Nach

Sonnenuntergang

 

Sie kommen nachts ...Image

 

 

 

 

 

Kurzgeschichtensammlung

von

Jon Padriks

Alle Rechte vorbehalten.

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Zustimmung des Verlags möglich.

 

Die Namen und Handlungen sind frei erfunden.

Evtl. Namensgleichheiten oder Handlungsähnlichkeiten

sind zufällig.

 

www.verlag-der-schatten.de

Erste Auflage 2018

© Jon Padriks

 

Covergestaltung: Verlag der Schatten

© Coverbilder: Fotolia AnnaPa, Bastetamon

© Bilder/Illustrationen: Fotolia hideto 111 (»Nachtwache«), Neyro, Denys (»… und es gibt sie doch!«), dule964, vintervarg (»Trautes Heim«), AVD, Artranq (»Die 13. Etage«), vitaly tigunov, Anatolii (»Es«), dule946 (»Das mysteriöse Grabmal«), Rawpixel.com, Annika Gandelheid (»Halloween«), Kajenna, Pansa (»Der beste Freund des Menschen«), vectoratu, sk_design (»Das Badezimmer«), Chrispo, maxicam (»Sie kommen nachts …«), arsenypopel, Victor Moussa (»Das Kartenspiel – eine Legende«), Afrika Studio, belka10 (»Dexter«)

Lektorat: www.lektorat-textflow.com Sascha Rimpl (»Es«, »Der beste Freund des Menschen«), Verlag der Schatten

 

© Verlag der Schatten, D-74594 Kressberg-Mariäkappel

ISBN: 978-3-946381-42-6

Wenn die Dunkelheit kommt, steigen sie empor. Geister und Dämonen bemächtigen sich unser und lassen unser Blut erstarren. Unsere tiefsten Ängste erwachen, unsere Sinne richten sich auf das schier Unmögliche. In dunklen Schatten lauern ungeahnte Gefahren, und das leiseste Geräusch klingt wie ein Donner.

 

Doch gibt es sie nur nachts? Sind all die vielen Sterne, die wir am Himmel sehen, wirklich unbewohnt? Oder lauert auch dort das Böse, Unvorstellbare, das uns sogar am Tage bedroht?

 

 

Lesen Sie die 12 Geschichten in diesem Buch, und vergessen Sie Ihre Paranoia! Denn die Angst ist real.

 

 

 

 

 

 

 

Inhalt

 

Widmung

Vorwort

Nachtwache

… und es gibt sie doch!

Trautes Heim

Die 13. Etage

Es

Das mysteriöse Grabmal

Halloween

Der beste Freund des Menschen

Das Badezimmer

Sie kommen nachts …

Das Kartenspiel – eine Legende

Dexter

Danksagung

Autorenvorstellung

 

Widmung

 

 

Für alle, die mich auf meinem Weg bislang begleitet und an mich geglaubt haben.

 

– Jon Padriks –

 

 

 

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Vorwort

 

 

Verehrte Leser,

 

glauben Sie an das Übersinnliche, das Okkulte? An Geister und Dämonen? Das personifizierte Böse? Vielleicht auch an außerirdisches Leben?

Meiner Meinung nach kann es keine Frage sein, dass es auch außerhalb der Welt, wie wir sie bewusst wahrnehmen, Kräfte gibt, die unser rationales Verstehen überfordern. Nicht jedes Erlebnis lässt sich stets logisch erklären, und unsere Psyche ist viel sensibler, als vielleicht gesund für uns wäre.

 

In diesem Buch lesen Sie eine exquisite Auswahl meiner schönsten und gleichsam schaurigsten Geschichten, die von solchen Erlebnissen handeln. Sie werden vielleicht das ein oder andere Mal schmunzeln, denn ab und an habe ich den Schrecken bewusst überzeichnet. Wenn Sie aber gute Schauerliteratur mögen, werden Sie mit Sicherheit auf Ihre Kosten kommen. Gewiss werden Sie am Ende mancher Geschichte mit meinen Protagonisten aufatmen, wenn der Schrecken vorüber ist. Gelegentlich werden Sie sich aber vielleicht auch fragen, ob wir nicht tatsächlich einer höheren Macht ausgesetzt sind – und ob dies nun positiv oder negativ ist. Denn nicht immer siegt das Gute …

 

Ich wünsche Ihnen bei der Lektüre der Geschichten in diesem Buch jedenfalls gute Unterhaltung!

 

Bad Honnef, im Juni 2018

Jon Padriks

Nachtwache

 

 

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Es ist gut, wenn es

still ist in dem Haus,

in dem du

Nachtwache hast.

Manchmal aber wird die

Stille unerträglich.

Jedes Geräusch wird zu

Lärm in deinem Kopf,

und die Schatten

erschrecken dich.

Deine Fantasie

verbündet sich mit den

dunklen Seiten der Nacht,

und die Vorahnung des Todes

überkommt dich.

