Der Bergpfarrer – 203 – Musik liegt in der Luft

Der Bergpfarrer
– 203–

Musik liegt in der Luft

Fabian sorgt für Trubel in St. Johann

Toni Waidacher

Impressum:

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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74093-122-3

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»Hast du schon gelesen, was heut’ in der Zeitung steht?« Aufgeregt stürmte Max Trenker in den Garten des Pfarrhauses, wo sein Bruder am Tisch saß und mit einigen Unterlagen beschäftigt war. Es war ein wunderschöner Vormittag, die Sonne schien, und am hellblauen Himmel tummelten sich hübsche weiße Schäfchenwolken. Die Blumen im Garten leuchteten in den herrlichsten Farben. Weißer Rittersporn wetteiferte in seiner Pracht mit violetten und zartrosafarbenen Gladiolen. Es war ein herrlicher Anblick, der zu Entspannung und Erholung einlud.

Sebastian Trenker, der Pfarrer von St. Johann, blickte von seinen Unterlagen auf und den Max, seines Zeichens Polizeibeamter, an. »Leider bin ich heut’ noch net dazu gekommen, die Zeitung zu lesen. Ist denn was passiert?«

»Was heißt passiert?« Max setzte sich zu seinem Bruder an den Gartentisch. »Es steht lediglich zu befürchten, dass es jetzt bald vorbei sein wird mit der schönen Ruhe in St. Johann.«

»So? Und wieso das?«

»Du weißt doch, dass vor etwa einem Monat jemand in das Haus der alten Wieshammr-Rosi gezogen ist, net wahr?«

»Natürlich weiß ich das. Das Haus hat ja lang genug leer gestanden. Und?«

»Und du weißt doch auch, dass diesen neuen Bewohner hier noch nie jemand zu Gesicht bekommen hat. Keiner weiß, wer dieser Unbekannte ist.«

Sebastian nickte. Das Haus, von dem sein Bruder sprach, befand sich etwas außerhalb von St. Johann, ganz in der Nähe vom Hof, der von Leonie und Andreas Lessing bewirtschaftet wurde. Dort hatte bis zu ihrem Tod die Rosi Wieshammr gelebt, die früher einmal einen kleinen Einkaufsladen in St. Johann betrieben hatte. Nachdem sie vor etwa einem Jahr gestorben war, hatte das Haus erst einmal leergestanden. Ihre Tochter, die das Anwesen geerbt hatte und die in der Stadt lebte, hatte sich zunächst erfolglos um einen Käufer bemüht.

Gefunden hatte sie dann schließlich doch noch jemanden, und so war das Haus seit kurzer Zeit wieder bewohnt. Seltsam an der Sache war nur, dass diesen Bewohner bislang noch niemand in St. Johann zu sehen bekommen hatte. Nach einer kompletten Rund­um-Renovierung war der neue Besitzer, wie es schien, in einer Nacht- und Nebelaktion eingezogen, und seither hatte er sich nirgendwo blicken lassen. Mit ihm zusammen wohnte eine Haushälterin dort, die er mitgebracht hatte und die demnach nicht aus der Gegend stammte. Sie kümmerte sich um Einkäufe und all die anderen Dinge, die erledigt werden mussten.

»Und du hast jetzt mehr über den Unbekannten herausgefunden?«, fragte Sebastian.

Max nickte. »Und net nur ich, sondern jeder, der Zeitung liest. Hier, schau selbst.«

Er legte seinem Bruder die Zeitung hin. Sebastian nahm sie vom Tisch und stellte fest, dass die Seite mit der Sparte »Klatsch & Tratsch aus der Promiwelt« aufgeschlagen war. Normalerweise überblätterte der Bergpfarrer derartige Rubriken, aber jetzt entdeckte er eine Schlagzeile, die seine Aufmerksamkeit erregte:

VOLKSMUSIKSTAR LEBT JETZT IM BESCHAULICHEN ST. JOHANN!

Nachdem Sebastian über diese Überschrift erstaunt den Kopf geschüttelt hatte, las er den Text darunter halblaut vor: »Wie unsere Reporter erfahren haben, hat sich der 38-jährige Volksmusikstar Fabian Bergleitner in der Nähe des herrlich gelegenen Ortes St. Johann niedergelassen, wo er sich ein Haus gekauft haben soll. Über sein Management ließ Fabian ausrichten, dass die wundervolle Umgebung ihm die nötige Kraft gibt, seinen stressigen und hektischen Beruf weiterhin zur Zufriedenheit seiner unzähligen, vor allem weiblichen Fans, auszu­üben.«

Sebastian Trenker schüttelte den Kopf. »Also, damit, dass wir jetzt einen Star hier wohnen haben, hätte ich net gerechnet. Aber ein Problem sehe ich da ehrlich g’sagt nicht.«

