Inhalt



Stefan Burban

Das Schicksal des Königs

Das Titelbild fehlt!

 

Atlantis



Eine Veröffentlichung des
Atlantis-Verlages, Stolberg
August 2018

Druck: Schaltungsdienst Lange, Berlin


Titelbild: Mark Freier
Umschlaggestaltung: Timo Kümmel
Lektorat und Satz: André Piotrowski


ISBN der Paperback-Ausgabe: 978-3-86402-589-1
ISBN der E-Book-Ausgabe (EPUB): 978-3-86402-621-8

Dieses Paperback/E-Book ist auch als Hardcover-Ausgabe direkt beim Verlag erhältlich.

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Prolog Verzweiflung

Kaum ein Laut mit Ausnahme des prasselnden Lagerfeuers durchdrang die Nacht. Es schien beinahe, als würde die Natur selbst den Atem anhalten und erst wieder ausatmen, sobald das Gefolge weiterritt.

Istartos rümpft die Nase. Das würde wohl nicht vor morgen früh sein. Er selbst hätte gern auf eine Pause verzichtet, doch die Pferde benötigten sie dringend. Mehr noch als die Gardisten, die den Dämon im Körper Hestals und den König begleiteten.

Istartos sah zu seiner Rechten. Dort saß er: Cedric, König von Hasterian. Beinahe hätte Istartos laut aufgelacht. Der König gebot nur noch über Tansara sowie die Herzogtümer Tellenor und Elen-Sanar. Alle anderen Herzogtümer des Reiches befanden sich in offener Rebellion zur Krone oder hatten sich nach der verheerenden Niederlage vor den Toren Aredus-Celats für neutral erklärt.

Seit der überstürzten Flucht vom Schlachtfeld und der Nachricht von Crevios’ Tod war der sogenannte König nur noch ein Schatten seiner selbst. Der Mann hatte in den vergangenen Tagen kaum geschlafen. Dunkle Ringe zierten seine Augen. Für Istartos selbst spielte das kaum eine Rolle. Von ihm aus konnte der kleine Möchtegernmonarch gern tot umfallen. Doch noch benötigte sein Herr und Meister Cedric. Und Cedrics Zustand untergrub seine Autorität bei denen, die ihm noch folgten.

Istartos sah sich verstohlen um. Die Gardisten drängten sich Schutz suchend um das kleine Feuer. Einige warfen dem König immer wieder kurze Seitenblicke zu, sobald sie sich unbeobachtet fühlten. Die Niederlage hatte sie alle zutiefst erschüttert. Die bisher als unbesiegbar geltende Schwarze Garde war vernichtend geschlagen worden. Diese Spitze saß. Sie zweifelten an sich selbst und – was noch schlimmer war – sie zweifelten am König.

Die Lagerstelle war bei Weitem nicht groß genug für die dreihundert Soldaten in ihrer Begleitung. Doch ein größeres Feuer wagten sie nicht zu entfachen. Gut möglich, dass sich die Rebellen bereits auf ihrer Fährte befanden, und es war kontraproduktiv, sie auch noch direkt hierherzuführen. Man musste es Adrian und seinen Getreuen nicht auch noch leichter machen als unbedingt notwendig.

Einer der Gardisten nahm einen kleinen Ast auf und stocherte lustlos in dem Feuer herum. Kleinere Funken flogen umher und vergingen zischend auf dem kalten Erdboden.

Ein Offizier runzelte die Stirn, packte den Arm des Mannes und zog ihn mitsamt dem Ast zurück, sodass sich das Feuer wieder beruhigte.

»Fache das Feuer nicht an!«, schalt er den Mann in wisperndem Tonfall. »Wir haben keine Ahnung, ob in diesen Wäldern nicht Rebellen lauern.«

Der zurechtgewiesene Soldat zog den Kopf zwischen die Schultern und lief rot an, was sogar im Halbdunkel ausnehmend gut zu erkennen war.

Istartos beobachtete die Szene mit kalter Berechnung. In früheren Zeiten wäre es den Soldaten egal gewesen, wer sie sah oder wahrnahm. Doch nun vermuteten sie hinter jedem Baum blutrünstige Soldaten Oden-Hasars, die nur darauf warteten, ihnen den Hals durchzuschneiden, sobald sie sich zur Ruhe begaben.

Die kleine soeben miterlebte Szene war ein Symptom eines viel größeren Problems. Die Herzöge von Dyari und Oden-Hasar hatten den Gardisten vor den Mauern von Aredus-Celat buchstäblich jeden Funken Selbstvertrauen aus dem Leib geprügelt. Was er hier sah, das war eine geschlagene Armee. Der Anfang vom Ende – wenn er nichts dagegen unternahm.

Istartos verzog Hestals Lippen zu einem – wie er annahm – freundlichen Lächeln. »Macht euch keine Sorgen. Die Goblins und der Kult patrouillieren die Wälder ringsum. Sie werden uns warnen, sobald sich gegnerische Truppen nähern.«

Der Offizier sagte nichts dazu. Einer seiner Männer wandte seinen Kopf leicht ab und spie angewidert aus. In diesem Moment wäre Istartos am liebsten aufgesprungen und hätte dem unverschämten Kerl mit bloßen Händen das Herz herausgerissen. Er hielt sich jedoch zurück. Gerade jetzt war definitiv der falsche Augenblick, um mit brutaler Gewalt die Disziplin zu wahren. Der Effekt wäre ins Gegenteil gekehrt worden. Früher hätte kein Gardist es gewagt, ein solches Verhalten zu zeigen. Sie verloren ihren Respekt vor Hestal. Schlimmer noch, sie verloren ihre Angst vor ihm. Das war ganz und gar nicht gut.

Dabei konnte er dem Mann seine Reaktion nicht einmal verdenken. Ein Teil der Goblins war vor Aredus-Celat desertiert und hatte dadurch die Niederlage zwar nicht möglich gemacht, aber doch zumindest begünstigt. Und der Kult? Nun, der Kult hatte jede Möglichkeit, Adrian gefangen zu nehmen oder aus dem Leben zu reißen, mit bemerkenswerter Effizienz regelmäßig in den Sand gesetzt.

Istartos seufzte. Wenn etwas richtig getan werden soll, dann muss man es am besten selbst tun. Eine Binsenweisheit der Menschen, aber eine, die der Dämon vorbehaltlos unterstützte.

Hufgeklapper brandete plötzlich auf. Die Gardisten griffen zu den Waffen. Istartos hingegen blieb gelassen. Seine Einlassung war sein Ernst gewesen. Die ihnen immer noch treuen Goblins würden sie warnen, sollte sich ein Feind nähern.

Die Gardisten waren in dieser Hinsicht nicht gänzlich von Vertrauen zu den Grünhäuten beseelt. Sie bildeten einen Schildwall um den König, der sich keinen Millimeter von der Stelle rührte. Der Verdacht überkam Istartos, Cedric merkte noch nicht einmal, was um ihn herum vor sich ging. Der Monarch starrte einfach nur in Gedanken versunken ins Feuer.

