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Kai-Uwe Wegner

Von der Notwendigkeit
einer Vernunftsordnung

Kai-Uwe Wegner

Von der Notwendigkeit
einer Vernunftsordnung

©2018 Kai-Uwe Wegner

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

978-3-7469-4281-0 (Paperback)

978-3-7469-4282-7 (Hardcover)

978-3-7469-4283-4 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Vorwort

Was braucht unsere Zeit? Was ist heute wichtiger denn je? Menschen, die beiseite treten, sich aus der Tretmühle der Gesellschaft herausbegeben und die Gesellschaft von außen betrachten. Weshalb ist das so wichtig? Weil nur Köpfe, die sich freimachen von der Sogwirkung des Alltags, des Gleichschritts und der beruflichen und familiären Verpflichtungen, sich in die Lage versetzen können, Ziel und Sinnhaftigkeit des Gesellschaftsstrebens zu hinterfragen. Wo steuern wir hin? Müssen wir diesen Weg gehen? Oder könnten wir auch einen anderen Weg einschlagen? Diese Fragen müssen in jeder Gesellschaft gestellt werden, wenn sie nicht Gefahr laufen möchte, durch das Unterlassen einer notwendigen Kursänderung Schaden zu nehmen. Ich betrachte es als meine vorrangige Aufgabe, aus einer unabhängigen Position heraus, aufrichtig und ehrlich sowohl Ziel und Sinn des gesellschaftlichen als auch meines persönlichen Strebens zu hinterfragen und daraus die notwendigen Schlüsse zu ziehen. Dies ist auch für dieses Buch mein grundlegender Impuls gewesen und der Leser möge entscheiden, ob ich einer solch gewaltigen Herausforderung gerecht werden konnte. Doch ganz gleich wie der Leser zu den Schlussfolgerungen, die ich aus der Beobachtung unserer Gesellschaft und aus der Positionierung meiner eigenen Person zu dieser gezogen habe, steht, es bleibt ein zutiefst subjektives Buch. Das vornehmliche Anliegen des Autors ist es, Denkanstöße zu geben, die dem Leser Wege zur eigenen Sinnfindung und zur Neuorientierung innerhalb der Gesellschaft aufzeigen mögen.

Bielefeld im Juni 2018

Aufzeichnungen eines Sinnreisenden

 

„Ihr kennt nur des Geistes Funken: aber ihr seht den Ambos nicht, der er ist, und nicht die Grausamkeit seines Hammers!“

Friedrich Nietzsche „ Also sprach Zarathustra“

Beware when the great God lets loose a thinker on this planet. Then all things are at risk. It is as when a conflagration has broken out in a great city, and no man knows what is safe, or where it will end. There is not a piece of science, but its flank may be turned tomorrow; there is not any literary reputation, not the so-called eternal names of fame, that may not be revised and condemned. The very hopes of man, the thoughts of his heart, the religion of nations, the manners and morals of mankind, are all at the mercy of a new generalization. Generalization is always a new influx of the divinity into the mind. Hence the thrill that attends it.

Ralph Waldo Emerson „ Circles“

Aufzeichnungen eines Sinnreisenden

Einführung

1

Nach langem Ringen habe ich nun beschlossen, endlich meine große Sinnreise anzutreten. Schon lange schlage ich mich mit diesem Vorhaben herum, und nun soll sie endlich unternommen werden. Wer immer eine solche Reise antritt, wird alle Überzeugungen und Wahrheiten, die ihm in seinem Leben nahegelegt worden sind, anzweifeln und überdenken müssen. Liebe zur Einsamkeit, Ehrlichkeit zu sich selbst und ein unbändiges Verlangen nach eigenen Überzeugungen dürfen auf dieser Reise nicht fehlen. Wer diese Eigenschaften mitbringt, wird es auf einer solchen Reise gewiss weit bringen. Es ist eine Reise in der Welt des Geistes und nicht der Sinne, denn Antworten auf Sinnfragen werden niemals außerhalb, sondern immer innerhalb des Geistes gefunden. Auch wenn ein großer Erfahrungsschatz aus der Sinnenwelt nicht unerheblich ist, so ist doch eher die Qualität als die Quantität der Erfahrung aus der Sinnenwelt von Bedeutung für diese Reise. Vor allem, wie der Mensch die Eindrücke aus der Sinnenwelt wahrnimmt, wird für diese Reise von Bedeutung sein. Ein Mensch, der mit offenen und kritischen Sinnen durchs Leben schreitet, wird einen ausreichenden Erfahrungsschatz in seiner Geisteswelt besitzen, um eine solche Reise absolvieren zu können. Und so beginne ich meine große Reise der Sinnfindung meines Lebens.

