CHRISTIAN DÖRGE (Hrsg.)

 

 

DER WEISSE TOD

- Galaxis Science Fiction, Band 10 -

 

 

 

Erzählungen

 

 

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

Poul Anderson: DIPLOMATIE DER STÄRKE (Enough Rope) 

H. P. Lovecraft: DIE ANDEREN GÖTTER (The Other Gods) 

Neil R. Jones: DER WEISSE TOD (Hermit Of Saturn's Rings) 

Michael Moorcock: DIE SINGENDE ZITADELLE (The Singing Citadel)  

Paul Ernst: KEINE BESONDEREN VORKOMMNISSE (Nothing Happens On The Moon) 

Luigi de Pascalis: DER TURM (Il Mago, La Torre E Il Cavaliere) 

 

Das Buch

 

- Die galaktische Liga verkörpert ungeheure Macht, nur für einen Krieg war man nicht gerüstet, weder materiell noch psychologisch. Dafür jedoch kannte man einige Tricks, die dem Feind die Lust am Erobern gründlich verderben konnten...

- Sie kamen in Wolkenschiffen und spielten auf den höchsten Gipfeln der Berge. Kein Mensch hatte sie je erblickt und überlebt...

- Die Expedition zum Saturn war glatt verlaufen, bis das Schiff in den Nebel geriet, eine weiße Wolke, die sich von organischen Substanzen ernährte...

- Chaos und Ordnung, zwei überirdische Mächte im Wettstreit, und ein Narr, der in Ungnade gefallen war und nun auf der Erde seine Possen trieb...

- Alles verlief normal auf der Mondstation, bis das seltsame Ei vom Himmel fiel, dem ein allesfressendes Ungeheuer entschlüpfte, mit dem Clow Hartigan ganz allein fertig werden muss...

- Der Turm barg ein schreckliches Geheimnis. Unergründliches und Vernunft in ewigem Wettstreit, mit abwechselnd vertauschten Rollen...

 

Die von Christian Dörge zusammengestellte Anthologie Der weiße Tod enthält sechs Erzählungen von Poul Anderson, H. P. Lovecraft, Neil R. Jones, Michael Moorcock, Paul Ernst und Luigi de Pascalis.  

Der weiße Tod erscheint in der Reihe GALAXIS SCIENCE FICTION aus dem Apex-Verlag, in der SF-Pulp-Klassiker als durchgesehene Neuausgaben wiederveröffentlicht werden. 

  Poul Anderson: DIPLOMATIE DER STÄRKE (Enough Rope)

 

 

 

Hurulta, der Arkazhik von Unzuvan, machte seinem Namen alle Ehre. Er war das Prachtexemplar eines männlichen Ulugers, zweieinhalb Meter groß, aber sehr breit gebaut, so dass er kürzer wirkte; er war ein Riese, verglichen mit dem schmächtigen rothaarigen Menschen, der vor ihm stand. Sein Gewand leuchtete in grellen Farben, einer Mischung aus Feuer und Regenbogen, und seine mächtige Stimme brachte die Kristallornamente im Audienzsaal zum Klingen. Doch seine Worte klangen hart und kalt.

»Unser Entschluss steht in dieser Angelegenheit unverrückbar fest«, sagte er schroff. »Wenn die Liga deswegen einen Krieg beginnen will, dann wird es zu ihrem eigenen Schaden sein.«

Wing Alak, Abgesandter der galaktischen Liga-Patrouille von Sol 3, sah zu dem unbehaarten blauen Gesicht auf und lächelte höflich. Die Uluger waren eine humanoide Rasse - sie hatten an jeder Hand sechs Finger, Krallen an den Füßen und spitz auslaufende Ohren. Das übrige fiel wenig ins Gewicht im Vergleich zu der phantastischen Vielfalt anderer intelligenter Lebewesen, die Alaks Zeitgenossen waren. Die Rasse der Uluger machte äußerlich einen etwas primitiven Eindruck - kleiner Kopf, wulstige Augenbrauen, flache Nase und vorspringendes Kinn -, aber sie war ebenso klug wie andere Rassen auch.

Vielleicht sogar ein bisschen zu klug!

