Texas Western – 2 – 6er Jubiläumsbox

Texas Western
– 2–

6er Jubiläumsbox

7-12

diverse Autoren

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74092-881-0

Weitere Titel im Angebot:

Ein Marshal starb für Willcox-City

Ohio Clinton und seine 1000-Dollar-Bande

Roman von U. H. Wilken

In seiner dunklen Zelle kauerte Johnny Bliss und starrte Marshal Timothy Wallach wie ein wildes Tier an. Marshal Wallach zog den Schlüssel hervor und schloß die Zellentür auf.

»Es ist soweit, Johnny Bliss«, sagte er dunkel und ernst. »Komm jetzt, der Henker wartet.«

Langsam erhob Johnny Bliss sich von der harten Pritsche und näherte sich der offenen Tür.

»Die Hände vorstrecken«, befahl Wallach und rasselte mit den Handschellen, den Blick aufmerksam auf Bliss gerichtet.

Der junge schwarzhaarige Bliss zögerte, verengte die Augen und warf einen schnellen Blick durchs Office zum wartenden Deputy.

»Soll ich jetzt aufgeknüpft werden, Marshal?« flüsterte er mit zersprungener Stimme.

»Ja, Johnny Bliss. Der Richter hat dich zum Tode verurteilt. Es ist nichts mehr zu ändern. Du hättest dir das alles eher überlegen und nicht die vier Indianer abknallen sollen. Das sind auch Menschen, und alle sind verdammt froh, daß die Apachen sich ruhig verhalten. Nun komm schon, heb die Hände hoch.«

Johnny Bliss schloß einen Atemzug lang die Augen, als hätte er sich seinem Schicksal ergeben. Er hörte die fernen Stimmen der Menschen, die sich vor dem Galgengerüst versammelt hatten, und spürte die Hitze des Tages, wie sie ins Office wehte.

»Der Reverend wartet oben auf dem Gerüst, Johnny«, sagte Wallach langsam. »Du solltest ihn anhören, ein einziges Mal, das erste und das letzte Mal, Johnny.«

Er streckte die linke Hand aus, um den Arm des zum Tode verurteilten Mannes zu umfassen, als Johnny Bliss urplötzlich um sein verpfuschtes Leben zu kämpfen begann. Wild schlug und trat er aus, traf Wallach nehrmals, stieß ihn mit einem Hieb beiseite und stürzte zur Tür.

Dave Peabody, der den Deputy-Marshalstern trug, warf sich ihm entgegen. Hart prallten sie aufeinander, stürzten und knallten gegen die Wand. Polternd schlug der Tisch um, und der Zylinder der Petroleumlampe zerplatzte auf dem Boden. Fauchend wälzten sich die Männer durch die Glassplitter, rollten durchs Office und prallten gegen den kalten Röhrenofen. Krachend löste sich das Blechrohr, und Ruß wallte auf die Kämpfenden. Johnny Bliss entwickelte in seiner Todesangst unheimliche Kräfte und würgte Peabody mit erbarmungs­loser Gewalt. Schon schwoll Peabodys Gesicht erschreckend an.

Da kam Timothy Wallach torkelnd heran, schlug mit dem Colt zu und riß Johnny Bliss vom Deputy herunter.

Röchelnd lag Peabody auf den Brettern und holte pfeifend Luft. Mühsam erhob er sich und taumelte zum Stuhl, ließ sich nieder und streckte die Beine aus. Schweiß rann über sein Gesicht.

»Verdammt«, stöhnte er, »der Halunke hätte mich glattweg erwürgt!«

»Yeah«, knurrte Wallach grimmig und fuhr mit den gespreizten Fingern durchs ergraute Haar, »beim nächstenmal paß besser auf.«

»Du auch, Marshal«, grinste Peabody verzerrt. »Wir bekommen schon noch Übung. Zwei Bliss-Brüder sind noch frei wie die Vögel.«

Wallach legte Johnny Bliss die Handschellen an, ging nach nebenan und kam mit einem halbvollen Eimer Wasser zurück, kippte das Wasser in Johnny Bliss’ Gesicht und warf den Eimer weg.

Bliss kam zu sich, und die beiden Männer zerrten ihn hoch und stießen ihn zur Tür.

Als Bliss in den grellen Sonnenschein hinaustrat, senkte er geblendet den Kopf.

»Dort entlang!« knurrte Wallach sehr grimmig, stieß ihm den Lauf des Colts in den Rücken und drückte ihn vorwärts.

Vor ihnen lag die leere, öde Straße. Ihre Schritte stampften durch den heißen Staub. Langsam näherten sie sich dem Stadtrand. Johnny Bliss ging zum letztenmal diesen Weg.

»Aufpassen, Dave!« murmelte Wallach warnend. »Wer weiß, ob die Brüder in der Nähe sind!«

»Ja, ich weiß schon«, nickte der schlanke Deputy und verengte die Augen. Verlassen lagen die Gehsteige im Schatten der Vordächer. In den staubblinden Fensterscheiben spiegelte sich nur verschwommen die schrägstehende Sonne. Die Sporen an den Stiefeln der Männer rasselten durch die lastende Stille und weckten schwache Echos.

Hinter jedem Haus konnten Bunch und Five Cent Bliss lauern. Tückische, gefahrverheißende Stille umgab die Marshals auf ihrem Weg zum Galgen.

»Sie kommen!« rief jemand am Stadtrand. »Leute, Johnny Bliss kommt!«

Der Todgeweihte zögerte, blieb plötzlich stehen und krümmte sich wie unter gewaltigen Schmerzen.

»Laßt mich doch leben!« stöhnte er verzweifelt. »Was sind denn schon vier Apachen? Wir haben doch alle gegen die Indianer gekämpft und sie überall abgeschossen, wo wir sie nur sahen!«

»Diese Zeit ist vorbei, Johnny Bliss«, entgegnete Wallach ruhig. »Du willst wohl nur Zeit gewinnen? Du hoffst auf deine beiden Brüder, aber ich hab’ gehört, daß sie in der Reservation sein sollen. Sie werden zu spät kommen, Johnny. Geh weiter.«

Bliss drehte sich um und stand gekrümmt vor den beiden Männern. Haß zerriß sein graues Gesicht, und heiß traf sein Atem die Männer des Gesetzes.