 

 

»Bisher noch nicht«, sagte der Mann, das Gesicht von der dicken Bettdecke fast gänzlich verdeckt. Obgleich der Alte undeutlich sprach, verstand Jim jedes Wort. Wahrscheinlich aber auch aus dem Grund, weil er mit der Antwort gerechnet hatte. Schließlich hatte er dem Alten zum x-ten Mal dieselbe Frage gestellt, und seit einem halben Jahr nun bekam er immer die gleiche Antwort.

Jim schüttelte langsam den Kopf und sah auf das Glas, in dem zwei Zahnprothesen, untere und obere, im Wasser lagen. »War denn der Zahnarzt heute da?«

Wieder verneinte der Alte. »Vielleicht kommt er ja noch«, beeilte er sich dann, zu sagen.

Jim lächelte, guckte auf seine Armbanduhr und winkte ab. »Bestimmt nicht, Mister Freed, schließlich haben wir schon elf Uhr abends. Aber jetzt nehmen Sie erst mal Ihre Nachtmedizin.« Er nahm die kleine, runde Tablette aus dem auf dem Nachtschrank bereitgestellten Döschen und schob sie in den zahnlosen Mund des Bettlägerigen. Dann reichte er ihm ein Glas Wasser.

Dankend nickte Freed und spülte die Pille hinunter. »Eine ruhige Wache noch, Jim«, sagte er.

»Ja, danke.« Jim strich dem Alten zärtlich über die Wange. »Und Ihnen eine gute Nacht!« Er knipste die kleine Lampe oberhalb des Bettendes aus und verließ das Zimmer.

 

Als Jim kurz nach Mitternacht das Stationszimmer wieder betrat, schenkte er sich eine Tasse Kaffee ein und setzte sich an den Tisch. Da sah er den Brief, der bei seinen Schreibsachen lag.

Mister Jonathan Freed, las er lautlos und warf einen Blick auf das Regal hinter sich, in dem die Post für die Bewohner des Altenheims gesammelt wurde, bis sie – meist an die Angehörigen – weitergegeben wurde.

Jim grinste. Jonathan, der Name passte zu dem Alten!

Plötzlich stockte er. Der Brief hatte weder eine richtige Anschrift noch einen Absender. Alles, was Jim erkennen konnte, war, dass der Brief aus Stormy Hill in Schottland kam. Wie aber war dieser hergekommen? Und dann auch noch an die richtige Adresse? Mochte ein Bekannter Freeds, der in Stormy Hill gewesen war, ihn mitgebracht haben?

»Halt, Moment mal!«, brauste Jim an sich selbst gewandt auf, sodass er vor seiner eigenen Stimme fast erschrak. War das nicht der Brief, auf den der Alte schon so lange wartete? Hatte Freed nicht nach Stormy Hill geschrieben in der Hoffnung auf jenen Wunderheiler, der dort leben sollte und angeblich in der Lage war, Fernheilungen durchzuführen?

Am liebsten wäre Jim aufgesprungen, um Freed den Brief zu bringen. Aber der schlief sicher schon längst.

Im nächsten Augenblick wurde er aus seinen Gedanken gerissen, als ein leidvoller Ruf ertönte.

Das war Freed!

Einen Moment später stand Jim in der Tür zum Zimmer des Alten und sah ihn an. Er lag mit schmerzerfülltem Gesicht in seinem zerwühlten Bett und starrte in seine Richtung.

»Was ist?«, stieß Jim hervor, eilte zu Freed und griff nach seiner Hand.

»Ich …«, stotterte Freed. »Ich sterbe …«

Jim schüttelte entschlossen den Kopf. »Nein, ganz bestimmt nicht!«, versuchte er den Alten und auch sich selbst zu beruhigen. Er zeigte dem Mann den Brief, den er noch immer in der Hand hielt. »Hier! Der ist aus Schottland! Sie werden leben.«

Augenblicklich war Freed ruhiger, schien sich zu fangen und sagte beinahe befehlend: »Lies ihn mir vor! Schnell!« Er ließ Jim los.

Der riss das Kuvert auf und entfaltete das Schreiben. Mit vor Aufregung bebender Stimme las er die mit zittriger Hand geschriebenen Zeilen vor:

 

»Mein lieber Mister Freed!

 

Aus Ihrem Schreiben vom ersten Januar entnehme ich Ihren Wunsch nach einem erfüllten Leben.

Nachdem ich Ihnen nun lange Bedenkzeit eingeräumt habe, ohne dass Sie dieses Anliegen widerrufen hätten, teile ich Ihnen nun mit, dass in der Nacht vom 4. zum 5. Juli diesem Wunsch nachgekommen wird: Sie sollen leben!«

 

Jim sah auf. »Aber das ist ja diese Nacht.« Sein Blick fiel auf Freed, der jetzt wie schlafend dalag. »Mister Freed?«

Jim erhielt keine Antwort. Und er war schon lange genug in dem Beruf tätig, um Schlaf und Tod unterscheiden zu können. Instinktiv fasste er nach dem Handgelenk des Alten. Tatsächlich war kein Puls mehr tastbar. Betroffen schüttelte er den Kopf, musste an die gelesenen Zeilen denken, las sie noch einmal. »Sie sollen leben!«

Unheimlich hallte das Echo von den hellhörigen Wänden des Zimmers wider. Doch Jim nahm das nicht mehr wahr. Mit gesenktem Kopf wandte er sich zur Tür, um über das Telefon im Stationszimmer die Nachtbereitschaft zu informieren.