2

Auf dieser Reise gehören die Erkenntnisse der Wissenschaft dem Rüstzeug meines Erfahrungsschatzes aus der Sinnenwelt an. Diese sind einer ständigen Veränderung unterworfen, denn der Stand der Wissenschaft ändert sich kontinuierlich. Wichtig ist vor allem, dass ich mich weder aus persönlichen noch aus ideologischen Gründen irgendwelchen Erkenntnissen der Wissenschaft entziehe. Das Wirken einer unabhängigen und unvoreingenommenen Wissenschaft ist ein wesentlicher Baustein zur Sinnfindung des Lebens. Jede Sinnfindung, die durch die Wissenschaft widerlegt worden ist, ist damit unhaltbar geworden und dem Tode geweiht. Jeder vermeintliche Besitzer eines Lebenssinnes, der in Furcht vor der Wissenschaft lebt, besaß niemals einen wirklichen Lebenssinn. Fehler oder Unkenntnis bei der Erforschung des Raumes sind unvermeidbar und werden einer wahrhaftigen Sinnfindung niemals Schaden zufügen können. Denn der Kern seiner Wahrheit wird nicht im Endlichen, dem eben aufgrund seiner Vergänglichkeit kein Sinn zukommen kann, sondern im Unendlichen sein. Gäbe es dieses Unendliche nicht, wäre also ohnehin alles Dasein ohne Sinn.

3

Materie und Raum können also nur Teil einer Sinnfindung sein, wenn sie Schöpfung und Willensausdruck aus einem unendlichen Zustand heraus sind. Doch nicht allein aus einer Not erwächst die Einsicht von einer Unendlichkeit. Nein, auch aus meiner eigenen Wahrnehmung, aus der Wahrnehmung meines Geistes. Denn der Geist in mir kennt keine Endlichkeit. Dort wandle ich bereits außerhalb von Raum und Zeit, dort gelten keine Naturgesetze, dort bin ich wahrhaft frei und ein ewig Schaffender. Mein Geist kann nicht anders als ewig zu schaffen. Selbst wenn ich schlafe und meine Sinne ruhen, schafft er im Traum. Mein Leib, der endlich ist, ermüdet und braucht Erholung, doch mein Geist niemals. Es ist mein Gehirn, das mich nach einer gewissen Zeit der geistigen Aktivität zur Ruhe zwingt. So wie das Leben in der Sinnenwelt ewig neue Formen hervorbringt, so gebiert der Geist in der Geisteswelt ewig neue Ideengebäude. Beiden ist ein ewiges Schaffen wollen eigen. Wer die Unendlichkeit in seinem Geiste gespürt hat und mit diesem Geist ebenso die Unendlichkeit der Lebenskraft, kann nicht umhin, sie als eins zu begreifen. Lebenskraft nenne ich Seele und Seele wirkt in allem Lebendigen. Weshalb nicht allem Leben das gleiche Geistesvermögen gegeben ist, vermag ich nicht zu sagen, doch ich begreife, dass einzig mein Geist mich befähigt, das Leben zu verstehen und die Einheit von Seele und Geist zu erkennen.

