Inhalt

Die Vorstellung von perfekten Eltern ist absurd. Die besten Eltern, die ein Kind haben kann, sind diejenigen, die Verantwortung für ihre Fehler übernehmen, wenn sie ihnen bewusst werden.

Jesper Juul

In dieser familylab-Schriftenreihe finden Sie zeitlose Gedanken zu Beziehung und Familie von Jesper Juul, und anderen Autoren. Die Überlegungen können Eltern, Lehrern, Mitarbeitern, Menschen in Leitungsfunktionen, wie auch Fachleuten dazu dienen, die Qualität ihrer Beziehungen zu reflektieren und zu modifizieren.

Der Autor

Jesper Juul, 1948 in Dänemark geboren, ist Lehrer, Gruppen- und Familientherapeut, Konfliktberater und Buchautor. Er war bis 2004 Leiter des »Kempler Institute of Scandinavia«, das er 1979 gründete. Mit 16 Jahren fuhr er zur See, jobbte später als Bauarbeiter, Tellerwäscher und Barkeeper. 1972 schloss er sein Studium der Geschichte, Religionspädagogik und europäischen Geistesgeschichte ab. Statt die Lehrerlaufbahn einzuschlagen, nahm er eine Stelle als Heimerzieher und später als Sozialarbeiter an und bildete sich in Holland und den USA bei Walter Kempler zum Familientherapeuten weiter. Seit Anfang der 1990er Jahre arbeitet er in Kroatien mit Flüchtlingsfamilien. Er lebt heute in Dänemark. 2006 gründete er das familylab, das mit Elternkursen und Schulungen in Deutschland, Österreich, der Schweiz und vielen weiteren Ländern aktiv ist. Seine Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt.

Vorwort

Seit vielen Jahren werde ich gebeten, ein Buch über Mütter zu schreiben. Das habe ich immer abgelehnt, einfach aufgrund der Tatsache, dass ich weder eine Frau noch eine Mutter bin und mein Wissen daher bestenfalls aus zweiter Hand stammt.

Andererseits habe ich jetzt so viele Jahre als Therapeut, Berater und Pädagoge mit Frauen und Müttern gearbeitet, und ich habe dadurch ein ziemlich umfassendes Verständnis und Einfühlungsvermögen für Frauen und Mütter entwickelt, so dass ich jetzt beschlossen habe, dass es vielleicht in Ordnung ist, diesen Aufsatz zu schreiben. Meine Inspiration dazu ist die Titelseite des Times-Magazin (May 21, 2012 Anmerk. d. Red.) wo eine Mutter ihren sechs-jährigen Sohn stillt. Und all die Turbulenzen die dieses Cover verursacht hat. Meine wahre Motivation ist jedoch die oft sehr vereinfachte Art und Weise, wie Mütter in den Medien dargestellt werden, und die Erfahrung, dass Frauen und Mütter all die Unterstützung von außen brauchen, die sie nur bekommen können, um ein erfülltes Leben für sich selbst zu schaffen und dadurch so gute Partnerinnen und Mütter zu sein, wie es ihnen möglich ist.

Wenn Sie eine Frau sind, hoffe ich, dass Sie meine Fürsorge und Wertschätzung hinter dem spüren können, was Sie vielleicht als harte oder kritische Aussagen wahrnehmen. Wenn Sie ein Mann sind, ermutige ich Sie, einen ernsthaften Blick auf Ihre eigene Rolle zu werfen und den Einfluss zu sehen, den Sie als Sohn, Liebhaber, Partner und Elternteil haben.

Der Artikel im Times-Magazin konzentriert sich auf „Attachment Parenting“, das wie alle anderen Modelle und Methoden die Tendenz hat, außer Kontrolle zu geraten, wenn es angewendet wird, ohne dass man sich mit den beteiligten Personen auseinandersetzt und sie wirklich erkennt und anerkennt.

Einleitung

Sowohl die sozialökonomischen als auch die politischen Bedingungen für Frauen in den vergangenen Jahrhunderten sind gut bekannt und eingehend analysiert und beschrieben worden. Dieses fast unvorstellbare Ausmaß führte die Frauen der westlichen Welt in den 1960er Jahren in ihren wichtigen politischen Kampf für die Gleichstellung auf allen Ebenen der Gesellschaft und der Familie und hatte auch in anderen Teilen der Welt große Auswirkungen. Der Kampf geht noch immer weiter und das zu Recht.

Weder die Frauenrechtsbewegungen noch die radikaleren feministischen Bewegungen haben besonderes Augenmerk auf die vielen Effekte der Unterdrückung auf individueller und existenzieller Ebene gelegt, doch diese Auswirkungen wurden von vielen Autorinnen und Autoren in Autobiographien, Romanen, Gedichten, Dokumentationen, Filmen und so weiter beschrieben. Die einzelne Frau und ihr Selbstbild wurde vor allem öffentlich diskutiert, wenn Journalisten versuchten, die Gründe dafür zu analysieren, warum sich relativ gesehen so wenig Frauen auf hohe Positionen bewerben, sich also selbst unten und von Macht und Einfluss getrennt halten.

Als Trainer und Psychotherapeut bin ich meistens mit den Schwierigkeiten konfrontiert gewesen, die viele junge Frauen auf einer viel existenzielleren Ebene haben, nämlich wenn es um die Art und Weise geht, wie sie sich zu sich selbst und zu ihren Nächsten und Liebsten – Kindern, Partnern und Eltern – verhalten. Ich habe keinen Zweifel daran, dass dies aufgrund der politischen, sozialen und religiösen Unterdrückung passiert, aber diese Tatsache allein bietet nicht viel mehr als eine gute Erklärung.

Auch wenn einige Elemente des Phänomens, das Frauen und Mütter in der Entfaltung ihres vollen menschlichen und zwischenmenschlichen Potenzials behindert, in einem sozialen und politischen Kontext einfach zu erklären sind, gelten diese auch für Männer, wenn auch aus anderen Gründen, worauf ich später noch zurückkommen werde.

Wie ich bereits erwähnt habe, irritiert es mich oft, wenn ich Beschreibungen von Frauen und Müttern in der Tagespresse und auch in ernsthafteren Medien lese. Der Grund dafür ist, dass sie als isolierte Individuen beschrieben werden, als ob ihr Verhalten und ihre Unzulänglichkeiten eher Persönlichkeitsmerkmale als soziale beziehungsweise systemische Reaktionen wären.