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Das Kursmanual Fit & Gesund wurde durch den Wissenschaftlichen Beirat Gesundheitssport des DTB auf der Grundlage zweier unabhängiger wissenschaftlicher Gutachten als „präventionsgeprüft“ zertifiziert. Das Programm ist an den Kernzielen von Gesundheitssport orientiert, auf die Zielgruppe der Erwachsenen mit Bewegungsmangel zentriert, über viele Jahre hinweg praktisch erprobt und auf positive gesundheitliche Wirkungen mehrfach wissenschaftlich überprüft.

Das 60-Minuten-Programm ist bei der Zentralen Prüfstelle Prävention mit dem Titel „Fit & Gesund – Ein 60 Minuten Gesundheitssportprogramm zur umfassenden Stärkung der Fitness – mit einem Schwerpunkt Ganzkörperkräftigung“ zertifiziert.

Für das 90-Minuten-Allround-Gesundheitssportprogramm ist seitens des DTB eine Zertifizierung angestrebt (Stand Februar 2018).

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit haben wir uns entschlossen, durchgängig die männliche, bzw. eine neutrale Anredeform zu nutzen, die selbstverständlich immer die weibliche mit einschließt.

Das vorliegende Buch wurde sorgfältig erarbeitet. Dennoch erfolgen alle Angaben ohne Gewähr. Weder die Autoren noch der Verlag können für eventuelle Nachteile oder Schäden, die aus den im Buch vorgestellten Informationen resultieren, Haftung übernehmen.

Kursmanual

Walter Brehm/Iris Pahmeier/Michael Tiemann

Fit & Gesund –

Ein Gesundheitssportprogramm zur umfassenden Stärkung der Fitness

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Als 90-Minuten-Allround-Gesundheitssportprogramm

Als 60-Minuten-Gesundheitssportprogramm – mit einem Schwerpunkt Ganzkörperkräftigung

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Fit & Gesund

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Details sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie das Recht der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form – durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren – ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, gespeichert, vervielfältigt oder verbreitet werden.

© 2011 by Meyer & Meyer Verlag,

Die Autoren:

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Prof. Dr. Walter Brehm ist emeritierter Professor am Institut für Sportwissenschaft der Universität Bayreuth. Ein zentraler Schwerpunkt seiner Forschung und Lehre ist die Thematik Gesundheitssport bzw. körperliche Aktivität und Gesundheit sowie deren Förderung. Neben der Mitgliedschaft in den verschiedensten wissenschaftlichen Beiräten und Gremien war er von 2009 bis 2017 auch Vizepräsident beim Deutschen Turner-Bund und verantwortete dort den Bereich der GYMWELT, einschließlich des gesamten Fitness- und Gesundheitssports.

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Prof. Dr. Iris Pahmeier ist Professorin an der Universität Vechta mit einem Schwerpunkt Gesundheitssport und Gesundheitsförderung in Forschung und Lehre. Sie ist Mitglied in wissenschaftlichen Beiräten des Deutschen Olympischen Sportbundes und des Deutschen Turner-Bundes, Vorstandsmitglied der Kommission Gesundheit der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft sowie gefragte Expertin u.a. bei Ministerien und Krankenkassen.

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Prof. Dr. Michael Tiemann ist Professor für Sportwissenschaft an der SRH Hochschule für Gesundheit am Campus Leverkusen. Er lehrt und forscht dort im Studiengang Physiotherapie. Zudem ist er Mitglied in wissenschaftlichen Beiräten und Expertengremien des Bundesministeriums für Gesundheit, des Deutschen Olympischen Sportbundes und des Deutschen Turner-Bundes. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen bewegungsbezogene Prävention und Gesundheitsförderung, Rehabilitation, Rehabilitationsnachsorge und E-Health.