4

Oswald Spengler hat mich gelehrt, zwischen organischer und anorganischer Logik zu unterscheiden. Der Verstand arbeitet anorganisch, wenn er kausal seziert. Er hält einen Zustand an und bemüht sich, objektiv die Ursache einer Wirkung herauszuarbeiten. Dies ist das Hauptwerkzeug der Wissenschaft und sie ist damit in der Lage, allgemeingültige und allgemeinverständliche Beweise zu erbringen. Doch der Verstand begreift ebenso Zustände, die sich nicht anhalten und kausal sezieren lassen. Dies sind vor allem Gefühlszustände wie Liebe, Hass, Sehnsucht, Neid, Eifersucht etc. Obwohl diese Zustände ebenso real sind wie die Entstehung und Bewegung von Materie, lassen sich zu ihrer Entstehung und Veränderung keine wissenschaftlichen Erklärungen erbringen. Der Verstand kann sie eben nicht wie Materie aufspalten, einteilen und messen, sondern er begreift diese Zustände, indem er sie erspürt. Kein Mensch weiß, wo und weshalb sie entstanden sind, und dennoch ist jedem gesunden Menschen klar, was sie bedeuten und wie sie auf den Menschen wirken. Diese Zustände nenne ich Seelenzustände und sie können ebenso wenig kausal ergründet werden wie die Seele selbst. Es ist daher ein großer Irrtum unserer Wissenschaft, dass sie glaubt, alle Bereiche des Lebens wissenschaftlich ergründen zu können. Denn sie ist dazu nur fähig, wenn sie es mit Zuständen zu tun hat, die messbar und mit dem Werkzeug der kausalen Logik untersuchbar sind. Dies trifft im Grunde einzig auf die Naturwissenschaft zu. Doch der Mensch begann Bereiche des Lebens, in denen einzig die organische Logik etwas ausrichten kann, mit dem falschen Werkzeug zu erforschen, und häufte damit Irrtümer über Irrtümer. Wissenschaft hat immer objektiv zu sein, dies ist jedoch nur bei der Erforschung von Materie möglich. Sobald Gefühlszustände in die zu untersuchenden Gegenstände einfließen, kann diese nur noch subjektiv sein und es ist mithin keine ordentliche wissenschaftliche Untersuchung mehr möglich.

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Durch das Aufkommen der Scheinwissenschaften und das Eindringen vermeintlich wissenschaftlicher Methodik in Bereiche des Lebens, in denen nicht Wissenschaft, sondern Autoritäten, die den Konsens der Gemeinschaft auf die Sinnfragen verbindlich vortragen dürfen, die Entscheidungen treffen sollten, ist die für eine funktionierende Gesellschaft notwendige Balance von Körper und Seele zugunsten einer materiellen Sichtweise der Welt aufgehoben worden. Die Menschen in einer solchen Gesellschaft finden keinen Anstoß mehr daran, dass ihre Erzieher ihnen keine Antworten auf die Sinnfragen geben. Materialismus und Agnostizismus sind dadurch legitime Geisteshaltungen geworden und werden weder angezweifelt noch kritisiert. Doch gerade darin liegt das Problem, denn die großen Sinnfragen müssen in jedem Falle beantwortet und diese Antworten allgemein anerkannt sein. Andernfalls läuft eine solche Gesellschaft Gefahr, von anderen Gemeinschaften, die im Besitz solche Antworten sind, übernommen zu werden. Auch wenn es in jeder Gesellschaft Menschen gibt, denen diese Fragen völlig gleichgültig sind und die sich bestens ohne ihre Beantwortung entfalten können, so bilden dennoch die Antworten auf diese Fragen das Fundament einer jeden völkischen Gemeinschaft. Was wäre Rom oder Athen ohne das religiöse Fundament der Götterwelten gewesen? Was wäre Israel ohne den Pentateuch? Was wären die Vereinigten Staaten von Amerika ohne das Fundament des christlichen Glaubens? Wer einem Volk seinen Glauben nimmt, nimmt ihm seine Seele, ohne die eben kein Körper existieren kann.

