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Kurzbeschreibung:

Cody, ein ausgemusterter Polizeihund, fürchtet nichts mehr, als dass seine Futterschüssel leer bleibt und er erneut sein Herrchen verlieren könnte. Cleo, eine Siamkatze, genießt das gute Leben bei ihrem Menschen Anette in vollen Zügen. Ihre Wege kreuzen sich, als Codys Herrchen Dirk einen neuen Fall bekommt. Ausgerechnet Anette soll etwas mit dem Ableben ihres reichen Ehemannes zu tun haben. Cleo könnte Cody helfen, erwartet im Gegenzug aber Unterstützung gegen Cat Capones Katzenbande.

Gemeinsame Sache mit einer Katze? Undenkbar für Cody, bis Dirk in Lebensgefahr gerät.


Ilona Schmidt

Gut gebellt, Katze

Streife auf acht Pfoten




Edel Elements

2 Cody

Ball oder Kauknochen? Eine schwere Entscheidung, die leichter zu treffen gewesen wäre, wenn es sich um einen frischen Kauknochen gehandelt hätte. Aber nachdem ich ihn gerade erst in der Erde eines Blumentopfs wiedergefunden hatte, roch er eher unappetitlich. Der Gummiball mit dem Loch hingegen machte schmatzende Geräusche, wenn ich hineinbiss. Außer diesem Genuss bot er jedoch nichts weiter, da ihn mir niemand werfen würde. Also doch lieber den Stinkeknochen aus Tierhaut?

In der Küche klapperte es verdächtig. Mein Boss räumte Geschirr mit Essensresten darauf in diesen Zauberkasten, aus dem es – nachdem es darin ordentlich rumort hatte – wie durch ein Wunder blitzeblank wieder herauskommen würde. Schnell erhob ich mich, um ihm stattdessen meine Reinigungsdienste anzubieten. Zu spät, denn er kam mir mit leeren Händen entgegen.

Enttäuscht legte mich wieder hin und entschied mich für den Kauknochen, der kleine Stücke preisgeben würde, wenn ich lange genug darauf herumbiss.

Mein Boss nannte mich übrigens „Cody“, mein Tierarzt „Was-fehlt-uns-denn“, und die im Apartment unter uns wohnende alte Dame „alter Kläffer“. Seit wann hört sich das Melden eines reinrassigen Deutschen Schäferhunds wie das Wäffwäff eines kleinen Möchtegernhunds an? Bellen ist nämlich nicht gleich Bellen. Es sagt nicht nur etwas über unsere Körpergröße, unser Geschlecht oder unsere Gemütsverfassung aus, sondern verkündet auch, was gerade los ist.

Mein linkes Knie schmerzte, weshalb ich den Knochen zu dem von der Sonne beschienenen Teil des Teppichs trug. Dumm nur, dass die Sonne weiterwanderte und ich ihren Strahlen folgen musste. Wir lebten in einer frisch renovierten Altbauwohnung, wie Dirk die riesige Hundehütte nannte. Glatte Parkettböden und Fliesen in der Küche, während mir im Wohnzimmer ein kuscheliger Teppich das Leben versüßte.

Ich war ein Polizeihund, ein sogenannter K-9; ausgesprochen „Key-Nein“. Wobei das „Nein“ angeblich die Zahl „Neun“ bedeuten sollte – oder war es umgekehrt? Egal, jedenfalls war ich nicht neun und außerdem bedeutete „Nein“ selten etwas Gutes.

Mein Vater war schon im Polizeidienst gewesen, mein Großvater ebenfalls und mein Ur-Ur-Urahne war der berühmte Edor von Tresko, der dem tollkühnen Detektiv Erich Zehmke gedient hatte. Edor war ein stattlicher Hund gewesen, und die Anzahl der Waden und Unterarme, in die er im Laufe seiner Karriere gebissen hatte, war mit den Jahren ins Unermessliche gestiegen. Furchtlos und treu hatte er seinem Boss gedient und war deshalb mein großes Vorbild.

Die Menschensprache hatte ich von Papa und Mama gelernt, auch wenn mir viele Ausdrücke und Gepflogenheiten der Zweibeiner ein Rätsel blieben, und ich fragte mich, ob ihnen das mit uns Hunden genauso erging.