Kaum hatte er einen Schritt gemacht, da spürte er plötzlich den kalten, festen Griff einer Hand im Nacken.

»Ich werde leben!«, ertönte Freeds Stimme. Ein unheimliches, gefühlloses Lachen folgte.

Jim wurde übel. Er schrie auf, rannte zur Tür, noch immer die kalte Hand im Nacken spürend. Erst als er auf dem Flur, zehn Meter von Freeds Zimmer entfernt, um eine Ecke bog, ließ ihn diese endlich los. Schnell floh er in das nächste Zimmer, knallte die Tür hinter sich zu und machte Licht.

»Was, um alles in der Welt, soll das denn?«, schnauzte ihn Mrs Smith an, in deren Zimmer er so barsch eingedrungen war. Sie saß aufrecht im Bett und blickte dem jungen Mann fassungslos entgegen.

Noch bevor der eine Antwort geben konnte, vernahm er ein Kratzen auf der anderen Seite der Tür, und einen Augenblick später spürte er, wie jemand – oder etwas – die Klinke, die er noch immer festhielt, herunterzudrücken versuchte.

Die alte Dame erkannte die Sachlage zum Glück und war sofort hellwach. »Einbrecher?«, schlussfolgerte sie ängstlich.

»Wenn’s nur das wäre!«, antwortete Jim und stemmte sich mit aller Kraft gegen die Tür.

»Soll ich die Polizei rufen?« Mrs Smith griff nach dem Telefonapparat auf ihrem Nachttisch.

»Machen Sie lieber, dass Sie hier wegkommen!« Jim deutete auf die Balkontür.

Ein Knall zerriss die Luft.

»Hauen Sie ab!«, schrie Jim die Alte an. »Er versucht, die Tür aufzubrechen.«

Mrs Smith versuchte, Jims Anordnung Folge zu leisten, bemühte sich, aus dem Bett zu kommen, was jedoch mit nur noch einem Bein gar nicht so einfach war. »Helfen Sie mir!«, jammerte sie.

»Ich kann nicht!«, wehrte Jim ab, sprang von der Tür weg, stieß hastig den Tisch davor und kippte ihn als Schutzwall dagegen.

»Bitte!«, flehte unterdessen die Alte.

Jim schnappte sich den schweren Körper der Frau und hievte ihn in den Rollstuhl neben dem Bett.

In dem Moment zerbarst die Tür.

Mr Freed stand vor ihnen. Doch es war nicht der friedliche, immer gut gelaunte Freed, den Jim kannte, nein! Es war das Böse in der Gestalt Freeds! Als wäre es nichts, warf es den Tisch beiseite und kam auf die beiden unter lautem, widerlichem Gestöhne zu, riss den zahnlosen Mund auf und breitete die Arme weit aus. Es wollte Jim packen, da sprang dieser durch die offen stehende Balkontür ins Freie.

Von hier aus musste Jim zusehen, wie Freed sich auf Mrs Smith stürzte. Während die Frau laut aufschrie, packte der Alte ihren Kopf und riss ihn ihr von den Schultern, als wäre sie eine Puppe. Fontänenartig spritzte das Blut. Ihr Schrei hallte noch nach, als Freed den Kopf gegen die Wand schmetterte, an der er zerbarst.

Jim hatte genug gesehen. Er sprang vom Balkon, landete auf dem Garagendach des Nachbarhauses und gelangte so zu einem Schlafzimmerfenster. Wild klopfte er dort dagegen, bis es endlich von einem vor Wut rasenden Mann im Pyjama geöffnet wurde.

»Was sind das denn für Manieren?«, bellte er Jim an, packte ihn am Kragen und beschleunigte so sein Eindringen in das Haus.

Jim ließ alle Beschimpfungen über sich ergehen und hätte auch die Ohrfeige widerstandslos hingenommen, wäre nicht die Frau des Wüterichs dazwischengegangen.

»Halt, Charles!«, rief sie und hielt die schon zum Schlag erhobene Hand ihres Gatten fest. »Siehst du denn nicht, dass der Mann Hilfe benötigt?« Mit der Feinfühligkeit einer Frau hatte sie Jim durchschaut. »Setzen Sie sich erst mal hin«, sagte sie zu Jim und drückte ihn mit sanfter Gewalt in einen Sessel neben dem Fenster. Dort ließ sie ihn verschnaufen, drängte aber nach einer Weile: »Ich glaube, Sie sind uns eine Erklärung schuldig!«

Jim nickte langsam, das Gesicht in den Händen vergraben. »Natürlich …« Er sah auf. »Bestimmt werden Sie meine Geschichte nicht glauben. Das kann ich ja selbst kaum.« Er blickte der Frau fest ins Gesicht und berichtete alles, was passiert war. Die Augen seiner Zuhörer wurden während seiner Erzählung immer größer. Als Jim fertig war, sah sich das Paar ungläubig an.