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Doch hier soll es nur um mich gehen, denn es ist meine Reise der Sinnfindung. Auch mir ist, wie einem Großteil der christlich-abendländischen Gemeinschaft, der Lebenssinn genommen bzw. vorenthalten worden. Deshalb empfinde ich einen Leidensdruck und fühle mich genötigt, diese Reise anzutreten. Doch so wie mir geht es eben vielen und in der Regel betäuben sie sich entweder durch materiellen Wohlstand oder sie geben sich mit den widersprüchlichen Antworten einer seelenlosen Kirche zufrieden oder sie schließen sich anderen Glaubensgemeinschaften an oder sie töten mit Alkohol und Drogen jeglichen Zweifel in sich oder sie erkranken an ihrer Seele und werden dann durch Psychopharmaka ruhig gestellt. Die Folgen dieses Leidens sind unendlich vielfältig, doch ich habe beschlossen, diesem Leiden meine eigene Sinnfindung folgen zu lassen.

Die drei Ebenen des Heiligen

1

Unsere Vorfahren haben etwas, das ihnen heilig war, mit dem Begriff Gott belegt. Dieses Heilige kann in keinem Falle der physischen Welt angehören, denn dort ist bisher noch kein Gott gesehen worden. Es ist also etwas, das hinter der physischen Welt, besser gesagt in einer anderen Welt existieren muss. Wenn alles Sein nur reine Materie wäre und es in ihm keine höhere Kraft gäbe, weshalb haben dann auf allen Kontinenten die Völker -und dies, obgleich sie oft nicht mal miteinander in Kontakt standen- eben eine solche höhere Kraft zur Grundlage ihrer religiösen Überzeugung gemacht? Ist es nicht seltsam, dass nahezu alle uns historisch bekannten Völker und Kulturen erkannten, was die moderne Wissenschaft nicht zu erkennen vermag. Wäre es da nicht angebracht, Zweifel an der materialistischen Deutung der Welt durch die Wissenschaft aufkommen zu lassen? Diesem Heiligen begegnet der Mensch auf drei Ebenen: erstens in sich selbst, zweitens außerhalb von sich selbst in allem, was innerhalb der Sinnenwelt Leben in sich trägt, und drittens als Schöpfungskraft außerhalb der Sinnenwelt.

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1. Wenn der Mensch seinen Gedanken nachgeht, wenn er träumt, wenn er eine Melodie komponiert oder sich erinnert, dann schaut er in sich hinein und schöpft aus dem Unendlichen. Egal wie oft er dies tut, er wird niemals sagen können: „Jetzt habe ich dort alles vorgefunden. Mehr gibt es nicht zu entdecken." Es wird dort immer etwas Neues zu entdecken geben, denn die Wege sind dort unendlich. Wenn jemand im Geiste sein ganzes Leben einen Weg ginge, so könnte er ihn dennoch nie beenden. In der physischen Welt enden alle Wege irgendwann einmal, in der geistigen Welt niemals. Dies steht in einem sonderbaren Gegensatz zur Endlichkeit der physischen Welt und ließ daher verständlicherweise im Menschen den Verdacht aufkommen, dieser Geist könne auch nach dem Tode seines Körpers weiterhin bestehen. Zumal das Merkvermögen dieses Geistes so gewaltig ist, dass er in ihr die gesamte physische Welt, also das gesamte Universum, kopieren könnte und dennoch genügend Raum vorhanden wäre, um ein weiteres Universum in sich aufzunehmen, sein Denkvermögen so hoch entwickelt ist, dass er die komplexesten Strukturen entschlüsseln und begreifen kann und jedem Geschöpf auf dieser Erde weitaus überlegen ist, sein Schaffensvermögen so unerschöpflich ist, dass die von ihm hervorgebrachten Melodien, Gedankengebäude, Poesien, Einfälle, Erfindungen oder Träumereien niemals ein Ende finden werden. Angesichts dieser herausragenden Qualität des Geistes, die in der uns bekannten Welt nicht ihresgleichen hat, ist es geradezu selbstverständlich, dass der Mensch ihn mit dem Attribut „heilig" versehen hat.