»Ich möchte Euer Exzellenz nicht langweilen, aber das Imperium von Unzuvan umfasst nur ein Planetensystem, in dem nur der Planet Ulugan bewohnbar ist, während die galaktische Liga mindestens eine Million Sterne umfasst«, sagte Alak. »Sie werden diese Tatsache sicher bei Ihren Überlegungen berücksichtigt haben. Aber ich muss sagen, dass Ihre Entscheidung mich unter den gegebenen Umständen ein wenig erstaunt; würden Euer Exzellenz vielleicht die Güte haben, mir Ihre Haltung zu erklären?«

Hurulta schnaubte verächtlich und zeigte dabei sein prächtiges Gebiss. Während all der Jahre, in denen Alak als Abgesandter der Liga und Beauftragter der Patrouille hin und wieder einen Besuch auf Ulugan gemacht hatte, und vor allem während der letzten Monate, in denen er sich wegen der sich zuspitzenden Krise ständig hier aufgehalten hatte, war er zu der Ansicht gekommen, dass dieser Uluger nur ein schwacher, pedantischer Wichtigtuer sei. Doch jetzt schlug Hurulta mit seiner mächtigen blauen Faust in die geöffnete Handfläche der anderen Hand und grinste geringschätzig.

»Wir wollen nicht viele Worte verlieren«, sagte er. »Die äußerste Grenze des Einflussbereiches der Liga ist fast tausend Lichtjahre von hier entfernt. Das heißt, Ihre Flotten müssten einen ziemlich langen Weg zurücklegen, wenn Sie uns angreifen wollen. Außerdem haben wir seit Jahren Agenten in Ihr Gebiet eingeschleust. Wir wissen, dass die Bevölkerung im Gebiet der Liga ein wenig... verweichlicht, oder freundlicher ausgedrückt, pazifistisch eingestellt ist. Sie würde keinem Krieg zustimmen, der ihr nur hohe Kosten und Leid bringen würde. Hinzu kommt, dass die Patrouille nur eine kleine Macht ist, hauptsächlich zu dem Zweck eingerichtet, innerhalb der Grenzen der Liga für Ordnung zu sorgen. Also eine reine Polizeitruppe. Wir dagegen sind für einen Krieg gerüstet.«

Er hob seine mächtigen Schultern. »Was soll ich Ihnen noch viel erklären?« dröhnte er. »Wir vertreten nur die angestammten Rechte von Ulugan. Sie gehen Ihren Weg, wir den unseren; wir suchen nicht den Krieg mit der Liga, aber wir fühlen uns andererseits auch nicht verpflichtet, die moralischen Leitlinien einer uns vollkommen fremden Zivilisation anzuerkennen. Falls man uns bedrängt, werden wir das als eine kleine Belästigung empfinden, die leicht zu beseitigen ist; und sollte sich diese Belästigung doch als schwerwiegender erweisen, dann sind wir dazu bereit, tausend Jahre Krieg zu führen, um zu unserem Recht zu kommen. Wir sind ein kriegerisches Volk, Sie nicht: Das ist der wesentliche Unterschied, und zahlenmäßige Überlegenheit ändert daran auch nichts.«

Er setzte sich hinter seinen Schreibtisch und spielte mit einem juwelengeschmückten Dolch. Auch seine Stimme klang jetzt gelangweilt. »Sie können Ihrer Regierung berichten, dass Ulugan bereits die Besetzung von Tukatan und den übrigen Planeten in diesem System vorbereitet. Das ist alles. Sie können gehen.«

Die Verabschiedung eines Gesandten in dieser Form war wie eine Ohrfeige. Alak musste einen Augenblick mit sich ringen, um seine Selbstbeherrschung nicht zu verlieren. Schließlich glätteten sich seine hageren, scharfgeschnittenen Züge, und seine Stimme klang wie geölt, als er sagte: »Wie Euer Exzellenz befehlen. Guten Tag.«

Mit einer Verbeugung verließ er den prachtvoll ausgestatteten Raum.