»Sie sagen, der Brief, mit dem alles angefangen hat, sei aus Stormy Hill in Schottland gekommen?«, fragte der Mann und ging an eine Regalwand, die mit Büchern überfüllt war. Einen Augenblick suchte er, dann kam er mit einem dicken Wälzer zurück, setzte sich neben Jim auf eine Kommode und schlug das Buch auf. »Stormy Hill, ein kleines Dorf im Norden Schottlands. Einziger Zugang über einen schmalen Bergpfad«, las er, überflog ein paar Zeilen und las weiter: »Schottische Legenden berichten, dass Stormy Hill der Wohnort des Bösen sei, jedoch könne dieses auf Wunsch eines Menschen verreisen unter der Bedingung, dass der Mensch sein Leben gegen seine Seele bereit sein müsse, zu tauschen.« Er schlug das Buch zu und sah Jim ernst an.

»Das also ist das Geheimnis«, flüsterte dieser nachdenklich. »Aber wie kann man das Böse wieder nach Stormy Hill oder sonst wohin – halt weg – treiben?«

»Um das Böse, ist es erst einmal aus Stormy Hill entkommen, wieder dorthin zurückzubringen, benötigt es einen Menschen, dessen Leben ausgelöscht wird für die Seele desjenigen, der besessen ist«, antwortete der Gefragte.

Ironisch lächelte Jim. »Und – schwups! – ist das Böse wieder weg?«

»Aber was geschieht mit demjenigen, dessen Leben ausgelöscht wird?«, mischte sich die Frau ein.

Ihr Mann zog sie zärtlich in seine Arme. »Was glaubst du wohl, woher die Menschen in Stormy Hill kommen? Kein Mensch, der eine Seele hat, könnte dort leben, wo das Böse heimisch ist.«

Entsetztes und gleichsam nachdenkliches Nicken gab dem Mann zu verstehen, dass sowohl seine Frau als auch Jim verstanden.

»So werde ich zurückgehen müssen«, entschied Jim und stand auf. »Und bald schreibe ich Ihnen eine Ansichtskarte aus Schottland.«

Die Frau erschrak. »Was?«

»Einer muss gehen, und ich bin verantwortlich für die Alten da drüben.« Jim deutete auf das angrenzende Altenheim.

Der Mann stimmte zu. »Ja, Mary, er hat recht. Und er muss so bald wie möglich gehen, bevor das Böse sich noch weiter ausbreitet und auch wir sterben müssen. Das willst du doch nicht, oder?«

Sie schwieg.

»Dann gehe ich am besten jetzt«, erklärte Jim. »Sind irgendwelche Vorsichtsmaßnahmen zu beachten?«

»Sie dürfen auf keinen Fall Angst vor dem Bösen haben. Und machen Sie ihm klar, dass Sie sich für uns opfern.«

Jim nickte entschlossen. Unter den mitleidigen und ängstlichen Blicken des Paares ging er zurück auf den Balkon.

 

Etwa einen Monat später erhielten Mr und Mrs Burkley, die Nachbarn des Altenheims, Post aus Schottland. Mit zittriger Schrift stand auf einer Ansichtskarte:

 

»Liebe Freunde,

 

unserem Gespräch am 5. Juli entnehme ich Ihren Wunsch nach einem dauerhaft erfüllten Leben. Nachdem ich Ihnen nun lange Bedenkzeit eingeräumt habe, ohne dass Sie dieses Anliegen widerrufen hätten, teile ich Ihnen nun mit, dass in der Nacht vom 11. zum 12. August diesem Wunsch nachgekommen wird: Sie sollen leben!

 

Hochachtungsvoll, Ihr Freund Jim«

 

 

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… und es gibt sie doch!

 

 

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Da! Als das Klopfen begann, zuckte Benny zusammen. Seit er zu Bett gegangen war, hatte er darauf gewartet. Er wusste, er würde es auch in dieser Nacht zu hören bekommen, doch nun setzte es so plötzlich ein, dass die Furcht ihm die Kehle zuschnürte. Bald war der Riss in der Wand sicher breit genug, damit das Monster herauskommen konnte. Warum nur hatte ihm niemand geglaubt, als er von dem Pochen erzählte, das schon letzte Nacht erklungen war? Die Eltern hatten ihm einzureden versucht, er habe schlecht geschlafen, und Isabelle hatte über ihren drei Jahre jüngeren Bruder nur gelacht. Niemand hatte etwas vernommen. Aber diesen Lärm musste man doch hören!

Bennys Hände wurden feucht, die Angst kroch über seinen Körper gleich einer Schlange. Gebannt lag der Neunjährige da, starrte auf die Wand gegenüber dem Bett. Vielleicht hörte es niemand außer ihm, weil es die Außenwand war? Dahinter erstreckte sich weites Land bis zum Horizont. Das Fenster war nur zwei Fuß von der Stelle entfernt, wo es sich seinen Weg zu ihm grub.