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2. Wenn der Mensch sich selbst verlässt und seine Sinne der physischen Welt zuwendet, wird er eines großen Kontrastes gewahr: des Kontrastes von toter und lebendiger Materie. Tote Materie kann sich aus sich heraus nicht bewegen, doch lebendige Materie hat in sich die Fähigkeit, sich zu bewegen oder gar zu verändern. Ein Baum wächst. Ein Tier läuft, schwimmt, kriecht oder fliegt. Das Gras sprießt aus dem Boden und eine Blume blüht. Der Mensch sieht dieses Leben und eine Frage kommt in ihn auf: „Was ist Leben?" So schön auch die Formen des Lebens sind, ihm ist klar, dass er durch die alleinige Wahrnehmung der Lebensformen mit den Sinnen das Leben nicht begreifen wird, denn das Leben wirkt von innen heraus. Was immer Leben auch sein mag, es ist etwas, das von innen heraus Materie zur Entfaltung bringt und es muss eine Art von Energie sein, denn es gibt keine Bewegung ohne Energie. Es ist also eine Art von Energie, die im Raume befindlich, jedoch nach jetzigem Wissensstand einzig auf unserer Erde zur Entfaltung gekommen ist und die weder extrahierbar noch messbar ist. Sie ist bestimmter Materie eingegeben und niemand vermag zu sagen, woher sie kommt und weshalb sie auf dieser Erde vorhanden ist. Und auch der Geist wäre ohne sie nicht vorhanden, denn ihn gibt es nur in Materie, die Leben in sich trägt. So verwundert es nicht, dass der Mensch auch ihr einen Heiligenschein zukommen ließ.

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3. Bei der Betrachtung der Sinnenwelt und ihres ewigen Wandels entgeht dem Beobachter nicht, dass trotz dieser unaufhörlichen Veränderung diese an eine bestimmte Ordnung und Gesetze gebunden ist. So muss unweigerlich in ihm die Frage aufkommen: „Wer oder was hat die Materie im Raume den Naturgesetzen unterworfen?" d.h. „Wer oder was bindet die Materie an diese Gesetze und wie kam es zu einer solchen Bindung?" Bei der Entstehung des Raumes müssen diese Naturgesetze bereits gewirkt haben, d.h. ihre Richtung und Ordnung muss der Materie bereits immanent gewesen sein, denn sie hat gewissermaßen ewigen Charakter. Es ist völlig gleichgültig, ob Materie zerstört wird oder neu entsteht, sie ist dabei stets den Naturgesetzen unterworfen. Durch diese Gesetze beugt sich die Materie gewissermaßen einem Willen, der bereits vorhanden gewesen sein muss, bevor es überhaupt Materie gab. Diesen Willen schrieb man einem Gott oder Göttern zu. Doch welche Indizien gibt es für einen Gott oder für Götter? Habe ich jemals einen gesehen oder sprach ich jemals mit jemandem, der glaubhaft einen solchen sprach oder sah? Die Wahrheit ist, dass nichts aus meinem Erfahrungsschatz dafür spricht. Alles, was ich jemals über Gott oder Götter gehört oder gelesen habe, hat in mir den Verdacht hervorgerufen, dass sie für etwas stehen, was man nicht anders bezeichnen konnte. Niemand und nichts konnte mich bisher davon überzeugen, dass jemals ein Gott mit menschlicher Stimme zu einem Menschen sprach und ihm seinen Willen mitteilte. Meiner Meinung nach haben viel eher Menschen, die etwas nach einem langen Kampfe Errungenes in sich trugen, dies für so heilig erachtet, dass sie es einer Kraft zuschrieben, die über ihnen und allen anderen Menschen steht.

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Auf diesen drei Ebenen begegnet also der Mensch dem Heiligen, wodurch in ihm drei elementare Fragen aufkommen:

