Thomas Bay

DIE ZEITSCHLEIFE

Teil 1

Der Lauf in die Vergangenheit

Inhaltsverzeichnis

NOCH ZEHN WOCHEN

ZWEI WOCHEN SPÄTER

DIE HIGHLANDS

LETZE VORBEREITUNGEN

ES GEHT LOS

DER WÜSTENLAUF

WO IST TOM?

EIN NEUER TAG

EINE UNGLAUBLICHE REISE

EINE ÜBERRASCHUNG

REISE DURCH DIE ZEIT

WER IST GECHSET?

DIE SUCHE NACH TOM

SCHLECHTE VORZEICHEN

DIE FLUT

DIE FREIHEITSKÄMPFER

DER WEG NACH MASADA

MASADA

SCHLACHT UM DIE FREIHEIT

EIN SPRUNG INS UNGEWISSE

ALLES NUR EIN TRAUM

PERSONEN

NOCH ZEHN WOCHEN

03.03.2006 – 04.03.2006

Eins, zwei, drei, vier … langsam atmen – Puls 144. Erneut kontrollierte ich mein Tempo. Zwölf Kilometer hatte ich bereits zurückgelegt und hatte dafür gerade mal eine Stunde benötigt. In Gedanken rechnete ich schnell hoch, dass ich mit leicht erhöhtem Tempo auf etwas anderthalb Stunden für einen 20 Kilometerlauf kommen müsste. Immer und immer wieder kalkulierte ich während des Laufens meine Zeit, schließlich wollte ich beim großen Wüstenlauf wenigstens einen guten Eindruck hinterlassen. Innerlich musste ich ja wegen meiner Rechnerei schon wieder lächeln. Aber das war mein Naturell. Meine Welt bestand aus Zahlen und die Mathematik hatte mich so begeistert, dass ich alles in meinem Leben ausrechnen musste.

Ich bin Tom Berendt. Seit einigen Monaten habe ich die 34 Jahre erreicht und arbeite seit einigen Jahren als Softwareentwickler für Übersetzungsprogramme in einer Firma, die sich auf die Übersetzung alter Dokumente spezialisiert hat. Um mich zu qualifizieren, hatte ich fast zehn Jahre an der Universität von Edinburgh studiert. Anfangs stand ein reines Informatikstudium auf einem Plan, um eventuell in der Informatikabteilung einer Bank zu arbeiten. Durch sehr viele alte Bücher über Ägypten und das alte Mesopotamien beflügelt, erwachte die Begeisterung für die Archäologie und die alten Sprachen. So entschied ich mich weitere Studiengänge zu belegen, in denen man mich Sprachen wie Altgriechisch, Hebräisch, sowie das Lesen der Hieroglyphen lehrte. So verband ich meine Leidenschaft und beide Ausbildungen zu meinem jetzigen Beruf. Als Ausgleich zu dem doch außergewöhnlichen Beruf hatte ich mich für das Joggen entschieden, welches mich bereits seit fünf Jahren begleitete.

Der große Wüstenlauf von Luxor, der in diesem Jahr erst zum dritten Mal stattfand, war das Ereignis, für das ich so hart trainierte. Lange hatte Frank, mein alter Schulfreund auf mich eingeredet und versucht mich davon zu überzeugen, dass auch ich einen solchen Lauf schaffen könnte. Ich weiß nicht mehr wie lange, aber wochenlang malträtierte er mich damit. „Ein einmaliges Erlebnis!“, meinte er. „Besser als jeder Abenteuerurlaub!“ Ich musste natürlich nicht nur mich, sondern auch Carrie, meine Frau, davon überzeugen. Schon zu oft war ich unter der Woche mit dem Laufen unterwegs und so schaute sie mich meist mahnend an, ich solle es nicht übertreiben.

Jetzt müsste ich 14,5 Kilometer erreicht haben. Nervös schaute ich auf meine Pulsuhr, wieder und wieder. „74 Minuten!“, ich war etwas langsamer geworden. Noch hatte ich etwa neun Wochen Zeit für das Training. Frank war mit meiner Leistung bisher sehr zufrieden und motivierte mich immer wieder aufs Neue. Ja, Frank, dieses wahnsinnige Lauftier, mein Arbeitskollege und auch mein bester Freund. Er war es, der mich an manchen Tagen richtig antrieb und er war es, der während des Spurts noch kleine Witze riss, so dass ich fast einen Lachanfall bekam.

Vor mir wurde es heller und ich konnte das Ende des Waldes erkennen. Ich bog aus dem Wald auf einen Feldweg ab. Von hier konnte man schon die ersten Häuser von Falkland sehen, einem kleinen Ort mit 1.200 Einwohnern, rund 50 Kilometer nördlich von Edinburgh. Sehr idyllisch lebte man hier, ruhig und weit ab vom Stress der Großstadt. Nun musste ich, um mein heutiges Ziel zu erreichen, nur noch knappe drei Kilometer laufen. Daher versuchte ich das Tempo nochmals anzuziehen. Es ging jetzt leicht bergauf und ich mobilisierte meine letzten Kräfte zum Ende des heutigen Laufes. „Puls 157 … eins, zwei, drei, vier.“ Wieder fing ich an die Schritte zu zählen. Eine Stunde und 33 Minuten zeigte meine Uhr an und es war immer noch ein halber Kilometer zu laufen. Erneut rann mir der Schweiß die Wangen herunter. Wie schon in der letzten Woche war der heutige Tag viel warm für die Jahreszeit und für Schottland. Obwohl es im März sonst nur regnete, war es in diesem Jahr wesentlich wärmer gewesen als in den Jahren zuvor. Bei 20 Grad war ich gestartet, jedoch kam es mir in diesem Augenblick regelrecht heiß vor, und heute war erst der 9. März. Ich musste innerlich grinsen, als Frank bei einem unsere Läufe der letzten Wochen meinte: „Wir laufen in der Wüste bei über 40 Grad und da wirst du lernen, was Schwitzen wirklich heißt.“

