BRON FANE

 

 

DIE MAKABREN

- 13 SHADOWS, Band 22 -

 

 

 

Roman

 

 

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DIE MAKABREN 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Sechzehntes Kapitel 

 

Das Buch

 

Agnes Simnel schien kaum eingeschlafen zu sein, als sie schon wieder erwachte, und als sie die Augen aufschlug, überfiel sie ein schreckliches Angstgefühl; sie hatte den Eindruck, dass sie nicht allein im Zimmer war. Sie konnte nichts sehen und sie konnte nichts hören; aber sie war überzeugt, dass, obwohl das Zimmer leer zu sein schien, irgendetwas da war. Sie hielt den Atem an, sie lauschte angestrengt, sie war hellwach, ihre Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt.

Obwohl sie zu sehen versuchte, konnte sie nichts anderes als den Schimmer des Mondes in ihrem Schlafzimmer erkennen. Die Vorhänge, die Tapeten, die Decke, die Lampen, der Spiegel, die Regale, die Garderobe, die Kommode und die Tür - alle diese Dinge waren kaum erkennbar, aber alle waren an dem gewohnten Platz. Nirgendwo war jemand zu erkennen. Agnes überwand ihre Furcht, sie stand auf und drehte das Licht an. Es klickte laut. Und das Klicken erschreckte sie, weil es so sehr die Stille durchbrach.

Agnes blieb einen Augenblick lang erstarrt stehen, es war, als hätte der Schalter irgendein Signal ausgelöst, denn sie hörte eine Stimme zischen; »Mach sofort das Licht aus!«

 

Der Roman DIE MAKABREN von BRON FANE wurde in Deutschland erstmals im Jahr 1973 in der Reihe HORROR-EXPERT veröffentlicht (damals unter dem Titel  DUNKLE MÄCHTE) und erscheint als durchgesehene Neuausgabe in der Horror-Reihe 13 SHADOWS aus dem Apex-Verlag, die ganz in der Tradition legendärer Heftroman-Reihen wie GESPENSTERKRIMI und VAMPIR-HORROR-ROMAN steht. 

  DIE MAKABREN

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Francis Simnel öffnete die Tür; seine Hand, die unzählige Male mit den Schnüren an den Holzstäben manipuliert hatte, zitterte leicht; er konnte sie nicht mehr ganz still halten. Und das Zittern verbreitete sich durch seinen ganzen Körper, aber es war ein kontrolliertes Zittern, das sich auf seine Bewegungen nicht ernsthaft auswirkte. Seine blassen, wässerigen Augen blinzelten, als er das Licht in der Werkstatt andrehte. Der Geruch von Sägespänen und Holz stieg in seine alten Nüstern. Noch ein anderer Geruch war in der Werkstatt, eine Mischung aus Leim, Farbe und Harzöl. Francis ging langsam und unsicher zu der Werkbank und setzte sich auf einen hohen Stuhl. Seine alten Hände griffen nach einer kleinen, erschreckend menschlich aussehenden Figur, die ungefähr vierzig Zentimeter groß war.

»Nun, nun, Johnny«, sagte der alte Mann zu der kleinen Figur. Die Puppe schien ihn mit den blinden schwarzen Augen irgendwie anklagend anzusehen.

»Tut mir leid, dass du ein bisschen angeschlagen bist«, fuhr Francis fort, »aber du bist einer der Stars, nicht wahr? Ich muss Agnes sagen, dass sie sich mal um dein Kostüm kümmert. Du brauchst wirklich ein neues. Man kann schließlich nicht von einem Mann von deiner Bedeutung erwarten, dass er in einem so alten Kostüm eine Vorstellung gibt.«

Francis Simnel kicherte; er begann, die Gelenke der Arme und Beine der Puppe zu befestigen. Es war irgendetwas sonderbar Groteskes an dieser gliedlosen kleinen Figur, als sie verkrümmt auf der Werkbank lag. Mit unendlicher Sorgfalt und Geduld befestigte Francis Simnel die Haken und Ösen.

