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Ute Schall

Tiberius


Grausamer Kaiser - tragischer Mensch


Biografie






Schall, Ute : Tiberius. Grausamer Kaiser - tragischer Mensch,

Hamburg, acabus Verlag 2018


1. Auflage

ePub-eBook: ISBN 978-3-86282-554-7

PDF-eBook: ISBN 978-3-86282-553-0

Print: ISBN 978-3-86282-552-3


Lektorat: Julia Lemburg, Cira Korfmacher, acabus Verlag

Cover: © Marta Czerwinski, acabus Verlag

Covermotiv: Roman Emperor Tiberius Caesar © Sam Spiro;
Capir © giumas


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.


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© acabus Verlag, Hamburg 2018

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Meinen „Oberrömern“ Gabriele und Jürgen, Anne und Bernd (†)
vom römischen Flussschiff Lusoria Rhenana gewidmet.

Verwünschungen

Als der junge Agrippa Postumus begriff, dass es kein Entrinnen gab, dass die Henkersknechte des verhassten Alten im fernen Rom kein Erbarmen kannten und niemals seinem Zauber erliegen würden, beschwor er mit ermattenden Kräften alle Flüche des Schicksals auf Tiberius’ blutbeflecktes Haupt herab. Er sagte ihm den schrecklichsten aller Tode voraus, weissagte ihm jahrelange Einsamkeit und Menschenangst und schließlich den langsamen Fall von Mörderhand.

„Ich sehe Tiberius“, hauchte er, „er wünscht zu sterben und wird nicht sterben können. Und doch hat er Angst vor dem Tod. Ich sehe ihn, von weither kommend, vor den Toren Roms verharren und auf verschlungenen, menschenleeren Pfaden um die Mauern der Ewigen schleichen, vom Ort seiner gemeinsten Verbrechen angezogen und abgestoßen zugleich. Sehe ihn zitternd vor Furcht auf immerwährender Flucht.

Flüstern höre ich das Volk der entsetzten Quiriten: Biberius nennen sie ihn, den Trinker. Selbst der Tod fürchtet sich vor ihm, sagen sie, selbst der Tod. Unbeweint wird er in das Reich der unterirdischen Schatten eingehen. Und mancher wird fordern, den faulenden Leib in der schlammigen Flut des Tibers zu versenken, Tiberium in Tiberim, auf dass er, im Leben umgetrieben vor Angst, auch im Jenseits keine Ruhe fände.“

Tiberius

Grausamer Kaiser – tragischer Mensch

Eine Begegnung

Capri, Sommer 1987. Er ist nicht allzu steil, der Weg, den ich trotz der hochsommerlichen Temperaturen emporgestürmt bin, führt aber doch stetig bergan. Es war die Neugier, die mich trieb. Wer zu spät kommt, den bestraft bekanntlich das Leben. Aber diese alte Weisheit wurde erst viel später in Worte gefasst (oder auch nicht). Da stehe ich nun und schaue mich um. Und die Jahrhunderte gerinnen zum Augenblick.

Langsam beginne ich, ihn zu verstehen. Ihn: Tiberius Claudius Nero, der sich später Tiberius Iulius Caesar Augustus nannte. Nennen musste. Denn Augustus, der Erhabene, hatte ihn mangels anderer Kandidaten an Sohnes statt angenommen und zum Nachfolger bestimmt. Hatte wiederholt zerstörerisch in sein Leben eingegriffen und ihn damit zum „traurigsten Mann der Welt“ gemacht, wie Plinius zu berichten wusste … Doch dann wenigstens das: Von blaugrüner Farbe das Meer weit unter meinen Füßen, das auch er gesehen hat. Zerklüftet die Schroffen, die in die Tiefe stürzen. Überwölkt vom makellosen Azur des campanischen Himmels. Ich kann ihn verstehen. Ruhe, fast gespenstische Stille um mich herum. Nur ab und zu das Kreischen der Möwen. Kaum eines Menschen Fuß verirrt sich hierher. Zu steinig ist der Pfad, zu wenig ergiebig erscheint das Ziel. Reizvoll nur für den, der Augen und Ohren für die Magie dieses Ortes hat. Eine Weile stehe ich stumm, erfüllt von Ehrfurcht für den Palast, der dem Herrn des Himmels geweiht ist: das weitläufige Areal der Villa Jovis.

„Entschuldigen’S!“, werde ich aus meinen rückwärts gerichteten Gedanken gerissen. Ein wenig verstört drehe ich mich um. Nein, es ist nicht Jupiter, der mir an dieser fast magischen Stätte in den Trümmern des nach ihm benannten Landsitzes erscheint, wenngleich die Erscheinung auch graues, bis zu den Schultern wallendes Haar und ein weißer Rauschebart ziert, der immerhin fast bis zur fülligen Brust reicht. „’Tschuldigung!“, wiederholt der Fremde, und ich blicke einem Bayern auf Kulturtour ins Gesicht, der in eine etwas knappe, kurze Lederhose gepresst ist, einen gamsbartbewehrten Hut auf dem mächtigen Haupt trägt und einen prallen Rucksack von offensichtlich beachtlichem Gewicht auf dem Rücken. „Wo find i, bitt schön, dö Villa Jovis?“, will der Mann von mir wissen, und es hat ganz und gar nicht den Anschein, dass er sich über mich lustig macht. Er breitet eine Karte der doppelgipfligen Insel aus, die er ein wenig umständlich einnordet und eifrig zu studieren beginnt.