Vorstellen konnte ich mir das nicht, denn im Urlaub war es mir bei 27 Grad schon viel zu heiß. Jetzt kam gleich die Einfahrt zu meinem kleinen Haus und ich bog ab. Mein Ziel, die Strecke in 1: 35 Stunden zu laufen, war heute doch nicht mehr zu schaffen. Knappe drei Minuten mehr benötigte ich an diesem Tag, lief vor der Haustüre noch etwas aus und bewegte mich locker durch unseren Vorgarten. Fünf Jahre wohnten wir jetzt schon hier. Carrie hatte es nach langem Suchen gefunden. Gerade sie war es, die sich immer ein kleines Haus mit Garten gewünscht hatte. Es war klein, gebaut im viktorianischen Stil, mit 120 qm Wohnfläche auf zwei Ebenen. Ausreichend für uns beide und mit einem wunderschönen Garten ideal für Carrie. Ich war da eher der praktische Mensch. Für mich war es nicht so wichtig, ob wir nun einen Garten hatten oder ohne einen wohnten. Wobei ich natürlich zugeben musste, dass ich abends den kurzen Sprung in den Naturgarten genoss. Vor allem die Ruhe im nahen gelegeneren Walde und die Felder rund um das Dorf waren ideal zum Abschalten. Alleine die Vorstellung, ich würde direkt in Edinburgh wohnen und müsste zwischen parkenden Autos joggen, inmitten von Abgasen und Schmutz, war mir zuwider. Ich lehnte mich an die Haustür und atmete tief durch. Es war heute nicht mein bester Lauftag gewesen. Vielleicht war ich in den letzten Tagen einfach zu oft gelaufen und sollte meinem Körper mal wieder etwas Pause gönnen? Tausend Gedanken gingen mir gerade durch den Kopf, als mir ein Handtuch auf den Kopf fiel. Ich schaute nach oben und sah Carrie grinsen.

„Möchtest du heute noch hereinkommen oder soll ich das Essen alleine zu mir nehmen?“, fragte Carrie.

„Nein, nein – ich springe schnell unter die Dusche und bin dann bei dir.“

„Will ich auch hoffen.“ Sie schloss das Fenster und öffnete mir kurz darauf die Eingangstüre. Liebevoll zwinkerte sie mich an. Ich wollte ihr einen Kuss geben, sie wich aber gleich angewidert zurück. „Pfui, du riechst aber“, und jagte mich ins Bad. Keine zehn Minuten später saß ich hungrig, ein wenig erschöpft, aber gut gelaunt am Tisch.

„Schollenfilet und Bratkartoffeln … mmhhh“, schwärmte ich. Es war einfach klasse, was Carrie immer für uns kochte. Dafür liebte ich sie, denn meine Frau war für ihre Kochkünste und ihre Art, wie sie das Essen anschließend präsentierte, bekannt. Das Auge ass bei ihr immer mit. Den Abend verbrachten wir bei einem Glas Wein, wie so oft vor unserem Kamin, und lästerten über dies und das. Die Abendstunde verging wie im Fluge und einen gefühlten Augenblick später, standen die Zeiger unserer Wanduhr auf 22: 30 Uhr. Morgen war das erholsame Wochenende wieder vorbei und wir wollten an diesem Abend noch vor Mitternacht ins Bett gehen.

Das Gluckern von laufendem Wasser auf dem Dach holte mich aus dem Tiefschlaf.

„Oh, schon halb sieben“, murmelte ich, und spürte schon den sanften Schubs von Carrie.

Wie jeden Montag schob ich mich als erster verschlafen ins Bad. Es begann der routinemäßige Ablauf. Haare waschen, Zähne putzen und vor dem Spiegel ein paar Grimassen ziehen, wobei ich dann automatisch lachen musste. Es sah einfach zu blöd aus, wenn meine Haare in alle Himmelsrichtungen standen. Mein Körper dagegen präsentierte mir eindrucksvoll die Rechnung für meinen unkontrollierten Selbstantrieb beim Training. Nur kurze Zeit darauf klopfte Carrie sanft an die Tür.

„Bist du soweit?“, fragte Carrie.

Ich öffnete die Tür und drückte sie fest an mich.

„Hi Babe. Du kannst jetzt ins Bad, und ich bereite inzwischen das Frühstück vor“, flüsterte ich in ihr Ohr.

Ich gab ihr einen sanften Kuss auf die Schläfe und machte mich auf den Weg in die Küche.

„Du solltest schneller gehen, sonst knabbere ich dich noch an. Du riechst so unverschämt gut“, hauchte Carrie.

Ja meine Carrie war schon etwas Besonderes. Ich hatte sie bei einem Treffen von Harrys Geburtstag kennengelernt und Franks lernte seine Freundin Andrea wiederum über Carrie kennen. Sie besass eine kleine Anwaltskanzlei und verdiente dabei mehr als ich. Sie war nur 1,69 Meter gross, aber mit ihren brünetten Haaren und ihrer tadellosen Figur ein wahrer Blickfang.

