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Über dieses Buch:

Im kleinen Dörfchen Brantevik an der schwedischen Küste treffen sich die vier Freundinnen Viola, Inez, Olga und Svea auch an diesem Abend wieder zum gemütlichen Kaffeeklatsch. Doch mit dieser Neuigkeit haben sie nicht gerechnet: Viola hat eine Reise ins ferne Schwerin gewonnen … und die anderen sollen sie begleiten! Firlefanz, meinen ihre grummelnden Ehemänner, die keine Lust auf Strohwitwertage haben – und damit ist es für die Frauen natürlich beschlossene Sache: Auf zur großen Fahrt. Ausgerechnet die Freundinnen sorgen bald für großen Trubel in der bunt gemischten Reisetruppe, denn mit im Gepäck haben sie das ein oder andere brisante Geheimnis …

Unterhaltsam, charmant und liebenswert: »Karin B. Holmqvists Bücher sind typisch schwedisch und mit einer ganz besonderen Wärme erzählt«, sagt der erfolgreiche schwedische Blog ›En bokcirkel för alla‹.

Über die Autorin:

Karin B. Holmqvist, geboren 1944 im südschwedischen Simrishamn, machte eine kurze Karriere in der Kommunalpolitik und arbeitete anschließend als Sozialarbeiterin. In ihrer Freizeit ist sie Kabarettistin und schreibt Romane sowie Gedichte.

Bei dotbooks veröffentlichte Karin B. Holmqvist bereits die Romane »Schwedisches Glück«, »Villa mit Herz« und »Das fabelhafte Haus des Glücks« – auch als Sammelband unter dem Titel »Schwedische Küsse« erhältlich – sowie »Schwedischer Sommer« und »Die Liebe kommt an Regentagen«.

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eBook-Neuausgabe Dezember 2018

Dieses Buch erschien bereits 2013 unter dem Titel »Das Leben ist kein Kaffeekränzchen« bei Piper

Copyright © der schwedischen Originalausgabe 2011 Karin Brunk Holmqvist, Kabusa Böcker, Göteborg

Die schwedische Originalausgabe erschien 2011 unter dem Titel »Kaffe med musik« bei Kabusa Böcker, Göteborg

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2013 Piper Verlag GmbH, München

Copyright © der Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/UnitedPhotoStudio

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96148-217-7

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Karin B. Holmqvist

Schwedische Herzen

Roman

Aus dem Schwedischen von Annika Krummacher

dotbooks.

Kapitel 1

Der Ostwind drängte das Meer in den Hafen von Brantevik. Bootsfender schlingerten an den Bordwänden, und die Fallen knallten gegen die Masten der Yachten. Schonungslos trieb der Wind den Herbst in das kleine Fischerdorf. Die Feriengäste waren längst wieder zu Hause, und die Geranien in den Sommerhäuschen waren durch Trockenblumen ersetzt worden. Nun war wieder der Alltag in den Ort eingezogen. Nur die zurückgelassenen Kätzchen warfen hoffnungsvolle Blicke in die verlassenen Ferienhäuschen.

Viola Björk und Inez Glans lehnten ihre Fahrräder an die Hecke des Häuschens in der Östersjögatan. Sorgfältig schlossen sie sie ab, nahmen ihre Stoffbeutel aus den Lenkerkörben und zogen Plastiktüten über die Sättel. Fast gleichzeitig steckten die beiden Frauen ihre Fahrradschlüssel in die Manteltasche. Ihre Bewegungen waren so synchron, dass man hätte glauben können, die eine sei ein Schatten der anderen. Schweigend gingen sie den Gartenweg entlang, der von einer niedrigen Buchsbaumhecke gesäumt wurde. Ganz so, als wollten sie ihre Stimmen für den bevorstehenden Abend schonen.

Ein paar Motten warfen sich verzweifelt gegen die runde Glaslampe, die links von der grünen Tür des weiß verputzten kleinen Hauses hing. Wie Projektile flogen sie durch die kühle Abendluft und prallten gegen die Lampe, ohne ihr Ziel im heißen Glaszylinder zu erreichen.

Inez klopfte vorsichtig an die Tür. Olga Henriksson öffnete und ließ die Gäste ein. Der Lichtstrahl, der sich über den Gartenweg gelegt hatte, wurde immer schwächer, bis die Tür mit einem dumpfen Knall ins Schloss fiel.

»Puh, draußen ist es richtig ungemütlich«, sagte Inez, während sie ihren Mantel auf den Haken hängte. Ihr Tuch steckte sie wie immer in den Mantelärmel, um es nicht zu vergessen, wenn sie wieder nach Hause radelte.

»Immer rein in die gute Stube«, sagte Olga fröhlich und erntete ein bemühtes Lächeln von ihren Freundinnen, die sich schon seit Jahren diese Begrüßungsphrase anhören mussten.