„Na, Sie stehen doch mitten drin!“, gebe ich bereitwillig Auskunft. Der Blick, der mich durchbohrt, drückt Erstaunen, nein, Misstrauen, ja sogar ein wenig Verachtung aus. Und er scheint sich zu fragen, ob er da einer Ignorantin oder gar einer Verrückten aufgesessen ist. Die Enttäuschung über das, was er nach doch recht mühsamem Aufstieg – er atmet immer noch schwer und der Schweiß steht ihm glänzend auf der Stirn – hier vorfand, ist ihm deutlich anzusehen. Aber er fasst sich schnell wieder. In sicherer Entfernung von mir lässt er sich auf einer Fundamentmauer nieder, schüttelt ungläubig sein schweres Haupt, nimmt seinen Rucksack ab, wischt sich mit einem karierten Taschentuch über die schweißnasse Stirn und beginnt, seine deftigen Schmankerln auszupacken. Mich würdigt er keines Blickes mehr …

Tiberius Claudius, wie er bei seiner Geburt hieß: Wer war er eigentlich, der dem Römerreich immerhin fast 23 Jahre vorstand, über den Zeitgenossen wie Nachgeborene die unterschiedlichsten Urteile fällten, an dem die meisten aber kein gutes Haar ließen und der, wenn wir Historikern und Vitenschreibern vertrauen können, seinen Untertanen verhasst war? So sehr verhasst, dass sie ihm Trunksucht und unvorstellbare sexuelle Ausschweifungen nachsagten, dass sie sogar die Entsorgung seiner Leiche in den Fluten des Tibers forderten: „Biberius“, nannten sie ihn, den Trinker, und der Pöbel auf der Straße skandierte, als er gestorben war: „Tiberium in Tiberim, Tiberium in Tiberim!“

Wer war er, dieser finstere, zu Melancholie und Schwermut neigende Mann, der um eines ungeliebten und von ihm nicht begehrten Thrones willen um sein Leben betrogen wurde? Wer war er, der dem Moloch Rom entfloh und auf der entlegenen Insel in aller Abgeschiedenheit die letzten elf Jahre seines vergeudeten Lebens verbrachte? Und ist es möglich, seiner gewiss zwiespältigen Persönlichkeit einigermaßen gerecht zu werden?

Einen Versuch ist es wert. So will ich mich denn an die Arbeit machen.

Kindheit und Jugend

Fast elf Jahre lebte Kaiser Tiberius schon auf Capri, als er, ein verbitterter Greis, von einem der wenigen Vertrauten, die ihm geblieben waren, angesprochen wurde: „Erinnerst du dich noch, Caesar?“

„Nein“, fuhr ihm der Alte schroff dazwischen. „Ich erinnere mich an nichts, was ich jemals gewesen bin.“

Wie soll sich ein Kind entwickeln, das im zarten Alter von vier Jahren von seiner Mutter im Stich gelassen und im Haus eines mürrischen, zu Depressionen neigenden Vaters in die Obhut von Ammen gegeben wird? Was kann aus einem Menschen werden, der, durch Flucht, Vertreibung und Unglück schon in frühester Kindheit traumatisiert, über Jahrzehnte ausschließlich für fragwürdige politische Zwecke missbraucht wird? Tiberius Claudius Nero, der nachmalige Kaiser, war solch ein Mensch.

Er wurde am 16. November 42 v. Chr. geboren, im Jahr 711 seit Gründung der Stadt, nach der die Römer ihre Jahre zählten. Nach dem Glauben der Alten berechtigte der Geburtsort zu den größten Hoffnungen: Das Kind soll nach herrschender Meinung auf dem Palatin, dem Hügel Roms, der dem Himmel so nahe ist, das Licht der Welt erblickt haben. Dies kann jedoch kaum richtig sein. Denn die alteingesessene Familie der Claudier wohnte auf dem kaum weniger vornehmen Caelius, der dem Palatin gegenüber liegt. Und Tiberius’ Eltern waren zum Zeitpunkt seiner Geburt noch verheiratet. Erst einige Jahre später sollte seine Mutter auf den Palatin umziehen. Es ist möglich, dass der antike Biograf Suetonius Tranquillus, Sekretär im Dienste Kaiser Hadrians (117–138 n. Chr.), der der interessierten Nachwelt die Biografien der ersten zwölf Kaiser Roms von Caesar bis Domitian hinterließ und dem wir auch viele Nachrichten über Tiberius verdanken, durch den Geburtsort „Palatin“ die Herkunft seines Protagonisten aufwerten wollte.

Freilich sahen einige seinen Geburtsort in Fundi, einer Kleinstadt in Latium, die an der Via Appia lag. Sie stützten ihre Behauptung darauf, dass Tiberius’ Großmutter mütterlicherseits aus Fundi stammte. Aber durfte es damals schon sein, dass ein römischer Herrscher seine Wurzeln in einem unbedeutenden Dorf hatte?

Rom oder dieses Städtchen auf dem Land: Wo der nachmalige Kaiser das Licht der Welt erblickte, spielte für seinen Werdegang keine Rolle. Denn alles schien vorherbestimmt in diesem Leben, das wie kaum ein anderes von Verlust und Verzicht und alles andere als selbstbestimmt, aber auch seit früher Jugend von Wunderzeichen und mehr oder weniger günstigen Vorhersagen geprägt war.