»Nun hätten wir's, Johnny, nun hätten wir's! Und nun wollen wir uns mal um die Schnur kümmern«, brabbelte der alte Mann. Er legte die Puppe sorgfältig auf die Werkbank und kämmte mit den Händen durch die Schnüre. Einer der schwarzen Nylonfäden war abgenutzt.

»Nun, das müssen wir auswechseln.«

Francis Simnel streichelte den Kopf der Puppe, als ob das kleine Wesen ein Mensch oder ein Tier wäre. Vor sich hinmurmelnd ersetzte der alte Mann die verschlissene Schnur. »Gut, das hätten wir«, murmelte er. »Es war nur eine, Johnny, du bist billig zu halten. Ah!«, knurrte er. »Wenn nur Agnes auch so billig zu halten wäre.« Er legte den Kopf zur Seite und lauschte. Er hörte Fußtritte vor der Tür der Werkstatt.

»Wenn man vom Teufel spricht...«, murmelte er, und die Falten auf dem Gesicht des Siebzigjährigen schienen sich zu vertiefen.

Agnes Simnel öffnete die Tür mit kalter, berechnender Präzision und kam auf langen steifen Beinen in den Raum. Agnes war für eine Frau unnatürlich groß. Ihr graues, glanzloses Haar war hoch auf dem Kopf aufgetürmt. Die Augen waren hell und scharf, sie schienen jünger zu sein als ihr Körper. Sie sah sich mit überlegener Gleichgültigkeit und gönnerhafter Feindseligkeit um.

»Bist du noch nicht fertig, Francis?« Ihre Stimme klang in der Werkstatt wie eine metallische Pfeife.

Der alte Mann sah von der Werkbank hoch, als ob er einen Schlag bekommen hätte.

»Tut mir leid, dass es so lange dauert...«

»Das Essen steht auf dem Tisch.«

Agnes betrachtete die Puppen, die auf der Werkbank lagen.

»Die da muss wieder mal bemalt werden!«, sagte sie kalt.

»Sprich nicht so mit ihm, du verletzt seine Gefühle, Agnes, meine Liebe«, protestierte Simnel.

»Quatsch! Du wirst allmählich kindisch, Francis!«

»Oh, Gott, oh, Gott«, murmelte der alte Mann. »Du scheinst meine Arbeit nicht zu verstehen. Du hast kein bisschen Interesse für unsere Show.«

»Für mich«, erwiderte Agnes kalt, »bedeuten diese Puppen unser Einkommen, sonst nichts! Ich bin an ihrem Aussehen, ihrer Geschicklichkeit und ihrer Verwendbarkeit interessiert, so wie jeder gute Geschäftsmann an seinem Laden interessiert sein sollte.«

»So darfst du das aber nicht sehen. Es sind alles kleine Wesen für mich«, protestierte Francis. »Jede von ihnen ist eine Persönlichkeit.«

»Du redest den sentimentalsten Quatsch, den ich je von einem Erwachsenen gehört habe!«

Etwas, das wie eine Träne aussah, bildete sich in den Augenwinkeln des alten Mannes.

»Dein Essen wird kalt!«, sagte Agnes scharf.

Francis strich in seiner charakteristischen Gebärde über seinen Schnurrbart. Er wies auf die Puppe auf der Werkbank.

»Willst du für Johnny ein neues Kostüm schneidern?«, fragte er halblaut.

»Er wird wohl was haben müssen!«, sagte Agnes.

»Für mich ist es immer ein bisschen komisch, wie schnell sie ihre Kostüme verbrauchen.«

»Es sind die hölzernen Gelenke, weißt du...«, begann Francis pathetisch.

Agnes schnaufte verächtlich. Sie ging hinter dem alten Mann aus der Werkstatt und schlug die Tür mit unnötiger Heftigkeit zu. Dann stakte sie auf ihren steifen Beinen vor ihm her, und der alte Mann betrachtete sie traurig und hilflos. Er hatte wie immer das Gefühl, sie sei gar keine Frau aus Fleisch und Blut. Sie war eine Puppe, eine Figur, die an unsichtbaren Schnüren hing und bewegt wurde...

