Stefan Görres (Hrsg.)

Innovationen für die Pflege

Praxisimpulse aus Forschungsergebnissen und Studien

Stefan Görres (Hrsg.)

Innovationen für die Pflege

Praxisimpulse aus Forschungsergebnissen und Studien

Unter Mitarbeit von:

Gabriel Spieker

Lina Heier

Saskia Konusch

Inhalt

Vorwort

Bewohnergesundheit fördern

Sturzprävention im Fokus

Die Schmerzen im Blick haben

Für Entlastung sorgen

Gewaltige Anstrengungen

Das Essen nicht vergessen

Passgenaue Angebote gesucht

Angenehme Nachtruhe

Was hilft bei Schmerzen?

Essen bedeutet Lebensqualität

Mehr als ein Bauchgefühl

Mobil und stabil bleiben

Dekubitus wirksam vorbeugen

Was hilft bei Depressionen?

Viele offene Fragen

Lebensqualität verbessern

Prävention hat Potenzial

Mundgesundheit fördern

Hilfen bei Blasenschwäche

Genau hinschauen

Vorsicht mit Psycho-Pillen

Bewegung wirkt

Hunde als Therapeuten

Autoren

Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser,

die demografischen und epidemiologischen Veränderungen der letzten fünfzig Jahre, insbesondere die Zunahme von Hochaltrigkeit und chronischen Krankheiten, haben die Zahl der Menschen mit dauerhafter Unterstützungs- bzw. Pflegebedürftigkeit vervielfacht. So ist die Pflege bzw. die Frage ausreichender pflegerischer Versorgung zu einer gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Herausforderung ersten Ranges geworden.

Eine qualitativ hochwertige Pflege ist dabei unerlässlich, um den gesellschaftlichen Herausforderungen vor allem an Einrichtungen der stationären Langzeitpflege künftig begegnen zu können. Eine solche Pflege benötigt wissenschaftliche Grundlagen und ist der Evidenzbasierung verpflichtet – soweit besteht mittlerweile Konsens.

Das vorliegende Buch versucht, diesen Anspruch umzusetzen. Zu zahlreichen praxisrelevanten Themen finden sich Studienergebnisse von hoher Qualität. Sie alle zeigen, welche zumeist pflegerischen Interventionen sich bisher aus Sicht der Forschung bewährt haben und wo noch weiterhin ein Forschungsbedarf besteht. Die Studien sind in der hier vorliegenden Form jeweils in einzelnen Ausgaben der Zeitschrift Altenpflege vorgestellt und veröffentlicht. Sie stammen nicht nur aus der deutschen Forschung, sondern sind international zusammengestellt. Damit wird es möglich, Konzepte und Potenziale der pflegerischen Praxis aus anderen Ländern kennenzulernen. Zugleich eröffnet sich so die Option, die Pflegekonzepte in den eigenen Einrichtungen der stationären Langzeitpflege zu überdenken und neue Wege zu gehen.

Denn schließlich sollen Wissenschaft und so auch die im Buch aufgeführten Studien zu Innovationen in der Praxis führen. Um eine wirklich gute Qualität der Versorgung zu gewährleisten und auch im Wettbewerb bestehen zu können, ist das eine unbedingte Notwendigkeit.

Die fruchtbare Zusammenarbeit zwischen dem Vincentz-Verlag und der Universität Bremen haben dieses Produkt, das Ihnen vorliegt, möglich gemacht. Wir hoffen, dass es nicht nur lehrreich ist und Spaß macht, sondern Ihnen auch dabei hilft, sich in Ihrer Arbeit bestätigt zu fühlen oder neue Anregungen zu bekommen. Dienen soll es letztlich den pflegebedürftigen Menschen und allen, die ihnen eine gute Pflege zuteilkommen lassen wollen.

Prof. Dr. Stefan Görres

Universität Bremen

Bewohnergesundheit fördern

Zahngesundheit, Bewegungsübungen, Nahrungsaufnahme: Aktuelle Studien aus der Welt der Pflegewissenschaft weisen nach, dass Pflegende auf unterschiedliche Art und Weise die Gesundheit von Heimbewohnern fördern können.

Text: Stefan Görres

Der Zustand von natürlich im Gebiss verbliebenen Zähnen von Pflegeheimbewohnern ist häufig schlecht. Eine durch eine Mehrfachmedikation verminderte Menge des Speichelflusses begünstigt ebenso wie vorhandene Zahnbeläge die Entstehung von Karies. Zusätzlich sind viele Bewohner körperlich nur vermindert belastbar und verfügen nur über herabgesetzte Muskelkraft, was eine ausreichende Putzbewegung der Hand einschränken kann. Bei der Zahnpflege sind sie daher auf die Unterstützung von Pflegenden angewiesen.