Schon unmittelbar nach seiner Geburt wurde Tiberius eine große Zukunft geweissagt. Seine Mutter Livia war sich übrigens ganz sicher gewesen, einen Sohn zu gebären. Denn sie hatte während ihrer Schwangerschaft versucht, das Geschlecht des Kindes, das sie in sich trug, zu erfahren, und dazu unter anderem einer brütenden Henne ein Ei weggenommen, das sie, abwechselnd mit ihren Dienerinnen, in der Hand so lange wärmte, bis ein Hähnchen mit einem besonders großen Kamm schlüpfte. Nach dem Glauben der Alten wies das eindeutig auf die Geburt eines Knaben hin. Dann sagte der Astrologe Scribonius dem Neugeborenen eine große Zukunft voraus: Der Knabe werde einst König sein, allerdings ohne die Abzeichen der königlichen Würde. Eine mutige Vorhersage zu einer Zeit, als die Herrschaft der Caesaren noch völlig im Dunkeln lag.

Von großem Einfluss waren die beiden Familien, in die das Kind hineingeboren wurde. Väterlicher- wie mütterlicherseits die Claudier, ein altes, hoch angesehenes Geschlecht, das seine Wurzeln bis auf die Götter und Heroen zurückführte und der römischen Hocharistokratie angehörte. (Es gab eine gleichnamige plebejische Gens, die den patrizischen Claudiern an Macht und Ansehen kaum nachstand. Schon in der Frühzeit Roms hatten sich die beiden Familien aber getrennt.) Wenn es in Stadt und Reich je überzeugte Verfechter von Macht und Würde des Hochadels gab, gehörten sie zweifellos den Claudiern an, die seit jeher als stolz und unnahbar galten. Sie seien, so sah es zumindest Suetonius Tranquillus, der römische Kaiserbiograf, besonders dem Volk gegenüber „sehr heftig und anmaßend“ gewesen. So habe es beispielsweise keiner von ihnen über sich gebracht, sich öffentlich in Trauerkleidung zu zeigen, oder, sofern einer zum Tode verurteilt worden war, um sein Leben zu bitten. Der spätere Kaiser sollte da keine Ausnahme sein, wie sich noch herausstellen wird.

Im Laufe der Zeit, so Suetonius, erlangten Angehörige der Claudier achtundzwanzig Mal das Konsulat, fünfmal die Diktatur und siebenmal die Censur. Zudem wurden sie mit sechs großen und zwei kleinen Triumphen geehrt. „Sie führten verschiedene Vor- und Beinamen, von denen der Vorname Lucius einstimmig ausgeschlossen wurde, nachdem von zwei Familienmitgliedern, die diesen Namen getragen hatten, der eine der Wegelagerei, der andere des Mordes überführt worden war. Unter die Beinamen wurde der Name Nero aufgenommen, der auf sabinisch ‚stark‘ und ‚tapfer‘ bedeutet.“1 Derart also waren auch Tiberius’ Vorfahren mütterlicherseits. Denn beide, Vater und Mutter waren, wenn auch weitläufig, miteinander verwandt.

Der Stammvater der Claudier soll ein gewisser Clausus gewesen sein. Der Überlieferung nach, die das adelsstolze Geschlecht in Rom nur allzu gern wach hielt, war er der Sohn des Gottes Saturn, von den städtischen Priestern dem vorzeitlichen Kronos gleichgesetzt, dem Titanen, der als Spross des Himmelsbeherrschers Uranos und der Erdmutter Gaia galt. Kronos, so ging die Sage, hatte seinen Vater mit einer scharfen Sichel entmannt und seine eigenen Kinder verschlungen, und nur Zeus war Dank eines Täuschungsmanövers von Uranos’ listiger Gattin diesem Ungeheuer entkommen. Denn Rheia, so hieß die liebende Mutter, hatte ihrem Mann statt des Kindes einen in Windeln gewickelten Stein angeboten. Der heranwachsende Zeus rächte seine Geschwister und stürzte den Vater in den Tartarus. Doch eines Tages sei Kronos die Flucht gelungen, und er sei unter dem Namen Saturn nach Italien gekommen, wo er fortan gemeinsam mit dem doppelgesichtigen Janus über die fruchtbaren Ebenen an den Ufern des Tibers herrschte. Auf dem Hügel Janiculus, so hieß es weiter, habe er bald eine Stadt gegründet, die nach ihm benannt wurde: Saturnia, so viele Jahrhunderte älter als die erhabene Roma. Angeblich verdankte Rom, später die Beherrscherin der Welt, nur diesem Gott ihren Reichtum. Denn er war mit der Göttin Ops vermählt, die für Fülle und Wohlstand sorgte.

Erst nachdem der letzte etruskische König, Tarquinius Superbus, aus Rom verjagt worden war und die Römer einen heiligen Eid geschworen hatten, sich nie mehr einem König unterzuordnen und die Herrschaft nur noch in die Hände der Ersten und Besten zu legen, – nach unserer Zeitrechnung 510 v. Chr. –, siedelten sich dort die Claudier an, um von da an die Geschicke der Stadt und des späteren Reiches verantwortlich mitzugestalten.

Auf diese göttliche Herkunft und das uralte Geschlecht sahen die Claudier zurück und machten aus ihrer Verachtung für die Julier, denen der erste Princeps Octavian Augustus entstammte, keinen Hehl. Um wieviel vornehmer waren sie doch als jene, die ihre Wurzeln auf Troja und auf Aeneas, einen Flüchtling, zurückführten und erst kürzlich die Subura, die schmuddelige Unterstadt, verlassen hatten, um die Hügel des Lichts zu erklimmen!