Das Einzige, was klopft, ist die Meise unter deinem Pony, Doofie, erinnerte er sich an Isabelles Hohn. Vergnügt hatte sie sich auf die Schenkel geklopft, als Vater die Mauer auf sein Drängen hin untersucht hatte.

Da ist kein Riss, mein Sohn, nicht mal ein Mauseloch, war dessen Erkenntnis gewesen. Er hatte ihm durch die blonden Locken gewuselt. Vater und Isabelle hielten ihn noch immer für ein kleines Kind!

Benny biss sich auf die Unterlippe. Rang mit sich, zu schreien oder aufzuspringen und davonzulaufen. Aber er wollte nicht wieder Isabelles Spott ertragen.

Krrrrk!

Das Geräusch eines Steins, der in der Mauer verschoben wurde, erklang. Benny hielt den Atem an. Gleich darauf erschollen weitere eindeutige Töne. Es war so weit. Benny versuchte, den Kloß in seinem Hals herunterzuschlucken. Er musste etwas tun, durfte nicht einfach liegen bleiben. Er wollte das Monster nicht sehen, das aus der Wand hervorbrach, wollte nicht sterben …

Plötzlich fiel ein Lichtschein durch den schmalen Spalt, den seine Tür geöffnet war. Mutter kam die Treppe herauf.

In Bennys Kopf überschlugen sich die Gedanken. Sie wäre dem Monster bestimmt gewachsen. Aber sie rechnete nicht mit einer Konfrontation. Also würde es sie vielleicht doch überwältigen. Töten. Fressen. Vor seinen Augen. Um dann, nachdem es ihm den liebsten Menschen genommen hatte, ihn zu ermorden.

»Nein!«, schrie Benny.

Da stieß Eve Michaels die Tür auf, schaltete die Deckenlampe ein. Besorgt sah sie ihren Jungen an. »Wieder schlecht geträumt, mein Schatz?« Eve ging zu ihrem Sohn, strich ihm über den Kopf. »Es war nur ein Traum, nichts weiter. Es ist alles in Ordnung, wie du siehst.«

Benny lugte zu der Wand neben dem Fenster. Nicht ein Stein war verrückt. Erleichtert, aber verwirrt blinzelte der Junge. Mit Tränen in den Augen sah er zu seiner Mutter auf. Solange sie über ihn wachte, konnte ihm nichts geschehen.

»Mummy!« Er schmiegte sich an sie, blinzelte nochmals zu der Wand. Völlig unberührt stellte sie sich dar. Wie gut, dass er nicht aufgesprungen war.

»Mom?« Isabelles Stimme erklang wie auf Knopfdruck. »Hat unser Baby mal wieder Schiss?«

»Isabelle!« Eve war empört. Doch wie sie ihn ansah, hatte Benny keinen Zweifel, auch sie hielt ihn für einen Angsthasen. Sie wuselte ihm durchs Haar, drückte ihm einen Kuss auf die Wange. »Schlaf schnell weiter und versuch an etwas Schönes zu denken.«

Er wollte sie aufhalten, ihr sagen, was er gehört hatte. Stattdessen erwiderte er: »Du auch«, verwünschte seine Schwester und stierte auf die Wand. Warum versuchte das Monster nicht, in Isabelles Zimmer einzudringen?

Als Eve ging, machte sie die Lampe aus und zog die Tür wieder bis auf einen Spaltbreit zu.

Angestrengt lauschte Benny auf ihre Schritte und hoffte, nichts anderes mehr in dieser Nacht zu hören als die Stimmen von Schwester und Mutter, wie sie miteinander sprachen.

Krrrrk!

Das Geräusch war leise. Aber laut genug für Bennys Ohren. Wieder wurde ein Stein in der Mauer verrückt. Fast gleichzeitig rief Mutter im Korridor: »Gute Nacht«, dann ging sie die Treppe hinunter.

Komm nur!, dachte Benny, ballte die Fäuste. Mutter würde hören, wenn die Wand einstürzte. In Windeseile wäre sie bei ihm, das Monster zu bekämpfen. Doch die Wand blieb intakt.

Das Licht im Treppenhaus wurde gelöscht. Nur mehr der trübe Mondschein fiel zu Benny herein.

Da fing es wieder an. Das Monster in der Wand hämmerte gegen die Steine. Verschob sie offenbar willkürlich. In der einen Sekunde war das verräterische Geräusch in der oberen Ecke, dann unten, dicht am Fenster. Schneller und hektischer denn zuvor bewegte sich die Kreatur in der Wand. Benny war unfähig, sich zu rühren. Lahm vor Schreck krallte er sich in die Bettdecke und starrte in die Dunkelheit. Warum nur hörte es niemand außer ihm?