»Das Thermometer hat acht Grad angezeigt, als ich zu Hause losgefahren bin, aber durch den Wind fühlt es sich kälter an«, meinte Viola fröstelnd.

Die Gäste setzten sich auf das mit beigefarbenem Wollstoff bezogene Sofa. Inez griff nach einem Zierkissen in Rottönen und schob es sich in den Rücken.

»Svea kommt heute Abend nicht. Sie ist in Stockholm und feiert den Geburtstag eines ihrer Enkelkinder.« Olga ließ ihren Blick zwischen Viola und Inez hin- und herwandern, während sie sprach.

»In Stockholm! Unglaublich, wie die ständig auf Achse ist ... Na ja, manchen Leuten segeln die Hundertkronenscheine eben nur so in die Geldbörse. Unsereins muss das kleine bisschen, was man hat, gut festhalten. Wenn irgendwas auf mich herabpurzelt, dann sind es höchstens Fünfundzwanzigöremünzen«, meinte Inez seufzend.

»Es gibt doch gar keine Fünfundzwanzigöremünzen mehr«, korrigierte Olga.

»Die beiden haben bestimmt eine gute Rente. Immerhin waren sie ihr Leben lang Lehrer, da können sie sich das eben leisten«, versuchte Viola die Situation zu entspannen.

Inez schnaubte und meinte: »Aber deshalb muss man doch nicht sein ganzes Geld für Reisen verschwenden!«

Inez' rundes Gesicht war von grauem, dünnem Haar umgeben, das ein Eigenleben führte. Für ihr Alter sah sie jugendlich aus, aber wenn sie sich ärgerte, wie jetzt, zog sich ihr Gesicht förmlich zusammen, und sie wirkte viel älter. Mit Arroganz konnte sie nicht umgehen. Nun ja, vielleicht war Svea gar nicht arrogant, aber sie war auch nicht immer freundlich und wollte gern gehört und gesehen werden. Für ihren Stockholmer Dialekt konnte sie natürlich nichts, der war ihr in die Wiege gelegt worden, genau wie Inez die Anlage zu Plattfüßen. Aber einfach so nach Stockholm zu reisen, das war doch etwas zu viel des Guten, fand Inez. Sie selbst war nur ein einziges Mal dort gewesen, trotz ihrer gut siebzig Jahre.

Damals, als sie Svea zum ersten Mal begegnet waren, hatten die Freundinnen den Eindruck gehabt, sie sei auf der Suche nach Kontakten. Es war sicher nicht leicht, von Stockholm nach Brantevik zu ziehen, und deshalb hatten sie Svea angeboten, an ihrem Nähkränzchen teilzunehmen. Doch obwohl Svea schon seit einem Jahr dabei war, kam es ihnen nicht so vor, als habe sich ihre Freundschaft gefestigt. Manchmal hatte sich Svea sogar über ihre Stickbilder und Häkeldeckchen lustig gemacht. Und bisweilen bereuten sie, dass sie sie überhaupt eingeladen hatten.

Olgas Wohnzimmer war gemütlich, und die Gastgeberin hatte nach der langen Sommerpause sogar die Heizung eingeschaltet. Ein zweites beigefarbenes Sofa stand gegenüber von dem, auf das sich Inez und Viola gesetzt hatten. Der Couchtisch aus Mahagoni war in der Mitte mit einem Muster aus geblümten Kacheln versehen. Ein paar Ziergegenstände standen auf gestärkten, handgehäkelten Deckchen, in die glänzende Goldfäden eingearbeitet waren. Mitten auf dem Tisch befand sich eine gefüllte Obstschale, und Olga hatte kleine Obstmesser in die Früchte gesteckt, sodass das Arrangement an einen Igel erinnerte. Das angrenzende Esszimmer war nur durch einen Torbogen vom Wohnraum getrennt. Auf dem Esstisch lag ein weißes Leintuch, und in einer rosafarbenen Glasvase leuchtete ein Strauß Herbstblumen.

Inez öffnete ihren Stoffbeutel und zog eine Handarbeit heraus, die sie auf ihre Knie legte.

»Darf ich mal sehen, wie weit du gekommen bist?« Olga lehnte sich interessiert über den Tisch.

»Ich habe erst vier Wichtel gestickt. Es sollen neun werden«, erklärte Inez und strich stolz mit der Hand über den Aidastoff.

»Wirklich bewundernswert, diese kleinen Stiche, und dass du das noch alles sehen kannst!«, lobte Olga.

»Ach, es gibt noch viel kleinere Stiche als die hier. Sag mal, wie viel haben wir eigentlich in unserer Kasse?«, fragte Inez.

Olga ging hinüber zu einem Eckschrank und nahm eine alte Zigarrenkiste heraus.

»Bald siebzehnhundert Kronen«, antwortete sie stolz, nachdem sie den zerknitterten Zettel konsultiert hatte, der zusammen mit dem Geld im Kästchen lag.