Unten angekommen, deckte ich den Tisch und gerade als ich die fertigen Toasts auf die Teller legte, kam Carrie vom Duschen in die Küche zurück. Sie war mit der Tageszeitung unter ihrem Arm bewaffnet und setzte sich gut gelaunt zu mir an den Tisch.

„Willst du auch gleich in die Zeitung schauen oder darf ich mir einen Teil nehmen?“, fragte sie mich.

Sie hielt mir den mittleren Teil der Zeitung entgegen.

„Heute nicht. Ich habe irgendwie unruhig geschlafen und will mich dem politischen Geschwafel der Presse nicht aussetzen. Lies du ruhig“, antwortete ich.

Ich schaute verträumt aus dem Fenster und hörte ab und zu das unverkennbare Geräusch, wenn Carrie die Zeitungsblätter umschlug. Obwohl ich dabei nur am Kaffee nippte, konnte ich es mir trotzdem nicht verkneifen, vereinzelte Artikel auf der Rückseite der Zeitung zu lesen.

„Sensation in Mabada – 2.000 Jahre alte Schriften und Zeichnungen gefunden.“

Kurz sah ich den Titel aus den Augenwinkeln und riss Carrie den hinteren Teil der Zeitung einfach aus der Hand.

„Du musst doch nur fragen, Tom. Ich gebe dir den hinteren Teil der Zeitung gerne“, sagte sie erschrocken.

Ich achtete gar nicht auf ihre Reaktion und begann den Artikel schnell zu lesen. Mir lief ein Schauer über den Rücken und ich bekam richtig Gänsehaut, als ich den Text überflog. Carries neugierige Blicke dagegen bemerkte ich nicht.

„35 Kilometer südwestlich von Amman, nahe der Stadt Mabada, wurde eine neue vorchristliche Siedlung ausgegraben. Man fand viele Haushaltsgegenstände, Dokumente und Schriften. Unter anderem lagen geschnitzte Figuren, in Leder verpackt, bei einer Kinderleiche. Man vermutete eine Verbindung zu einer Priesterschule und der ehemaligen Festung von Masada. Von Professor Spürli, dem Organisationsleiter, konnte man bisher noch keine Stellungnahme bekommen. Es müsse noch vieles geprüft werden“, meinte der Wissenschaftler.

Ich las still vor mich hin. Dass Carrie bereits seit einer Minute mit mir redete, bekam ich überhaupt nicht mit. Erst nach und nach registrierte ich ihre Stimme und hob den Kopf.

„Tooooom!! Was ist denn mit dir?“, äußerte sie sich schon leicht verärgert.

„Stell dir vor Carrie, in Jordanien hat man eine Menge Dokumente, Karten, und Schriftstücke gefunden. Wenn ich mir vorstelle, wir würden den Auftrag bekommen und könnten dort die Übersetzung übernehmen. Dann vielleicht sogar vor Ort? Das Team wäre über Jahre hin beschäftigt“, sagte ich.

Meine Euphorie beeindruckte Carrie überhaupt nicht.

„Ach so“, meinte Carrie beruhigt. „Und ich dachte schon es wäre etwas Schlimmes passiert.“ Sie stand auf und stellte sich hinter mich. Ihren Toast hielt sie noch in der Hand und blickte von oben schauend in die Zeitung.

„Ich muss sofort Harry anrufen“, sagte ich, ließ die Zeitung fallen und rannte zum Telefon.

Zwei Tasten gedrückt, Wählvorgang, aber? Besetzt! Mist!

„Ich fahre jetzt schon und versuche es von unterwegs noch mal“, rief ich Carrie zu. Dabei schnappte ich meine Jacke, meine Tasche und rannte aus dem Haus.

Carrie rief noch: „Alles klar, Schatz? Wir essen dann getrennt, oder?“ Das hörte ich aber schon nicht mehr. Mit dem Koffer in der Hand saß ich fünf Minuten später im Auto auf der Autobahn in Richtung Edinburgh.

Die Firma Scripture & Fond Ltd., für die ich arbeitete, lag in der Meadow Lane nahe der University of Edinburgh. Wir waren darauf spezialisiert, Schriften in Hebräisch, Aramäisch und in alt-ägyptischer Sprache zu übersetzen. Angeschlossen an die Abteilung für Schrifterkennung war ein Labor, welches unseren Bereich mit Altersdatierungen von Dokumenten unterstützte. Dabei war unsere Methode, im Gegensatz zur klassischen C14-Radiokarbonmethode mit lediglich einer Toleranz von zehn Jahren sehr genau. Schon mehrfach konnte unser Team Objekte und Schriften um fast hundert Jahre in ihrem Alter korrigieren. Durch unsere Arbeit bedingt konnten wir fast alle hebräisch sprechen und auch in Altägyptisch bekam ich einige Sätze zusammen. Bis heute konnte aber kein Archäologe eine genaue Aussage treffen, wie sich diese Sprache genau anhörte.

Während der Fahrt versuchte ich bei Harry durchzukommen, als plötzlich mein Telefon klingelte.

„Mensch, Tom, du bist ja schwer zu erreichen. Ständig ist dein Telefon besetzt“, sprach Harry hektisch.

„Ha, ha, ha“, antwortete ich. „Ich habe es die ganze Zeit bei dir probiert.“

„Bist du schon auf dem Weg ins Büro?“, fragte Harry mich.

„Ja!“, erwiderte ich.

„Komme bitte gleich zu mir ins Labor. Ich habe dir einige unglaubliche Neuigkeiten zu erzählen“, sagte Harry hektisch.