»Meine Brüder werden euch beide umbringen, ich schwöre es euch!« stöhnte er und zitterte am ganzen Körper. »Wir sehen uns schon bald wieder!«

»Wenn’s in der Hölle so heiß ist wie hier oben, dann geht’s ja«, erwiderte Wallach trocken, stieß Johnny Bliss herum und führte ihn an den letzten Häusern vorbei.

Vor ihnen klaffte die Menschenmenge auseinander und gab ihnen den Weg zum Galgengerüst frei. Niemand sprach. Alle starrten auf Johnny Bliss und empfanden dabei jenen Nervenkitzel, den sie sich auch erhofft hatten.

Zuckend hob Johnny Bliss den Kopf und sah oben den Henker neben der Schlinge stehen, die im heißen Wind hin und her baumelte. Oberhalb der Treppe verharrte der Reverend. Beide hoben sich vor dem blauen Himmel schwarz ab.

»Weiter, Johnny.«

Marshal Wallach drückte Bliss sanft zur Treppe hin. Dort, neben der Treppe, stand der Richter, ein weißhaariger Mann, der nach dem Spruch der Geschworenen Johnny Bliss zum Tode verurteilt hatte.

Bliss ging an ihm vorbei und setzte den Fuß auf die erste Stufe. Dann stieg er wie ein alter Mann empor. Wallach folgte ihm, und Dave Peabody hielt das Gewehr schußbereit und spähte von der ersten Stufe aus forschend über die vielen Köpfe der Menschen hinweg.

Der Henker drehte Johnny Bliss mit dem Rücken zur Schlinge hin, nahm die schwarze Kapuze und streifte sie ihm über den Kopf. Dann legte er die Schlinge um Johnny Bliss’ Hals und zog sie schon an.

Mit einem Ruck stieß der Henker den Hebel hinab, die Falltür schlug nach unten weg – und Johnny Bliss verschwand unter dem Gerüst.

Die Menge zerstreute sich nur langsam. Peabody und Wallach waren schon lange wieder im Office, als der Wagen mit Johnny Bliss die heiße Straße hinaufrollte. Draußen vor der Stadt wurde Bliss begraben.

*

Im Marshal’s Office brannte die Lampe mit neuem Zylinder. Deputy Dave Peabody stand am Fenster und blickte hinaus auf die nächtliche Straße. Nur schwach war der Klang des Orchestrions im Saloon zu hören. Manchmal lief jemand am Office vorbei. »Woran denkst du?« knurrte Timothy Wallach und ging durchs Office. »Du stehst schon verdammt lange am Fenster. Los, setz dich an den Tisch und mach die Arbeit.«

Peabody wandte sich langsam vom Fenster ab und sah Wallach ernst an. Zwei Tage waren nun schon seit der Vollstreckung des Todesurteils vergangen.

»Und Sie, Marshal, was wollen Sie tun?«

Wallach knurrte grimmig, schlang den schweren Waffengurt um die breiten Hüften und griff zum Gewehr, lud und ging zur Tür.

»Ich muß einen Rundgang machen, Dave«, sagte er rauh. »Du schreibst den Bericht fertig. So eine Pinselei ist nichts für mich. Du bist schon der richtige Mann dafür. Vergiß nicht, zu erwähnen, daß der Tod sofort eingetreten ist.«

Dave Peabody nickte übel gelaunt.

»Passen Sie gut auf, Marshal«, erwiderte er. »Die Brüder Bliss werden kommen, ganz bestimmt. Vielleicht sind sie schon in der Stadt.«

»Ich kann mich nicht verkriechen, Dave! Die Bliss-Brüder werden mich nicht davon abhalten können, meinen Rundgang zu machen. Wir beide sind das Gesetz, sonst niemand. Wenn wir nicht hier wären, würde es in der Stadt nur so wimmeln von Halunken aus allen Ecken des Westens. Wir haben vor der Tür die Reservation der Apachen. In den Chiricahua-Bergen gibt es für Halunken die besten Schlupfwinkel. Was, glaubst du, würde hier los sein, wenn wir beide nicht mehr den Stern tragen würden?«

»Das weiß ich, Marshal.«

»Na, also«, brummte Wallach. »Wenn ich jetzt nicht durch die Stadt gehe, dann werden die Leute glauben, daß ich Angst vor den Bliss-Brüdern hätte. Das spräche sich verflucht schnell herum, und in einigen Tagen hätten wir die Tausend-Dollar-Bande schon in der Stadt.«

Peabody nickte. Es hieß, daß sich Ohio Clinton mit seiner Bande in der unwegsamen Reservation aufhalten würde. Marshal Wallach hatte schon recht. Jeden Tag und jede Nacht mußten sie beide sich neu bewähren. Ihr Leben erneuerte sich von Sekunde zu Sekunde. Der Tod war immer allgegenwärtig. Würden sie sich verkriechen, ein kleines Zeichen von Schwäche zeigen, dann wäre bald hier die Hölle los.

»Trotzdem, Marshal, ich sollte besser mitkommen.«

»Ach, was soll das, Junge?« winkte Wallach ab. »Du pinselst den Bericht zu Ende. Ich bin bald wieder da.«

Dann öffnete er die Tür und trat hinaus, schloß sie hinter sich und verharrte auf dem Gehsteig.

Lange Lichtbahnen fielen auf die Straße. Das Geklimper eines Klaviers tönte aus dem Saloon und versickerte zwischen den Häusern. Dunkel gähnten die Hofeinfahrten, und nur schwaches Sternenlicht erhellte kaum die Hinterhöfe.

Die Straße war leer.

Timothy Wallach schulterte das Gewehr und stapfte über den ausgedorrten Brettersteg. Dabei starrte er mit verkniffenen Augen umher und erkannte plötzlich einen grauen Schatten drüben zwischen den Häusern.

Jäh stach dort aus dem Dunkel die Stichflamme hervor und erhellte für den Bruchteil einer Sekunde das Gesicht des Mannes.

