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T. Stern

A Fate of Barking & Yowling





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Titel

 

 

 

 

T. Stern

Widmung

 

 

 

In loving Memorie of Dave

Handlung

 

Kian Taylor ist Polizeiermittler und führt, könnte man meinen, ein normales Leben. In Wahrheit aber ist es ein instabiles Geflecht aus Trug und Schein, denn er ist ein „gesplitteter Gestaltwandler“. Damit nicht genug, er bekommt – nachdem er unzählige Vorgänger erfolgreich vergraulen konnte – einen neuen Partner an die Seite. Dario Garcia. Der stellt nicht nur Kians Geduld auf harte Proben, sondern auch sein Leben auf den Kopf.

Mit Engelszungen und dennoch harter Hand fügt Dario, selbst ein Wandler, wieder zusammen, was einst zerrissen wurde.

Kian lernt seine animalische Seite wieder zu lieben und sogar Dario Stück für Stück immer weiter zu vertrauen.

Als sich herausstellt, dass Dario nicht ist, was er vorgab zu sein, erlischt Kians Vertrauen und ihre Wege trennen sich … aber aus einem ganz anderen Grund, kann der Schäferhund den Fuchs nicht vergessen.

Das Schicksal hat entschieden und beugt sich auch nicht vor einem starrsinnigen Officer Wuff.

Vorwort

 

Mit Dario und Kian in „A Fate of Barking and Yowling“ geht es weiter. Dies ist der zweite Band der "A Fate of"-Reihe. Diesmal sogar mit deutlich weniger Drama … glaube ich. Nach wie vor natürlich unter dem königlichen Banner der Fantasy, denn auch Dario und Kian sind Formwandler. Kian – auch genannt Officer Wuff – ist den Lesern von Band sicherlich bekannt. Hier erhält er seine eigene Geschichte, mit der man vielleicht nicht wirklich in diesem Ausmaß gerechnet hat. Ich übrigens auch nicht.

Ich wünsche euch viel Lesevergnügen, Spaß und Freude mit Dario und Kian und mache mich nun langsam wieder an die Arbeit, damit Band 3 nicht allzu lange auf sich warten lässt.

Danksagung

Tausend Dank an meinen Mann, ebenso an treue Freunde, meine Katzen & meiner Kaffeemaschine. ^^

 

Zutiefst herzlicher Dank an die Test & Betagruppe: Diana, Petra, Tirsi, Traude, Bettina, Anke, Manuela, Nakia und Tanja - fühlt euch bitte ganz doll gedrückt. Habt vielen Dank für eure Zeit, euer Engagement, eure Worte, Lob und anregende Kritik, viele Lacher und noch mehr wunderschöne Momente.

Diesmal gilt mein aufrichtiger Dank wieder der wunderbaren, liebevoll verrückten „Traude Promont“, die sich erneut meiner Vergechaoskaterisierung der deutschen Sprache stellte, Sätze entwirrte, Fehler dezimierte und Kommas verprügelte. (← und mich manchmal auch :D )

Sollten es dennoch Fehler ins Buch geschafft haben, so sind diese mein Verschulden.

 

Und wie eh und je lieber Leser natürlich dir, für deine Unterstützung. <3

Prolog

 

„Taylor! Schwing deinen verdammten Arsch sofort in mein Büro!“

Liebreizend, wie eine auf volle Stufe eingestellte Kettensäge, schrillt die zärtliche Stimme durch den ganzen Büropart des Dezernats. Die erzeugte Schallwelle lässt mich beinahe rücklings mit meinem Drehstuhl gegen die Wand klatschen.

Um mich herum herrscht augenblicklich eine Totenstille, klingelt irgendwo ein Telefon, welches sofort durch Abheben des Hörers und wieder auflegen des selbigen, zum Schweigen gebracht wird.

Das Schnauben aus dem Hauptbüro ist bis hierher zu hören und gleicht dem eines Teufels mit Asthma. Nichts gegen Asthmatiker, ich weiß, dass jene den Mist auch nicht freiwillig bei der Geburt eingesackt haben, weil besser haben als wollen … oder so.

„Du hast es so was von verkackt, Kian!“, grummelt mein Kollege mir leise zu und ich wage den Blick in seine Richtung.

Nun … well … ja. Da könnte was dran sein. Ich glaube, diesmal war ich wirklich etwas … nennen wir es ‚hart‘.

„Diesmal reißt sie dir den Arsch auf und steckt dir ihren preisgekrönten Kaktus ganz tief rein.“

Das Dumme ist, damit könnte er sogar recht haben. Nun, ich bestätige seine Vermutung jetzt nicht, halte die Klappe, versuche innerlich irgendwie mit meinem bevorstehenden Ende klarzukommen.

„Der Wievielte war es? Der Siebte? Achte?“

Ich grummle. Hallo? Es war der Neunte! Ein bisschen kleinlich bin ich da ja doch!

„Dieses Jahr der Neunte. Die zwölf vom letzten Jahr erwähnen wir nicht. Da war es im Monat je einer. Wir haben gerade mal Mai und es sind schon neun.“

Imposante Worte. Mein Ego fühlt sich gebauchpinselt.

Das ist mein heimliches Hobby. Neulinge vergraulen. Kann ich recht gut, wie man an der gerade genannten Statistik sieht. Und dabei mache ich echt nie was Schlimmes.