Mein Boss hieß Dirk Baumann und war ebenfalls ein K-9 – ein zweibeiniger halt. Allerdings trug er keine Uniform und zu meinem Verdruss durfte ich ihn nur selten zum Dienst begleiten. Das läge daran, dass ich ausgemustert worden wäre, hatte er versucht, mir zu erklären, als ich ihn an der Wohnungstür auf mein altes Polizeihunde-Geschirr aufmerksam machte. So blieb es am Wandhaken hängen, aber dafür trug ich jetzt ein leichteres, wenn wir auf Streife gingen. Eine schlimme Situation, denn ich wollte ebenfalls etwas zu unserem Lebensunterhalt beitragen. Hoffentlich würde sich mein Ausscheiden aus dem Dienst nicht auf die Menge des Futterschüsselinhalts auswirken.

Die Polizeiarbeit vermisste ich sehr. Welch eine Genugtuung, einem Flüchtenden in den Arm, das Bein oder den Po beißen zu dürfen. Das Wort „ausgemustert“ musste etwas ganz Schlimmes bedeuten, da ich seitdem nur noch in Kauknochen und Bälle beißen durfte. Längeres Nachdenken darüber machte mich schläfrig, wie jetzt zum Beispiel. Zudem schmeckte der Kauknochen fade.

Dirk und ich lebten in einer Stadt, deren Name für mich keine Bedeutung hatte. Eher schon die Wälder, die sie umgaben, der Fluss, der durch sie hindurchfloss oder die Seen, in denen ich badete und mit Dirk um die Wette schwamm.

Mein Knieproblem war übrigens keine Alterserscheinung. Ich hatte mich während eines Einsatzes verletzt. Mein ehemaliger Boss hatte wohl geahnt, was kommen würde, denn er hatte „Aus!“ gebrüllt und: „Nein, nicht!“ Ich hätte lieber auf ihn hören sollen.

Trotzdem war das noch lange kein Grund, mich gleich auszumustern.

Manchmal beschlich mich der leise Verdacht, es hätte noch einen anderen Grund dafür gegeben, etwas, das meinen damaligen Partner gestört hatte.

Mein jetziger Boss und ich lebten ohne weibliche Gesellschaft. Wir kamen gut miteinander aus. Dirk hatte gelernt, was mir schmeckte und gab mir stets reichlich zu fressen, obwohl es durchaus mehr hätte sein können. Auch bürstete er mich regelmäßig, pflegte meine Krallen und Zähne und manchmal brachte er mich zum Tierarzt, der mich dann mit einer Nadel piekte.

„Wollen wir in den Park?“, fragte Dirk.

Welche Frage. Ich konnte ihn doch nicht allein gehen lassen. Nicht auszudenken, wenn da etwas ohne mein Beisein passierte. Freudig erregt und hechelnd sprang ich auf ihn zu. Seit ich bei ihm lebte, sah ich es als eine meiner Aufgaben an, den Park von Katzen freizuhalten, denn sie waren meine natürlichen Feinde und nahmen uns Hunden oft den Platz im Herzen eines Menschen weg. Dirk mochte es nicht, wenn ich sie jagte und pfiff mich dann jedes Mal zurück. Warum eigentlich?

Während unseres Spaziergangs ging ich, wie es sich gehörte, brav bei Fuß: keine Spannung auf der Leine, meinen Kopf auf Höhe seiner Knie. Wie immer hoffte ich auf einen Einsatz, aber leider auch heute wieder vergebens: kein Mensch, keine Ente, keine Katze.

Auf meiner Stammwiese ließ er mich endlich von der Leine. Freiheit! Ich rannte los – stoppte. Da war dieser Geruch von dem Hund mit den blauen Augen, der behauptete, ein Schlittenhund zu sein. Als gäbe es hier Schlitten. Tatsächlich, der Kerl hatte seine Duftmarke an meinem Lieblingsbaum hinterlassen. Also sofort den eigenen Strahl auf die Markierung gerichtet und schnell nachgeschnüffelt, ob ich auch richtig getroffen hatte. Naja, könnte besser sein. Also nachgelegt. Jetzt hatte ich besser gezielt und seine Markierung in meiner ertränkt. Zufrieden kehrte ich zu meinem Boss zurück.

