsraumers nicht anders verhalten.

»Wir haben soeben das Verremsystem erreicht«, verkündete die Pilotin Renaya Dalva de Vasconcelos. In derselben Sekunde war Rhodan klar, dass etwas nicht stimmte.

»Auslastung des Funkverkehrs auf Notfallniveau!«, rief der Funk- und Ortungschef Mischa Petuchow. Noch während er die Ursache für die Aufregung analysierte, meldete er: »Wir werden gerufen!«

Es erscholl das inzwischen vertraute Gezwitscher eines Azaraq, wie das Volk der Blues sich selbst bezeichnete. Eine Bildübertragung gab es nicht. »Verrem-Wachflottille TEN Gar-Drei an Neuankömmling. Sie haben ein System der Tentra betreten. Bitte identifizieren Sie sich, und begründen Sie Ihr Eindringen in unser Territorium.«

»Zwanzig kleinere Einheiten, soweit wir das beurteilen können«, meldete Petuchow. Um den blauen Kreis der MAGELLAN stellte der Holodom die fremden Raumschiffe als rote Punkte dar. Sie bildeten einen auseinandergezogenen Hohlspiegel mit der MAGELLAN im Brennpunkt. »Die Molkexpanzer erschweren wie üblich die Abtastung.«

»Immerhin packen sie uns nicht gleich in eine Rammschale hinein«, brummte Conrad Deringhouse, der damit auf die bisherigen Kontakte mit den Blues anspielte.

»Wie uns die Hanen informiert haben, stehen sie mit den Tentra in freundschaftlicher Beziehung, was auch immer das bei den Azaraq heißen mag«, dröhnte Icho Tolot. »Die Angaben über die Beziehungen zwischen den Tentra und den Gatasern waren hingegen eher vage, also sollten wir Letztere vielleicht besser nicht erwähnen. Immerhin scheinen die Tentra auch mit ihnen bis zu einem gewissen Grad Handelsbeziehungen zu unterhalten.«

»Dann wollen wir sie mal nicht warten lassen«, sagte Rhodan. Mit einem Wink signalisierte er, Bild- und Tonübertragung zu aktivieren. »Hier spricht Perry Rhodan an Bord der MAGELLAN. Wir sind auf der Durchreise und hatten bereits das Vergnügen, die Gastfreundschaft der Hanen genießen zu dürfen. Für unsere nächste Etappe bitten wir um freies Geleit durch das Gelegegebiet der Tentra.«

Der Translator übersetzte die Stimme ihres unsichtbaren Gegenübers mit einem abgelenkten Unterton – als wolle sich der Sprecher nicht anmerken lassen, dass er gerade ganz andere Sorgen hatte. »Danke, wir werden Ihre Angaben überprüfen. Stellen Sie sich auf Wartezeiten ein.«

»Eine Frage hätte ich noch«, schob Rhodan eilig nach. »Wir empfangen eine ungewöhnliche Ballung von Funksprüchen. Ist etwas passiert? Falls wir behilflich sein können, lassen Sie es uns bitte wissen!«

»Danke für das Angebot«, erwiderte der Wachflottillenkommandant mit nun unverkennbarer Ungeduld, »aber im Augenblick benötigen wir keine Hilfe. Verrem-Wachflottille TEN Gar-Drei Ende.« Damit beendete er die Übertragung.

»Eine Wartezeit bis zur Freigabe?«, polterte Tolot. »Da muss wirklich etwas Großes passiert sein.«

»Nutzen wir die Zeit. Aufbau des Verremsystems?«, erkundigte sich Deringhouse.

Ein Holo erschien und zeigte ein eher kleines Zentralgestirn, dessen Leuchtstärkemaximum deutlich im Rotbereich des Spektrums lag. Drei Planeten umkreisten den Stern, der sonnenfernste war ein Eisriese von der Größe des Uranus. Der zweite Planet war etwas kleiner als die Erde, seine Umlaufbahn lag in der habitablen Zone. Die Fernabtastung bestätigte prompt, dass er augenfällige Merkmale einer Besiedlung aufwies.

Am auffälligsten jedoch war etwas anderes, was in Rhodan sogleich böse Erinnerungen weckte: Nicht nur hatte das System drei Asteroidenringe, auch sonst war die Trümmerdichte außerordentlich hoch.

»Kaum Kreell«, beschwichtigte Tolot, als habe er Rhodans Gedanken gelesen. »Da hat es wohl vor langer Zeit einen größeren Himmelskörper zerschmettert. Das ganze System ist gesättigt mit Schutt. In den Lagrangepunkten liegt besonders viel Dreck auf der Piste, oder wie ihr Menschen das nennt.«

»Dann packen wir besser die Schaufeln aus«, seufzte Rhodan. Icho Tolot lachte dröhnend auf, verstummte aber sogleich wieder und ließ nur noch ein tiefes Gewittergrummeln hören.

