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Rainer M. Schröder

Die Blutmesse von
Florenz

Pater Angelicos dritter Fall

Roman

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Das Goldriff

978-3-95751-104-1

Richard Harding ist ein Abenteurer und Weltreisender. Als er in Griechenland die Amerikanerin Ashley kennen und lieben lernt, folgt er ihr nach Amerika. Doch er erkennt schnell, dass ihn das Leben eines seriösen Geschäftsmannes auf Dauer nicht erfüllen kann, und gibt seiner großen Leidenschaft, dem Schatztauchen, nach. Richard ist besessen von der Idee, den Schatz der gesunkenen Galeone »Maravilla«, die Gold und Silber im Wert von mehreren Hundert Millionen an Bord hatte, zu heben. Doch als er sein Ziel fast erreicht zu haben scheint, sind ihm bereits zwielichtige und skrupellose Gestalten auf der Spur.

Lieber auf der Tüte als im Eimer

978-3-95751-102-7

»Lieber auf der Tüte als im Eimer« erzählt unterhaltsam und zugleich authentisch nicht nur das Schicksal des geteilten Deutschlands, sondern auch die Geschichte der eigenen Familie von Rainer M. Schröder: Nach dem Zweiten Weltkrieg lebt die Familie Brüggemann in Ostdeutschland, doch schnell wird klar, dass es dort keine Zukunft für sie gibt – die Brüggemanns beschließen die Flucht in den Westen. Ihre neue Adresse lautet: Auf der Tüte 12. Schon kurze Zeit nach der Ankunft im Westen wird die Mauer gebaut und es entstehen neue Probleme: Wie soll man mit dieser Trennwand leben? Der eine Teil der Familie im Osten, der andere im Osten … Trotz allem hätte es immer noch schlimmer kommen können, finden die Brüggemanns, getreu ihrem neuen Motto: »Lieber auf der Tüte als im Eimer!«

Der letzte Flug der Hurricane

978-3-95751-103-4

Nach der Scheidung von seiner High-Society-Ehefrau ist Dan Stafford auf den Bahamas gestrandet: Auf Paradise Island verdient er sich mit seinem Wasserflugzeug »Hurricane« seinen Lebensunterhalt. Als er den ominösen Geschäftsmann Benson nach Miami fliegen soll, ahnt er noch nicht, dass dieser Flug sein Leben verändern wird. Nach einer Notlandung auf einer einsamen Insel gerät er zwischen die Fronten zweier konkurrierender Drogendealer in einem 10-Millionen-Dollar-Geschäft. Stafford wird zur Marionette in einem Spiel, in dem andere die Fäden in der Hand haben – bis er den Spieß umdreht und den Dealern seine Regeln aufzwingt.

Der Autor

Rainer M. Schröder
Rainer M. Schröder

Mit einer Gesamtauflage in Deutschland von fast sechs Millionen zählt Rainer M. Schröder alias Ashley Carrington zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Schriftstellern von Jugendbüchern sowie historischen Gesellschaftsromanen für Erwachsene. Letztere erscheinen seit 1984 unter seinem zweiten, im Pass eingetragenen Namen Ashley Carrington im Knaur Verlag. Seinem unter diesem Pseudonym verfassten Roman Unter dem Jacarandabaum wurde die besondere Auszeichnung zuteil, von der Bundeszentrale für politische Bildung in der Broschüre »Das 20. Jahrhundert in 100 Romanen« (Stiftung Lesen/Leseempfehlungen Nr. 112) zu den 100 lesenswerten Romane der Weltliteratur des 20. Jahrhunderts gezählt zu werden. Rainer M. Schröder lebt an der Atlantikküste von Florida.

Den Mönchen der Zisterzienserabtei
Himmerod in der Eifel in
großer Verbundenheit gewidmet.

1

Averardo Pagolo gab sich keinen Illusionen hin. Er wusste, was ihn in diesem kalten Kellergewölbe erwartete. Es war die Stunde, die Segel einzuholen und die Taue aufzurollen, wie sein Vater einst auf seinem Sterbebett so trocken gesagt hatte.

Ja, er wusste, was auf ihn zukam, er verstand bloß nicht, wie er nach all den Jahren beständiger Wachsamkeit und beinahe krankhaften Misstrauens seinen Feinden hatte in die Hände fallen können. Welcher Fehler war ihm unterlaufen? Die einzig mögliche Erklärung für seine Lage war erschreckend: Verrat. Es musste bei ihnen einen traditore geben, einen dreckigen Verräter, und zwar inmitten ihres engsten Kreises!

Weitaus erschreckender jedoch war die zweite Schlussfolgerung: Sein Schicksal war besiegelt. Er hatte nicht lange gebraucht, um zu dieser bestürzenden Erkenntnis zu gelangen. Sie war ihm im Sinne des Wortes schlagartig gekommen.

Dabei hatte ihn schon kurz zuvor – als er in diesem schimmlig stinkenden Gemäuer aus der Bewusstlosigkeit erwacht war – die Ahnung befallen, dass er sein irdisches Leben hier aushauchen würde, zwischen alten Weinfässern, eingestaubten Regalen und Schragen voll billigen Steinguts, wie es in einfachen Tavernen Verwendung fand; zwischen Wandborden mit rostigem Werkzeug, schadhaften Möbelstücken und vielerlei Gerümpel. Und als seine Entführer ihm den ersten mörderischen Knüppelschlag versetzt und begonnen hatten, Fragen zu stellen, war aus düsterer Ahnung schreckliche Gewissheit geworden.

Wer in Gottes heiligem Namen hatte ihn verraten? Fiametta womöglich? Ausgeschlossen! Das konnte nicht sein! Aber auch wenn sie nicht mit seinen Todfeinden unter einer Decke steckte – dieser Weiberrock würde ihn unweigerlich das Leben kosten!

Zweifellos, der Tod war ihm gewiss, und ebenso gewiss war, dass es kein schneller, gnädiger Tod sein würde. Zu groß war der Hass, zu sehr brannten die anderen darauf, ihm sein Wissen zu entreißen. Es ging nicht um gewöhnliche Rache und das Begleichen alter Rechnungen.

Es ging um die Namen!

Sie wollten die geheimen Namen und würden nichts unversucht lassen, sie aus ihm herauszupressen. Und bei Gott, es würde ihnen gelingen! Auch wenn die verfluchten Schurken – anders als er selbst – nicht mit der hohen Kunst der Folter vertraut waren.

Elende Stümper waren sie, kannten nur rohe Gewalt, verstanden sich nicht auf die Feinheiten der Tortur – und dennoch würden sie ihr Ziel letztlich erreichen. Das sagte ihm sein schmerzender Leib, der sich vergeblich wand und gegen die Fesseln stemmte, mit denen sie ihn auf den harten Armlehnstuhl gebunden hatten.

Sein Atem rasselte wie der eines Straßenköters kurz vor dem Verenden, und vor seinen Augen waberte blutroter Nebel. Die Männer, die ihn in dieses langgestreckte Kellergewölbe verschleppt hatten, nahm er im Schein der beiden Ölleuchten nur als vage Schatten wahr. Mit jeder Faser seines geplagten Körpers sehnte er ein Ende der Schmerzen herbei.

