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Deutsche Erstausgabe (ePub) Juni 2018

 

Für die Originalausgabe:

Copyright © Carol Lynne 2008

Originally published in the English language as

»Cattle Valley: Out of the Shadow«

by Totally Entwined Group Limited, UK

 

The moral rights of the author have been asserted.

 

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2018 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

 

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

Lektorat: Susanne Scholze

 

ISBN-13: 978-3-95823-697-4

 

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de

 


 

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Aus dem Englischen von Jilan Greyfould


 

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

vielen Dank, dass Sie dieses eBook gekauft haben! Damit unterstützen Sie vor allem die Autorin des Buches und zeigen Ihre Wertschätzung gegenüber ihrer Arbeit. Außerdem schaffen Sie dadurch die Grundlage für viele weitere Romane der Autorin und aus unserem Verlag, mit denen wir Sie auch in Zukunft erfreuen möchten.

 

Vielen Dank!

Ihr Cursed-Team

 

 

 

 

Klappentext:

 

Seit Ranch-Besitzer Shepard Black vor etlichen Jahren die Rodeo-Szene hinter sich gelassen hat, verläuft sein Leben in geordneten Bahnen. Als jedoch Jeremy, der Sohn seines besten Freundes, auf der Suche nach einem Job auftaucht, stellt das seine Welt ganz schön auf den Kopf. Jeremy ist nicht nur deutlich jünger als Shep, er bittet ihn auch noch um Trainingsstunden. Bald schon geht es nicht nur beim Bullenreiten heiß her, auch zwischen den beiden Männern knistert es gewaltig. Doch ist das nur ein Strohfeuer oder können sie trotz aller Widrigkeiten auf eine gemeinsame Zukunft hoffen?

 

 


 

 

 

 

 

Für diejenigen unter uns, die vergeblich versuchen,

die Erwartungen anderer zu erfüllen, nur um herauszufinden, dass es uns nicht bestimmt ist, das Leben eines anderen zu leben.

 


 

Kapitel 1

 

 

»Hey, Boss. Willst du die Bestandsliste für die Rodeo Days absegnen?«

Shep spähte über den Rand seiner winzigen Lesebrille. Er hatte herauszufinden versucht, wo er bei der Buchhaltung einen Fehler gemacht hatte, doch er konnte ihn einfach nicht entdecken. »Du hast schon eine Liste zusammengestellt?«

Rance grinste und schob den weißen Strohhut etwas weiter aus dem Gesicht. »Es ist Anfang Juni. Wir haben kaum noch einen Monat bis zum Rodeo.«

Shep warf einen Blick zum Kalender auf seinem Schreibtisch. »Verdammt. Wo zum Teufel ist die Zeit nur hin?« Er nahm die Liste von Rance entgegen und überflog sie. »Sieht gut aus. Bist du dir bei Tabasco Red sicher?«

»Er wird so weit sein. Jeremy hat mit ihm gearbeitet.«

»Jeremy?« Shep erhob sich und stemmte die Hände in die Hüften. »Willst du, dass ich verklagt werde? Der Junge wird abgeworfen werden und sich den verdammten Hals brechen.« Die bildliche Vorstellung davon, wie der schlanke, dunkelhaarige junge Mann verdreht und gebrochen am Boden lag, verursachte ihm Magenschmerzen.

Rance lachte leise und schüttelte den Kopf. »Du warst in letzter Zeit nicht aufmerksam genug. Jeremy ist der beste Bullenreiter, den wir haben.«

Shep kniff die Augen zusammen und täuschte ein Grummeln vor.

»Na ja, abgesehen von dir natürlich«, korrigierte sich Rance schnell mit einem frechen Grinsen. »Er ist auch kein Junge mehr. Warum er hier arbeitet und nicht draußen in der Arena, werde ich nie verstehen. Man sollte meinen, dass er mit seinen Verbindungen ganz schnell in der Profiliga mitspielen könnte.«

Shep setzte sich wieder und gab Rance die Liste zurück. »Er hat sicherlich seine Gründe. Die Liste sieht gut aus.«

Rance nickte und machte Anstalten, Sheps Heimbüro zu verlassen. »Rance«, rief Shep dem Cowboy hinterher.

Rance wandte sich um. »Gute Arbeit«, sagte Shep mit einem anerkennenden Nicken.

»Danke«, sagte Rance und ging zur Tür hinaus.