»Svea muss noch für die Abende nachzahlen, an denen sie nicht dabei war«, sagte Inez und merkte selbst, wie schroff sie klang. Sie hatte Svea nie besonders gut leiden können, das war eben so.

Arvid wischte sich die Nase am Jackenärmel ab. Er atmete angestrengt, aber gleichmäßig, als sei er an ein Beatmungsgerät angeschlossen. Dabei stand er nur im Schuppen im Branteviksvägen und kämpfte mit dem Brennholz, das helfen sollte, die hohen Kosten der Elektroheizung in dem alten Haus zu senken. Er legte ein Holzscheit auf den Hauklotz und schwang routiniert die Axt, um es zu spalten.

In jüngeren Jahren war das Holzhacken eine Art Therapie für ihn gewesen. Arvid neigte zum Jähzorn, den er in seiner Jugend kompensierte, indem er mit gewaltiger Kraft riesige Holzscheite zerlegte. Mit den Jahren hatte sich seine Launenhaftigkeit gelegt, und mittlerweile schwang er die Axt nur noch, um Brennholz vorzubereiten.

»Bist du im Holzschuppen, Arvid?«, erklang eine Stimme, während die Tür langsam geöffnet wurde.

»Komm rein, Sigvard«, sagte Arvid und legte die Axt aus der Hand. »Willst du ein Bier?«

»Ich trinke nur von Donnerstag bis Samstag, das habe ich Olga versprochen.«

»Ach, aber heute ist Dienstag, das ist ja fast schon Donnerstag und fängt auch mit D an«, meinte Arvid grinsend, hob den Deckel einer großen Holztruhe an und zog zwei Bierflaschen heraus.

»Richtig, unsere Weiber haben ja heute ihr Häkeltreffen, da können wir uns auch was gönnen«, antwortete Sigvard und nahm sich eine Bierflasche.

Arvid ließ die Truhe mit einem Knall zufallen, und die beiden alten Männer setzten sich nebeneinander auf den Deckel. Mit einem Flaschenöffner, der an einer Schnur von der Decke baumelte, öffnete Arvid die beiden Flaschen. Schweigend tranken sie den ersten Schluck.

»Frierst du am Hintern?«, erkundigte sich Arvid höflich.

»Na ja, der Hosenboden brennt nicht gerade«, konterte Sigvard.

Arvid stellte seine Bierflasche beiseite, stand auf und griff sich einen alten Flickenteppich von einer Schubkarre. Er schüttelte ihn aus, und eine Wolke von Staub und kleinen Schmutzpartikeln wirbelte auf, während Sigvard vorsichtshalber in Deckung ging. Nachdem Arvid den Teppich auf die Holztruhe geworfen hatte, setzten sich die beiden wieder und nahmen den nächsten Schluck aus ihren Flaschen.

»Ich verstehe ja nicht, wie die es aushalten, Jahr für Jahr mit ihren Wollknäueln herumzusitzen.«

»Na ja, bei diesen Nähkränzchen wird sicher auch jede Menge geschwatzt.«

»Und wie die schwatzen, bestimmt nicht nur beim Ausatmen, sondern auch beim Einatmen, damit sie alles gesagt kriegen, was anliegt.«

»Bloß gut, dass man nicht danebensitzen und sich das Geschwätz anhören muss«, meinte Arvid und rülpste.

Draußen im Garten begann sich das Laub zu färben, und der Wind hatte einige Äpfel von den Bäumen geschüttelt. Arvids und Violas Grundstück war ziemlich groß, denn sie hatten schon vor vielen Jahren ein angrenzendes Stück Land dazugekauft. Doch mittlerweile empfanden sie die Bewirtschaftung des Grundstücks als etwas zu anstrengend.

Ihr Haus war nicht gerade eine Schönheit. Die Fassade war mit grauen Eternitplatten verkleidet, während das Fundament gemauert war. Das Gebäude sah aus, als sei es wie ein Pilz aus der Erde geschossen und dann einfach weitergewachsen. An der Giebelseite führte eine graue Zementtreppe in den Keller hinunter. Arvid und Viola hatten Kletterrosen und Efeu gepflanzt, aber der Eternit schien sich gegen alle Verschönerungsversuche zu wehren, denn was sie auch taten, die grauen Platten lugten immer zwischen den Zweigen hervor.

Im Haus selbst war die Zeit stehengeblieben. Viola war nie berufstätig gewesen. Zunächst hatte sie sich um den Sohn Eskil gekümmert, der mittlerweile ausgeflogen war und eine eigene Familie gegründet hatte, später war sie Hausfrau gewesen. Heute verbrachte sie ihre Zeit vor allem mit Handarbeiten und widmete sich ihrem Putzfimmel, indem sie Wände und Böden kaputtscheuerte. Arvids Verdienst als Fischer hatte ihnen keine größeren Ausschweifungen ermöglicht, aber sie waren dankbar und zufrieden.