 

Schauplatz: Ein Büro des Geheimdienstes der Liga-Patrouille, Bereich Sol, Britn, Terra. Ein spärlich möblierter Raum, einige Sessel, ein Schreibtisch, eine Computerwand mit Tasten und Knöpfen. Die eine Wand ist ganz aus Glas und ermöglicht den Ausblick auf eine freundliche, hügelige Landschaft, ein paar private Wohneinheiten, und etwas weiter entfernt eine Lebensmittelfabrik. Die Sonne scheint, weiße Wolken ziehen über den Himmel, und ab und zu blinkt das Metall einer Flugmaschine auf. Das alles scheint unendlich weit entfernt zu sein von den Spannungen und Schwierigkeiten galaktischer Politik.

Akteure: Myrn Kaltro, Sektorchef, ein großer grauhaariger Mann in der schillernden Uniform eines terranischen Patrouillenoffiziers. Jorel Meinz, soziotechnischer Direktor im Sonnensystem Sol, klein, brünett, lebhaft, gekleidet in den konservativen Farben Gold und Purpur. Wing Alak, Weltraumagent, dandyhaft genug, um die neueste Zivilmode zu tragen - mattes Grau und Blau. Aber man muss dazu anmerken, dass er seit Jahren nicht mehr zu Hause gewesen war.

Hintergrund: In einer Zivilisation, die annähernd eine Million verschiedener intelligenter Rassen umfasst, wovon die meisten sich selbst regieren, einer Zivilisation, die sich noch dazu täglich erweitert, ist es selbst einem gutinformierten Verwaltungsbeamten unmöglich, über alle wichtigen Ereignisse Bescheid zu wissen. Jorel Meinz hatte bis zum heutigen Tag kaum den Namen Ulugan gekannt; und nun sollte er einer Aktion zustimmen, welche die gesamte galaktische Geschichte von Grund auf verändern konnte.

Er zog umständlich eine Zigarre hervor, zündete sie an und sog daran, bis sie brannte. Er sprach schnell und abgehackt. »Was hat Sol damit zu tun? Das ist eine Angelegenheit für die Liga-Vollversammlung.«

»Die erst wieder in zwei Jahren Zusammentritt«, bemerkte Kaltro. »Und das weiß unser Freund Hurulta genau. Um eine beschlussfähige Sondersitzung zusammenzubekommen, würden wir mindestens sechs Monate brauchen. O ja, sie haben einen guten Zeitpunkt gewählt, diese Uluger.«

»Das Oberkommando der Patrouille besitzt umfassende Vollmachten«, sagte Meinz und verzog dabei das Gesicht. »Zu große vielleicht. Ich muss gestehen, mir hat nicht alles gefallen, was mir über Ihre Aktivitäten berichtet worden ist. Doch in diesem Fall...«

»Das Oberkommando ist bereit zum Handeln«, sagte Kaltro. »Ich habe schon mit allen Mitgliedern Kontakt aufgenommen. Aber wir befinden uns in einer verzwickten Situation. Die Patrouille ist ursprünglich geschaffen worden, um den Frieden innerhalb der Liga zu sichern. Dass sie es eines Tages auch mit einer Macht außerhalb der Liga aufnehmen würde, davon war nie die Rede. Wenn wir gegen Ulugan etwas unternehmen, begeben wir uns rechtlich gesehen auf unsicheren Boden, und daraus könnte uns eines Tages ein Strick gedreht werden. Viele Politiker der kleinen Regierungen brennen nur darauf, der Patrouille eins auszuwischen und Gesetzesanträge durchzubringen, die ihre Macht beschneiden sollen. Sie könnten Erfolg damit haben, wenn es ihnen gelingt, viele davon zu überzeugen, dass die Patrouille zu einer unkontrollierbaren Maschinerie geworden ist, die auf eigene Faust Kriege anzettelt.«

»Ich verstehe. Aber was kann ich in der Sache tun?«

»Ihr Einfluss könnte das System-Parlament dazu bewegen, dass es der Patrouille die Vollmacht gibt, gegen Ulugan vorzugehen. Das würde etwa so aussehen: Im Namen von Sol räumen wir der Patrouille Sonderbefugnisse ein, die ab sofort in Kraft treten. Dann werden wir handeln.«

»Aber dazu hat ein Sonnensystem allein nicht das Recht. Die Patrouille ist der Liga als Ganzes unterstellt.«