Nachdem sein Vorarbeiter gegangen war, versuchte er, sich wieder seiner Buchhaltung zu widmen, doch Gedanken an Jeremy stahlen sich immer wieder in seinen Kopf. Er hatte immer gedacht, Jeremy hätte sich wegen seiner sexuellen Orientierung dafür entschieden, auf der Back Breaker zu leben. Das Leben als Sohn des derzeitigen Weltmeisters musste schon hart genug sein. Der schwule Sohn desselben zu sein, würde innerhalb der Kreise der Professional Bull Riders unerträglich sein. Shep wusste, wie das war. Er hatte dieses Leben jahrelang geführt, immer in der Angst, sich einen Fehltritt zu leisten und sich dadurch zu outen.

Er nahm die Brille ab und warf sie auf den alten, zerkratzten Schreibtisch. Als Devil's Due ihn abgeworfen und dann niedergetrampelt hatte, hatte ihn das in den Ruhestand gezwungen. Die Ranch aufzubauen, erschien ihm zu dieser Zeit wie der logische nächste Schritt. Shep lachte in sich hinein. Ich dachte, meine einsamen Tage wären vorbei.

Kopfschüttelnd griff er erneut nach seiner Brille. Er hatte es geliebt, die jungen schlanken Cowboys auf der Tour zu beobachten. Er hatte gehofft, sich wie ein Kind im Süßwarenladen zu fühlen, wenn er seine eigene Ranch besaß. Und zumindest ein paar Jahre lang war er dieses Kind gewesen. Heimlich hatte er sich an den o-beinigen Männern ergötzt, die als Arbeitskräfte kamen und gingen. Bis…

»Boss!«, rief Rance und kam zurück in sein Büro gerannt. »Ich denke, du solltest rauskommen.«

Shep stand auf und war schon auf dem Weg zur Tür, bevor er Rance überhaupt die Chance gegeben hatte, ihm zu erzählen, was nicht stimmte. Bei dieser Arbeit kam es auf Sekunden an. Eine langsame Reaktionszeit konnte den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten. »Was ist los?«, fragte er und öffnete die Vordertür.

»Als ich dein Büro verlassen habe, ist mir Jeremys Pick-up auf dem hinteren Parkplatz aufgefallen. Ich bin zur Baracke gegangen, um zu hören, wie der Ausflug zu seinem Dad gelaufen ist, und hab ihn im Bett vorgefunden.« Rance streckte die Hand aus und packte Shep am Arm, sodass er ihn zum Stehenbleiben zwang. »Er ist verprügelt worden, Boss.« Rance deutete auf sein Gesicht. »Er hält sich ein blutiges Tuch an die Wange. Ich denke, dass wir ihn vielleicht in die Stadt bringen müssen.«

»Scheiße.« Shep spuckte aus und eilte auf die Schlafbaracke zu. Seine Brust zog sich zusammen, als er die Tür zu dem Zimmer aufstieß, das sich Jeremy mit dem neu angestellten Farmhelfer Bo teilte. Glücklicherweise war Bo gerade draußen auf dem Heufeld. Es wäre dem gutherzigen Mann schwergefallen, nicht den Versuch zu unternehmen, irgendwie zu helfen, wenn er da gewesen wäre.

Shep betrat das Zimmer und ließ sich sofort neben Jeremys Schlafplatz auf ein Knie sinken. Rance hatte bei seiner Einschätzung von Jeremy etwas danebengelegen. Er war nicht verprügelt, sondern anscheinend nur einmal geschlagen worden. Die linke Seite von Jeremys hübschem Gesicht war lädiert und geschwollen, soweit er das unter dem blutigen Tuch erkennen konnte. »Lass mich mal sehen«, befahl Shep und griff nach dem Stück Stoff.

»Es geht mir gut«, murmelte Jeremy. »Habe bloß das Maul aufgerissen, als es nicht angebracht gewesen ist.«

»Ich werde entscheiden, ob es dir gut geht oder nicht«, sagte Shep. Er legte seine Hand über Jeremys lange Finger und zog das Tuch nachdrücklich von seinem Gesicht. Der Riss blutete noch und war etwa vier Zentimeter lang, doch wegen seiner Lage auf dem Wangenknochen war Shep klar, dass er genäht werden musste.

»Ich bringe dich zu einem der Docs. Kommst du freiwillig mit oder muss ich dich tragen wie ein Kind?« Er hasste es, so mit Jeremy zu reden, aber er wusste, dass der Junge genauso stur war wie sein Vater. Er sollte es wissen. Todd Lovell war während der letzten zwölf Jahre sein bester Freund gewesen und einen starrköpfigeren Mann gab es nicht.