Zwei Vorväter des nachmaligen Kaisers waren Söhne des Appius Claudius Caecus, auf den nicht nur die älteste Wasserleitung Roms zurückgeht. Auch die frühesten Abschnitte der Via Appia, die ins süditalienische Brundisium (heute Brindisi) führt, tragen seine Handschrift. Der Mann, der wohl blind war – daher sein Cognomen „Caecus“ – und doch mehr als andere sah, wurde zu allen Zeiten in Rom verehrt. Seine beiden Söhne trugen die Namen Tiberius Nero und Appius Pulcher. Der Großvater von Tiberius’ Mutter Livia Drusilla war darüber hinaus durch Adoption in die Familie der Livier aufgenommen worden, einer plebejischen Gens, die dennoch in hohem Ansehen stand und dem Staat mehrere Konsuln und andere wichtige Staatsmänner geschenkt hatte. Der Name von Tiberius’ Mutter leitete sich von diesen Liviern ab, sowie von Drusus, einem Beinamen, der einst einem ihrer Vorfahren verliehen worden war, weil er in mutigem Einsatz einen feindlichen Führer namens Drausus im Nahkampf getötet hatte.

Tiberius Claudius Nero, der Vater, stand einige Jahre vor der Geburt seines ersten Sohnes dem nach der Alleinherrschaft strebenden Gaius Iulius Caesar als Quästor im erfolgreichen Kampf um das ägyptische Alexandria zur Seite – er befehligte die Flotte – und wurde vom dankbaren Diktator in das kürzlich eroberte Gallien geschickt, um dort Kolonien zu gründen. Südfranzösische Städte wie Narbonne und Arles gehen auf seine Initiative zurück.

Es ist nicht bekannt, weshalb sich der willensschwache Tiberius bald von seinem mächtigen Gönner abwandte. Möglicherweise ertrug er, ein eingefleischter Republikaner, Caesars unverhohlenes Machtstreben und, wie das Gerücht verbreitete, dessen Griff nach dem Königsdiadem nicht. Jedenfalls trat er nach Caesars Ermordung an den Iden des März 44 v. Chr. nicht nur für eine Straffreiheit der Attentäter ein wie viele seiner Standesgenossen: Er ging weit darüber hinaus und forderte, alle, die an dem Verbrechen beteiligt gewesen waren, zu belohnen. Seine diesbezügliche Rede vor dem Senat brachte ihm nicht nur den Unmut der eingeschriebenen Väter ein, sondern auch den Hass der Triumvirn, jenes Dreimännerbundes – Octavian, Antonius und Lepidus –, der nach vollendeter Rache für Caesars gewaltsamen Tod die Geschicke des Reiches in seine Hände genommen hatte, sich aber oft uneins war. Tiberius Claudius Nero wurde auf die Proskriptionsliste gesetzt, das heißt, er hatte Leben und Ehre verwirkt. Aus einem Geachteten war ein Geächteter geworden.

Es scheint überhaupt, als habe er immer auf der falschen Seite gestanden, wie sich noch zeigen wird.

Ganz anders entwickelte sich die Lebensgeschichte von Tiberius’ Großvater mütterlicherseits. In unerschütterlicher Treue stand er zur Senatsherrschaft. Doch der Sieg der Caesar-Rächer bei Philippi ließ ihn verzweifeln. Er mochte ahnen, dass die res publica für immer verloren war, und stürzte sich in sein Schwert.

Als die Verfechter der republikanischen Freiheit auf griechischem Boden geschlagen worden waren, schrieb Rom das Jahr 711 a.u.c. (42 v. Chr.), das auch das Geburtsjahr des späteren Kaisers Tiberius war. Sein Vater hatte einige Zeit zuvor Livia Drusilla geheiratet, seine Verwandte, die nicht nur eine stadtbekannte Schönheit, sondern schon als junges Mädchen überaus ehrgeizig war. Es war sicherlich keine Verbindung, die auf gegenseitiger Zuneigung gründete. Derartige Ehen waren in Rom nicht üblich. Die Eltern hatten die Heirat arrangiert. Familiäre Rücksichten mochten dabei ausschlaggebend gewesen sein, und auch Geld spielte wohl eine entscheidende Rolle. Es sollte in der Familie bleiben. Der jungen Livia war es zunächst sicherlich recht. Der ihr verordnete Gatte gehörte der römischen Hocharistokratie an und damit zu den ältesten und angesehensten Sippen der Stadt, was ihrem Ehrgeiz sehr entgegenkam. Denn die stolze Schöne trug schwer daran, dass sie durch die Adoption ihres Großvaters auch in das plebejische Geschlecht der Livier geraten war. Jedenfalls wurde sie nicht müde, immer und überall ihre claudische Abstammung zu betonen und darauf hinzuweisen, dass sich ihr Großvater auf die Livier nur eingelassen habe, um eine drohende Verarmung zu verhindern. Vom Geburtsort ihrer Mutter, der bereits erwähnten Kleinstadt Fundi, war bei ihr überhaupt nicht die Rede.

Die zeitgenössische Geschichtsschreibung schilderte schon die junge Frau als hochfahrendes, zu Herrschsucht neigendes Wesen, was man allerdings, ganz im Einklang mit den Vorstellungen des Römertums, dem unglücklichen Gestirn zuschrieb, unter dem sie geboren war: dem Sternzeichen des Wassermanns. Im Laufe ihres langen Lebens sollte sich diese Einschätzung als allzu richtig erweisen.