Dirk trug ein breites Grinsen im Gesicht, während er in eine seiner Jackentaschen langte. Er würde doch nicht …? Tatsächlich! Der Ball! Endlich etwas zum Reinbeißen und Apportieren. Und schon flog die Kugel durch die Luft. Ich nix wie hinterher, immer schneller, bis sie auf dem Boden aufschlug, dort abprallte und ich sie ihm Flug schnappte. Im Galopp zurück zum Boss und dann begann das Spiel aufs Neue. Wie durch ein Wunder schmerzte mein Knie plötzlich nicht mehr.

Als ich wieder einmal zu ihm zurückkehrte, bemerkte ich aus dem Augenwinkel unter einem Busch eine Bewegung. Der Sache musste ich auf den Grund gehen. Katzengeruch stieg mir in die Nase. Und dort sah ich sie auch schon hocken.

„Cody, hierher!“, rief Dirk. „Wo steckst du denn schon wieder?“

Was sollte ich tun? Es war doch meine Pflicht, das Katzenvieh zu verjagen. Ein Hund muss sich seine Futterration verdienen, hatte Papa stets gemahnt. Die Katze sauste davon und rettete sich auf einen Baum. Schade, beinahe hätte ich sie erwischt. Welch ein Spaß.

Schon von Weitem sah ich an Dirks Körperhaltung, dass sich dessen Spaß in Grenzen hielt. Seine nach unten gezogene Mundwinkel verhießen nichts Gutes.

„Du bist mir ein schöner Polizeihund. Kein Wunder, dass sie dich ausgemustert haben. Oder hast du was an den Ohren?“

Meine Ohren funktionierten prima. Ich setzte mich hin und spitzte sie ordentlich.

Dirk legte den Kopf schief, und die Falte über seiner Nase verschwand wieder. „Alter Gauner. Du weißt genau, was los ist.“

Richtig. Hier gab es eine Katzenplage, was die Menschen aber nicht zu kümmern schien. Ich sah ihn lange an, um ihm die Situation zu verdeutlichen, aber Dirk schien heute etwas begriffsstutzig zu sein.

Gemächlich wanderten wir nach Hause zurück, wobei Dirk auf sein kleines, flaches Kästchen schaute und es mit dem Daumen streichelte. Das machte er oft, und manchmal sprach er sogar mit ihm. Plötzlich blieb er stehen. Sofort setzte ich mich hin, denn schließlich war ich ein wohlerzogener Hund.

„Ich hab’s!“, rief er plötzlich. „Wie wär’s mit einem speziellen Training für dich?“

Au ja. Training hörte sich verdammt gut an. Mann suchen, Mann finden, Mann beißen – toll. Vielleicht sogar eine Drogensuche? Die hatte ich schon ewig nicht mehr gemacht. Am spannendsten war es immer gewesen, wenn nicht mein Boss, sondern ein anderer das Päckchen versteckt hatte. Dann konnte ich nicht seiner Spur folgen, sondern musste mich wirklich anstrengen, um es zu finden. Erwartungsvoll wedelte ich mit meinem Schwanz.

„Schutzhundetraining beim Tuff-K9-Club. Was? Mit Schock-Halsband? Nein danke, das wollen wir nicht.“

Keine Ahnung, wovon er sprach. Moment. Hier war vor Kurzem eine läufige Hündin entlanggegangen. Oh, diese süßen Düfte waren unwiderstehlich. Ich trabte an, bis mich ein Ruck am Geschirr auf den Boden der Tatsachen zurückholte.

„Bei Fuß, Cody! Warte, vielleicht ist das hier etwas: Agility Training. Fördert die Zusammenarbeit zwischen Führer und Hund, und macht beiden Spaß.“

Mir sagte das Wort „Agility“ nichts. Vielleicht eine neue Droge oder gar Sprengstoff? Ein Kollege von mir war darauf spezialisiert. Das Lieblingswort seines Führers war „Such vorsichtig“. Über so viel Unverständnis konnte der Kollege nur lachen, denn schließlich wusste er genau, wo das gesuchte Päckchen versteckt war.