Inhalt

1Gesundheitssport und Fitnesssport: Bausteine der Gesundheit

2Zielgruppe, Ziele und Aufbau der Einheiten

2.1Die Zielgruppe: Erwachsene mit Bewegungsmangel

2.2Die Ziele: Sechs Kernziele von Gesundheitssport und deren Konkretisierung

2.3Der Aufbau der Einheiten: Sieben Sequenzen

3Inhalte und methodische Hinweise zu den sieben Sequenzen der 12 Einheiten

3.1Einstieg

3.2Einstimmung und Erwärmung

3.3Ausdauer

3.4Kraft, Dehnfähigkeit und Koordination

3.5Entspannung

3.6Ausklang und Abschluss

3.7Information

4Die 12 Einheiten des 90-Minuten-Programms und der 60-Minuten-Variante (Stundenbilder)

4.1Einheit 1

4.2Einheit 2

4.3Einheit 3

4.4Einheit 4

4.5Einheit 5

4.6Einheit 6

4.7Einheit 7

4.8Einheit 8

4.9Einheit 9

4.10Einheit 10

4.11Einheit 11

4.12Einheit 12

4.13Die 60-Minuten-Variante des Programms

4.14Hinweise zur Weiterführung des Kursprogramms

5Sicherung der Programmqualität durch qualifizierte Umsetzung

5.1Qualifikation der Kursleiter

5.2Vernetzung und Institutionalisierung des Programms Fit und Gesund

5.3Ergänzung des Programms durch den EFB-Test (Fitnesstest für Einsteiger)

6Sicherung der Programmqualität durch Evaluation und Zertifizierung

6.1Wissenschaftliche Evaluationen und zentrale Ergebnisse

6.2Zertifizierung DTB

6.3Zertifizierung Zentrale Prüfstelle Prävention

7Anhang

Pulskontrollkarte

Infoblätter Teilnehmer 1-13

Literatur

Bildnachweis

1Gesundheitssport und Fitnesssport: Bausteine der Gesundheit

Der häufig als Turnvater bezeichnete Friedrich Ludwig Jahn führte bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts zur Begründung der von ihm verfassten Turnkunst an, dass jeder Mensch seine Anlagen systematisch ausbilden müsse. Falls dies nicht geschehe, würden die Anlagen verkümmern, mit vielen negativen Folgen für Leistungsfähigkeit und Gesundheit. Das Turnen stellte für Jahn dementsprechend eine „Brauchkunst des Leibes und des Lebens“ dar – über die jeder Mensch verfügen sollte, um umfassend fit und damit auch gesund zu bleiben. Diese Sichtweise des Turnens stand in der Tradition der Gymnastik, deren Wurzeln sich bis in die Antike zurückverfolgen lassen. Das „Programm“ der Turnkunst war dementsprechend mit einer Vielzahl an Übungen einerseits auf eine systematische Stärkung insbesondere der Fitnessfaktoren Ausdauer, Kraft, Gewandtheit und Beweglichkeit hin ausgerichtet, andererseits aber auch auf eine Ausbildung psychischer und sozialer Faktoren, wie z. B. positiver Körperbezug, Selbstbewusstheit und Kooperation. Wichtig war Jahn auch, dass nicht nur stupide geübt wird, sondern dass das (Gesundheits-)Programm Spaß macht – es soll zum Wiederkommen und zum Weitermachen motivieren. Auch in anderen Kulturkreisen finden sich entsprechende historische Versuche, über motivierende, gleichzeitig aber auch systematische körperliche Aktivitäten die Gesundheit umfassend zu erhalten und zu fördern – man denke etwa an die Traditionen der Kampfkünste in China oder der Tanzkünste in Afrika.

Auf der Grundlage des heutigen wissenschaftlichen Kenntnisstands1 können vielfältige positive Zusammenhänge zwischen körperlich-sportlicher Aktivität und den verschiedenen Facetten von Gesundheit und Wohlbefinden als gesichert gelten – wenn die körperlich-sportliche Aktivität strukturiert und systematisch durchgeführt wird, was z. B. die Berücksichtigung von Belastungsparametern oder auch von psychosozialen Aspekten anbelangt.