»Ich bitte Sie!« Kaltro hob seine graugescheckten Brauen und lächelte, wobei sein Gesicht sich in lauter kleine Falten legte. »Sie sind doch in der politischen Praxis zu Hause. Sie wissen so gut wie ich, dass Sol noch immer das führende System in der Liga ist. Wenn dieses System uns einen Rückhalt gibt, werden genügend andere Planeten seinem Beispiel folgen und uns bei der nächsten Vollversammlung unterstützen. Es wird praktisch auf eine nachträgliche Billigung hinauslaufen, aber das genügt. Das muss genügen!«

»Ja.« Meinz blickte mit finsterer Miene auf die Zigarre hinab, die er zwischen seinen knochigen Fingern rollte. »Ja gut, ich verstehe Ihren Standpunkt. Aber Sie kennen meinen noch nicht. Weshalb sollte ich Ihre Aktionen gegen Ulugan unterstützen?« Er hob die Hand. »Nein, warten Sie, lassen Sie mich ausreden. Soweit ich verstanden habe, herrscht Ulugan über ein einziges Planetensystem, das ungefähr tausend Lichtjahre von der Grenze unseres Einflussbereichs entfernt ist. Und jetzt will es sich ein weiteres Planetensystem einverleiben. Die Bewohner dieses Systems protestieren natürlich dagegen und bitten uns um Hilfe. Aber ich kann mir kaum vorstellen, dass von allen Organisationen der Welt ausgerechnet die nüchterne Liga-Patrouille Interesse an einem Kreuzzug haben sollte. Ein Unternehmen mit dem Ziel, Ulugan zu vernichten, würde ungeheuer kostspielig werden. Selbst wenn es gelingen könnte, was ganz und gar nicht sicher ist, würde es sich allein schon wegen der Transportprobleme über Jahre ausdehnen. Die Uluger würden bestimmt mit Gegenangriffen auf unseren Bereich reagieren und vielleicht sogar bis Sol Vordringen. Der interplanetarische Raum ist so unermesslich groß, dass an eine Abwehrfront nicht zu denken ist. Sie wissen ja, was ein Angriff bedeutet, wieviel Zerstörung, welches Entsetzen - vor allem wenn es sich um einen Angriff mit den modernsten Vernichtungswaffen handelt.

Die Liga ist, wie Sie wissen, weder eine Nation noch ein Großreich oder ein Nationenbündnis. Sie wurde einzig und allein zu dem Zweck gegründet, interplanetarische Streitigkeiten zu schlichten und Kriege zu verhindern. Was sonst noch an Positivem abfällt, ist daran gemessen zweitrangig; die einzelnen Systeme sind politisch und wirtschaftlich so locker miteinander verknüpft, dass sich die Liga niemals zu einem einheitlich regierten Staatenbund entwickeln könnte. Ich will damit sagen, dass sie die Konzentration aller Kräfte, die ein Raumkrieg erfordert, nicht erbringen kann. Wenn Ulugan wirklich so entschlossen ist, wie Agent Alak sagt, könnte es die Liga dazu zwingen, seine Bedingungen anzunehmen, obwohl es als ein Planet gegen eine Million Planeten steht. Die Liga könnte zu dem Entschluss kommen, dass es die Sache nicht wert ist, ihretwegen einen Krieg zu führen. Und die Empörung darüber, in einen Krieg verwickelt worden zu sein, von dem neunzig Prozent der Bevölkerung bis zu dem Augenblick, in dem die Bomben auf sie herabfallen, noch nicht einmal gehört haben - diese Empörung könnte das Ende der Liga bedeuten!«

Er führte die Zigarre zum Mund und stieß eine dicke Rauchwolke aus. »Das heißt folgendes, meine Herren«, schloss er. »Wenn Sie wollen, dass ich Ihr Vorhaben unterstützen soll, dann müssen Sie mir noch bessere Gründe liefern.«

Kaltro zwinkerte Wing Alak zu. Der Weltraumagent nickte und nahm sich eine Zigarette. Er zündete sie an und begann dann erst zu sprechen.