Ein Reiter preschte heran, aber beim Anblick eines kampfbereiten Schildwalls mit ausgestreckten Speeren zügelte dieser sein Tier eilig. Das Pferd kreischte angesichts dieser ungehobelten Behandlung, kam dem Befehl seines Reiters jedoch augenblicklich nach.

Der Mann hob beide Hände. Der Offizier, der die Gardisten befehligte, trat vor. »Wer wünscht vor den König von Hasterian zu treten?«

Der Mann auf dem Pferd schluckte schwer. Er trug nur eine einfache Rüstung und ein altes, schartiges Kurzschwert an der Seite. »Ein Herold«, verkündete er mit unangenehm hoher Stimme.

Der Offizier gab dem Mann mit einem Wink zu verstehen, er solle absteigen. Dieser kam der Aufforderung schwer atmend nach. Gardisten geleiteten ihn vor den König. Der Herold sank auf ein Knie nieder, senkte den Kopf und bot Cedric eine versiegelte Pergamentrolle dar.

Dieser machte keinerlei Anstalten, danach zu greifen. Istartos seufzte erneut. »Gib schon her!«, geiferte er ungeduldig, riss dem Herold die Schriftrolle aus der Hand und brach das Siegel. Eilig begann er zu lesen. Seine Mundwinkel hoben sich langsam. »Gute Nachrichten. In Betriaval sammeln sich all jene, die dem Gemetzel entkommen konnten. Außerdem sind dort Verstärkungen aus dem Süden eingetroffen. Fünfzehntausend Gardisten.«

Die Nachricht ließ das Herz eines jeden anwesenden Soldaten schneller schlagen. Ihre Laune hob sich beträchtlich. Sogar Cedric wurde aus seinem Trübsinn gerissen und sah auf.

»Wer hat das Kommando?«

»Feldherr Toren«, las Istartos weiter. »Er bereitete die Stadt auf die Belagerung vor.«

Betriaval war die südlichste Stadt von Oden-Hasar und die erste, die angegriffen und genommen worden war. Istartos’ Gedanken überschlugen sich. Die Stadt befand sich einen, im Höchstfall zwei Tage entfernt. Das war zu schaffen. Von dort aus verfügten sie zumindest über eine Machtbasis, von der aus sie weiter operieren konnten. Das Problem war, Adrian und Cadir Uros wussten dies auch. Sobald sie stark genug waren, würden sie gegen Betriaval ziehen. Die Stadt musste von cedrictreuen Truppen befreit werden, falls sie ihren Weg nach Süden und zur Hauptstadt Tansara fortsetzen wollten, und dieses Ziel stand außer Frage. Nur dort konnten sie Cedric entmachten.

Cedric streckte sich. »Ausgezeichnet! Toren … guter Mann. Wir verschanzen uns in Betriaval und warten auf den Angriff der Rebellen. Sollen sie doch ihr Leben beim Sturm auf die Mauern aushauchen.«

Diese Aussicht ließ viele der Soldaten innehalten und deren Laune schlug schlagartig um. Keiner von ihnen verspürte sonderlich viel Vergnügen bei der Aussicht auf eine weitere Konfrontation mit Adrians Rebellen. Das konnte Istartos ihnen nun wirklich nicht verdenken.

Er schenkte dem König ein einschmeichelndes Lächeln. »Euer Majestät? Darf ich Euch einen Augenblick unter vier Augen sprechen?«

Der König überlegte kurz und nickte schließlich. Istartos deutete in den Wald. »Bitte folgt mir.« Er zögerte kurz und wandte sich dann dem Herold zu. »Du auch.«

Der Angesprochene erstarrte kurz. Er hatte ganz sicher nicht erwartet, zu einer geheimen Unterredung zwischen dem König und dessen Ratgeber eingeladen zu werden.

Der Offizier, der die Gardisten befehligte, öffnete den Mund und machte Anstalten, etwas zu sagen. Doch dann überlegte er es sich anders und schwieg. Istartos vermutete, er hatte protestieren wollen, dass sich Cedric ohne Leibwache in den Wald traute. Dass der Mann sich entschieden hatte, den Einwand nicht vorzubringen, sprach Bände darüber, was er über den Monarchen dachte. Vermutlich wünschte er sich, ein Rebell mit Pfeil und Bogen möge Hasterian von diesem Unding befreien.

Istartos nahm sich vor, bei Gelegenheit mit dem Offizier ein paar Takte über Dinge wie Pflichterfüllung und Loyalität zu sprechen. Er zuckte die Achseln. Aber vermutlich würde er ihn einfach austauschen und Agranon opfern. Das war wesentlich einfacher, als ihm die Leviten zu lesen.

Cedric und der Herold folgten Istartos tief in den Wald. Sie gingen mehrere Minuten schweigend dahin. Cedric wollte mehrmals aufbegehren, dass sie sich so weit von seinen Männern entfernten, doch ein Blick in Hestals tief dunkle Augen, hinter denen keine Seele mehr wohnte, ließ ihn schweigen.

Als Istartos der Meinung war, sie befänden sich weit genug entfernt, drehte er sich um, zog ein Messer und schnitt dem Herold die Kehle durch. Der Mord ging so schnell vonstatten, dass der arme Kerl gar nicht merkte, wie ihm geschah. Er war bereits tot, noch bevor sein Körper den Boden erreichte.

Blutspritzer aus der durchtrennten Arterie hatten das Gesicht des Königs rot gesprenkelt. Cedric starrte Istartos aus großen Augen wutentbrannt an.

»Hast du deinen verdammten Verstand verloren?«, herrschte er den Dämon an.

Istartos antwortete nicht, sondern schlug dem Monarchen mit der Faust ins Gesicht. Cedrics Kopf wurde in seinen Nacken gerissen und er landete unsanft auf dem Hosenboden. Er starrte voller Angst zu dem Dämon in Menschengestalt auf.

»In Betriaval verschanzen?«, giftete Istartos ihn an. »Das ist dein grandioser Plan? Warum dankst du nicht selbst ab und hängst dich auf. Damit ersparst du deinem Neffen, das zu erledigen. In Betriaval kesseln sie uns ein. Sie werden die Stadt nehmen – mit uns darin. Muss ich dich daran erinnern, dass die Stadtmauern an mehreren Stellen durchbrochen wurden, als Betriaval an uns fiel. Sie würde keine Woche standhalten, sobald die vereinigten Armeen von Oden-Hasar und Dyari anrücken. Von den regulären königlichen Truppen will ich noch nicht mal reden, die sich Adrians Banner angeschlossen haben. Und du willst dich verkriechen! Das passt zu dir.«

Istartos beruhigte sich nur mühsam. Doch als er seinem ersten Frust Luft gemacht hatte, streckte er seine Gestalt. Nach dem Schlag in Cedrics Gesicht fühlte er sich bereits wesentlich besser. Er bückte sich, griff zu und half dem König wieder auf die Beine.