Diese ganzen Neulinge haben einfach die Mentalität von Weicheiern oder angehenden Psychopathen.

Der eine heult sofort los, wenn man ihm sagt, dass er todsicher erschossen worden wäre, wenn er so im echten Einsatz gehandelt hätte.

Der Nächste gibt einen Scheiß auf Gut und Böse und ballert einfach alles ab, um dann zu fragen, ob der Verdächtige dabei war.

Wieso manche davon überhaupt zugelassen wurden, ist für mich ein gottverfluchtes Rätsel!

Außerdem habe ich mehr als einmal deutlich klargemacht, dass ich niemand bin, der dafür geeignet ist, diesen Neulingen den Job schmackhaft zu machen.

Seit verfluchten drei Jahren habe ich mich immer wieder erfolgreich gegen einen neuen Partner gewehrt.

Einen Neuen … Richtig. Das heißt, ich hatte schon mal einen. Und da liegt der Knackpunkt: Hatte!

Mein Name ist Kian Taylor, ich bin Ermittler im sechsten Dezernat dieser verdammten Stadt und mit meinen vierunddreißig Jahren eigentlich in der Blüte meiner Karriere. Naja, mehr oder weniger.

Die Blüte hatte ich schon mit achtundzwanzig, als ich meinen damaligen Partner, den vierzigjährigen Jason Lee, kennenlernen durfte. Ich wurde ihm an die Seite gestellt und lernte von ihm alles, was ich heute weiß. Er hat mich geformt. Vielleicht nicht zwingend zu einem einfachen Menschen, aber definitiv zu einem verdammt guten Ermittler.

Nun, man muss dazu sagen, dass ich nicht einfach nur Polizist bin. Ich bin ein Formwandler. Meine animalische Seite ist die eines erfolgreichen Schnüfflers, Drogen- und Sprenghund. Richtig. Hund. Schäferhund, um genau zu sein. Polizeihund.

Jason legte viel Wert darauf, dass ich nicht nur meine animalische Seite trainiere, sondern auch die menschliche. Und so habe ich mich über die Jahre als Polizist behauptet. Animalisch und menschlich.

Es blieb leider nicht aus und … meine Faszination für Jason wuchs über diverse Grenzen hinaus. Er ertrug es, machte mir nie einen Vorwurf daraus. Aber er verschmähte mich. Schließlich hatte er Frau und Kinder.

Genau deshalb endete unsere Zusammenarbeit auch ziemlich abrupt. Gut, eigentlich wegen etwas Anderem, aber unter anderem war seine Familie mit ein Beweggrund, warum er mich ‚verlassen‘ hat.

Ich habe es verstanden und verstehe es heute noch … aber ich habe es nie gutgeheißen, geschweige denn, mich je damit abgefunden oder es akzeptiert.

So hat wohl jeder seine Eigenart mit gewissen Dingen umzugehen.

Das Resultat aus diesem Vorfall … ist meine seit drei Jahren anhaltende Einigelung. Ich weigere mich, einen neuen Partner an die Seite gestellt zu bekommen. Weder als Mensch harmoniere ich mit jemand Neuem, noch als Tier. Als Letzteres übrigens definitiv nicht.

Nun, da solo keine Option für einen Cop ist, versucht meine Chefin, die eigentlich echt wunderbare Scarlett Jackson, mich seit geraumer Zeit wieder ‚unter die Haube‘ zu bringen. Wie man den vorhin erwähnten Gesprächsfetzen und meinem gerade getätigten Geständnis entnehmen kann: erfolglos.

Weder erfahrene Cops lass ich in meiner Nähe zu, noch die Neulinge scheinen geeignet, mich aus meiner Egoistenkapsel zu zerren.

Ich kann und will nie wieder einen Partner verlieren. Zwar lebt Jason und ich hätte ihn nicht so knallhart verlieren müssen, wie ich es getan habe, denn nachdem er weg war habe ich versucht, ihn rigoros aus meinem Leben zu streichen – aus auch anderen Gründen, die ich hier nicht benennen möchte – aber dennoch ist … ach, keine Ahnung. Es ist kompliziert.

Vielleicht ist es ein wenig der sensible Hund, der sich getreten und verlassen fühlte, was dazu führte, dass ich mich einfach nicht mehr öffnen möchte.

Seither mache ich meiner Chefin das Leben eher zur Hölle, indem ich ihr pausenlos halbe Herzinfarkte beschere und generell gerne über die Stränge schlage.

Warum sie das duldet?

Ich bin ein verdammt guter Ermittler … und mit eine der besten Schnüffelnasen des ganzen Landes.

Irgendwo muss man wohl immer Abstriche machen.

Entweder man kann sich mit diesem Titel rühmen, die beste Schnüffelnase im Präsidium zu haben, oder aber man wählt den ruhigen und einfachen Weg … ohne mich.

Was mich unweigerlich zu dem zurückführt, was nun ansteht. Ehe die gute, arme Frau noch mal ihre Qualitäten als angehende Sängerin einer Heavy-Metal-Band unter Beweis stellt, sollte ich mich gegebenenfalls dazu herablassen, ihrem Ruf zu folgen.

Sonst reißt sie mir wirklich noch den Arsch auf und ich mache Bekanntschaft mit ihrem preisgekrönten Kaktus. Ohne Gleitgel und mit den Stacheln … Prost Mahlzeit.

