Planet der Wyyry - Chronik der Sternenkrieger #31

Alfred Bekker's Chronik der Sternenkrieger, Volume 31

Alfred Bekker

Published by Alfred Bekker, 2018.

Inhaltsverzeichnis

Title Page

Chronik der Sternenkrieger 31 | Planet der Wyyryy | von Alfred Bekker

Allan Fernand, | Captain der PHOENIX II, persönliches Logbuch

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Chronik der Sternenkrieger 31

Planet der Wyyryy

von Alfred Bekker

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Ein CassiopeiaPress E-Book

Die abweichende Original-Printausgabe erschien in der Romanreihe „STERNENFAUST“ unter dem Titel „Hort des Wissens“.

© 2005,2008,2013 by Alfred Bekker

© der Digitalausgabe 2014 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich (Westf.)

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

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Mitte des 23. Jahrhunderts werden die von Menschen besiedelten Planeten durch eine kriegerische Alien-Zivilisation bedroht. Nach Jahren des Krieges herrscht ein brüchiger Waffenstillstand, aber den Verantwortlichen ist bewusst, dass jeder neue Waffengang mit den Fremden das Ende der freien Menschheit bedeuten würde. Zu überlegen ist der Gegner.

In dieser Zeit bricht die STERNENKRIEGER, ein Raumkreuzer des Space Army Corps, unter einem neuen Captain zu gefährlichen Spezialmissionen in die Weite des fernen Weltraums auf...

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ALFRED BEKKER schrieb die fesselnden Space Operas der Serie CHRONIK DER STERNENKRIEGER. Seine Romane um DAS REICH DER ELBEN, die GORIAN-Trilogie und die DRACHENERDE-SAGA machten ihn einem großen Publikum bekannt. Er schrieb für junge Leser die Fantasy-Zyklen ELBENKINDER, DIE WILDEN ORKS, ZWERGENKINDER und ELVANY sowie historische Abenteuer wie DER GEHEIMNISVOLLE MÖNCH, LEONARDOS DRACHEN, TUTENCHAMUN UND DIE FALSCHE MUMIE und andere. In seinem Kriminalroman DER TEUFEL VON MÜNSTER machte er mit dem Elbenkrieger Branagorn eine Hauptfigur seiner Fantasy-Romane zum Ermittler in einem höchst irdischen Mordfall. Im November 2012 erschien mit DER SOHN DER HALBLINGE sein nächster großer Fantasy-Epos bei Blanvalet.

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Allan Fernand,

Captain der PHOENIX II, persönliches Logbuch

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PHOENIX – ein großer Name in der irdischen Raumfahrtgeschichte.

Das erste Schiff, das auf eine außerirdische Rasse traf, hieß so und dass die Leitung des Far Galaxy-Konzerns meinem hochmodernen Forschungsraumschiff den Namen PHOENIX II gegeben hat, spielt auf diese Tradition an.

Eine Tradition, die verpflichtet.

Wir nähern uns dem Wyyryy-Planeten – Lichtjahre von der Erde entfernt, in einem Gebiet, in das selbst die K'aradan noch nicht vorgedrungen sind. Wir wissen so gut wie nichts über die Kultur der Wyyryy, aber da es inzwischen allgemeiner Konsens in der Forschung ist, dass die sogenannten Wurzelbücher dieser in vieler Hinsicht außergewöhnlichen Spezies in Wahrheit Datenspeicher der Alten Götter sind, erregten sie das Interesse der Exo-Forschung. Die Tatsache, dass die von der interstellaren Expedition gesicherten Exemplare dieser bizarren Datenspeicher sich als unlesbare Abfallprodukte erwiesen, ermöglicht es nun auch unserem Konzern wieder, bei der Auswertung des Wissens der Alten Götter eine entscheidende Rolle zu spielen, wobei wir natürlich soweit wie möglich mit dem Space Army Corps der Humanen Welten kooperieren werden. Der Rendezvouspunkt mit der STERNENKRIEGER II ist 20 AE von der Zielsonne entfernt. Ich freue mich schon darauf, Steven Van Doren wieder zu sehen, unter dessen Kommando ich Erster Offizier an Bord der PLUTO war.