»Die Ortung zeigt eine große Menge an Industriekomplexen im Orbit des zweiten Planeten an ... den die Tentra Rivar nennen«, stellte Deringhouse fest. »Laut Positronik ein Abbauplanet für Kreell. Allerdings herrscht hier für ein System mit Kreellabbau gerade ungewöhnlich wenig Verkehr.«

»Ja, eine ganze Reihe von Massengutfrachtern steht auf Warteposition um Rivar«, ergänzte Petuchow. »Weitere Schiffe befinden sich wie wir in Warteräumen um das System. Ich messe einige ungewöhnliche Energieemissionen an, ähnlich vulkanischer Tätigkeit. Aber untypisch. Schwer zu sagen bei den ganzen schuttbedingten Störungen. Wir bekommen keine klaren Werte.«

Deringhouse studierte die Anzeigen. »Das sieht mir nach Anzeichen einer kürzlich geschehenen Katastrophe aus. Wir werden uns bis zur Freigabe wohl noch etwas gedulden müssen. Ein paar Einheiten der Tentra haben feste Position bezogen und behalten uns im Auge.«

Rhodan nickte. »Gut. Ich sehe solange nach Sitareh.«

Den Auloren hatten sie bei den Gatasern gefunden, einem anderen Gelege der Blues – so nannten die Azaraq ihre Teilvölker. Der Aulore war eingeschlossen in einen halbtransparenten Kreellblock und vermutlich nur dank seines Zellaktivators gerade noch am Leben. Das Katlyk, das die Menschen von den Hanen als Gegenleitung für die Heilung einer tödlichen Epidemie erhalten hatten, würde es dem Mediziner Julian Tifflor und dem Mentamalgam Sud, assistiert vom Chefingenieur Tim Schablonski, hoffentlich ermöglichen, mit der Befreiung des Auloren aus dem Kreellblock zu beginnen.

»Ich komme mit«, tönte Tolot.

Kaum hatten sie sich auf den Weg gemacht, materialisierte Gucky neben ihnen. Der Mausbiber sah untypisch angespannt und nervös aus. »Sie kommen mit der Freilegung voran«, sagte er. »Beeilt euch.«

 

In der Medostation angelangt, trat Perry Rhodan an den Kreellblock heran, in dem Tuire Sitareh wie in einem gläsernen Sarg lag. Julian Tifflor und Sud sahen nur kurz auf. Mit voller Konzentration arbeiteten sie weiter daran, Stücke aus dem Kreell zu lösen. Wie Eiswürfel lagen die bereits separierten Brocken in einer Nierenschale neben dem Block.

Rhodan blickte auf das Gesicht des Auloren, das nach dem Abtragen der ersten Schicht Kreell schon etwas deutlicher zu erkennen war. Noch immer lag es wie hinter einem trüben Wasserschleier.

»Wird das Katlyk ausreichen?«, war Rhodans erste Frage.

Tifflor hob die Schultern. »Schablonski meint: Ja. Aber ich kann es beim besten Willen nicht sagen. Wir kommen gut voran, aber ob das so bleibt ...«

Rhodan nickte und sah auf Sitareh hinab. »Er sieht ... anders aus.«

Icho Tolot gab ein Grollen von sich. »Du hast recht, Rhodanos. Aber was genau anders ist ... dazu kann ich nicht genug erkennen.«

»Gucky?«

Der Mausbiber schüttelte den Kopf. Seine Miene zeigte tiefes Bedauern, gepaart mit Traurigkeit. Er vermittelte das Gefühl, in den Arm genommen und gestreichelt werden zu müssen. »Ich komme nicht zu ihm durch«, gestand er leise. »Alles, was ich empfange, sind verschwommene Mentalimpulse. Es ist, als wollte ich auf einem Ball auf einer Eisfläche balancieren. Keine Chance, Chef.«

»Ich kann dich sehr gut verstehen«, rumpelte Tolot. »Hier direkt vor ihm zu stehen, wo er zum Greifen nah ist – und doch nichts tun zu können ... Das ist zum Verrücktwerden.« Irgendwie schaffte es der Riese, hilflos auszusehen.

»Zum Greifen nah, das ist wahr«, murmelte Rhodan.

Ausgerechnet die zwei Menschen, die am ehesten in der Lage gewesen wären, das geheimnisvolle Material zu durchdringen, waren in Andromeda geblieben: Tani Hanafe und John Marshall. Gemeinsam hatten sie sich schon einmal in einen Kreellblock begeben, um daraus einen Datenkristall zu bergen. Ein riskantes Unterfangen, das für Hanafe beinahe tödlich geendet hätte. Sie hatten es aber mit Bravour gemeistert.

Rhodan war sich zwar nicht sicher, wie die Fähigkeiten der beiden Mutanten ihnen gegenwärtig weitergeholfen hätten – es war völlig unklar, ob sie Tuire Sitareh nicht nur erreichen, sondern auch hätten herausholen können. Aber leider war selbst jede Spekulation darüber müßig. Sie hielten sich zweieinhalb Millionen Lichtjahre entfernt auf.

»Es tut mir leid«, murmelte Gucky.

