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Jules Verne

Eine Idee des Doktor Ox

Illustrierte Fassung

Jules Verne

Eine Idee des Doktor Ox

Illustrierte Fassung

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
Übersetzung und Fußnoten: Jürgen Schulze
Illustrationen: Lorenz Frølich
EV: J. Hetzel et Compagnie, 1874
2. Auflage, ISBN 978-3-962814-71-7

null-papier.de/614

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Inhaltsverzeichnis

Ju­les Ver­ne – Le­ben und Werk

Ers­tes Ka­pi­tel, dem zu­fol­ge es un­mög­lich ist, die klei­ne Stadt Qui­quen­do­ne selbst auf den bes­ten Kar­ten zu fin­den.

Zwei­tes Ka­pi­tel, in dem sich der Bür­ger­meis­ter van Tri­cas­se und Rat Ni­klaus­se über städ­ti­sche An­ge­le­gen­hei­ten un­ter­hal­ten.

Drit­tes Ka­pi­tel, in dem der Kom­missar Passauf einen eben­so un­er­war­te­ten als ge­räusch­vol­len Ein­zug hält.

Vier­tes Ka­pi­tel, in dem sich Dok­tor Ox als Phy­sio­log ers­ten Ran­ges und als küh­ner Ex­pe­ri­men­ta­tor er­weist.

Fünf­tes Ka­pi­tel, in wel­chem Bür­ger­meis­ter und Rat dem Dok­tor Ox einen Be­such ab­stat­ten, und was sich dar­auf zu­trägt.

Sechs­tes Ka­pi­tel, in dem Frantz Ni­klaus­se und Su­zel van Tri­cas­se Zu­kunfts­plä­ne schmie­den.

Sie­ben­tes Ka­pi­tel, in dem das An­dan­te zum Al­le­gro, und das Al­le­gro zum Vi­vace wird.

Ach­tes Ka­pi­tel, in dem der an­ti­ke, fei­er­li­che, deut­sche Wal­zer sich in einen ra­schen Wir­bel um­wan­delt.

Neun­tes Ka­pi­tel, in dem Dok­tor Ox und sein Fa­mu­lus Ygen sich nur we­ni­ge Wor­te zu sa­gen ha­ben.

Zehn­tes Ka­pi­tel, in dem man se­hen wird, wie die Epi­de­mie in der gan­zen Stadt um sich greift, und welch wun­der­ba­re Wir­kung sie her­vor­bringt.

Elf­tes Ka­pi­tel, in dem die Qui­quen­do­nia­ner einen he­ro­i­schen Ent­schluss fas­sen.

Zwölf­tes Ka­pi­tel, in dem der Fa­mu­lus Ygen eine ver­nünf­ti­ge Mei­nung äu­ßert, die aber von Dok­tor Ox ener­gisch zu­rück­ge­wie­sen wird.

Drei­zehn­tes Ka­pi­tel, in dem noch ein­mal be­wie­sen wird, dass man, von ei­nem er­ha­be­nen Stand­punkt aus, alle Er­bärm­lich­kei­ten des mensch­li­chen Le­bens be­herrscht.

Vier­zehn­tes Ka­pi­tel, in dem die Din­ge so weit ge­trie­ben wer­den, dass die Ein­woh­ner von Qui­quen­do­ne, die Le­ser und so­gar der Ver­fas­ser auf so­for­ti­ge Lö­sung drin­gen.

Fünf­zehn­tes Ka­pi­tel, in dem end­lich die Lö­sung er­folgt.

Sech­zehn­tes Ka­pi­tel, in dem der in­tel­li­gen­te Le­ser sieht, dass er, trotz al­ler Vor­sichts­maß­re­geln des Ver­fas­sers, recht ge­ra­ten hat­te.

Sieb­zehn­tes Ka­pi­tel, in dem die Theo­rie des Dok­tor Ox er­klärt wird.

Ein Nach­wort

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie die­ses E-Book aus mei­nem Ver­lag er­wor­ben ha­ben.

Ju­les Ver­ne ge­hört zu den Au­to­ren, die je­der schon ein­mal ge­le­sen hat. Eine Be­haup­tung, die man nicht über vie­le Schrift­stel­ler auf­stel­len kann. Die Ge­schich­ten von Ver­ne sind un­ter­hal­tend, lehr­reich und im­mer sehr at­mo­sphä­risch.