Plötzlich, ohne eine weitere Vorankündigung, schlüpfte das Monster. Kein Stein war aus der Wand gebrochen worden. Zumindest hatte Benny nichts dergleichen gehört. Aber ein bedrohlicher schwarzer Schatten ragte vor ihm auf, hob sich von der Mauer ab. Ein grässlicher Gestank fraß sich in Bennys Lunge.

Der Junge zog den Kopf ein, presste die Augen zu. Er wollte das Monster nicht sehen.

Langsam kam die Kreatur näher. Der Gestank wurde intensiver. Die Wärme, die das Ding ausstrahlte, war spürbar.

Dann berührte es ihn. Heißer, ekelerregender Atem strömte in Bennys Gesicht. Es schnüffelte an ihm. Etwas Hartes und zugleich Spitzes fuhr über seine Wange – eine Kralle!

Benny glaubte schon, jetzt sterben zu müssen, als ein Geräusch aus dem Flur ertönte. Er öffnete die Augen, als das Wesen von ihm abließ. Es schnupperte in der Luft wie ein Tier, das den Feind roch, und verschwand so schnell, wie es gekommen war. Er sah aber nur einen Schemen, der in die Wand glitt, als wäre diese nicht da.

Durch den Türspalt schimmerte Licht. »Mummy!«, krächzte Benny mit rauer Stimme. Tränen der Erleichterung traten ihm in die Augen. Nun würde alles gut werden.

Die Klospülung wurde betätigt, Wasser rauschte ins Waschbecken. Kurz darauf flog die Tür zu seinem Zimmer auf und der Lichtschalter wurde umgelegt.

»Na, du Baby …« Isabelle stand vor ihm. Hämisch grinste sie ihn an. »Kannst du noch immer nicht schlafen, Bennyboy, weil du dich vor Monstern fürchtest?« Sie seufzte. »Es gibt keine, kapier das endlich! Aber ein Kleinkind wie du … Hast wohl zu viel Fantasie.«

»Fantasie?« Benny starrte seine Schwester an. »… und es gibt sie doch!«, konterte er. Was er gerade erlebt hatte, war keine Einbildung gewesen. Aber nun war das Monster fort, und die Wand wirkte wie immer.

Verständnislos blickte Isabelle auf ihn herab. »Kannst ja wieder nach Mom und Dad rufen, bevor du dir vor Schiss in die Hose pisst.« Sie machte kehrt, dass ihre blonden Locken stoben, löschte das Licht und ging hinüber zu ihrem Zimmer. Bevor sie die Tür hinter sich schloss, knipste sie noch die Flurlampe aus.

Benny schnappte nach Luft. Wenn sie nur wüsste … Oder war er etwa verrückt? »Was meinst du, Teddy?«, fragte er das Steifftier und erschrak. Es fühlte sich eigenartig an. Watte quoll aus dessen Bauch. Das Monster hatte den Bären aufgeschlitzt.

Ein Beben ging jäh durch die Wand, ließ Benny erstarren.

»Nein!«, flüsterte er resigniert, ahnte das Schlimmste. Doch das Monster kam nicht zu ihm. Stattdessen schien es sich zu entfernen.

Dann erklang Isabelles Aufschrei. Kurz, unterdrückt. Es war zu ihr geeilt, zeigte sich ihr.

Geschieht dir recht, dachte Benny.

Sekunden verstrichen, in denen Stille herrschte. Absolute Stille. Benny bekam Angst. Vorsichtig schlug er die Bettdecke zurück und stand auf. Im Dunkeln überquerte er den Gang. Langsam, auf jedes mögliche Geräusch achtend. Vom Erdgeschoss her hörte er leise den Fernseher, vor dem die Eltern saßen. Sonst nichts. Dann erreichte er Isabelles Zimmer, ertastete die Klinke. Es war durchaus möglich, dass sich Isabelle nur einen Scherz mit ihm erlaubte und lauthals lachte, wenn er die Tür öffnete. Aber auch das Monster konnte auf ihrem Bett sitzen und auf ihn warten.

Benny stieß die Tür auf, versuchte in dem dunklen Raum etwas zu erkennen. Hastig suchte er nach dem Lichtschalter, legte ihn um.

Nichts.

Isabelles Bett war leer. Niemand war in ihrem Zimmer. Auch nicht das Monster.

Benny begann zu schreien und hörte erst auf, als Eve ihn schon eine ganze Weile in ihren Armen gehalten und zu trösten versucht hatte.

 

Anfangs war man davon ausgegangen, dass Isabelle von daheim abgehauen war. Dass sie zurückkommen würde. Natürlich hatten die Eltern sofort die Polizei informiert, und als Isabelle auch nach vierundzwanzig Stunden nicht wiederaufgetaucht war, startete man eine große Suchaktion nach ihr. Niemand hatte etwas auf das Gerede eines Neunjährigen gegeben, der zu viel Fantasie besaß. Tatsächlich war auch im und am Haus nichts aufgefallen.