Dabei hatte er tapfer sein wollen und zu Beginn tatsächlich geglaubt, der Pein gewachsen zu sein und mit stoischem Heldenmut und eisernem Schweigen bis zum bitteren Ende ausharren zu können.

Nichts sollten sie aus ihm herausbekommen, nicht einen einzigen Namen. Er, der stolze Averardo Pagolo, würde keinen Verrat begehen, er würde trotz aller Qual schweigen wie ein Grab und ihnen zeigen, wie ein wahrer Florentiner Ehrenmann starb! Welch ein lachhaftes Trugbild!

Inzwischen hatte er eingesehen, dass es mit seinem Heldenmut nicht sehr weit her war, ganz im Gegenteil. Vielmehr würde er ein elendes und beschämendes Ende nehmen. Er besaß einfach nicht die grenzenlose Leidensfähigkeit eines Märtyrers, der bis zum letzten Atemzug standhaft blieb und sein Geheimnis mit in den Tod nahm.

Er hatte die Grenze erreicht. Lange würde er die Qualen nicht mehr ertragen, das war so sicher wie sein Tod. Bald schon würden die Schmerzen ihn in ein jammervolles, wimmerndes Häufchen Elend verwandelt haben, das zu allem bereit war, selbst zum Verrat am eigenen Fleisch und Blut. Die ersten Namen, die sie wissen wollten, lagen ihm doch schon jetzt auf der Zunge! Viel brauchte es nicht mehr, um seinen letzten Widerstand zu brechen.

Sein Kampf war vorbei, die Schlacht verloren. Weitere Schmerzen vermochte er nicht zu ertragen! Er gab auf. Er würde ihnen sagen, was sie wissen wollten. Alles. Sämtliche Namen würde er nennen, schneller, als sie sie niederschreiben konnten. Und er würde ihnen auch alles andere verraten, mochte der Allmächtige in seiner unendlichen Barmherzigkeit Gnade mit ihm haben und ihm seine jämmerliche Schwachheit und den schändlichen Verrat verzeihen!

2

In gestrecktem Galopp und mit klirrendem Schwertgehänge jagte Pater Angelico auf dem schwarzen Berberhengst Draghetto durch die Februarnacht. Schnell fiel das trutzige Torhaus von San Frediano, das auf dem linksseitigen Arno-Ufer aus dem Stadtviertel Santo Spirito hinaus auf die Landstraße nach Livorno führte, zurück. Unter der fliegenden Hast des Vollblüters schrumpfte auch der lodernde Schein der Fackeln, die hoch auf den bewachten Zinnen über dem Tor brannten, zu einem kleinen Lichtpunkt zusammen.

Was hätte er jetzt darum gegeben, statt der derben Wollkutte mit dem wehenden Kapuzenumhang ein nur hüftlanges Gewand und warme Beinlinge zu tragen, und welch ein Segen wären statt der ausgetretenen Mönchssandalen solide Reitstiefel an den Füßen und in den Steigbügeln des rassigen Reitpferds gewesen!

Aber dafür, mochte es der Teufel holen, war keine Zeit mehr gewesen. Er hatte die Verfolgung unverzüglich aufnehmen müssen; anders hätte er keine Chance gehabt, großes Unglück gerade noch vom Hause Petrucci abzuwenden und einem gewaltigen Skandal in Florenz vorzubeugen.

Ohnehin war es nur eine Chance, mehr nicht. Und nicht einmal die hätte es gegeben, hätte Tiberio Scalvetti ihm nicht spontan seinen Vollblüter überlassen, den zu reiten er üblicherweise keinem anderen gestattete. Ganz abgesehen davon, dass nur ein Mann wie er, der zum achtköpfigen Wachausschuss der otto di guardia gehörte, der allseits gefürchteten und allmächtigen Florentiner Geheimpolizei, und dort der Primus inter pares war, dass nur jemand wie er ihm das verriegelte und streng bewachte Stadttor in San Frediano so schnell hatte öffnen können.

Und als wäre all das nicht schon hilfreich genug gewesen, hatte Scalvetti ihm auch noch angeboten, ihn zu begleiten, damit er im Falle arger Bedrängnis eine erfahrene Waffenhand an seiner Seite hatte.

Dieses honorige Angebot jedoch hatte Pater Angelico abgelehnt, ablehnen müssen. Der Commissario hatte das verstanden – und dennoch darauf gedrängt, dass er sich mit der squarcina, seinem Kurzschwert, bewaffnete und sich das Gehänge um die Hüften schnallte.

Den verfluchten Franzosen Henri de la Croix einholen und Lucrezia zur Vernunft bringen, bevor der Kerl sich mit ihr in Livorno einschiffen und nach Frankreich segeln konnte – das war eine Aufgabe, die er wahrlich allein bewältigen musste. Da half alles nichts, wie verfahren die Sache auch sein und wie bitter sie womöglich ausgehen mochte. Sie war zu persönlich, als dass er sich ihr in Begleitung eines anderen hätte stellen dürfen. Und zwar persönlich auf eine Art, die einem Mann Gottes, der mit den ewigen Gelübden Gehorsam, Armut und Keuschheit geschworen hatte, ausgesprochen schlecht zu Gesicht stand.

An das, was ihn erwartete, wenn Vinzenco Bandelli, Prior und Klosteroberer von San Marco, Wind von der unseligen Angelegenheit bekam, wollte er lieber nicht denken. Er lag mit dem selbstgerechten, nach Kardinalspurpur schielenden Oberen ohnehin schon über Kreuz. Wobei ihr Verhältnis, das inzwischen auf tiefer gegenseitiger Abneigung beruhte, wohl treffender als »erbitterter Zermürbungskrieg hinter Klostermauern« bezeichnet worden wäre.

Pater Angelico sprach sich von einer gewissen Mitschuld nicht frei. Zweifellos hatte er während der vergangenen Jahre in dem Maße, in dem seine Geduld und Demut sich erschöpften, auch dazu beigetragen, dass es zwischen ihnen zu dieser rettungslosen Zerrüttung gekommen war. Nur zu gut wusste er um seine Unzulänglichkeiten, zu denen eine gute Portion Sturheit, ein Hang zur Aufsässigkeit gegenüber hohlen Autoritäten und insbesondere eine bissige Unduldsamkeit gegenüber jedweder Form von Dummheit und Borniertheit gehörten.

Dennoch, die ersten Steine hatte der Prior geworfen, das stand außer Frage! Und zwar gleich bei seinem Eintritt ins Kloster an die siebzehn Jahre zuvor. Dass ein einstiger Landsknecht, gerade mal neunzehn und damit alles andere als von einem langen Söldnerleben an Leib und Seele verdorben, dass also jemand wie er die Berufung zu einem frommen klösterlichen Leben erhalten und seinem gottlosen Handwerk als Waffenknecht abgeschworen haben sollte, hatte der Prior einfach nicht akzeptieren wollen.