»Lassen Sie mich noch einmal kurz die Fakten aufzählen, Direktor Meinz. Ulugan ist ein fester metallischer Planet, der um eine kleine rote Sonne kreist. Die Bedingungen sind erdähnlich, das heißt, Menschen können dort zwar leben, aber nicht besonders angenehm - die Schwerkraft beträgt eins Komma fünf der Schwerkraft auf der Erde, der Luftdruck ist hoch, und es ist sehr kalt und windig. Die Bewohner sind eine begabte Rasse, dabei aber wild und unzivilisiert; sie neigen dazu, einem starken Führer blindlings zu folgen. Das sind natürlich eher erworbene als angeborene Charaktereigenschaften, aber sie sitzen inzwischen ziemlich fest. Die Geschichte Ulugans ist eine Geschichte fortwährender Kriege zwischen den einzelnen Nationen, durch welche die technische Entwicklung rasch vorangetrieben wurde, andererseits aber auch die natürlichen Quellen des Planeten erschöpft wurden. Mit einem Wort, ihre Geschichte unterscheidet sich nicht wesentlich von der unsrigen, wie sie vor der Einigung verlief; sie haben jedoch nie eine wirklich psychologische Technologie entwickelt, und ihre Gesellschaft weist deshalb noch viele archaische Züge auf.

Vor etwa zweihundert Jahren waren sie technisch so weit, dass sie mit Überlichtgeschwindigkeit reisen konnten, und sie begannen, die nächstgelegenen Planeten zu erforschen und dann rücksichtslos auszubeuten. Sie waren damals noch in Nationen aufgeteilt, und beim Streit um die Beute kam es zwischen ihnen zu einem gewaltigen interplanetarischen Krieg. Eine der Nationen, Unzuvan, besiegte schließlich alle übrigen und brachte sie unter ihre Herrschaft. Das war vor etwa dreißig Jahren. Nicht viel später stieß ein Erkundungsschiff der Liga, das die Sternennebel in der Nähe des galaktischen Zentrums erforschen sollte, auf diese Zivilisation. Natürlich wurden sie aufgefordert, sich der Liga anzuschließen, obwohl sie so weit außerhalb unseres Einflussbereichs leben. Alle ausreichend zivilisierten Rassen werden dazu aufgefordert, und bis dahin hatte noch keine das Angebot abgelehnt. Doch sie taten es. Obendrein noch mit einer ziemlichen Unverschämtheit. Sie gaben als Begründung an, dass sie sich alles, was wir ihnen anzubieten hätten, ebenso gut auch selbst verschaffen könnten und dass es dumm von ihnen wäre, wenn sie ihre Souveränität von uns auch nur im geringsten einschränken ließen.«

»Hm. Eine ziemlich paranoide Rasse«, bemerkte Meinz.

»Allem Anschein nach. Nun ja, die Liga - oder vielmehr ihr Exekutivorgan, die Patrouille - hat alles getan, was möglich war. Sie hat Botschafter und Kultur- Attachés dorthin geschickt in der Hoffnung, das Volk allmählich doch noch überzeugen zu können. Das war in den letzten fünfzehn Jahren mehr oder weniger meine Aufgabe, obwohl ich natürlich nur selten persönlich hinfahren konnte. Ich hatte noch so viel anderes zu tun. Jedenfalls hatten wir wenig Glück, außer...« Alak lächelte flüchtig. »Wir besitzen einen gutorganisierten Geheimdienst.«

»Sie meinen Spione?«, fragte Meinz ungeduldig.

»Nein, niemals! Was, niemals? Kaum jemals!« Alaks klassische Anspielung ging bei Kaltro unter, doch Meinz lächelte. »Die politischen und militärischen Geheimnisse von Ulugan haben uns nicht so sehr interessiert«, fuhr der Weltraumagent fort. »Wir haben hauptsächlich die Nachbarplaneten erforscht. Gegen wissenschaftliche Untersuchungen dieser primitiven Planeten konnte ja schließlich niemand etwas einzuwenden haben.

Ich werde Ihnen nachher unser gesamtes Material über die soziodynamische Struktur des Imperiums der Uluger geben, jetzt will ich sie nur einmal ganz kurz umreißen: Es gibt eine herrschende Klasse, eine militärische Aristokratie, an deren Spitze ein Alleinherrscher steht, dessen Macht durch Erbfolge weitergegeben wird, und eine dienende Klasse, die sich aus Bauern und Arbeitern zusammensetzt. Die Interessen der Aristokratie sind eng verknüpft mit den großen wirtschaftlichen Interessen - es handelt sich um eine Art Monopolkapitalismus, der einerseits vom Staat gelenkt wird, andererseits auch wieder die Staatsführung beeinflusst. Nein, das ist schlecht ausgedrückt. Sagen wir es lieber so: Die Industriekonzerne und die Militärkaste zusammen sind der Staat. Die höchste Macht liegt in den Händen des Arkazhik, eine Art Personalunion von Premier- und Kriegsminister. Im Augenblick hat diesen Platz ein gewisser Hurulta inne, ein kluger, aggressiver Mann, der ehrgeizige Ruhmesträume hegt.