„Hört sich gut an. Mal schauen, ob wir einen Trainer in unserer Nähe finden.“

Wenn er meinte. Dirk war nicht nur mein Boss, sondern auch mein Partner. Um ihm meine Zweifel mitzuteilen, wedelte ich schwach.

Zu Hause angekommen, füllte er meinen Fressnapf mit Trockenfutter, das stark nach Rindfleisch und Kartoffeln roch. Mir lief das Wasser im Maul zusammen. Brav machte ich Sitz. Warum dauerte das so lange?

„Pfote“, forderte Dirk.

Wenn’s sein musste. Ich patschte meine Pfote in seine Handfläche und endlich wanderte der Napf auf den Boden.

Oh diese Wonne! Ich schlang hinein, was das Zeug hielt.

„He, nicht so gierig“, versuchte Dirk mich zu bremsen.

Der Mann hatte keine Ahnung, dass alles sofort verputzt werden musste.

Was? Schon alle? Nein, da rollte noch ein Stückchen davon. Schnell geschnappt und runtergeschluckt und zur Nachreinigung die Schüssel ausgeschleckt.

„Hat’s geschmeckt?“

Natürlich hatte es das. Wie durch ein Wunder erschien in Dirks Hand ein Hundebiskuit. „Zum Zähneputzen“, sagte er grinsend.

Ich packte das Leckerli und verkrümelte mich auf mein Hundebett, wo ich es ungestört vertilgen konnte.

In der Zwischenzeit hörte ich Dirk im Wohnzimmer rumoren. Ich legte mich unter den Tisch und der Boss auf die Couch, die ich nur besetzte, wenn er nicht zu Hause war. Bald schon würde er sich sein Abendessen zubereiten, doch vorläufig rührte er sich nicht, blätterte nur müde durch übereinanderliegende Papierblätter. Endlich legte er sie beiseite und blickte ins Leere.

Menschen mit diesem Blick sprangen oft plötzlich auf und taten dann etwas völlig Unvorhersehbares, weshalb ich es vorzog, mich still zu verhalten. Manchmal schüttelten sie aber auch nur ihren Kopf. Ich war gespannt, was es dieses Mal sein würde.

Nichts dergleichen, denn an der Wohnungstür klingelte es. Dirk stand auf, sprach mit dem Kasten an der Wand und drückte auf einen Knopf. Nach einer Weile hörte ich die schweren Schritte eines Mannes und die leichteren einer Frau. Jetzt wusste ich, warum heute die Küche kalt geblieben war.

Die Frau umarmte Dirk und drückte ihm ihre Lippen auf die Wangen. Menschen tun dies, um zu zeigen, dass sie sich mögen, was ich merkwürdig finde, denn wir Hunde beschnuppern uns zuerst am Hintern.

Da Dirk die beiden herzlich begrüßte, konnte ich sie hereinlassen; vielleicht auch deshalb, weil sie Futter mitgebracht hatten. Es roch verlockend nach Schinken, Tomaten und Käse – alles zusammen nannten sie Pizza. Die würde noch gut in meinen Magen passen.

Dirk öffnete eine Flasche Rotwein und sie begannen die kreisrunde Scheibe zu verzehren. Ich setzte mich vor die drei, wartete, bis sie damit fertig waren und bot dann meine Dienste zur Resteverwertung an.

„Vorwaschgang“, sagte Dirk lachend und hielt mir die Pappschachtel unter die Nase.

Viel war nicht übriggeblieben, aber besser als nichts. Hoffnungsvoll schnüffelte ich auf dem Fußboden nach Runtergefallenem, denn die Wohnung musste sauber bleiben.

„Wenn du mal Zeit hast …“, sagte der Mann, den der Boss Ben nannte.

„Was Dienstliches?“

„Nee, nicht direkt. Oder doch.“ Ben wiegte seinen Kopf hin und her.

„Mach’s nicht so spannend.“

Sie setzten sich auf die Couch zu der Frau. „Ben wundert sich nur“, sagte sie.