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CAPTAIN ALLAN FERNAND schloss das Logbuch-Menue und lehnte sich in dem bequemen  Schalensessel seines Büros zurück. Wenigstens aus diesem Grund hatte sich der Wechsel vom Space Army Corps in die Privatwirtschaft schon gelohnt, fand Fernand, der zuletzt Kommandant des Zerstörers ADMIRAL MCCOY gewesen war.

Aber inzwischen hatte Fernand die Brocken geschmissen. Der Far Galaxy-Konzern hatte ihm ein Angebot gemacht, das er einfach nicht hatte ablehnen können. Er verdiente nicht nur viel mehr, als es im Space Army Corps selbst bei einer wirklich rasanten Karriere je der Fall hätte sein können. Er hatte Dank des einflussreichen Technik-Konzerns, der in den Humanen Welten führend auf dem Gebiet der Raumfahrt war, auch die Möglichkeit, an genau den Missionen teilzunehmen, die ihn interessierten.

Fernand war ein verhinderter Olvanorer. Mit Raumschiffen zu fernen Sternen zu fliegen und die fremden Kulturen Außerirdischer zu erforschen, davon hatte er schon als Junge geträumt. Leider hatte ihn der Orden nie ausgewählt. Und eine andere Möglichkeit, einer der Brüder von Saint Arran zu werden, gab es nicht. Also hatte Fernand die für ihn zweitbeste Möglichkeit gewählt und war ins Space Army Corps eingetreten. Eine andere Art von Orden, dessen Regeln sich natürlich deutlich von der Olvanorer-Bruderschaft unterschieden. In manchen Punkten widersprachen sie sich sogar diametral. Schließlich waren die Brüder Pazifisten, was man vom Space Army Corps nun wirklich nicht sagen konnte.

Fernand lächelte bei dem Gedanken.

Jedenfalls war der Raum des Captains an Bord der PHOENIX wesentlich großzügiger angelegt, als das selbst auf größeren Space Army Corps Schiffen der Fall war. Und vor allem hatte er nicht die Doppelfunktion als Konferenzraum für die Offiziere. Selbst auf den neuen Sondereinsatzkreuzern wie der STERNENKRIEGER war der Captain’s Room so klein, dass man ihn eigentlich nur nutzen konnte, wenn man die Tür zum benachbarten Konferenzraum offen ließ. Zumindest, wenn man keine Klaustrophobie bekommen wollte.

Ein Summton war zu hören.

„Ja, bitte!“, sagte Fernand und aktivierte damit das Interkom. Auf dem in die Schreibtischplatte integrierten Bildschirm öffnete sich ein Bildfenster. Das Gesicht des Ersten Offiziers Gus Ashrawan erschien dort.

„Captain, Sie haben mich gebeten, Ihnen ein paar Minuten vor dem voraussichtlichen Austritt aus dem Sandström-Raum Bescheid zu sagen. Der Austritt erfolgt in fünf Minuten. Wir werden dann etwa eine halbe Astronomische Einheit vom Rendezvouspunkt entfernt sein.“

„Danke, I.O. In den letzten zwei Stunden hat es nicht zufällig eine Nachricht der STERNENKRIEGER gegeben?“

„Nein, Sir.“

Fernand wunderte sich kurz. Das sah der STERNENKRIEGER nicht gerade ähnlich. Zumal sich ja sicher auch Steven Van Doren über ein Wiedersehen freuen würde! Er nickte knapp. „Ich bin gleich auf der Brücke“, versprach er.

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ALS FERNAND DIE BRÜCKE der PHOENIX betrat, lief gerade das Austrittsmanöver aus dem Sandströmraum.

„Achtung, Captain auf der Brücke!“, meldete Gus Ashrawan. Allan Fernand musste innerlich darüber schmunzeln, dass in der zivilen Raumfahrt vielfach dieselben militärisch verstaubten Umgangsformen herrschten wie im Space Army Corps oder anderen Teilen der Streitkräfte - und das, obwohl nicht der Hauch einer Notwendigkeit dazu bestand. Wahrscheinlich deswegen, weil Raumfahrt und Militär bereits von Beginn an auf der Erde miteinander verzahnt gewesen waren, und zwar auf eine so enge Weise, dass es mittlerweile kaum noch zu trennen war. Das galt schon für die Apollo-Missionen aus der Steinzeit irdischen Vortastens in den erdnahen Weltraum.