Im ersten Augenblick dachte Cedric, Istartos wollte ihn erneut schlagen, und zuckte zusammen. Wieder auf den Beinen, bemühte sich Cedric, sein bisschen Würde wiederzufinden. »Und was schlägst du vor?«

Istartos schürzte die Lippen. »Ich weiß es nicht. Das ist ja das Problem. Unser gemeinsames Versagen vor Aredus-Celat bringt uns beide in Gefahr. Trotzdem müssen wir jemanden um Rat fragen.«

Cedric runzelte die Stirn. »Wen?«

Istartos bückte sich. Der Leichnam des königlichen Herolds war inzwischen beinahe ausgeblutet. Es hatte sich eine ansehnliche Lache unter dem Mann angesammelt. Der Dämon badete seine Hände bis zu den Handgelenken darin, bis seine Hände beide von Blut überzogen waren. Anschließend malte er ein dämonisches Zeichen auf fünf Bäume und stellte sich mit dem König in deren Mittelpunkt. Er ging auf die Knie. Als Cedric keinerlei Anstalten machte, es ihm gleichzutun, zog er den König grob auf den Boden.

Istartos murmelte mehrere Formeln in der Sprache der Dämonen, was bei Cedric nur weiteres Stirnrunzeln hervorrief. Der Mann verstand kein Wort. Es war ein Risiko, den König in diese Beschwörung einzubeziehen. Er wusste immer noch nicht, dass nicht länger Hestals Bewusstsein diesen Körper bewohnte. Dessen Seele war längst in einem Akt brutaler Gewalt herausgerissen und durch die Präsenz des Dämons ersetzt worden. Für die weiteren Pläne war es unabdingbar, Cedric in dem Glauben zu lassen, er spräche weiterhin mit Hestal.

Istartos streckte die Hand aus und formte das Blut des Herolds auf Cedrics Stirn zu einem magischen Symbol.

Istartos senkte den Blick. »Mein Herr und Meister, wir bedürfen dringend deiner Führung.« Nichts geschah.

Der Dämon kräuselte Hestals Lippen und knirschte so fest mit den Zähnen, dass die Spitze eines Eckzahns abbrach. Istartos spuckte sie ungeduldig aus. Diese Menschen. So zerbrechliche Wesen.

Istartos begann die Beschwörung von Neuem. Mit demselben negativen Ergebnis. Es dauerte eine geschlagene Stunde und fünfzehn Versuche, bis die Zeichen an den fünf Bäumen jäh grell aufflammten. Das Blut, aus dem die Zeichen ins Holz gemalt worden waren, floss herab auf den Boden. Istartos und Cedric befanden sich mit einem Mal im Mittelpunkt eines Pentagramms aus dem Blut des unglücklichen Herolds.

»Du hast mich enttäuscht«, ertönte die Stimme Agranons in Istartos’ Kopf. Der Klang seines Meisters ließ seinen menschlichen Schädel vor Schmerz dröhnen. Istartos sah zum König, doch dieser blinzelte nur verständnislos. Er hatte nichts vernommen.

Istartos wollte etwas sagen, doch Agranons Präsenz verstärkte sich und dementsprechend nahm auch der Schmerz zu. Istartos beugte sich tief hinunter und widerstand dem Drang, seinen menschlichen Schädel mit den Händen zu umfassen. Hätte er es getan, Agranon hätte ihn noch härter bestraft. Der Dämonenfürst hätte darin Schwäche gesehen. Also stöhnte Istartos lediglich so schwach wie möglich und ließ die Bestrafung über sich ergehen.

Das Symbol auf Cedrics Stirn begann leicht zu pulsieren. Und dann – innerhalb eines Blinzelns – stand Agranon plötzlich vor ihm. Cedric zuckte zurück und hätte das Pentagramm beinahe verlassen. Nur ein schneller Griff Istartos’ verhinderte, dass der König das Ritual verließ. Cedric wusste es nicht, doch es hätte ihn das Leben gekostet.

Istartos musterte seinen Herrn mit großen Augen. Agranon trat langsam näher. Er war in seiner menschlichen Gestalt in prachtvoller schwarzer Rüstung erschienen und nicht in seiner Dämonengestalt. Istartos verstand nicht so recht, warum sein Meister die menschliche Gestalt zu bevorzugen schien, wagte jedoch auch nicht, danach zu fragen. Dass sein Herr hier vor ihm erschien, war mehr, als er erwartet hatte. Und beinahe mehr, als er verkraftete.

»Herr«, presste Istartos hervor, »Ihr seid hier. In Fleisch und Blut. Wie ist das möglich?« Seine Hand tastete nach vorn, um Agranons Umhang zu berühren – und griff nur in leere Luft.

Istartos zog seine Hand eilig zurück. Agranon lächelte lediglich auf eine kalte und zutiefst verstörende Art und Weise.

»Noch nicht. Noch bin ich nicht in diese Welt eingetreten. Mein Gefängnis wird durchlässiger und meine Macht nimmt zu. Doch mein Abbild herzusenden, ist alles, was ich bisher zustande bringe. Ich wäre bereits zu weit mehr in der Lage, hättest du deine Aufgabe erledigt.«

Istartos schluckte und schlug die Augen nieder. »Mein Herr, es … es sind Komplikationen aufgetreten.«

Agranon wandte sich in seine Richtung. Zu Istartos’ Verwunderung wirkte der Dämonenfürst eher amüsiert denn verärgert.

»Komplikationen? So nennst du das also? Hasterian befindet sich im Aufruhr. Der Krieg im Kaiserreich ist praktisch beendet, weil die königlichen Truppen dabei sind, die Seiten zu wechseln. Und du redest allen Ernstes von Komplikationen.« Agranon seufzte. »Mein Freund, ich bewundere deinen Hang zu Untertreibungen.«

Istartos schluckte erneut. »Der Widerstand in Oden-Hasar war erschreckend unbeugsam.«

Agranon nickte. »So kann man es auch nennen.« Der Blick des Dämonenfürsten glitt in weite Ferne und seine Stimme nahm einen Tonfall an, der beinahe an Respekt grenzte. »Doch ich gebe gern zu, der Junge hat auch mich überrascht. Der Aufstand in Oden-Hasar und Dorisan hätte schnell beendet werden sollen, doch nun hat Adrian ein Heer. Und er marschiert zweifelsohne auf Tansara.«

»Aus diesem Grund habe ich dich beschworen.«

»Ja, ich weiß!«, zischte Agranon. Jeglicher Humor war aus seiner Haltung und seinem Tonfall gewichen. »Du weißt nicht mehr weiter und ich soll jetzt deine Fehler ausbügeln.«

Istartos wagte es nicht, seinen Herrn anzusehen. »Ich brauche deinen Rat, Herr.« Er deutete auf Cedric. »Der König ist der Meinung, wir sollten uns in Betriaval verschanzen und dort auf den Angriff warten.«

Agranon warf Cedric einen kurzen Blick zu, als würde er ihn zum ersten Mal wahrnehmen. »Warum hast du das da überhaupt mitgebracht?«

»Ich brauchte ihn. Seine Lebenskraft speist den Zauber. Er ist ein Feigling, doch das königliche Blut in seinen Adern ist stark. Nur so konnte ich Euch erreichen. Die Hure Ariadne erstarkt wieder in diesen Landen.«

Agranon schürzte die Lippen. »Ja, ich kann es fühlen. Ihre Macht nimmt zu. Doch nicht in einem Ausmaß, der mir Sorgen bereiten würde. Die Zerstörung ihrer Kirche hat sie schwer getroffen. Sie wurde verletzt, ist verwundbar. Wir müssen handeln, bevor sie wieder zu ihrer alten Kraft zurückfindet.« Der Dämonenfürst streckte die Hand aus und berührte das Symbol auf Cedrics Stirn. Die körperlose Hand glitt einfach hindurch, als wäre Agranon ein Geist. Er sagte nur ein Wort.