Wenn sich ein derartiger Charakterzug tatsächlich schon bei der Heranwachsenden zeigte, so war der düstere und zurückhaltende Ehemann, der zudem um einiges älter war als sie, sicherlich nicht die richtige Partie, und es war abzusehen, dass ein Leben an seiner Seite auf Dauer Livia Drusillas Ansprüchen nicht genügen würde. Dies umso mehr, als der Gatte, unentschlossen, für welche politische Richtung er sich entscheiden sollte, immer wieder die Fronten wechselte und erst kurz vor Ende seines nicht allzu reichlich bemessenen Lebens zwangsläufig ein wenig zur Ruhe kam. Livia machte aus ihrer Verachtung für den schwächlichen Mann, der ihr von ihrer Familie und vom Schicksal aufgezwungen worden war, bald keinen Hehl mehr. War dieser Versager ihrer überhaupt würdig, dieser bereits ältliche, ein wenig untersetzte Mensch, den sie nicht nur körperlich um einiges überragte? Traf es zu, dass sie sich ihm anfangs verweigerte und eine Annäherung erst im Alter von sechzehn Jahren zuließ, ganz ungewöhnlich für eine Römerin der damaligen Zeit, die doch bereits mit zwölf Jahren als geschlechtsreif und damit ehefähig galt? Wir wissen es nicht. Doch hat sich bald nach den ersten Begegnungen im ehelichen Bett eine Schwangerschaft eingestellt, die Livia mit ihrem Schicksal ein wenig versöhnte. Ihre Freude mag umso größer gewesen sein, als sie einen Jungen gebar, der, so hoffte sie, ihr einst ähnlich werden und den Stamm der Claudier weiterführen würde, so es den Göttern gefiele.

Das Neugeborene wurde seinem Vater zu Füßen gelegt. Er musste es aufheben und damit anerkennen. So verlangte es der Brauch. Auch bei der Namensgebung war man der Tradition verpflichtet. Der Erstgeborene wurde Tiberius Claudius genannt wie vor ihm sein Vater und davor wiederum dessen Vater.

Misstrauisch verfolgte Livias unsicherer Ehemann die politische Entwicklung. Er stand noch immer auf der Liste der zum Tode Verurteilten, und es galt, den Häschern der Triumvirn unbeschadet zu entkommen. Beim Heranrücken derer, die ihm nach dem Leben trachteten – er befand sich gerade mit seiner jungen Familie im sicher geglaubten Neapel – bestieg er mit den Seinen heimlich und in aller Eile ein Schiff, das ihn nach Sizilien bringen sollte. Die Aufregung des überstürzten Aufbruchs muss sich auch auf seinen kleinen Sohn übertragen haben. Mit seinem Gewimmer hätte er die Absicht seiner Eltern beinahe verraten. Einmal, so berichtet der antike Biograf, als er von der Brust seiner Amme gerissen wurde, und das zweite Mal, als man ihn seiner Mutter wegnahm. Beides geschah jedoch nicht in böser Absicht. Man wollte den Frauen in der kritischen Lage, in der sich die Fliehenden befanden, ihre Last abnehmen, um schneller vorwärts zu kommen. Zu allem Unglück glitt Livia noch auf dem schmalen, glitschigen Steg aus, der auf das Schiff führte, und wäre ins Wasser gefallen, hätte ihr Mann sie nicht aufgefangen. Dass sie mit ihrem Gatten die Beschwernisse und Gefahren der Flucht teilte, zeugt davon, wie hoch sie die Pflicht der römischen Matrone achtete. Tiberius mochte nicht der Mann sein, den sich eine junge Frau in einsamen Nächten erträumte, aber sie war mit ihm verheiratet und hatte alles mit ihm zu erdulden. Nur darauf kam es an. Wenige Jahre später sollte sie auf ihn und ihre kleine Familie allerdings keine Rücksicht mehr nehmen.

Der eilige Aufbruch brachte die Reisegesellschaft schließlich nach Sizilien, wo Tiberius bei Sextus Pompeius, dem Sohn des Pompeius Magnus, nach anfänglichen Schwierigkeiten Aufnahme, Zuflucht und neue Aufgaben zu finden hoffte. Er glaubte, Pompeius, der sich selbst zum „Seekönig“ ernannt hatte und ein strikter Gegner des in Rom herrschenden Dreimännerbundes war, sei als Einziger in der Lage, die republikanische Freiheit wiederherzustellen. Aber er fand nur einen müßigen Feldherrn vor, der seine Zeit mit üppigen Festgelagen vergeudete und einer verlotterten Flotte vorstand. Anstatt für den in Tiberius’ Augen nötigen Freiheitskrieg zu rüsten, verprasste Sextus Pompeius die Abgaben, die die sizilischen Bauern zu leisten hatten, stellte sich blind, wenn seine Schergen wie gemeine Piraten Handelsschiffe überfielen und ausraubten und verjubelte das ohnehin wenige Geld, das er eigentlich für den Kampf um Rom vorgesehen hatte. Die lauen Nächte hallten wider vom Gegröle der Betrunkenen, und der Seekönig machte überhaupt keine Anstalten, sich ernsthaften Dingen zuzuwenden.

Mit diesem Mann, das erkannte Tiberius sehr bald, war im wahrsten Sinne des Wortes kein Staat zu machen. Dennoch freute sich die Familie über die gastliche Aufnahme, die ihr im Haus des Pompeius bereitet wurde, hatte sich ihr gegenüber doch in letzter Zeit kaum jemand freundlich gezeigt. Besonders Schwester Pompeia, die das Los ihres Bruders, die „Verbannung“ aus Rom, teilte, war von dem kleinen Tiberius so entzückt, dass sie ihn, wo es nur ging, verwöhnte. Das Kind erhielt von ihr wertvolle Geschenke, unter anderem ein Mäntelchen mit einer kostbaren Spange und goldene Amulette. Noch Jahrzehnte später konnte man Suetonius zufolge diese Gaben im noblen Badeort Baiae an der Küste Campaniens bewundern.2

Bei aller Freundschaft und trotz des kaum noch für möglich gehaltenen Wohllebens, das man den Claudiern auf Sizilien bot, war an ein langes Bleiben auf der Insel nicht zu denken. Zum einen war man den feindlichen Häschern zu nahe. Zum anderen waren ihnen die Hände gebunden. Die Claudier mussten sich also erneut den Launen der See überlassen.

