Entscheidung des Herzens

Barbara Cartland

Barbara Cartland E-Books Ltd.

Vorliegende Ausgabe ©2018

Copyright Cartland Promotions 1989

 

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1 ~ 1802

Graf Charncliffe lenkte sein Vierergespann geschickt durch die belebten Straßen und zog dabei die Blicke aller Leute auf sich.

Es war nicht verwunderlich, daß er Aufsehen erregte. Seine vier prachtvollen Rappen waren das perfekte Gespann für den neuen gelben Phaeton, der ihm erst kürzlich vom Wagenbauer geliefert worden war.

Der Graf setzte seinen höchsten Stolz daran, sich von seinen Zeitgenossen zu unterscheiden, was die jungen Stutzer jedoch nicht davon abhalten würde, sich innerhalb weniger Monate ebenfalls mit einem nagelneuen gelben Phaeton zu schmücken. Sie kopierten einfach alles an ihm: die Art, wie er seine Krawatten band, den eleganten Schnitt seiner maßgeschneiderten Kleidung, die auf Hochglanz polierten Schaftstiefel.

Doch nicht nur die Herren der Schöpfung waren von ihm beeindruckt. Da der Graf stets großen Wert auf ein makelloses Äußeres legte und zudem noch blendend aussah, war es kein Wunder, daß ihm die Herzen aller Frauen zuflogen, die ihm begegneten. Er genoß seinen Ruf als Lebemann zwar, gestand sich jedoch bisweilen zynisch ein, daß er wesentlich öfter verführt wurde, als daß er selbst verführte.

Nun war er zum ersten Mal im Begriff, sich ernsthaft um die Gunst einer Schönen zu bemühen, die seinem Charme bisher tapfer widerstanden hatte.

Sein Adelstitel und die umfangreichen Besitzungen waren ihm nach Meinung seiner Verwandtschaft in einem viel zu jugendlichen Alter zugefallen. Seitdem versuchte man mit Bitten, Befehlen oder allen möglichen anderen Tricks, ihn dazu zu bewegen, sich zu verheiraten.

Cham, der Stammsitz seiner Familie, war im ganzen Land das schönste Zeugnis italienischer Architektur aus der Zeit Elizabeths I. Die Baumaterialien stammten aus vielen verschiedenen Gegenden, wie der Graf seine Gäste zu belehren pflegte.

»Das Holz aus den eigenen Wäldern«, zählte er auf, »die Ziegel aus der örtlichen Brennerei, der Dachschiefer aus Wales, das Glas aus Spanien und die Mauersteine aus einem Steinbruch in der Nähe von Bath.«

Es bedurfte keiner besonderen Erwähnung, daß man die Steinmetze und Stuckateure, die im Haus die Decken mit Ornamenten verziert hatten, aus Italien hatte kommen lassen.

Auch die Gemäldesammlung suchte in ganz Britannien ihresgleichen, umfaßte sie doch Werke der berühmtesten Künstler jeder Epoche.

Es war also ein würdiger Rahmen für den Grafen, der selbst aussah, als sei er einem der Gemälde entstiegen, um als strahlender Held die Herzen der Weiblichkeit höher schlagen zu lassen.

Mittlerweile hatte er die nach Norden führende Ausfallstraße erreicht. Sie war kaum befahren, und er bedauerte es, keine längere Strecke vor sich zu haben.

Elaine Dale, die sein flatterhaftes Herz erobert hatte, weilte bei ihrem Großvater, dessen Haus nur knapp zehn Meilen vom Zentrum Londons entfernt lag.

Elaine war die Tochter von Lord William Dale, dem jüngsten Sohn des Herzogs von Avondale, der wegen seiner niedrigen Stellung in der Familienhierarchie ständig Schulden hatte. Sein älterer Bruder hatte als Erbe des Adelstitels alles bekommen, was man an Vermögen zusammenbringen konnte, während sich die jüngeren Familienmitglieder mit Almosen begnügen mußten. Das entsprach durchaus der Tradition in adligen Kreisen, doch Lord William wurde nicht müde, sich bitter über sein armseliges Los zu beklagen, obwohl ihm längst niemand mehr zuhörte.