Es war ein erschreckender und makabrer Gedanke. Aber Agnes' furchtbare, kühle Zurückhaltung war die Tatsache, dass sie sich immer hinter einer gläsernen Wand zu bewegen schien, sie glich eher einer Kreatur aus Holz und Metall als einem lebenden Wesen.

Der alte Mann seufzte, als er sich an den Tisch setzte. Agnes wies auf den Teller, der vor ihm stand.

»Fang an«, sagte sie kalt. Francis schloss die Augen und zögerte einen Augenblick, als ob er ein stilles Gebet spräche. Agnes schnaufte.

»Du bist auf deine alten Tage wohl auch noch religiös geworden, was?«, fragte sie kühl. Der alte Mann schüttelte den Kopf, er mochte ihre Lebensauffassung nicht. Und er bemitleidete sich selbst, wenn er daran dachte, was das Leben aus ihm gemacht hatte. Er dachte an die ruhige, rührend komische, bewegungslose Gestalt des kleinen Johnny, die auf der Werkbank lag und auf das neue Kostüm wartete. Agnes' Einstellung seinen Puppen gegenüber schmerzte den alten Francis mehr als die Kälte der Frau ihm gegenüber. Der kleine Mann aus Holz arbeitet so schwer, dachte Francis. Und jetzt hatte die Wintersaison begonnen, sie arbeiteten alle: Johnny und Bimbo und die anderen, die hölzernen Pferde, das hölzerne Rentier, der Weihnachtsmann und die Märchengestalten, die Puppen und Marionetten, die seine Show bildeten. Sie würden tanzen und singen, wenn er sie mit seinen geschickten, zitternden alten Fingern bewegte. Ihre Stimmen kamen von einem Tonbandgerät aus dem Lautsprecher, den er durch den Druck seines Fußes einschalten konnte. Er dachte an das Geld, das seine Puppen und er nun wieder verdienen würden. Er dachte daran, was mit dem Geld geschah. Agnes würde wieder einen neuen Hut brauchen. Agnes würde sich wieder einen pelzbesetzten Wintermantel kaufen. Agnes würde sich neue Kleider kaufen. Agnes würde jeden Penny, den der alte Mann verdiente, ausgeben. Aber er würde in dem gleichen alten Anzug herumlaufen müssen. Er würde sich wieder mit den kulinarischen Köstlichkeiten begnügen müssen, die Agnes vor ihn auf den Tisch stellte.

»Warum isst du denn nicht? Du spielst doch wieder nur mit dem Essen!« Die Stimme von Agnes, scharf wie ein Rasiermesser, traf ihn, und er zuckte zusammen.

»Ich glaube, du solltest mal zum Arzt gehen, Francis! Deine Nerven sind nicht mehr in Ordnung!«

»Ich bin in Ordnung, meine Liebe. Ich erschrak nur, weil du plötzlich sprachst.«

»Quatsch!«, sagte Agnes. »Deine Nerven sind schlecht. Du musst ein Tonikum oder so etwas hall

ben. Vielleicht hast du auch nicht genügend Bewegung, das kann es sein!«

»Aber ich - ich hab' genug mit der Show zu tun, das weißt du genau, meine Liebe. Da habe ich genug Bewegung, wirklich genug Bewegung.«

Er lächelte sie demütig und hoffnungsvoll wie ein Hund an, der schwanzwedelnd vor seinem Herrn saß und sich fragte, ob er vielleicht bestraft werden würde. Vielleicht hatte sich die Seele Francis Simnels im Laufe der Jahre bis zur Unterwürfigkeit degradiert. Er war ein Mann, dessen Geist hätte sprühen können, ein Mann, der hätte fröhlich sein können, charmant, ein Genie. Er hätte ein Künstler in seinem kleinen Bereich sein können - aber er war nichts von alldem. Er lebte in einer armseligen, bitteren Welt, die von seiner Schwester beherrscht wurde, von einer Schwester, die seine Persönlichkeit nach und nach ausgeschaltet hatte.