In un­re­gel­mä­ßi­ger Fol­ge wird mein Ver­lag die Wer­ke von Ver­ne ver­öf­fent­li­chen – die be­kann­ten wie die un­be­kann­ten. Im­mer in der über­ar­bei­te­ten Er­st­über­set­zung, um den (sprach­li­chen) Ch­ar­me der Zeit bei­zu­be­hal­ten.

Kor­ri­giert und kom­men­tiert wer­den Orts- und Per­so­nen­na­men oder of­fen­sicht­lich falsche An­ga­ben. Sie fin­den die Er­läu­te­run­gen in Fuß­no­ten.

Ich habe es mir auch nicht neh­men las­sen, die ur­sprüng­li­chen Na­men zu ver­wen­den: Aus dem Jo­hann wird so wie­der der ur­sprüng­li­che Jean, aus Lud­wig wie­der Louis und aus Ma­ri­an­ne wie­der Ma­rie. Ich den­ke, das tut den Ge­schich­ten nur gut.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

 

Ihr
Jür­gen Schul­ze

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Ju­les Ver­ne – Le­ben und Werk

Bei­na­he wäre Klein-Ju­les als Schiffs­jun­ge nach In­di­en ge­fah­ren, hät­te eine Lauf­bahn als See­mann ein­ge­schla­gen und spä­ter un­ter­halt­sa­mes See­manns­garn ge­spon­nen, das ver­mut­lich nie die Drucker­pres­se er­reicht hät­te.

Jules Verne
Ju­les Ver­ne

Ver­liebt in die aben­teu­er­li­che Li­te­ra­tur

Glück­li­cher­wei­se für uns Le­ser hin­dert man ihn dar­an: Der Elf­jäh­ri­ge wird von Bord ge­holt und ver­lebt wei­ter­hin eine be­hü­te­te Kind­heit vor bür­ger­li­chem Hin­ter­grund. Ge­bo­ren am 8. Fe­bru­ar 1828 in Nan­tes, wächst Ju­les-Ga­bri­el Ver­ne in gut si­tu­ier­ten Ver­hält­nis­sen auf. Als äl­tes­ter von fünf Spröss­lin­gen soll er die vä­ter­li­che An­walt­spra­xis über­neh­men, wes­halb er ab 1846 in Pa­ris Jura stu­diert.

Viel span­nen­der fin­det er schon zu die­ser Zeit al­ler­dings die Li­te­ra­tur. Ver­ne freun­det sich so­wohl mit Alex­and­re Du­mas als auch mit sei­nem gleich­na­mi­gen Sohn an. Ge­mein­sam mit Va­ter Du­mas ver­fasst er Opern­li­bret­ti und ers­te dra­ma­ti­sche Wer­ke. Nach dem Ab­schluss sei­nes Stu­di­ums be­schließt er, nicht nach Nan­tes zu­rück­zu­keh­ren, son­dern sich völ­lig der Dra­ma­tik zu wid­men.

Zwar schreibt er nicht ganz er­folg­los – drei sei­ner Er­zäh­lun­gen er­schei­nen in ei­ner li­te­ra­ri­schen Zeit­schrift. Doch zum Le­ben reicht es nicht, wes­halb der jun­ge Au­tor 1852 den Pos­ten ei­nes In­ten­danz-Se­kre­tärs am Théâtre ly­ri­que an­nimmt. Im­mer­hin wird die­se Ar­beit zu­ver­läs­sig ver­gü­tet und Ver­ne darf sich als Dra­ma­ti­ker be­tä­ti­gen. In sei­ner Frei­zeit ver­fasst er wei­ter­hin Er­zäh­lun­gen, wo­bei ihn aben­teu­er­li­che Rei­sen am meis­ten in­ter­es­sie­ren.

Als er 1857 eine Wit­we hei­ra­tet, die zwei Töch­ter in die Ehe mit­bringt, muss sich der Li­te­rat nach ei­ner bes­ser be­zahl­ten Ein­kom­mens­quel­le um­se­hen. Wäh­rend der nächs­ten zwei Jah­re schlägt er sich als Bör­sen­mak­ler durch, wo­bei er ge­nug Zeit fin­det, län­ge­re Schiffs­rei­sen zu un­ter­neh­men, be­vor 1861 sein Sohn Mi­chel ge­bo­ren wird.