Siedend heiß schlug die Kugel in Wallachs Brust. Er hörte noch den bösartigen Knall des Schusses, sah noch Bunch Bliss aus dem Dunkel hervorschnellen, dann stürzte er gegen die Hauswand, zerdrückte mit dem Rücken die Fensterscheibe, ließ das Gewehr fallen und taumelte gegen den Dachpfosten. Noch jagte der peitschende Knall durch die Straße und stieß gegen die Häuser, als Wallach am Pfosten zu Boden sank, vom Gehsteig rollte und am Straßenrand liegenblieb.

Knallhart schlug die Tür des Office gegen die Außenwand. Licht zuckte heraus, und der Deputy Marshal Dave Peabody stürzte mit gezogenem Colt hervor, blickte wild um sich, erkannte den Marshal und kam herangehetzt.

Die Kugel verfehlte Peabody und zertrümmerte die Fensterscheibe des Barber Shop.

Peabody ließ sich fallen und feuerte über die Straße, doch die Bliss-Brüder waren verschwunden. Sekunden später donnerten die Hufe von zwei Pferden davon und verstummten weit draußen in der Nacht.

Mit einem Sprung war Peabody auf den Beinen und lief zum Marshal. Überall kamen Leute hervor, und der Lärm im Saloon war schlagartig verstummt. Rufe tönten über die Straße.

Schon kniete Peabody neben dem Marshal, schob eine Hand unter den Kopf des Mannes und keuchte schwer: »Marshal, ich hab’s gewußt! Großer Gott, Sie müssen sofort zum Doc!«

Unaufhaltsam wuchs der Fleck auf der Hemdbrust des Marshals. Die Hände zitterten und fuhren durch den Staub der Straße. Mühsam hielt Wallach die Augen offen. Erschreckend war das Flackern in den Augen, und stoßweise kam der Atem aus der Brust.

»Ruhig, Dave«, stöhnte er und sah mit leeren, trüben Augen empor. »Du mußt Shaddock holen, Dave, hörst du? Shaddock muß herkommen!«

»Aber ich weiß nicht genau, wo er haust, Marshal!« stieß Peabody erschüttert hervor.

»Erst müssen Sie zum Arzt. Alles andere kann später kommen.« Sie hörten nicht, wie die Leute herankamen und einen Kreis um sie bildeten. Sie beide waren ganz allein in der Stadt.

»Unsinn«, flüsterte Wallach und atmete rasselnd. »Dazu ist es zu spät, Dave. Es geht zu Ende mit mir. Du darfst keine Zeit verlieren. Denk an die Tausend-Dollar-Bande! Reite wie der Teufel, Dave – und hol Shaddock her! Versprich es mir, Dave!«

»Ja, Marshal«, krächzte Peabody heiser. »Ich verspreche es! Marshal, es waren die Brüder, nicht wahr?«

»Ja, Dave, ich hab’ Bunch Bliss erkannt.«

Langsam zog Peabody die Hand unter Wallachs Kopf hervor. Der Marshal schloß die Augen, stöhnte und verlor das Bewußtsein. Peabody kniete verkrampft bei ihm und schüttelte den Kopf.

»Du wolltest nicht auf mich hören, Marshal«, sprach er mit flackernder Stimme. »Ja, ich hab’s dir versprochen, aber erst kommst du zum Doc.«

Er sah auf in die starren Gesichter der Leute.

»Holt den Doc!« schrie er auf. »Was steht ihr hier so herum, ihr verdammten Feiglinge? Der Doc soll sofort kommen!«

»Ich bin schon hier!« ertönte eine hohle Stimme, und dann drängte sich der grauhaarige Doc durch die Neugierigen hindurch, schleppte seine Tasche heran und ging neben Wallach in die Knie. Das bleiche Sternenlicht reichte aus, um die schwere Verwundung erkennen zu können.

»Sofort in mein Haus!« sagte der Arzt. »Es sieht sehr schlecht für ihn aus…«

»Wird er durchkommen, Doc?«

Doc Witcher zuckte die Achseln. Beide Männer erhoben sich fast gleichzeitig.

»Fassen Sie mit an, Deputy«, brummte Witcher.

Gemeinsam trugen sie den Marshal am Straßenrand entlang und ins Haus. Einer der herumstehenden Männer nahm Wallachs Gewehr auf und brachte es hinterher.

Als Wallach auf dem harten Lager lag, zögerte Dave Peabody noch. Er ging erst, als Doc Witcher ihm zunickte.

Nun hatten sich die Leute vor dem Haus des Arztes versammelt. Peabody schenkte ihnen keinen einzigen Blick, ging gesenkten Kopfes zum Office zurück und verschwand auf dem Hinterhof.

Im Stall sattelte er in fieberhafter Eile sein Pferd. Dann klemmte er das Gewehr in den Scabbard und zog das Pferd aus dem Stall.

Ein junger, schlanker und schwarzhaariger Bursche war lautlos herangekommen und stand ihm jäh gegenüber.

Peabody kniff die Augen zusammen und musterte Ricky Nolan flüchtig. Er erkannte in den tiefblauen Augen des Jungen ein seltsames Flackern, das große Erregung verriet.

»Was willst du mir sagen, Ricky?« fragte er den Siebzehnjährigen. »Mach den Mund auf, Junge, ich habe keine Zeit.«

»Ich weiß«, nickte Ricky hastig. »Sie reiten jetzt in die Berge, nicht wahr, um diesen Curley Shaddock zu suchen?«

»Ja. Warum willst du das wissen?«

»Mein Vater hat mir viel über Shaddock erzählt«, sagte der Junge. »Ich wollte ihn schon immer mal kennenlernen. Stimmt es, daß er nur ein Auge hat?«

»Yeah, aber mit dem einen Auge sieht er besser als zehn Leute zusammen.« Dave Peabody schwang sich aufs Pferd, trieb es hart an und ritt vom Hof. Im Galopp jagte er die Straße hinauf und aus der Stadt.

*

Weitab von der Stadt verhielten die Bliss-Brüder im Schutz der trockenen Strauchhecke und starrten nach den fernen Lichtern hinüber. Wolken zogen über die Stadt und verdeckten immer wieder die funkelnden Sterne.

Wenn aber das Sternenlicht durch die Wolkenlücke brach, glühten ihre Augen auf wie Kohlen und flirrten tückisch. Das Wetterleuchten hemmungsloser Gefühle geisterte über die Gesichter und offenbarte all das Böse und Niederträchtige von Männern, die in der Reservation Jagd auf Indianer machten.