»Du hörst mir nicht zu!«

Wieder zerstörte die scharfe Stimme seine Tagträume. Er sah sie mit seinen schwachen, wässerigen Augen zwinkernd an.

»Ich habe nachgedacht; es tut mir leid, meine Liebe.«

»Du träumst am Tag! Natürlich ist das auch ein Zeichen von Altersschwäche.«

Er seufzte. »Weißt du, dass du heute Nachmittag eine Vorführung hast?«, fragte sie.

»Nein, das wusste ich nicht.«

»Du bist sehr vergesslich.«

»Es ist meine Arbeit, ich denke immer nur an meine Arbeit.«

»Wenn du nicht mehr aufpasst, was um dich herum vorgeht, dann wird es mit dir bald zu Ende gehen«, sagte Agnes bedeutungsvoll.

Francis Simnel schauderte. Der Gedanke an den Tod war schrecklich. Aber er wusste, dass es wieder ein besonders schrecklicher Trick von ihr gewesen war, ihn daran zu erinnern. Wenn sie mit Francis Simnel vom Tod sprach, dann war das ein Hinweis darauf, dass er seine Vorstellungen nicht mehr durchführen könnte, dass er ein Mann wäre mit rheumatischen Händen, unfähig, seine Puppen zu reparieren. Und Agnes kostete ihren Triumph wie immer aus.

»Du bist heute im Sullybridge-Gemeindehaus«, sagte sie. »Lady Sullybridge gibt eine Party für die armen Dorfkinder.«

»Oh, Gott!«, murmelte Simnel.

»Du solltest glücklich sein, dass ihre Ladyschaft gerade dich ausgewählt hat«, zischte Agnes.

»Ich bin schon ein paarmal bei solchen Veranstaltungen dort gewesen«, murmelte der alte Mann. »Warum hast du nicht abgelehnt?«

»Geld ablehnen? Du musst verrückt sein, Francis! Du weißt sehr genau, dass wir jeden Penny brauchen, den wir bekommen können. Da sind meine Abzahlungen in dem Hutsalon...«

»Abzahlung«, murmelte der alte Mann.

»Was hast du gesagt?«, fragte sie.

»Nichts, meine Liebe, nichts.«

»Hoffentlich nicht. Wenn ich nicht wäre, würde man dich in ein Altersheim stecken, wohin du gehörst! Es würde dir kaum gefallen, oder?«

»Nein, meine Liebe, es würde mir nicht gefallen.«

»Ohne mich könntest du das alles gar nicht schaffen! Du könntest dein Essen nicht kochen, die Wäsche nicht machen, nichts. Ich bin nur für dich da, Francis. Ich arbeite wie ein unbezahltes Dienstmädchen.«

»Aber ich ernähre dich, meine Liebe.«

»Ja, aber was ist das für ein armseliges Leben! Eine Frau von meinen Qualitäten sollte nicht aufs Geld zu sehen brauchen, wenn sie Kleider kauft!«

»Es tut mir leid«, sagte Francis. In seiner Stimme war eine gewisse Ironie.

Agnes kostete mitleidlos ihren Triumph aus. Schließlich schob Francis seinen Teller zur Seite.

»Um wieviel Uhr ist die Vorstellung?«, fragte er grimmig.

»Um 4 Uhr!« erwiderte seine Schwester. Ihre Stimme klang boshaft.

»Aber, aber, ich werde bis dorthin gar nicht fertig sein können!«

»Dann musst du deine Bühne diesmal etwas schneller aufbauen.«

»Ich kann nicht mehr so wie früher«, rief der alte Mann.

»Du gibst also selbst zu, dass du alt wirst«, sagte Agnes. »Das ist schon etwas.«

»Es ist in meinen Fingern, in den Armen, in den Beinen, im ganzen Körper, in mir«, sagte der alte Mann. Er sah sie mit seinen wässerigen Augen an.