Ihr Ziel war Griechenland, wo vor ihnen schon zahlreiche Angehörige der römischen Oberschicht Zuflucht und Schutz vor feindlichen Nachstellungen gesucht und gefunden hatten. Ohnehin bestanden vor allem zu den Spartanern jahrzehntealte Beziehungen. Hatten sich doch diese vor mehreren Generationen, nachdem die Griechen von Rom unterworfen worden waren, ausdrücklich unter den Schutz der Claudier gestellt. Man durfte also annehmen, dort willkommen zu sein.

Derweil hatten die Angehörigen des wieder einmal zerstrittenen Triumvirats erneut zueinander gefunden. Im Grunde teilten sich nun Caesars Adoptivsohn Octavian und Marcus Antonius die Macht, Octavian erhielt den Westen des Imperiums, Antonius die östlichen Reichsteile. Der Dritte im Bunde, Lepidus, wurde mit dem Norden Afrikas abgefunden, durfte aber das Amt des obersten Priesters, des Pontifex Maximus, behalten, da dieses auf Lebenszeit vergeben war. Die Verhältnisse waren also friedlicher geworden. Und vielleicht, überlegte Tiberius Claudius, würde sich ja ein Marcus Antonius daran erinnern, dass er, Tiberius, vor einigen Jahren für Antonius’ Sache vor Perusia gekämpft hatte. Die Gelegenheit schien günstig. So beschloss er, sich Marcus Antonius anzuschließen und die Rückkehr nach Rom zu wagen. Er ahnte nicht, dass andere lebensbedrohende Ereignisse anstanden, die seine Heimkehr verzögern sollten.

Im Schutze der Nacht waren die Flüchtlinge aus dem sicheren lakedämonischen Exil aufgebrochen, als sich die ganze Gesellschaft in einem Wald plötzlich von meterhohen Flammen eingeschlossen fand. Schon waren Livias Kleider angesengt, ihr Gesicht rußgeschwärzt und das Haar von der Hitze gekräuselt. Mit dem Mut der Verzweiflung warf sich die junge Frau auf ihr Kind, um wenigstens dessen Leben zu retten. Und es grenzt fast an ein Wunder, dass die Claudier diesem Inferno ohne größeren Schaden entkamen. Ob es sich um einen jener Waldbrände in südeuropäischen Ländern handelte, von denen wir auch heute noch immer wieder hören oder gezielte Brandstiftung vorlag, der die Claudier zum Opfer fallen sollten, ist nicht bekannt. Höchstwahrscheinlich aber hat die traumatische Erfahrung entscheidend dazu beigetragen, dass Sohn Tiberius im Herzen seiner Mutter Zeit ihres Lebens einen besonderen Platz einnahm, den ihm nicht einmal Bruder Drusus, mit seinem leutseligen und freundlichen Wesen das krasse Gegenteil des Älteren, streitig machen konnte. Die sicherlich übertriebene Mutterliebe schreckte selbst vor mehrfachem Mord zu Gunsten des Sohnes nicht zurück, wie sich noch zeigen wird. Der Erstgeborene war und blieb ihr Augapfel, auch in Zeiten, in denen zwischen Mutter und Sohn tiefe Spannungen herrschten.

Es ist kaum möglich, dass sich das Kind, bei der Rückkehr der Familie nach Rom gerade zwei Jahre alt, an Flucht, Vertreibung und den lebensbedrohenden Waldbrand erinnerte. Wahrscheinlich hat Livia ihrem Lieblingssohn von den Ereignissen berichtet, nach denen er, wie es Kinderart ist, sicherlich immer wieder fragte, bis sich das Erzählte in seiner Phantasie zu eigenem Erleben verdichtete. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass schon damals der Grundstock zu Tiberius’ Wertschätzung alles Griechischen gelegt wurde. Erst viel später sollte er auch den Zauber von Inseln entdecken. Die als Erwachsener auf Rhodos nicht ganz freiwillig verbrachten Jahre betrachtete er rückblickend als die glücklichsten seines ganzen Lebens …

Als er vier Jahre alt war, gingen im Haus am Caelius-Hügel, zu jener Zeit eine der vornehmsten Wohngegenden Roms, seltsame Dinge vor, die auch dem kleinen Tiberius nicht entgingen. Immer öfter erschien dort ein junger Mann mit blauen Augen unter gelocktem Blondhaar, der von dem kleinen Jungen kaum Notiz nahm. Schön war er nicht, dieser Fremde, der, sooft er lachte, eine lückenhafte Reihe gelber Zähne zeigte und auf das Kind fast ein wenig unheimlich wirkte. Nicht schön und auch nicht so vornehm wie Vater Tiberius. Wohnte er doch auch nicht auf dem Caelius, sondern im eher unscheinbaren, leicht verwahrlosten Haus des unbedeutenden Redners Calvus in der Stiegengasse.

