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W.. A. Hary, Art Norman

TEUFELSJÄGER 185-186: Tod im Turm

„Alarm im Tower von London – und das Ende beginnt!“


Nähere Angaben zum Autor und Herausgeber siehe Wikipedia unter Wilfried A. Hary: http://de.wikipedia.org/wiki/Wilfried_A._Hary


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Wichtiger Hinweis

Diese Serie erschien bei Kelter im Jahr 2002 in 20 Bänden und dreht sich rund um Teufelsjäger Mark Tate. Seit Band 21 wird sie hier nahtlos fortgesetzt! Jeder Band (siehe Druckausgaben hier: http://www.hary.li ) ist jederzeit nachbestellbar.

 

TEUFELSJÄGER 185-186

 

W. A. Hary und Art Norman

Tod im Turm

Alarm im Tower von London – und das Ende beginnt!“

 

Es ist ja wirklich nicht das erste Mal, dass ausgerechnet London zum Zentrum des Bösen wird. Und es ist auch nicht das erste Mal, dass der Untergang dieser Stadt droht. Aber diesmal geht es um mehr, denn es geht…

…um das Ende der Welt, wie wir sie kennen!

 

Impressum

Alleinige Urheberrechte an der Serie: Wilfried A. Hary

Copyright Realisierung und Folgekonzept aller Erscheinungsformen (einschließlich eBook, Print und Hörbuch) by www.hary-production.de

ISSN 1614-3329

Copyright dieser Fassung 2018 by www.HARY-PRODUCTION.de

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Coverhintergrund: Anistasius


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Seit drei Tagen ging das nun schon so. Akteneinsicht, Unterschriftsmappen durchforsten, Dokumente gegenzeichnen, zwischendurch Sitzungen mit der Führungsriege, auch mal mit dem Vorstand…

Ganz ehrlich: Tausend Dämonen zu bezwingen konnte nicht aufreibender sein!

Und dann war endgültig Schluss mit lustig. Wir hatten immer nur zwischendurch mal auf der Couch geschlafen, hatten uns frisch gemacht und mussten ja irgendwann einmal die Nase gestrichen voll haben. Aber es musste halt getan werden, was getan werden musste!

Bis der Generalmanager des Harris-Konzerns aufkreuzte und mit einem strahlenden Lächeln Entwarnung gab.

„Das ist einfach großartig, Mrs. Harris, Mr. Tate. Sie haben doch tatsächlich alles aufgearbeitet. Die Verträge mit Übersee müssen jetzt nur noch…“

„Gar nichts müssen sie, zumindest nicht sofort!“, fuhr ihm May ärgerlich dazwischen. „Ich frage mich nun schon seit drei Tagen und drei Nächten, wer hier eigentlich das Sagen hat: Ganz offensichtlich sind Sie das ja, während ich nur die Marionette an der Spitze spiele, wie die Galionsfigur am Bug eines uralten Seglers, die dann auch mal als Rammbock benutzt wird.“

Er gab sich erschrocken.

„Aber, Mrs. Harris, Sie…“

„Schon gut!“ Sie winkte mit beiden Händen ab. „Ja, schon gut, Moretti, ich weiß ja, was Sache ist. So sehr ich diese Arbeit auch verfluche, aber sie ist halt nötig. Viele tausend Arbeitsplätze hängen daran. Der Konzern ist einer von vielen im Haifischbecken der Konzerne. Es heißt fressen oder gefressen werden. Hätte ich mich nicht aufgerafft und als Generalerbin diese Spitze übernommen, wäre es zur Katastrophe für den Konzern gekommen. Sie allein hätten es nicht mehr aufhalten können. Und jetzt sind Sie immer noch derjenige von uns dreien, der die besten Kenntnisse und das meiste Wissen hat. Also müssen wir wohl oder übel gehorchen.“

Moretti, der Mann mit dem italienischen Nachnamen und dem jüdischen Vornamen Ibrahim entspannte sich sichtlich.

„Ich bitte um Verzeihung, Mrs. Harris, falls ich jemals den Eindruck erweckt habe, Ihnen Vorschriften machen zu wollen!“

Ich klopfte ihm beruhigend auf die Schulter.