Als drei Jahre nach Isabelles Verschwinden noch immer nichts von dem Mädchen in Erfahrung zu bringen war, hatten die Eltern beschlossen, wegzuziehen, um zu vergessen. Gelungen war es ihnen nicht. Eve starb zehn Jahre nach Isabelles Verschwinden an Herzversagen im Schlaf; vermutlich hatte sie wieder einmal von jener Nacht geträumt. Und John Michaels hatte es nicht fertiggebracht, das Haus zu verkaufen.

 

»Mit Ihrer Unterschrift auf dem Vertrag sind Sie ein gemachter Mann, Mister Michaels.« Stanley King bot ihm einen Kugelschreiber an und deutete auf das Papier in seinen Händen.

»Mein Vater hätte es nicht gewollt.« Ben zögerte, doch sein Gegenüber wischte mit der Hand durch die Luft, als verscheuchte er eine Fliege.

»Papperlapapp! Sie haben sich Ihr Leben in Las Vegas aufgebaut, was wollen Sie da noch mit dem Haus in dieser verlassenen Gegend?« Mit einem Funkeln in den Augen sah sich der Hotelier um. »Diese Landschaft ist zu schön, um brach zu liegen. Lassen Sie mich meine Hotelanlage hier bauen, und seien Sie versichert, die Menschen werden zu Hunderten kommen.«

Ben seufzte und unterzeichnete. Seit Vaters Tod vor acht Jahren war das Haus ohnehin zu heruntergekommen, um es anderweitig zu verkaufen. Sollte King es ruhig abreißen.

Mit einem zufriedenen Lächeln nahm der sein Exemplar des Vertrags in Empfang. »Sie werden in meinem Overlook-Hotel stets ein willkommener Gast sein, Mister Michaels.«

»Natürlich.« Ben nickte und sah sich ein letztes Mal um. Es war eine idiotische Idee gewesen, zur Vertragsunterzeichnung noch einmal herzukommen. Langsam ging er zum Tor, vor dem er seinen Wagen geparkt hatte.

Plötzlich schrie King auf. Ben fuhr herum. Der Boden vor dem Haus, in dessen Tür der Hotelier stand, erzitterte. Erde spritzte. Irgendetwas Dunkles drang aus dem Boden, brach durch den von Unkraut überwucherten Garten und schoss auf Ben zu.

Eine Klaue umschloss sein Fußgelenk. Und Ben wusste: Diese hatte ihn schon einmal berührt – im Gesicht.

 

 

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Trautes Heim

 

 

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»Boah, was ist das denn!« Entsetzt starrte Peter in den Karton, den er soeben geöffnet hatte. Von den guten Biergläsern, die er von seinem Großvater geerbt hatte, waren nur noch Scherben übrig.

Susi, von seinem Schrei alarmiert, legte den Arm um ihn. »Hattest du sie denn nicht in Zeitungspapier gewickelt? Oh Schatz, das tut mir so leid.«

Wut wallte in ihm auf. »Bernd, der Depp, hat sich um das Geschirr gekümmert«, knurrte er. »Ich hätte wissen müssen, dass der Esel zu blöd ist, vernünftig zu packen.«

»Er hat aber wirklich kräftig mitgeholfen«, versuchte Susi, ihn zu besänftigen. Erneut blickte sie in die Kiste.

»Einer von uns hätte sich darum kümmern sollen. Schließlich kennen wir Bernd. Er arbeitet wie ein Ochse – im wahrsten Sinne des Wortes. Hat für das Filigrane aber keinen Sinn.« Peter kniff die Lippen zusammen. Er musste sich mit dem Verlust abfinden. Noch einmal, dreizehn Jahre nach dem Tod des Großvaters, galt es, Abschied zu nehmen.

»Du …« Susi blinzelte zu ihm auf. »Das kaputte Glas bedeutet jetzt aber nicht, dass wir neun Jahre Pech haben, oder?« Ein Lächeln umspielte ihre Mundwinkel.

Es war genau dieses Lächeln, das Peter so an ihr liebte. Susi war ebenso wenig abergläubisch wie er, und das Strahlen in ihren Augen verriet, wie glücklich sie nach dem Umzug war; die Möbel standen, das Meiste war getan, und von einem Haus wie diesem hatten sie lange geträumt. Es gab keinen Grund, unglücklich zu sein.

»Es wären sieben Jahre, soviel ich weiß«, erwiderte er mit hochgezogener Augenbraue.

»Neun«, trotzte sie und warf den Kopf in den Nacken wie eine seiner widerspenstigen Studentinnen. Sein Ärger verflog.

Gerade wollte er sie an sich ziehen, da wandelte sich Susis Gesichtsausdruck.

»Da! Das war vor zwei Wochen noch nicht da.« Damit deutete sie auf eine Stelle hinter seinem Kopf.

An der weiß getünchten Decke zeichnete sich ein dunkler Fleck ab.