Bis er, eines Tages erkannt hatte, daß er einen Schatz von unermeßlichem Wert sein eigen nannte: seine Tochter Elaine.

Sie als Schönheit zu bezeichnen, wurde dem Zauber ihrer Persönlichkeit nicht im entferntesten gerecht. Von ihrer irischen Mutter hatte sie die blauen Augen und vom skandinavischen Zweig ihrer Familie das weißblonde Haar geerbt. Sie hatte eine wundervoll melodische Stimme und vermochte mit ihrer natürlichen, wenn auch ungebildeten Intelligenz jeden, der ihr begegnete, in ihren Bann zu ziehen.

Nachdem Lord und Lady William Dale geknausert und sich jeden Penny vom Mund abgespart hatten, um ihre Tochter in die vornehme Londoner Gesellschaft einführen zu können, war Elaine wie ein strahlender Stern am Gesellschaftshimmel aufgegangen. Da sie ein Trauerjahr hatte einhalten müssen, war sie älter als die meisten anderen Debütantinnen, die mit ihr zusammen zum ersten Hofknicks im Buckingham Palast empfangen wurden, doch alle Anwesenden waren von ihrer vollendeten Anmut und Würde verzaubert.

Wann immer sie in den Klubs von St. James auftauchte, konnte sie sich allgemeiner Aufmerksamkeit erfreuen. Zwar war es bei den jungen Stutzern und Dandys Mode, sich geistreichen Frauen zuzuwenden und Debütantinnen zu ignorieren, weil die sich meist als fad erwiesen. Außerdem bestand die Gefahr, daß man unversehens in eine Ehe hineinschlitterte, wenn man sich zu intensiv mit ihnen befaßte. Elaine jedoch bildete in jeder Beziehung eine rühmliche Ausnahme.

Bereits in der ersten Woche nach ihrem Debüt war sie auf jeder Gesellschaft, die sie besuchte, vielumschwärmter Mittelpunkt. Unter ihren Verehrern befanden sich nicht wenige junge Adlige, die bisher als eingeschworene Junggesellen gegolten hatten, ihr zuliebe jedoch durchaus bereit schienen, diesen Status aufzugeben.

Der Graf hatte Elaine anfangs nur flüchtig wahrgenommen, doch dann war er ihr auf einem Ball vorgestellt worden, den er mit der Gattin eines Botschafters besucht hatte. Verglichen mit dem erotischen Vulkan an seiner Seite war ihm Elaine wie ein kühler Wassertropfen inmitten einer glutheißen Wüste erschienen. Und schon war es ihm ebenso ergangen wie all seinen Freunden: Er war ihr auf Anhieb verfallen.

Zu seiner Verblüffung hatte Elaine ihn äußerst kühl behandelt, so als sei er ihr völlig gleichgültig. Sie hatte seinen Gruß nur flüchtig erwidert und dann das Gespräch mit dem Herrn an ihrer Seite fortgesetzt.

Der Graf - von den Frauen verwöhnt und von den Schönen angebetet, als sei er der Traumheld ihrer schlaflosen Nächte - hatte Elaines abweisende Haltung als ganz neue und sehr aufreizende Erfahrung gewertet. Er bat sie also um einen Tanz, aber auch das schien sie keineswegs als Auszeichnung zu empfinden, wie es bei all den anderen jungen Damen im Saal der Fall gewesen wäre. Stattdessen teilte sie ihm gleichmütig mit, daß sie bereits alle Tänze vergeben habe.

Das fuchste ihn. Wie war es möglich, daß ein Mädchen, das gerade erst vom Lande in die Stadt gekommen war und dessen Vater nicht einen müden Penny besaß, eine so herablassende Art zur Schau tragen konnte? Sie führte sich auf, als sei sie ein vom Himmel herabgestiegener Stern, der sich dazu bequemte, die gewöhnlichen Sterblichen mit seinem Abglanz zu beehren.

Auch ihre übrigen Verehrer hielt sie auf Distanz. Keiner konnte sich rühmen, ihr jemals nähergekommen zu sein oder ihr gar einen Kuß geraubt zu haben.