Jeremy sah ihn an und knurrte unwillig. »Ich bin kein Kind.«

»Dann benimm dich nicht wie eins und beweg deinen Arsch in meinen Wagen.« Shep hielt ihm eine Hand hin und drehte sich zu Rance um. »Holst du meinen Pick-up her?«

Sein Vorarbeiter nickte und ging, als Jeremy Sheps Hand ergriff. Shep zog den Jungen auf die Füße. Die Bewegung brachte Jeremys geschmeidigen Körper an seinen eigenen. Mit einem stockenden Atemzug wich Shep einen Schritt zurück. Es hatte keinen Zweck, sich hier zum Narren zu machen, wenn Jeremy doch – mehr als jeder andere – tabu für ihn war.

»Lass mich dir einen sauberen Lappen bringen«, sagte er. Schnell ging er den Korridor hinunter zu dem kleinen Regal im Badezimmer. Als er den Lappen angefeuchtet hatte, lehnte Jeremy schon im Türrahmen.

Shep drehte sich um und stand erneut Auge in Auge mit ihm. »Hier.« Er nahm Jeremy das blutige Tuch aus der Hand und tauschte es durch das saubere aus. Eine Hupe ertönte und sagte ihm, dass Rance mit seinem Pick-up zurück war.

Er gestikulierte in Richtung Flur. »Lass uns gehen.« Er wartete, bis Jeremy sich umgedreht hatte und auf die Vordertür zuging, bevor er ihm in einigem Abstand folgte.

Als sie im Wagen saßen und auf dem Weg in die Stadt waren, räusperte sich Shep. »Wirst du mir verraten, wer das war?«

»Nope«, erwiderte Jeremy und weigerte sich, den Blick vom Beifahrerfenster zu lösen.

Shep fragte sich, ob Jeremy mit seiner Aussage vorhin gemeint hatte, dass er den falschen Cowboy angegraben hatte. Eine Sache, die man ihm zugutehalten konnte, war, dass dem Jungen seine sexuelle Anziehung zu anderen Männern nicht peinlich zu sein schien. Er benahm sich keinesfalls so, als wäre er stolz darauf, schwul zu sein; Jeremy hatte bloß nie versucht, es zu verstecken. Höchstwahrscheinlich war es das, was ihn in Schwierigkeiten gebracht hatte. Shep hätte eigentlich gedacht, der Junge würde mittlerweile gelernt haben, dass die Rodeo-Arena kein geeigneter Platz war, um auf Männerfang zu gehen.

Er erinnerte sich daran, wie er Jeremy zum ersten Mal getroffen hatte. Seit diesem Tag waren schätzungsweise fünf Jahre vergangen. Shep hatte sich mit Todd einen großen Wohnanhänger geteilt, als sein bester Freund durch einen Anruf erfahren hatte, dass seine Ex-Frau bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Todd hatte sich sofort auf den Weg gemacht und war drei Tage später zusammen mit Jeremy zurückgekehrt.

Mit siebzehn Jahren war Jeremy Lovell bei ihnen eingezogen. Als er seinem Vater sofort mitteilte, dass er schwul war und sich zwei Jahre zuvor gegenüber seiner Mutter geoutet hatte, war das ein Schock. Während die Tage sich zu Wochen zogen, wurde Shep klar, dass er nicht mehr mit seinem besten Freund zusammenwohnen konnte, wenn er nicht ins Gefängnis wandern wollte. Jeremy war eine viel zu große Versuchung, um es noch länger aushalten zu können.

An dem Tag, als Devil's Due ihn beinahe umgebracht hatte, waren seine Gedanken bei Jeremy und seinem unangebrachten Verlangen nach dem jungen Mann gewesen. Ein kleiner Teil von ihm war erleichtert, dass er die Verletzung an Knie und Hüfte, die seiner Karriere ein Ende gesetzt hatte, als Ausrede nutzen konnte, um von Jeremy Abstand nehmen zu können.

Die Ranch befriedigte seine Bedürfnisse in den kommenden vier Jahren, bis Jeremy mit einer Reisetasche über der Schulter auf seiner Türschwelle auftauchte. Er hatte Shep eine Notiz von Todd überreicht, die sein Leben für immer verändern sollte.

 

Shep,

bitte kümmere dich für mich um Jeremy. Mein Leben in der Rodeo-Arena ist nicht das Richtige für ihn. Gerade du weißt genau, wie gefährlich es für einen offen schwulen Mann sein kann. Ich befürchte, dass Jeremy eines Tages tot hinter einem Viehanhänger gefunden wird, und ich kann nicht länger danebenstehen und nichts tun, um meinen Sohn zu beschützen. Wenn dir unsere Freundschaft je etwas bedeutet hat, dann bete ich, dass du ihm Arbeit und ein Zuhause gibst.