Nun, Ulugan will sich unter der Führung von Hurulta ein riesiges Imperium erobern. Sie haben es vor allem auf Tukatan abgesehen, einen fruchtbaren Planeten mit einer ziemlich unterentwickelten Bevölkerung. Inzwischen werden sie schon mit der Eroberung begonnen haben - ich war schließlich einige Zeit unterwegs. Aber Sie können sich wohl denken, dass sie es dabei nicht bewenden lassen werden.«

»Nein«, sagte Meinz nach kurzem Schweigen. »Nein, wahrscheinlich nicht.« Und dann fuhr er rasch fort: »Aber was interessiert uns das? Tausend Lichtjahre entfernt...«

»Diese tausend Lichtjahre sind keine konstante Größe, sie verringert sich zusehends«, sagte Kaltro. »Das Territorium der Liga dehnt sich immer weiter aus - Neuentdeckungen, Kolonien, Angliederungen neuer Systeme. Das Reich der Uluger wird sich ebenfalls weiter ausdehnen, und zwar auf uns zu. Unsere Analytiker schätzen, dass sich beide Gebiete in rund zweihundert Jahren berühren werden. Eine interplanetarische Zivilisation muss nicht nur in großen räumlichen, sondern auch in großen zeitlichen Dimensionen rechnen. Wir müssen an die Zukunft denken.«

»Hm...« Meinz rieb sich nachdenklich das Kinn.

»Meiner Ansicht nach werden uns nicht einmal diese zwei Jahrhunderte bleiben, wenn wir Ulugan nicht gleich jetzt Einhalt gebieten«, fuhr Alak fort. »Sie scheinen es direkt darauf abgesehen zu haben, Konflikte heraufzubeschwören. Ein richtiger Krieg würde ihr noch ziemlich junges Imperium besser als alles andere zusammenschweißen.«

Meinz nickte. »Das ist ein guter Gesichtspunkt. Aber kann man sie denn überhaupt aufhalten? Es zu versuchen und dann zu scheitern - das wäre eine Katastrophe.«

»Mehr als es versuchen können wir nicht«, sagte Kaltro ernst. »Ich will Ihnen nicht verschweigen, dass ich die Situation für... nun ja, für riskant halte. Aber ich glaube nicht, dass wir uns leisten können, nichts zu tun.«

»Dennoch... ein Krieg« Meinz verzog den Mund, so als hätte er auf etwas Saures gebissen. »Die Vernichtung ganzer Planeten. Die Ermordung von Millionen unschuldiger Zivilisten, nur um ein paar Aufwiegler zu bestrafen. Das Gesetz des Hasses, das überall die Herrschaft antritt. Die verderbliche Wirkung eines Sieges auf die sogenannten Sieger. Es war immer die Aufgabe der Patrouille, Kriege zu verhindern. Wenn sie jetzt selbst einen Krieg beginnt...«

»Wir haben die Absicht, Ulugan Einhalt zu gebieten, ohne uns in einen Krieg verwickeln zu lassen«, sagte Kaltro.

»Wie wollen Sie denn das anstellen?«

»Das darf ich Ihnen nicht verraten. Es muss ein Geheimnis bleiben.«

»Und wenn Sie die Uluger durch Ihr Vorgehen dazu provozieren, Ihnen den Krieg zu erklären?«

Alak zuckte mit den Schultern. »Dieses Risiko müssen wir wohl eingehen.«

»Ich warne Sie«, sagte Meinz. »Wenn Sie uns in Schwierigkeiten bringen, wird die Vollversammlung Sie dafür persönlich zur Verantwortung ziehen.«

Darauf sagte keiner der beiden Patrouillen-Angehörigen etwas.