Elaines merkwürdiges Verhalten beschäftigte den Grafen dermaßen, daß er entschlossen war, das Geheimnis um ihre Person zu lüften. Noch am selben Abend begab er sich auf die Suche nach Lord William, ihrem Vater.

Er war zwar Mitglied des White’s Clubs, verfügte aber selten über die finanziellen Mittel, nach London zu kommen und an den Zusammenkünften teilzunehmen. Der Graf traf ihn im Spielsalon an, wo er, ein Glas Champagner in der Hand, der hier gratis ausgeschenkt wurde, den Kartenspielern zuschaute, weil er sich selbst keinen Einsatz leisten konnte.

»Ich hatte gerade das Vergnügen, Ihre Tochter kennenzulernen«, sprach der Graf ihn an.

»Sie ist sehr hübsch, nicht?« entgegnete Lord William.

»Mehr als das«, erwiderte der Graf. »Sie ist eine Schönheit. Warum haben Sie uns eine solche Augenweide bisher vorenthalten?«

»Warum wohl?« gab der Lord achselzuckend zurück. »Weil sie bis vor kurzem noch die Schulbank gedrückt hat.«

Er leerte sein Glas Champagner in.einem Zug und fügte dann in vertraulichem Ton hinzu: »Eins kann ich Ihnen flüstern, Charncliffe, Töchter sind verdammt teuer. Ständig brauchen sie was Neues.«

»So ist’s wohl«, entgegnete der Graf, dem nicht entgangen war, daß Lord William dem Gratis-Champagner offenbar bereits reichlich zugesprochen hatte. Deshalb verkniff er sich weitere Fragen nach Elaine.

Doch der Lord gab sich sehr redselig.

 »Ich hab’ dem Mädel geraten, sich einen reichen Gemahl zu angeln«, fuhr er mit schwerer Zunge fort. »Mir kann’s nicht schnell genug gehen, sie unter die Haube zu bringen.«

»Sie sind ziemlich klamm, wie?« erkundigte sich der Graf mitfühlend.

»Die Schuldeneintreiber rennen mir die Bude ein!« sagte Lord William finster. »Der Teufel soll das Pack holen! Immer trampeln sie auf einem herum, wenn man schon am Boden liegt!« Als habe sein umnebeltes Hirn erst jetzt erfaßt, mit wem er sich da unterhielt, fügte er hinzu: »Wenn Sie sie heiraten wollen, Charncliffe, meinen Segen haben Sie!«

Das ging dem Grafen denn doch zu weit und zu schnell für seinen Geschmack; deshalb entfernte er sich schleunigst. Jedenfalls wußte er jetzt, daß Lord William seine ganze Hoffnung auf einen begüterten Schwiegersohn setzte, der für seine Schulden aufkam. Weil ihn das Ganze amüsierte, beobachtete der Graf Elaine Dale im weiteren Verlauf des Abends aufmerksam. Seiner Schätzung nach legte sie es darauf an, einen Verehrer gegen den anderen auszuspielen, bis sie schließlich an einen gelangte, dessen Vermögen ihren eigenen Ansprüchen und vor allem denen ihres Vaters gerecht wurde. In diesem Falle würde es keinen besseren Heiratskandidaten geben als ihn selbst, und die Wahrscheinlichkeit war groß, daß er das Rennen machen würde.

Die Geschichten, die man sich über seinen unermeßlichen Reichtum erzählte, waren nicht übertrieben. Ihm gehörte Charn mit seinen fünftausend Morgen guten Oxfordshire-Boden, zudem nannte er das größte und vornehmste Stadthaus am Berkeley Square sein eigen, außerdem ein Haus in Newmarket, wo er seine Rennpferde zu trainieren pflegte, und ein weiteres in Epsom, dem umfangreiche Ländereien angeschlossen waren.

Da Elaine Dale an diesem Abend keinen Tanz für ihn frei hatte und zudem seine Botschafterin seine ungeteilte Aufmerksamkeit für sich in Anspruch nahm, dachte er erst wieder an sie, als man im Club über sie sprach und Lobeshymnen auf sie anstimmte.

Auf einer Dinnerparty in Devonshire fand er sich wenige Abende später als ihr Tischherr wieder.