»Pah!« Max schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Dann denk mal scharf nach.«

Sebastian hob die Schultern. »Das hab ich. Und?«

»Na, überleg doch mal: Dieser Fabian Bergleitner hat jede Menge weibliche Fans, das steht ja auch da. Solange keiner wusste, dass er hier wohnt, war das ja kein Problem. Aber jetzt, wo’s in der Zeitung

steht …«

»Befürchtest du, dass die weiblichen Bewohner von St. Johann ausflippen und nur noch bei dem Fabian vor der Tür stehen?«

»Na, wenn es das nur wäre, das ginge ja noch. Davon würd’ man dann ja net viel mitbekommen. Aber was, wenn jetzt Fans aus ganz Deutschland anreisen und St. Johann dann völlig überfüllt ist? Und das alles wegen diesem Sänger!«

Sebastian lächelte. »Also, um ehrlich zu sein, kann ich mir das net so recht vorstellen. Sicher kann es vorkommen, dass sich mal ein paar Fans von Fabian Bergleitner hierher verirren, aber die sollten wir genauso willkommen heißen wie jeden anderen Besucher. Ich gehe aber net davon aus, dass wir es gleich mit ganzen Heerscharen zu tun bekommen. Da wirst du also wirklich beruhigt sein können. Der Fabian ist zwar sicher sehr prominent, aber er ist auch kein Teenie-Idol.«

»Na, wenn du meinst, dann ist es ja gut.« Der Polizeibeamte atmete erleichtert auf. »Immerhin sind’s dann ja meine Kollegen und ich, die hinterher für Ordnung sorgen müssen. So, ich muss jetzt auch gleich wieder ins Büro. Die Arbeit macht sich schließlich net von allein!«

Er stand auf, und der Bergpfarrer sah seinem Bruder schmunzelnd nach, bis er den Garten verlassen hatte.

*

Sandra Sterner lenkte ihren dunkelroten Kleinwagen, der schon einige Jahre auf dem Buckel hatte, auf der Landstraße dahin, die sie schließlich nach St. Johann, ihrem Zielort führen sollte.

Sie war jetzt schon eine ganze Weile unterwegs, aber im Grunde kam sie besser durch, als sie befürchtet hatte, obwohl ihr Navigationssystem schon kurz nach ihrer Abfahrt den Geist aufgegeben hatte.

So hatte sie zu alten Methoden und damit zu ihrer Land- und Straßenkarte greifen müssen, die zum Glück noch im Handschuhfach lag.

Manchmal sind die einfachen Mittel eben doch noch die verlässlichsten, dachte sie lächelnd und genoss während der Weiterfahrt die wunderbare Landschaft, die wie ein Film an ihr vorbeizog.

Es war jetzt Mittag, die Sonne stand am höchsten Punkt, und der Himmel war von einem solch hellen Blau, dass man meinen konnte, er entstammte einem Bilderbuch. Die Straße war gesäumt von hohen Kastanien, dahinter erstreckten sich endlose goldene Kornfelder und grüne Wiesen, auf denen Kühe weideten.

Sandra atmete tief durch. Es war einfach ein herrliches Wetter, und sie hoffte, dass dieses auch die nächsten drei Wochen anhielt.

Genauso lange hatte sie nämlich vor, in St. Johann zu verweilen.

Die 26-jährige Frau mit den langen goldblonden Haaren hatte eine Auszeit dringend nötig. Der berufliche Stress, dem sie als Journalis­tin täglich zehn Stunden ausgesetzt war, zehrte ganz schön an ihren Kräften, und auch privat war es in letzter Zeit bei ihr drunter und drüber gegangen.

Vor allem privat …

Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, denn in diesem Moment erreichte sie St. Johann. Was für ein hübscher kleiner Ort!, war ihr

ers­ter Gedanke. Normalerweise konnte Sandra sich gar nicht als Landmensch bezeichnen, eher das Gegenteil war der Fall. In der Stadt aufgewachsen, war sie schon als Jugendliche von Trubel und Hektik umgeben gewesen, und der Beruf als Journalistin verstärkte das alles noch. Und früher wäre sie auch gar nicht auf den Gedanken gekommen, in den Bergen Urlaub zu machen. Wenn sie überhaupt mal Zeit dazu gehabt hatte, war es nach Mallorca oder Ibiza gegangen.

Nachdem sie aber vor einiger Zeit einen Kreislaufzusammenbruch gehabt hatte und daran nicht zuletzt der berufliche Stress schuld war, hatte sie nach einem Ort gesucht, an dem sie so richtig entspannen konnte.

Eine Kollegin war es schließlich gewesen, die ihr St. Johann empfohlen hatte. Karolin Assauer fuhr selbst jedes Jahr ein oder zwei Mal hierher, um neue Kraft zu tanken.