»Dieser Angelico Crivelli taugt nichts! Ich würde ihn lieber heute als morgen wieder vor die Tür setzen – wenn ich könnte. Zu dumm, dass er diesen hohen signore als Gönner und Fürsprecher hat. So sind mir die Hände gebunden!« Das hatte er Vincenzo Bandelli damals zu seinem Subprior – mochte der barmherzige Gott Bruder Marcellos sanftmütiger Seele gnädig sein – sagen hören. »Bei dem Waffenknecht liegt keine göttliche Berufung vor! Glaubt mir, ich habe ein Auge dafür – und eine Nase! Ich rieche das Schlechte und Verdorbene in ihm deutlich wie Satans beißenden Schwefel, der Herr und alle Heiligen sind mein Zeuge! Ich sage Euch, er benutzt diese angebliche Berufung, um ins Kloster zu flüchten und gut versorgt zu sein.«

»Aber wie ich es verstanden habe, will er für seine Blutschuld sühnen und …« Bruder Marcello war nicht dazu gekommen, seinen Einwand zu beenden.

»Gewiss, gewiss, der Bursche bangt um sein Seelenheil«, war ihm der Prior ins Wort gefallen. »Und bei Gott, das sollte er auch! Aber zum Mönch taugt er so viel wie ein hergelaufener Tagelöhner zum österlichen Festprediger!«

»Mir scheint aber, als sei es ihm sehr ernst, als brenne in ihm der wahre fromme Eifer, ein klösterliches Leben zu führen, ehrwürdiger Vater«, hatte Bruder Marcello noch ein zweites Mal einzuwenden gewagt, und das hatte etwas geheißen. Denn wollte man sich nicht des nachtragenden Priors anhaltenden Unmut zuziehen, widersprach man ihm nicht.

Entsprechend scharf war denn auch Bandellis Antwort ausgefallen. »Kommt mir nicht mit diesem Unsinn! Ihr lasst Euch leider allzu leicht täuschen! Mir aber streut er keinen Sand in die Augen! Ich sage Euch, der Bursche taugt nichts und wird uns nichts als Ärger machen, basta!«

Und an dieser Überzeugung hatte Vincenzo Bandelli all die Jahre hindurch unbeirrt festgehalten. Nichts hatte ihn anderen Sinnes werden lassen. Nicht seine, Angelicos, bedingungslose Hingabe an die Härten des Klosterlebens, nicht sein jahrelanges ausgiebiges theologisches Studium, nicht seine aufopfernde Arbeit als Novizenmeister und schon gar nicht die vielfältigen Früchte seiner Tätigkeit als Meister im disegno e colore, im Zeichnen und in der Farbgebung. Dabei war er mittlerweile ein anerkannter, viel nachgefragter Maler, der religiöse Tafelbilder und Fresken schuf und dessen Name weit über die Stadtgrenzen hinaus Bekanntheit erlangt hatte. Nicht zuletzt war dank seiner Arbeit in den vergangenen Jahren in Form von Honoraren ein stattliches Vermögen in die Klosterkasse geflossen.

Aber nichts von all dem hatte etwas genützt. Bandellis Urteil über ihn war in Stein gehauen – seit dem ersten Tag und für alle Zeiten!

Pater Angelico presste die Lippen zusammen. Die Erinnerung an Bandellis verächtliche Worte schmerzte ihn inzwischen mehr als damals, als er noch darauf vertraut hatte, den Prior von seiner Berufung und aufrichtigen Hingabe überzeugen zu können.

Nur mühsam verdrängte er die bedrückenden Gedanken an seinen Oberen und ihre ständigen Scharmützel. Er tat besser daran, sich auf das Gelände zu konzentrieren – und seine Aufgabe, den Hurensohn Henri de la Croix einzuholen und Donzella Lucrezia, die Tochter des reichen Wollfabrikanten und mächtigen Medici-Getreuen Marsilio Petrucci, aus dessen schmierigen Fängen zu befreien. Und selbst wenn sie sich widersetzte, er musste sie nach Florenz zurückbringen, koste es, was es wolle!

Welche Folgen es nach sich zog, wenn er scheiterte, daran mochte er gar nicht denken. Lucrezia war mit ihrer langjährigen Zofe Piccarda verschwörerisch eng verbunden; gewiss hatte sie die Bedienstete, die ihr bis zur Selbstaufgabe treu war, in all ihre Geheimnisse eingeweiht. Hatte ihr auch anvertraut, womit sie ihn, den Mönch, wenige Tage zuvor im Beichtstuhl überfallen und in Schockstarre versetzt hatte. Und wenn das herauskam – was bei einem Mann wie Marsilio Petrucci unausweichlich schien –, dann würde ihn das nicht nur seine Kutte kosten, sondern wahrscheinlich auch den Kopf!

3

Mit wachsendem Ingrimm sah Luca Montero zu, wie Federico Panella mit seinem Knüppel auf den Gefangenen eindrosch, ohne jedoch dessen Widerstand zu brechen. Dabei hatte der finstere Ausdruck, der sich über sein Raubvogelgesicht mit den tiefliegenden Augen und der scharf geschnittenen Nase legte, mit Federicos erfolglosen Schlägen und Averardo Pagolos beharrlichem Schweigen wenig zu tun.

Der Groll, der plötzlich wie ein Schwall bitterer Galle in ihm hochstieg, galt einem viel größeren Übel, nämlich seinem enormen gesellschaftlichen Abstieg. Da half es auch nichts, dass er seit einigen Monaten wieder in den Diensten eines hohen Signore stand, der über große Taschen verfügte und ihn für seine verschwiegenen Dienste gut bezahlte – zumindest hatte er das versprochen. Das Gold seines neuen padrone war, so bitter nötig er es nach der langen Durststrecke auch hatte, dennoch nur ein schwacher Ausgleich für das, was er verloren hatte.

Einst war er ein gefürchteter condottiere gewesen, hatte als Hauptmann eines schlagkräftigen Söldnerheeres Hunderte kampferprobter und gut ausgerüsteter Soldaten befehligt. In seinen besten Jahren hatte er einmal gar eine glatte Tausendschaft aufs Schlachtfeld geführt, überwiegend stradiotti, die mit ihrer furiosen Angriffstaktik selbst einen Gegner mit doppelt so starker Kavallerie das Fürchten gelehrt hatten.

Seine Spezialität jedoch war die gnadenlose Anwendung des Prinzips der verbrannten Erde gewesen, die planvolle Vernichtung feindlicher Nachschubmöglichkeiten und Rückzugsräume. Das hatte er sich vom Söldnerhauptmann Bastiano Torentino abgeschaut, diesem Hund von einem ruchlosen Condottiere, mit dem er einen viel zu kurzen Sommerfeldzug lang Seite an Seite geritten war. Seitdem hatte auch er, wann immer er mit seiner compagnia durch Feindesland gezogen war, reihenweise niedergebrannte Dörfer und eine breite Blutspur hinterlassen.