»Haben Sie sich neulich auf dem Beauchamp-Ball gut amüsiert?« fragte er sie.

Elaine sah wieder reizend aus, obwohl er sich nicht erklären konnte, was ihren eigentlichen Charme ausmachte und worin sie sich von allen anderen Schönen an der Tafel unterschied. Es ging ein Strahlen von ihr aus, das die Blicke aller anwesenden jungen Männer anzuziehen schien.

Statt der von ihm erwarteten Antwort, daß es ihr leid täte, keinen Tanz für ihn freigehabt zu haben, fragte sie zu seiner maßlosen Verblüffung: »Waren Sie auch da?«

Einen Augenblick glaubte er, sich verhört zu haben. Er, der begehrteste Junggeselle der Gesellschaft, sollte auf dieses Küken vom Lande keinen Eindruck gemacht haben?

»Allerdings war ich da«, erwiderte er ungehalten, »und ich hatte Sie auch um einen Tanz gebeten.«

»Tatsächlich?« entgegnete sie gedehnt. »Bedauerlicherweise mußte ich so viele Tänzer abweisen, daß ich mich nicht mehr an jeden einzelnen erinnern kann.«

Dieser Herausforderung konnte er nicht widerstehen. Er ließ seinen ganzen Charme und Witz spielen, um Miss Dale zu imponieren.

Das Resultat war unbefriedigend. Sie hörte ihm zwar höflich zu und lachte über seine Scherze, aber ihre Augen ließen den gewissen Ausdruck vermissen, der Interesse an seiner Person bekundete. Auch wandte sie keinen der ihm sattsam bekannten weiblichen Tricks an, um sich seine Aufmerksamkeit für den Abend zu sichern.

Eine Woche später erschien der Graf im Klub und wurde von einem seiner Freunde mit den Worten begrüßt:

»Hast du dich über den neuesten Stand der Wetten informiert, Darril? Du liegst im Hintertreffen, mein Lieber! Hampton hat die Nase vorn.«

»Wovon redest du eigentlich?« wollte der Graf wissen, der mit den Andeutungen nichts anzufangen wußte.

»Ist dir denn noch nicht zu Ohren gekommen, daß man Wetten abgeschlossen hat, ob Hampton den Goldpokal gewinnen wird oder du? Mit Goldpokal ist natürlich unsere unvergleichliche Elaine gemeint.«

»Würdest du dich gefälligst deutlicher ausdrücken?«

»Ganz einfach«, erwiderte sein Freund lässig. »Wir haben das Wettbuch bemüht, um unsere Wetten aufzunehmen, wer bis Ende Juni der Auserwählte sein wird, der Elaine Dale den Ring an den Finger steckt.«

Der Graf begab sich zu dem Regal, in dem das berühmte Wettregister des Klubs aufbewahrt wurde. Nach einigem Blättern fand er die Eintragung, auf die sein Freund angespielt hatte. Fast alle seine näheren Bekannten hatten sich an der Wette beteiligt. Tatsächlich hatte man ihn auf den zweiten Platz der Favoriten um Elaine Dales Gunst gesetzt, und das empfand er als ehrenrührig.

Hampton konnte sich weder mit seinem Äußeren noch mit seinem Vermögen messen. Der Marquis war der Sohn des Herzogs von Wheathampton, aber er war ein häßlicher Vogel, trank zu viel und pflegte sich im Suff rüpelhaft zu benehmen. Allerdings konnte er einen gewissen Erfolg beim schönen Geschlecht für sich in Anspruch nehmen, und zwar nicht nur wegen seines Adelstitels, sondern wegen seiner direkten Überrumpelungstaktik, die er immer dann anwandte, wenn er eine hübsche Festung belagerte.

Wenn sie so etwas mag, dachte der Graf verärgert, soll sie ihn haben! Das hätte ihn nicht weiter gestört. Verstimmt war er nur, weil im Wettregister auch die Namen seiner besten Freunde aufgeführt waren, deren Wertschätzung er sich sicher glaubte und die doch gegen ihn gewettet hatten.

