Der kleine Fürst – 203 – Zu jung für die Liebe?

Der kleine Fürst
– 203–

Zu jung für die Liebe?

Fürst Christian weiß Rat

Viola Maybach

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74093-118-6

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»Was denken Sie?«, fragte Kriminalrat Volkmar Overbeck seinen Assistenten Arndt Stöver.

»Er hat mit dem Verschwinden des Mädchens nichts zu tun.« Arndts Antwort kam wie aus der Pistole geschossen.

Volkmar Overbeck wiegte nachdenklich den Kopf. »So sicher wie Sie bin ich nicht.«

»Aber Sie haben Zweifel, Chef, sonst hätten wir ihn mitgenommen und in Untersuchungshaft gesteckt.«

»Zweifel habe ich«, räumte der Kriminalrat ein. »Aber er wurde zusammen mit Caroline von Hohenbrunn gesehen und sogar fotografiert, und Caroline hat sich in den letzten Wochen erschreckend verändert, sagt ihre Familie. Außerdem kennt er die vermisste Lena Mansfeld.«

»Stimmt alles, beweist aber leider überhaupt nichts«, stellte Arndt fest. »Er hat bis jetzt nichts Verbotenes getan. Er hat selbst darauf hingewiesen, dass man ihm nicht vorwerfen kann, Mädchen zu kennen, die seine Vorträge gehört haben. Und dass er mit ihnen spricht, wenn er ihnen auf der Straße oder in einem Park begegnet, ist auch kein Verbrechen.«

»Und warum will er uns dann nicht sagen, was er mit Caroline zu besprechen hatte? Und warum sie auf den Fotos so verschüchtert, ja, beinahe verzweifelt und er irgendwie bedrohlich wirkt? Sie müssen zugeben, dass das merkwürdig ist. Ich verweigere doch nicht die Aussage, wenn ich ein reines Gewissen habe und mich überdies durch Schweigen noch verdächtig mache.« Der Kriminalrat redete sich regelrecht in Rage. Es ärgerte ihn, dass sie an diesem Abend nichts, aber auch gar nichts erreicht hatten.

Sein Assistent hingegen blieb vollkommen gelassen, er wusste die besseren Argumente auf seiner Seite, diese Situation kostete er aus. »Vielleicht passt es ihm einfach nicht, dass die Polizei in seinem Privatleben herumwühlt, Chef.«

Der Mann, über den sie sprachen, war Ferdinand von Hauck, ein junger Betriebswirt und Bankkaufmann, der an Schulen Vorträge über den vernünftigen Umgang mit Geld hielt und damit sehr erfolgreich war. Er hatte Gäste zum Abendessen gehabt, als sie bei ihm geklingelt und ihn um eine Unterredung gebeten hatten. Wobei ›gebeten‹ nicht der richtige Ausdruck war, fand zumindest Arndt Stöver, denn sein Chef hatte sehr energisch eine Unterredung gefordert, Widerspruch aussichtslos.

Die Gäste waren gegangen, die Reste des Mahls auf dem Tisch stehen geblieben. Arndt, der hungrig war, hatte verlangend auf die saftigen Geflügelstücke und das köstlich duftende Gemüse geblickt. Sie waren in eine gemütliche Runde von Freunden eingebrochen und hatten vermutlich mehr angerichtet, als einen schönen Abend vorzeitig zu beenden.

Ferdinand von Hauck war aschfahl geworden, als er begriffen hatte, worum es ging, sich aber dennoch hartnäckig geweigert, den beiden Polizeibeamten zu sagen, was er im Park mit der neunjährigen Caroline von Hohenbrunn zu besprechen gehabt hatte.

»Wir hatten jedes Recht, ihn zu befragen!«, entgegnete Volkmar Overbeck heftig, um dann, deutlich ruhiger, hinzuzufügen: »Der nächste Schritt ist es jetzt, mit Caroline von Hohenbrunn zu reden.«

Sie hatten erwogen, das Mädchen zuerst zu befragen, sich jedoch dagegen entschieden. Die Kleine war offenbar seit Wochen durcheinander und wurde von einem Kummer geplagt, den sie mit niemandem teilen wollte. Sie hatten ihr weitere, womöglich unnötige Aufregung ersparen wollen, doch das war jetzt nicht mehr möglich.

»Morgen früh, in der Schule«, entschied der Kriminalrat. »Ich halte es nicht für gut, wenn wir zu ihr nach Hause fahren, dann mischt sich nur die Familie ein, und wir kriegen nichts aus ihr heraus.«

Er hatte zwei Beamte angewiesen, vor dem Haus, in dem Ferdinand von Hauck wohnte, Wache zu halten. Man konnte schließlich nie wissen, auch wenn er selbst nicht recht an die Schuld des jungen Mannes glaubte, trotz dessen Schweigens.