1. Was ist Geist?

2. Was ist Leben?

3. Wer oder was hat den Raum mit seiner Ordnung geschaffen?

Diese drei Fragen nenne ich die Urfragen, denn sie beschäftigen den Menschen, seitdem er Geist besitzt. Eine Gemeinschaft, die auf diese Urfragen keine Antwort geben kann, hat keine Zukunft. Dies haben mir vor allem die Unzulänglichkeiten der materialistischen Gesellschaftssysteme vor Augen geführt. Wer immer eine Gemeinschaft mit Lebensdauer geschaffen hat, tat dies auf dem Fundament der Beantwortung dieser drei Fragen. Denn jeder Mensch möchte diese Fragen für sich beantwortet wissen. Ich möchte gar nicht leugnen, dass es Menschen gibt, die sich mit einer sehr oberflächlichen Beantwortung der Urfragen zufriedengeben, denn Urteilsvermögen, Denkvermögen, Kritikfähigkeit oder das Bedürfnis einer Sinngebung des eigenen Lebens sind bei jedem Menschen unterschiedlich ausgeprägt. Doch dies bestätigt in keinster Weise die Lebensfähigkeit und Realisierbarkeit materialistischer Gesellschaftssysteme. Denn Materialisten gab und gibt es in jeder Gesellschaft, doch gab es jemals eine Gesellschaftsordnung mit einem materialistischen Fundament, die länger als zehn Generationen bestehen konnte?

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Doch ich möchte meine Reise nicht durch unnötige Umwege verlängern, denn hier geht es um meine persönliche Sinnfindung, nicht um die einer Gesellschaft. Ich selbst werde mir diese drei Urfragen stellen und diese für mich beantworten, denn es ist meine Sinnreise und ich möchte sie, soweit es möglich ist, unabhängig von allen jemals gegebenen Antworten beantworten. Eines ist mir jedoch, lange bevor ich diese Reise angetreten habe, klar geworden: Die Wissenschaft wird diese Urfragen niemals beantworten können, weshalb sie für eine solche Reise eine eher untergeordnete Rolle spielt. Viel eher benötige ich für diese Reise: Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit, ein kritisches Urteilsvermögen und ein Bewusstsein für die Grenzen des wissenschaftlichen Wirkungsbereiches.

Die drei Urfragen

1

1.Was ist Geist?

Was weiß der Mensch von der Welt des Geistes? Die Welt der Sinne kennt er. Er hat sie erforscht, ausgemessen und abgetastet. In jeden Winkel ist er gekrochen und er spricht heute stolz: „Diese Welt kenne ich“. Doch was weiß er von der Welt des Geistes. Sie ist unendlich größer, unzugänglicher und nicht ausmessbar, doch sie ist ebenso real wie die Welt der Sinne. Ich betrete sie und bewege mich mühelos in ihr. Alles, was ich jemals in der Welt der Sinne gefunden habe, finde ich in ihr wieder. Alles, was mir jemals durch den Kopf gegangen ist, finde ich dort wieder. Alles, wozu die Kraft meines Geistes mich befähigt, kann ich dort neu erschaffen. Es ist eine Welt, die es ohne die andere, die äußere Welt, nicht gäbe. Aber gäbe es auch die äußere ohne die innere Welt? Welche der beiden war zuerst? Die äußere kann die innere nicht hervorrufen, denn sie ist nur Materie. Und auch die innere kann die äußere nicht hervorbringen, denn sie ist nur Geist. Und dennoch sind beide miteinander verbunden und verändern sich gegenseitig. Es gibt keine Veränderung in der einen, ohne eine Veränderung in der anderen hervorzurufen. Nichts aus der äußeren Welt wird der Mensch begreifen, ohne gleichzeitig die innere Welt neu zu gestalten. Die äußere Welt kennt kein Begreifen, sie funktioniert einfach so, wie es ihr eingegeben worden ist. Die äußere Welt ist für alle Menschen gleich, doch die innere ist jedem anders gegeben. Alles, was lebt, besitzt eine innere Welt, doch wie unendlich verschieden sind diese inneren Welten. Je gewaltiger, tiefgehender und höhenreicher die innere Welt eines Lebewesens ist, desto vielfältiger sind auch ihre Möglichkeiten zur Einflussnahme auf die äußere Welt. Wir haben die äußere Welt, die uns unendlich und unermesslich erschien, erkundet und mit Grenzsteinen versehen. Doch was wissen wir über die innere Welt, die uns all das, was wir über die äußere Welt gelernt haben, wieder vergessen machen kann? Der Reichtum einer einzigen inneren Welt reicht aus, um die Wahrnehmung der äußeren Welt für alle Menschen zu verändern. Und doch wissen wir über diese Welt so gut wie nichts und erkunden weiter die äußere Welt, weil diese Welt einfacher zu begehen ist und aus ihrer Erforschung scheinbar größere Vorteile zu ziehen sind.