Bevor ich darauf auch nur irgendwie antworten konnte, hatte er bereits aufgelegt. War er etwa aus dem gleichen Grund so aufgeregt wie ich? Hatten wir uns dieselben Neuigkeiten zu erzählen? Bald würde ich es erfahren. In Edinburgh angekommen, bog ich in die Lothian Road ein. Nach etwa einer Minute später, erreichte ich die Hofeinfahrt der Firma und fuhr rasant auf meinen Parkplatz.

Harry empfing mich winkend am Fenster. Ich sprang aus dem Auto und rannte rasch durch die Eingangspforte. Es ging die Treppe hinauf in den zweiten Stock. Kaum oben angekommen, fing er mich ab und zog mich ohne große Worte in sein Labor. Dort setzten wir uns mit einer Tasse Kaffee, die er bereits besorgt hatte, in eine stille Ecke.

„Schieß endlich los!“, sagte ich erwartungsvoll zu Harry. „Ich bin gespannt, ob es die gleiche Geschichte ist, die ich vorhin in der Zeitung gelesen habe?“

„Aha, deswegen wolltest du mich sprechen. Das, was ich dir erzählen werde, ist viel besser, Tom, viel besser! Die Informationen, die ich über meine Quellen bekommen habe, sind weitaus ausführlicher als das, was in der Presse steht. Ich wollte eigentlich Manningfield, der sich im Urlaub befindet, über die neue Situation informieren. Aber ich konnte ihn bisher nicht erreichen.“

„Quatsch nicht und leg endlich los Harry“, unterbrach ich ihn ungeduldig. „In knapp zehn Wochen ist mein großer Lauf und ich möchte bitte noch vorher wissen, was genau gefunden wurde“, sagte ich.

Harry schaute erst gequält, verfiel dann wieder in sein schlimmes Grinsen. Er wusste ganz genau, dass er mich in der Hand hatte.

„Ok, Tom. Ich fange mal von vorne an. Bereits vor sechs Monaten und nicht erst vor drei, entdeckte man in Mabada Ruinen eines alten Hauses. Das ist eigentlich nichts Ungewöhnliches, da es rund um diese Stadt herum sehr viele Ausgrabungen gibt. Jedoch wurde unter diesem Haus noch ein weiteres, viel älteres Fundament ausgegraben. Nach einer Weile entdeckte man in der näheren Umgebung mindestens zehn weitere Grundmauern verschiedener Häuser in der gleichen Tiefe. Man entdeckte auch einen großen Versammlungsraum, in dem es u.a. eine Grabstätte mit einer grossen Anzahl an Skelette gab. Weiter fand man Tonscheiben, Krüge, Geldmünzen aus der Zeit ca. 80 bis 100 nach Christus und ein wenig Schmuck. Das ist aus Sicht der Archäologen erst einmal nichts Besonderes“, erzählte Harry.

Mein Freund holte tief Luft. Ich bemerkte seine rot gefärbten Wangen, was eigentlich sehr ungewöhnlich für Harry war.

„Man hatte die Ausgrabungsstätte bereits abgesperrt, als man unter dem Versammlungsraum eine Art Gewölbe fand. Zuerst stieß man auf ein paar Krüge und Waffen. Dann entdeckte man noch einen weiteren Kellerraum. In diesem lag offenbar die Mumie des Dorfältesten oder eines Priesters. Um die Mumie hatte man eine Menge Kisten gestellt, vollgefüllt mit Papyri, Steintafeln und Kupferrollen. Auffällig an der Mumie war, dass sie sehr aufwendig gewebte Kleidung trug. Der Tote musste also was Besonderes gewesen sein. Ich würde sagen, nach den Entdeckungen bei Qumran aus den 1950er Jahren eine weitere Sensation. Man bestellte Doktor Whiteman, Professor Spürli und weitere hochrangige Wissenschaftler nach Amman. Diese begannen mit einem kleinen Team von Mitarbeitern die ersten Texte zu übersetzten. Sie waren hauptsächlich in Aramäisch und Hebräisch geschrieben. Auf den ersten Papyri war an den Texten nichts Besonderes zu finden.“

„Was genau stand denn in den Schriften?“, unterbrach ich ihn.

„Das Übliche, Tom. Riten, Verhaltensregeln und Gesetze innerhalb der Gemeinschaft. Auch Verhaltensregeln bei einem Angriff auf das Dorf und ähnliches wurde gefunden. Aber auf einer der Kupferrollen gab es plötzlich einen Hinweis auf eine Priesterschule, dem Platz der Weisheit, wie sie es nannten. Auf der Rolle stand folgender Text: ‚Willst du die Welt beherrschen, dann soll dir das Auge der Welt behilflich sein. Am Platz der Weisheit findest du es.‘“

„Das Auge der Welt?“, fragte ich und schaute Harry verwundert an. „Davon stand ja überhaupt nichts in der Zeitung!“, sagte ich.

„Warte nur ab Tom, das ist noch lange nicht alles!“, entgegnete er mir mit einem triumphierenden Lächeln. „Gut, wo war ich stehen geblieben?“ Er hob seinen Kopf, grübelte, strich dabei mit den Fingern über sein Kinn und schaute mich ernst an.