Fernand verbarg sein Amüsement über die etwas steife militärische Art. „Machen Sie weiter, I.O.“, sagte er und nahm in seinem Kommandantensessel Platz.

Gus Ashrawan, der indischstämmige Erste Offizier der PHOENIX II hatte die Space Army Corps Akademie niemals von innen gesehen. Stattdessen hatte er eine der privaten Raumfahrerschulen besucht, die vor allem auf dem Mars existierten. Der Mars war früher, vor der letzten Jahrhundertwende, das bedeutendste Zentrum der irdischen Raumindustrie gewesen - bis die Entdeckung der Ontiden 2204 zu einem weiteren Sprung in der Technik geführt hatte.

„Austritt aus dem Sandström-Raum in zehn Sekunden“, meldete Ruderoffizier Mark Ratlor, der zuvor als Frachtpilot und Handelsfahrer in der zivilen Raumfahrt Erfahrungen gesammelt hatte. Er hatte jedoch sein Handwerk ganz woanders gelernt – nämlich an der Brüderschule der Olvanorer auf Sirius III, wo man sich neben vielen anderen Studiengängen auch zum Piloten ausbilden lassen konnte. Die Brüderschule galt neben der Far Galaxy-Akademie auf Sedna als die beste Universität innerhalb der Humanen Welten – zumindest seitdem sich die Genetiker-Föderation der Drei Systeme ganz offiziell von diesem Weltenbund der von Menschen besiedelten Planeten getrennt hatte. Natürlich war man dort wissenschaftlich zumindest auf dem Gebiet der Genetik (und mittlerweile sicher auch der Raumfahrt) dem Standard von Sirius oder Sedna um Jahre voraus.

Mark Ratlors Werdegang wies insofern eine Besonderheit auf, weil er die Pilotenausbildung an der Brüderschule zunächst als Olvanorer-Mönch begonnen hatte, später aber aus dem Orden wieder ausgetreten war. Seine Ausbildung hatte er trotzdem abschließen können, denn die Brüderschule stand – im Gegensatz zu den spezifischen Lehrgängen im Kloster von Saint Arran – nicht nur Ordensmitgliedern offen, sondern allen, die die ausschließlich leistungsbezogenen Zugangsvoraussetzungen erfüllten.

Als Ratlor und Fernand anfangs zusammen für den Far Galaxy-Konzern auf Forschungsmission gegangen waren, war das Verhältnis zwischen ihnen angespannt gewesen. Fernand war inzwischen auch vollkommen bewusst, warum: Es hatte einfach damit zu tun, dass der Navigator vom Orden erwählt worden war. Aber er hatte diese Ehre  schließlich zurückgewiesen – während Fernand sich genau das glühend gewünscht hätte. Und nicht nur das: Mark Ratlor schwieg trotz neugieriger Fragen eisern über das, was einen Menschen ausmachte, um ihn überhaupt erst für die Mitgliedschaft bei den Olvanorern zu befähigen. Fernand hatte es zeitweilig regelrecht rasend gemacht, nicht zu wissen, nach welchen Kriterien der Orden seine Mitglieder auswählte.

Zumindest, was die offenbar entscheidenden Kriterien anging, wusste er darüber ebenso wenig wie der Rest der Menschheit. Die mehr oder minder offensichtlichen Gesichtspunkte erfüllte er: Er war ein Mann und er teilte den theosophischen Glauben der Olvanorer. Aber darüber hinaus musste es bei der Berufung von Mitgliedern wichtige Dinge geben, die ihn ausgeschlossen hatten. Fernand hatte lange Zeit bei sich selbst nach den Fehlern gesucht.

Fakt war, dass die Olvanorer jeden Bruder so ausbildeten, dass er besondere empathische Fähigkeiten entwickeln konnte. Ein Kommilitone hatte ihm einst gesagt, dass ihm vielleicht die nötige Sensibilität im Umgang mit seinen Spiegelneuronen fehle - und dies sei eine Voraussetzung dafür, überhaupt diese besondere Empathie erlernen zu können. „Vielleicht ist diese Veranlagung genetisch bedingt“, hatte der Kommilitone vermutet. „Dann wäre es vielleicht auch mehr als nur die Tradition eines Mönchsordens, dass dort nur Männer aufgenommen werden, denn bei ihnen reicht wegen des Y-Chromosoms das einfache Vorhandensein der Disposition, damit die Veranlagung zum Tragen kommt – während eine Frau die genetische Disposition auf beiden X-Chromosomen benötigt, was statistisch einem Lotteriegewinn gleichkommt. Wie bei der Bluterkrankheit...“

Für Fernand war das jedoch kein Trost gewesen.