Überhaupt war er von zweifelhafter Herkunft, was der Vater oft betonte. Aber erst, wenn der Fremde wieder gegangen war. Tiberius erfuhr zwar später, der Jüngling sei von seinem Großonkel Gaius Iulius Caesar noch kurz vor dessen Ermordung an Sohnes statt angenommen worden, aber selbst der große Julier konnte sich keiner altehrwürdigen Ahnen rühmen, was er freilich dennoch tat. Vater Tiberius erinnerte sich noch gut, dass dieser Caesar einst in öffentlicher Rede seine Herkunft auf Urvater Aeneas und dessen göttliche Mutter Venus und gleichermaßen auf den Kriegsgott Mars zurückgeführt und damit seiner Gens eine gewaltige Aufwertung beschert hatte. Aber es war allseits bekannt, dass Caesars unmittelbare Vorfahren aus der Subura kamen, der schmuddeligen Unterstadt, in die keiner von Roms Noblen ohne Not je auch nur einen Fuß gesetzt hätte.

Was wollte der eigenartige Gast nur immer in Tiberius’ Haus? Und warum ließ er, sooft er zu Besuch kam, Mutter Livia nicht aus den Augen? Der kleine Junge fand keine Erklärung dafür. Erst allmählich erfuhr das besorgte Kind, dass der Mann Octavian hieß und derjenige war, vor dessen Hass sein armer Vater über Land und Meer hatte fliehen müssen. Und ab und zu war auch zu vernehmen, dass sein Vater nur am Leben geblieben war, weil dieser unsympathische Mensch ein Auge auf die schöne Livia Drusilla geworfen hatte.

Was mag der Junge gefühlt haben, als er langsam begriff, dass Octavians Besuche ausschließlich der Mutter galten, die sich zunehmend, auch das kann dem heranwachsenden Kind kaum verborgen geblieben sein, ihrem Gatten und ihrer Familie und damit auch ihm, dem Sohn, entfremdete? Ohnmächtig musste der Kleine zusehen, wie die ihm gewohnte heile Welt langsam zu bröckeln begann und der Vater von Tag zu Tag trauriger und schweigsamer wurde.

Denn Livia Drusilla zeigte sich keineswegs unempfänglich für die Schmeicheleien des hartnäckigen Besuchers. Mit dem sicheren Instinkt für Einfluss und Macht sah sie in ihm die Zukunft Roms, eine Zukunft, die ihr äußerst verlockend erschien. War er nicht genau der Mann, der, ihr ähnlich, trotz seiner Jugend längst nach den Sternen griff? Dessen Erfolg allenthalben bereits abzusehen war? Waren ihm doch in dem Vertrag, den der Dreimännerbund abgeschlossen hatte, der Westen des Reiches und die Hauptstadt Rom zugefallen, während Caesars Freund und erfahrener General Marcus Antonius nur Herr des Ostens geworden war? Dem jungen Octavian standen damit alle Türen offen, und er machte schon jetzt von seinen Möglichkeiten rücksichtslos Gebrauch.

Wir wissen nicht, was Vater Tiberius zuletzt bewog, dem gnadenlosen Aufsteiger, der bislang hauptsächlich durch unvorstellbare Grausamkeit aufgefallen war – man denke nur an sein Wüten in Perusia, wo er vor wenigen Jahren ohne Erbarmen 300 Patrizier hatte abschlachten lassen –, die Frau abzutreten. Die bis heute andauernde Verwunderung darüber war und ist umso größer, da bekannt wurde, dass Livia mit ihrem zweiten Sohn im sechsten Monat schwanger war. Schon munkelte man in Rom hinter vorgehaltener Hand, dieses Kind, das den Namen Drusus tragen sollte, sei die Frucht eines Seitensprungs der Mutter mit dem um sie werbenden Verehrer, der bald aus seiner Begierde keinen Hehl mehr machte. Welche Druckmittel mögen Tiberius Claudius Nero überzeugt haben, auf seine schöne Ehefrau zu verzichten, auch wenn man ihm versprach, das Kind nach seiner Geburt sogleich dem Vater „zurückzugeben“? Und weshalb versteifte sich Octavian gerade auf diese Frau, wo es doch in Rom an Schönheiten gewiss nicht mangelte?

Es kann kaum nur darum gegangen sein, einen Angehörigen eines der ältesten und vornehmsten Geschlechter der Stadt zu demütigen. Aber Octavian war sich durchaus bewusst, dass er nur durch die Verbindung mit einer Frau, die der Hocharistokratie angehörte, Zugang zum inneren Kreis der römischen Nobilität erlangen würde, die noch immer die höchsten Staatsämter unter sich aufteilte. Scribonia, einige Jahre älter als er, mit der er noch verheiratet war und die zur Gens des Pompeius gehörte – sie war eine entfernt Verwandte des Seekönigs –, genügte dazu nicht. Die Pompeianer, die noch eine Generation zuvor einen Pompeius Magnus hervorgebracht hatten, hatten ihre beste Zeit hinter sich. Es war abzusehen, dass diese Familie in der Geschichte Roms keine große Rolle mehr spielen würde. Da konnte Octavian, wie er glaubte, auch keine Rücksicht darauf nehmen, dass ihm Scribonia gerade eine Tochter geboren hatte. Julia, das einzige legitime Kind, das er je haben würde, sollte ihm aber noch großen Kummer bereiten.