Eine Alternative könnte in der Nutzung einer elektrischen Zahnbürste bestehen: Auf den ersten Blick ist sie nicht unbedingt von Muskelkraft abhängig und auch für die Pflegenden eine Erleichterung. Ziel einer 2014 veröffentlichten und von der University of Oslo, dem Oslo University Hospital und dem Buskerud University College Drammen durchgeführten norwegischen Studie war die Beobachtung der Reduktion von Zahnbelägen unter der Nutzung einer elektrischen im Vergleich zu einer manuellen Zahnbürste. Verglichen wurde anhand von zwei Studiengruppen das Zähneputzen jeweils mit einer elektrischen und einer manuellen Zahnbürste, mit der identischen Zahncreme, zwei Mal pro Tag über einen Zeitraum von zwei Monaten.

In beiden Studiengruppen konnte eine vergleichbare Reduktion des Zahnbelags beobachtet werden. Bewohner, die auf Unterstützung bei der Zahnpflege angewiesen waren, erzielten allerdings einen größeren Nutzen durch das Putzen mit einer elektrischen Zahnbürste als jene, die keine Unterstützung benötigten. Zwei Drittel der Pflegekräfte empfanden, was die Handhabbarkeit angeht, keinen Unterschied zwischen den beiden Zahnbürsten. Unter kognitiv eingeschränkten Bewohnern, etwa Demenzerkrankten, empfand hingegen etwa die Hälfte der Pflegenden die Nutzung einer elektrischen Zahnbürste als einfacher.

Effektive Bewegungsübungen

Das Leben in Pflegeheimen ist für viele Menschen mit einem inaktiven Lebensstil verbunden. Neben möglicher Bettlägerigkeit führt vor allem auch häufiges Sitzen bei eigentlich körperlich fitten Senioren zu einem schrittweisen Abbau physischer Funktionen, begründet durch den schnellen Abbau an Muskelmasse. Dabei ist die Erkenntnis nicht neu, dass sich regelmäßige Bewegung positiv auf die Gesundheit und damit funktionale Unabhängigkeit von älteren Menschen auswirkt.

Die mit dem steigenden Alter verbundenen körperlichen Einschränkungen erschweren es Senioren mit einem reduzierten Allgemeinzustand, in Pflegeheimen einer sportlichen Aktivität nachzugehen. Neuen Erkenntnissen zufolge könnten jedoch auch passive Bewegungsübungen eingesetzt werden, um einen weiteren körperlichen Abbau zu verhindern – bisher wurden diese stets als wenig effektiv angesehen. In einer kürzlich von der Faculty of Health Science der Suzuka University of Medical Science (Japan), dem National Institute of Fitness and Sports in Kanoya (Japan), dem Department of Human Performance Studies, Center for Physical Activity and Aging der Wichita State University (USA) und dem Department of Rehabilitation des Yonaha General Hospital in Kuwana (Japan) veröffentlichten Studie wurden 23 Heimbewohner zwischen 80 bis 93 Jahren, die nur wenig Unterstützung bei ihren Aktivitäten des täglichen Lebens benötigten und keinen sportlichen Einschränkungen unterlagen, in eine passive und eine aktive Übungsgruppe eingeteilt. Beide Gruppen absolvierten jeweils über zwölf Wochen hinweg zweimal täglich für 30 Minuten Trainingseinheiten. Die Einheiten beinhalteten Übungen, die nicht nur einzelne Muskeln isoliert, sondern mehrere Gelenke und Muskelgruppen gleichzeitig beanspruchten und damit auf das Training von Alltagsbewegungen abzielten. In der passiven Übungsgruppe wurden die Muskeln der Teilnehmenden ohne ihre eigene Mithilfe von verschiedenen Sportmaschinen stimuliert, während die aktive Gruppe mit Hilfe elastischer Bänder selbst ihre Muskeln anstrengen musste. Beide Gruppen realisierten ihre Übungen sitzend, um die Trainingssicherheit zu wahren.