Seufzend stoße ich mich aus meinem bequemen Sitzmöbel hoch, komme zum Stehen und strecke mich ausgiebig, beobachte meine Umgebung. Die Stille ist gewichen, aber irgendwie ist es immer noch verdammt ruhig. Vereinzelt gehen die Männer und Frauen an ihren Schreibtischen ihrer Arbeit nach, einige haben sich zusammengerafft und führen eine Unterhaltung, ein paar streiten mit der Kaffeemaschine, die mal wieder streikt. Tut sie immer. Aber solange sie noch Kaffee macht, heißt es, brauchen wir keine Neue. Wenn ich mein Kollegium so betrachte, wird wie überall am falschen Ende gespart.

Ein stechender Blick reißt mich aus meiner kleinen Trance und ich kann nicht verhindern, rein aus Instinkt, mit meinen Augen den Ursprung zu lokalisieren.

Scarlett Jackson.

Verständnisvolle, aber gerade extrem gereizte Chefin. Sie steht im Türrahmen ihres Büros, einem Glaskasten, wenn mich einer fragt – was natürlich keiner macht, und sieht mich in einer absurden Mischung aus Geduld, prüfend und vorwurfsvoll, an.

Ist ja gut. Ich habe es verstanden.

Der getretene Hund schleicht dann mal in die Höhle des Löwen und holt sich die Spezialbehandlung mit dem Kaktus ab.

Langsam schreite ich auf sie zu und sie reckt den Kopf, beziehungsweise ihr Kinn immer weiter hoch.

Zwar reicht sie mir gerade mal bis zur Brust, aber unterschätzen sollte man sie nicht. Der ein oder andere Außenstehende hat es schon getan und erlebte die bittere Erkenntnis, dass man Scarlett besser niemals-nie-nicht unterschätzen sollte, sondern eher fürchten muss. Und das nicht wegen ihrer Liebe zu Kakteen.

Vor ihr komme ich zum Stehen und übe mich im Hundeblick. Vielleicht kann ich den Anschiss etwas eindämmen. Habe zwar keine Hoffnung, dass es klappt, aber … der Versuch zählt.

„Komm rein!“, fordert sie mich rau auf und tritt beiseite, gewährt mir also den Eintritt und ich spüre beinahe, wie mit jedem Schritt die Sicherheit der Gemeinschaft außerhalb des Glaskastens weicht. Ich bin auf mich alleine gestellt. Da fällt mir spontan ein, ich sollte das mit meinem Testament endlich mal regeln. Gerade in solchen Situationen ist es immer beruhigend zu wissen, dass niemand Unerwünschtes nach meinem Ableben in meinen Sachen wühlt.

„Setz dich!“, kommt es ebenso fest und ich gehorche. Da kommt der innere Hund durch.

Als auch sie ihren Platz auf der anderen Seite des imposanten, massiven Schreibtischs aus Schwarznussholz einnimmt, mache ich, was ich zu gerne mache, wenn ich hier sein muss. Ist ja nicht das erste Mal, dass ich hier bin. Ist ja schon regelmäßig. Meistens dann, wenn mal wieder einer gegangen ist. Aus unerfindlichen Gründen. Ganz fasziniert mustere ich die Maserung des Holzes und bemerke wieder mal, wie schön diese doch eigentlich ist.

Erstaunlich, was unsere Natur so für Wunder hervorbringt, die dem menschlichen Auge einfach verborgen bleiben.

„Ich mache es kurz und schmerzlos, Kian.“

Oh oh. Wenn sie meinen Vornamen benutzt … wird es persönlich. Und damit verbunden … unangenehm.

Mein Gehirn läuft auf Hochtouren, wie kann ich mich hier jetzt am besten aus der Affäre ziehen?

„Ich werde dir einen Partner zur Seite stellen. Und es ist mir latent scheißegal, ob du dich damit abfinden willst oder nicht! Diesmal wirst du mit ihm zusammenarbeiten!“

Empört schnappe ich nach Luft und fühle mich wirklich so, als würde sie mir die entsicherte Knarre gerade auf die Brust drücken.

Gut, das hat sie schon oft gesagt, aber in ihrem Blick liegt heute etwas … Unanfechtbares.

Sie scheut nicht, meinem Gesicht den stillen Protest abzulesen und natürlich lässt sie das nicht auf sich sitzen.

„Ich habe wirklich lange genug Verständnis aufgebracht und ebenso habe ich lange genug all deine Marotten gedeckt. Ich weiß, du bist einer der besten Schnüffler, zugleich auch ein verdammt guter Ermittler. Dich zu verlieren, wäre ein erheblicher Verlust. Aber mit ist das alles den Stress nicht mehr Wert, Kian! Jason ist seit drei Jahren weg und er wird nie wieder kommen. Dass du ihn so vehement aus deinem Leben geblockt hast, war und ist deine Entscheidung gewesen. Es hätte nicht so sein müssen. Und das weißt du! Mach diese unschuldigen Kerle nicht dafür verantwortlich, dass dein menschlicher Stolz deinem Hund das Herz gebrochen hat!“

Autsch! So hat sie noch nie mit mir gesprochen. Ich bin … schockiert. Ihre Argumente treffen irgendwas in mir und lassen mich echt die Klappe halten. Ungewöhnlich für mich.