In Abb. 1 zu den „Wirkungen von körperlich-sportlicher Aktivität auf die Gesundheit“ sind solche Zusammenhänge im Überblick dargestellt. Danach können körperlich-sportliche Aktivitäten einen Beitrag zur Stärkung sowohl physischer (insbesondere Fitnessfaktoren, d. h., Ausdauer, Kraft etc.) als auch psychosozialer Gesundheitsressourcen (u. a. sozialer Rückhalt, Selbstkonzept, Selbstwirksamkeit, Wissen) leisten und in der Folge zur Vorbeugung und Bewältigung von physischen (u. a. Risikofaktoren wie Übergewicht oder Bluthochdruck) und psychosozialen Belastungssymptomen (u. a. Beschwerden, Stress) beitragen. Auf diese Weise wirken sportliche Aktivitäten indirekt auf Belastungssymptome. Daneben sind auch direkte Wirkungen denkbar, z. B. wenn durch die Beteiligung an sportlichen Aktivitäten vorhandene Belastungssymptome (z. B. Stress) abgepuffert oder wenn die Wahrnehmung von Symptomen (z. B. Beschwerden, Schmerzen) beeinflusst werden. Eingebunden sind diese Wirkungen in externe Rahmenbedingungen – im Erwachsenenalter u. a. Sozialstatus, Familie, Freunde, Beruf, Sportverein –, die ihrerseits als Anforderungen und Ressourcen das Wirkungsgefüge von Aktivität und Gesundheit beeinflussen.

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Abb. 1: Wirkungen von körperlich-sportlicher Aktivität auf die Gesundheit (Brehm, Sygusch & Tittlbach, 2008, S. 36)

Im Hinblick auf die notwendige Strukturiertheit der körperlich-sportlichen Aktivität können zumindest folgende Erkenntnisse und Anforderungen als gesichert gelten:

• Zum Erhalt und zur Verbesserung der Gesundheit sind Alltagsaktivitäten (z. B. Treppensteigen) wichtig, aber weniger effektiv als Sportaktivitäten (z. B. Fußball, Volleyball, Golf). Am effektivsten sind für die Gesundheit allerdings systematische Fitnessaktivitäten. Als Minimum für strukturierte körperlich-sportliche Aktivitäten gelten 30 min möglichst täglich, d. h., 2-4 h pro Woche.

• Die Fitnessfaktoren sollten möglichst umfassend (d. h., Ausdauer, Kraft, Dehnfähigkeit/Beweglichkeit, Koordinationsfähigkeit, Entspannungsfähigkeit) und jeweils mindestens 1 x wöchentlich angesprochen werden. Günstig für ein Training dieser Faktoren im Kontext einer Übungseinheit sind 90 min. Eine Realisation von 60-Minuten-Einheiten erfordert eine zeitliche Schwerpunktsetzung.

• Psychosoziale Faktoren (z. B. soziale Unterstützung und Einbindung, Wissens- und Kompetenzerweiterung, Stimmungsimpulse) sollten möglichst systematisch einbezogen werden, nicht nur zur Verbesserung der psychosozialen Gesundheitsaspekte, sondern auch zur Stärkung von Motivation und Bindung an die körperlich-sportlichen Aktivitäten.

• Bei speziellen Zielgruppen – z. B. des Personenkreises mit Bewegungsmangel und mit gesundheitlichen Problemen – müssen deren Voraussetzungen berücksichtigt und entsprechende Schwerpunkte in der Aktivierung gesetzt werden.

Vereinfacht ausgedrückt, bedeuten diese Erkenntnisse aus den Gesundheits- und Sportwissenschaften für Programme, die die Gesundheit systematisch fördern sollen, Folgendes:

• Je höher die Qualität der Programme ist (u. a. Berücksichtigung von Belastungsparametern, Einbeziehung psychosozialer Aspekte, Ausbildung der Übungsleiter, Optimierung der Voraussetzungen zur Durchführung der Aktivitäten), desto wahrscheinlicher sind positive Auswirkungen auf die Gesundheit.

• Je spezifischer die Voraussetzungen der Teilnehmer an den Programmen einbezogen werden können, desto wirksamer sind die Programme.

Auf solche Erkenntnisse hat in Deutschland insbesondere der Deutsche Turner-Bund seit etwa 1990 reagiert und eine Systematik von Gesundheitssport und Fitnesssport – verbunden mit einer Vielfalt an Programmen und Angeboten – entwickelt, die einerseits die Voraussetzungen der Teilnehmer und andererseits die Qualität der Programme und Angebote einbezieht.