Sie hörten den trommelnden Hufschlag eines einzelnen Pferdes, das über die Ebene getrieben wurde. Der heisere Laut des Reiters kam zu ihnen herüber. Im Schatten einer Wolke jagte der Reiter in ziemlicher Entfernung von ihnen vorbei und preschte zwischen die Hügel, die den Bergen vorgelagert waren.

»Hast du ihn erkannt?« flüsterte Five Cent Bliss und starrte den Bruder an. Matt schimmerten die fünf Centstücke am Hutband seines Stetsons.

»Ich bin doch nicht blind!« knurrte Bunch Bliss. »Das war der Deputy Marshal, der Kerl, der Johnny erwischt und mit zum Galgen gebracht hat. Ich möchte nur wissen, warum er in die Berge reitet.«

»Du«, stieß der Bruder heiser hervor, »wenn der nun Hilfe holen will? Der Hund reitet doch nach Westen, in die Galiuro Mountains hinein, genau nach Tucson. Du, der will bestimmt Hilfe holen!«

»Laß ihn doch holen!« Bunch Bliss verzerrte das narbige Gesicht. Heiseres Lachen brach über die schmalen Lippen. »Fragt sich nur, ob er es auch schafft, und daß er es nicht schafft, weiß ich! Dafür werden wir sorgen. Denk an Johnny! Los, hinterher!«

Sie gaben den Pferden brutal die Sporen zu spüren und ritten schräg auf die Spur des Deputy Marshals zu, schwenkten ein und folgten Peabody, der bereits zwischen den Hügeln verschwunden war.

*

Peabody sah unter sich die weite und breite Schlucht, die unwegsamen Hänge, zerklüftete Felsen und windzerzausten Bäume.

War er am Ziel?

»Der Felsen«, flüsterte er plötzlich heiser. Der Felsen, der wie ein Gesicht aussieht.

Davon hatte ihm Timothy Wallach erzählt. Und dort erhob sich dieser Felsen!

Peabody richtete sich in den Steigbügeln auf und atmete tief ein. Dann rief er in die weite Schlucht hinunter: »Shaddock!«

Die Stimme sprang von den roten Felsen zurück, das Echo rief und flüsterte.

Shaddock, Shaddock.

Auf einmal kam selbst ihm alles unheimlich vor. War er umsonst hierhergeritten? Vielleicht lebte Curley Shaddock schon nicht mehr? Aber Shaddock sollte doch sehr viel trinken. Es hieß, daß er in Tucson gewesen wäre, schon mehrmals in diesen Jahren. Er mied Timothy Wallachs Stadt wie die Pest.

Die beschlagenen Hufe klirrten über Fels. Langsam zog er an den Kakteen, Bäumen und Felsen vorbei. Plötzlich sah er im Hintergrund des Canyons die Hütte. Sie war von Bäumen halb verdeckt, kaum zu erkennen. Neben der Hütte war ein Verschlag, dort war wohl das Pferd untergebracht.

Niemand war zu sehen.

Langsam ritt Peabody näher. Je näher er kam, um so besser konnte er erkennen, daß die Wände der Hütte aus Felssteinen zusammengesetzt waren und das Dach aus trockenem Blätterwerk und Kakteen bestand.

Eine alte, schiefe Tür verdeckte den Eingang. Unterhalb der Hütte war ein Wasserloch, dort wucherten grüne Sträucher und Bäume. Es wäre ein Paradies, läge es nicht so einsam und hätte Shaddock eine Frau.

Steif stieg Peabody vom Pferd, ließ es stehen und stapfte höher. Er bemühte sich erst gar nicht, leise zu sein, denn seine Stimme war laut genug durch den Canyon gedrungen. Wenn Shaddock wirklich in dieser Hütte hauste, dann müßte er ihn schon längst gehört haben.

Unwillkürlich legte Peabody die Hand auf den Colt, als er sich der Hütte näherte. Nur mehr ein paar Schritte. Die Stiefel rieben durch den Sand. Er erreichte die Tür und klopfte an.

»Shaddock? Hier ist Deputy Marshal Peabody aus Willcox.«

Im Inneren der Hütte blieb es still. Peabody zögerte und blickte zurück, ließ den Blick durch die Schlucht schweifen und hörte das Pferd im Verschlag schnauben.

»Ich weiß, daß Sie hier sind, Shaddock«, sagte er mit belegter Stimme. »Marshal Wallach schickt mich.«

In der Hütte ächzte ein Lager. Die Blätter der Bäume und Strauchgruppen raschelten im Wind. Der Schatten einer Wolke wanderte durch die Schlucht. Das Wolfsgeheul kam mit dem Wind herüber.

»Los, komm rein!«

Urplötzlich ertönte die rauhe Stimme eines Mannes in der Hütte.

Peabody versteifte sich. Er war ein harter Bursche, aber die Begegnung mit dem legendären Curley Shaddock beunruhigte ihn und zerrte an seinen Nerven.

Langsam öffnete er die Tür, stand still und starrte in den Raum hinein.

»Komm schon, Peabody!« tönte es kalt aus dem Dunkeln. »Ich kann dich genau sehe. Ein Mucks nur, und du kippst tot um.«

Peabody schluckte.

»Haben Sie nicht gehört, Shaddock? Wallach schickt mich!«

»Ja, ja«, knurrte er, »rein mit dir. Mach die Tür zu!«

Peabody tastete mit den Füßen über die Türschwelle und zog die Tür hinter sich zu. Nur langsam gewöhnten sich seine Augen an das Halbdunkel. Durch ein kleines Fensterloch sickerte Mondlicht in den Raum. Es roch nach Whisky, Fellen und altem Stroh, nach Staub, Holz und kaltem Rauch.

Und erst jetzt erkannte Peabody die Umrisse eines Mannes auf dem Schlaflager. Shaddock saß aufgerichtet auf dem Lager und zeigte zum Tisch hinüber.

»Mach Licht, Peabody.«

Der Deputy langte in die Tasche, holte Schwefelhölzer hervor und riß eins davon an. Zischend schlug die kleine Flamme hoch, schickte unruhiges Licht in den Raum und blendete Peabody.