Dirk lehnte sich zurück. „Worüber? Ein Versicherungsfall?“

„Wenn’s nur einer wäre.“ Ben kratzte sich an der Stirn. „Für eine Anzeige reicht es noch nicht, aber wir haben einen Anfangsverdacht. Es geht um eine Witwe, der wir eine erhebliche Lebensversicherungssumme auszahlen mussten, weil ihr Mann kurz nach der Heirat verstarb.“

„Das soll vorkommen.“

„Aber nicht zweimal hintereinander.“

„Wie? Der Mann starb zweimal?“

„Scherzkeks. Sie war zweimal verheiratet und beide Male segneten ihre Angetrauten kurz nach der Hochzeit das Zeitliche – angeblich wegen Herzversagens.“

„Vielleicht nimmt sie sie zu sehr ran?“, erwiderte Dirk lachend, wurde aber schnell wieder ernst, als er in das versteinerte Gesicht von Bens Frau blickte.

„Sorry.“

„Könntest du mal in eurer Datenbank nachschauen, ob sie schon mal auffällig war?“, fragte Ben. „Ganz inoffiziell natürlich. Sie hat erst vor Kurzem wieder geheiratet und ich möchte wetten, dass ihr Neuer bald einem Herzschlag erliegen wird.“

„Hm“, machte Dirk.

„Sie heißt jetzt Anette Flechsenberg, ihr Mädchenname ist Lebwohl.“

„Also bei dem Namen dürfte so etwas eigentlich nicht vorkommen.“

Jetzt lachten alle. „Er hat eine Enkelin mit Namen Susi Döhler, die er vorher als Begünstigte seiner Lebensversicherung eingesetzt hatte. Vor Kurzem hat er sie auf seine Frau Anette umschreiben lassen.“

„Den Namen habe ich erst heute in einer Zeitungsanzeige gelesen. Susi Döhler. Positive Erziehungsmethoden beim Hund. Ich will mit Cody dorthin. Vielleicht eine Gelegenheit, Näheres zu erfahren, falls es sich um dieselbe Dame handelt.“

Ich setzte mich aufrecht hin. Konnte es sein, dass sich hier gerade ein neuer Fall entwickelte? Das wäre echt super. Ich würde Dirk nach Kräften unterstützen, und wenn wir den Bösewicht aufgespürt hätten, würde ich ihn am Hosenbein festhalten, bis Dirks Handschellen zuschnappten. Ein voller Fressnapf wäre mir weiterhin sicher.

Apropos, wie wäre es mit einem Snack?

4 Cleo

Ich sah dem devoten Köter noch lange hinterher, wie er mit eingeklemmtem Schwanz seinem Menschen folgte. Und so einer wollte ein Polizeihund sein? Lächerlich. Allerdings hatte ich bisher noch keinen Hund getroffen, der lügen konnte. Dazu waren sie einfach nicht fähig. Ihnen sieht man auf den ersten Blick an, was sie denken, im Gegensatz zu uns, die wir unsere Emotionen besser kontrollieren können. Wir wiegen unsere Feinde in Sicherheit, während wir insgeheim bereits einen Angriffsplan schmieden. In Anbetracht der Ehrlichkeit der Hunde war es also durchaus möglich, dass er tatsächlich ein Polizeihund war, was ich mir zunutze machen könnte.

Plötzlich raschelte es unter mir. Dem Geräusch nach zu urteilen, war der Verursacher deutlich größer als eine Maus. Womöglich eine andere Katze, und mir schwante auch schon welche. Ein Blick nach unten auf den massigen, schwarzen Katzenkörper bestätigte meine Befürchtung. Ausgerechnet dieser Angeber Cat Capone. Offenbar war er heute ohne seine Bandenmitglieder unterwegs, was selten vorkam. Großspurig hatte er sich – in Anlehnung an eine ganz üble Kralle aus einem fernen Land – den Namen selbst gegeben. Was natürlich lächerlich war, denn wir Katzen brauchten keine Vorbilder und vor allem keine, die ständig in einem Käfig eingesperrt waren. Anscheinend war ihm die Zeit bei den Menschen nicht gut bekommen. Wahrscheinlich hatten sie ihm irgendwelche Flausen in den Kopf gesetzt.

Ich seufzte innerlich. Seine Anwesenheit war mir unangenehm. Dabei sollte ich ihm dankbar sein, denn er hatte mich einmal vor den Angriffen zweier Beagles beschützt und das, obwohl Cat Capone nur ein Auge besaß.