„Ich setze dir hiermit ein letztes Ultimatum, Kian!“

Ein Letztes? Ich meine, sie hat schon oft gesagt, es wäre die letzte Chance. Aber diesmal klingt es gewichtiger. Der Nachdruck verpasst mir Schläge in den Magen.

„Versaust du es mit ihm, vergraulst du ihn – war es das mit deiner aktiven Karriere im Außendienst. Du wirst den Rest deines Lebens bis zur Pension, im Innendienst bleiben. Schön an einem Schreibtisch versauern. Dafür werde ich sorgen, Kian!“

Droht sie mir gerade? Verdammt! Sie droht mir wirklich! Und zwar mit einem Versprechen.

Gerade gibt es eine Premiere, meine Damen und Herren. Man erlebt mich … mundtot.

„Und wenn dir das nicht genügt … kommt der Hund an die Leine, trägt Maulkorb und wird kastriert!“

Panisch weiten sich meine Augen und ich starre sie an. In meinem Kopf überschlagen sich die Gedanken und ich erkenne meine ausweglose Lage.

„Hast du das verstanden?“ Eine rhetorische Frage. Sie akzeptiert nur ein ehrliches Ja. Alles andere würde zur sofortigen Kastration führen. Mit einem Brieföffner wahrscheinlich.

„Ja, Chief.“ Wie kleinlaut ich sein kann … erschreckend. Ich verfalle in einen Zustand von Lethargie. Alles was sie sagte, stimmt und damit muss ich erst einmal wieder auf eine Stufe kommen. Man kann nicht vor jeder Wahrheit ewig weglaufen. Auch, wenn das vieles deutlich einfacher macht.

Als Mensch verstehe ich Jasons Beweggründe und nehme es ihm nicht übel, dass er sich gegen die Arbeit und gegen mich entschieden hat. Aber der Hund in mir, diese treue Seele, die sich gebunden hat, blind vertraute und liebte … wurde einfach zurückgelassen und kommt damit einfach nicht klar. Egal, wie oft der Mensch es ihm erklärt hat.

Seit drei Jahren wirke ich nach außen so rau und unnahbar, so eiskalt und abweisend. Jedem gegenüber. Mein Ruf als knallharter Bulle eilt mir voraus.

Seit Jason weg ist, habe ich den Hund kaum noch unter Kontrolle. Daher habe ich mich mehr auf den Menschen versteift und den Hund gewaltig unterdrückt. Gerade aber ist genau mein innerer Hund es, der lauthals heult und seinen Herzschmerz kundgibt.

„Kian, bitte. Versprich mir, dass du dir diesmal wirklich Mühe gibst. Es ist doch auch zu deiner Sicherheit. So ungern du das hören willst. Er hat wirklich Potenzial. Zerstöre das nicht auch noch.“

Ich hebe den Blick, sehe Scarlett an und grummle: „War es das? Kann ich gehen?“

„Kian!“, knurrt sie mich an und ich verdrehe genervt die Augen.

„Ich bemühe mich.“ Ja. Ich lenke ein. Zwar nicht mit ehrlichem Hintergrund, aber ich habe keine Lust, eine sinnlose Diskussion zu führen. Ich habe so schon nie Lust auf Diskussionen.

„Kann ich jetzt zurück an die Arbeit?“, frage ich eher anstandshalber.

„Ja. In einer Stunde kommt dein neuer Partner. Ich schicke ihn dann zu dir.“

Ja … Hauptsache sie hat das letzte Wort.

 

1. Kian

 

Halb genervt, halb in meinen Gedanken verloren, werfe ich einen prüfenden Blick auf die Uhr.

Wenn der Typ pünktlich ist, müsste er in gut zwanzig Minuten hier aufschlagen. Man erscheint ja lieber immer etwas früher als zu spät. Vor allem, am ersten Tag. Wobei … wenn er schon eine Zusage hat, für Scarlett feststeht, dass er mein neuer Partner werden soll, dann muss er schon mal hier gewesen sein.

Sie macht sich immer zuerst ein persönliches Bild von jemandem und geht nicht nach Akten und niedergeschriebenen Worten.

Ich kann mich aber nicht erinnern, jemanden gesehen zu haben, der dafür infrage kommen könnte.

Vielleicht war ich auch einfach nicht da, als der Kerl hier war. Mein Spezialgebiet ist und bleibt der Außendienst. Nur im Büro schiebe ich auf Dauer Frust. Nun, vielleicht muss ich mich genau darauf einstellen. Wenn Scarlett ihre Drohung ernst meint, dann sollte ich jetzt echt Brainstorming betreiben.

In zwanzig Minuten offenbart sich mir die Visage, die ich hassen werde. Aus Gründen. Zeigen darf ich es nicht. Ich darf es die Person besser nicht mal fühlen lassen.

Verdammt!

Was soll ich denn machen? Ich will keinen neuen Partner. Mittlerweile will ich ja nicht mal mehr meinen alten Partner zurück! Die Zeit hat mich gelehrt, wunderbar zurechtzukommen, auch ohne Rückhalt. Dass ich bisher, trotz stetiger Alleingänge, nicht verletzt wurde, spricht doch wohl dafür.

Also, es spricht für mich und meine Fähigkeit, durchaus selbstständig agieren zu können. Ich brauche niemanden, der mir pausenlos am Arsch klebt, mir im Weg steht, nervt und dauernd alles anders macht.