Ja, der Name Luca Montero hatte seinen Wert gehabt, sowohl in der Landsknechtswährung, die da hieß: »Angst und Schrecken«, als auch in barer Münze. Und das in ganz Italien, bei Feind und Freund. Wobei der Freund von heute nicht selten der Feind von morgen gewesen war und umgekehrt, denn ein Condottiere kannte weder Gewissen noch Loyalität – er hatte nur einen Preis, und das höchste Gebot gewann. Immer.

Er war einer der Besten gewesen! Hatte mit Stadtherren und Fürsten, ja selbst mit Königen und Päpsten auf Augenhöhe verhandelt und sich seine Waffendienste für ihre Kriegszüge teuer bezahlen lassen.

Diese glanzvollen Zeiten lagen nun ein gutes Jahrzehnt zurück, und währenddessen war sein Name nicht nur verblasst, sondern zur Randnotiz der Geschichte verkommen, und selbst die bestand nur in der Erinnerung einiger weniger fort, die das Kriegshandwerk zu ihrem Beruf gemacht hatten.

Wie schnell er doch gestürzt war! Zwei missratene Feldzüge, ein lukrativer, aber fatal unkluger Seitenwechsel mitten im Krieg zu viel, eine schwere Verwundung, die er sich noch nicht einmal im Feld, sondern bei einem blutigen Handgemenge mit den eigenen Männern im Winterlager zugezogen hatte – er hatte sie um ihren Sold geprellt, und sie hatten es ihm heimzahlen wollen –, sowie die verfluchte Geißel Gicht hatten genügt, um sein unrühmliches Ende als Söldnerhauptmann einzuläuten und ihn innerhalb kurzer Zeit um alles zu bringen, was sein Leben als Condottiere fast zwei Jahrzehnte lang ausgemacht hatte.

Dass ihm das viele Gold, das er in seinen guten Zeiten eingesackt hatte, wie Sand zwischen den Fingern zerronnen war, kümmerte ihn weniger. Was wie Säure an ihm nagte, war der rasante Sturz aus der mächtigen Stellung eines Söldnerhauptmanns in die Armseligkeit eines nun zweiundfünfzigjährigen Anführers einer kümmerlichen brigata, einer schäbigen Bande gewöhnlicher Strauchdiebe, Spießgesellen und Halsabschneider, die noch nicht einmal auf zehn Männer kam!

Er, der einst ebenso hofierte wie gefürchtete Condottiere Luca Montero, schlug sich auf seine alten Tage als Anführer einer Handvoll Halunken durch! Was für eine himmelschreiende Ungerechtigkeit!

Nein, was für eine Schande!

Mit finsterer Miene griff er nach seinem angestoßenen Steingutbecher, der neben einem groben Krug vor ihm auf einem Schragen mit welliger Platte stand. Er wollte den sauren Geschmack im Mund mit einem kräftigen Schluck Branntwein wegspülen, doch wie zum Hohn rannen ihm, als er den Becher ansetzte, nur zwei, drei lausige Tropfen über die Lippen.

Ohnmächtige Wut packte ihn. Seine Hand schloss sich so fest um den Becher, als wollte er ihn in Scherben springen lassen.

Voller Geringschätzung musterte er die drei seiner Männer, die sich mit ihm in diesem muffigen Kellergewölbe aufhielten. Alle waren an die zwanzig Jahre jünger als er, und wenn ihnen das Töten auch alles andere als fremd war, so hatte doch nicht einer von ihnen jemals in einem ehrlichen Kampf Blut vergossen, geschweige denn den Pulverdampf einer Schlacht gerochen.

Da war Federico Panella, ein hohlwangiger Mann mit krummen Schultern, schiefen Zähnen und einem Gesicht, das an ein verwittertes, brüchiges Stück Holz erinnerte. Als Totschläger und Straßenräuber hatte er zweifellos seine Vorzüge, wenn es darum ging, leichtsinnige, allein reisende Kaufleute zu überfallen und auszurauben. Aber einen hartgesottenen Mann wie Averardo Pagolo zum Reden zu bringen, dazu war er offensichtlich nicht imstande.

Hinten bei der schweren Bohlentür stand Pico Forsa, ein vierschrötiger, ja massiger Mann mit struppigem Haar. Er besaß die Muskeln eines Ochsen und das Hirn eines Huhns, und obwohl er neben seinen Muskelpaketen auch eine ordentliche Menge Fett mit sich herumschleppte, war er erstaunlich behände. Die Schweinsäuglein wirkten wie verloren in dem flächigen, schwammigen Rund seines Gesichts und passten so gar nicht zu dem gewaltigen Riechkolben, in dessen übergroße Nasenlöcher man mit Leichtigkeit je eine Goldmünze hätte klemmen können. Früher hatte er für einen Florentiner Geldverleiher gearbeitet und bei saumseligen Gläubigern die Wucherzinsen eingetrieben.

Auf der anderen Seite der Tür hockte Gaetano Morgante, ein bravo, ein berufsmäßiger Mörder, der das Meucheln zu seinem Geschäft gemacht hatte und dem an der linken Hand bis auf Daumen und Zeigefinger alle Finger fehlten. Der Bursche hatte es sich auf einem schimmelbedeckten Weinfass bequem gemacht und kaute mit gelangweilter Miene auf einem Kienspan. Er war von mittelgroßer, beinahe schmächtiger Gestalt, mit hellen Augen in dem wettergegerbten, hageren Gesicht, das von einer höckrigen schmalen Nase und einer spitzen Kinnpartie beherrscht wurde. Der wässrige Blick täuschte über seine Gefährlichkeit hinweg, was ihm als Bravo gelegen kam; er verstand diesen Vorteil sehr wohl zu nutzen. Auf dem Kopf trug er eine bunt karierte Landsknechtsmütze mit schwarzem Kordelrand.

Gaetano Morgante war schnell und gefährlich wie eine Schlange und wusste mit jeder Klinge umzugehen, solange sie nur kurz war und sich leicht verstecken ließ, so dass er sie unverhofft ziehen und dem ahnungslosen Opfer die Kehle durchschneiden konnte. Er hatte bei der Bande das Sagen gehabt, bevor er, der einstige Condottiere, sie zu seiner Brigata gemacht hatte. Die Veränderung hatte Gaetano zunächst gar nicht geschmeckt, und beinahe wäre zwischen ihnen Blut geflossen. Aber letztlich hatte der hinterhältige Kerl sich gefügt und gekuscht.

Zum Teufel, sie alle hatten guten Grund, dankbar zu sein und nach seiner Pfeife zu tanzen! Von einem Fang, wie er ihn mit dem Signore an Land gezogen hatte, einem der namhaftesten Florentiner grandi und nobili, hätten sie nicht einmal zu träumen gewagt! Daran änderte auch der Umstand nichts, dass es Signore Landolfo gewesen war, der ihn über einen Mittelsmann aufgestöbert und ihm schließlich die Ausführung seines Plans angetragen hatte.