Er hatte das Gefühl, eine Prüfung nicht bestanden zu haben, ohne dass ihm je jemand gesagt hatte, was er falsch gemacht hatte. Und jemand wie Ratlor, der die Voraussetzungen offenbar spielend erfüllt hatte, war für Fernand per se schon eine pure Provokation.

Dazu kam noch, dass sich Ratlor im persönlichen Umgang ganz und gar nicht durch das fast sprichwörtliche Einfühlungsvermögen der Olvanorer auszeichnete. Während ein ordentlich ordinierter Olvanorer-Mönch häufig schon dank kleiner Gesten und Veränderungen in der Tonlage des Gegenübers zu interpretieren wusste, in welcher Gemütslage sich der Gesprächspartner gerade befand, zeichnete Ratlor sich durch eine ebenso bemerkenswerte Unbekümmertheit in Sachen Sensibilität aus. Er galt als schroff und direkt. Diplomatisches Talent hatte er bestimmt nicht, was das Rätsel seiner eigenen Zurückweisung für Fernand komplett machte. Denn er selbst hatte durchaus ein solches Talent, was ihm als Captain eines Raumschiffs schon mehr als einmal nützlich gewesen war.  Schließlich gab es immer wieder Streitigkeiten sowohl auf dienstlicher als auch auf persönlicher Ebene zu schlichten und Menschen zu führen.

„Austritt aus dem Zwischenraum!“, meldete Ratlor mit monotoner Stimme. „Geschwindigkeit beträgt genau 41 Prozent der Lichtgeschwindigkeit.“

„Dann sind wir wieder etwas zu schnell“, stellte Gus Ashrawan stirnrunzelnd fest. Der Erste Offizier stellte eine Kom-Verbindung zum Maschinendeck her.

„Sir?“

Das Gesicht einer Blondine mit strenger Knotenfrisur und Nasen-Piercing erschien auf einem Nebenbildschirm. Letzteres hätte die Leitende Ingenieurin Maria Ibeira vom Dienst im Space Army Corps ganz sicher ausgeschlossen. Aber bei dem Nasen-Piercing handelte es sich nicht um ein Schmuckstück. In Wahrheit war ein Dosimeter für Von-Schlichten-Strahlen darin verborgen. Über einen Sender war das Von-Schlichten-Dosimeter mit dem Bordrechner und den Analysefunktionen des Astrolabors verbunden. Jeder, der im Maschinentrakt Dienst hatte, musste so ein Dosimeter tragen, um die Belastung an sogenannter Von-Schlichten-Strahlung zu messen, die vor kurzem in den Labors des Far Galaxy-Konzerns entdeckt worden war - und die offenbar die sogenannte 5-D-Strahlung neutralisierte, die irgendwie untrennbar mit den Artefakten der Alten Götter in Verbindung stand. Genaugenommen war Professor Yasuhiro von Schlichten an der Entdeckung dieser Strahlen gar nicht beteiligt gewesen. Auch am ersten wirksamen Triebwerk-Schutz vor dem Einfluss der 5-D-Strahlung hatte er nicht mitgewirkt. Allerdings fand nicht nur er, sondern auch der Far Galaxy-Konzern es nur angemessen, diesem genialen Wissenschaftler und zeitweiligen Entwicklungschef ein Denkmal zu setzen. Verdient hatte er es - und man musste solchen Überlegungen der Gerechtigkeit halber hinzufügen, dass wirklich nicht nur von Schlichten selbst dieser Ansicht war.

Es handelte sich allerdings um ein Denkmal, das bislang noch immer verhüllt war. Die Existenz dieses Schildes, mit dessen Hilfe man die besonders für die Technik der Sandström-Aggregate verhängnisvolle 5-D-Strahlung neutralisieren konnte, war bislang hoch geheim. Außer den Besatzungsmitgliedern der PHOENIX und ein paar wichtigen Personen im Konzern wusste niemand etwas davon. Selbst das Space Army Corps hatte bisher keine Ahnung von dieser Entwicklung und vermutlich sogar nicht einmal Yasuhiro von Schlichten, der Namensgeber des Aggregats und der Strahlen, selbst.