Dann verließ der Direktor mit einem dicken Stoß von Berichten und soziodynamischen Analysen unterm Arm den Raum. Er hatte noch keine feste Zusage gemacht. Doch Kaltro nickte seinem Agenten aufmunternd zu. »Er wird uns helfen«, meinte er.

»Das sollte er auch«, antwortete Alak. »Ich sag Ihnen, die Situation ist schlimmer, als ich beschreiben kann. Man muss selbst auf so einem Planeten gewesen sein und gespürt haben, wie die Spannung und der Hass ständig anwachsen. Es ist wie - nun, man fühlt sich irgendwie klebrig und möchte sich dauernd waschen.«

»Können Sie das Unternehmen allein durchführen?«, fragte Kaltro. »Ich werde im Hintergrund bleiben müssen, um notfalls aufgeregte Gemüter zu beruhigen.«

»Ich kann es versuchen«, sagte Alak. Um seinen Mund lag ein bitterer Zug.

»Und dann noch eins, Wing«, sagte Kaltro. »Eine Situation wie diese hat es noch nie gegeben. Wir handeln ohne den Auftrag der Liga; es könnte sein, dass Sie in eine Notlage geraten, in der Sie sich vielleicht berechtigt fühlen, den ersten Grundsatz der Patrouille zu verletzen. Tun Sie es nicht.«

»Ich weiß«, sagte Alak. »Jeder Angehörige der Patrouille, der das tut, wird sofort vom Dienst suspendiert und einer Gehirnwäsche unterzogen. Entschuldigungsgründe gibt es nicht. Nun, der Grundsatz wird auch diesmal eingehalten werden. Selbst wenn uns das um den Erfolg des Unternehmens bringen sollte.«

Er ging nach einer Weile, um sich an die Schreibtischarbeit zu machen, die jeder großen Unternehmung im Weltraum voranging. Das war nicht bloß bürokratischer Kram, sondern die notwendige Planung und Organisation aller Einzelheiten, die ganz und gar nichts Glanzvolles an sich hatte. Helden mit langen Stiefeln, gepanzerte Kriegsschiffe und feuerspeiende Kanonen kamen dabei nicht vor.

Aber mit solchen Dingen hatte die Liga-Patrouille sowieso wenig zu tun. Diejenigen, die den Krieg beenden wollen, können nicht selbst zu den Mitteln des Krieges greifen, sonst würde der Hass, den Ungerechtigkeiten, Blutvergießen und Zerstörung erzeugen, zuletzt auf sie zurückfallen. Die Patrouille war aber darauf bedacht, den vollkommen ungerechtfertigten Ruf zu nähren, dass sie ein furchtbarer Feind sei; sie verbreitete Nachrichten von erfolgreich geschlagenen Schlachten und hielt immer eine Anzahl imposanter Kriegsschiffe zum Vorzeigen bereit. Wenn die Liga bei irgendwelchen Schlichtungsversuchen mit Vernunftgründen nicht weiterkam, begann die Patrouille zu bluffen; wenn das nicht half, versuchte sie es mit Bestechung, mit Erpressung oder sie zettelte Revolution an - jedes Mittel war ihr recht. Nur ihren ersten Grundsatz verletzte sie nie, der zugleich ihr bestgehütetes Geheimnis war: Unter keinen Umständen darf die Patrouille oder ein Mitglied derselben jemals ein mit Intelligenz begabtes Wesen töten.

 

Tausend Kriegsschiffe flogen durch die interplanetarische Nacht.

Aufklärer bildeten die Vorhut. Kreuzer flankierten sie, und das Zentrum bildeten mächtige Schlachtschiffe, von denen jedes einzelne das gesamte Leben auf einem normal großen Planeten hätte auslöschen können. Ihnen folgten weitere tausend Raumschiffe: Transport- und Proviantschiffe, fliegende Werkstätten. Hinter ihnen lagen die Planeten der Liga, zu glänzenden Sternbildern zusammengerückt; vor ihnen die glühenden Sonnen des Sternhaufens, zu dem Ulugan gehörte.