»Da auf dem Tisch«, knurrte Shaddock.

Der Deputy hob den Zylinder der Petroleumlampe an und ließ die Flamme auf den Docht überspringen, schlug das Schwefelholz aus und sah in die Lampe hinein. Langsam breitete sich das Licht aus, kroch über den Boden und erreichte Shaddock.

Jetzt konnte Peabody den Mann erkennen.

»Was willst du?« Shaddocks Stimme klang wie das Knarren eines alten Baumes im Sturm, dem unter dem Anprall der Natur die Wurzeln zerfetzten. »Wenn du mit mir reden willst, dann stell erstmal eine Flasche auf den Tisch, Junge!«

»Ich hab’ keine mitgebracht. Tut mir leid.«

»Quatsch nicht.« Shaddock wuchs empor, beugte sich hinunter, nahm die angebrochene Flasche und kam an den Tisch heran, ließ sich auf dem Hocker nieder und schob mit einer einzigen Armbewegung sämtliche Flaschen vom Tisch, knallte dann die einzige Flasche darauf und starrte Peabody an. »Setz dich! Mich interessiert es, was der alte Wallach mir zu sagen hat!«

»Wallach wurde von den Brüdern Bliss angeschossen, Shaddock«, sagte Peabody dumpf. »Die Brüder werden auch versuchen, mich zu erwischen. Denn wir beide haben Jonny Bliss zum Galgen gebracht. Er wurde gehängt und liegt schon unter der Erde. Wenn Mar­shalWallach Sie holen läßt, dann muß es verdammt wichtig sein. Dann glaubt Wallach auch, daß es mit ihm zu Ende geht.«

Shaddock erhob sich, nahm die Flasche mit und setzte sich wieder aufs Lager.

»Wallach ist zäh«, brummte er.

»Hören Sie, Shaddock«, Peabody richtete sich auf und sah ihn bitter an. »Die Tausend-Dollar-Bande ist in der Nähe. Wenn die Halunken in die Stadt kommen, ist Wallach erledigt. Dann kommen auch andere Halunken nach Wilcox. Der Marshal und ich sind allein. In der Stadt wird uns niemand helfen.«

»Ihr tragt den Stern«, entgegnete Shaddock rauh. »Dafür müßt ihr auch was tun.«

Dave Peabody preßte die Lippen zusammen und blickte Shaddock zornig an.

»Wallach war doch Ihr Freund! Wie können Sie ihn im Stich lassen, jetzt, wo er Sie braucht? Ohio Clinton und seine Banditen haben doch nur auf diesen Tag gewartet! Und Bunch Bliss und sein Bruder Five Cent Bliss werden versuchen, den Marshal fertigzumachen.«

Shaddock winkte lässig ab.

»Ich weiß, daß die Bande sich hier herumtreibt. Sie hat die Reservation mehrmals schon verlassen. Sie sagen mir nichts Neues, Peabody. Reiten Sie zurück und bleiben Sie bei Wallach.«

»Sie kommen nicht mit?«

»So ist es. Ich muß nachdenken. Wenn du nur ein Auge hättest, dann würdest du so denken wie ich.«

»Sie hassen Wallach, nicht wahr? Sie verwünschen ihn!«

»Quatsch! Reite los, Peabody, und laß mich in Ruhe. Was sollte ich jetzt tun, he? Gleich mitreiten? Das geht nicht. Grüß den alten Säufer von mir.«

Steif wandte Peabody sich um, ging zur Tür und verließ die Hütte, knallte die Tür hinter sich zu und stieg auf sein Pferd.

Horchend neigte Shaddock den Kopf zur Seite und hörte, wie Dave Peabody das Pferd vorwärts peitschte und im Galopp hinunter in den Canyon ritt. Hohl klapperten die Hufe durch die nächtliche Stille.

Reglos saß Shaddock in der Hütte und stierte zur Tür. Der Hufschlag verklang. Nur der Wind war zu hören.

Shaddock, sprach er dumpf vor sich hin, der Lümmel denkt, du wärst ein Feigling und Säufer. Yeah, vielleicht hattest du verfluchten Kummer. Du hattest einen Brief bekommen von deiner Frau. Sie hatte dir geschrieben, daß sie Schluß mit dir gemacht und mit deinem Jungen weit weggezogen wäre. Ja, sie hat dir deinen Jungen einfach weggenommen, nur weil du den Stern getragen hattest. Sie hatte Angst um dich gehabt. Aber du wirst ihr nicht verzeihen, daß sie dir den Jungen entführt hat.

Er stand auf und ging in der Hütte hin und her. Immer wieder stieß er dabei mit den Stiefeln gegen die leeren Flaschen, die überall herumlagen.

»Sie haben dich von den Beinen geholt, Wallach«, knurrte er. »Das kommt nur vom Saufen.«

Er blieb mitten zwischen den Flaschen stehen, nahm einen Schluck und trat plötzlich gegen die Flaschen am Boden, stieß sie wütend weg und schleuderte dann die halbvolle Flasche mit aller Wucht gegen die Wand, so daß sie berstend zerbrach. Glasscherben regneten zu Boden, und Whisky spritzte umher.

»Mist!« grollte er und trat wieder aus, daß es klirrte und rasselte. »Der Teufel soll dich holen, Curley Shaddock!«

*

Deputy Marshal Peabody ritt aus dem Canyon und lenkte sein Pferd über die zerklüftete Bodenwelle hinweg. Er sah nicht die Brüder Bliss, die ihm entgegengekommen waren und blitzschnell in Deckung ritten; in Gedanken war er in Shaddocks Hütte und verfluchte ihn im stillen.

Das sollte Wallachs Freund sein? Ein Feigling war das, ein Säufer! Ein Kerl, der von der Legende lebte, der in Wirklichkeit schon halb tot war und zu nichts mehr taugte.

Umsonst hast du den Ritt gemacht, du wirst es Wallach sagen müssen.

Unter ihm lag das Tal mit den tausend Felsen und Kakteen. Er folgte dem staubigen Weg und verhielt einmal. Die Bergwildnis schwieg, und fernab heulten die letzten Wölfe. Der Morgen graute schon, und tristes Licht nistete zwischen den vielen Felsen.

Fluchend ritt er weiter.