Gesundheitssport fokussiert auf spezifische Zielgruppen, insbesondere auf Erwachsene mit dem Risikofaktor Bewegungsmangel, auf Erwachsene mit spezifischen gesundheitlichen Problemen (z. B. Rückenschmerzen, Adipositas) sowie auf gesundheitlich besonders gefährdete Kinder und Jugendliche (z. B. mit starkem Übergewicht). Gesundheitssport soll den Zielen sowie Qualitätsanforderungen einer Gesundheitsförderung im Sinne der Weltgesundheitsorganisation (WHO) genügen, d. h., neben möglichst umfassenden Verbesserungen des Gesundheitsstatus sollen körperlich-sportliche Aktivitäten als „stabiles“ Gesundheitsverhalten entwickelt und die Rahmenbedingungen für die Durchführung des Gesundheitssports (Bewegungsverhältnisse) möglichst optimal ausgestaltet werden. Eine „umfassende“ Verbesserung des Gesundheitsstatus geht dabei zunächst von einer gezielten Stärkung der physischen Ressourcen (Fitnessfaktoren) sowie wichtiger psychosozialer Ressourcen (u. a. Wissen, Stimmung, Selbstwirksamkeit, Integration) aus. Eine Minderung von Risikofaktoren und eine Bewältigung spezifischer Gesundheitsprobleme erfordern zudem teilweise ergänzende Maßnahmen. Des Weiteren setzt Gesundheitssport die Entwicklung von speziellen Gesundheitssportprogrammen voraus, die in ihrer Qualität und in der strukturellen Einbindung (z. B. in den Verein) bestmöglich gesichert sind.

Zur Durchführung eines Gesundheitssports stehen inzwischen einige Gesundheitssportprogramme zur Verfügung, die als Übungsleitermanuale veröffentlicht und in ihrer Qualität geprüft sind. Dazu gehört u. a. das vorliegende Programm Fit & Gesund. Ergänzend wurden vom Deutschen Turner-Bund Arbeitshilfen für Übungsleiter entwickelt, insbesondere im Hinblick auf die Stärkung physischer sowie psychosozialer Ressourcen.

Fitnesssport beinhaltet insbesondere Dauerangebote für Jugendliche und Erwachsene, die zumeist bereits Bindung an körperlich-sportliche Aktivität aufgebaut haben. Das Angebot wird differenziert einerseits nach körperlichen Voraussetzungen und andererseits nach Interessen bzw. nach speziellen Erwartungen (z. B. Körperformung, Naturerfahrungen, Körpererleben, Entspannung). Fitnesssport zielt zentral auf die Stärkung physischer und psychosozialer Ressourcen – insbesondere auf allgemeine Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden. Die Angebote im Fitnesssport setzen auf motivierende und abwechslungsreiche Inhalte (u. a. Bewegungsformen aus anderen Kulturen) sowie Rahmenbedingungen (u. a. Musik, Materialien, Geräte, Natur). Zum Angebotsspektrum zählen traditionelle Angebote der körperbildenden Gymnastik ebenso wie das Training an Geräten und Maschinen (z. B. im vereinseigenen Fitnessstudio) und Neuentwicklungen im Rahmen von Trends. Die Qualität im Fitnesssport wird insbesondere durch die Qualifikation der Übungsleiter gesichert und nicht zwingend durch spezielle Programme.

Im Fitnesssport haben sich viele Gruppenangebote etabliert, wie z. B. Aerobic, Konditionstraining, Skigymnastik oder BauchBeine-Po-Training, andere Gruppenangebote sind eher als Trends zu bezeichnen, wie z. B. Tae-Bo oder Fatburner.

Daneben steht das individuelle Fitnesstraining – auch an Ausdauer- und Kraftmaschinen – im Studio oder zu Hause. Schließlich gibt es vielfältige Überschneidungen zu tänzerischen oder anderen künstlerischen sowie auch meditativen Angeboten (z. B. Afro-Tanz, Akrobatik, Taijiquan, Yoga).