»Er war’s nicht«, murmelte Arndt. »Echt, Chef, ich habe keine Ahnung, warum diese Fotos, die Christian von Sternberg im Park gemacht hat, so einen seltsamen Eindruck hinterlassen, aber wir wissen doch beide, dass Bilder täuschen können. Wir denken, Herr von Hauck sieht darauf bedrohlich aus und die Kleine guckt verängstigt – aber vielleicht liegt die Sache ganz anders. Und wenn er sie überreden wollte, mit ihm zu kommen, hätte er sie umschmeicheln müssen und keinesfalls bedrohen dürfen. Falls er das überhaupt getan hat. Wie gesagt, manchmal wirken Dinge anders, als sie sind.«

Der Kriminalrat antwortete nicht sofort. Er sah aus dem Wagen, den sein Assistent ruhig und sicher durch den abendlichen Verkehr zurück zu ihren Büros steuerte. Nach einer Weile sagte er: »Ich hoffe, dass die Sache anders liegt, Arndt, das wissen Sie. Als wir Herrn von Hauck neulich auf diesem Empfang kennengelernt haben, fanden wir ihn ja beide außerordentlich sympathisch. Aber wenn ich etwas weiß, dann dieses: dass manchmal auch ein erfahrener Kriminalist wie ich sich bei der Beurteilung eines Menschen täuschen kann. Also bin ich lieber vorsichtig, zumal er sich geweigert hat, uns zu erzählen, worüber er im Park mit Caroline von Hohenbrunn gesprochen hat.«

»Es stimmt, dass das merkwürdig ist«, gab Arndt zögernd zu, »aber es macht ihn noch nicht schuldig. Er hat nur geredet. Auch die Sternberger Teenager haben nichts anderes gesagt. Er hat die Kleine nicht angefasst, sie nicht bedrängt, und er ist zuerst gegangen.«

»Ich hoffe, Caroline wird morgen Licht ins Dunkel bringen, wenn wir mit ihr reden.«

Dieser Hoffnung seines Vorgesetzten schloss sich Arndt an. Er war froh, als er den Dienstwagen abstellen und sich in seinen eigenen setzen konnte. Endlich Feierabend, mit einem guten Essen und einem Bier, das war es, was ihm jetzt vorschwebte.

»Bis morgen, Chef, ich bin früh da.«

Volkmar Overbeck nickte. Er sah grau aus im Gesicht, wie immer, wenn sie an einem Fall arbeiteten, der ihnen allen nahe ging. Und wie sollte einem ein verschwundenes kleines Mädchen nicht nahe gehen?

*

Auch als Ferdinand alles aufgeräumt hatte, war er noch außer sich. Der Abend, von dem er sich so viel erhofft und der so schön begonnen hatte, war zum Albtraum geworden. Allein, dass die Polizei bei ihm in der Wohnung aufgetaucht war und darauf bestanden hatte, ihn unverzüglich zu befragen, hatte deutliches Befremden bei seinen Gästen ausgelöst. Wie auch nicht? Er konnte sie verstehen, er hätte in einer vergleichbaren Situation sicherlich ähnlich reagiert. Er hatte ihnen ihre Gedanken förmlich von den Gesichtern ablesen können: Was hatte sich ihr Gastgeber zuschulden kommen lassen? Ohne Grund tauchte die Kripo schließlich nicht abends in einer Privatwohnung auf und bestand auf einer sofortigen Unterredung.

Am schlimmsten hatte Ferdinand Ariane von Holderns Reaktion getroffen. Ihre Augen hatten sich fragend auf ihn gerichtet, eine steile Falte war über ihrer Nasenwurzel erschienen, als er versucht hatte zu erklären, dass der Abend leider abgebrochen werden müsste, weil zwei Kriminalbeamte darauf bestanden, mit ihm zu reden.

Er hatte kurz erwogen, seine Gäste einfach warten zu lassen, während er die Fragen des Kriminalrats und seines Assistenten beantwortete – oder eben auch nicht – aber er hatte sich dagegen entschieden, und es hatte sich dann ja herausgestellt, dass das klug gewesen war. Wie hätte er weiterhin als gut gelaunter Gastgeber auftreten sollen, wenn er wusste, dass die Polizei ihn vielleicht nicht verdächtigte, aber es doch immerhin für möglich hielt, dass er etwas mit dem Verschwinden eines neunjährigen Mädchens zu tun hatte, nach dem seit Tagen gefahndet wurde und dass er es auch auf Caroline von Hohenbrunn abgesehen hatte?