Ver­liebt ins li­te­ra­ri­sche Aben­teu­er

Letzt­lich ist es ei­ner be­son­de­ren Be­geg­nung im Jahr 1862 ge­schul­det, dass al­les, was der Au­tor bis­her »geis­tig an­ge­sam­melt« hat, in sei­nen künf­ti­gen Ro­ma­nen kul­mi­nie­ren darf: Der Ju­gend­buch-Ver­le­ger Pier­re-Ju­les Het­zel ver­öf­fent­licht Ver­nes uto­pi­schen Rei­se­ro­man »Fünf Wo­chen im Bal­lon«. Die­ses von ihm oh­ne­hin be­vor­zug­te Su­jet wird den Schrift­stel­ler nie wie­der los­las­sen – die aben­teu­er­li­chen Rei­sen, auf wel­cher Rou­te auch im­mer sie ab­sol­viert wer­den. Het­zel ver­legt Ver­nes noch heu­te be­lieb­tes­te Schrif­ten: 1864 »Rei­se zum Mit­tel­punkt der Erde«, im fol­gen­den Jahr »Von der Erde zum Mond«, 1869 »Rei­se um den Mond« und »Zwan­zig­tau­send Mei­len un­ter dem Meer«. Mit »Rei­se um die Erde in 80 Ta­gen« er­scheint 1872 Ju­les Ver­nes er­folg­reichs­ter Ro­man über­haupt.

Die Zu­sam­men­ar­beit mit Het­zel, der gleich­zei­tig als sein Men­tor fun­giert, sorgt in den spä­ten 1860er Jah­ren da­für, dass der höchst pro­duk­ti­ve Schrift­stel­ler sei­ner Fa­mi­lie ei­ni­gen Wohl­stand bie­ten und sich selbst »ju­gend­traum­haf­te« Rei­se­wün­sche er­fül­len kann. Sein Ver­le­ger stellt ihn nam­haf­ten Wis­sen­schaft­lern vor – in Kom­bi­na­ti­on mit den er­wähn­ten Rei­sen ent­steht auf die­se Wei­se ein un­ge­heu­rer Fun­dus der In­spi­ra­ti­on: Ju­les Ver­nes Zet­tel­kas­ten ent­hält an­geb­lich 25.000 No­ti­zen!

Zwar ist er seit »Rei­se um den Mond« glei­cher­ma­ßen wohl­ha­bend und ge­ach­tet; er en­ga­giert sich seit den spä­ten 1880er Jah­ren so­gar als Stadt­rat in Amiens, wo­hin er 1871 mit sei­ner Fa­mi­lie über­ge­sie­delt war. Der »Rit­ter­schlag« aber bleibt aus: In der Aca­dé­mie françai­se möch­te man den Ju­gend­buch­au­tor nicht ha­ben, er gilt als nicht se­ri­ös ge­nug.

Den Ze­nit sei­nes Schaf­fens hat der Li­te­rat be­reits über­schrit­ten, als er 1888 blei­ben­de Ver­let­zun­gen durch den Schuss­waf­fen-An­griff ei­nes geis­tes­ge­stör­ten Ver­wand­ten da­von­trägt. Den­noch ar­bei­tet der Au­tor un­un­ter­bro­chen wei­ter. Als Ju­les Ver­ne im März 1905 stirbt, hin­ter­lässt er ein ge­wal­ti­ges Ge­samt­werk: 54 zu Leb­zei­ten er­schie­ne­ne Ro­ma­ne, wei­te­re elf Ma­nu­skrip­te be­ar­bei­tet sein Sohn Mi­chel nach dem Tod des Va­ters. Er­gänzt wird Ver­nes Œu­vre durch Er­zäh­lun­gen, Büh­nen­stücke und geo­gra­fi­sche Ver­öf­fent­li­chun­gen.