Dann geschah es.

Mitten im Felstal traf ihn die Kugel und riß ihn vom Pferd. Er spürte den heftigen Schlag und knallte mit dem Rücken in den Sand. Hallend fiel der Schuß in die Stille hinein, der Knall stieß gegen die Talwände und kam grollend zurück. Irgendwo stiegen Vögel schreiend aus lichten Baumkronen empor und flatterten davon.

Peabody dachte in diesen Sekunden an nichts. Mühsam wälzte er sich herum und versuchte, zu seinem Colt zu kommen, der ihm aus dem Halfter gerutscht war und wohl drei Meter von ihm entfernt im Sand lag. Das Pferd war noch ein paar Meter weitergelaufen und stand nun vor den Felsen.

Verzweifelt kroch Peabody durch den Sand, robbte weiter und spürte den flammenden Schmerz in der Brust. Keuchend und stöhnend streckte er den rechten Arm aus, versuchte, den Colt zu packen, war aber noch nicht nahe genug, mußte sich weiter voranstoßen. Schon hörte er dumpfes Hufgetrappel näherkommen. Die rechte Hand kroch durch den Sand, die Finger zitterten, berührten fast die Waffe, da peitschte ein Schuß auf, und die Kugel trieb den Colt um ein paar Yard weiter weg.

Stöhnend wälzte er sich auf die Seite und blickte hoch.

Zwei Reiter verhielten vor ihm, hoben sich riesengroß vor dem Himmel ab und lachten zynisch und gemein. Höllischer Triumph erfüllte sie.

»Erkennst du uns, Peabody?« höhnte einer der Reiter und hielt den Colt auf ihn gerichtet.

»Bunch Bliss!« ächzte Peabody.

»Richtig. Der Bursche hier ist mein Bruder, Five Cent Bliss, wie man ihn nennt.«

Five Cent Bliss stieß ein heiseres Lachen hervor und beugte sich nach vorn. Die Centstücke am Stetson schimmerten im verblassenden Sternenlicht.

»Wir sind dir von Wilcox aus gefolgt, Peabody«, sagte er grinsend. »Dich hat es jetzt auch erwischt. Du brauchst keinen Arzt. Du wirst hier sterben. Das ist ein Fressen für die Geier, Peabody. Wallach werden wir schon nicht vergessen. Der kommt auch noch dran. Vielleicht stirbt er auch ohne unser Nachhelfen. Ihr habt unseren Bruder Johnny an den Galgen gebracht. Dafür gibt es nur den Tod. Hast du uns noch was zu sagen?«

Dave Peabody wußte, daß er den Brüdern nicht entkommen konnte. Der Schmerz wütete in der Brust und ließ ihn schwer atmen. Er hatte das Gefühl, als läge eine zentnerschwere Last auf dem Brustkorb. Über ihm war der graue Himmel zwischen Nacht und Tag, und die Pferde der Banditen stampften unruhig.

Sollte das hier das Ende bedeuten? Niemand würde ihm zu Hilfe kommen können, einsam und verlassen war das weite Land.

Wie ein Haufen Unglück lag er im Sand. Der Deputy-Marshal-Stern war verstaubt und glänzte kaum noch. Er atmete rasselnd und quälte sich mit dem Oberkörper halb hoch, fiel stöhnend zurück und sah empor.

Von Bunch Bliss’ narbigem Gesicht konnte er sein Todesurteil ablesen. Das lange dunkle Haar des Banditen und Indianermörders flatterte im Wind. Die dunklen Augen glühten vor Haß.

»Johnny war ein feiner Kerl«, dehnte Bunch Bliss. »Wir beide hatten ihn gern. Du hast ihn erwischt und in die Stadt gebracht. Ihr beide habt ihn zum Galgen gezerrt. Johnny ist tot. Du wirst ihm gleich folgen, Peabody. Der verdammte Marshalstern nützt dir nichts. Niemand wird dich retten können. Was wolltest du überhaupt in den Bergen, he? Du wolltest für immer verschwinden, aus Angst vor uns und unsere Rache, wie? Das sieht dir ähnlich, Peabody. Jetzt, wo es Wallach erwischt hat, fliehst du. Aber du hast es dir dann doch anders überlegt und wolltest zurückreiten. Das war dein Pech. Vielleicht wärst du uns wirklich entkommen.«

Heiseres Lachen folgte Bunch Bliss’ Worten. Der Bruder ritt dicht an Peabody heran und ließ das Pferd hart stampfen. »Ich sollte dich einfach vom Pferd tottrampeln lassen, Peabody! Aber ich will’s nicht tun. Du kannst uns noch was sagen, wenn du willst. Wir werden dir zuhören.«

»Zur Hölle mit euch!« stöhnte Dave Peabody. »Irgendwann erwischt es euch! Schießt doch! Ich habe keine Angst davor.«

»Hör dir den Kerl an!« grinste Five Cent Bliss höhnisch, zog das Pferd zurück und starrte auf den Deputy. »Nimmt das Maul aber noch verdammt voll, der Junge. Soll ich schießen, Bunch, oder willst du das tun?«

Schon senkte er den Revolver, streckte den Arm aus und richtete den Lauf auf Peabody.

»Warte noch«, sagte Bunch Bliss. »Du kannst ihn erschießen, aber wir haben es nicht eilig. Johnny mußte in der Zelle warten. Er mußte auf den Tod warten und hoffte dabei immer, von uns befreit zu werden. Jede Minute war schrecklich für ihn gewesen. Ich will, daß Peabody auch was davon hat, verstehst du? Er soll nicht so schnell sterben. Sieh dich doch mal um, ob hier irgendwo ein kräftiger Baum steht.«

»Mensch, Bunch«, grinste Five Cent Bliss anerkennend, »das ist nicht schlecht. An den Baum soll er, hängen soll er, genauso wie unser Bruder Johnny!«

Hart riß er das Pferd herum und trieb es vorwärts, ritt zwischen die Felsen und begann zu suchen.

Bunch Bliss blieb bei Dave Peabody und starrte wie ein Geier auf den Deputy nieder.