Noch am selben Nachmittag stattete er Elaine Dale in dem unscheinbaren kleinen Haus, das Lord William für die Saison gemietet hatte, einen Besuch ab. Sie erschien ihm noch reizvoller in dieser schlichten Umgebung und noch rätselhafter als bei ihren vorherigen Begegnungen.

Sein Besuch setzte sie offensichtlich in Erstaunen, und er hatte das unbehagliche Gefühl, daß sie sich kaum noch an ihn erinnerte.

»Gilt Ihr Besuch Papa oder mir?« fragte sie unbefangen, ohne sich offensichtlich der Taktlosigkeit bewußt zu sein, ihn mit ihrem Vater auf eine Altersstufe gestellt zu haben.

Er zeigte sich von seiner charmantesten Seite und bemühte sich, eine angeregte Unterhaltung in Gang zu setzen. Seine Komplimente ließen sie tatsächlich zart erröten, doch als er sich verabschiedete und sich zu seinem vor der Haustür wartenden Phaeton begab, wurde er das Gefühl nicht los, daß sie ihn gleich wieder vergessen würde.

Das war für ihn etwas so Ungeheuerliches, daß er den Entschluß faßte, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln Elaine Dales Herz zu erobern. Auf keinen Fall würde er dulden, daß Hampton vor ihm die Ziellinie passierte.

So belagerte er die Festung mit Blumen und Aufmerksamkeiten und gab sich alle Mühe, ihre Gunst zu erringen. Sein Eifer hätte bei allen Damen seiner Bekanntschaft fassungsloses Staunen ausgelöst, denn bisher war immer er der Vielumschwärmte gewesen.

Es war ein offenes Geheimnis, daß in seinem Haus am Berkeley-Square Diener in den verschiedensten hochherrschaftlichen Livreen dem gräflichen Lakaien im Auftrag ihrer Herrinnen Billetts übergaben, die verführerisch nach Gardenien, Heliotrop oder Rosmarin dufteten. Daß die Briefschreiberinnen zum größten Teil verheiratet waren, gab dem Ganzen eine besonders pikante Note.

Doch jetzt verfaßte der Graf selbst Liebesbriefe, ohne allerdings zu ahnen, daß seine Kuriere sich darüber lustig machten.

»Diesmal hat’s ihn mächtig erwischt!« meinte einer seiner Stallburschen.

»Wundert’s dich denn?« fragte ein anderer grinsend zurück. »Neben der seh’n doch alle andern aus wie olle Nebelkräh’n!«

Der Graf wäre wütend gewesen, wenn ihm dieses Dienstbotengeschwätz zu Ohren gekommen wäre.

Nach drei Wochen Belagerung hielt er die Zeit für gekommen, sich Elaine zu erklären, zumal im Club das Gerücht kursierte, Hampton habe bereits seinen Kniefall vor ihr gemacht und sei um Bedenkzeit gebeten worden.

Sie will also Zeit gewinnen, sagte sich der Graf, um auszuloten, ob ich es ebenfalls ernst meine oder - wie man im Club allgemein annimmt - vor dem letzten Schritt zurückschrecke.

Unruhig wälzte er sich in der folgenden Nacht im Bett hin und her und überlegte, ob er seine kostbare Freiheit aufgeben und seiner Pflicht nachkommen sollte, für einen oder mehrere Stammhalter zu sorgen. Dann faßte er den Entschluß, Elaine zu seiner Gemahlin zu machen, da sie alle Voraussetzungen mitbrachte, die er sich nur wünschen konnte. Ihre Abstammung war der seinen ebenbürtig, und in der ganze Beau Monde gab es keine, die den Familienschmuck mit so viel Anmut tragen würde wie sie. Besonders der von ihm so sehr geliebte Saphir-Schmuck mit den tiefblauen, kunstvoll gefaßten Steinen, der selbst den der Königin an Schönheit und Kostbarkeit übertraf, würde Elaines Liebreiz noch unterstreichen.

Seinem Kennerblick war nicht entgangen, daß sie eine makellose Figur hatte und selbst in der schlichten Garderobe, über die sie verfügte, hinreißend aussah. Doch es war vor allem ihr schönes Antlitz, das alle Blicke auf sich zu lenken pflegte. Die blauen Augen und der sanfte Amorbogen ihrer Lippen übten einen überaus anziehenden Zauber aus.