Knurrend ziehe ich eine ernste Grimasse und spiele mit dem Bleistift zwischen meinen Fingern, ehe ich die Minenspitze in einem kontinuierlichen Takt, immer wieder auf den vor mir liegenden Block klopfen lasse.

„Alter, Kian!“, faucht es einen Tisch weiter, grummle ich nur und werfe einen Killerblick zur Seite. Leider muss ich erkennen, dass mein Kollege genau das erwartet hat, weswegen er mir keine Aufmerksamkeit seiner Augen schenkt. Wenigstens gedanklich scheine ich ihn so zu beschäftigen … na, eher zu nerven, dass er mich nicht ignorieren kann.

„Es ist das eine, wenn du genervt bist, aber unterlasse doch bitte uns zu nerven. Wir können schließlich auch nichts für die herrschenden Umstände.“

Murrend schnaube ich die Luft aus, stöhne gereizt und grummle: „Also bin ich schuld?“

Damit schaffe ich es, die volle Aufmerksamkeit meines Kollegen Daniel auf mich zu ziehen. Er dreht den Kopf in meine Richtung und sieht mich aus seinen starren Augen gänzlich regungslos an. Der Kerl ist echt creepy. Dabei läuft es selbst mir immer wieder eiskalt den Rücken runter.

„Das ist eine rhetorische Frage, oder?“

Dieser monotone Klang, mit dem er diese Worte von sich gibt, verpasst mir das Gefühl, binnen weniger Sekunden Tiefkühlerbsen als Gehänge zu haben.

Es ist eher eine dumme Frage. Darüber muss ich mit niemandem unnötig diskutieren, das weiß ich selbst.

„Weißt du, Liebling“, zwitschert es schier verräterisch hinter mir und ich wage einen prüfenden Blick über meine Schulter, überkommt mich der nächste kalte Schauer.

Kein Wunder, hinter mir sitzt nämlich Daniels ältere Schwester Mia – die hat denselben starren Blick drauf, wie ihr kleiner Bruder. Wer ihn sich von wem geklaut hat … ein Bereich für die wildesten Spekulationen.

„Ungeachtet der Tatsache, dass du ein verdammt guter Cop bist, eine noch bessere Schnüffelnase warst. Dein Problem ist, dass du unreif bist. Du benimmst dich wie ein Zwölfjähriger, dem man die Wichsvorlage weggenommen hat.“

Wenn Blicke töten könnten, wäre sie jetzt tot. Und pulverisiert. Würde in kleinsten Staubpartikeln durch die Luft schweben und dafür sorgen, dass andere – nämlich jene, die sich gerade darüber amüsieren – an ihr ersticken würden.

„Dünnes Eis!“, knurre ich ihr entgegen. Sie zieht kokett die Augenbrauen hoch und mustert mich gänzlich unbeeindruckt.

„Wie lange arbeiten wir zusammen in einem Team, Kian?“, säuselt sie so zuckersüß fragend, dass ich alleine vom Klang ihrer Stimme Karies bekomme.

„Viereinhalb Jahre“, gebe ich meine Überlegung kund und sie nickt bestätigend.

„Richtig. Denkst du nicht, in diesen viereinhalb Jahren habe ich gelernt, wie ich dich zügeln kann? Ein bisschen was habe ich vom Umgang von Jason mit dir noch mitbekommen.“

Ich will den Zucker wieder haben! Ich hasse Zitrone in Verbindung mit Salz … noch dazu in offenen Wunden!

„Erwähne diesen Namen nicht“, murmle ich mehr zu mir selbst, als für ihre Ohren bestimmt.

„Du bist verdammt nachtragend und das zu Unrecht. Ich erinnere dich daran, dass er ein Jahr lang versucht hat, den Kontakt zu dir aufrecht zu halten. Muss ich dir sagen, wer sich wie ein bockiger Teenie benommen hat?“

„Ach, der ganze Mist hat doch nichts mit ihm zu tun! Es geht dabei um etwas ganz anderes!“, entgegne ich schroff und verfinstere meinen Gesichtsausdruck, hoffe damit deutlich klarzumachen, dass ich nicht länger über ihn reden will, geschweige denn, dass andere über ihn reden, während ich anwesend bin.

Nachtragend … so nannte Mia es. Und damit hat sie recht. Ich habe das Recht nachtragend zu sein! Denn er hat mich im Stich gelassen! Obwohl er wusste, was …

Noch ehe der Gedanke sich in meinem Kopf zu Ende formt, reißt mich aufkommender Tumult ins Hier und Jetzt zurück.

Nahe dem Eingang zu unserem Bürokomplex tut sich etwas. Mehrere Personen steuern auf die Tür zu, die just in diesem Moment geöffnet wird. Ich lausche und hoffe Gesprächsfetzen aufschnappen zu können. Kann ich auch.

Allerdings höre ich nur Jacob, unseren Teamkollegen, reden. Wer auch immer bei ihm ist, scheint nicht mal zu Wort zu kommen.

„Ist er das?“, vernehme ich Kates Stimme, die sich dichter zu Mia gebeugt hat. Ich erkenne die auf den eingetretenen Personen lastenden Blicke aller um mich herum, fühle mich deplatziert, denn ich bin der Einzige, der nicht das Bedürfnis verspürt hinzusehen.

„Ist das ein süßer Schnuckel“, trällert Emma und rückt ebenso zu den beiden Damen, die sich schon hinter mir versammelt haben.