»Unsere Rentenversicherung liegt vor der Tür«, pflegte Arvid scherzhaft zu sagen. Er und Viola waren sich einig, dass sie früher oder später den Teil des Grundstücks verkaufen würden, den sie einst hinzuerworben hatten. Die Touristen waren geradezu verrückt nach dem idyllischen Fischerdorf, und ein Grundstück in Ufernähe, dazu ziemlich zentral gelegen, würde Arvid und Viola ein hübsches Sümmchen einbringen, doch noch schoben sie den endgültigen Entschluss vor sich her.

»Wollen wir zum Hafen runtergehen und ein paar Worte mit den Jungs wechseln?«, schlug Sigvard vor und stellte die leere Bierflasche auf den Boden.

Arvid antwortete nicht, sondern trank den letzten Schluck aus seiner Flasche. Dann stand er auf, sicherte die Tür mit dem Vorhängeschloss und steckte den Schlüssel in seine Arbeitshose. Dann verschwanden die beiden Männer in der Dunkelheit, während drinnen im Holzschuppen der Flaschenöffner hin und her baumelte. Im schwachen Licht der Außenbeleuchtung konnte man den Werbetext ›Olssons Autolacke‹ entziffern.

»Stell dir das mal vor, einfach so nach Stockholm zu fahren«, meinte Inez seufzend.

»Apropos Reisen«, sagte Viola und wühlte in ihrem Stoffbeutel herum. »Eskil verkauft im Auftrag seines Sportvereins Lose für die Reiselotterie.« Sie war schon etwas stolz darauf, dass ihr Sohn die Fußballjugend trainierte.

Inez und Olga waren mit ihren Handarbeiten beschäftigt, legten sie aber aus der Hand, als Viola ein Häufchen Lose auf den Couchtisch fallen ließ.

»Ach, ich habe mir noch nie viel aus Reisen gemacht«, sagte Inez. »Und fliegen tu ich schon gar nicht. Ich will eines natürlichen Todes sterben.«

»Es sind Busreisen«, meinte Viola und las den Text auf dem Los vor. »Fünf Tage Holland, Oktoberfest in München ...«

»Bloß nicht«, sagte Inez und verzog den Mund.

»Weinreise an die Mosel oder Weihnachtsmarkt in Deutschland«, fuhr Viola fort. »Es sind Rubbellose. Man sieht sofort, ob man was gewonnen hat.«

»Was kosten die denn?«, fragte Olga.

»Fünfzig Kronen, wobei der Großteil an den Sportverein geht«, erklärte Viola.

Inez griff mit ihrer mageren Hand nach einem Los, legte es aber gleich wieder zurück.

»Wollen wir uns jeder ein Los kaufen? Wenn eine von uns gewinnt, dann können wir anderen doch mitfahren«, schlug Olga eifrig vor. »Es ist bestimmt schön in Holland, wenn die Tulpen blühen. Aber was machen wir mit Svea?«

»Ach, wir gewinnen ohnehin nichts«, meinte Inez und seufzte. Sie spürte, dass sie nicht die geringste Lust auf eine Busreise mit Svea hatte.

Olga erhob sich und kam kurze Zeit später mit ihrem Portemonnaie zurück. »Ich kaufe eins«, sagte sie, schnappte sich ein Los und zahlte bei Viola.

»Ich nehme auch eins«, sagte Viola lächelnd. »Und du, Inez?

»Ja, aber nur wegen der guten Sache. Was ist eigentlich, wenn eine von uns gewinnt – müssen die anderen dann den vollen Preis zahlen?« Kaum hatte sie das gesagt, bereute sie es. Geizig wollte sie auf keinen Fall wirken, aber es wäre doch trotzdem nicht richtig, wenn eine von ihnen umsonst reisen würde und die anderen voll zahlen müssten.

»Auf dem Los steht, was die Reise wert ist«, erklärte Viola. »Natürlich teilen wir die Gesamtsumme unter uns auf. Oder?«

Inez dachte an Svea. Die konnte doch nicht einfach mitfahren, ohne ein Los gekauft zu haben! Aber eine Reise würde es ja ohnehin nicht geben. Es lohnte sich gar nicht, darüber nachzugrübeln. »Dreiundzwanzig verlorene Jahre«, pflegte Gösta zu sagen. »Bestimmt hast du dir insgesamt dreiundzwanzig Jahre Sorgen über lauter Sachen gemacht, die nie passiert sind.« Da hatte er sicher recht. Inez entspannte sich und nahm auch ein Los.

Schließlich saßen die drei mit je einem Los am Couchtisch. Sie beschlossen, mit dem Rubbeln bis zum Kaffeetrinken zu warten.

»Hast du die Himbeermarmelade selbst gemacht, Olga?«, fragte Viola später, nachdem sie von der Biskuitrolle probiert hatte.

»Nein, die ist vom Supermarkt. Wir hatten dieses Jahr nicht genug Beeren im Garten, als dass es sich gelohnt hätte, selbst einzukochen.«

»Sie ist aber lecker«, meinte Viola anerkennend.