Als sein Telefon klingelte, hoffte er, es möge Ariane sein, doch es war Alexis von Ehrenfeld. »Bist du wieder allein?«

»Ja, schon eine ganze Weile«, antwortete Ferdinand müde. »Ich habe aufgeräumt, und jetzt hadere ich mit der Welt.«

»Tut mir leid, Mann. Was wollten die denn von dir?«

Ferdinand kannte Alexis nicht gut genug, um zu wissen, ob er etwas, das ihm anvertraut wurde, für sich behalten konnte, also hielt er sich bedeckt und sagte bewusst schwammig: »Sie haben mir Fragen zu einem Kriminalfall gestellt, weil sie offenbar der Ansicht sind, ich könnte etwas damit zu tun haben. Tut mir leid, mehr möchte ich dazu nicht sagen.«

»Aber du hast sie doch überzeugen können, dass das Unsinn ist?«, fragte Alexis.

»Ich habe es versucht, ob es gelungen ist, kann ich dir nicht sagen.«

Sie wechselten noch ein paar Sätze, bevor sich Alexis wieder verabschiedete. Ferdinand fragte sich, ob er es eilig hatte, einige Freunde und Bekannte anzurufen und sie über den unerhörten Verlauf des Abendessens zu informieren. Vielleicht hatte er das aber auch längst getan. Und selbst wenn nicht: Die Neuigkeit würde sich so oder so rasch verbreiten, durch wen auch immer.

Er fand keine Ruhe, lief durch die Wohnung, fragte sich, ob er nicht doch hätte sagen sollen, warum er so streng mit Caroline gesprochen hatte. Aber er hatte ja auch schon überlegt, sich mit ihren Eltern in Verbindung zu setzen und es letzten Endes nicht getan, weil ihn das kleine Mädchen, dessen Leid so offensichtlich war, im Innersten anrührte. Nein, er konnte sie nicht dem Gespött von Polizisten ausliefern. Zwar hielt er den Kriminalrat und seinen Assistenten für kluge und auch einfühlsame Menschen, aber sie konnten, was er ihnen sagte, ja nicht für sich behalten, sondern mussten es weitergeben. Er schloss die Augen, als er sich die derben Witze vorstellte, die gerissen würden, wenn Carolines Geheimnis kein Geheimnis mehr war.

Endlich fand er den Mut, zum Telefon zu greifen und Ariane anzurufen. Sie waren sich schließlich näher gekommen in den vergangenen Tagen, ihre Blicke hatten ihm gesagt, dass sie sich zu ihm ebenso hingezogen fühlte wie er sich zu ihr. Das musste doch immer noch gelten!

Als sie sich mit leiser Stimme meldete, sagte er hastig: »Ich bin’s, Ariane, Ferdinand.«

Eine Pause antwortete ihm, die sich unangenehm in die Länge zog, bevor sie fragte: »Was wollte die Polizei von dir? Wenn zwei Kriminalbeamte abends in einer Privatwohnung vorbeikommen und auf einer sofortigen Unterredung bestehen, wird es ja kaum um ein Verkehrsdelikt gehen.«

Er verlor den Mut. Hätte er doch nur vorher mit ihr über sein Problem mit Caroline gesprochen, um sich von ihr einen Rat zu holen, wie er es mehrfach überlegt hatte! Aber jetzt war es natürlich zu spät, wenn er ihr die Geschichte jetzt erzählte, klang sie wie eine Rechtfertigung.

»Nein, kein Verkehrsdelikt«, antwortete er. Mehr sagte er nicht.

Sie wartete einen Moment, dann erwiderte sie ruhig: »Du willst mir offenbar nicht sagen, was die Polizei dir vorwirft, Ferdinand. Das ist keine Basis für … für eine Freundschaft. Bitte, ruf mich nicht mehr an.« Es klickte, sie hatte das Gespräch beendet.

Sein erster Impuls war, ihre Nummer sofort wieder zu wählen und ihr alles zu sagen, doch er tat es nicht. Er sah Caroline von Hohenbrunns traurige Augen auf sich gerichtet, er hörte die verzweifelte Stimme der Kleinen sagen: »Aber Sie MÜSSEN mich lieben, ich liebe Sie doch auch.«

Er konnte sie nicht verraten, nicht einmal an Ariane. Wenn sie sich der Polizei nicht selbst offenbarte, er würde es nicht tun. Irgendwann würden sie einsehen, dass er sich nichts vorzuwerfen hatte und ihn in Ruhe lassen.

Vielleicht war Ariane dann bereit, wieder mit ihm zu reden.

*

»War er das?«, fragte David Feldmann.