„Ach was, reicht ja, dass Sie mir ständig Vorschriften machen!“

Er wollte entrüstet aufbegehren:

„Aber, Mr. Tate, ich habe doch nie…“

Ich lachte nur, während May sagte:

„Gut zu wissen, dass wir jetzt erst mal eine Pause machen können. Eigentlich wäre es angebracht, fehlenden Schlaf nachzuholen, aber wie wär‘s, Mark, mal mit was anderem?“

„Was denn zu Beispiel?“, rief ich hoffnungsfroh.

„Ach was, nicht was du wieder meinst, Mark, ich wollte eigentlich vorschlagen, dass wir mal wieder den Tower von London besichtigen könnten. Ein wenig Kultur zur Entspannung oder so.“

Ich runzelte die Stirn und betrachtete sie kritisch.

Tatsächlich, sie meinte es ernst.

Aber dann zuckte ich die Achseln.

„Wieso eigentlich nicht? Das bisschen Bewegung tut uns sowieso gut. Ich würde sogar vorschlagen, wir gehen zu Fuß hin.“

„Nein, das wäre mir jetzt doch zu weit“, entschied sie. „Wir müssen ja nicht gleich übertreiben.“

„Na dann…“


*


Brora stieß ein heiseres Krächzen aus. Etwas stimmte nicht. Die feinen Sinne des Raben registrierten etwas, das er nicht zu deuten wusste. Eine Gefahr?

Wieder krächzte der Rabe. Er schlug mit den gestutzten Flügeln, die ihm ein Entkommen durch die Luft unmöglich machen sollten. Seine Federn sträubten sich leicht. Das Unheimliche schlich durch die Nacht, bedrohlich.

Brora hüpfte zu seinen Gefährten hinüber und weckte sie mit kurzen Lauten. Die fünf anderen Raben, die den Tower bewohnten, hoben die Köpfe. Im gleichen Moment erahnten auch sie die Aura des nahenden Unheils.

Von da an schwiegen sie. Kein Laut drang mehr aus ihren Schnäbeln. In einer stummen Prozession hüpften sie davon. Sie kamen nur langsam voran, dennoch gelang es ihnen, unbemerkt zu entkommen.

Die unsichtbare Macht, die nach ihnen gegriffen hatte, tastete ins Leere. Die machtvollen Energien, von einem nichtmenschlichen Verstand ausgesendet, verströmten nutzlos. Und dennoch hatten sie zumindest ein Ziel erreicht: Der Tower wurde von seinen ständigen Bewohnern freigeräumt.

Und eine uralte Prophezeiung begann sich zu erfüllen…


*


Sergeant Pepper, den seine Kollegen grundsätzlich mit dem Beatles-Song aufzogen, erstarrte förmlich zur sprichwörtlichen Salzsäule. Suchend glitten seine Augen über jene Stelle, an der normalerweise die sechs Raben zu nächtigen pflegten.

Die Stelle war leer!

Die Raben Kala, Brora, Merry, Garvie, Grog und Hectora waren verschwunden!

„Die können nicht weg sein“, murmelte Pepper entsetzt. „Das gibt’s nicht. Die können doch gar nicht fliegen, weil ihre Flügel gestutzt sind…“

Dennoch waren die Raben verschwunden, die boshaftesten Geschöpfe in ganz London und zugleich diejenigen, auf deren Wohlbefinden die Krone höchsten Wert legte. Täglich kümmerte sich ein Tierarzt um ihre Gesundheit, und auch in der Verpflegungsliste der Tower-Mannschaft waren sie aufgeführt und damit zu den einzigen nichtmenschlichen Beamten avanciert, die dem United Kingdom dienten – und das durch ihre bloße Anwesenheit!

Wer die Legende erdacht hatte, wusste heute, weit über neunhundert Jahre nach der Grundsteinlegung des Towers, niemand mehr, desto hartnäckiger hielt sich aber der Glaube, dass der Tower fallen und London zu Grunde gehen werde, wenn die Raben den Tower jemals verließen.

Kein Wunder, dass die Krone weder Kosten noch Mühen scheute, die Raben bei Laune und Gesundheit zu halten, ein Umstand, der die Katze des Chefs der Garde oft genug zur Verzweiflung brachte. Denn die sechs Raben schreckten nicht davor zurück, mit ihren spitzen Schnäbeln auch ihr das Leben zur Hölle zu machen.