Die drei hatten zwar kein Wort mehr über die Lose verloren, aber trotzdem noch über ihre Vereinbarung nachgedacht. Sie hatten die Lose zum Esstisch mitgenommen. Inez sah angespannt aus. Sie presste die Kiefer so fest zusammen, dass sich an den Schläfen kleine Erhebungen bildeten.

»Geht es dir gut, Inez?«, fragte Viola besorgt. »Du siehst blass aus, finde ich.«

»Bei mir ist alles in Ordnung ... Deine Plätzchen sind wahnsinnig lecker, Olga. Darin bist du wirklich gut.«

»Ach, die Rezepte kann ich ja schon auswendig.«

Die drei nickten sich zu und lächelten. Ihre Freundschaft bestand schon seit vielen Jahren, obwohl sie so unterschiedlich waren – vom Aussehen wie von ihrem Wesen her. Inez war etwas überempfindlich und wirkte manchmal bockig und mürrisch, doch die anderen hatten sich daran gewöhnt. Sie war klein und zierlich und trug ihr Alter mit Würde. Olga hingegen war eher stämmig, ja, sie wirkte fast ein wenig unförmig, aber sie hatte ein hübsches Gesicht mit roten runden Wangen, die ihr das Aussehen eines kleinen Cherubs verliehen.

Viola war vom Wesen her vorsichtig und nachgiebig. Ihr Gesicht war faltig, aber ihre braunen, wachen Augen blickten gewitzt und freundlich. Sie war die kleinste der drei und wirkte beinahe schmächtig, obwohl auch sie ein Kind zur Welt gebracht hatte. Ihr Sohn Eskil wohnte nur wenige Schritte von seinem Elternhaus entfernt. Inez' und Göstas unverheiratete Tochter lebte in Ystad, während Olga und Sigvard zwei Söhne hatten, die in Simrishamn wohnten, nur knapp zehn Kilometer weit weg.

»Jetzt geht es los«, sagte Viola forsch. »Wer fängt an mit dem Rubbeln?«

Alle drei griffen nach ihren Losen.

»Fang du an, Viola. Du hast sie ja mitgebracht.«

Vorsichtig begann Viola auf ihrem Los zu rubbeln. Inez und Olga lehnten sich neugierig über den Tisch.

»Eine Niete«, stellte Viola enttäuscht fest. »Immerhin ist es gut, wenn ›Niete‹ draufsteht, dann weiß man wenigstens gleich, woran man ist. Manchmal muss man vorher lauter Zahlen prüfen. Jetzt du, Olga«, sagte Viola gespannt.

Inez sah ein bisschen verschnupft aus, weil sie als Letzte dran war.

»Ich habe auch eine Niete«, seufzte Olga und entfernte die abgekratzte Gummischicht, die unter ihrem Fingernagel klebte, mit der Ecke des Loses.

»Toi, toi, toi«, sagte Inez und tat so, als würde sie auf ihr Los spucken. »Das bringt Glück«, erklärte sie und dachte im selben Moment, dass sie sich ja gar kein Glück wünschte.

Sie rubbelte so langsam, dass die anderen ungeduldig wurden.

»Oh, da steht eine Zahl«, meinte Inez atemlos.

Olga nahm das Los und zeigte auf die Rückseite. »Lies mal vor, da steht nämlich, was du gewonnen hast«, sagte sie eifrig.

»Ach, wird ein Pfund Kaffee sein oder so.«

»Als Gewinne gibt es aber nur Reisen«, unterbrach Viola.

Inez starrte die anderen erschrocken an und drehte dann vorsichtig das Los um.

»Nummer 1050. Eine Reise zu einem Weihnachtsmarkt in Deutschland.«

Olga klatschte begeistert in die Hände, während Inez und Viola wie zwei begossene Pudel aussahen.

»Stellt euch das mal vor«, sagte Olga. »Da wollte ich immer schon mal hin. Das müssen wir feiern.« Sie ging in die Küche und kam mit einer kleinen Flasche Kirschlikör und drei Gläsern zurück.

»Für mich bitte nicht. Ich muss noch Rad fahren«, sagte Inez.

»Meine Güte, entspann dich. Wir haben eine Reise gewonnen – oder besser gesagt du«, meinte Olga, als sie Inez' mürrische Miene sah.

Viola saß stocksteif da und lächelte verkrampft. »Wir könnten doch die Räder nach Hause schieben, Inez. Ich glaube, uns allen würde ein Gläschen ganz guttun.«

»Meinetwegen, aber nur ein ganz kleines bisschen«, lenkte Inez ein.

Verlegen rutschte Viola auf ihrem Platz herum und scharrte mit den Füßen unter dem Tisch. Inez starrte sie wieder so wütend an, wie nur sie es konnte. Viola war davon überzeugt, dass Inez in diesem Moment etwas Böses dachte, und das machte sie traurig.