2

Sonderbar und unergründlich ist doch der Geist. Es gibt Tage, an denen erwache ich und ein Gedankenreichtum ohne Grenzen steht mir zur Verfügung. Es ist, als ob ich einem Garten stünde und alle Bäume voll mit Früchten vorfände, ich brauche nur meinen Arm zu erheben und sie zu pflücken. So setze ich mich an meinen Tisch und die Gedanken sprudeln nur so hervor, so dass meine Hand kaum hinterher kommt. Dann gibt es Tage, an denen mir nichts einfällt und der Garten ohne eine einzige Frucht vor meinen Augen steht. Und ich denke mir dann: „Er wird wohl nie wieder Früchte hervorbringen. Er liegt für immer brach.“. Und doch wird eine reiche Ernte diese Dürrezeit wieder vergessen machen. Was macht den Geist fruchtbar und lebendig und was macht ihn träge und unfruchtbar? Wer gibt ihm die Gedanken ein, dass sie aus im hervorquellen? Wird der Mensch dies jemals ergründen?

3

Wenn ich meinen Blick von der Erde ab- und der scheinbar unendlichen Lebensfeindlichkeit des Raumes zuwende, drängt sich mir oft der Gedanke auf, dass all das, der gesamte Raum, geschaffen worden ist, damit dieses Leben hervorgebracht werden kann. Und was läge näher? Ein Planet innerhalb eines Sonnensystems, der sich um eine Sonne dreht, die alles Leben auf ihm tötete, wenn er ihr zu nahe käme, und der kein Leben hervorgebracht hätte, wenn er sich zu weit von ihr entfernt hätte. Alle Bedingungen innerhalb dieses Sonnensystems sind genau so, dass Leben auf der Erde entstehen musste. Weder kann dies in einem Raume, in dem Naturgesetze wirken, ein Zufall sein noch kann dieses Leben innerhalb eines lebensfeindlichen Raumes als ein Zufallsprodukt, das durch das Zusammentreffen günstiger Gegebenheiten entstanden ist, bezeichnet werden. Spricht nicht vieles dafür, dass dieses Leben hervorgebracht werden sollte und dass dieses Sonnensystem innerhalb des Raumes dafür geschaffen worden ist, um auf diesem Planeten das Leben entstehen zu lassen? Gäbe es auf der Erde einfach nur Leben ohne Geist, der dieses Leben und den Raum begreifen kann, könnte man sicherlich von einem Zufall sprechen. Es gibt jedoch diesen Geist, der die Naturgesetze begreift, den Raum erkennt und sich außerhalb des Körpers bewegen kann. Das Vorhandensein dieses Geistes ändert alles. Denn der Mensch als Hauptträger dieses Geistes kann nicht umhin, die ordnende Kraft seines Geistes in der Natur und im Raume wiederzufinden, ja diese als verwandt zu empfinden. Der Geist des Menschen und der Geist des Schöpfers des Raumes und der Erde haben für ihn den selben Ursprung. Deshalb nannte er diesen Schöpfer Gott oder Götter, empfand sich als Abkömmling dieses Göttlichen und unterordnete sich ihm unter. Doch weder ist sein Geist ihm untergeordnet, noch ist er sein Abkömmling. Sein Geist, der in ihm wirkt, ist derselbe, der im Schöpfer des Raumes wirkt und seine Schaffenskraft als Träger dieses Geistes ist dieselbe, die den Raum erschaffen hat. Der einzige Unterschied ist, dass im Menschen dieser Geist innerhalb seines Leibes wirkt, wohingegen der Geist ohne Leib im gesamten Raume und im Unendlichen wirkt. Solange der Geist an den Körper des Menschen gebunden ist, befindet er sich innerhalb der Materie. Wenn er nach dem Tode des Körpers diesen verlässt, wird er eins mit dem Geist außerhalb der Materie. Das Leben des Menschen auf der Erde ist ein Durchdringen der Materie durch die ewige Urkraft. Solange sich also der Geist innerhalb der Materie befindet, ist er von dem Geiste und dessen Bewusstsein außerhalb der Materie getrennt. Deshalb ist er sich nicht bewusst, wie er in seinen Körper gelangte und wohin er geht, wenn er ihn verlässt. Erst durch die Ordnung innerhalb der Natur und des Raumes erkennt er das Wirken des großen Geistes. Ihm wird bewusst, dass die Kraft, die diesen Raum mit all ihren Wundern geschaffen hat, auch in ihm wirkt. Er wird dies niemals kausal beweisen können, denn kausal beweisen kann der Geist, solange er mit Materie verbunden ist, nur Gesetze, die innerhalb der Materie wirken, aber er spürt in seinem Geiste, dass er sich dieser Wahrheit nicht entziehen kann. Beweise bedarf es nur innerhalb der materiellen Welt, in der der Geist, vom großen Geist getrennt, die Welt des Raumes begreifen lernen muss. Verbunden mit dem großen Geist außerhalb der Materie bedarf es keiner Beweise, denn diesem großen Geist ist alles Wissen und alle Wahrheit offenbar. Er ist wie eine Sonne in einer Ewigkeit, deren Strahlen die vergeistigte Urkraft, die in der Materie wirkt, sind.