Er richtete seinen einäugigen Blick auf mich. „Suchst du da oben was Bestimmtes, meine Liebe?“

„Ich bewundere nur die schöne Aussicht.“

Seine rosa Zunge fuhr über seine Lippen. „Ich dachte schon, du wolltest dich auf die faule Haut legen.“

„Aber nein. Wo denkst du hin?“

„Hast du was zum Futtern gefunden?“

Bei Cat Capone drehte sich alles nur ums Fressen. Seitdem er herausgefunden hatte, dass manche Menschen – vor allem die weiblichen – uns Katzen gerne fütterten, selbst wenn wir nicht mit ihnen unter einem Dach wohnten, musste ich für ihn betteln gehen. Eine gertenschlanke Siamkatze war dazu wesentlich besser geeignet als ein fetter Kampfkater.

„Bis jetzt noch nicht“, erwiderte ich. „Ein Köter ist mir in die Quere gekommen.“

„Was? In meinem Revier?“

„Er hält es für seines.“

„Frechheit! Was denkt sich der Kerl?“

„Vermutlich, dass er der Herrscher über den Park ist.“

Cat Capone fing zu sabbern an. Das tat er immer, wenn er besonders erregt war – meistens vor dem Fressen.

„Ist dir nicht gut?“, fragte ich scheinheilig.

„Dem werde ich zeigen, wer hier der Herr ist.“

„Gute Idee. Vertreibe ihn oder noch besser, jage ihn in den See.“ Die Vorstellung amüsierte mich, denn Cat Capone ging sicher von einem Hundchen seiner Größe aus. Davon gab es hier etliche, große Hunde waren eher die Ausnahme. Stadtmenschen bevorzugten die Taschenausgabe von Hunden, was uns Katzen nur recht sein konnte.

Je länger ich darüber nachdachte, desto besser gefiel mir die Idee, Cat Capone auf den Polizeihund – wenn er denn einer war – zu hetzen. Das könnte die Lösung meines Problems sein. Der Hund bräuchte ihm nur einen ordentlichen Schrecken einjagen. Der Kater würde dann das Weite suchen und ich wäre endlich wieder frei. Schöne Vorstellung, aber kaum realisierbar, weil Cat Capone die Aufgabe an seine Schergen delegieren würde. Wo steckten die überhaupt?

„Soll ich ihm eine Falle stellen?“ Ich streckte mich genüsslich, denn es tat unheimlich gut, gemein zu sein. „Ich opfere mich gerne für dich.“

„Was heißt opfern? Es ist deine verdammte Pflicht. Schließlich schuldest du mir noch was.“

Aus dem Augenwinkel sah ich El Zappo, einen graugetigerten Allerweltskater, mit seinem Bruder El Popez im Schlepptau, anmarschiert kommen. Die beiden gingen keinem Kampf aus dem Weg und waren Cat Capones ständige Begleiter. Ihr Auftauchen konnte unangenehm für mich werden. Zeit, sich aus dem Staub zu machen. „Das ist längst abgegolten. Ich muss jetzt weiter, wenn du nichts dagegen hast. Vielleicht habe ich morgen mehr Glück. Bis dahin habt ihr noch genügend Fressalien von dem Raubzug in der Kleingartenkolonie. Oder habt ihr schon alles aufgefressen?“

Cat Capone spuckte aus. „Sind nur noch Dosen übrig. Keine Ahnung, wie wir die aufkriegen sollen.“

„Nehmt euch einen Menschen.“

Cat Capone fauchte. „Soweit kommt’s noch!“

Inzwischen hatten uns die beiden Brüder erreicht. „Hallo, Süße“, schnurrte El Zappo. „Magst nicht runterkommen?“

„Fällt mir im Traum nicht ein.“ Alles in mir sträubte sich. Um meiner Abneigung Nachdruck zu verleihen, fauchte ich in ihre Richtung.