Dein Freund Todd

 

Shep hatte keine andere Wahl gehabt, als Jeremy in seine Ranchfamilie aufzunehmen. Er wusste, er hätte Jeremy erlauben sollen, eines seiner Gästezimmer in dem großen Farmhaus zu beziehen, doch er wusste auch, worauf das hinauslaufen würde. Es war schwer genug gewesen, sich von dem jüngeren Mann fernzuhalten, während er mit dem Rest der Cowboys in der Baracke wohnte, aber bis jetzt hatte er es geschafft. Er würde weiterhin sein Versprechen gegenüber Todd einhalten, Jeremy zu beschützen, sogar wenn das bedeutete, ihn vor Shep selbst zu schützen.

Als sie die Klinik erreichten, hielt Shep am Vordereingang und half Jeremy aus dem Wagen. Sam Browning kam ihnen am Eingang der Notaufnahme entgegen. »Jepp. Sieht nach einem fiesen Riss aus«, sagte er, während er sie hineingeleitete. Er reichte Shep ein Klemmbrett und einen Stift. »Warum füllst du das hier nicht aus, während ich Jeremy verarzte?«

»Ich werde deinen Geldbeutel brauchen«, sagte Shep an Jeremy gewandt.

Jeremy griff in seine hintere Hosentasche und zog eine rissige Lederbrieftasche hervor. »Die Versicherungskarte ist vorne drin«, sagte er, als Sam ihn zu einem Untersuchungsraum brachte.

Shep setzte sich und begann, in das Formular Name, Adresse und alles einzutragen, was er über Jeremys medizinische Vorgeschichte wusste. Er öffnete die Brieftasche und fand die Versicherungskarte. Nachdem er die Informationen übertragen hatte, schob er die Karte wieder in den dafür vorgesehenen Schlitz.

Er lächelte, als sein Blick auf den unübersehbaren Ring fiel, der sich durch das weiche Leder drückte. Wenigstens hatte er dem Jungen genug beigebracht, um jederzeit Kondome dabeizuhaben. Der Schmerz, den er bei der Vorstellung verspürte, wie Jeremy irgendeinen namenlosen Cowboy fickte, überraschte ihn.

Obwohl er wusste, dass er das nicht tun sollte, siegte schließlich seine Neugierde und er stöberte durch den restlichen Inhalt der Brieftasche. Er fand ein Bild von Jeremys Mutter in den Falten und zog es hervor. Als er das tat, flatterte ein weiteres Foto auf den Boden zu seinen Füßen. Er beugte sich hinunter, um es aufzuheben, und hielt inne. Es war ein Bild von ihm und Jeremy, das vor etwa vier Jahren am achtzehnten Geburtstag des Jungen geschossen worden war.

Shep zwang seine Finger dazu, sich wieder zu bewegen. Langsam hob er das zu Boden gefallene Foto auf. Er erinnerte sich so gut an das Bild, weil genau das gleiche im Fotoalbum auf der Ranch klebte. Allerdings war Jeremys in dem Sinne verändert worden, als dass sein Vater aus dem Bild geschnitten worden war. Shep fragte sich, ob Jeremy es verkleinert hatte, damit es in seinen Geldbeutel passte. Ja. Er war sich sicher, dass das der Grund dafür war, weigerte sich allerdings, sich die Frage zu stellen, warum er Sheps Gesicht statt dem seines eigenen Vaters im Bild behalten hatte.

Nachdem er die Fotos hektisch wieder zurück in ihr Versteck gestopft hatte, füllte Shep den Rest des Formulars aus. Mit dem Klemmbrett in der Hand machte er sich auf die Suche nach dem Doc und Jeremy. Im ersten Untersuchungszimmer wurde er fündig. »Es gibt ein paar medizinische Fragen, die ich nicht beantworten kann«, sagte er.

»Okay«, entgegnete Jeremy und zuckte zusammen, als Sam ihm eine Betäubungsspritze direkt in die Wunde verpasste.

Shep hielt den Stift über dem Blatt Papier bereit. Während er die Liste verlas, hakte er auf Jeremys Antworten hin eine Frage nach der anderen ab. »Irgendwelche gebrochenen Knochen?«, wollte er aufgrund der nächsten Frage wissen.

Als Jeremy nicht sofort antwortete, sah Shep von dem Formular auf. »Jeremy?«

»Ein gebrochener Arm, als ich vierzehn war.« Jeremy grinste doch tatsächlich. »Den habe ich mir eingehandelt, als ich von einem mechanischen Bullen gefallen bin. Und zwei gebrochene Rippen vor ein paar Jahren.«

Sheps Stift schwebte noch immer über dem Blatt. »Wie hast du dir die Rippen gebrochen? Ich kann mich nicht daran erinnern, davon gehört zu haben.« Er wusste, dass das ungefähr ein Jahr, bevor Jeremy zu ihm auf die Ranch gekommen war, passiert sein musste.