Ihm verging die Lust so schnell, wie sie gekommen war. »Scheiße! Ich hab doch gleich gewusst, dass diesem Schöller nicht zu trauen ist. Dieses Haus für diesen Preis, da musste doch ein Haken dran sein. Wahrscheinlich sind die Rohre und Leitungen uralt und seit etlichen Jahren nicht mehr überprüft worden.«

Susis grüne Augen weiteten sich. »Du meinst, das kommt von einem Wasserrohrbruch?«

»Woher …« sonst?, wollte er erwidern. Doch er bekam kein Wort mehr heraus, als der Fleck an der Decke zusehends größer wurde und sich rötlich verfärbte. Wie konnte das sein?

»Was sollen wir tun?«, fragte Susi.

Er blinzelte, und das Rot war verschwunden. Irritiert schüttelte Peter den Kopf. »Kacke!« Hatte er sich die rötliche Schattierung nur eingebildet? Offenbar. »Ich werde den werten Herrn Schöller, diesen musterhaften Makler, anrufen und um eine Erklärung bitten. Schließlich hat er so getan, als ob sich das Haus in bestem Zustand befände. Mit einem Rohrbruch war jedenfalls nicht zu rechnen.« Entschlossen stapfte Peter aus dem Wohnzimmer hinaus in den Korridor. Das Telefon war angeschlossen. Es war das Erste gewesen, was in diesem Haus funktionierte. Auf die Telekom war immerhin Verlass. Doch wieso ertönte das Freizeichen nicht? Er legte auf und versuchte es gleich noch einmal. Auch jetzt blieb die Leitung tot.

Susi kam gerade in den Flur, als er nach dem Handy suchte. Verblüfft hielt sie inne. »Was ist los?«, fragte sie, bevor sie weiter zur Küche ging, in ihren Händen den Karton mit dem kaputten Glas.

»Wo ist seine Visitenkarte?«, rief Peter ihr nach und stellte erleichtert fest, dass wenigstens das Handy funktionierte.

In der Küche gab es einen gehörigen Rums, als Susi die Scherben in der Mülltonne entsorgte.

»Von wem?«, hakte sie nach. Dann: »Ach, schau mal in meine Handtasche! Die ist im Schlafzimmer. Schöllers Karte müsste dort drin sein.«

Die Karte befand sich tatsächlich in der Tasche. Doch wieso hatte Susi sie an sich genommen und nicht er? Mit einem Blick auf die Uhr verdrängte Peter den Anflug von Eifersucht. Wieder waren einige Minuten vergangen. War es nicht sinnvoller, eine Handwerkerfirma zu beauftragen, bevor diese Feierabend machte? Schöller konnte er später noch informieren. Er nahm die Visitenkarte an sich und musste feststellen, dass das Handy keinen Empfang mehr hatte. Genervt trat er aus dem Schlafzimmer zurück in den Flur. Und ja, langsam kletterten die Balken auf dem Display des Geräts wieder höher.

»Deine Lieblingsbücher, möchtest du sie im Wohnzimmer oder lieber im Schlafzimmer haben?«, erkundigte sich Susi, während er in den Gelben Seiten nach einer Firma suchte und die Nummer eingab.

Es klingelte am anderen Ende der Leitung. »Egal«, erwiderte er, als abgenommen wurde. Eine sympathische Stimme teilte ihm mit, von wann bis wann die Geschäftszeiten waren. Ein Band!

Peter ging ins Wohnzimmer. Er hasste es, auf einen Anrufbeantworter zu sprechen. Offenbar aber hatte er keine andere Wahl. Bestimmt würde ihm der verdammte Fleck an der Decke helfen, die richtigen Worte zu finden.

Er nahm das Handy vom Ohr und brach, ohne hinzusehen, die Verbindung ab. Der Fleck war verschwunden. »Susi!«, schrie er. Drehte er langsam durch? Das war unmöglich! Wie konnte ein Wasserfleck von jetzt auf gleich verschwinden?

Susi kam herbei. »Ja, Schatz?«

»Schau!«

»Was ist das denn?« Ihre Augen weiteten sich, und die Farbe wich aus ihrem Gesicht. »Alles rot! Blutrot.« Ihre Stimme klang schrill.

Peter starrte zur Decke hinauf. Da war nichts rot. Nicht einmal der Hauch eines Wassertropfens war sichtbar. Wieso sah Susi nun, was er vorhin gesehen hatte, obwohl er jetzt nichts erkennen konnte? Peter glaubte zu träumen und ergriff ihren Arm. »Schatz …«

Plötzlich ertönte ein Heidenlärm. Die Decke über ihnen erbebte. Putz bröckelte ab. Im nächsten Moment löste sich ein Stein. Gerade noch rechtzeitig konnte Peter Susi von der Stelle ziehen, bevor weitere Brocken herunterknallten. Gleichzeitig durchwehte ein eisiger Windhauch das Zimmer. Die Fenster klirrten, und leichtere Gegenstände, die bereits ausgepackt und aufgestellt waren, wurden umgestoßen. Und dort, wo die Decke eingestürzt war, erblickte Peter einen Erhängten im Dachstuhl. Halb verfault. Maden und Fliegen labten sich an ihm.

»Weg!«, schrie Susi erschrocken. Peter hatte sie vor Entsetzen losgelassen.