»Schlaf!«

Cedric schloss augenblicklich die Augen und kippte schwer vornüber. Mit dumpfem Geräusch prallte er auf den Waldboden. Istartos machte keinerlei Anstalten, den Fall des Mannes auch nur zu bremsen.

Agranon seufzte erleichtert. »Nun können wir reden.« Er wandte sich seinem Diener zu. »Er weiß immer noch nicht, wer du in Wirklichkeit bist?«

Istartos schüttelte den Kopf. Agranon nickte.

»Gut. Dabei sollten wir es weiterhin belassen. Die Wahrheit könnte ihn … nun ja … aus dem Konzept bringen. Und das wollen wir doch nicht.«

Istartos nickte. »Herr? Der Junge.«

Agranon musterte seinen Diener mit strenger Miene. »Der Junge. Ja. Dieses Mal hast du wirklich Mist gebaut, Istartos. Versagen bin ich von dir nicht gewohnt.«

»Das wird nie wieder vorkommen, Herr.«

Agranon lächelte rätselhaft. »Versprich nichts, was du vielleicht nicht halten kannst. Der Junge hat sich als außerordentlich findig erwiesen. Und als talentiert im Überleben.« Wieder schwang dieser seltsame Anflug von Respekt in der Stimme seines Herrn mit, den Istartos nicht recht nachempfinden konnte. Die Miene Agranons wurde jedoch schnell wieder ernst. »Ich spüre hinter alldem die Hand meiner alten Feindin. Ariadne ist äußerst umtriebig dieser Tage.«

»Was befiehlst du, mein Herr?«

»Du hast ganz recht. Betriaval zu verteidigen, kann nicht die Lösung sein. Adrians Rebellen würden euch vernichten.«

»Welche Möglichkeiten bleiben uns dann noch?«

Agranon überlegte und stieß schließlich einen Schwall Luft zwischen den Vorderzähnen aus. »Unser ursprünglicher Plan scheint in weite Ferne gerückt zu sein. Es gibt noch vier Menschen mit königlichem Blut, deren Opferung mein Gefängnis aufbrechen könnte.« Der Dämonenfürst deutete auf den schlafenden Cedric. »Doch von denen ist nur dieser Dummkopf hier in unserer Hand. Die anderen sind Adrian, die kaiserliche Prinzessin sowie ihr Vater. Alle drei sind dabei, ihren jeweiligen Krieg zu gewinnen. Das macht meine Situation ein wenig heikel.«

Istartos wusste sofort, worauf der Dämonenfürst hinauswollte. »Die Schriftrolle.«

Agranon nickte. »Unser ursprünglicher Plan wäre eleganter gewesen, doch jetzt muss zur Not die Holzhammermethode herhalten. Und die Stadt Betriaval könnte der Schlüssel sein.«

»Wie, Herr?«

»Indem wir unserem ungestümen Anwärter auf den Thron dort eine kleine Überraschung bereiten. Und dafür brauche ich dich und deinen Einfluss auf Cedric.«

»Ich werde alles tun, um meinen Fehler wieder auszugleichen, Herr.«

Agranon lächelte kalt. »Darauf baue ich, alter Freund.« Sein Lächeln wurde auf unheilvolle Weise breiter, sodass es Istartos eiskalt über den Rücken lief. »Ja, genau darauf baue ich.«

1 Pläne

Adrian trat aus dem Zelt und eine kühle morgendliche Brise umspielte seinen blanken Oberkörper. Darellior und Trent traten beiseite und nickten ihrem König zu. Trents Wolf lag träge neben seinem Herrn und widmete Adrian nur einen schmalen Blick durch ein geöffnetes Auge, bevor er friedlich weiterdöste.

Adrian atmete die würzige Morgenluft tief ein, bevor er sich ein einfaches Leinenhemd überstreifte und durch das Lager stapfte. Darellior und Trent folgten in diskretem Abstand. Zwei hilfreiche Schatten, jederzeit bereit, für den König ihr Leben einzusetzen.

Sein Zelt wurde umringt von drei Dutzend Bewaffneter. Es handelte sich um seine neue Leibwache, die Herzog Cadir als Ersatz aufgestellt hatte für jene, die während der Schlacht um Aredus-Celat aufgerieben worden war.

Die Männer wollten sich ihm ebenfalls anschließen, doch auf einen Wink Adrians blieben sie an Ort und Stelle. Inmitten des Feldlagers fühlte er sich sicher und Darellior sowie Trent reichten als Bewacher seines Lebens völlig aus.

Adrian ließ den Blick schweifen über das Lager, das so allmählich erwachte. Die Wachen wurden gerade abgelöst. Die Männer, die die halbe Nacht aufgeblieben und für den Schutz ihrer Kameraden gesorgt hatten, nahmen sich etwas zu essen und zogen sich anschließend in ihre Zelte zurück. Das Gros der Männer versammelte sich für das Frühstück an den Lagerfeuern. Der Geruch einer einfachen Karottensuppe und frisch gebackenen Brots hing in der Luft und ließ Adrians Magen ebenfalls knurren.

Der angehende König schmunzelte und stellte sich zu den einfachen Soldaten in die Schlange. Die meisten nahmen keine Notiz von ihm, da sein Gesicht in den unteren Rängen so gut wie gar nicht bekannt war. Erst als sich seine beiden treuen Leibwächter unweit von ihm aufstellten, wurden sich die Männer bewusst, wer da in ihrer Mitte weilte.

Die Menge zerteilte sich vor ihm, als hätte er eine ansteckende Krankheit. Selbst die Köche, die immer unter Zeitdruck standen, Tausende hungrige Mäuler zu stopfen, hielten in ihrer Tätigkeit inne, jedoch nicht vor Angst, sondern vor Ehrerbietung. Adrian lief gegen seinen Willen rot an. Derlei Behandlung war er immer noch nicht gewohnt und er fragte sich, ob er sich je daran gewöhnen würde.

Er lächelte verlegen. »Lasst euch von mir nicht abhalten. Habt ihr keinen Hunger?«, fragte er in die aufkommende Stille hinein. Verhaltenes Gelächter antwortete. Adrian machte eine vage Geste in Richtung der Kochstelle. Zunächst rührte sich niemand. Keiner wollte sich vor dem König etwas zu essen holen. Sie ließen ihm den Vortritt.

Erst als Adrian keinerlei Anstalten machte, sich an den Männern vorbeizubewegen, fasste einer den Mut, sich wieder den Köchen und ihrem gusseisernen Topf zu nähern. Nach und nach formierte sich erneut die Schlange und die Männer ließen sich von den Köchen etwas zu essen geben. Adrian bemerkte jedoch immer wieder beinahe ängstliche Blicke in seine Richtung.