Neben Federico Panella, Pico Forsa und Gaetano Morgante gehörten noch drei weitere Männer zu seiner Brigata. Der mausgesichtige Gaspare Cutolo, klein und flink wie ein Wiesel, Taschendieb und Beutelschneider und mit Mitte zwanzig der Jüngste unter ihnen; Antonio Silva, ein stiernackiger Kerl mit behaarten Pranken und einem wahren Galgengesicht, sowie der ewig missmutige Tiepolo Bertone, der selbst an einem Beutel Gold noch etwas Schlechtes zu sehen wusste. Der Bursche, der ihn immer an eine giftige Kröte erinnerte, schien ohne die Fähigkeit zu einem munteren Wort oder auch nur einer frohen Miene auf die Welt gekommen zu sein.

Die drei ließen es sich mit den vier Waffenknechten des Signore oben im Schankraum bei Hammelfleisch und Branntwein gutgehen, wobei Tiepolo gewiss auch daran etwas auszusetzen fand! Sie passten auf, dass sie hier unten von unliebsamen Überraschungen verschont blieben und Averardo Pagolo ungestört in die Mangel nehmen konnten.

Was allerdings nicht viel Wachsamkeit erforderte. Antonio Danetti, der Wirt des Gasthauses, der weitläufig mit dem Padrone verwandt und bis zu einem gewissen Grad in das Vorhaben eingeweiht war, hatte weder andere Zecher in der Schankstube noch Logiergäste unter seinem Dach, vor denen sie auf der Hut hätten sein müssen.

Wäre es anders gewesen, hätten sie Averardo Pagolo kaum an diesen Ort verschleppt, und auch der Signore Landolfo hätte es dann nicht riskiert, sich hier mit ihm zu treffen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Wobei Landolfo natürlich nicht der richtige Name des Signore war. Den kannte nur er – und natürlich der Unbekannte, der dem Signore Pagolos Geheimnis verraten und ihn ans Messer geliefert hatte. Von seinen Männern wusste keiner, wer ihr Padrone wirklich war, und dabei sollte es auch bleiben.

»Verdammt, spuck endlich die Namen aus! Früher oder später holen wir sie ja doch aus dir heraus, Pagolo! Und wenn ich dir alle Knochen einzeln brechen muss!« Federico Panella drohte die Beherrschung zu verlieren. Allmählich fürchtete er, sich vor seinen Kameraden zu blamieren, weil es ihm einfach nicht gelang, den Kerl gefügig zu machen.

Averardo Pagolo wollte reden, brachte in seinem benommenen Zustand aber nur ein Stöhnen und einen würgenden Laut hervor.

Federico begriff nicht, dass er bereits am Ziel war. Vielmehr glaubte er, sein Opfer wolle ihm die geforderte Antwort weiterhin schuldig bleiben, und deshalb schlug er erneut mit dem eisenbeschlagenen Knüppel aus Eichenholz zu.

Um ein Haar wäre Averardo Pagolo unter dem Hieb mitsamt dem Lehnstuhl umgekippt. Er brüllte auf, doch was er nach dem fürchterlichen Schlag ausspuckte, waren noch immer keine Namen, sondern Blut, Schleim und mehrere Zähne.

Zitternd und würgend hing er in den Fesseln, sein Kopf war auf die Brust gesunken. Blut rann ihm aus dem Mund. Er wusste, dass er am Ende war, und zwar nicht irgendwann, sondern jetzt. Doch die Kapitulation kam ihm nicht über die Lippen, denn ihm drohten die Sinne zu schwinden.

»Hast du sie noch alle, Federico?« Voller Wut knallte Luca Montero den Becher auf die wellige Schragenplatte und sprang auf wie von der Tarantel gestochen. »Du lässt sofort die Finger von ihm!« Mit zwei schnellen Schritten war er bei Federico, riss ihm den Totschläger aus der Hand und starrte ihn erbost an.

Federico machte ein verständnisloses Gesicht. »Was …?«

Montero schnitt ihm das Wort ab. »Hat man dir ins Hirn geschissen? Du solltest den Mistkerl zum Reden bringen, nicht ihm Mund und Kiefer zu Brei zerschlagen, du hirnloser Trottel! Kannst du mir mal verraten, wie wir nachher verstehen sollen, was er sagt, wenn er endlich aufgibt und singt? Aufschreiben kann er die Namen ja nicht mehr, wo du ihm schon gleich zu Anfang die Finger zertrümmert hast, du Hornochse!«

Federico stutzte, zog die Unterlippe zwischen die schiefen Zähne und warf einen verblüfften Blick auf den geschundenen Mann. Und dann schaute er nicht mehr verständnislos drein, sondern nur noch dümmlich.

»Da ist natürlich was dran, Condottiere«, sagte er widerstrebend – immerhin schlau genug, den respektvollen »Condottiere« nicht zu vergessen, auf den der einstige Söldnerhauptmann so großen Wert legte. »Also jetzt, wo du das sagst …«

Montero verdrehte die Augen, gebot ihm mit einer herrischen Bewegung, den Mund zu halten, und kehrte ihm abrupt den Rücken zu.

»So wird das nichts, Leute!« Ärgerlich warf er den Eichenprügel zwischen das Gerümpel. »So knacken wir die Nuss nicht, aber geknackt werden muss sie! Der Signore wird bald eintreffen und Namen hören wollen! Also lasst euch was einfallen, zum Henker.« Er griff nach dem leeren Krug. »Ich hol uns frischen Zunder für die Kehle. Aber wenn ich nachher mit dem Padrone zurückkomme, will ich, dass die Nuss geknackt ist, verstanden?«

Die drei Männer nickten.

»Legt euch endlich ins Zeug!«, forderte Montero noch einmal unwirsch, nahm seinen ramponierten Landsknechtshut aus schwarzem Filz und stülpte ihn sich mit einer zornigen Bewegung auf den Kopf.

»Ist angekommen, Condottiere. Aber wer soll jetzt weitermachen?«, fragte Gaetano mit leicht spöttisch hochgezogenen Brauen und ließ den Kienspan im Mund wandern.

Montero überlegte kurz. Dann deutete er auf Pico Forsa. Der Mann verstand sich aufs Quälen, egal ob Tier oder Mensch, und er hatte Freude daran. Ein Sadist wie er war jetzt genau der Richtige. »Pico, du machst weiter! Zeig Federico, wie man einen Mann zum Reden bringt!«

Pico grinste über das ganze schwammige Gesicht. »Wird mir ein Vergnügen sein!«

»Das glaube ich dir unbesehen«, knurrte Montero, zerrte die Tür auf und stiefelte mit dem leeren Krug aus dem Kellergewölbe.

4

An dem sonnig klaren Morgen, an dem die Medici-Brüder im majestätischen Dom Santa Maria del Fiore unter den Klingen der Verschwörer fallen sollten, schien sich ganz Florenz in der riesigen Kathedrale versammelt zu haben. Es war der 26. April 1478, Ostersonntag.

Im hinteren Kirchenschiff und entlang der Seitenaltäre drängte sich schon früh der popolo minuto, das einfache Volk. Schon lange vor Beginn der Messe gab es dort kein Durchkommen mehr. Dagegen fanden sich die kirchlichen Würdenträger und vornehmen Signori der Stadt standesgemäß erst später ein. Doch wurde ihnen nicht zugemutet, sich einen Weg durch die Volksmassen zu bahnen und dabei unweigerlich mit ihnen auf Tuchfühlung zu gehen.