Will ich wissen, was für ein Modepüppchen da gerade eingetreten ist und bei meinen Kolleginnen für feuchte Schlüpper sorgt?

Leise stöhne ich und verdrehe die Augen, riskiere einen Blick zu Daniel, muss aber feststellen, dass auch er gebannt auf das Spektakel starrt, welches hinter meinem Rücken stattfindet.

Verdammt! Hallo?

Hört auf, mich neugierig zu machen!

Was mich doch dazu verleitet mich hastig umzudrehen, in der stillen Hoffnung einen Blick auf ihn erhaschen zu können, ist die Tatsache, dass ich höre, wie Scarlett ihn begrüßt.

Nämlich ziemlich vertraut klingend!

„Hallo mein Lieber. Schön, dass du hier bist. Komm rein.“

Sie duzt ihn? Sie verpasst ihm einen vertraulichen Kosenamen? Heißt das etwa … sie kennt ihn?

So hastig ich auf meinem Drehstuhl auch herum schnelle, alles was ich zu sehen bekomme, ist die Rückansicht eines Mannes, der von Scarlett, die auch ihm nur schätzungsweise bis zur Schulter reicht, ins Büro geschoben wird. Für den Bruchteil einer Sekunde sehe ich … rötliche Haare?

Nun neige ich den Kopf zur Seite und starre auf die Tür, die einfach geschlossen wird.

Hey! Ich wollte ihn sehen!

Ja, gut … hätte ich eher, dann hätte ich … aber ich habe nicht, also konnte ich nicht. Das ist nicht fair!

Mit einem nachdenklichen Murren rücke ich wieder an meinen Schreibtisch und fange erneut an, mit meinem Bleistift zu spielen. Aus Sicherheitsgründen unterlasse ich es aber, mit der Spitze auf den Block zu klopfen. Viel mehr halte ich das Stück Holz zwischen Zeigefinger und Daumen und lasse es flink wippen.

Ein wenig hänge ich dann doch diversen Gedanken an Jason nach.

Man, wir waren ein gutes Team. Er kam mit mir als Mensch klar, zugleich aber wusste er auch, mich als Hund zu kontrollieren. Ich gehorchte seinen Befehlen. Kein Zögern, keine Auflehnung. Seine tiefe, herrische Stimme musste nur ein Wort sagen und ich tat alles, ohne zu hinterfragen. Eben ganz wie ein gehorsamer, gut erzogener Hund es tun muss. Vor allem einer, der im Polizeidienst tätig ist.

Alleine an sein forderndes „Sitz!“ zu denken, beschert mir eine Gänsehaut. Manchmal nutzte er das – ich nannte es immer ‚die Gabe‘ - auch aus, um mich als Mensch unter Kontrolle zu halten.

Ich war noch nie eine einfache Persönlichkeit, was vielen den normalen Umgang mit mir erheblich erschwerte.

Jason aber brauchte oftmals lediglich ein einfaches Wort, um mich gefügig zu machen. Er sprach, selbst wenn ich Mensch war, den Hund in mir an und kontrollierte mich durch meine humane Persönlichkeit hindurch, als animalisches Wesen.

Und wie mein Hund sich an ihn band, tat es auch mein menschliches Ich. Mehr, als es hätte sein sollen.

Vielleicht hat auch mein menschliches Ich ihm nie wirklich verziehen, dass er gegangen ist. So sehr ich mir auch einrede, dass ich es verstehe und es nachvollziehbar war. Ich habe es nie gutgeheißen, geschweige denn wohl auch nie akzeptiert.

Er hat nicht nur meinen inneren Hund im Stich gelassen, sondern auch die Person Kian Taylor.

Ob es unreif ist, so zu denken?

Nein.

Jason hat mich in die Eier getreten – dafür sage ich doch nicht Danke! Eher friert die verdammte Hölle zu!

Ich wedle immer energischer mit dem Stift, versuche, dem in mir aufkommenden Ärger damit Luft zu machen. Die Erfolgschancen sind zwar bemessen gering, aber es ist besser, als gar nichts zu unternehmen, um dem innewohnenden Zorn Einhalt zu gebieten. Würde ich ihn nach außen dringen lassen, wäre es immerhin ein kurzweiliges Spektakel für mein Umfeld. Dem erheiternden Anblick meines hochroten Kopfes, gefolgt von dem aus meinen Ohren schießenden Dampffontänen, würde wohl alsbald eine Explosion folgen, die dem eines Atomreaktors gleichkäme. Keiner würde unbeschadet davonkommen.

Schnaubend ziehe ich die Nase kraus und versuche mich darin, andere Gedanken zu formen, aber genauso gut könnte man einem Kerl – der in einem Puff vor den zehn geilsten nackten Frauen der Welt steht – sagen, er solle aufhören, einen Ständer zu haben.

Es gibt Dinge, die sind nun mal, wie sie sind, werden immer so bleiben wie sie sind, egal wie viele Menschen sich daran stören. Das ist eine der Philosophien des Lebens. Entweder man kommt damit klar … oder man sollte ab und an einfach mal die Fresse halten. Womit siebzig Prozent der Menschheit ein Problem hat, da die meisten sich aus unerfindlichen Gründen zu gerne selbst reden hören.

Das Potenzial und das Ausmaß an maßloser Selbstüberschätzung scheint grenzenlos.

Manchmal ist es so ermüdend ein Mensch zu sein.