Cat Capone schärfte seine Krallen am nächsten Baumstamm. „Halt dich zurück, El Zappo. Wir brauchen sie noch.“

„Aber nicht jetzt. Ciao, mein Bester. Man sieht sich.“ Damit sprang ich an der anderen Seite der Mauer hinunter und flitzte sofort davon, um zu vermeiden, dass sich der Dreierclub an meine Fersen heftete. Die meisten seiner Gangmitglieder waren nur Profiteure, die sich zwar an den regelmäßigen Fressorgien beteiligten, aber bei den Raubzügen feige den Schwanz einzogen. Von denen ging keine große Gefahr aus, aber vor den beiden Els sollte man auf der Hut sein.

Da El Zappo ziemlich schnell auf seinen Pfoten unterwegs sein konnte, machte ich einen kleinen Umweg, um mein Versteck nicht preiszugeben.

Zu Hause angekommen fiel mir sofort auf, dass der alte Mann sich nicht mehr auf der Liege sonnte, wie er es bei schönem Wetter meistens getan hatte. Sollte das Leben aus ihm gewichen sein? Das wäre in diesem Haushalt nichts Ungewöhnliches. Ich trabte um das Haus zum Gartentor. Es stand offen und ein kastenförmiges Gefährt, dessen blaue Lichter aufgeregt blinkten, stand direkt davor. Ich folgte den Stimmen im Haus, die weit geschwungene Treppe in den ersten Stock hinauf. Der Alte lag auf dem großen Bett. Neben ihm standen Anette sowie drei Männer, von denen einer in einem geöffneten Koffer wühlte, während die beiden anderen ein schmales Bett trugen.

Ich kannte dieses Szenario bereits. Der mit dem Koffer war sicher ein Menschenarzt, der versuchte, den Alten am Leben zu erhalten. Wie schon bei den beiden letzten Männern, würde es auch bei diesem hier vergeblich sein.

„Versuchen Sie bitte alles“, flehte Anette mit verschränkten Armen.

„Zu spät“, erwiderte der Menschenarzt. „Tut mir leid, aber da ist nichts mehr zu machen. Wie alt war ihr Mann?“

„Oh, mein Gott! Einund … Einundsiebzig. Eigentlich noch zu jung zum … Aber mit dem Herzleiden …“ Sie schluchzte laut auf. „Wir haben uns so geliebt!“

Auf der Stirn des Menschenarztes bildeten sich zwei tiefe Furchen. „Bitte rufen Sie Ihren Hausarzt an, damit er den Totenschein ausstellt.“

Sie stutzte. „Das können Sie doch tun?“

„Natürlich, aber ich müsste die Todesursache offenlassen, weil ich seine Krankengeschichte nicht kenne.“

„Was würde das bedeuten?“

„Dass die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wird.“

Anette rollte mit den Augen. „Gut, ich rufe seinen Hausarzt an. Kein Problem.“

Ich wusste genau, was hier ablief. Wieder einmal hatte sie ein Gefährte für immer verlassen. Sie hatte einfach Pech mit ihren Männern. Nicht lange, und wir würden wieder umziehen. Dieses Mal hoffentlich an einen Ort, an dem wir länger bleiben würden, und wo es keinen Cat Capone, keinen El Zappo und keinen El Popez gab. Falls nicht, müsste ich mir etwas ausdenken, um die drei loszuwerden. Sonst würde ich hier nie meinen Frieden finden.

3 Cody

Ursprünglich hatte ich gedacht, Dirk würde sofort mit mir auf Streife gehen, aber nichts dergleichen geschah. Ben und die Frau verabschiedeten sich, Dirk stellte die Gläser weg und der Abend war gelaufen. Ich verkrümelte mich auf mein Hundebett, drehte mich einige Male um die eigene Achse und ließ mich schließlich genüsslich niederplumpsen. Mit meinem noch wachen Auge sah ich Dirk ins Bett wanken, um ihn kurz darauf schnarchen zu hören. Irgendwo im Haus wummerte Musik – wie die Menschen diesen Lärm nennen – aber nachdem davon keine Gefahr ausging, ignorierte ich ihn.

Am nächsten Morgen blieb Dirk einfach liegen. Ich ließ ihn solange schlafen, bis mein Magen sich rührte und die Blase unangenehm zu drücken begann. Gemächlich erhob ich mich von meiner Schlafstatt, drückte den Rücken durch und streckte dann alle Viere einzeln von mir. Ah! Jetzt wäre ein ordentliches Frühstück recht.