Als Adrian an die Reihe kam, wurde er von dem Koch mit großen Augen gemustert. Der Mann gab ihm eine extragroße Portion Suppe. Adrian dankte ihm mit einem Nicken und nahm sich einen Kanten Brot von einem Stapel, bevor er sich etwas abseits der Kochstelle auf ein umgedrehtes Fass setzte.

Darellior und Trent stellten sich wie selbstverständlich daneben. Sein Halbbruder hatte sichtliches Vergnügen an der Situation. »Denen hast du einen ganz schönen Schrecken eingejagt«, feixte er.

Adrian nahm einen Löffel voll Suppe in den Mund. Sie schmeckte erstaunlich gut, war aber immer noch verflucht heiß. Er schluckte sie eilig herunter, wobei er sich Lippen und Zunge verbrannte, und kaute schnell ein Stück Brot.

Darellior musterte ihn weniger amüsiert. Im Gegenteil schien er eher missbilligend. »Du hast ein Anrecht darauf, mit den Adligen in Cadirs Zelt zu essen. Das solltest du auch wahrnehmen. Bei den einfachen Soldaten können wir dich nicht so schützen, wie es angemessen wäre.«

»Bei den Adligen? Das ist immer noch nicht meine Welt.« Adrian deutete ringsum. »Hier fühle ich mich wohler, bei den einfachen Leuten.«

Darellior seufzte. »Du gehörst aber nicht mehr zu den einfachen Leuten. Nicht mehr. Du bist König.«

»Noch nicht«, versetzte Adrian sanft. »Erst wenn ich im großen Ariadne-Tempel von Tansara gekrönt worden bin.«

Darellior neigte leicht den Kopf. »Zugegeben. Aber du bist nah genug an der Königswürde dran, um ein verlockendes Ziel abzugeben. Mal angenommen, ein Kultist schleicht sich hier ein. Oder einer der einfachen Soldaten, die du so bewunderst, beschließt, sich mit deinem Kopf in den Händen eine Belohnung bei Cedric abzuholen. Was dann? Dann endet der Feldzug, bevor er beginnt.«

Trents Lächeln war wie weggewischt. »Da ist was dran, Bruder.«

»Die Männer hier würden mir nie etwas antun«, erwiderte Adrian ernst, auch wenn Darelliors Ausführungen ihn beunruhigten.

Der ehemalige Ordensritter seufzte erneut. »Adrian, du bist manchmal von einer liebenswerten, doch beinahe schon erschreckenden Naivität. Die Menschen – selbst die besten von ihnen – sind manchmal zu den abscheulichsten Gräueltaten fähig.«

»Zumindest das solltest du glauben, Adrian«, stimmte Trent zu. »Ich habe das bereits miterleben müssen.«

Adrian schnaubte. »Ihr beide seid furchtbar. Darf ich nicht wenigstens in Ruhe mein Frühstück genießen?« Trotz seiner flapsigen Worte, waren ihm Darelliors Bemerkungen etwas auf den Magen geschlagen. Er sah das Lager plötzlich mit neuen Augen. Hinter jedem Schatten könnte sich ein Attentäter verbergen, der nur auf seine Gelegenheit lauerte, dem zukünftigen König die Kehle durchzuschneiden.

Adrian schüttelte leicht den Kopf. Nein, er würde kein Monarch sein, der sich der Paranoia hingab und deswegen seine Gewohnheiten aufgab. Vielleicht hatte es bei Cedric genau so angefangen. Kleine Einschränkungen des täglichen Lebens, die immer weiter eskalierten, bis hin zu dem Despoten, wie sie ihn kannten und hassten. Nein, er selbst würde kein solches Monster werden. Er würde ein Mann des Volkes sein. Keine Gefahr würde ihn dazu bringen, sich von den kleinen Leuten zu entfernen, die ihm anvertraut waren.

Adrian sah auf. Im morgendlichen Dunst ragten in der Ferne stolz die Mauern und Türme von Aredus-Celat auf. Das Feldlager lag exakt an der Stelle, an der vor einem Monat noch das Belagerungsheer die Stadt bedroht hatte. Kaum etwas erinnerte noch an die brutalen Kämpfe, die hier getobt hatten. Bis auf die Breschen und die eingestürzten Türme, die sich wie Narben über die Wehrgänge der Stadt zogen. Das Heer lagerte hier seit gut vier Wochen. Es sammelte seine Kräfte für den bevorstehenden Krieg. Es würde ein kurzer, aber brutaler Schlagabtausch mit dem Thronräuber werden. Doch alle waren sich einig: Es gab keinen Raum für Kompromisse. Keinen Raum für Frieden und keinen Raum für eine gütliche Einigung. Dieser Konflikt würde mit der Vernichtung einer Seite enden: entweder der Cedrics oder der Adrians. Dieser Gedanke ließ ihn schwer schlucken.

Ein Soldat der Falkenlegion trat an Darellior heran und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der ehemalige Ordensritter nickte und der Mann in der glänzenden Rüstung entfernte sich wieder.

»Der Herzog will dich sehen. Er hat den Kriegsrat einberufen.«

Adrian seufzte und stellte die Schüssel neben sich auf den Boden. Er wollte es nicht zugeben, doch eigentlich war er erleichtert. Das Gespräch hatte ihm den Appetit verdorben. »Das war es dann wohl mit meinem Frühstück«, meinte er und erhob sich.

Gemeinsam schlenderten sie zu Cadirs Zelt, das sich im Zentrum des Feldlagers befand. Trotz der Nähe zur Stadt zog der Herzog es vor, inmitten der Soldaten zu schlafen. Es hätte die Moral der Truppen untergraben, hätte er die Bequemlichkeit der Stadt vorgezogen, wo alle anderen mit den Gegebenheiten eines Heerlagers vorliebnehmen mussten.

Die Soldaten der Falkenlegion, die vor Cadirs Zelt auf Posten standen, nahmen Haltung an, als sich Adrian näherte. Ihre mächtigen Zweihandschwerter waren vor ihnen mit der Spitze voran in den Boden gerammt. Ihre gepanzerten Hände ruhten auf dem Heft eines jeden Schwertes.

Einer der Soldaten zog die Plane beiseite, die als Tür diente, und Adrian trat hindurch. Darellior und Trent hingegen mussten draußen warten. Ein Umstand, der ihnen gar nicht behagte.

Wie sich herausstellte, wurde er bereits erwartet. Außer Cadir Uros und seinem Sohn Kyle waren Herzog Golan Tarno, Großmeister Okustus und Oberst Pirellas Seljant bereits anwesend. Alle standen um einen Tisch mit einer Karte Hasterians. Auf der Karte waren kleine Holzfiguren aufgestellt, die allesamt unterschiedliche Farben aufwiesen.

Die Männer machten Adrian bereitwillig Platz, als er näher trat. Sie nickten ihm freundlich zu, begrüßten ihn als Gleichgestellten.

Der Herzog von Oden-Hasar blickte auf. »Herzogin Estelle hat eine große Schlacht geschlagen«, begann Cadir ohne Vorrede. Adrian musterte die Karte interessiert. Eine Ansammlung von Figuren östlich von ihnen erregte seine Aufmerksamkeit.