Der vierjährige Tiberius blieb also bei seinem Vater, während Mutter Livia zu Octavian zog, der sich von Scribonia scheiden ließ und die Schwangere zur Frau nahm, freilich nicht ohne zuvor die Priesterschaft Roms (der er selbst angehörte) zu fragen, ob solche Eile nicht unsittlich oder gar unglückbringend war. Nachdem die Götter ihre Zustimmung erteilt hatten, stand der Heirat nichts mehr im Wege. Und die Römer hatten ihren Skandal. „Wer Glück hat, bekommt auch noch ein Dreimonatskind“, spotteten sie auf den Straßen. Aber die Neuvermählten, bei denen möglicherweise auch gegenseitige Zuneigung eine Rolle spielte, störten sich daran nicht. Sie ließen den Römern ihren Spaß und übergaben den kleinen Drusus vereinbarungsgemäß dem Mann, der zumindest nach dem Gesetz sein Vater war. Und doch verstummten die Spekulationen nicht. War das alles ein abgekartetes Spiel? War vielleicht dieser Drusus doch das Produkt eines Ehebruchs seiner keineswegs so sittenstrengen Mutter? Niemand weiß es. Schon die äußere Ähnlichkeit mit Octavian und sein freundliches Wesen – er sollte sich später zum beliebtesten Mitglied des gesamten Kaiserhauses entwickeln – könnten dafür sprechen. Nur die unmittelbar Beteiligten wussten, was wirklich geschehen war, und sie haben dieses Wissen mit ins Grab genommen.

Für den verlassenen Ehemann war die ganze Geschichte wohl doch nicht so leicht zu verkraften, wie es anfangs den Anschein hatte. Die Schande, gegen den skrupellosen jungen Aufsteiger verloren zu haben, lastete schwer auf ihm und setzte seiner Gesundheit heftig zu. Er verfiel in eine tiefe Traurigkeit, aus der ihn auch der kleine Sohn, dem das Leiden des Vaters sicherlich nicht entging, nicht erlösen konnte. Es gelang ihm kaum mehr, sich um Tiberius Junior zu kümmern, der bald der Obhut allzu strenger Pädagogen überlassen wurde, als müsste der Vater den Mangel an eigener Zuwendung kompensieren. Die Mutter sah der Junge kaum noch, allenfalls während gelegentlicher flüchtiger Besuche, die fast im Geheimen abzulaufen hatten. Möglicherweise wollte sie ihrem ersten Ehemann nicht begegnen. Denn sie muss erkannt haben, wie sehr sich dieser grämte und wie rasch er verfiel, nachdem ihn die ganze Stadt zum Hahnrei erklärt hatte und sich darüber hinaus über ihn lustig machte, da er so offensichtlich immer die falsche politische Wahl traf, das heißt, sich im Kampf um Einfluss und Macht stets der falschen Seite angeschlossen hatte. Für die schadenfrohen Römer galt er als Verlierer schlechthin. Und Verlierer schätzte man in einer Gesellschaft nicht, die sich gerade anschickte, die Weltherrschaft zu erringen. Immer misstrauischer und menschenscheuer wurde Tiberius Claudius, immer mehr zog er sich in sich selbst zurück. Bald verließ er sein Haus überhaupt nicht mehr.

Octavian, dem eine erneute Vaterschaft vom Schicksal versagt blieb, ließ nichts unversucht, das heranwachsende Kind für sich einzunehmen. Drusus, der jüngere Bruder, war ein fröhlicher, aufgeschlossener Junge, der keiner besonderen Aufmerksamkeit bedurfte. Ihm flogen die Herzen ohnehin im Sturm zu. Bei den wenigen Besuchen des kleinen Tiberius auf dem Palatin, wo das junge Paar jetzt wohnte, bemühte sich Octavian daher, den störrischen Knaben, der das Geschehen mit stumpfer Miene und geschlossenen Lippen verfolgte, mit kostbaren Geschenken für sich einzunehmen. Aber Livias Sohn fiel auf solch plumpe Annäherungsversuche nicht herein. Er machte deutlich, dass er sich, wenn überhaupt, allenfalls für bestimmte Bücher interessierte, nicht für irgendwelche Waffen, mit denen ihn der neue Mann an der Seite seiner Mutter zu überlisten versuchte. Dies brachte ihm Verachtung und Spott des gesamten stiefväterlichen Haushalts ein. Wer interessierte sich schon für Bücher? Schon damals zeichnete sich ab, dass sich das Verhältnis von Tiberius zu Octavian niemals zu einem herzlichen entwickeln würde.

Die erste wirklich große Herausforderung traf Livias Sohn, als der Vater starb, ein gebrochener, am Leben verzweifelter Mann, den zuletzt eine unbekannte körperliche Krankheit gequält hatte, wohl hervorgerufen durch die vielfache Schmach, die er hatte erfahren müssen. Es war jedoch, wie gesagt, nicht nur der Verlust der Frau, der ihn gekränkt hatte. Ohnehin hatten ihn an sie keine großen Gefühle gebunden. Mehr noch muss ihm bewusst gewesen sein, dass er sein Leben vertan hatte. Leer, grau und verächtlich war es ihm nun selbst erschienen. Was er auch begonnen hatte, immer war es missraten. Stets hatte er auf der falschen Seite gestanden, hatte Ruf und Ehre, hatte alles verloren. Und Hoffnung auf Veränderung zum Guten hin gab es nicht mehr.

Ein Rhetor hatte die Leichenrede gefertigt, die Tiberius’ gleichnamiger neunjähriger Sohn vor dem aufgerichteten Scheiterhaufen hielt. Als die Flammen zusammengefallen und nur noch glühende Holzscheite übrig geblieben waren, führte man die beiden Claudiersöhne vom Marsfeld unmittelbar in das Wohnhaus von Mutter und Stiefvater, wo zumindest für den verschlossenen Älteren ein lebenslanger Leidensweg begann.


1 Tranquillus, Suetonius, künftig Suet. Leben der Caesaren, Tib. 2 f.

2 Suet. Tib. 6.