Diese verflixte Viola, schoss es Inez im selben Moment durch den Kopf. Hätte Viola nicht diese vermaledeiten Lose mitgebracht, dann hätte sie in aller Ruhe Kaffee trinken und Olgas leckeres Gebäck genießen können. Stattdessen hatte sie jetzt einen spürbaren Druck auf der Brust.

»Nimm doch noch ein Plätzchen«, sagte Olga freundlich.

»Danke nein«, meinte Inez und schob den Teller mit ihrer schmalen Hand beiseite.

An diesem Abend wurde nicht mehr gestickt. Sie saßen noch ein Weilchen am Kaffeetisch, aber niemand verlor ein Wort über die Reise, es wurde überhaupt nicht mehr viel gesagt. Olga war am aufgedrehtesten, auch wenn sie sich nicht traute, es den anderen zu zeigen, denn immerhin hatte sie schon an mehreren Busreisen teilgenommen.

»Vielleicht sollten wir diesen Herbst einen Deutschkurs an der Volkshochschule besuchen?«, wagte sie vorzuschlagen, doch sie bekam keine Antwort.

Inez zog ihr Tuch aus dem Mantelärmel und hängte sich den Stoffbeutel über den Arm.

»Auf Wiedersehen«, sagte Olga fröhlich auf Deutsch, als die Gäste sich verabschiedeten und in der Dunkelheit verschwanden.

Inez drückte ihre Tasche in den Fahrradkorb und setzte sich auf den Sattel. Viola erwähnte den konsumierten Likör lieber nicht, sondern stieg vorsichtig auf ihr eigenes Rad. Während die beiden die kleine Dorfstraße entlangfuhren, blinkte Violas Fahrradlampe mit den Lichtern der Fahrrinne im Hafen um die Wette.

Kapitel 2

»Das war doch wirklich unnötig, heute Abend diese Lose mitzuschleppen«, brummte Inez vor sich hin, während sie die Treppe hinaufstieg. In der Küche leuchtete nur die kleine grüne Fensterlampe. Gösta hatte sich also schon hingelegt, und das war ihr nur recht. Sie hätte es nicht fertiggebracht, heute noch irgendetwas zu erklären. Sie musste das alles erst einmal verarbeiten.

Inez und Gösta hatten seit einigen Jahren getrennte Schlafzimmer. Gösta schnarchte so fürchterlich, dass man kein Auge zubekam. Im Übrigen war es nicht nur das Schnarchen. Manchmal zuckte er im Moment des Einschlafens zusammen und wimmerte wie eine Katze, die sich den Schwanz eingeklemmt hat. Einmal war Inez dadurch zu Tode erschrocken. Natürlich konnte Gösta das nicht zugeben, sondern konterte damit, dass die Lücke zwischen Inez' Vorderzähnen beim Ausatmen ein Geräusch erzeuge, das an das schrille Pfeifen auf zwei Fingern erinnere. Da sie niemals endgültig klären konnten, wer am meisten Lärm verursachte, hatte Inez sich eines Tages kurzerhand in Evas ehemaligem Mädchenzimmer eingerichtet, das leer stand, seit die Tochter von zu Hause ausgezogen war.

Inez knipste die Fensterlampe aus und schlich in ihr Zimmer. Sie hängte das geblümte Kleid auf einen Bügel und legte die Unterwäsche auf den Korbstuhl, der so fürchterlich knarzte, dass er nur noch als Ablage taugte. Dann streifte sie ihr wadenlanges Nachthemd aus Seersucker mit den kleinen bunten Kreisen über. Wenn ihr kalt war, wickelte sie sich gern ein Frottierhandtuch um die Füße. Früher hatte sie Socken angezogen, aber dann hatte sie in einer Zeitung gelesen, dass man von eng anliegender Kleidung Fußpilz zwischen den Zehen bekommen könne. Sogar im Sommer holte sie manchmal das Handtuch heraus, wenn es regnerisch und ungemütlich war.

Sie schaltete die fünfarmige Deckenlampe mit den kleinen gefältelten Seidenschirmen aus, machte die Leselampe an und schlüpfte dann ins Bett, um den Abend Revue passieren zu lassen. Sie musste sich das ganze Elend einfach noch einmal vergegenwärtigen. Ein Weihnachtsmarkt in Deutschland. Was für ein Unsinn. Als gäbe es in Österlen nicht genug davon – fast jedes Dorf in ihrer Gegend baute einen Weihnachtsmarkt auf. Wenigstens hatte sie keine Reise zum Münchner Oktoberfest gewonnen.