Der Graf konnte dem Wunsch kaum widerstehen, diese verführerischen Lippen zu küssen, doch bisher war ihm nur ein Handkuß gestattet worden, und er wußte aus Erfahrung, daß ihm intimere Zärtlichkeiten erst erlaubt würden, wenn er ihr sein Herz zu Füßen gelegt und sie um ihre Hand gebeten hatte.

Doch als er sie am darauffolgenden Tag in ihrem Mietshaus in Islington aufsuchen wollte, erfuhr er, daß sie plötzlich aufs Land gereist sei, um ihren Großvater, den Herzog von Avondale, zu besuchen. Seine anfängliche Verärgerung darüber wich der Erkenntnis, daß es viel romantischer sein würde, ihr in der ländlichen Umgebung seinen Antrag zu machen, als in dem tristen Wohnzimmer des Mietshauses

So ließ er sich von seinem neuen rassigen Vierergespann in der schnellen Kutsche nach Avondale House bringen. Der Anblick des gelblackierten Phaetons ließ jedes Mädchenherz höher schlagen, und seine Verehrerinnen verglichen ihn schwärmerisch mit Apollo, der mit seinem Streitwagen himmelwärts flog und wie dieser die Dunkelheit der Nacht hinwegfegte. Dieses Kompliment hatte der Graf schon so oft gehört, daß er fast schon selbst daran glaubte. Selbst wenn Elaine noch nichts von Apollo gehört hatte, würde auch sie sich zweifellos von seinem großartigen Auftritt beeindrucken lassen.

Der Graf war im Grunde kein eingebildeter Mensch, aber er war sich seiner Vorzüge wohl bewußt. So konnte keiner seiner Clubkameraden die Zügel so geschickt führen wie er und schneller fahren oder besser reiten als er. Die Möglichkeit, daß Hampton aufgrund seines höheren Adelstitels das Rennen machen würde, erachtete er denn auch als gering. Er brauchte sich nur dessen häßliche Visage und plumpe Figur vorzustellen, um zu erkennen, daß ein Vergleich einfach lächerlich war.

In weniger als einer Stunde passierte er das Eingangstor von Avondale. Der Landsitz nahm sich in der wenig vorteilhaften Lage unscheinbar aus. Aber er beherbergt einen Herzog, dachte der Graf in einem Anflug von Spott.

Vorsorglich hatte er am Morgen einen Kurier losgeschickt, um Elaine zu vermelden, daß er sie zu besuchen beabsichtige. Als er nun vor der Säulenhalle vorfuhr, war er sicher, von Elaine bereits voller Ungeduld erwartet zu werden.

Zwei Lakaien in schlechtsitzenden Livreen, wie er sie bei seiner Dienerschaft niemals geduldet hätte, eilten die mit einem abgewetzten roten Läufer belegten Stufen hinunter, während sein Pferdeknecht vom Kutschbock sprang, um nach vom zu laufen und die Pferde am Halfter festzuhalten.

Der Graf ließ die Zügel langsam fallen und stieg ohne Hast aus dem Phaeton. Am Eingangsportal empfing ihn ein Butler mit tiefer Verbeugung. Ein Lakai nahm seinen Zylinder und die Handschuhe, und der Graf sah sich in der Eingangshalle um, die durch die verstaubten Bilder an den Wänden düster und muffig wirkte. Dann folgte er dem Butler in einen großen, mit Möbeln überladenen Salon, in dem sich zu seiner Verblüffung niemand befand.

Er war fest davon überzeugt gewesen, daß Elaine ihn hier erwarten und freudig begrüßen würde, wie er es von seinen Besuchen bei anderen jungen Damen gewöhnt war. Er hatte sich vorgestellt, daß sie ihm zu Ehren ihr hübschestes Kleid tragen und ihn, am anderen Ende des Zimmers stehend, erwarten würde, damit beschäftigt, Blumen in eine Vase zu ordnen. Sein Auftauchen würde ihr einen Freudenschrei entlocken, als sei sie völlig überrascht, dann würde sie ihn mit strahlenden Augen ansehen und auf ihn zulaufen, um sich in seine Arme zu werfen.