»Man nennt es Alter, Agnes. Alter nennt man es. Man nennt es Anno Domini. Wir alle, wir werden alle einmal alt. Es trifft uns alle. Jetzt kennst du es vielleicht noch nicht, aber du wirst es kennenlernen.« Er sah sie wissend an. »Du wirst es - wenn du lange genug lebst. Du wirst erfahren, was es bedeutet, wenn man so schwach ist, dass man kaum die Energie hat, ein Bein vor das andere zu setzen. Und wenn du dich hinsetzt und ausruhen willst, dann kommt vielleicht jemand zu dir und sagt, du sollst arbeiten. Vielleicht wird es so sein, Agnes. Vielleicht wird das so sein.«

»Geschwätz! Dummes Geschwätz!«, zischte Agnes überheblich.

 

Der alte Mann schlurfte zu seiner Werkstatt. Er legte die Puppen in einer genauen Reihenfolge in einen Kasten, dann ging er zur Garage und schloss sie mit zittrigen Händen auf und kletterte in seinen uralten Wagen. Er strich mit der Hand über das Armaturenbrett und über das Steuerrad, er hatte es unzählige Male so gemacht. Damals war der Wagen neu gewesen. Er war sein Freund, vielleicht der einzige Freund, den er hatte, wenn man von Johnny, Bimbo und den anderen absah. Aber er brauchte nicht an den Schnüren zu ziehen, wenn der Wagen sich bewegen sollte. Er hatte eine eigene Kraft. Obwohl diese Kraft jetzt unberechenbar war, konnte sie doch das Herz des Wagens schlagen lassen. Er drehte den Zündschlüssel um, zog die Starterklappe heraus und drückte auf den Startknopf.

»Ooooooh - aha«, und Francis schüttelte den Kopf und seufzte.

»Lieber Gott! Er startet wieder nicht? Wo ist die Kurbel?«

Er stieg aus und suchte unter dem Fahrersitz nach der Kurbel. Er fand sie, ging um den Wagen herum und steckte sie in das Loch. Dann trat er zur Seite, er sah noch einmal nach, ob die Starterklappe herausgezogen war, ob die Zündung in Ordnung war, und dann versuchte der alte Mann, die Kurbel zu drehen. Die Kompression der alten Maschine war nicht mehr, wie sie einmal gewesen war, als er den Wagen neu erworben hatte, oder wie damals, als der Wagen überholt worden war. Die Kompression war so schwach, als sei sie gar nicht vorhanden, und er konnte die Kurbel mit Leichtigkeit bewegen, und obwohl es Francis Simnel wusste, war er immer wieder überrascht, dass er es noch schaffte. Seine alten Finger schienen ein Instrument in Bewegung setzen zu wollen.

Er musste ein paarmal Atem holen, aber nach fünf Minuten erwachte die Maschine zum Leben. Es war eine Art Leben, die einen Mechaniker mehr interessiert hätte, als sie den Besitzer des Wagens interessierte. Trotz der losen Kolben, der verschmutzten Zündkerzen, gab der Wagen hoffnungsvolle Geräusche von sich.

Und ehe diese Geräusche absterben konnten, kletterte Francis Simnel hinter das Steuerrad, legte den Gang ein, drückte das Gaspedal herunter, und der Wagen holperte aus der Garage mit dem Enthusiasmus eines Flugzeugs, das sich glücklicherweise von der Startbahn abgehoben hatte; der Wagen schien begierig darauf zu sein, wieder einmal über eine Asphaltstraße zu rollen.

Der alte Mann fuhr den Wagen aus der Garage zur Hintertür und stieg aus; er ließ die Maschine laufen. Er brauchte lange, bis er die Puppen aufgeladen hatte. Agnes erschien und machte die üblichen Bemerkungen, die den alten Mann veranlassen sollten, schneller zu sein. Aber er versuchte, sich nicht um sie zu kümmern.