Cadir nickte und ein seltenes Lächeln umspielte seine Lippen. »Ganz recht. Sie hat an der Grenze zwischen Dorisan und Oden-Hasar ein Aufgebot von Elen-Sanar und Tellenor zerschlagen. Mehr als zehntausend Mann stark. Die Schlacht fand vor drei Tagen statt. Die Überlebenden zogen sich zurück.« Mit einer knappen Handbewegung wischte Cadir die Figuren vom Tisch, die die feindlichen Truppen symbolisierten.

Adrian fuhr sich über das glatt rasierte Kinn. »Wie sehen ihre nächsten Schritte aus?«

»Sie marschiert auf die Hauptstadt von Dorisan zu – Paragen. Unseren Informationen zufolge befinden sich dort Selina Vistal und Feral Sodon.«

Okustus schnaubte. »Die beiden beaufsichtigen die Verteidigung der Hauptstadt persönlich? Das hätte ich den Feiglingen gar nicht zugetraut.«

Kyle lachte kurz und bellend auf. »Das ist wohl eher dem Umstand geschuldet, dass sich Herzogin Estelles Heer nun zwischen Paragen und jedem Fluchtweg befindet. Die Stadt zu halten, ist ihre einzige Chance zu überleben.«

»Kann sie die Stadt nehmen?«, wollte Adrian wissen. »Ein Sieg an dieser Front würde Cedric zweier wichtiger Verbündeter berauben.«

Schweigen antwortete ihm. Adrian sah auf und musterte jeden der Anwesenden der Reihe nach. »Ich höre?«, bohrte er nach.

Cadir räusperte sich. »Die Stadt ist gut befestigt. Nicht so gut wie andere Städte des Reiches, aber immer noch stark genug, um einer Belagerung eine gewisse Zeit lang standzuhalten. Und Estelles Heer ist begrenzt. Wir konnten ihr nicht so viele Truppen mitgeben, wie zum Sturm auf eine stark befestigte Stadt eigentlich nötig wären. Vielleicht kann sie versprengte Einheiten ihrer eigenen Dorisani-Truppen wieder versammeln und ihrem Heer eingliedern. Doch selbst wenn, wird das eine verdammt knappe Angelegenheit.«

»Wir können uns also nicht darauf verlassen«, fasste Adrian die Worte des Herzogs zusammen.

»Die Unwägbarkeiten des Krieges lassen sich nur selten vorhersagen«, mischte sich Okustus ein.

Adrian stützte sich auf den Tisch und beugte sich vor. »Vielleicht sollten wir ihr beistehen.«

»Davon würde ich abraten, Eure Majestät«, wandte Cadir ein. »Wir müssen drauf vertrauen, dass Estelle die Front in Dorisan unter Kontrolle bringt oder zumindest den Gegner dort auf absehbare Zeit beschäftigt.« Der Herzog deutete auf eine Stadt südlich von ihnen. In geschwungener Schrift stand dort Betriaval zu lesen. »Unsere Spione berichten von einem großen Gardeheer, das zu Cedrics versprengten Truppen bei der Stadt Betriaval gestoßen ist. Es handelte sich um die letzte Stellung des Thronräubers auf dem Boden von Oden-Hasar.« Cadir sah sich in der Runde um. »Wir vermuten, er wird versuchen, unseren Truppen dort aufzulauern. Der Standort eignet sich gut, um eine Feldschlacht zu erzwingen. Und das Gelände begünstigt den Verteidiger. In diesem Fall also Cedric. Marschieren wir nach Dorisan, gibt das Cedric Zeit, seine Stellung zu sichern und auszubauen. Schlimmer noch. Wenn das Heer abrückt, um Estelle zu helfen, könnte Cedric in einem Anfall von Wagemut in einem Gewaltmarsch vorrücken und uns in den Rücken fallen, während wir noch gegen Vistal und Sodon zu Felde ziehen. Im ungünstigsten Fall stehen wir dann zwischen den Mauern von Paragen und Cedrics erstarktem Heer. Diese Gelegenheit dürfen wir ihm nicht geben. Wir müssen an beiden Fronten kämpfen.«

Adrian runzelte die Stirn. »Wenn ich euch recht verstehe, dann lautet euer Vorschlag, gegen Betriaval vorzurücken und Cedric dort zu schlagen.«

»Es wäre ein wichtiger Schritt auf dem Weg nach Tansara«, mischte sich Golan Tarno erstmals ein. »Ein Sieg bei Betriaval würde Cedrics Gardeheer vermutlich sogar das Rückgrat brechen. Von der psychologischen Wirkung will ich noch gar nicht sprechen. Wenn sich das herumspricht, könnten sich weitere noch unentschlossene Teile der regulären königlichen Armee unserer Sache verpflichten. Unter den Soldaten herrscht noch immer ein Gefühl der Verunsicherung. Viele von ihnen wissen nicht, wem sie sich in diesem Kampf anschließen sollen. Andere zögern noch aus Angst vor Cedrics Rache, wenn sie sich unter Eurem Banner vereinigen. Ist die Macht der Garde gebrochen, fällt der Bann. Der Mythos ihrer Unbesiegbarkeit ist seit der Belagerung von Aredus-Celat Geschichte. Sollte es uns gelingen, die Garde bei Betriaval zu zerschlagen, verliert Cedric ein wichtiges Instrument der Unterdrückung.«

Adrian ließ sich die vorgebrachten Argumente durch den Kopf gehen, bevor er aufsah und Cadir eindringlich musterte. »Wie sind wir derzeit aufgestellt?«

»Etwa fünfundzwanzigtausend Mann Infanterie und fünftausend Reiter. Auf dem Marsch nach Tansara könnten sich uns weiter Kräfte anschließen, um unsere Reihen zu füllen. Doch darauf verlassen dürfen wir uns nicht.«

»Und Cedric? Über welche Kräfte verfügt er? Liegen uns in der Hinsicht glaubwürdige Zahlen vor?«

Cadir räusperte. »Die Berichte sind lückenhaft – bestenfalls. Wir glauben jedoch, dass Cedric zwischen zehn- und zwanzigtausend Gardisten versammelt hat. Außerdem eine unbekannte Zahl Kultisten und Goblins. Die Goblins dürften jedoch unser geringstes Problem sein. Seit der Desertion der meisten Clans ist ihre Zahl in Cedrics Gefolge im Schwinden begriffen.«

Adrian schüttelte den Kopf. »Trotzdem dürfen wir sie nicht unterschätzen. Sie sind wild und gefährlich. Egal wie gering ihre Anzahl inzwischen auch sein mag, sie könnten zum Zünglein an der Waage werden.«

Adrians Gedanken arbeiteten fieberhaft. Die anwesenden Würdenträger und Adligen warteten gespannt auf seine Entscheidung. Adrian war sich ihrer abschätzenden Blicke wohl bewusst. Schließlich richtete er sich auf. »Wann können wir aufbrechen?«

Cadir musste nicht lange überlegen. »Wenn wir mit den Vorbereitungen augenblicklich beginnen, in drei Tagen.«

»Dann beginnt mit den Vorbereitungen.«

Die Sonnenkrone, die er in einem Beutel an seiner Seite trug, begann plötzlich heiß zu pulsieren.