„Ok, nach einigen Recherchen fand man heraus, dass es östlich der Stadt Al Qatranah eine kleine Priesterschule bzw. eine Art Kloster gestanden hatte. Dieses Kloster wurde in den Rollen ausdrücklich erwähnt. Jetzt ist es aber in Jordanien nicht üblich, einfach so in ein Kloster oder in eine Schule zu gehen. So stellte Doktor Whiteman bei der Regierung einen Antrag, diese Priesterschule besuchen zu können. Ich kann dir nur sagen, dass es wohl ein ziemliches Gezanke gegeben haben muss, denn selbst der König von Jordanien schaltete sich in die Verhandlungen ein. Nach fast sechs Wochen Verhandlungen über die Botschaften und die Regierung bekamen sie endlich die Erlaubnis zum Besuch der Schule. So kam erst ein kleines Team an, welches von den Priestern freundlich, aber mit Misstrauen empfangen wurden. Mit dem Schulleiter unterhielten sie sich über die Funde in Mabada und erfuhren, dass es in der Schule eine große Bibliothek gab. Hier lagen so viel alte Bücher, dass es den Mitarbeitern um Doktor Whiteman Tränen in die Augen trieb, wie diese dort gelagert wurden. Viele befanden sich schon am Rande des Verfalls. Man machte sich an die Arbeit, um nach Schriften über das Auge der Welt zu suchen. Aus Irland stieß der junge McForman in das Team von Doktor Whiteman dazu, ein Newcomer in Sachen Übersetzung. Der liest dir ein altgriechisches Dokument wie ein Märchen der Gebrüder Grimm in Englisch.“

„Jetzt übertreibst du aber, Harry. Er ist wohl eine Art Supermann?“, ärgerte ich Harry.

Harry lächelte und sprach mit einer gewissen Art Süffisanz in der Stimme. „Er beherrscht acht Sprachen und übersetzt Dokumente in Latein, Altgriechisch, Phönizisch, ägyptische Hieroglyphen, Hebräisch und Aramäisch. In dieser Beziehung ist er unschlagbar und von den vielen Dialekten rede ich noch gar nicht. Viele Wissenschaftler sind erst durch seine enormen Sprachkenntnisse auf ihn aufmerksam geworden. Beim Übersetzen und Restaurieren einiger Bücher fand McForman schließlich Hinweise über das Auge der Welt. Es solle sich in der Festung Masada oder auch Machärus befinden, so sagten es die aramäischen Schriften. Es gab natürlich auch hier erneut Diskussionen, da es in Masada schon viele Ausgrabungen gegeben hatte. Man legte dort eine ganze Stadt mit Zisternen und römischen Lagern am Fuße des Berges frei. Erneut wurde in einigen der alten Gänge gesucht, man fand aber nichts wirklich Überraschendes. Vielleicht wollte man auch nicht weiter forschen, da sich dort schreckliche Dramen in Verbindung mit den letzten jüdischen Kriegen abgespielt hatten“, berichtete Harry.

„Ich kenne die Geschichten um Masada“, antwortete ich prompt und vielleicht etwas zu forsch. „Aber fahre fort, Harry. In einer halben Stunde muss ich in meinem Büro sein“, drängte ich ihn.

„Gut!“, antwortete Harry, mit seinem leicht nörgelnden Unterton. „Man bekam nach langem Hin- und Her endlich die Erlaubnis zum Graben, und für den Tourismus wurde erst einmal das ganze Areal gesperrt. Wieder hatte das Team um Professor Whiteman mächtiges Glück. Durch einen Zufall stieß man auf ein verstecktes Gewölbe am unteren Teil des Nordhangs des Tafelberges – oder sollte ich eher sagen: man fand es in einem alten Waffenlager – das Auge der Welt.“

„Ja, und was ist nun das Auge der Welt?“, stieß ich drängelnd hervor und sprang vor lauter Nervosität von meinem Stuhl auf.

„Ich weiß es nicht“, antwortete Harry ehrlich und mit einem leicht verzweifelten Unterton. „Das konnten wir den uns gelieferten Informationen nicht entnehmen. Daraus macht man ein echtes Staatsgeheimnis. Aber du kannst davon ausgehen, dass Professor Spürli unseren Chef, den er gut kennt, kontaktieren wird. Ich bin mir sicher er wird anrufen, um unser Team zu sich zu holen. Und dann geht es ab nach Jordanien. Er sagte etwas von Mitte Mai.“

„Mensch, das wäre was!“, sagte ich euphorisch und lief wie ein aufgeschrecktes Huhn durch den Raum.

Harry schaute auf seine Uhr und sagte: „Du, wir sollten jetzt in unsere Büros gehen. Nicht dass sie eine Suchmeldung herausgeben.“

So schlichen Harry und ich zurück an unsere alten Holzschreibtische. Sich jetzt wieder hinter den PC zu setzen und konzentriert zu arbeiten, war uns ein schrecklicher Gedanke. Trotz der vielen Spekulationen, schoben wir uns die Arbeit mehr oder weniger gegenseitig zu und taten so, als wären wir geistig anwesend. Den ganzen Tag über konnte ich keinen klaren Gedanken mehr fassen und meine Arbeit wurde zur Nebensache. Was würde aus meinem Lauf werden, sollten wir uns zur gleichen Zeit uns in Jordanien befinden? Und was zur Hölle war das Auge der Welt? Warum machte man so ein großes Geheimnis darum? Und was würde mein Chef zu den Neuigkeiten sagen?