»Was hältst du davon, Peabody? Du sollst hängen!«

Peabody gab keine Antwort. Er atmete schwer und lag schlaff vor Bliss. Wenn er nicht bald Hilfe bekäme, wäre er verloren. In zwei Stunden könnte niemand ihm mehr helfen. Der Blutverlust machte sich schon bemerkbar, die Augen wurden trübe, und Dave konnte manchmal Bunch Bliss nur verschwommen erkennen.

Langsam löste Bliss schon das Lasso vom Sattelhorn und knüpfte eine Schlinge. Er ließ die Schlinge vom Pferd baumeln und grinste.

»Ich hab’ noch niemals einen Deputy Marshal aufgeknüpft. Das ist mal was ganz Neues, aber es gefällt mir, Peabody. Du wirst schon merken, wie es ist, wenn man unter dem Strick steht und weiß, daß man gleich sterben wird. Johnny hat genauso empfunden. Bestimmt haben viele Leute zugesehen. Darauf wirst du verzichten müssen. Vielleicht glotzen ein paar Geier herüber, wenn wir noch etwas warten.«

Five Cent Bliss verhielt unter ein paar Bäumen am Talrand, stellte sich in den Steigbügeln aufrecht und langte zu einem Ast empor, hing sich daran und ließ sich wieder in den Sattel zurückfallen.

Der ist genau richtig, flüsterte er, ritt zurück und ergriff den Zügel von Peabodys Pferd. »Wir haben einen Baum für ihn, Bunch.«

Bunch Bliss nickte zufrieden. Sie stiegen von den Pferden, hoben Peabody in den Sattel seines Pferdes und saßen dann wieder auf. Langsam ritten sie mit ihm durchs Tal und zu den knorrigen Bäumen hinüber. Sie hatten Peabody in die Mitte genommen, so daß er nicht vom Pferd fallen konnte.

Unter den Bäumen saßen sie ab und fesselten Peabodys Hände. Sie ließen ihn auf dem Pferd sitzen.

Mit einem Schwung warf Bunch Bliss das Lasso über den Ast. Es pendelte träge hin und her. Bunch stieg wieder aufs Pferd, ritt dicht an Peabody heran und legte ihm die Schlinge um den Hals. Dann befestigte er das Ende des kurzgehaltenen Lassos am Ast, ritt etwas zurück und grinste tückisch.

»Die Sonne geht gleich auf, Peabody, aber du wirst sie nicht mehr sehen. Was ist das für ein Gefühl, den Strick um den Hals zu haben? Du kennst das noch nicht, aber du hast es bei Johnny gesehen. Yeah, nun spürst du es selbst. Die Schlinge würgt schon etwas, wie? Ich brauche nur das Pferd zu schlagen, und es wird loslaufen. Dann rutschst du vom Pferd und hängst am Strick. Ein paar Stunden später werden die Geier kommen und sich oben auf den Ast setzen.«

Five Cent Bliss lachte schrill und schüttelte sich vor widerwärtiger Freude.

»Ein Marshal wird hängen!« schrie er. »Endlich mal ein Marshal, der aufgeknüpft wird! Davon habe ich immer geträumt, und jetzt wird es wahr.«

Dave Peabody antwortete nicht, saß kraftlos im Sattel und blickte zum Talrand empor, wo es langsam hell wurde. Das Licht der Sonne war verblaßt, und Morgenwolken zogen über den Himmel. Noch war es kühl und frisch. Er nahm Abschied vom Leben und klagte nicht. Alles Flehen hätte keinen Sinn. Die Brüder Bliss würden nicht nachgeben.

Kämpfend hatte er sterben wollen. Das war immer sein Wunsch gewesen. Aber er hatte nicht geglaubt, daß er so schnell und noch so jung sterben müßte.

Durch die Bewegung des Rittes war die Wunde wieder zum Bluten gekommen.

Ein Rauschen war in seinen Ohren, und die Augen taten weh. Er hatte den Wunsch, vornüberzusacken, doch dann würde sich die Schlinge zuziehen. Sie würgte ihn bereits, und er hatte Mühe, Luft zu bekommen.

Über ihm knarrten die Äste im Morgenwind. Hart raschelten die Blätter aneinander. Er hörte es kaum noch, und selbst die Stimmen der Brüder kamen wie aus weiter Ferne.

»Wenn wir noch lange warten, merkt er nichts mehr davon«, sagte Bunch Bliss. »Er ist schon halb weg.«

Sie wollten ihren Triumph. Ihr Haß sollte gestillt werden.

Bunch Bliss ritt langsam um Dave Peabody herum, sah zum Ast empor und grinste verzerrt.

»Wir rächen Johnny«, sagte er heiser. »Nimm dein Lasso, Bruder, und schlag aufs Pferd.«

Five Cent Bliss schüttelte den Kopf. Die Centstücke klingelten hörbar am Stetson.

»Nein, mit dem Gewehr, Bunch. Das zieht mehr hin. Der Gaul wird wie der Teufel losspringen.«

»Gut, nimm das Eisen.« Bunch Bliss ritt weiter und verhielt schräg vor Dave Peabody. Er wollte sich den Todeskampf im Gesicht des Deputy Marshals nicht entgehen lassen. »Mach schon, Bruder!«

»Ja«, klang Five Cent Bliss’ Stimme durch den grauen Morgen. Mit schneller Bewegung zog er den Colt hoch, hob die Hand und ritt dicht an das Pferd heran.

Dann zögerte er, kostete die Sekunden aus und starrte auf Peabodys Rücken.

Es war totenstill im Tal.

Der Tod war nahe. Zwei sehnige Hände hoben die weitreichende Winchester an, und ein steingraues Auge sah über den Lauf hinweg. Reglos stand das Pferd. Die rechte Hand glitt zum Abzug, der Zeigefinger legte sich hinter den kleinen Bügel, der Daumen berührte den Auswerfhebel.

»Schieß!« fauchte Bunch Bliss.

Five Cent Bliss verzerrte das Gesicht, holte Atem und spannte sich.

Jäh zerrissen schnelle Schüsse die Stille im Tal. Eine Kugel schlug durchs Lasso und zerfetzte es. Die zweite Kugel traf Five Cent Bliss und warf ihn vom Pferd. Die dritte verfehlte Bunch Bliss, der blitzschnell das Pferd herumgerissen hatte und schon anritt. Wiehernd raste Peabodys Pferd los, erschreckt von den Schüssen. Peabody fiel vom Pferd. Die Schlinge lag noch um seinen Hals, aber sie konnte ihn nicht erwürgen. Bunch Bliss war zwischen den Felsen und schoß von dort aus auf den Reiter, der ins Tal kam.