Ich muss mit dir sprechen, vernahm er Ariadnes Stimme in seinem Kopf. Es ist dringend.

Die Präsenz der Göttin in seinem Kopf war so stark, dass ihm kurz schwindlig wurde. Er tastete nach der Tischkante und hielt sich angestrengt fest, in der Hoffnung, dass es niemandem auffiel. Sein Blick zuckte umher. Doch niemand schien Anstoß an seinem kurzen Unwohlsein genommen zu haben.

Adrian nickte kurz in die Runde. »Wie gesagt, beginnt bitte mit den Vorbereitungen. In drei Tagen marschieren wir gegen Betriaval.«

Die Mitglieder des Kriegsrates nickten unisono und Adrian verließ eilig das Zelt. Er bemühte sich, es nicht nach einer Flucht aussehen zu lassen. Doch er befürchtete, es gelang ihm nicht völlig.

Was ist?, fragte er in Gedanken.

Agranon, erwiderte die Göttin knapp. Er regt sich. Seine Macht wächst. Die Magie, die er nutzt, ist äußerst stark. Der Kult unterstützt ihn mit eigenen Magiekundigen.

Und was tut er?, wollte Adrian wissen.

Er legt einen Schleier über Betriaval. Agranon will nicht, dass ich etwas sehe.

Hast du eine vage Ahnung, was er vorhat?

Leider nicht, aber es kann sich wieder mal nur um eine Teufelei handeln. Sei vorsichtig. Er plant etwas. Agranon ist ein mächtiger Gegenspieler und in Kriegsangelegenheiten wohl bewandert. Er hat schon Kriege geführt, als die Menschheit noch nicht einmal existierte.

Adrian schluckte. Das ist ja sehr motivierend.

Tut mir leid. Ich würde es dir sagen, wüsste ich mehr.

Das weiß ich.

Sei vorsichtig. Ich bin mir sicher, dass Betriaval eine Falle ist.

Dessen sind wir uns bewusst. Adrian zwang sich zu einem Lächeln, von dem er wusste, es würde über die geistige Verbindung übertragen. Du kennst doch sicher die Binsenweisheit, dass eine Falle, von der man weiß, nur noch halb so gefährlich ist.

Ariadne schnaubte. Wer immer das sagte, ist nie sehenden Auges in eine Falle gelaufen.

Mit diesen Worten verschwand ihre Präsenz aus seinem Kopf. Die Krone an seiner Seite hörte auf zu pulsieren und kehrte zu ihrer normalen Temperatur zurück.

Adrian wanderte durch das Lager zurück zu seinem Zelt. Darellior und Trent folgten ihm. Er spürte ihre Blicke im Hinterkopf. Sie hatten sicherlich bemerkt, dass etwas nicht mit ihm gestimmt hatte, nachdem er aus Cadirs Zelt gestürmt war. Sie kannten ihn jedoch gut genug, um die Sache nicht zu erwähnen. Adrian wusste: Sobald er mit der Göttin in seinem Geist ein stummes Gespräch führte, stand er still und erstarrt in der Gegend herum wie ein Vollidiot. Nur Eingeweihten war bewusst, was in solchen Momenten vor sich ging.

Adrian betrat nachdenklich sein Zelt. Er war so in Gedanken versunken, dass ihn die zwei Hände völlig überraschten, die ihn umarmten. Perplex erstarrte er, bevor er Juliannas zärtliche Berührungen erkannte und sie selig lächelnd in die Arme nahm.

»Ich wollte dich überraschen, doch du warst nicht da«, schalt sie ihn sanft.

Adrian zwang sich zu einem Lächeln angesichts des heiklen Themas. »Cadir rief zu einem Kriegsrat.«

Ihr liebliches Gesicht wurde zusehends ernst. »Schlechte Nachrichten?«

Adrian schürzte die Lippen. »Eigentlich nicht. Cedric sammelt seine Kräfte. In drei Tagen rücken wir ab. Wir ziehen in den Krieg.«

Julianna löste sich von ihm. Durch ihr hauchdünnes Kleid spürte er die Anspannung ihres Körpers. Erst jetzt erkannte er das zerknüllte Stück Papier in ihrer linken Hand. Er maß sie mit strengem Blick und schalt sich in Gedanken einen Dummkopf. Sie war nicht hier, um ihn zu überraschen, sondern weil sie jemanden zum Reden brauchte.

»Dein Vater?«, meinte er.

Sie nickte und in ihren Augen schimmerten Tränen. »Er ist wieder in der Hauptstadt. Sie wurde vor einigen Tagen zurückerobert, obwohl man das kaum eine Schlacht nennen konnte.«

Adrian nickte langsam. Nachdem große Teile der königlichen Truppen die Seiten gewechselt hatten und aus dem Kaiserreich abgerückt waren, hatten nur Cedrics Gardisten ihre Stellungen noch behauptet. Und von denen gab es nicht allzu viel im Kaiserreich. Es hatte Juliannas Vater vermutlich keine große Mühe gekostet, die Hauptstadt einzunehmen.

»Das sind doch gute Nachrichten«, erwiderte er, wohl wissend, dass dies wohl nicht die einzigen Nachrichten waren, die sie von ihm erhalten hatte.

»Er hat mich dazu aufgefordert zurückzukehren. Sollte ich mich weigern, darf ich nie wieder in die Heimat. Es gefällt ihm nicht, dass ich auf deiner Seite kämpfe.«

Adrian runzelte die Stirn. »Das kann er nicht tun.«

Sie schnaubte. »Er kann. Und er wird. Mein Vater ist … recht schwierig. Meine Mutter wirkte immer mäßigend auf ihn ein, doch damit ist seit ihrem Tod Schluss. Der jahrelange Krieg und der Verlust der Hauptstadt haben unser Verhältnis zueinander nicht gebessert.«

Adrian nahm sie an den Schultern und zwang sie, ihn anzusehen. Einzelne Tränen rannen über ihre Wangen. »Er ist doch immer noch dein Vater.«

Sie lächelte wehmütig. »Wenn es doch nur so einfach wäre! Für ihn stehe ich jetzt auf der Seite des Feindes.« Adrian wollte protestieren, doch Julianna schüttelte den Kopf. »Dass wir gemeinsam Cedric bekämpfen, spielt keine Rolle. Du bist ein Hasteriani. Nur das allein zählt für ihn.«

Adrian schloss den Mund und überlegte fieberhaft, bevor er sie erneut musterte. »Falls du gehen willst, würde ich es verstehen. Er ist dein Vater und dies hier ist nicht deine Heimat.«

Sie schluckte und erwiderte eine ganze Weile nichts. Schließlich sah sie zu ihm auf. »Ich habe mich entschieden, an deiner Seite zu stehen. Wenn mein Vater das nicht versteht, dann tut es mir leid für ihn. Aber der wahre Kampf findet hier statt, nicht im Kaiserreich.« Sie stellte sich auf die Zehen und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen. Es geschah so plötzlich, dass Adrian keine Zeit hatte, darauf zu reagieren.