Und mit dieser gar sinnvollen Feststellung schaffe ich, worauf ich anscheinend seit meinem neu entdeckten Stiftfetisch hingearbeitet habe. Mit ordentlichem Schwung flutscht mir mein Wedelobjekt durch die Finger und fliegt im hohen Bogen einmal quer durch die Luft. Ich kann gar nicht anders als gebannt und wie in Zeitlupe meinen Blick dem ungewollten Flug Objekt nachschauen zu lassen.

Als ich ausgerechnet bei meinem, heute ohnehin von mir dezent genervten Kollegen Daniel lande, ziehe ich schon mal instinktiv eine Grimasse. Die sich übrigens für immer und ewig in meiner Visage festtackern wird, denn natürlich habe ich heute das Talent der Lebensmüden gebucht, was unweigerlich dazu führt, dass mein armer, armer, armer Kollege frontal getroffen wird. Ich würde jetzt nicht so weit gehen, zu sagen, er erlitt lebensgefährliche Verletzungen, auch wenn der Stift ihn am Kopf traf und mit einem leisen Klappern auf dem Tisch vor ihm zum Liegen kam, aber ich ahne, dass ich derjenige sein könnte, der gegebenenfalls bald lebensgefährliche Verletzungen haben könnte.

Erdolcht mit einem Bleistift. Tot getackert mit einem Tacker – der meist nie tackert. Es könnte auch sein, dass er mit dem Locher blutiges Konfetti aus mir macht. Der funktioniert wenigstens. Es wäre also effektiver als mit dem Tacker. Oder, er will mich ersticken und umwickelt meinen Kopf mit Tesafilm. Den er dazu erst einmal finden müsste, aber … meist taucht lange Vermisstes ja immer dann auf, wenn es anderen schaden kann, dass es auftaucht. Ist eine weitere Philosophie des Lebens, finde ich.

„Kian!“, knurrt es da auch schon und ich räuspere mich verlegen.

„Upsi?“ Rettet mich zwar nicht, aber gut, besser als nichts. Oder?

Eigentlich müsste ich nicht mal hinsehen, um diesen einen gewissen Blick auf mir zu wissen, dennoch kann ich nicht wegsehen, bin gebannt, gefesselt.

Daniel taxiert mich mit diesem einen Blick, den ich vorhin schon ‚genießen‘ durfte, ein Gefühl wie bei einem Unfall. Man weiß es ist falsch hinzusehen, aber man kann nicht wegsehen. Es ist furchtbar.

„Soll ich einen Krankenwagen rufen? Oder gleich das Bestattungsunternehmen?“

Es ist nicht sinnvoll, dass ich meine vorlaute Klappe jetzt nicht halten kann. Aber, er hat es auch nicht anders verdient. Ich hab ihn ja nicht absichtlich mit dem Bleistift getroffen. Da muss er jetzt auch nicht so tun, als hätte ich ihm eine Rakete an die Hirse geklatscht. Es war ein Bleistift. Also, naja, wenn der schon viel kaputt machen kann, dann mache ich mir ernsthafte Gedanken um den einstigen Stahlschädel, der schon als Rammbock herhalten musste. Ja. Ich weiß alles!

Daniel ist … ein bisschen wie seine Schwester Mia. Die wollen mit dem Kopf durch die Wand, selbst wenn neben dran die Tür auf ist. Aber ich sag nichts. Will schließlich überleben.

„Du lebst heute wirklich gefährlich“, grummelt er mir zu und greift nach meinem Bleistift, streckt die Hand in meine Richtung und hält mir mein Schreibwerkzeug entgegen. Was sich dabei auf sein Gesicht legt, wirkt wie eine billige Maske aus Plastik.

Skeptisch ziehe ich eine Augenbraue hoch.

„Ich kenne dich. Ich traue dir nicht von der Wand bis zur Tapete!“, knurre ich ihm entgegen und auf seine Lippen legt sich ein diabolisches Grinsen.

Diese selbstgefällige Visage … sie ist faszinierend, zugleich aber auch so konzipiert, dass man am liebsten mit der Faust reinhauen würde. Pausenlos.

Ich bin ein wirklich menschenfreundlicher Mensch. Ja. Wenn ich das nur oft genug sage, glaube ich es irgendwann vielleicht selbst und kann es nach außen hin auch vorgeben. Überzeugend vorgeben, meine ich damit.

Aus schmalen Augen beobachte ich, wie er auf seinem Drehstuhl näher an meinen Platz rückt, den Stift auf meinen Tisch legt, mir dann ein süffisantes Grinsen zukommen lässt, ehe er in seine Ausgangsposition zurückweicht und weiter arbeitet, als wäre nichts gewesen.

Daniel ist echt ein eigentlich netter Kerl, aber manchmal habe ich das Gefühl, an dem ist auch ein Psychopath verloren gegangen. Zum Fürchten. Irgendwie.

Ganz vorsichtig bewegt sich meine Hand auf meinen Bleistift zu und kaum in Reichweite, schnappt sie zu, wie das Maul eines verhungerten Alligators. Allerdings verbiete ich mir, noch mal damit herumzuspielen. Bei meinem Talent heute, verletze ich sonst echt noch jemanden ernsthaft mit einem simplen, eigentlich ungefährlichen Nutzgegenstand.