Der Kampfverband entdeckte den Planeten, nach dem er gesucht hatte, einen gelben Zwergplaneten, der etwa zehn Lichtjahre von Tumu entfernt war - Tumu ist nichts weiter als die Bezeichnung der Unzuvaner für Sonne -, und schwenkte in eine Umlaufbahn um den von Nebeln eingehüllten Nachbarplaneten ein. Aufklärer ließen sich in die Atmosphäre hinab und durchdrangen mit Infrarotstrahlen die Nebeldecke und die Regenschleier; Bodensonden tasteten Tausende Kilometer Sumpfland, Dschungel und gezeitenloses Meer ab, bevor sie auf festen Boden stießen. Dann landeten die großen Werkschiffe.

Wing Alak stand im phosphorisierenden Zwielicht und betrachtete die Arbeit, die um ihn herum getan wurde. Sprengladungen hatten eine große rote Wunde in den Dschungel gerissen. Jetzt fuhren im gleißenden Licht der Scheinwerfer automatisch gesteuerte Raupen hin und her und bereiteten ein Landefeld vor. Er konnte durch die beißenden Nebelschwaden nicht bis zu den vorgefertigten Baracken sehen, in denen seine Arbeiter wohnten.

Die Lebensbedingungen auf dem Planeten waren für Menschen kaum erträglich. Die Kleider hingen Alak feucht am Leib, er fluchte mit müder Stimme und wünschte, dass die Luft ein wenig trockener wäre und er wenigstens schwitzen könnte. Das Summen des Entkeimers um seinen Hals, der Pilze und Bakterien in der Luft zerstörte, die ihn binnen kurzem töten konnten - dieses ständig gleichbleibende Geräusch machte ihn fast verrückt. Wenn ich bedenke, ging es ihm im Kopf herum, dass ich Techniker in einer Lebensmittelfabrik hätte werden können und jetzt gemütlich zu Hause sitzen könnte... 

Die schuppenhäutigen, mit Fühlern ausgestatteten Sarussier, die den größten Teil seiner Mannschaft bildeten, stapften fröhlich durch den Dreck. In dieser Hölle sah es fast so aus wie auf ihrem Heimatplaneten. Fast - denn es gab hier gefährliche wilde Tiere, die man draußen in den Fiebersümpfen brüllen hören konnte. Außerdem eine seltsame Sorte von Bäumen, die giftige Domen abschossen und bereits zwei seiner Männer getötet hatten.

Werden diese dummen Uluger denn nie anbeißen?

Dass die Meldung gerade in diesem Augenblick kam, war kein zufälliges Zusammentreffen, denn Alak hatte seit der Landung kaum an etwas anderes gedacht. Der lange, dünne Karkarier, mit dem Schnabelgesicht, der sein Adjutant war, kam vom Nachrichtenschuppen herüber und salutierte steif in dem Weltraumpanzer, den er hier tragen musste. »Ein Raumgespräch für Sie. Von Tumu.«

»Gut!« Alak konnte nicht mehr als nicken, so elend fühlte er sich, aber dann folgte er der hohen Gestalt im Metallpanzer mit neu erwachender Energie. Es begann zu regnen, und er war vollkommen durchnässt, als er den Schuppen erreichte. Er würde auf dem Bildschirm keinen besonders würdevollen Eindruck machen.

Er setzte sich und strich seinen roten Haarschopf zurück. Dieses Gesicht kannte er doch - ja, das war General Sevulan, einer von Hurultas persönlichen Beratern; sie hatten sich ein paarmal getroffen. Er sagte mit aller Munterkeit, die er auf bieten konnte: »Hallo.« Das allein war schon eine Beleidigung.

»Sind Sie der Verantwortliche für dieses Unternehmen?« bellte Sevulan.

»Mehr oder weniger ja«, antwortete Alak.

»Ich verlange sofort eine offizielle Erklärung«, fuhr Sevulan fort. »Einer unserer Aufklärer, der Strahlen entdeckt hatte und sie untersuchen wollte, ist von Ihnen beschossen worden. Er wurde zwar nicht getroffen, aber...«

»Schade«, sagte Alak, obwohl er selbst angeordnet hatte, dass das Schiff nicht abgeschossen werden dürfe.

»Das ist bereits eine Kriegshandlung«, polterte Sevulan.

»Ganz und gar nicht«, erwiderte Alak. »Dies hier ist Militärgebiet. Ihr Aufklärer hat seine Untersuchungen weitergeführt, obwohl er über Funk aufgefordert worden ist, das Gebiet zu verlassen.«