Plötzlich zuckte sie zusammen, denn die Sache mit Svea fiel ihr wieder ein. So wie die mit ihrem Mann durch die Gegend fuhr, hätte sie glatt die gesamte Lotterie aufkaufen können, wenn sie gewollt hätte. Am besten wäre es, Svea würde gar nicht mitfahren. Wer nicht zum Nähkränzchen kam, hatte selbst schuld. Es war eine schreckliche Vorstellung, mit dieser lauten Frau mehrere Tage in einem Bus zu verbringen. Entweder würde Svea mitfahren – oder sie. Die Tatsache, dass sie selbst die Reise gewonnen hatte, ließ sie außer Acht, denn zusammen mit Svea würde sich das Ganze ohnehin nicht gerade wie ein Gewinn anfühlen. Sie streckte sich und schaltete die Leselampe aus.

Zuerst wurde die Dunkelheit noch von stoßweisen Atemzügen erfüllt, doch schon bald beruhigten sie sich und wurden länger, was darauf schließen ließ, dass sich der Schlaf eingefunden hatte. Und nach einer Weile erklangen die wohlbekannten kleinen Pfiffe aus Inez' Zahnlücke.

»Aha, ihr habt also ein Saufgelage veranstaltet«, witzelte Sigvard, als er nach Hause kam und die kleinen Likörgläser auf dem Tisch stehen sah.

»Wir haben gefeiert«, sagte Olga geheimnisvoll, und ihre runden Wangen leuchteten.

»Gefeiert?«

»Viola hat Lose verkauft, zugunsten des Sportvereins – und wir haben gewonnen!«

»Noch ein paar von diesen bestickten Wandbehängen?«, kommentierte Sigvard sarkastisch.

»Eine Busreise nach Deutschland, zu einem Weihnachtsmarkt in Schwerin!«

»Was sagst du da? Soll das ein Witz sein?« Sigvard war verblüfft.

»Nein, ganz und gar nicht. Wir werden zu dritt fahren, vielleicht kommt auch Svea mit.«

Olga schenkte Sigvard ein Gläschen Likör ein und goss sich selbst nach. Dann erzählte sie von der Vereinbarung, die die Freundinnen getroffen hatten.

»Inez sah ganz und gar nicht so aus, als hätte sie sich über den Gewinn gefreut«, sagte Olga und wischte ein paar Krümel von der Tischdecke.

»Ach, die wirkt doch eigentlich nie besonders fröhlich«, meinte Sigvard, während er die letzten Tropfen trank und dann mit der Zunge durchs Glas fuhr, um sich zu vergewissern, dass es wirklich leer war.

»Jetzt bist du aber ungerecht«, wies Olga ihn zurecht. »Sie kann zwar ein bisschen mürrisch wirken, aber ich glaube, es ist nicht so schlimm, wie es aussieht. Es liegt vor allem daran, dass sie schnell verunsichert ist, und dann wirken ihre Reaktionen ein bisschen seltsam.«

»Die Psychologin vom Dienst hat mal wieder ihre Diagnose gestellt«, meinte Sigvard scherzhaft und ging zu ihr, um ihr übers Haar zu streichen. »Die Reise wird sicher nett.« Plötzlich überfiel ihn ein Gefühl von Unruhe. »Aber wie soll ich denn alleine klarkommen, mit dem Essen und dem ganzen Zeug ...?«

»Ich koche dir genug Essen vor und friere es ein, und auf das ›ganze Zeug‹ kannst du pfeifen, was auch immer du damit meinst. Meine Güte, die paar Tage! Du tust mir fürchterlich leid, Sigvard Henriksson, aber du wirst es überleben. Schau dir doch mal die Leute vom Dschungelcamp an. Die überleben mehrere Wochen im Urwald ohne gescheites Essen. Dann wirst du wohl ein paar Tage in Brantevik überstehen, mit Kühlschrank und Gefriertruhe, die bis zum Rand gefüllt sind. Du Angsthase!«

Typisch Sigvard, dachte Olga. Manchmal nimmt er einem den Wind aus den Segeln, wenn man sich ausnahmsweise mal richtig über etwas freuen könnte. »Aber wie soll ich denn alleine klarkommen?«, äffte sie ihn halblaut nach.

»Hast du was gesagt, Liebes?« Sigvards Tonfall war plötzlich ganz entspannt, denn er musste sich eingestehen, dass er mit seinen Befürchtungen etwas übers Ziel hinausgeschossen war. Schließlich wohnten die beiden Söhne mit ihren Familien in Simrishamn, knapp zehn Kilometer entfernt. Die konnte er natürlich auch besuchen.

»Und fahr bloß nicht zu den Jungs nach Simrishamn zum Schmarotzen«, sagte Olga, als sie Sigvards albernes Grinsen bemerkte.

Wenn man seit fast fünfzig Jahren verheiratet ist, dann ist es einfach lächerlich, etwas geheim halten zu wollen. Es steht einem ins Gesicht geschrieben, was man denkt und fühlt.

Sigvard seufzte. Als er aus dem Zimmer ging, drehte er sich in der Tür noch einmal um.

»Die Reise wird richtig nett, da bin ich mir sicher«, sagte er und meinte es auch so.