Foto: Alexander Raths_Fotolia

Im Vorher-Nachher-Vergleich beider Gruppen zeigte sich, dass passive Bewegungsübungen bei älteren Menschen genauso effektiv sind wie aktive Bewegungsübungen. Insbesondere in Bezug auf Übungen, die die Armmuskulatur stärken, das Aufstehen erleichtern, den Gleichgewichtssinn trainieren und die allgemeine körperliche Flexibilität beeinflussen, konnten bereits innerhalb von zwölf Wochen in beiden Gruppen Verbesserungen erzielt werden. Die Autoren schlussfolgern, dass regelmäßige physische Aktivitäten oder Bewegungen mit Hilfe von passiven Bewegungsübungen somit auch in den Alltag von hochaltrigen und körperlich eingeschränkten Pflegeheimbewohnern integriert werden können. Diese Form von Aktivität könnte dabei auch die Bereitschaft und Motivation, sich regelmäßig zu bewegen, bei jenen älteren Menschen erhöhen, die sonst nicht in der Lage wären, selbst aktiv zu sein und bzw. oder aus Angst vor Verletzungen sportliche Aktivitäten meiden.

Optimierte Nahrungsaufnahme

Gerade im Hinblick auf die oft eingeschränkte tägliche Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme steigt bei Demenz-erkrankten das Risiko einer Mangel-ernährung. Eine adäquate Ernährung beinhaltet nicht nur eine qualitative und quantitative Versorgung mit Nährstoffen, sondern auch soziale Teilhabe und Lebensqualität. Allerdings haben Menschen mit Demenz ein höheres Risiko, genau diese Fähigkeit der Teilhabe abzubauen oder einen Teil ihrer Lebensqualität zu verlieren, als Personen ohne demenz in der Langzeitpflege. Mehr als die Hälfte von ihnen erfahren durch das Verlernen des Essens einen Einschnitt in ihre Selbstständigkeit. In einer Literarturarbeit aus dem Jahre 2015 erstellten US-amerikanische Forscher der University of Iowa, der University of Maryland und des Boston Colleges eine Übersicht, die eine Reihe von Interventionen zur Förderung des Essverhaltens von Menschen mit Demenz jenseits des 65. Lebensjahrs aufzeigen konnte. Es sind eine Vielzahl von Faktoren, die die Nahrungsaufnahme Betroffener in der Langzeitpflege beeinflussen. Dies wird anhand eines sozioökologischen Modells bzw. eines ökosystemischen Ansatzes verdeutlicht – und zwar auf verschiedenen Ebenen möglicher Einflussfaktoren.

Die intrapersonalen Faktoren inkludieren etwa Alter und Komorbiditäten der entsprechenden Person. Die interpersonalen Faktoren können das Fachwissen des Personals sowie ihre Fähigkeit, Bewohner adäquat bei der selbstständigen Essenseinnahme zu unterstützen, beinhalten. Die umweltbedingten Faktoren umfassen Räumlichkeiten und Hilfsmittel, in bzw. mit denen das Essen eingenommen wird. Schließlich sind es Rahmenbedingungen, wie beispielsweise der Führungsstil des Managements, der vorrangig personenorientiert anstatt aufgabenorientiert sein sollte, die einen Einflussfaktor darstellen. Um also ein optimales Essensverhalten erzielen zu können, ist eine multifaktorielle und zugleich individuelle Pflege hilfreich.

Interventionen müssen entsprechend komplexe Trainingsprogramme bereithalten (für das Pflegepersonal und/oder Menschen mit Demenz) als auch Umgebungsmodifikationen vornehmen. Trainingsprogramme für beide Zielgruppen nehmen häufig Bezug auf das Montessori-Konzept. In kontinuierlichen und wiederholenden Trainingseinheiten wird die Nahrungsaufnahme Schritt für Schritt eingeübt. Auch eine 1:1-Intervention, die durch positive Verstärkung und Aufforderungen seitens der Pflegekraft Bewohner dazu bringt, selbstständig zu essen, erwies sich als effektiv. Als hilfreich zeigten sich zudem Umgebungsmodifikationen, die sich durch verbesserte Lichtverhältnisse, eine ansprechende Essensdarreichung oder kontrastreiches Geschirr widerspiegeln.

DIE STUDIEN IM NETZ

Die Studie von Fjeld, Mowe, Eide und Willumsen wurde 2014 im „European Journal of Oral Science“ veröffentlicht. Sie ist online verfügbar unter http://onlinelibrary.wiley.com/enhanced/doi/10.1111/eos.12113

Die Studie von Takahashi, Takeshima, Rogers und Islam wurde 2015 im „Journal of Physical Therapy Science“ veröffentlicht. Sie ist online verfügbar unter http://doi.org/10.1589/jpts.27.2895

Die Studie von Lui, Galik, Boltz, Nahm und Resnick wurde 2015 in „Worldviews on Evidence-Based Nursing“ veröffentlicht. Sie ist online verfügbar unter http://onlinelibrary.wiley.com/enhanced/doi/10.1111/wvn.12100/