Die nobili, grandi und magnati der Stadt benutzten die oberen Seitenportale, war ihnen doch direkt vor dem Altar das weite, lichte Rund unter der atemberaubenden Domkuppel vorbehalten, Brunelleschis architektonischem Wunderwerk und Wahrzeichen der stolzen Republik am Arno. So mussten sie während der heiligen Messe nicht den Hals recken, um zu verfolgen, was im Altarraum geschah.

In dem geräumigen Rund, in das durch die Kuppelfenster das sanfte Licht der Morgensonne fiel, wogte kurz vor Beginn der Feier ein prunkvolles Meer von scharlachroten, violetten und königsblauen Gewändern, von goldenen Schärpen und mit Juwelen und Perlen bestickten Gewändern, Beinlingen und Wämsern. Und inmitten all der Pracht warteten, die Dolche und Kurzschwerter unter weiten Umhängen verborgen, die Verschwörer auf die Medici und den blutjungen päpstlichen Legaten.

Auch Salvadore Casavoli hatte sich in das kostbare rote Tuch der Vornehmen gekleidet. Etwas anderes wäre dem stattlichen Zweiunddreißigjährigen mit den markanten Zügen auch nicht in den Sinn gekommen. Immerhin gehörte er zu den Tuchfabrikanten, denen neben den noch vornehmeren Bankherren Florenz die wirtschaftliche und politische Macht verdankte, die ihm so oft geneidet wurde.

Er hielt nichts von den Ermahnungen der Alten, seinen Reichtum tunlichst hinter äußerlich schlichtem Lebenswandel und beständigem wirtschaftlichem Klagen zu verbergen. Und seit er nach dem plötzlichen Tod seines Vaters gut ein Jahr zuvor die Tuchmanufakturführte, brauchte er sich auch nicht mehr darum zu scheren. Endlich war er so frei, wie er es sich so lange und mit kaum zu zügelnder Ungeduld gewünscht hatte.

Nicht, dass er den Tod des Vaters herbeigesehnt hätte, der Herr war sein Zeuge! Aber es hatte ihm doch sehr zugesetzt, all die Jahre hindurch nichts entscheiden zu dürfen und die väterlichen Launen und Anordnungen widerspruchslos hinnehmen zu müssen. Während der letzten beiden Lebensjahre seines Vaters war es ihm ganz besonders schwergefallen, an sich zu halten. Frisch verheiratet mit der bildhübschen sechzehnjährigen Leonora, hatte er schwer damit gehadert, vor den Augen seiner jungen Frau weiterhin wie ein dummer Junge herumkommandiert zu werden. Ganz zu schweigen davon, dass er, was die Verwendung der stattlichen Mitgift seiner Frau betraf, nicht einmal hatte mitreden dürfen!

Nun, diese bitteren Zeiten gehörten ein für alle Mal der Vergangenheit an. Jetzt war er das Oberhaupt des Hauses Casavoli, alle Entscheidungen lagen bei ihm. Und die Geschäfte gingen blendend. Ein paar Jahre noch, dann gehörte auch er zu den tonangebenden Magnati unter den Tuchmachern, redete in der Gilde ein gewichtiges Wort mit und hatte gute Chancen auf ein hohes Staatsamt. Womöglich hatte er es dann in den herrschenden Kreisen zu genug stato und grandezza gebracht, dass er in den hohen Rat der Prioren gewählt wurde und die Geschicke von Florenz mitbestimmen konnte.

Er hatte also allen Grund, dem Schicksal dankbar zu sein, umso mehr, als Leonora ihm nicht nur schon mit dem ersten Kind Landolfo einen prächtigen, kerngesunden Stammhalter geschenkt hatte, sondern in wenigen Monaten bereits mit dem zweiten Kind niederkommen würde, gewiss wieder mit einem strammen Sohn.

Dass sie sich zudem im Ehebett als gelehrig und leidenschaftlich erwiesen hatte und ihm zu seiner großen Überraschung in den drei Jahren regelrecht ans Herz gewachsen war, betrachtete er als ein zusätzliches und gänzlich unerwartetes Geschenk Fortunas.

Ja, das sollte mir doch eine Kerze vor der Muttergottes wert sein, und zwar eins von den teuren, armdicken Wachslichtern, dachte Salvadore Casavoli und beschloss, gleich nach der Messe ein solches Licht anzuzünden.

Dann fiel sein Blick im Gewoge auf die große, würdevolle Gestalt von Bernardo Bandini Baroncelli, der seit einiger Zeit für das führende Florentiner Bankhaus der Pazzi arbeitete. Der geringfügig jüngere Mann war blass und wirkte angespannt; er hatte sich in einen faltenreichen Umhang aus feinstem Tuch gehüllt, als sei er nicht wohlauf und brauche mehr Wärme, als der Ostermorgen zu bieten hatte.

Unwillkürlich überlegte Salvadore Casavoli, ob er Baroncelli gleich hier auf den Kredit ansprechen sollte, den er zum Erwerb einer zweiten Tuchmanufaktur benötigte. Dass solch ein Gespräch, bei dem es zwangsläufig auch um Zinsen gehen würde, im Angesicht des Gekreuzigten anstößig sein könnte, dieser Gedanke wäre ihm wie jedem anderen Florentiner nicht einmal im Traum gekommen. Solange der Priester am Altar nicht zur Wandlung schritt, war es in allen Gotteshäusern seit jeher gang und gäbe, dass man sich unterhielt selbst während der Messe und als Kaufmann die Anwesenheit so vieler anderer Händler nutzte, um Geschäfte anzubahnen. Dementsprechend lebhaft war das allgemeine Stimmengewirr um ihn her. Es hörte sich an wie das Summen eines gigantischen Bienenstocks.

»Ob wohl Kardinal Raffaele Sansoni Riario als Ehrengast der Medici die heilige Messe lesen wird?«, hörte Salvadore Casavoli hinter sich jemanden fragen.

»Ich bin mir nicht sicher, ob dieses Bürschchen von gerade mal siebzehn Jahren überhaupt weiß, wie man den Kelch richtig hält«, höhnte eine zweite Stimme. »Ganz zu schweigen vom Latein, von dem er vermutlich so viel versteht wie vom Rasieren, dieser milchgesichtige Schnösel und Kardinal!«

»Ist mir überhaupt ein Rätsel, dass Sixtus IV. seinen Neffen als Abgesandten geschickt hat, wo er mit den Medici doch so bitterböse über Kreuz ist!«, warf eine dritte Stimme ein.

»Vermutlich wird Kardinal Riarios älterer Bruder, der Erzbischof Francesco Salviati, die Ehre haben.«

Jemand lachte geringschätzig. »Du glaubst doch wohl nicht im Ernst, dass Il Magnifico ihn an den Altar lässt, wo er sich doch so lange geweigert hat, Salviatis Ernennung zum Erzbischof von Pisa anzuerkennen und ihn in die Stadt zu lassen!«

Salvadore Casavoli hörte nicht länger hin und konzentrierte sich stattdessen wieder auf die Frage, ob er die Gelegenheit nutzen und bei Baroncelli vorfühlen oder sein Geschäft doch besser zu den Medici tragen sollte, wie sein Vater es mit seinen Kredit- und Wechselgeschäften gehalten hatte.