Im Branteviksvägen saß Viola Björk auf dem alten abgebeizten Küchensofa mit dem selbstgewebten Stoffbezug. Ihr schmächtiger Körper war noch mehr in sich zusammengesackt als sonst. Der Brustkorb sah beinahe aus wie eine Schüssel, so eingesunken und zerbrechlich wirkte er. Sie rang die Hände in monotonen kreisenden Bewegungen. Wenn sie innehielt, dann nur, um stattdessen an ihrem Ehering zu drehen.

»Das ist ja schön, Viola«, sagte Arvid freundlich, doch er machte sich ein wenig Sorgen wegen ihres nervösen Verhaltens. »Wir haben ja niemals die Zeit oder die Möglichkeit gehabt zu verreisen, und ihr Frauen versteht euch doch prima, oder?«

»Ja, sicher, es wird bestimmt nett, aber es gibt natürlich einiges zu organisieren.« Viola kratzte sich nervös an der Handfläche. Wobei Kratzen noch eine Untertreibung war. Sie scheuerte geradezu auf der Haut herum, und zwar so fest, dass sie einen gequälten Gesichtsausdruck bekam.

»Ich glaube, heutzutage braucht man nicht mal mehr einen Pass, um nach Deutschland zu reisen«, sagte Arvid beruhigend.

Viola hörte auf, sich zu kratzen, und starrte an ihrem Mann vorbei durchs Küchenfenster.

Containerschiffe glitten wie dunkle Schatten auf dem Meer dahin. Sie waren unterwegs zu weit entfernten Zielen in fremden Ländern. Die Welt dort draußen auf der See war so weit weg vom Leben in dem kleinen Küstenort.

Im Branteviksvägen lag Viola in ihrem Bett und machte sich voller Entsetzen bewusst, dass sie beinahe zum ersten Mal ihr Land verlassen würde. Sie war nur einige Male in Dänemark gewesen, noch bevor die Brücke über den Öresund erbaut worden war. Die Busreise zum Weihnachtsmarkt in Deutschland ließ ihr keine Ruhe. Wenn sie die Strecke über Dänemark nahmen, mussten sie hinter der Öresundbrücke in den Tunnel fahren, der unter der Wasseroberfläche verlief. Sie musste sich irgendetwas einfallen lassen, damit sie um die Reise herumkam.

Viola stürmte aus dem Bett und rannte so schnell in die Küche, dass sie sich beinahe selbst überholte, wie Eskil manchmal aus Spaß sagte. Sie öffnete den Küchenschrank und nahm eine Packung Schmerzmittel heraus. Dann füllte sie ein Glas mit Wasser und schluckte eine Tablette. Im selben Moment fragte sie sich, warum sie eigentlich ein Schmerzmittel nahm. Sie hatte ja gar keine Schmerzen. Manchmal bekam sie fast ein wenig Angst vor sich selbst.

Aber so war es immer schon gewesen. Kaum wurde sie nervös, stellte sie seltsame Dinge an, ohne sich dessen ganz bewusst zu sein. Wie damals, als Eskil noch als kleiner Junge mit dem Boot beim Fischen gewesen war und nicht pünktlich nach Hause kam. Damals war sie außer sich vor Unruhe gewesen und hatte angefangen, im Garten Unkraut zu jäten. Dabei hatte sie so heftig im Boden herumgehackt, als wolle sie das Innere der Erde erreichen. Erst als Eskil in den Garten spaziert kam, merkte sie, was sie angerichtet hatte. Die frisch angepflanzten Stiefmütterchen, die Petunien und die Lavendelpflanzen – alles hatte sie aus der Erde gerissen und zerstört. Das Beet lag wie ein großes dunkles Quadrat mitten im ansonsten grünenden Garten. Eskil hatte sie verwundert angesehen, aber nichts gesagt, und auch sie hatte geschwiegen.

Verlegen schob sie die Schmerztabletten in den Schrank zurück. Diese Nacht wurde zu einem einzigen langen Warten auf den nächsten Morgen, der sie der Abreise nach Deutschland einen Tag näherbringen würde.

Kapitel 3

Mitte November kamen die Fahrkarten. Inez erhielt ihre Karte kostenlos, da sie ja die Reise gewonnen hatte, während die anderen bezahlen mussten, aber die Freundinnen waren sich rührend einig, alle Kosten gleichmäßig untereinander zu teilen.

Svea hatte sich gefreut, als Olga von der Vereinbarung erzählte, und sie nahm es als selbstverständlich hin, mitfahren zu dürfen. Olga und Viola hatten nichts dagegen einzuwenden, und Inez wäre es zu peinlich gewesen zu protestieren, doch sie freute sich einfach nicht – weder über die Reise selbst noch über Svea Wejmers Begleitung. Svea hatte ja nicht mal ein Los gekauft, weshalb sie Inez wie eine Trittbrettfahrerin vorkam.