Dirk jedoch rührte sich nicht, atmete mit leicht geöffnetem Mund tief und gleichmäßig. Ich schnüffelte kurz daran, um festzustellen, ob er das Frühstück bereits ohne mich eingenommen hatte, konnte aber keinen Hinweis darauf entdecken. Da stand ich nun, mit leerem Magen und voller Blase, und der Boss schlief.

Aus Erfahrung wusste ich, dass Anstarren und leises Winseln kaum Erfolg versprechen würde – Dirk war so gut wie taub, wenn er schlief. Also ging ich direkt zum Angriff über. Einmal mit der Zunge quer übers Gesicht, dann an der Bettdecke gezogen, bis sie herunterglitt, und sofort hatte ich seine volle Aufmerksamkeit.

„Himmel, Arsch und Zwirn!“

Brav setzte ich mich auf meine Hinterpfoten. Diesen Befehl hatte ich selten gehört und bisher noch nicht herausgefunden, was er bedeutete. Sitz machen schien aber eine gute Antwort darauf zu sein.

Dirk griff zu dem flachen Kästchen, das er sehr gerne zu haben schien, weil er es streichelte und mit ihm sprach. Er nannte es „Scheiß Handy“, aber nur, wenn er es suchte. Jetzt starrte er wie gebannt darauf und atmete tief durch.

„Was? Acht Uhr durch? So spät schon?“

Was sollte spät sein? Es war Morgen und ich musste mein Geschäft erledigen, zudem schob ich einen riesigen Kohldampf. „Auf!“, bellte ich, um meine Bedürfnisse kundzutun.

Er richtete sich auf. „Dringend?“

„Auf-auf!“, bestätigte ich.

Zum Glück funktionierten Dirks Ohren wieder. Er kam auf die Füße und kurze Zeit später marschierten wir ins Freie. Es roch nach Regen, auf dem Gehweg glänzten Pfützen. Wie jeden Morgen begegneten wir nur wenigen Menschen, und auch auf der Straße waren kaum Blechkisten unterwegs. Dafür trafen wir den Dackel Egon, der seinen Hängebauch nur mit Mühe vom Fleck bewegen konnte. Sein Herrchen hatte er ebenfalls dabei.

„Die Straße ist aber ganz schön steil“, stöhnte die Rolle auf vier Beinen. Wenn man Egon hieß und fett war, kam einem sogar eine ebene Straße steil vor.

„Ist sie das wirklich?“ Leichtfüßig trabte ich zu ihm.

„Angeber“, schnaufte Egon.

Dirk grüßte dessen Besitzer, der an seinem Wanst nicht minder schwer zu tragen hatte.

„Guten Tag, Herr Kommissar“, grüßte der Dicke.

Es folgte ein kurzer Plausch, wie ihn Menschen hielten, die sich sonst nichts zu sagen hatten, während Egon sich ächzend auf dem Gehweg niederließ. Neugierig beschnüffelte ich sein Hinterteil, doch zu einem weiteren Austausch von Höflichkeiten kam es nicht, weil wir weiterzogen.

„Wie kann man seinen Hund nur so fett füttern“, murmelte Dirk. „Auch eine Art von Tierquälerei. Dem würde ich die Hälfte seiner Ration streichen.“

Wen meinte er damit? Den Mann oder den Hund? Oder sprach er von mir? Ich war doch normal gebaut. Warum drohte er dann mit solch drakonischen Maßnahmen? Verstört sah zu meinem Boss hoch, aber der zwinkerte mir vergnügt zu. Alles halb so wild. Ich war beruhigt.

Endlich erreichten wir unseren Park. Bäume, Wege, Wiesen, Parkbänke – alles war an seinem Platz. Ich ließ keine Gelegenheit aus, nach Gerüchen anderer Hunde zu suchen. Wer war wann dagewesen und war dann wohin gegangen? Auch Alter, Geschlecht und Gesundheitszustand konnte ich erschnüffeln. Dirk war ein guter Boss und ließ mich gewähren, solange ich Lust hatte, nur leider ließ er mich heute nicht von der Leine. Auch gut.