Schließlich waren die Puppen auf geladen; Der Kofferraum, der Rücksitz, der Boden zwischen den Sitzen, der Sitz neben ihm waren voller Dekorationsstücke, der Beleuchtungsausrüstung, des Tonbandgerätes, der Lautsprecher, der Mikrophone und der vielen anderen Dinge, die er benötigte, um spielen zu können.

»Bist du sicher, dass du nichts vergessen hast?« Agnes Simnels grelle Stimme erschreckte ihn immer wieder. Er ließ den Motor lauter laufen. Einen Augenblick lang schwebten die blauen Abgase vor ihrem Gesicht, und Francis kostete den kleinen Triumph aus, als er sah, dass sich ihr überlegener Gesichtsausdruck änderte. Aber bevor sie irgendetwas sagen konnte, hatte er den Gang eingelegt und war unterwegs in Richtung auf Sullybridge.

 

Er kam eine Stunde vor der Vorstellung im Gemeindehaus an. Lady Sullybridge war eine aristokratische Version von Agnes Simnel, und der alte Puppenspieler fand sie noch unerträglicher als die Schwester, vor der er Angst hatte. Ein sommersprossiges Gesicht, eine laufende Nase und verfärbte Zähne tauchten wie Zauberei vor ihm auf.

»Kann ich Ihnen beim Abladen helfen, Chef?«

Francis Simnel betrachtete den Jungen. »Ja, bitte.«

Das Grinsen des Jungen wurde breiter, und er wischte seine Nase am Ärmel ab. »Was soll ich denn zuerst machen, Chef?«

Francis wies auf die Dekorationsstücke, die auf dem Dach seines Autos lagen.

»Brauchen Sie noch eine Hilfe?«, fragte ihre Ladyschaft.

»Nun, ich würde sagen, dass das nicht nötig ist«, sagte der alte Mann.

»Ich werde eine der Frauen holen«, sagte ihre Ladyschaft mit einer Stimme, die so überlegen klang, dass Francis Simnel sichtlich zusammenzuckte. Er fragte sich, was dieser Spottfigur eigentlich das Recht gab, ihre Geschlechtsgenossinnen als Frauen anzureden. Vielleicht, überlegte Francis grinsend, hielt sich die alte Lady für eine Halbgöttin. Er lachte in sich hinein. Wenn der Himmel von Halbgöttinnen wie Agnes und Lady Sullybridge bevölkert war, dann wollte er lieber den anderen Weg gehen...

Der Junge trug zusammen mit seinen Spezies die Ausrüstung des Puppenspielers in den Saal und legte alles auf die Bühne - mehr ein klappriges Gestell -, und alles sah aus wie die Vorbereitungen zu einer Auktion. Francis begann, seine eigene Bühne zusammenzusetzen. Es kostete ihn immer viel Mühe, die Pfosten in die engen Sockel zu stecken. Aber wie immer schaffte er es, die zylindrischen Öffnungen auszufüllen, in die die Pfähle theoretisch genau hineinpassen sollten. Aber der Ärger war und blieb das Wetter. Wenn sie auf ihrer Puppen-Odyssee auf dem Dach des alten Wagens durch den regnerischen englischen Winter fuhren, saugte sich das Holz voll und dehnte sich aus. Und die Zeit hatte ein Übriges dazu beigetragen, dass die Sockel nicht mehr so waren wie zu früheren Zeiten. Manchmal dachte Old Francis daran, wie schwer es doch war, ein viereckiges Holz in ein rundes Loch zu stecken, aber noch schwieriger war es, ein rundes Holz in einem ovalen Loch unterzubringen! Vielleicht zeigte nicht nur er Alterserscheinungen, vielleicht waren die einzelnen Teile seiner Bühne mit ihm alt und gebrechlich geworden. Seine eigene Persönlichkeit schien sich hier niedergeschlagen zu haben. Und so, wie seine körperlichen Funktionen nicht mehr genügten, so hatte auch das kleine tragbare Puppentheater nicht mehr den Glanz seiner Jugend.