Ge­liebt und miss­ach­tet

Je­nes zwie­späl­ti­ge Ver­hält­nis, das sich be­reits in der Ab­leh­nung der Aka­de­mie­mit­glie­der äu­ßert, kenn­zeich­net die aka­de­mi­sche Re­zep­ti­on bis heu­te: Ju­les Ver­ne ist eben »nur ein Ju­gend­buch­au­tor«. We­ni­ger be­fan­ge­ne Re­zi­pi­en­ten frei­lich schrei­ben ihm eine ganz an­de­re Be­deu­tung zu, die dem Vi­sio­när und lei­den­schaft­li­chen Er­zäh­ler bes­ser ge­recht wird.

Wenn­gleich der al­tern­de Li­te­rat zum Ende sei­nes Schaf­fens durch­aus nicht mehr in gläu­bi­ger Tech­nik­be­geis­te­rung auf­geht, blei­ben uns doch ge­nau jene Wer­ke in lie­be­vol­ler Erin­ne­rung, in de­nen tech­ni­sche und mensch­li­che Groß­ta­ten die Hand­lung be­stim­men: »Rei­se um die Erde in 80 Ta­gen« oder »Zwan­zig­tau­send Mei­len un­ter dem Meer« bei­spiels­wei­se. Wer als Kind von Nemo und sei­ner Nau­ti­lus liest, wird un­wei­ger­lich ge­fan­gen von die­sem tech­ni­schen Wun­der­werk und des­sen Ka­pi­tän. Ver­nes Ro­ma­ne ge­hö­ren zu je­nen Ju­gend­bü­chern, die man als Er­wach­se­ner ger­ne noch­mals zur Hand nimmt – und man staunt er­neut, er­in­nert sich, lässt sich wie­der­um ein­fan­gen und fragt sich, warum man ei­gent­lich so sel­ten Ver­ne liest…

So wie der Au­tor sich selbst durch Rei­sen und Wis­sen­schaft in­spi­rie­ren lässt, die­nen sei­ne Wer­ke seit je­her der In­spi­ra­ti­on sei­ner Le­ser­schaft. Wie prä­sent die­ser ex­zel­len­te Un­ter­hal­ter in den Köp­fen sei­ner Le­ser bleibt, be­le­gen Be­nen­nun­gen in See- und Raum­fahrt: Das ers­te Atom-U-Boot der Ge­schich­te ist die ame­ri­ka­ni­sche USS Nau­ti­lus. Ein Raum­trans­por­ter der Eu­ro­päi­schen Raum­fahr­t­agen­tur heißt »Ju­les Ver­ne«, ein As­te­ro­id und ein Mond­kra­ter tra­gen eben­falls den Na­men des Schrift­stel­lers. Die »Ju­les Ver­ne Tro­phy« wird seit 1990 für die schnells­te Wel­t­um­se­ge­lung ver­lie­hen, was dem be­geis­ter­ten Jacht­be­sit­zer Ver­ne ge­wiss ge­fal­len hät­te.

Der kom­mer­zi­el­le Li­te­ra­tur­be­trieb so­wie die Film­wirt­schaft be­trach­ten den fran­zö­si­schen Va­ter der Science-Fic­ti­on-Li­te­ra­tur eben­falls mit Wohl­wol­len: Un­zäh­li­ge Neu­auf­la­gen der Ro­man­klas­si­ker, Hör­bü­cher und Ver­fil­mun­gen der ra­san­ten, stets mit­rei­ßen­den Hand­lun­gen spre­chen Bän­de. Mitt­ler­wei­le gel­ten die äl­tes­ten Ver­fil­mun­gen selbst als kul­tu­rel­le Mei­len­stei­ne, die kei­nes­wegs nur ein jun­ges Pub­li­kum er­freu­en.