Sergeant William Pepper war zu Tode erschrocken. Sicher, hin und wieder geschah es, dass einer der Raben an Altersschwäche starb, wobei die schwarzen Vögel dank guter Pflege stets Rekorde in Sachen Langlebigkeit aufstellten. Den Rekord hielt der in den Siebzigern des vorigen Jahrhunderts gestorbene „James Crow“ mit vierundvierzig Jahren sogar noch heute, aber dass alle sechs Vögel schlagartig spurlos verschwanden, hatte es noch nie gegeben.

Pepper entsann sich der Dienstvorschriften.

Er setzte sich in Bewegung und erreichte mit hängenden Schultern die Wachstube. Dort hockte sein Kollege, der noch keine Ahnung von dem unfassbaren Geschehen hatte.

Pepper ließ sich auf der Schreibtischkante nieder.

„Pete, ich brauche das Diensttelefon.“

Sein Kamerad hob die Brauen.

„Wen willst denn du am frühen Morgen erschrecken?“

„Erschrecken ist das richtige Wort“, murmelte der Sergeant. „Den Generalmajor. Die Raben sind verschwunden.“

Als hätte der Blitz eingeschlagen, sprang Sergeant Crown von seinem Stuhl hoch.

„Du spinnst, Will!“

„Sieh doch mal selber nach, wenn du mir nicht glaubst“, brummte Pepper und wählte.

Sein oberster Chef, der Kommandant des Towers, glaubte ihm nicht.

„Sie sind betrunken, Sergeant!“, fauchte er.

„Keinen Tropfen, Sir“, gab Pepper zurück. „Sie können sich gern selbst an Ort und Stelle davon überzeugen.“

Generalmajor Digby Reaburn, untersetzt, rotgesichtig und normalerweise ein sanft lächelnder, ruhiger Mann, nahm ihn prompt beim Wort und überzeugte sich selber. Als er allerdings von seinem Rundgang zurückkam, war er sehr blass und ziemlich hektisch.

„Die Queen“, keuchte er. „Die Queen muss es sofort erfahren! Die Raben fort! Das, das ist eine Katastrophe…“


*


Von der Katastrophe ahnten die Bürger Londons noch nichts. Sie lebten fröhlich und munter oder weniger fröhlich und munter, je nach Lage der Dinge, in den neuen Tag hinein. Lediglich ein paar Touristen, die die Raben, das Wahrzeichen des Towers, auf Fotos bannen wollten, bemerkten, dass die schwarzen, spektakelnden und boshaften Viecher nicht aufzufinden waren.

Seitens der Towerbesatzung hüllte man sich in Schweigen. Auf Anfragen der Touristen wurde ausweichend oder nur mit Schulterzucken reagiert. Nur sehr guten Beobachtern fiel eine gewisse Gespanntheit und Hektik auf.

Gute Beobachter waren auch May Harris und ich, Mark Tate.

May war es zuerst aufgefallen.

„Wo sind eigentlich die Raben?“, hatte sie plötzlich gefragt.

Ich hatte nur die Achseln gezuckt.

„Vielleicht haben sie heute auch mal endlich frei bekommen, so wie wir?“

Zunächst hatte sie sich tatsächlich damit zufrieden gegeben, genauso wie ich selber. Aber dann meldete sich ihr Hexensinn, wie ein untrüglicher Instinkt, und sie sagte überzeugt:

„Hier stimmt etwas nicht. Ich spüre eine seltsame Schwingung. Sie ist kaum wahrnehmbar, aber irgendetwas ist da. Ich kann es nur undeutlich erkennen. Ob es mit dem Verschwinden der Raben zusammenhängt?“

Ich wehrte mich gegen den Gedanken, der wirklich nichts Gutes verhieß.

„Was sagst du da? Verschwinden der Raben?“

In ihren dunklen Augen glomm es auf.

„Ja, Mark – das Verschwinden der Raben! Hier herrscht Aufregung. Etwas ist nicht in Ordnung. Die Raben sind nicht mehr da. Ich weiß es. Sie haben sich nicht nur verborgen, sie sind fort.“

„Verrückt“, murmelte ich. „Sie können doch nicht fliegen, ihre Schwingen sind gestutzt, damit sie den Tower nicht verlassen können. Außerdem: Weshalb sollten sie das tun? Sie sind hier in guter Pflege.“

„Die Schwingungen“, flüsterte May. „Sie muss damit zu tun haben, nur kann ich nicht erkennen, von wo sie ausgeht und welchen Charakter sie hat. Dazu ist sie momentan zu schwach.“

Ich griff unwillkürlich nach meinem Schavall, den ich immer an der Silberkette vor der Burst hängen hatte. Er hatte die Form eines stilisierten Auges mit Metalleinfassung und einer roten Augenpupille und war ein untrüglicher Gradmesser für schwarzmagische Energien.