Aber auch wenn Lorenzo de’ Medici, der sich schon seit einiger Zeit »Il Magnifico« titulieren ließ, der ungekrönte Fürst und Herrscher von Florenz war, hatte das Bankhaus der Medici in den vergangenen Jahren viel von seiner einstigen. Bedeutung verloren. Hinter vorgehaltener Hand munkelte man gar, die Bank der Medici stehe auf tönernen Füßen und werde nur noch durch jene Gelder vor dem Bankrott bewahrt, die Lorenzo schamlos der Staatskasse entnehme.

Salvadore Casavoli traute das dem Medici durchaus zu. Doch selbst wenn an dem Gerücht nichts Wahres war, stand Lorenzos Bankhaus längst im Schatten des enormen Reichtums, den die rivalisierenden Pazzi als Bankherren angehäuft hatten und zur Stärkung ihrer wirtschaftlichen wie politischen Macht zu nutzen wussten. Nicht ausgeschlossen, dass die Stimmung in Florenz sich schon bald gegen die Medici wandte und die Pazzi im Streit der Parteien die Oberhand gewannen. In Rom, wo die Medici-Bank jahrzehntelang in allen finanziellen Belangen der Kirche den Vorrang gehabt hatte, waren Lorenzo und seine Parteigänger bei Papst und Kurie schon in Ungnade gefallen.

Papst Sixtus IV. hatte sich böse mit Lorenzo überworfen, und das nicht nur, weil dieser Salviatis eigenmächtige Ernennung zum Erzbischof von Pisa, das zum Herrschaftsgebiet von Florenz gehörte, über ein Jahr lang nicht hatte anerkennen wollen. Ein hoher Kredit über 40000 Goldflorin, den der Medici dem Papst verweigert, das Pazzi-Bankhaus ihm aber nur zu gern gewährt hatte, war der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Seitdem stützte sich der Vicarius Christi ausschließlich auf die Pazzi und hatte ihnen alle Kirchengeschäfte übertragen. Das hatte zwischen den Medici und den Pazzi für viel böses Blut gesorgt, und man musste kein Hellseher sein, um zu wissen, dass im Ringen der beiden Familien um die Macht in der Republik am Arno die letzte Entscheidung noch nicht gefallen war.

Vielleicht wäre es unklug, schon jetzt die Seiten zu wechseln, wo noch alles offen ist, sinnierte Salvadore Casavoli. Immerhin erfreuten sich die Medici noch immer größter Beliebtheit unter dem gemeinen Volk, insbesondere der junge, gutaussehende und volkstümliche Giuliano, der erklärte Liebling der einfachen Leute und Schwarm der Mädchen und Frauen. Der Mann verstand es tatsächlich, allen den Kopf zu verdrehen, ohne jedoch den Zorn der Männer zu erregen.

Als ein weiterer Schwung vornehmer Signori durch das Seitenportal an der Via die Servi im Dom Einzug hielt, wurde Salvadore Casavoli aus seinen Überlegungen gerissen. Das jähe Anschwellen der Stimmen dort beim Portal, in das sich nun auch Jubelrufe und Applaus mischten, verriet, dass nicht irgendeine Gruppe Nobili, sondern Il Magnifico selbst mit seinem Gefolge und seinen hohen Gästen eingetroffen war, so dass die heilige Ostermesse beginnen konnte.

Baroncelli schien es in die Nähe der Medici zu ziehen, und Salvadore Casavoli folgte ihm unwillkürlich. Er erhaschte einen Blick auf den jungen Kardinal Riario und den Erzbischof. Letzterer ging jedoch rasch wieder auf Abstand zu den Medici-Brüdern, deren prunkvolle Gewandung alle anderen Prachtroben mühelos ausstach.

Giuliano, ein Adonis von dreiundzwanzig Jahren, trug Seide, Samt, Brokat und aufgenähte Juwelen stets wie eine zweite Haut. Seinem sechs Jahre älteren Bruder Lorenzo dagegen, der mit seiner kratzig näselnden Stimme, der platten Nase, den etwas wulstigen Lippen und der hohen Stirn alles andere als ein schöner Mann war, diente der blendende Glanz der Darstellung seiner fürstlichen Macht. Und was ihm an äußerlichen Attributen fehlte, machte er durch seinen überragenden Intellekt, seinen entwaffnenden Charme und seine viel bewunderte Leichtigkeit im Umgang mit dem Wort mehr als wett. Wie kein anderer verstand er es, bei öffentlichen Auftritten das Volk zu beeindrucken und in privater Gesellschaft auf so gut wie jedem Feld des Wissens zu brillieren. Zudem war er ein geborener Diplomat und kühl kalkulierender Strippenzieher, der im kommunalen Ränkespiel wie in der verworrenen Außenpolitik so schnell keinen Faden aus den Händen verlor.

Der Domchor engelhafter Knabenstimmen setzte ein, himmlischer Duft aus dem riesigen Weihrauchfass erfüllte die Kathedrale, und das Hochamt der Ostermesse begann. Das Stimmengewirr ebbte ein wenig ab, andächtige Stille aber setzte nicht ein. Vielmehr fuhren die Signori im Rund unter der Kuppel unbekümmert fort, Freunde zu begrüßen, mit Nachbarn ein Wort zu wechseln, Geschäfte auszuhandeln und plaudernd von einer Gruppe zur anderen zu schlendern. Die Medici-Brüder hielten es nicht anders, wobei sie und ihre Begleiter im Laufe der Messe ein wenig auseinanderdrifteten.

Und dann wurde es für einen Moment doch leise, denn der Priester hob während der heiligen Wandlung die Hostie empor, und sein »Hoc est enim corpus meum!« hallte durch das Kirchenschiff. Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wurde. Da flog plötzlich Baroncellis Umhang auf und in seiner Hand blitzte ein Dolch.

»Hier, du Verräter!«, schrie er, stürzte, das Gesicht verzerrt vor Hass und Angst, auf den vor ihm stehenden Giuliano los und stieß ihm die Klinge bis zum Heft in die Brust.

Der Medici wankte zurück und riss schützend den rechten Arm hoch, doch vergebens. Augenblicklich setzte Baroncelli nach und stieß erneut zu. Diesmal rammte er ihm den Dolch in den Unterleib. Und im selben Moment stürzte sich der zweite Verschwörer auf das Opfer.

Es war Francesco Pazzi, der Neffe von Jacopo Pazzi, dem Oberhaupt der Familie. Wie von Sinnen stach er auf den Verwundeten ein und brüllte mit sich überschlagender Stimme: »Tod den Tyrannen! Tod den Tyrannen!«

Salvadore Casavoli stand keine zwei Schritte von dem grauenhaften Gemetzel entfernt. Wie gelähmt vor Entsetzen sah er zu, wie die Attentäter über Giuliano herfielen und auf ihn einstachen, als wollten sie ihn in Stücke hacken. Vor allem der junge Francesco Pazzi schien wie vom Teufel besessen. In seiner blinden Mordlust fuchtelte er derart wild mit seinem Dolch umher, dass er sich in den eigenen Oberschenkel schnitt.