Unter den Sportverbänden hat insbesondere der Deutsche Turner-Bund ein aufeinander bezogenes System von Gesundheitsund Fitnesssport entwickelt und im Rahmen der GYMWELT flächendeckend über seine Turnvereine bzw. seine Turnabteilungen in Sportvereinen institutionalisiert.

Seit dem Jahr 2000 setzen auch die Krankenkassen zunehmend auf Qualität in der Förderung von Gesundheitssport. Im Leitfaden Prävention definiert der GKV-Spitzenverband (Fassung Januar 2017) verbindliche Qualitätsanforderungen an Gesundheitssportprogramme, die sich u. a. auf die Ziele, Inhalte und Methoden, priori-täre Zielgruppen, die Anbieterqualifikation und räumliche Voraussetzungen beziehen. Als weiteres, zentrales Qualitätsmerkmal und Voraussetzung für eine Förderung wird im Leitfaden zudem ein wissenschaftlicher Nachweis der Wirksamkeit des jeweiligen Programms gefordert (vgl. auch Kap. 6). Das vorliegende Programm erfüllt umfassend alle diese Anforderungen!

Die im Übungsleitermanual Fit & Gesund enthaltenen Programme sind vielfach erprobt und die Qualität ist auf hohem Niveau mehrfach abgesichert. Damit ist Fit & Gesund ein Element eines Gesundheitssports, der effektiv zur Gesundheitsförderung und zur Prävention beiträgt.

2Zielgruppe, Ziele und Aufbau der Einheiten

2.1Die Zielgruppe: Erwachsene mit Bewegungsmangel

Legt man eine für die Gesunderhaltung notwendige Beanspruchung durch strukturierte körperlich-sportliche Aktivität von mindestens 800 kcal, d. h., etwa zwei Stunden pro Woche zusätzlich zur normalen Alltagsaktivität, zugrunde, so wird dieser Umfang in den hoch industrialisierten Ländern derzeit nur von 15-20 % der erwachsenen Bevölkerung erreicht. Die Folgen sind katastrophal für die Lebensqualität, für die öffentliche Gesundheit/Public Health sowie für die Ökonomie. Körperliche Inaktivität mit ihren Folgen wurde demzufolge bereits als das zentrale Gesundheitsproblem des dritten Jahrtausends bezeichnet.

Körperliche Inaktivität bedeutet mangelnde Anforderungen an die Körpersysteme. Relativ schnell setzt der Prozess einer negativen Anpassung an diese Unterforderungen ein. In der Folge degenerieren nicht nur Muskeln, sondern auch andere Organe und Körpersysteme (Herz, Lunge, Blutgefäße etc.). Bewegungsmangel wird auf diese Weise zu einem Risikofaktor für die Gesundheit, der weitere Risikofaktoren, wie z. B. Bluthochdruck, erhöhte Blutzuckerwerte, Störungen des Fettstoffwechsels, Übergewicht oder neuromuskuläre Dysbalancen, nach sich zieht. Damit sind wiederum häufig vielfältige Befindensstörungen sowie spezifische und unspezifische Beschwerden verbunden. Weitergehend kann es zu Einschränkungen der Leistungsfähigkeit und zu Krankheiten kommen, von Degenerationen des Muskel-Skelett-Systems – z. B. verbunden mit Rückenschmerzen oder Osteoporose – bis hin zu verschiedenen Herz-KreislaufErkrankungen.

Zielgruppe der Gesundheitssportprogramme Fit & Gesund sind Erwachsene mit Bewegungsmangel, aber noch ohne behandlungsbedürftige Beschwerden oder Erkrankungen. Bei diesem Personenkreis handelt es sich dementsprechend um Einsteiger und Wiedereinsteiger in eine systematische, gesundheitsförderliche körperlichsportliche Aktivität.