Und ich erschrak: Tatsächlich, es gab eine zwar geringe, aber doch deutlich fühlbare Reaktion!

Ein Blick in die Runde, viel aufmerksamer als bisher.

May hatte recht. Ich hatte es einfach nicht wahrhaben wollen. Hier stimmte etwas nicht. Die Stammbesatzung war aufgeregt, obwohl sie alles tat, um die Touristen das nicht spüren zu lassen.

Nur May und ich waren dahinter gekommen, wie es schien.

„Wir können ja mal jemanden von der Tower-Mannschaft befragen“, schlug ich vor.

May Harris schüttelte den Kopf.

„Das wäre sinnlos“, widersprach sie. „Ich habe bereits versucht, ihre Gedanken zu lesen, doch diese sind viel zu chaotisch. Was hier wirklich Bedrohliches geschehen ist, wird man uns mit Sicherheit nicht verraten. Komm, lass uns gehen.“

„Einfach so?“, wunderte ich mich.

Der Tower wird fallen und London zugrunde gehen, wenn die Raben den Tower verlassen!

Wie jeder Brite kannte ich diese Legende, die mir jetzt nicht mehr aus dem Kopf ging.

Aber ich folgte May, die zurück zu ihrem Porsche ging, den wir irgendwo in der Nähe abgestellt hatten. Dabei jedoch rotierte immer wieder dieser Gedanke durch mein Gehirn, und dann wunderte ich mich gar nicht mehr darüber, zu hören, wie May gedankenverloren ebenfalls den Satz vor sich hin murmelte.

Die Raben verschwunden?

Eine Legende, eine Prophezeiung, mehr nicht. Aber konnte nicht doch bittere Wirklichkeit dahinterstecken? May und ich hatten schon genug Dinge erlebt, die andere Menschen als fantastisch und unglaubwürdig abgetan hätten. Schon zu viele Dinge waren Wirklichkeit geworden, die niemand für möglich gehalten hätte, weil sie mit dem menschlichen Verstand nicht zu erfassen und zu erklären waren.

May selbst war etwas Unerklärliches, etwas Fantastisches. Sie war eine weiße Hexe. Nur wenige Leute auf der Welt wussten dies.

Zu ihnen gehörte eben ich selbst, Mark Tate, der ich mindestens tausend Mal im Verlauf der letzten Jahrtausende wiedergeboren worden war. Obwohl ich mich überhaupt nicht mehr an meine vorherigen Leben erinnern konnte, seit ich im sogenannten Daedrareich gewesen war.

May schloss den Porsche auf, stieg auf der Fahrerseite ein und entriegelte von innen die Beifahrertür. Ich ließ mich ebenfalls in den kleinen Wagen gleiten und sah auf die Armbanduhr.

„Eine Stunde haben wir doch wohl noch Zeit“, sagte ich, um May auf andere Gedanken zu bringen. „Was machen wir mit dieser Stunde?“

May sah auf das Lenkrad.

„Ich denke, ich werde noch einkaufen. Ich habe kürzlich in einer Boutique einen Bikini gesehen, der mir gefällt. Vielleicht finden sich da auch noch andere modische Dinge?“

Ich wunderte mich zwar, weil das nicht gerade typisch war für sie, nickte jedoch.

Konnte es sein, dass May alles tat, um nur nicht mit einem Problem konfrontiert zu werden, das sie wieder einmal ziemlich in Anspruch nehmen würde? Und sie nicht allein, sondern auch mich?

Aber irgendwie konnte ich es gut nachvollziehen. Nach den letzten Tagen und Nächten fühlte ich mich innerlich so ausgebrannt, dass ich eigentlich nur noch meine Ruhe haben wollte.

Ob wir die wirklich bekommen würden?

Der Wagen schoss los und fädelte sich in den Verkehr ein, um sich durch den typischen Londoner Verkehr langsam durchzukämpfen.