Mit all diesen Gedanken und einem Schreibtisch liegengebliebener Arbeit fuhr ich am Abend wieder nach Hause. Carrie empfing mich mit ihrer Fröhlichkeit und dem Glanz ihrer strahlend blauen Augen. Innerhalb weniger Minuten hatte ich den ganzen Stress und Neuigkeiten des Tages vergessen. Ich war stiller als sonst und Carrie spürte, dass etwas nicht stimmte. Beim Abendessen legte sie die Gabel beiseite, nahm meine Hand und schaute mich besorgt an.

„Tom, was ist los? Du bist heute so ungewohnt still“, sagte sie liebevoll.

Wie immer war ich überrascht, wie sensibel Carrie reagierte. Sie merkte sofort, wenn mich etwas stark beschäftigte. Dann konnte ich mich auch nicht mehr herausreden. Ich musste die Katze aus dem Sack lassen!

„Es kann sein, dass ich mit dem Team in neun Wochen nach Jordanien fliegen. Wir haben unter Umständen die Möglichkeit, einen neuen großen Auftrag zu bekommen“, sagte ich vorsichtig.

Sie strahlte erst, schaute mich aber sogleich wieder nachdenklich an.

„Aber Tom! Fällt in diese Zeit fällt nicht dein Wüstenlauf? Das wird doch bestimmt Probleme geben? Schliesslich hattest du dich doch so sehr darauf gefreut.“

„Stimmt, mein Engel. Du hast vollkommen rechte. Am 19. Mai findet der grosse Lauf statt. Dass hatte ich völlig vergessen. Jetzt kann ich trotz des Auftrags nur hoffen, dass mir Manningfield freie Zeit geben wird, daran teilzunehmen. Aber warten wir zuerst einmal ab, ob unsere Firma den Auftrag überhaupt bekommt“, sagte ich.

Es herrschte einen Moment Stille. Nur die Kerze auf dem Tisch flackerte und wir schauten uns in die Augen.

„Ach, Tom, da würde ich mir jetzt keinen Stress machen. Mit Mr. Manningfield, deinem Chef, kann man doch immer über alles reden. In seinem Innersten ist er doch eine gute Seele“.

An dieser Stelle musste man Carrie Recht geben. Es gab eigentlich nichts, was man nicht mit Manningfield bereden konnte. Trotzdem hatte ich bei diesem Auftrag ein komisches Gefühl. Aber im Moment half es nicht, darüber weiter zu grübeln. Ich musste, ob ich wollte oder nicht warten, bis Manningfield aus seinem Urlaub zurückkam.

Zwei Wochen später

17.03.2006 – 21.04.2006

Die darauffolgende Woche zog sich hin wie Kaugummi und ich schloss in den folgenden Tagen drei weitere gute Läufe ab. Es war die beste Möglichkeit, um weiter im Training zu bleiben und dabei den Kopf frei zu bekommen. Es war wirklich schwierig, nicht an den kommenden Montag zu denken. Ich mir auf einmal nicht mehr so sicher, wie unser Chef auf die Neuigkeiten reagieren würde. Manchmal erwischte ich mich sogar bei dem Gedanken, alles hinzuschmeißen, mich vom Lauf wieder abzumelden und die Zeit lieber mit Carrie zu verbringen. Aber wie vn einer fremden Kraft gesteuert war ich manchmal wie im Rausch, wenn ich die 20 Kilometer in Bestzeit absolvierte.

Am Freitag, es war der 17. März, joggte Frank wieder mit und lobte mich über meinen Ehrgeiz, mit der ich an die Wettkampfvorbereitung heranging. Wir hatten geplant, am 25. März für sieben Tage nach Tunesien fliegen, um das Gefühl zu bekommen, wie es ist, bei hohen Wüstentemperaturen zu joggen. Anschliessend hatten wir eine weitere Trainingswoche an Ostern im Loch Lomond National Park geplant. Dort hatten wir vor, in den Highlands mit Bergläufen den Lauf über die hohen Sanddünen zu simulieren.

Jetzt stand uns aber erst einmal der nächste Montag bevor. Harry hatte Mr. Manningfield bereits schon am Donnerstagabend erreicht und ihn über die aktuelle Situation informieren können. Jedoch wollte er die anstehende Personalplanung erst am Montag mit jedem einzelnen besprechen. Das war halt Mr. Manningfield, mal chaotisch wir ein alter Schreibtisch, dann wieder logisch wie ein präziser Computer. Am Sonntagabend tat Carrie alles, um mich von dem Gedanken an die Arbeit abzulenken.

„Auf jeden Fall werde ich am Montagmorgen erst einmal laufen gehen, bevor ich ins Büro fahre“, sagte ich zu ihr.

Carrie hörte mich nicht mehr, denn sie hatte sich im Bett sofort schlafend an mich gekuschelt. Eigentlich fühlte ich mich nach einem allmorgendlichen Lauf richtig gut und motiviert. Heute aber war ich wahnsinnig nervös, wenn ich an anstehende das spätere Gespräch im Büro dachte. Zu allem Überdruss steckte ich an diesem Morgen, auf dem Weg in Büro, auch noch im Stau fest. An der Forthroad Bridge hatte es mal wieder gekracht und ein pünktliches Eintreffen im Büro rückte in weite Ferne. So bekam ich die eine eigenartige Stimmung, die im Büro herrschte, zuerst gar nicht mit. Wie ich später erfuhr, diskutierten zuvor Manningfield und Harry heftig in dessen Büro. Draußen beobachteten Suzie, Mandy, Mike und Cole die Geschehnisse durch die Glasscheiben, die zwischen den einzelnen Büros standen.