Ju­les Ver­nes Be­deu­tung für die Li­te­ra­tur

Der Ein­fluss Ver­nes auf nach­fol­gen­de Science-Fic­ti­on-Au­to­ren ist gar nicht hoch ge­nug ein­zu­schät­zen: Aus heu­ti­ger Sicht ist er ei­ner der Vor­rei­ter der uto­pi­schen Li­te­ra­tur Eu­ro­pas, der noch vor H. G. Wells (»Krieg der Wel­ten«) und Kurd Laß­witz (»Auf zwei Pla­ne­ten«) das neue Gen­re be­grün­det. Sein­er­zeit gibt es die­sen Be­griff noch nicht, wes­halb Het­zel die Ro­ma­ne sei­nes Er­folgs­schrift­stel­lers als »Au­ßer­ge­wöhn­li­che Rei­sen« ver­mark­tet

Der Fran­zo­se sieht, an­ders als Wells und ähn­lich wie Laß­witz, im tech­ni­schen Fort­schritt das künf­ti­ge Wohl der Mensch­heit be­grün­det. Trotz­dem ist Ju­les Ver­ne vor al­lem Er­zäh­ler: Er will we­der war­nen wie Wells noch be­leh­ren wie Laß­witz, son­dern in ers­ter Li­nie un­ter­hal­ten. Im Ver­gleich zum sprö­den Rea­lis­mus ei­nes Wells wir­ken sei­ne Ro­ma­ne für mo­der­ne Le­ser aus­ufernd, viel­leicht so­gar ge­schwät­zig. Den­noch sind sie leich­ter zu­gäng­lich als das sti­lis­tisch ähn­li­che Schaf­fen des Deut­schen Laß­witz, weil sie Uto­pie und Tech­nik­be­geis­te­rung nicht zum Zweck ih­res In­halts ma­chen, son­dern le­dig­lich zu des­sen Trä­ger: Schließ­lich ist es ein­fach auf­re­gend, in ei­nem Bal­lon eine Welt­rei­se an­zu­tre­ten oder Ka­pi­tän Nemo in sein ge­hei­mes Reich zu fol­gen.

Eine Idee des Doktor Ox

Erstes Kapitel, dem zufolge es unmöglich ist, die kleine Stadt Quiquendone selbst auf den besten Karten zu finden.

Wenn ihr euch dar­an­ma­cht, auf ei­ner äl­te­ren oder neue­ren Kar­te von Flan­dern die klei­ne Stadt Qui­quen­do­ne auf­zu­su­chen, wird eure Mühe sich wahr­schein­lich als ver­geb­lich er­wei­sen. Ist Qui­quen­do­ne denn vom Erd­bo­den ver­schwun­den? Nein. Eine Stadt der Zu­kunft viel­leicht? Auch das nicht. Sie exis­tiert den Hand­bü­chern der Geo­gra­fie zum Trotz und zwar schon seit acht- oder neun­hun­dert Jah­ren; ja, sie zählt so­gar 2393 See­len, wenn man je­dem ih­rer Be­woh­ner eine See­le zu­er­ken­nen will. Qui­quen­do­ne er­streckt sich drei­zehn und ein halb Ki­lo­me­ter nord­west­lich von Au­denar­de und fünf­zehn und ein vier­tel Ki­lo­me­ter süd­öst­lich von Bru­ges, mit­ten in Flan­dern. Die Stadt liegt an dem Vaar, ei­nem klei­nen Ne­ben­fluss der Schel­de, über den drei Brücken hin­weg­füh­ren, die sämt­lich nach al­ter­tüm­li­cher­wei­se über­dacht sind.

Suzel überreichte ihrem Vater die Pfeife.