Curley Shaddock duckte sich kaum im Sattel. Das Pferd raste durchs Tal und trug ihn schnell zu dem Galgenbaum hinüber. Shaddock schoß mit der Winchester auf Bunch Bliss. Der Bandit erkannte die Todesgefahr und jagte davon. Die Felsen gaben ihm genug Deckung. Als er das Tal verließ, war er sekundenlang zu sehen, aber Shaddocks Kugeln trafen nicht, weil Shaddock im Galopp ritt.

Five Cent Bliss war im Steigbügel hängengeblieben. Das Pferd riß ihn hinter sich her und schleifte ihn über Felsen und Sandflächen durch Comas und Kakteen, bis sich endlich der Stiefel aus dem Steigbügel löste. Five Cent Bliss kippte schwer in einen Strauch hinein und blieb darin liegen.

Nun war Curley Shaddock bei den Bäumen, sah schnell auf Peabody und jagte weiter, folgte Bunch Bliss, erreichte den Talrand und erkannte den fliehenden Banditen im Gewirr ferner Felsengruppen.

Grimmig verzog Shaddock das Gesicht, wendete und ritt zurück, sprang neben Five Cent Bliss vom Pferd und zog ihn aus dem Strauch.

Der Bandit blickte ihn trübe an.

»Kennst du mich, Five Cent Bliss?« Shaddocks Stimme rasselte hart.

Vor den Augen des Banditen zerrissen die Nebel. Er erkannte die schwarze Augenklappe und sah in das harte, verkniffene Gesicht. Strähnig hing das graue Haar unterm Stetson hervor.

Mit ersterbender Stimme flüsterte Five Cent Bliss: »Du, Shaddock?«

»Ja, ich, Five Cent Bliss. Ihr habt mich in meiner Ruhe gestört, du und dein Bruder. Grüß den Teufel von mir.«

»Ich…«

Was er noch sagen wollte, hörte Shaddock nicht mehr. Five Cent Bliss war tot.

Shaddock drehte sich um, saß auf und ritt zum Deputy Marshal. Er sprang ab und kniete bei ihm nieder, löste die Schlinge und gab Peabody Wasser zu trinken.

Erst jetzt erkannte Peabody den Mann, der ihn vor dem Tode des Erhängens gerettet hatte.

»Shaddock…«

»Ich bring’ dich wieder auf die Beine, Junge«, sagte Shaddock rauh. »Du kommst in meine Hütte.«

Er hob den bewußtlosen Deputy Marshal hoch, trug ihn zum Pferd und setzte ihn in den Sattel, schnürte ihn fest, löste dabei gleichzeitig die Handstricke des Deputy und holte dann Peabodys Pferd heran, befestigte die Zügelenden an seinem Sattelhorn und saß hinter Peabody auf.

Langsam ritt er mit dem Schwerverwundeten an Five Cent Bliss vorbei, ritt ins Tal und dann den Pfad hinauf. Die Sonne brach hervor und vertrieb die letzten Schatten der Nacht. Wind wehte Staub durchs Tal und verwischte Shaddocks Spur.

Verstummt waren die Wölfe, und nur der Wind sang sein Lied. Dave Peabody war bewußtlos und merkte nicht, wie Curley Shaddock ihn in die Schlucht brachte, wie sie sich der Hütte näherten und wie Shaddock ihn dann in die Hütte trug und aufs Lager legte. Dann brachte Shaddock die Pferde hinter die Hütte und gab ihnen Wasser.

Schließlich machte er Feuer im alten Herd und stellte einen Topf mit Wasser darauf. Grauer Rauch zog aus dem Schornstein und wurde vom Wind auseinandergetrieben. Durch die offene Tür fiel Sonnenschein in die Hütte.

Ernst und ruhig legte Shaddock die Wunde frei, und als das Wasser kochte, säuberte er Brust und Wunde schob sein Messer in die Glut des Feuers und säuberte die Klinge. Mit einem ausgekochten Tuch.

An diesem frühen Morgen holte Curley Shaddock die Kugel aus der Brust des Deputys.

Dave Peabody stöhnte einmal laut und kam halb hoch. Shaddock drückte ihn zurück.

»Ruhig, Junge, ruhig. Ich hab’ dir die Kugel herausgefummelt. Der Doc hätte das nicht besser machen können. Ruhig, Deputy.«

Peabody spürte nicht, wie Shaddock ihn verband. Ohnmächtig lag er in der Hütte.

Shaddock kippte das Wasser draußen aus, füllte frisches Wasser in den Topf und warf Fleisch hinein, stellte den Topf auf den Herd zurück und ging hinaus.

Der Canyon lag unter der hellen, heißen Sonne. Ein paar Vögel saßen in den Bäumen am Wasserloch.

Er nahm seine Winchester, lud sie auf und stellte sie an die Steinwand der Hüfte.

Dann holte er eine Axt und schlug Holz. Die Axtschläge hallten durch die Schlucht. Stundenlang arbeitete Shaddock, dann war der Schleppschlitten fertig.

Aber er konnte es noch nicht riskieren, Dave Peabody auf den Schlitten zu legen. Der Deputy brauchte Ruhe.

Als Shaddock einmal über die Schlucht hinwegsah, erkannte er weit entfernt kreisende Geier am Himmel. Sie kreisten genau über dem Tal, wo das zerfetzte Lasso am Galgenbaum hing.

Er holte sein Pferd, sah nach Peabody und ritt dann davon. Stundenlang blieb er fort. Als er zurückkam, waren die Geier über dem Tal verschwunden. Er hatte Five Cent Bliss begraben.

Das Pferd des Banditen war verschwunden, sonst hätte er es mitgebracht.

Mit schweren Schritten ging er in die Hütte und hockte sich am Tisch hin. Längst war die Fleischsuppe fertig. Das Feuer war fast ausgegangen. Er warf neues Holz in den Herd, schob den Topf zur Seite und trat eine leere Flasche weg.