Harry hatte eine Weile gebraucht, um die richtigen Worte finden. Für unseren Chef war es eine schottische Pflicht, mit dem gesamten Team in Jordanien zu erscheinen und nicht mit zwei oder drei Mitarbeitern weniger. Ich vermute heute, er hatte einfach Angst, diesen Auftrag im letzten Augenblick zu verlieren. Für ihn stand die Firma immer an erster Stelle. Harry versuchte Manny, wie wir ihn liebevoll nannten, zu beruhigen. Nervös tippte Harry immer wieder meine Nummer, jedoch war bei mir wegen einem Funkloch ständig besetzt.

Endlich im Büro angekommen sah ich Harry, wie er nervös durch die Büroscheibe schaute und Mandy, die mir hektisch mit den Armen zuwinkte. Ich joggte an den Bürostühlen vorbei in Richtung Mr. Manningfields Büro und hätte Harry die Tür nicht aufgehalten, wäre ich bestimmt durch die Scheibe gesprungen. In dem Moment, als ich das Büro betrat, wusste ich nicht, ob mich Mr. Manningfield aus dem Fenster schmeißen oder mir eine hinter die Ohren hauen wollte.

„Tom!“, fuhr mich mein Boss an. „Mensch, wo bleiben Sie denn? Wollen Sie mich ins Grab bringen oder muss ich Sie jetzt immer vom MI6 begleiten lassen?“, fauchte er wie eine Raubkatze.

„Ok, ok. Ich weiß was sie sage wollen, aber ich war heute etwas zu lange laufen und dann kam noch der Stau auf dem Weg zu Arbeit. Das hätte ich wirklich besser koordinieren können, wenn mich anschliessend die Parkplatzsuche aufgehalten hätte“, entschuldigte ich mich.

Doch Mr. Manningfield unterbrach mich und schrie: „Tom, Mensch, halten Sie endlich Ihren Mund!“.

Totenstille trat in die Runde. Selbst Suzie, Mandy, Mike und Cole standen schockiert an der Tür und wussten nicht, wohin sie schauen sollten. So erbost hatten wir unseren Chef noch niemals erlebt.

„Sorry, sorry…..“, begann ich mit meiner Entschuldigung.

Doch Manningfield ließ sich erschöpft in den Sessel fallen und hielt sich die Finger an die Stirn. „Bitte setzten Sie sich, Tom. Bitte setzen Sie sich alle“, sagte er und holte tief Luft. „Meine Kolleginnen und Kollegen. Es ist Ihnen doch bewusst, dass ein Auftrag wie dieser in Jordanien sich zu einem der wichtigsten, vielleicht sogar zum wichtigsten Auftrag in unserer Firmengeschichte entwickeln könnte. Dazu benötige ich nun einmal jeden Mitarbeiter; und ich möchte natürlich mit einem professionellen und geschlossenen Team auftreten. Vor allem, da so namhafte Wissenschaftler wie Ron McForman, Professor Spürli und Doktor Whiteman den Auftrag leiten. Es scheint sich bei den Dokumenten und den Funden in den Ausgrabungsstätten um eine weltgeschichtliche Sensation zu handeln.“

Alle Anwesenden bekamen große Augen und blieben weiterhin still, als sie spürten, wie sehr sich ihr Chef sich dies zu Herzen nahm.

Ich ergriff das Wort und sagte: „Mr. Manningfield, ich bin sicher, uns ist allen die Tragweite dieses Auftrages bewusst. Auch was unser Team vor Ort zu leisten vermag, ist uns, denke ich, allen klar. Daher werden alle, sofern wir den Auftrag bekommen, hundertprozentig hinter Ihnen stehen. Mir ist bewusst, dass wir unsere Arbeit dort zu 150 Prozent erledigen müssen. Jedoch haben wir, Frank und ich, für den 19. Mai in Luxor einen Wüstenlauf geplant. Warten Sie! Ich weiß, was Sie sagen wollen. Allen im Team leuchtet die Wichtigkeit des Auftrags ein. Doch ist dieser Lauf seit zwei Jahren von Frank und mir vorbereitet worden. Wir würden mit nur vier Tagen Verspätung, wenn der vorab angekündigte Beginn der Arbeiten stimmt, in Al Qatranah bei Ihnen eintreffen. Wir haben mit dem Rest des Teams schon einige Vorbereitungen getroffen. Sie würden unsere Abwesenheit überhaupt nicht bemerken.“

Harry hielt mir ein Glas Wasser hin und grinste über seine dicken Backen. Allem Anschein nach sah ich mit meinem roten Kopf aus, als ob ich gleich umfallen würde. Ich nahm einen großen Schluck und genoss das kühle Nass aus dem Glas. Mr. Manningfields Gesichtszüge entspannten sich wieder und er holte tief Luft.

Er sich lehnte sich langsam zurück und sagte: „Gut Tom, ich denke bei dieser Argumentationslage und den Vorbereitungen die sie bereits getroffen haben, bleibt mir wahrscheinlich keine andere Wahl als nachzugeben, oder?“

Harry schnaufte erleichtert, dreht sich um und sagte: „Ich brauche jetzt erst einmal einen Schokoladenriegel. Diesen Stress hält ja keiner aus!“

Suzie und Mandy konnten sich das Lachen über Harrys Art nicht verkneifen. Harry war durch seine Sucht nach Süßem bei Stress und sein daraus resultierendes Übergewicht bekannt.

Ich ergriff wieder das Wort und sagte: „Ich denke, Sie können sich auf das Team wirklich verlassen, Mr. Manningfield.“

Unser Chef blickte mich unsicher an aber sagte dann erleichtert: „Gut, dann holen Sie Frank und wir treffen uns in einer Stunde im Besprechungsraum. Ich möchte wissen, was Sie bereits organisiert haben“.