Wärme durchflutete seinen Körper und erinnerte ihn schmerzhaft daran, dass Julianna und er die Nächte nicht gemeinsam verbrachten. Obwohl sie einander sehr zugetan waren, erschien es nicht richtig, ihre Liebe vor dem ganzen Heer auszuleben. Nicht zuletzt deshalb, weil Julianna eine kaiserliche Prinzessin war. Viele im Lager behandelten sie zwar mit größtem Respekt, sahen in ihr jedoch weiterhin ein Symbol des einstigen Feindes. Adrian hatte dies zu respektieren. Es würde Zeit brauchen, die Wunden zu heilen, die Cedrics unprovozierter Angriffskrieg geschlagen hatte. Diese räumliche Trennung schmerzte. Es handelte sich um eines der Opfer, die ein zukünftiger König wohl erbringen musste.

Er wusste im ersten Augenblick nichts darauf zu erwidern. Doch dann lächelte er und sagte nur ein Wort: »Danke.«

»Ich gab dir mein Wort, dass wir gemeinsam dafür sorgen, all dies enden zu lassen.« Sie blickte ihn aus strahlenden Augen an und zwinkerte ihm neckisch zu. »Und außerdem, wenn ich nicht da bin, wer hält dich dann aus Schwierigkeiten raus?«

Adrian schnaubte. »Ich glaube, da würden sich durchaus ein oder zwei Freiwillige finden.«

Der Pfeil verfehlte das Ziel um gut einen Meter. Dreigan ließ den Bogen sinken und versuchte, das hämische Gelächter hinter sich zu ignorieren.

»Wie konntest du als Söldner so lange überleben, ohne mit dem Bogen umzugehen?«, feixte Lilith.

»Ich verlasse mich lieber auf das Schwert«, erwiderte er leicht genervt. Doch dann lachte auch er. Der Pfeil steckte gut zehn Meter hinter dem Ziel im Boden. »Auch wenn ich zugebe, dass es seine Vorteile hat, mit dem Bogen umgehen zu können.« Er legte die Waffe beiseite, nahm sein Schwert auf und gürtete es sich um. Lilith betrachtete den Vorgang missbilligend.

»Darf ich fragen, was du da machst?«

Dreigan zuckte die Achseln. »Sehen wir es realistisch. Aus mir wird nie ein geübter Bogenschütze.« Er klopfte kurz auf das Schwert, das wieder an seiner Seite hing. »Da ist mir einfach guter Stahl tausendmal lieber.«

Sie schnaubte. »Bis du einem Gegner mit Bogen gegenüberstehst.«

Er verbeugte sich spöttisch. »Meine edle Dame, dafür gibt es Schilde.«

Sie lachte kurz auf. Gegen seinen Willen wurde Dreigans Lächeln breiter. Der Laut war ungemein melodisch. Er wollte noch etwas sagen, doch eine Bewegung zu seiner Linken nahm seine Aufmerksamkeit in Anspruch.

Adrian und Julianna verließen das Zelt des Königs. Beide bemühten sich um eine neutrale Mimik, doch das misslang völlig. Ihnen war deutlich die gegenseitige Zuneigung anzusehen. Sie gingen nicht Hand in Hand, doch ihre Finger berührten sich mehrmals wie zufällig. Zu oft, als dass es sich wirklich um ein Versehen handeln könnte.

Lilith trat an seine Seite und Dreigan lachte leise. »Ich frage mich, warum sie nicht endlich zusammen ins Bett gehen und es hinter sich bringen. Warum quälen sie sich so? Hier weiß doch sowieso jeder Bescheid. Teufel auch, ich wusste es sogar noch vor den beiden.«

Lilith schürzte die Lippen. »Das Ganze ist nicht so einfach. Adrian hat eine besondere Auffassung von Pflichtgefühl. Er will nicht, dass man denkt, er geht mit dem Feind ins Bett.«

Dreigan runzelte die Stirn. »Julianna ist nicht der Feind.«

»Ihr Vater schon.«

Dreigan winkte ab. »Der Krieg an dieser Front ist so gut wie beendet.«

Lilith schüttelte den Kopf. »Die Kämpfe mögen vorläufig beendet sein, doch das heißt nicht, der Krieg wäre es auch. Das wird noch eine große Kraftanstrengung werden. Sobald wir mit Cedric und Hestal fertig sind.« Sie seufzte schwermütig. »Liebe ist eben manchmal komplizierter, als sie sein müsste.«

Dreigan vermied es bei ihren Worten absichtlich, ihr einen langen Blick zuzuwerfen. Inzwischen war ihm klar, dass sie nicht von Adrian und Julianna sprach. Während der Belagerung von Seelding war sie dem Verräter Reval nähergekommen. Liebe war es nicht gewesen – noch nicht. Doch das Potenzial hatte durchaus bestanden. Seine Entlarvung hatte nicht nur in Darellior eine schwelende Wunde hinterlassen.

Dreigan schwieg in Ermangelung passender Worte. Es gab ohnehin nichts, was er erwidern konnte. Galeds Ankunft rettete ihn vor einem peinlich werdenden Moment. Der ehemalige Lanzenreiter wirkte imposant in seiner Rüstung und der Mann ging in seiner neuen Rolle als Ritter des Königs auf. Galed war für das Militär geboren worden. Man konnte ihn sich nicht anders vorstellen als an der Spitze einer Truppe königlicher Soldaten.

Dreigan und Lilith sahen das anders. Ihre Rüstungen befanden sich meistens in ihren Zelten. Sie trugen sie lediglich bei offiziellen Anlässen, bei der Führung ihrer Soldaten oder wenn ihre Autorität als Ritter zum Tragen kommen musste. Dreigan wusste nicht, wie es der Bogenschützin erging, doch er empfand das eiserne Gewand ansonsten als höchst unbequem und eher störend.

Galed ließ seinen Hengst Sturmfeuer langsam in die Mitte seiner Freunde traben und stieg schwungvoll ab. Er lächelte und sein Schnurrbart tanzte dabei.

»Na? Verbringen wir unsere freie Zeit mit dem sinnlosen Unterfangen, aus dem da einen brauchbaren Bogenschützen zu machen?« Er deutete gespielt abfällig auf Dreigan.

Dieser rümpfte die Nase.

»Nur dass du es weißt, ich werde besser.«

Lilith lachte. »Ja, er trifft inzwischen wenigstens das Feld hinter dem Ziel.«

»Na dann macht er ja Fortschritte«, antwortete Galed flapsig. Doch Dreigan entging nicht, wie sich unvermittelt Sorgenfalten über dessen Augenbrauen bildeten.

»Ist irgendwas?«

Galed musterte seine beiden Freunde einen langen Augenblick lang, bevor er antwortete. »Habt ihr es noch nicht gehört?«

Dreigan und Lilith wechselten einen verständnislosen Blick, bevor sie unisono den Kopf schüttelten.

Galed holte tief Luft. »Begebt euch besser zu euren Leuten und bringt sie auf Trab. Es geht los. Man hat es heute Morgen im Kriegsrat entschieden. In drei Tagen marschieren wir auf Tansara.«