Als Merk­wür­dig­kei­ten der Stadt sind zu nen­nen ein al­tes Schloss, des­sen Grund­stein vom Gra­fen Bal­duin, dem zu­künf­ti­gen Kai­ser von Kon­stan­ti­no­pel, ge­legt wur­de, und ein Rat­haus mit go­thi­schen Bo­gen­fens­tern, das von Zin­nen ge­krönt und von ei­ner drei­hun­dert­sie­ben­und­fünf­zig Fuß ho­hen War­te mit Türm­chen über­ragt wird. Man hört hier jede Stun­de ein Glo­cken­spiel von fünf Ok­ta­ven, ein förm­li­ches Luft­kla­vier, das einen noch grö­ße­ren Ruf hat, als das Glo­cken­spiel in Bru­ges. Die Frem­den – wenn näm­lich über­haupt Frem­de nach Qui­quen­do­ne kom­men – ver­las­sen die Stadt nicht, ohne sich den Saal der Stadt­hou­der an­ge­se­hen zu ha­ben, der mit ei­nem Bil­de von Bran­don ge­schmückt ist, das Wil­helm von Nassau in Le­bens­grö­ße dar­stellt; fer­ner be­su­chen sie das Em­por der Kir­che Saint-Mag­loi­re, ein Meis­ter­werk der Bau­kunst aus dem sech­zehn­ten Jahr­hun­dert, den schmie­de­ei­ser­nen Brun­nen, der mit­ten auf dem großen Plat­ze Saint-Ernuph aus­ge­gra­ben ist, und des­sen wun­der­vol­le Ver­zie­rung man dem Ma­ler und Gold­schmied Quen­tin Met­sys ver­dankt, und end­lich ein Grab­mal der Ma­ria von Bur­gund (Toch­ter Karls des Küh­nen), das ihr hier er­rich­tet ist, ob­gleich sie jetzt in der Notre-Dame-Kir­che zu Bru­ges ruht. Als Haup­t­in­dus­trie­zweig be­treibt Qui­quen­do­ne die Fa­bri­ka­ti­on von Schlag­sah­ne und Gers­ten­zu­cker auf großer Ska­la, und wird die­se Fa­brik seit Jahr­hun­der­ten in der Fa­mi­lie Tri­cas­se ver­wal­tet und vom Va­ter auf den Sohn ver­erbt. Aber trotz al­lem ist Qui­quen­do­ne nicht auf der Kar­te von Flan­dern zu fin­den; ob aus Ver­ge­ss­lich­keit der Geo­gra­fen oder aus bös­li­cher Ab­sicht, ist mir un­er­forscht ge­blie­ben. So viel je­doch steht fest: Qui­quen­do­ne exis­tiert, und sei­ne en­gen Stra­ßen, sei­ne be­fes­tig­te Um­fas­sungs­mau­er, sei­ne Markt­hal­le und end­lich sein Bür­ger­meis­ter le­gen be­red­tes Zeug­nis da­für ab; ja der letz­te­re wür­de euch auf das klars­te dar­tun kön­nen, dass Qui­quen­do­ne in jüngs­ter Zeit der Schau­platz ei­nes eben­so au­ßer­or­dent­li­chen und un­wahr­schein­li­chen, als wahr­haf­ti­gen Na­tur-Phä­no­mens ge­we­sen ist; und hier­über wol­len wir in vor­lie­gen­der Er­zäh­lung ge­treu­lich be­rich­ten.

Von den Fla­män­dern1 des west­li­chen Flan­derns lässt sich ge­wiss we­der Bö­ses sa­gen noch den­ken; sie zei­gen sich als recht­schaf­fe­ne, spar­sa­me, ge­sel­li­ge, gleich­mü­ti­ge und gast­li­che Leu­te, die, was ihre Spra­che und geis­ti­gen Fä­hig­kei­ten an­be­trifft, viel­leicht ein we­nig schwer­fäl­lig sind, aber das er­klärt noch im­mer nicht, wie es kommt, dass eine der in­ter­essan­tes­ten Städ­te des Lan­des sich ih­ren Platz in der neue­ren Kar­to­gra­fie erst noch er­obern soll.

Ja, die­se Un­ter­las­sungs­sün­de der Geo­gra­fen ist ge­wiss zu be­dau­ern. Wenn nun we­nigs­tens die Ge­schich­te, oder statt ih­rer die Chro­ni­ken, oder doch we­nigs­tens die Über­lie­fe­rung des Lan­des die Stadt Qui­quen­do­ne er­wähn­ten! Aber nein; we­der die At­lan­ten noch die Rei­sehand­bü­cher spre­chen von die­sem ver­ges­se­nen Ort, und selbst Herr Jo­an­ne, den man sonst wohl als einen Jä­ger auf klei­ne Nes­ter be­zeich­nen kann, sagt kein Wort dar­über. Dass solch ein Schwei­gen dem Han­del und der In­dus­trie von Qui­quen­do­ne scha­den muss, liegt auf der Hand; wir wol­len die­sem Auss­pruch aber ei­ligst hin­zu­fü­gen, dass die Stadt we­der auf Han­del noch In­dus­trie An­spruch macht und ganz vor­züg­lich ohne dem fer­tig wird. Ihr Gers­ten­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­