Die Zielgruppe des Gesundheitssportprogramms umfasst damit in etwa den Personenkreis, der mit dem „Präventionsprinzip Reduzierung von Bewegungsmangel durch gesundheitssportliche Aktivität“ im Leitfaden Prävention des GKV-Spitzenverbandes (Fassung vom 09.01.2017) ebenfalls umrissen und als eine zentrale Zielgruppe begründet wird. Die bisherigen Erfahrungen mit der Zielgruppe sowie die wissenschaftlichen Evaluationen des Programms Fit & Gesund (u. a. Brehm, Janke, Sygusch & Wagner, 2006; Tiemann, 2010) legen zumindest folgende Konkretisierungen der Zielgruppenbeschreibung nahe, mit entsprechenden Folgerungen für die Programmgestaltung:

• Das Altersspektrum der Zielgruppe entspricht in etwa dem „mittleren Erwachsenenalter“, also etwa dem Altersspektrum von 30-60 Jahren. Allerdings sind Unschärfen an den beiden Altersrändern möglich und damit die Teilnahme z. B. einer 20-Jährigen ebenso wie eines 70-Jährigen. Das Alter spielt für den Aufbau einer stabilen Gruppe meist eine nachgeordnete Rolle gegenüber z. B. der noch vorhandenen Leistungsfähigkeit der Teilnehmer oder eventuell vorhandenen körperlichen Problemen, wie etwa starkes Übergewicht.

• Der zumeist relativ lange Bewegungsmangel hat die Leistungsfähigkeit der Zielgruppe deutlich herabgesetzt. So ist im Ausdauerbereich häufig kein Laufen, sondern lediglich (evtl. flottes) Gehen möglich. Im Kraft- und Dehnbereich können z. T. auch einfach erscheinende Ausgangspositionen für Übungen nicht eingenommen werden, diese Übungen sind damit nicht durchführbar.

• Zusammen mit einer häufig geäußerten Furcht, „etwas nicht zu können“ bzw. „etwas nicht zu schaffen“, bedeutet die reduzierte Leistungsfähigkeit, dass das Belastungsniveau der Zielgruppe zumindest in der Anfangszeit der Programmdurchführung relativ niedrig gehalten werden sollte. Die Möglichkeiten einer individuellen Belastungssteuerung sollten dementsprechend umfassend genutzt werden.

• Die Barrieren vor einer Durchführung gesundheitssportlicher Aktivitäten sind in der Zielgruppe fast immer hoch. Argumente, wie: „Eigentlich habe ich dafür keine Zeit“ oder: „Das schaffe ich sowieso nicht“, werden auch noch nach dem Einstieg in eine Aktivität geäußert. Der Abbau solcher Barrieren – z. B. durch die Entwicklung von Einsichten und Erfahrungen, dass das Programm gut machbar ist und rundum guttut – muss deshalb lange ein Bestandteil der Programmdurchführung bleiben.

• Die Motivation für eine regelmäßige Teilnahme am Programm ist in der Zielgruppe zumeist niedrig und zusammen mit den vorhandenen Barrieren häufig der Grund für eine schnelle Aufgabe bzw. für einen Ausstieg aus dem Programm. Aus diesem Grund erscheint es zumindest in der Anfangsphase des Programms wichtiger, dass sich die Teilnehmer bei der Aktivität und in der Gruppe wohlfühlen, als dass auf möglichst schnelle körperliche Effekte abgezielt wird.

2.2Die Ziele: Sechs Kernziele von Gesundheitssport und deren Konkretisierung

Gesundheitssport versteht sich, wie in Kap. 1 ausgeführt, als wesentlicher Bestandteil einer Gesundheitsförderung, die seit 1986 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eingefordert wird. Dies bedeutet, dass zunächst der Gesundheitszustand wirksam und umfassend erhalten bzw. verbessert werden soll. Körperlich-sportliche Aktivität kann hier bei den physischen, psychischen und sozialen Potenzialen des Menschen ansetzen – seinen Ressourcen. Durch eine Stärkung dieser Ressourcen kann gesundheitlichen Risiken und Problemen zumindest vorgebeugt werden, z. T. lassen sich diese sogar reduzieren. Weitergehend soll ein Verhalten ausgebildet werden, das die Menschen in die Lage versetzt, selbst zu ihrer Gesunderhaltung beizutragen. Dies bedeutet, Menschen zu befähigen, die Stärkung der Ressourcen selbst „in die Hand“ zu nehmen – zumindest durch ihre regelmäßige Teilnahme an einem Gesundheitssportprogramm. Schließlich sollen möglichst auch die Voraussetzungen bzw. die Verhältnisse für die Verbesserung der Gesundheit sowie des Gesundheitsverhaltens optimal ausgestaltet werden.