Noch war das Von-Schlichten-Aggregat, das man zur Erzeugung der neutralisierenden Strahlung an das Sandström-Aggregat der PHOENIX angesetzt und mit diesem zusammengeschaltet hatte, ein Prototyp, der erst ausprobiert werden musste. Die technische Reife schien in greifbarer Nähe, war aber eben noch nicht erreicht und von daher wollten die Konzern-Oberen natürlich vermeiden, dass irgendjemand anderes Far Galaxy gewissermaßen die Butter vom Brot nahm. Der Konzern hatte einen Ruf zu verlieren.

Von Schlichten, der so oft zwischen einer Beschäftigung bei Far Galaxy und offiziellen Stellen der Humanen Welten wie dem Space Army Corps hin und her gewechselt war, dass sein gegenwärtiger Status für so manchem im Space Army Corps und bei Far Galaxy mittlerweile ein Rätsel darstellte, befand sich auch nicht an Bord der PHOENIX.

Da er vor Beginn dieser Mission im Sol-System geweilt hatte, reiste er ebenso wie der Kryptologe Professor Yngvar MacKenzie an Bord der STERNENKRIEGER zum Rendezvouspunkt – und nicht an Bord der PHOENIX, die nun schon seit geraumer Zeit im Zielgebiet operiert hatte. Teilweise hatte die PHOENIX hier zusammen mit der FAR GALAXY EXPLORER, einem anderen Forschungsschiff unter dem Kommando von Captain Theo Tulane, einem anderen ehemaligen Space Army Corps Offizier, zusammengearbeitet.

Allerdings war die FAR GALAXY EXPLORER schon vor geraumer Zeit ins Sol-System zurückgekehrt, da sie nach diversen Auseinandersetzungen mit den Morrhm arg in Mitleidenschaft gezogen worden war. Vor Ort konnte sie nicht mehr von Nutzen sein, daher hatte sie den Heimflug angetreten.

„Warum liegen die Geschwindigkeitswerte schon wieder über der Norm, Mrs Ibeira?“, fragte der Erste Offizier jetzt an die Leitende Ingenieurin gewandt. Das Phänomen war schon mehrfach während der Mission aufgetaucht. Zwar war die Abweichung von 0,1 LG diesmal nicht besonders groß, aber in anderen Fällen hatte man Abweichungen von mehr als 0,5 LG nach oben hinnehmen müssen. Eine derart erhöhte Austrittsgeschwindigkeit beim Verlassen des Sandström-Raums erhöhte die Belastung mit Gamma-Strahlen an Bord des betroffenen Schiffes zwar noch nicht so weit, dass man von einer gefährlichen Dosis sprechen konnte. Aber die Tatsache, dass diese Schwankungen beim Eintauchen ins normale Einstein-Universum sich bisher jeder Kontrolle entzogen, beunruhigte viele an Bord.

Da man weder Ursache noch Schwankungsbreite dieser Abweichung kannte, konnte es theoretisch natürlich auch passieren, dass die PHOENIX nach dem nächsten Überlichtflug mit einer Austrittsgeschwindigkeit von 0,6 LG oder mehr in das Einstein-Universum hineinschrammte. Das hatte dann der Relativitätstheorie zufolge die Nebenwirkung, dass nicht nur der die PHOENIX umgebende Raum extrem gestaucht wurde, sondern mit diesem auch die elektromagnetischen Wellen. Aus der harmlosen Infrarotstrahlung oder dem ebenso harmlosen sichtbaren Licht einer nahen Sonne wurde dann harte Gamma- oder Röntgenstrahlung. Und deren Belastung konnte dann so hoch sein, dass keine noch so dicke Strahlenpanzerung ihr standzuhalten vermochte. Das konnte in letzter Konsequenz bedeuten, dass das Schiff bei der Materialisation im Einstein-Universum schlichtweg verdampfte.