Perry Rhodan tätschelte ihn auf dem Kopf. »Nicht dein Fehler, Kleiner. Auch der Retter des Universums kann nicht jede Herausforderung im Handumdrehen lösen.«

Gucky rang sich zu einem schmalen Lächeln durch. »Wäre ja auch langweilig.«

 

»Tharvis der Verrem-Wachflottille TEN Gar-Drei ruft die MAGELLAN.« Diesmal erschien auch ein Holo ihres Gesprächspartners. Rhodan konnte nur vermuten, dass es sich um denselben Blue wie zuvor handelte. Einige kunstvolle Symbole zierten die Haut auf seinem tellerförmigen Haupt in bronzener und hellblauer Farbe. Auch das unvermeidliche Montram-Amulett auf seiner Brust war hellblau.

Rhodan erinnerte sich, dass diese Farbe Verantwortung symbolisierte, genauer gesagt, dass sie für eine ominöse Kreatur der Verantwortung stand. Ein traditioneller Glücksbringer.

»Willkommen! Freigabe erteilt. Sie haben Genehmigung, in einen stationären Orbit um Rivar einzuschwenken. Ich lasse Ihnen die Koordinaten durchgeben. Beachten Sie, dass die Freigabe sich weder auf freie Bewegung im Verremsystem, noch auf eine Landung auf Rivar bezieht. Ein Vertreter unseres Geleges wird Sie dort kontaktieren. Verrem-Wachflottille TEN Gar-Drei Ende.«

»Ich verstehe«, erwiderte Rhodan. »Vielen Dank.«

Nachdem die Übertragung beendet worden war, schüttelte die Erste Offizierin Gabrielle Montoya den Kopf. »Das schmeckt mir nicht. Die angewiesene Position befindet sich auf der Rückseite des Planeten, von der Quelle der Energiespitzen aus gesehen. Zudem handelt es sich um ein Gebiet mit vergleichsweise hoher Trümmerdichte, darunter vermutlich auch Kreell, sodass wir nur langsam manövrieren können. Die wollen uns aus dem Weg haben und trotzdem in Reichweite.«

»Den Eindruck habe ich auch«, pflichtete Rhodan ihr bei. »Aber versetzen Sie sich in die Lage der Blues. Angenommen, dort hat sich tatsächlich eine Katastrophe ereignet, würden dann nicht auch Sie versuchen, jede Ablenkung so schnell wie möglich aus der Welt zu schaffen? Die Tentra haben gerade andere Sorgen.«

»Bringen Sie uns hin!«, wies Conrad Deringhouse die Pilotin de Vasconcelos an.

»Schon dabei. Die Tentra stellen uns neben den Orbitalkoordinaten auch die Navigationsdaten für das System zur Verfügung. Sieht aus, als haben sie da draußen bereits jedes Staubkorn kartografiert.«

Der Anflug erwies sich trotz der übermittelten Informationen nicht gerade als ein Kinderspiel. Immer wieder waren Kurswechsel erforderlich.

 

Während die MAGELLAN sich langsam Rivar näherte, lieferte die Überwachung des hektischen Funkverkehrs neue Erkenntnisse über den Vorfall auf dem Planeten. Die Exolinguistin Luan Perparim war in die Zentrale gekommen und tat ihr Bestes, die Positronik bei der Analyse der Botschaften zu unterstützen.

»Ein Meteoriteneinschlag auf der Planetenoberfläche«, berichtete sie schließlich.

»Wie kann das sein?«, fragte Perry Rhodan. »Die Tentra müssten doch über Schutzvorkehrungen verfügen, zumal in einem System wie diesem.«

»Hm«, machte Perparim. »Die Mitteilungen sind etwas verwirrend. Es ist die Rede von einer Havarie im Zusammenhang mit dem Einschlag. Ganz so, als habe ein Raumschiff den Einschlag ausgelöst. Die Positronik hat ihre liebe Not mit der Menge an Funksprüchen, zumal die Blues dafür eine stark komprimierte Singsprache verwenden. Effektiv für die Übermittlung vieler Informationen in kurzer Zeit, aber nicht unbedingt selbsterklärend. Zudem ist der Funkverkehr zurzeit so aktiv wie ein Bienenschwarm.«

»Ich habe vielleicht eine Erklärung«, meldete sich die Ortung und blendete ein Holo von Rivar ein. Aus dem Ring aus Trümmern schälten sich Strukturen heraus, die den Planeten stellenweise wie Reste einer Eischale umgaben. Sie erinnerten entfernt an einen Blasenteppich, bei dem die Blasen mit kurzen Steckern verbunden waren. »Wenn unsere Anzeige uns nichts vorgaukelt, handelt es sich dabei um Asteroiden, die im Orbit um Rivar miteinander vernetzt worden sind. Weshalb auch immer sie das getan haben.«

Deringhouse deutete auf einen Bereich am Rand eines der Gitterstücke. »Hier. Diese Linien gibt es in großer Zahl. Sie reichen von diesen Konstruktionen bis hinab auf die Oberfläche.«

»Verankerungen?«, wunderte sich Perparim. »Für Objekte im Orbit?«

»Vielleicht Transportwege«, vermutete Rhodan. »Orbitallifte.«