Und genau das war es, das San­dra brauchte: Ruhe und Abgeschiedenheit, zudem die herrliche Bergluft, um sich zu erholen und neue Kraft zu schöpfen.

Zunächst hatte sie überlegt, sich ein Zimmer in einer kleinen Pension zu nehmen, aber ihre Kollegin hatte ihr schließlich gesagt, dass sie immer eine kleine Hütte anmietete, die etwas abseits des Ortes lag und in der man einfach nur seine Ruhe haben konnte.

Sandra hatte nicht gezögert und Karolin gebeten, für sie den Kontakt zum Inhaber der Hütte herzustellen, und so war schließlich alles in die Wege geleitet worden. Zwar musste sie sich hier draußen am Ortsrand selbst mit allen Dingen des täglichen Bedarfs versorgen, aber dafür würde sie auch genau das finden, nach dem sie suchte: Ruhe und Frieden.

Von dem Inhaber der Hütte wuss­te sie, dass sie den Ort durchqueren und anschließend eine kleine Anhöhe hinauffahren musste, um die Hütte zu erreichen, die am Ende eines schlecht befestigten Feldwegs lag.

Und genau das tat sie jetzt, nachdem sie St. Johann wieder verlassen hatte.

Jedenfalls hatte sie es so vor, aber genau in dem Augenblick, in dem sie, nachdem sie den Ort hinter sich gelassen hatte, in die entsprechende Straße einbiegen wollte, geschah es!

Sandra sah nur noch, dass da plötzlich ein schwarzer Sportwagen vor ihr auftauchte und genau auf sie zuraste, dann hörte sie quietschende Reifen und ein lautes Hupen. Sie selbst riss geistesgegenwärtig das Lenkrad herum, der andere Wagen ebenfalls, und zum Glück in die andere Richtung.

So kamen beide Autos schließlich so dicht nebeneinander zum Stehen, dass kaum mehr ein Blatt Papier dazwischen gepasst hätte.

Puh, das war knapp! Sandra schloss die Augen. Ihr Herz pochte wie wild, und der Schweiß war ihr auf die Stirn getreten. Ihre Hände zitterten, und sie musste erst einmal tief durchatmen, um sich zu beruhigen.

Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie auch schon, wie der Fahrer des anderen Wagens die Seitenscheibe hinunterließ. Aussteigen konnten beide nicht; die Autos standen so dicht nebeneinander, dass es nicht genug Platz gab, um die Türen zu öffnen.

Einen Augenblick lang saß San­dra wie versteinert da und konnte den Mann, der am Steuer des anderen Wagens saß, einfach nur ansehen. Neben ihm saß ein anderer Mann, aber den nahm sie gar nicht wahr. Zu sehr faszinierte sie der Fahrer. Er hatte ein sehr markantes Gesicht, trug einen Dreitagebart, und sein kurzes Haar wies einen modischen Schnitt auf. Vor allem aber waren es die Augen, die Sandra in ihren Bann zogen: Sie waren von einem solch strahlenden Blau, wie sie es nie zuvor gesehen hatte. Fast hatte sie das Gefühl, in diesem Blau zu versinken.

Als der Unbekannte jetzt wild mit den Händen gestikulierte und an ihre Scheibe klopfte, zuckte Sandra zusammen. Erst jetzt wurde ihr richtig bewusst, dass sie ihn die ganze Zeit über angestarrt hatte.

Verlegen wandte sie den Blick ab, dann machte sie sich daran, das Fenster herunterzukurbeln.

»Was fällt Ihnen eigentlich ein, so eng die Kurve zu nehmen?«, fuhr der attraktive Unbekannte sie an, sobald die Scheibe unten war. »Hätte ich nicht so schnell reagiert, hätte das Ganze böse ausgehen können! Sie haben wohl am helllichten Tag geträumt!«

»Ich … Es tut mir leid«, sagte sie nervös und spürte, wie sie rot anlief. »Ich hab wohl nicht richtig aufgepasst. Ich bin gerade erst ange…«

»Nicht aufgepasst?«, fiel er ihr ins Wort. »Sie waren einfach nur unverantwortlich leichtsinnig, das ist alles.« Er schüttelte den Kopf. »Aber was will man auch erwarten, von …« Er verstummte.

»Von was?«, fragte Sandra da, und plötzlich war ihre Zurückhaltung wie weggeblasen. Wieso hatte sie sich überhaupt so einschüchtern lassen von diesem Kerl? So sehr im Recht, wie er sich fühlte, war er schließlich auch wieder nicht. »Sprechen Sie’s ruhig aus! Sie meinen, weil ich eine Frau bin, kann ich net fahren, stimmt’s?«

Er schüttelte den Kopf und hob gleichzeitig die Schultern. Plötzlich war er es, der verlegen wirkte. »Nein, so hab ich das net g’meint.«