Captain Allan Fernand hatte bereits erwogen, das neu installierte Von-Schlichten-Aggregat wieder zu entfernen. Nicht nur er nahm an, dass die Schwankungen bei der Austrittsgeschwindigkeit mit dessen Einbau in Zusammenhang standen, auch Maria Ibeira war dieser Ansicht.

Allerdings hatte Fernand in dieser Frage keine Entscheidungsfreiheit. 

Auf Grund der außerordentlichen Wichtigkeit diese Mission befand sich nämlich auch Franz Jack, der offizielle Konzernsprecher, höchstpersönlich an Bord. Letztlich hatte er die Entscheidungsgewalt und Fernand musste das wohl oder übel akzeptieren. Nun, da hatte das Space Army Corps bei aller Freiheit innerhalb des Konzerns in dieser Situation die Nase vorn - dort galt die alte militärische Regel, dass der Captain die oberste Entscheidungsgewalt an Bord hatte.

„Wir haben auf den Normalwert heruntergebremst“, meldete Ratlor.

„Ich frage mich manchmal, ob die Schäden durch überhöhte Geschwindigkeit beim Eintritt in den Normalraum nicht größer sind als die, die wir bei 5-D-Bestrahlung erleiden würden“, meinte Captain Fernand unwillig.

„Das hat Franz Jack zu entscheiden – und leider nicht wir“, gab Ashrawan zurück.

Der Erste Offizier kratzte sich am Kinn und blickte mit nachdenklichem Gesicht auf die Ortungsdaten. Sie befanden sich in einem Gebiet, in dem Technik der Alten Götter zu vermuten war – und insofern hatte Franz Jack immerhin dieses Argument auf seiner Seite, wenn es darum ging, das Von-Schlichten-Aggregat im aktiven Zustand zu lassen. Wenn es funktionierte, konnte es nur nutzen.

„Ich darf gar nicht daran denken, was geschieht, wenn erst Von-Schlichten-Aggregate auch an andere Bordsysteme angedockt werden“, meldete sich Kommunikationsoffizier Herkuf Anderson düster zu Wort. „Jedenfalls ist mit Fehlfunktionen wohl zu rechnen, so wie's aussieht.“

„In meinem Bereich wären die ganz sicher mehr als verhängnisvoll“, warf der Waffenoffizier ein, ein großer Mann mit schwarzen, gelockten Haaren. Sein Name war Frank. Sein Vorname allerdings auch, womit seine Eltern ihm keinen Dienst erwiesen hatten. Waffenoffizier Frank Frank – das war stets ein Anlass für grinsende Gesichter. Zwischenzeitlich hatte er sich auch eine Weile „Frank R. Frank“ genannt, aber da war dann zum Spott auch noch die Verwirrung gekommen, denn diese Angabe stimmte natürlich mit seiner ID-Card nicht überein, sodass es jede Menge Komplikationen gegeben hatte. Namensänderungen waren innerhalb der Humanen Welten zwar legal, aber faktisch waren sie in einer Welt, die ganz maßgeblich von Datenströmen geprägt war, kaum möglich. Wenn man erst einmal irgendwo mit seinen Daten gespeichert war – und das war normalerweise bei jedem Bürger von Geburt an der Fall – dann blieb man auch unter diesem Namen gespeichert und musste dann eben gegebenenfalls in Kauf nehmen, nach einer Namensänderung für zwei Personen Steuern zu zahlen.

Nichts war schwieriger als die Beseitigung solch falscher Datenspuren, wie Frank R. Frank schmerzlich hatte erfahren müssen. So hatte er das „R.“ schließlich wieder getilgt. Zu seinem Leidwesen bekam er aber immer noch regelmäßig zwei Ausgaben des Newsletters für Weltraumkrieg und Waffenkunde.

„Captain, ich habe ein Unterlichtsignal abgesetzt. Bislang ohne Antwort. Die STERNENKRIEGER ist nicht da. Jedenfalls befindet sie sich nicht im Erfassungsbereich von einer Lichtstunde, und weiter reicht unsere Ortung nicht“, meldete der Ortungsoffizier George Burton M’Kama, ein Schwarzafrikaner, in dessen Linie irgendwann einmal ein Real Martian gewesen sein musste. Jedenfalls war er zwei Meter zwanzig groß und sein graziler Körperbau erinnerte stark an die umweltangepassten Nachfahren der ersten Marssiedler, die dort nach wie vor ein unabhängiges Leben ohne künstliche Schwerkraft führten.