»Prügelei.« Jeremy drehte den Kopf weg.

Shep erkannte, dass er nicht mehr aus ihm herausbekommen würde. »In Ordnung. Also, warum erzählst du mir nicht, was du auf einem mechanischen Bullen zu suchen hattest?«

»Training«, murmelte Jeremy. »Ich war ein naives Kind. Ich dachte, wenn ich lernen würde, Bullen zu reiten so wie mein Senior, dann würde er sich endlich für mich interessieren.« Jeremy lachte leise, doch es klang nicht besonders amüsiert. »Ich war ein Idiot.«

Shep wollte Jeremys Antwort hinterfragen, besann sich dann aber eines Besseren. Den jüngeren Mann zu drängen, irgendetwas preiszugeben, war, als würde man mit dem Kopf gegen eine Backsteinwand rennen. Shep beschloss, die Bemerkung zunächst unkommentiert zu lassen.

Er widmete sich wieder der anliegenden Aufgabe und füllte das Formular mit Jeremys Hilfe schließlich aus, während Sam den Riss nähte. Törichterweise hoffte er, dass sich Jeremys Zunge lockern würde, nachdem der Doc ihn mit Schmerzmittel versorgt hatte, denn Shep war sich sicher, dass Sam ihm welche verabreichen würde.


 

Kapitel 2

 

 

Bis Shep Jeremy nach Hause gebracht und ins Bett gesteckt hatte, wurde es bereits dunkel. Er erteilte Bo die strikte Anweisung, dass er ihn sofort holen sollte, falls die Wunde auf Jeremys Wange durch den Verband zu bluten begann. Zum Glück wusste Bo es besser, als den Jungen zu berühren. Der neue Farmhelfer hatte offen zu seiner HIV-Diagnose gestanden, noch bevor Shep zugestimmt hatte, ihn einzustellen. Da er wusste, was er tat, hatte Shep kein Problem mit Bos medizinischem Zustand, solange er vorsichtig war.

Er wünschte den Cowboys noch schnell eine gute Nacht, dann kehrte er zum Haupthaus zurück. Sobald er drinnen war, ging er in sein Büro und griff nach dem Telefon. Er wusste, dass Todd heute geritten war, was der Grund für Jeremys Ausflug gewesen war, doch er wusste nicht, ob Todd von der Prügelei wusste, in die sein Sohn offenbar geraten war.

»Hallo.« Todd lallte ein klein wenig.

»Warst du was trinken, alter Mann?« Shep lachte leise.

»Nur ein bisschen«, erwiderte Todd.

»Tja, ich hoffe, es war ein feierlicher Anlass und nicht, um deine Sorgen zu ertränken.«

»Zum Teufel, du solltest mich besser kennen. Natürlich war es aus feierlichem Anlass. Wie geht's dir, Mann?«

»Gut«, sagte Shep. »Hör zu, Jeremy ist vorhin mit einer fiesen Wunde auf der Wange nach Hause gekommen…«

»Damit hatte ich nichts zu tun«, sagte Todd und schnitt Shep damit das Wort ab.

Das ist seltsam. »Das habe ich auch nicht behauptet. Ich dachte mir bloß, ich rufe dich mal an, falls du weißt, wer das war.« Irgendetwas stimmte hier nicht. »Weißt du, wer das getan hat?«

»Nope«, antwortete Todd.

Shep spürte, wie Wut auf seinen alten Freund in ihm hochkochte. Er war sich nicht sicher, ob es am Alkohol lag oder ob er Todd gerade dabei unterbrochen hatte, eines der Tourneehäschen aufzureißen, die immer in der Arena herumhingen. Was auch immer der Grund war, dass ihn sein eigener Sohn so wenig interessierte, schockierte Shep.

»Ruf mich an, wenn du wieder nüchtern bist«, sagte Shep und legte auf. Da er wusste, dass Todd mit großer Wahrscheinlichkeit zurückrufen und auf Streit aus sein würde, zog er den Stecker des Telefons und verließ das Büro.

 

Als Shep drei Tage später aus der Scheune trat, wurde seine Aufmerksamkeit von der kleinen Hallenarena angezogen. Mehrere Cowboys hatten sich dort versammelt, um sich anscheinend einen Testlauf eines seiner Bullen anzusehen. Shep änderte seine Richtung und ging in das nur spärlich beleuchtete Gebäude.