Diese drei Perspektiven für eine Gesundheitsförderung lassen sich über sechs Kernziele für einen Gesundheitssport konkretisieren (vgl. z. B. Brehm, Pahmeier & Tiemann, 1997; Brehm, 2006) –, von denen auch im Leitfaden Prävention des GKV-Spitzenverbands (Fassung vom Januar 2017) ausgegangen wird. Nachfolgend werden diese sechs Kernziele zunächst im Überblick benannt und dann ausgeführt sowie im Hinblick auf die Ziele des Programms Fit & Gesund konkretisiert.

Kernziel 1: Stärkung physischer Gesundheitsressourcen (insbesondere die Faktoren gesundheitsbezogener Fitness: Ausdauer, Kraft, Dehnfähigkeit, Koordinationsfähigkeit, Entspannungsfähigkeit).

Kernziel 2: Stärkung psychosozialer Gesundheitsressourcen (insbesondere Handlungs- und Effektwissen, Selbstwirksamkeit, Stimmung, Körperkonzept, soziale Kompetenz und Einbindung).

Kernziel 3: Verminderung von Risikofaktoren (insbesondere solche des HerzKreislauf-Systems sowie des Muskel-Skelett-Systems).

Kernziel 4: Bewältigung von Beschwerden und Missbefindenszuständen (insbesondere solche des psychosomatischen Bereichs).

Kernziel 5: Festigung der Bindung an gesundheitssportliche Aktivität (insbesondere durch Verhaltenssteuerung).

Kernziel 6: Verbesserung der Bewegungsverhältnisse (insbesondere durch Nutzung und Optimierung unterstützender Faktoren bei der Bindung an die Aktivität).

Kernziel 1: Stärking physischer Gesundheitsressourcen

Die Stärkung physischer Gesundheitsressourcen steht im Gesundheitssport häufig im Vordergrund. Eine systematische Aktivierung des Muskelsystems löst Anpassungsprozesse des gesamten Organismus aus und kann so dazu beitragen, diesen widerstandsfähig und „rundum“ gesund zu halten. Dies gilt für das Herz-Kreislauf-System ebenso wie für das Muskel-Skelett-System, das Zentralnervensystem sowie für die meisten anderen inneren Organe und physischen Funktionsbereiche. Unstrittig ist, dass Aktivierungen des Muskelsystems unter einer fünffachen Perspektive erfolgen sollen: Ausdauer und Kraft sowie Dehn-, Koordinations- und Entspannungsfähigkeit. Diese fünf Fähigkeiten stellen damit zentrale physische Ressourcen dar, um die genannten physischen Körpersysteme leistungsfähig und gesund zu erhalten. Diese Ressourcen werden auch häufig unter dem Begriff der Fitness zusammengefasst bzw. als Faktoren der Fitness bezeichnet. Die Fitnessfaktoren sind über die gesamte Lebensspanne durch entsprechend gezielte Anforderungen trainierbar, d. h., die Körpersysteme passen sich bis in das hohe Lebensalter funktionsbezogen den Anforderungen an.

Zentrale physische Gesundheitsressourcen bzw. Fitnessfaktoren sind Ausdauer und Kraft sowie Dehn-, Koordinationsund Entspannungsfähigkeit.

Die Belastungsgestaltung zur Stärkung dieser Fitnessfaktoren zeichnet sich aus durch:

• Zielgerichtetheit (hinsichtlich der fünf Faktoren),

• das Überschreiten von Schwellenwerten (Intensität, Dauer bzw. Wiederholungszahl),

• Regelmäßigkeit (Häufigkeit pro Woche) über lange Zeiträume hinweg (möglichst ein Leben lang).

Allgemein gilt das Motto „Fördern durch Fordern“.