4

Allem, was sich im Raume befindet, liegt eine höhere Ordnung zugrunde: der Aufbau der Atome, die Bewegung des Blutes im Herz- Kreislaufsystem, das ökologische Gleichgewicht auf der Erde oder die Bewegung der Planeten um die Sonne. Nichts im Raume geschieht zufällig, sondern es gehorcht einer ordnenden Kraft. Bei der Entstehung dieses Raumes muss also diese ordnende Kraft der Materie immanent gewesen sein. Da es keine Bewegung im Raume gibt, ohne eine ordnende Kraft, die dieser vorangeht, muss sie also bereits vor der Entstehung des Raumes vorhanden gewesen sein. Wir nennen diese ordnende Kraft Naturgesetze. Naturgesetze sind Vernunftgesetze. Dies bedeutet, sie sind der Wille einer höheren übergeordneten Vernunft. Dieser Wille möchte den Raum genauso, wie er sich darstellt. Warum will er ihn genauso? Es ist sicherlich nicht völlig abwegig, dass dabei unserer Erde, einer Enklave des Lebens mitten im unendlichen Tod, eine besondere Rolle zukommen sollte. Auch wenn unser Sonnensystem innerhalb des Raumes verschwindend klein ist und wir nicht wissen, wie viele andere Orte es in diesem Raum gibt, auf denen es Leben gibt, so stellt sie dennoch etwas Außergewöhnliches dar. Was macht unsere Erde zu solch einem besonderen Ort? Es ist nicht allein ihre Schönheit mitten im Dunkel des Raumes oder ihre Vielfalt der Arten mitten in der Eintönigkeit des Raumes oder ihre Lebendigkeit des Lebens mitten in der Todesstille des Raumes, nein, es ist vor allem das Vorhandensein von Geschöpfen, die ein Bewusstsein für und ein Begreifen wollen der ordnenden Kraft im Raume in sich tragen. Es ist die Existenz von Geschöpfen mit Geist, den kein anderes uns bekanntes Geschöpf besitzt. Und dieser Geist ist an das Leben gebunden, er ist ohne dieses Leben nicht vorstellbar. Dieser Geist macht die Erde zu einem außergewöhnlichen Ort. Erst dieser Geist begreift ihre besondere Stellung innerhalb des Raumes. Erst dieser Geist erkennt Naturgesetze und die Ordnung innerhalb des Raumes. Erst dieser Geist befähigt den Menschen, die Erde zu verlassen und ihre Schönheit zu begreifen. Ohne diesen Geist wäre das Leben auf der Erde eben so schön und einmalig, doch wer würde sie begreifen? Was ist überhaupt diese Schönheit, wenn niemand sie begreift? Erst durch den Geist gibt es sie überhaupt: Leben als Träger des Geistes stellt innerhalb des uns bekannten Raumes den unbestrittenen Höhepunkt dar.

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