Er stand da und starrte einen Augenblick lang auf seine Bühne, er sah aus wie ein Mann, der vergessen hatte, was er jetzt tun musste; er hatte ein Brett in der Hand und starrte auf das Brett und fragte sich, wo es hingehörte. Aber dann fiel es ihm wieder ein. Es war das oberste Brett. Der Junge, der ihm geholfen hatte, sah ihn mit hellen, lehmfarbenen Augen an.

»Kann ich Ihnen wieder helfen?«

Simnel nickte und zeigte dem Jungen, wie die Bühne zusammenzusetzen war. Sie arbeiteten an den Nuten und Bolzen, und Simnel arbeitete an dem einen und der Junge an dem anderen Ende.

Der alte Mann seufzte müde; er machte eine Pause; er holte die große altertümliche Taschenuhr hervor, das Gehäuse war zerkratzt und abgenutzt wie der Körper, der zu ihr gehörte.

»Ich werd' mich eilen müssen«, sagte Francis. »Viel Zeit haben wir nicht mehr.«

Der Junge schnüffelte und es gelang ihm, das Kopfbrett mit dem Bolzen zu befestigen, den Simnel ihm gegeben hatte. Dann kam er herüber und hielt Simnels Ende hoch, während Francis den Bolzen einschob.

»Das ist besser«, sagte der alte Mann. »Weißt du, das ist die schlimmste Arbeit. Jetzt kannst du einen dieser Vorhänge nehmen, mein Junge, und ihn über die Stange werfen, und dann müssen wir die Stange oben anbringen.«

Er zeigte die Stelle und trat ein paar Schritte zurück, um zu sehen, ob das Kopfbrett gerade war. Er sah, dass das eine Ende höher war als das andere. Aber es schien nicht mehr viel Zeit übrig zu sein, um alles gerade zu richten.

Agnes würde wie der Teufel schimpfen, wenn sie vorbeikäme. Sie würde ihm einen langen Vortrag halten. Für sie musste alles gerade und genau ausgerichtet sein. Und sie würde ihm wieder sagen, dass er alt und untüchtig sei. Tief in seinem Inneren wusste er, dass es so war, und gerade deswegen ließ er das Kopfbrett so schief, wie er es angebracht hatte, es war der Beweis, dass seine Schwester ihn nicht immer beherrschen konnte. Es war eine stille, unsichtbare, triumphierende Herausforderung der Überlegenheit von Agnes, die Rache für alles, was sie ihm antat. Lady Sullybridge kam zur Bühne und betrachtete alles.

»Wird es noch lange dauern?« Ihre Stimme klang wie eine Posaune.

»Ich glaube nicht, Eure Ladyschaft«, erwiderte Francis. Er nahm den Vorhang, der zur anderen Seite gehörte, und dann den abgesägten Besenstiel, auf dem er seine Lampen anbrachte. Langsam begann die Bühne wie eine richtige Bühne auszusehen. Und als er vor sie hintrat und sie noch einmal prüfte, sah er die Aufschrift auf dem Kopfbrett:

 

Simnels Marionetten.

 

Er nickte, als er die verblassten Buchstaben las. Ruhm, dachte er. So war der Ruhm! Aber vielleicht brachte ihm sein Leben eine Nische in der Ewigkeit ein. Es gab Männer, die mit Händen und Füßen versuchten, die steinernen Wände zur Ewigkeit hinaufzuklettern. Viele fielen herunter. Aber er konnte noch arbeiten, er konnte die Seelen der Kinder erfreuen. Francis Simnel hatte einen winzigen Spalt gefunden, aber ein Spalt, überlegte er, war besser als nichts. Er brauchte auch nur einen Spalt, in dem er sich einmal verstecken konnte, er überließ die große Nische gern der alles beherrschenden Agnes. Die großen Männer, die es schafften, die konnten vielleicht die Höhe der Unendlichkeit erreichen. Aber kleine Leute wie Simnel brauchten eine winzige Nische... oder nichts...

Und wenn er die Wahl hatte, so zog er die kleine Nische vor.