Allerdings war M’Kama im Gegensatz zu den Real Martian durchaus in der Lage, sich unter Erdschwere ohne Hilfe eines Antigrav-Paks fortzubewegen. Seine Muskulatur war ganz normal ausgebildet, da er auf New Hope II groß geworden war. Und dort waren Erdstandards die Norm.

„Das Space Army Corps scheint Verspätung zu haben!“, sagte Frank etwas spitz.

„Hoffen wir, dass nur das die Ursache ist“, gab Captain Fernand zurück. Er wandte sich an Ratlor. „Ruder?“

„Ja, Sir!“

„Unterbrechen Sie den Bremsvorgang.“

„Sir?“

„Wir lassen den Rendezvouspunkt links liegen und fliegen auf direktem Weg in den Orbit des Wyyryy-Planeten.“

„Ja, Sir.“

„Das könnte Ärger mit dem Space Army Corps geben“, sagte Ashrawan und hob die Augenbrauen.

„Wir sind hier, um das Wissen der Alten Götter zu sichern“, erklärte Fernand. „Dabei ist allein wichtig, dass es in die Hände der Menschheit gerät – nicht, wessen Raumschiff den Planeten zuerst erreicht.“

Ashrawan grinste. „Beim Space Army Corps könnte die Befehlsverweigerung so manchem hohen Tier die Karriere kosten!“

„Die Head Hunter von Far Galaxy wird das sicher freuen“, glaubte Fernand. „Dann werden wir diejenigen unter diesen sogenannten hohen Tieren, die etwas taugen,  hoffentlich in Kürze an Bord eines Far Galaxy-Raumers wieder sehen.“

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DER PLANET WURDE VON einer Reihe Asteroiden umflogen. Sie wirkten wie Bruchstücke eines größeren Himmelskörpers. Vielleicht war das das Ergebnis einer kosmischen Kollision in grauer Vorzeit. Allerdings musste diese Kollision schon sehr lange her sein. Millionen von Jahren, anders hätten sich die Wyyryy dort nicht entwickeln können.

Die sogenannten Wurzelbücher dieser Spezies hatten nicht nur in den Humanen Welten zunächst großes Aufsehen erregt, sich aber später, nach der Rückkehr der Expedition, an der auch die STERNENKRIEGER teilgenommen hatte, als völlig wertlos herausgestellt.

Jetzt unternahm man einen neuen Anlauf, um das Wissen zu sichern, das auf diesem Planeten schlummerte - bewacht von Wesen, die vermutlich nicht das Geringste damit anfangen konnten. Schließlich beherrschten die Wyyryy noch nicht einmal die Raumfahrt.

„Die Ortungsergebnisse des Planeten liegen vor“, meldete M’Kama.

„Irgendwelche Besonderheiten?“, fragte Captain Fernand.

„Eigentlich ist alles wie erwartet. Weite Gebiete des Planeten sind seit dem Überfall durch die Morrhm atomar verseucht.“

„Wie reagieren die Wyyryy auf diese harte Strahlung?“, fragte Fernand.

„Laut den Berichten der STERNENKRIEGER nicht gut - ähnlich wie Menschen. Aber der Exo-Mediziner unserer Expedition befindet sich an Bord der STERNENKRIEGER“, stellte Ashrawan fest.

„Sie sprechen von Dr. Miles Rollins?“, fragte Fernand neugierig.

Ashrawan nickte. „Der größten Kapazität auf diesem Gebiet. Zusammen mit dem neuen Bordarzt der STERNENKRIEGER, Dr. Ash Trent, einem anerkannten Exo-Mediziner. Die Zusammenarbeit mit diesen beiden dürfte für den Konzern sehr fruchtbar sein, wenn Sie mich fragen. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Es spricht vieles dafür, dass die Wyyryy empfindlich auf Strahlung reagieren.“

Die pflanzenhaft wirkenden Wyyryy, die wie ein Fetzenteppich auf Tentakeln aussahen, hatten vor dem Angriff der Morrhm-Plünderer in einer nahezu paradiesischen, naturbelassenen Welt gelebt. Von diesem Paradies war wohl in weiten Teilen so gut wie nichts übrig geblieben.