Kaum drei Stunden später war das meiste geklärt. Unser Chef sah zufrieden aus und der heftige Sturm vom Vormittag war vergessen. Cole und Harry hatten die Aufgabe, bereits eine Woche vorher die Hardware, weitere technische Geräte sowie unsere Unterlagen nach Masada zu bringen. Suzie und Mandy würden am 18. Mai nachkommen und die Übersetzungen in Angriff nehmen, bis Frank und ich am 21. Mai das Team vervollständigen würden. Ich selbst war mit meinen Gedanken schon tief in der Wüste Tunesiens und den schottischen Highlands, am Loch Lomond.

In vier Tagen war es schon so weit und Frank wirkte irgendwie lockerer als ich. Im Gegensatz zu mir, merkte man ihm die Nervosität überhaupt nicht an. Ich dagegen war seit Tagen total neben der Spur. Bereits vor einer Woche hatte ich den Koffer gepackt worüber sich Carrie amüsierte. Egal welcher Tag wir hatten, alle Tage zogen sich langsam vor sich hin und ich dachte, der Freitag käme nie. Mr. Manningfield war jedoch in seinem Element. So wie ich, wollte er schon Wochen vorher seine Koffer packen und das Team hätte er am liebsten jetzt schon nach Jordanien geschickt, obwohl er den eigentlichen Auftrag noch nicht in der Tasche hatte.

Motiviert sprang ich am Abflugtag in die Dusche, so dass Carrie froh war wieder ihre Ruhe zu haben, als ich mich lachend von ihr verabschiedete. Mit Franks Auto, der mich an diesem Morgen abholte, fuhren wir zum Edinburgh Airport, um den dreieinhalbstündigen Flug nach Tunis zu nehmen. Ohne nennenswerte Verspätung erreichten wir unser Ziel und landeten gegen Mittag auf dem Flughafen in Tunesien. Als Hotel hatten wir das Thugga in dem kleinen Ort Teboursouk ausgewählt, welches wir mit einem etwas altersschwachen Bus gegen 16 Uhr erreichten. Von dort hatten wir es nicht mehr weit, um kleinere Wüstenläufe zu testen.

In den sechs Tagen liefen wir vier verschiedene Strecken von jeweils 15, 21, 30 und 35 Kilometern. Anfangs von der Hitze regelrecht geschockt, akklimatisierte ich mich in den darauffolgenden Tagen schnell und war mit den Ergebnissen zufrieden. Die Woche verging wie im Fluge und als wir am 1. April wieder im Flugzeug saßen, waren die letzten Zweifel, den Wüstenlauf nicht zu schaffen verflogen. Ich war mir sicher, dass das Training in den Highlands nur noch zum Spaß stattfinden würde. Da sollte ich mich aber täuschen. Denn es begann etwas was mein Leben langsam aus den Fugen warf.

Es war Abend, als mich Frank nach der Landung regelrecht aus seinem Auto warf. Er wollte unbedingt noch zu seiner Freundin Andrea, bevor auch er in sein Bett sprang.

Carrie begrüsste mich mit den Worten: „Na Rothaut, lebst du noch?“ Anscheinend war mir der Sonnenbrand in den letzten Tagen, trotz Sonnenschutzcreme, nicht aufgefallen. Am nächsten Tag musste ich alle Details und Eindrücke aus der Woche in Tunesien Carrie erzählen. Meine Frau gab mir ab und zu spüren, warum sie denn zu Hause bleiben musste, während ich eine Woche Urlaub machte. Dass es gar kein Urlaub im eigentlichen Sinne gewesen war, ließ sie nicht gelten und jede Argumentation meinerseits war zwecklos.

In der darauffolgenden Woche kam es dann endlich zu den ersehnten Vertragsabschlüssen zwischen unserer Firma und dem archäologischen Institut in Jordanien. Ab diesem Zeitpunkt erkannten wir unseren Chef nicht wieder. Er wirkte 20 Jahre jünger und gab unserem Team sogar zwei Mal einen Kaffee aus, was einer Sensation gleich kam. Carrie genoss es, dass ich abends wieder mal öfters an ihrer Seite saß und nicht nur am Trainieren war. Seltsamerweise begann ab diesem Tag, dass ich nachts nicht mehr richtig schlafen konnte. Immer wieder wurde ich war und konnte mir die Unruhe nicht erklären. Ich versuchte die Geräusche und die seltsamen Träume zu ignorieren.

Ostern rückte näher und damit auch unsere Woche in den Highlands, wo wir mit einigen Bergtouren unsere Muskelkraft und die Kondition weiter trainieren wollten. Ich erkundigte mich bei Carrie immer wieder, ob es sie auch wirklich nicht störe, dass ich schon wieder ohne sie wegfahren wollte. Sie lachte jedes Mal und wiegelte es ab. Dass auch sie ein komisches Gefühl beschlich, je näher der Wüstenlauf kam, verheimlichte Carrie mir. Den Karfreitag verbrachten wir mit harter Gartenarbeit, bei der sie mich hart `ran nahm. Vielleicht war es ein wenig Rache, aber das wollte ich meiner Frau nicht unterstellen, als wir um zehn Uhr am Abend bereits müde im Bett lagen. Erneut wachte ich mehrfach auf, weil ich das Gefühl hatte ich höre den Wind und die Fenster stehen offen.