Er warf einen Blick auf die Uhr; es war schon sehr spät. Es würde Lady Sullybridge, eine Frau von königlichem Gehabe und methodischer Pünktlichkeit, vielleicht verärgern. Agnes - der Himmel verzeih' ihr! - war genauso pünktlich. In seiner Jugend, ehe das Alter ihn bis zur Unkenntlichkeit verändert hatte, war Francis Simnel ein Mann gewesen, der vielleicht zu sehr auf Regelmäßigkeit, auf Methodik geschworen hatte. Und wenn er objektiv zurückdachte, dann wusste er, dass er manchmal geniale Einfälle gehabt hatte. Aber wenn er jemals brilliert hatte, so war diese Brillanz eine trügerische Brillanz gewesen. Er war nie ein starker Mann gewesen, ein fester Punkt im Leben, und die Ironie des Lebens war, dass, wenn das Schicksal eines Mannes vorbestimmt war, dann war es sein Schicksal gewesen.

Hier bin ich, dachte er, eingefangen; eingefangen in dem großen Netz, das Agnes, die Königin der Spinnen, über ihn geworfen hatte, an dem sie Tag für Tag webte, um ihn noch mehr einzuspinnen.

»Agnes!«, sagte er ärgerlich; ihr Name war der Inbegriff seines Hasses. Ihr Name stand für alles, gegen das er war. Diese Frau und ihre Lebensart hätten die Bezeichnung Agnesismus tragen können, und der Agnesismus war eine Religion, eine politische Partei, eine Philosophie, die er hasste, vor der er sich ekelte, die er tief verabscheute.

Als ob ihm die Puppen behilflich sein wollten, ließen sie sich willig aus den Kästen holen und streckten sich, sie schienen zu leben und bereit zu sein. Johnny und Bimbo und die anderen der Truppe wollten ihn für die Mühe belohnen, die er mit der Bühne gehabt hatte. Er war rechtzeitig fertig geworden. Er stand auf seinen Kisten hinter der Bühne. Die Lichter waren angedreht. Der übrige Raum war dunkel; er konnte die erregten Ausrufe der Kinder hören, scharrende Füße, Flüstern. Aber er hörte auch das abfällige Murmeln der Teenager, die eine Marionettenbühne für lächerlich hielten. Dann hatte er Johnny in den Händen, und der kleine Clown tanzte auf der Bühne. Der alte Mann hörte das Begrüßungsgemurmel der Kinder, Lachen, ein Pfeifen von zwei älteren, die irgendwo hinten saßen.

»Hallo, ihr Jungen und Mädchen«, sagte der alte Simnel, »mein Name ist Johnny, und wenn ich herauskomme und sage: Hallo, Jungs und Mädchen, dann müsst ihr sagen: Hallo, Johnny! Wollt ihr das für mich tun?«

»Jaaaa!«, schrien die Kinder. Es war ein lautes, kreischendes Ja, es klang nicht so, als wollten sie ihm seinen Wunsch erfüllen, sie wollten nur Lärm machen. Und wenn er sie gefragt hätte: Wollt ihr mir helfen, das Gemeindehaus niederzubrennen? - dann würden sie genauso laut und begeistert Ja! geschrien haben, und der alte Francis lächelte zynisch. Vielleicht, dachte er, wäre ein bisschen mehr Ehrlichkeit in dem Ja gewesen, wenn er das vorgeschlagen hätte.

Johnny, die Puppe, sah die Kinder aus leuchtenden schwarzen Augen an. Er tanzte in seinem bis jetzt noch nicht erneuerten Kostüm.

»Da!«, rief eines der Kinder plötzlich. »Du hast ein Loch in deiner Jacke, Mister!«

»Oh, ich werde es sofort nähen, wenn ich nach Hause komme«, sagte Johnny. Francis Simnel dachte an Agnes und zog eine Sekunde lang die Lippen zusammen. Einige Kinder lachten über den schwachen Witz, die älteren pfiffen, und Simnel wusste, dass es erst ein Anfang war.