Besser als ein Training nur eines einzelnen Fähigkeitsbereichs erscheint langfristig ein Training im Kontext (z. B. in einer Übungseinheit), da dadurch gesundheitsrelevante gegenseitige Ergänzungen bzw. Verstärkungen genutzt werden. Die später beschriebene Sequenzierung der Übungseinheiten der Gesundheitssportprogramme Fit & Gesund macht deutlich, dass das Programm auf ein Training der Fitnessfaktoren im Kontext jeder Übungseinheit ausgerichtet ist.

Bezüglich der Intensität reicht ein „sanftes Training“ aus, d. h., die Fähigkeitsbereiche können bei einer subjektiv „mittleren Anstrengung“ bereits effektiv entwickelt werden.

Als absolutes Minimum im Hinblick auf präventive Effekte ist eine einmalige Beanspruchung der fünf Fähigkeitsbereiche pro Woche anzusehen. Bei einer Addition der notwendigen Zeiteinheiten sind für ein solches „Einmaltraining“ 90 min anzusetzen. Dies entspricht einem Energieverbrauch von etwa 600 kcal. Mittel- und längerfristig sind allerdings etwa die doppelten Zeitaufwendungen und Verbrauchsumfänge anzustreben.

Unter Ausdauer wird die Ermüdungswiderstandsfähigkeit des Organismus verstanden. D. h., Beanspruchungen großer Muskelgruppen, wie sie z. B. beim schnellen Gehen, beim Laufen oder auch beim Radfahren typisch sind, können über einen längeren Zeitraum hinweg durchgehalten werden. Eine gute Ausdauerfähigkeit zeigt sich auch durch eine schnelle Regenerationsfähigkeit nach einer ausdauernden körperlichen Belastung. Wie schnell sich physiologische Parameter, wie z. B. Atmung oder Herzfrequenz, nach der körperlichen Belastung wieder normalisieren, macht deutlich, wie ausdauertrainiert der Organismus ist. Physiologisch passen sich das Herz-Kreislauf-System, die Atmung und der Stoffwechsel an die ausdauernde Beanspruchung an und arbeiten damit ökonomischer. Insbesondere zur Prävention kardiologischer und metabolischer Risiken ist eine ausreichende Ausdauer eine wesentliche Bedingung.

Im Hinblick auf die Ausdauer ist es das Ziel des 90-Minuten-Gesundheitssportprogramms Fit & Gesund, dass sich jeder Teilnehmer am Ende des Programms etwa 20 min am Stück ausdauernd bewegen (walken oder im Wechsel laufen und gehen) kann. Von den 90 min der Einheiten des Programms sind dabei jeweils etwa 15-20 min speziell auf die Verbesserung der Ausdauer gerichtet. In der Ausdauersequenz wird hierzu ein Walking-Programm realisiert, in das sukzessive – je nach Leistungsfähigkeit des Einzelnen und der Gruppe – zunehmend Laufphasen integriert werden können. Darüber hinaus kann aber auch in der Einstimmungs- und Erwärmungs- sowie in der Ausklang- und Abschlusssequenz eine ausdauernde Beanspruchung eine gewisse Rolle spielen, z. B. wenn Körperteile nach Musik 2-3 min lang isoliert bewegt oder spielerische Übungsformen realisiert werden. Wichtig ist dabei, dass die Teilnehmer möglichst schnell erfahren und erlernen, wie sie ihr individuell „richtiges“ Belastungsniveau finden und ihre Belastung entsprechend regulieren können.

Im Rahmen des 90-Minuten-Programms Fit & Gesund wird vor allem die Intervallmethode eingesetzt, bei der die Intensität der Beanspruchung variiert wird. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass die Belastbarkeit der Teilnehmer – insbesondere zu Beginn des Programms – in der Regel sehr gering ist und sie durch lang andauernde Belastungen schnell physisch und psychisch überfordert werden könnten.

Im Rahmen des 60-Minuten-Programms ist der Umfang des Ausdauertrainings deutlich reduziert und findet lediglich im Rahmen der Erwärmungs- sowie der Ausklangsequenz statt.

Die Verbesserung der Kraft zentriert sich unter der Perspektive GesundheitKraftausdauerMaximalkraft