In hohem Bogen flog das Blut von den Klingen, strömte aus den Wunden, schoss im Rhythmus des panisch pumpenden Herzens wie eine Fontane aus aufgefetzten Arterien. Ein Blutstrahl des sterbenden Medici traf Salvadore Casavoli auf der Brust und bespritzte ihn im Gesicht. Und dann, als Giuliano mit zerfetztem, blutgetränktem Gewand ihm zu Füßen zusammenbrach, legte sich ihm von hinten eine Hand auf die Schulter …

***

Salvadore Casavoli zuckte unter der Berührung zusammen, fuhr aus dem Schlaf auf und blinzelte in das warme Licht einer Öllampe. Für den Bruchteil einer Sekunde hing die blutige Szene noch vor seinen Augen, dann wurde ihm bewusst, wo er sich befand, nämlich im studiolo, dem Arbeitszimmer seines Landhauses, anderthalb Reitstunden vor den Toren von Florenz.

»Verzeiht, Signore«, entschuldigte sich der Diener, der ihn mit einem sanften Rütteln aus seinem Alptraum geholt hatte. »Aber Ihr hattet mir aufgetragen …«

»Da gibt es nichts zu verzeihen, Tommaso«, fiel der Tuchfabrikant ihm ins Wort. Tommaso Galeazzi stand seit der Pazzi-Verschwörung etwa zwölf Jahre zuvor in seinen Diensten und war ihm so bedingungslos ergeben, dass er wohl auch sein Leben für ihn gegeben hätte. »Dass ich doch noch einschlafen würde, hätte ich nicht gedacht.« Andererseits war es nicht so verwunderlich, hatte die Nacht sich doch schon vor Stunden über Stadt und Land gelegt.

Tommaso reichte ihm zur Erfrischung einen Kristallpokal mit kaltem Weißwein.

Salvadore Casavoli setzte sich im gepolsterten Scherensessel auf, nahm einen kräftigen Schluck und fragte unnötigerweise: »Ist es Zeit?«

Tommaso nickte. »Montero hat einen seiner Männer geschickt. Er lässt ausrichten, dass Eure Waffenknechte mit dem Fuhrwerk eingetroffen sind. Außerdem hat er seinem Boten aufgetragen zu sagen, dass Ihr auch in der anderen Angelegenheit mit seiner Arbeit zufrieden sein werdet, wenn Ihr bei ihnen eintrefft.«

»Ist mein Pferd gesattelt, Tommaso?«

»Wenn das Euer Wunsch ist, könnt Ihr sofort aufbrechen, Signore Salvadore.«

Während das linke Auge starr, kalt und leblos blieb, blitzte es im rechten auf. Unschwer erkannte Tommaso in dem Lächeln, das über das Gesicht des Tuchfabrikanten glitt, grimmige Genugtuung, aber auch die Unversöhnlichkeit und unerbittliche Härte seines Herrn. »Und ob ich das will, Tommaso! Es stehen zu viele Rechnungen offen, die nach zwölf langen Jahren nun endlich beglichen werden! Und zwar mit Blut, Strömen von Blut. Wie damals!«

5

»Also dann, sehen wir doch mal, was hier zur feineren Überredungskunst eingesetzt werden kann«, höhnte Pico Forsa, als die schwere Tür hinter Montero zufiel, und blickte mit vergnügtem Grinsen in die Runde seiner Kameraden. Dann besah er sich kurz die Werkzeuge, die auf den Wandborden lagen oder von Haken am Mauerwerk hingen, und griff schließlich nach einem Handbeil mit rostiger Klinge. Und an Averardo Pagolo gewandt sagte er höhnisch: »Schätze mal, damit kommen wir beide schnell ins Gespräch. Wie siehst du das? Also ich bin da sehr zuversichtlich.«

Averardo Pagolo hob den Kopf und kämpfte gegen die Benommenheit an.

»Am besten fange ich mit deinen Händen an«, fuhr Pico genüsslich fort. »Mit den Fingern kannst du ja doch nichts Rechtes mehr anfangen, nachdem der gute Federico sie dir so schön weich geklopft hat …«

Federico verzog das Gesicht, kratzte sich und schnaubte mürrisch.

»… hacken wir sie dir am besten gleich ab. Was meinst du, sollen wir mit der Rechten anfangen? Gewiss, das machen wir! So, mal sehen, ob ich sie alle auf den ersten Hieb erwische.« Er hob das Handbeil.

»Ich an deiner Stelle würde mir das noch mal überlegen«, warf Gaetano Morgante unaufgeregt ein.

Pico hielt inne und ließ das Beil wieder sinken. »Wieso? Hast du vielleicht besondere Wünsche, in welcher Reihenfolge seine Matschfinger fallen sollen?«, fragte er und blickte demonstrativ auf Gaetanos linke Hand mit den nur noch zwei Fingern.

Gaetano sprang auf die boshafte Bemerkung nicht an. »Nein, spiel du nur den Metzger, Pico. Die Rolle liegt dir, darin kann dir keiner das Wasser reichen. Aber vorher würde ich doch gern wissen, wie du es anstellen willst, dass ihm vor dem Verbluten noch ein bisschen Zeit zum Reden bleibt«, erwiderte er kühl. »Der Kerl wird bluten wie ‘n Schwein am Schlachttag! Und wenn er dir unter der Klinge wegstirbt, bevor er die Namen ausgespuckt hat, hinter denen der Padrone her ist wie der Teufel hinter der Seele, geht’s dir an den Kragen – und zwar auf das Übelste, würde ich mal behaupten.«

Federico nickte hämisch, sichtlich schadenfroh, dass Pico die Sache ebenso wenig durchdacht hatte wie zuvor er die Methode mit dem Totschläger. »Du sagst es, Gaetano! Ich wette, dass ihn das seine fette Melone von Kopf kostet!«

Pico reagierte darauf mit einem unbekümmerten Lachen. »Eure Sorge wärmt mir das Herz, Freunde. Aber ihr könnt sie euch sparen. Es wird nicht passieren – das Verbluten, meine ich.«

»Ach nee! Das ist ja ein Ding!«, stichelte Pico. »Wie willst du denn das Wunder anstellen? Mit ‘ner kleinen Beschwörung?«

»Schon mal was vom Veröden gehört?«, fragte Pico mit selbstgefälligem Grinsen zurück. »Glühende Kohlen wären zwar besser, aber mit der Flamme von ‘ner Öllampen geht’s auch. Wird zwar übel nach verbranntem Fleisch stinken, aber Verbluten wird der Kerl so schnell nicht, darauf könnt ihr einen lassen.«

Gaetano seufzte. »Na dann, nur zu!«

Wieder hob Pico das Handbeil hoch über seinen Kopf.