„Kian! Der Drucker geht schon wieder nicht! Kannst du kurz nachschauen?“ Emma reißt mich aus meinem Tun des Nichtstuns und ich begrüße diese Abwechslung. Vor allem aber die damit verbundene Möglichkeit, etwas Abstand zwischen Creepy Daniel und mich zu bringen. Heute ist wieder einer dieser schrecklichen Tage, an denen ich ihn nicht so wirklich einschätzen kann.

Schon erhebe ich mich und ohne lange Umschweife trotte ich gemächlichen Schrittes durch den Raum, steuere Emma an, die verzweifelt am Drucker rüttelt.

„Dieses verdammte Ding hasst mich einfach!“, stöhnt sie, sieht mich an und schiebt die Unterlippe etwas vor.

Ich grinse nur, betrachte den Drucker, die auf dem Display blinkende Problemanzeige und mit wenigen Handgriffen geht das Gerät seiner Arbeit wieder nach, zieht das Papier ein und druckt, als wäre nie etwas gewesen.

„Danke, Kian. Du bist einfach mein Retter“, pusht sie mein Ego und greift nach den benötigten Unterlagen, ehe sie sich damit auf den Weg zu ihrem Schreibtisch zurückmacht.

Meine Wenigkeit beschließt, gleich noch Papier aufzufüllen, sonst darf ich in zwanzig Minuten wieder irgendwen retten.

Gerade das Papierfach befüllt, richte ich mich auf und realisiere erst jetzt, dass man von hier aus einen guten Blick in Scarletts Büro hat. Zwar ist es ein Glaskasten, aber die Lamellenjalousien verhindern den direkten Einblick und wahren so die Diskretion unserer Chefin.

Ich sehe sie hinter ihrem noblen Schreibtisch sitzen, total entspannt, nicht so, wie sie sonst immer wirkt, wenn sie solche Gespräche führt. Vor allem, wenn es um Neulinge oder potenzielle Partner für meine Wenigkeit geht, ist jede Form der Entspannung stets lauthals schreiend auf der Flucht.

Es scheint, als käme sie recht gut mit diesem … Typ klar. Zumindest wirkt sie gerade nicht so, als wäre es ihr ein Gräuel, eine Unterhaltung mit ihm zu führen.

Sie lächelt. Und wie sie lächelt.

Von einem bis zum anderen Ohr. Beinahe wirkt es so, als würde sie mit diesem Kerl flirten.

Wie paralysiert starre ich sie an, viel mehr aber eigentlich die Rückansicht des Drehstuhls, in dem der Mann sitzt, den sie als meinen potenziellen Partner angekündigt hat, mit dem sie hier gerade aber auch irgendwie ein wenig zu gut kann. Wie ich finde.

Von ihm erkenne ich nichts. Gar nichts. Die verdammte Rückenlehne dieses beschissenen Stuhls verdeckt einfach alles.

Doch dann kommt Bewegung in die Szenerie. Scarlett zückt eine rote Mappe, öffnet diese und schiebt sie ihrem Gegenüber zu. Dieser greift nach dem Stift, der unmittelbar in seiner Nähe liegt, und scheint den Vertrag zu unterschreiben.

Ich würde ja gerne mit dem Kopf schütteln, aber ich kann es nicht. Anscheinend bin ich erstarrt.

Schwer schlucke ich, beobachte aber weiterhin, was passiert. Scarlett nimmt die rote Mappe entgegen, lächelt wieder und zückt dann eine weitere. Eine Blaue. Jetzt schüttle ich mit dem Kopf. Das kann sie nicht ernst meinen! Ist das ihr verdammter Ernst?

Fassungslos muss ich mit ansehen, wie er auch die Papiere in dieser Mappe unterzeichnet, sie zurück an Scarlett gibt und diese ihm mit einem zufriedenen Nicken die Ausrüstung überreicht, welche ihn nicht nur zu meinem potenziellen Partner macht, sondern auch zu meinem Führer. Ich soll sein Hund werden.

Plötzlich trifft mich Scarletts Blick und ich erkenne deutlich die stille Aufforderung in ihren Augen, nicht sofort auszurasten, sondern die Ruhe zu bewahren, zugleich aber auch einen Tadel, dass ich sie heimlich beobachtet habe.

Grundlegend aber ist mir gerade alles egal, außer der Tatsache, dass sie über meinen Kopf hinweg entschieden hat, dass dieser Kerl nicht nur mein Partner, sondern auch noch mein Hundeführer sein soll!

Ich soll mich ihm fügen! Dabei kenne ich ihn nicht mal! Und alleine, dass Scarlett mir gegenüber so einen Vertrauensbruch begangen hat, ermutigt mich nicht wirklich darin, diesem Kerl eine Chance geben zu wollen, geschweige denn ihn kennenlernen zu wollen.

Enttäuscht, wütend und doch ein wenig aufgebracht setze ich mich in Bewegung und steuere zurück zu meinem Schreibtisch.

Energisch lasse ich mich in meinen Stuhl fallen und kralle mir den Bleistift, spiele damit, doch es endet fatal. Zumindest für den Stift. Denn dieser hält meinen verkrampften Fingern nicht lange stand, sondern zerbirst mit einem Knacken in zwei Teile.

Wütend knirsche ich mit den Zähnen und versuche, die Ruhe zu bewahren. Aber eine tickende Zeitbombe kennt keine Ruhe … sie tickt einfach weiter.