image

image

»Wenn alle Schizophrenen zusammenstehen,
dann haben die Ingenieure keine Macht mehr über uns.«

M.D. Blitz, 1981

Originalausgabe

Vertrieb für den Buchhandel:

Privatkunden und Mailorder:

Layout: Conny Agel, Karl Nagel

ISBN

Dieses Buch gibt es auch als E-Book –
bei allen Anbietern und für alle Formate.

Unsere Bücher kann man auch abonnieren:

Inhaltsverzeichnis

01Kino oder Knast

02The Day Before Tomorrow

03Nie wieder Punk

04Schmutzige Filme

05Die gute alte Zeit

06Invasoren

07Ausbruch Einundachtzig

08Gangbang mit dem Multiversum

09Kapitulationsverhandlungen

10Siebenundsiebzig in Achtunddreißig

11Feindberührung

12Planet der Affen

13Asylsuche im Vakuum

14Offline

15Nichts

16Du musst es nur wollen

17Negerküsse mit Limo

18Der nackte Wahnsinn

19Klappe halten, is’ Märchenstunde!

20Schattenboxen

21Sterbt alle!

22Action!

23Bananendämmerung

24Fleischplatte

25Frankensteins Glück

26Der Mann von der Müllabfuhr

27Fickfraß

28Berger und andere Arschlöcher

29Schlimmer als Hitler

30Warten auf das Ende des Films

KAPITEL 1

KINO ODER KNAST

Der Tag, an dem ich mich dagegen entschied, in die Geschichte einzugehen und den Rest meines Lebens hinter Gittern zu verbringen, war weder kalt noch warm. Er war lau, unauffällig und hinterfotzig. Wie alle anderen zog ich es vor, mich kaufen zu lassen, wie sie schaufelte ich die Exkremente Satans auf den Teller und bildete mir ein, wie ein König zu speisen. Doch nicht mal Gurgeln mit Coca-Cola konnte den schlechten Geschmack im Mund vertreiben.

An besagtem Tag – es war der 4. Februar des Jahres 2004 – entging Berlin einem verheerenden Terroranschlag, und die Welt erlaubte sich den Luxus, das zu ignorieren. Niemand nahm Notiz von der tickenden Zeitbombe in Gestalt eines Mannes im schwarzen Anzug, schlank, mit Glatze und flinken Augen, hinter denen ein Albtraum nackt auf dem Tisch tanzte.

Noch heute will es nicht in meinen Kopf hinein, dass ich dieser Mann war. Versteckt in der Masse emsig arbeitender Ameisen, hatte ich am Gendarmenmarkt Position bezogen, gleich am Eingangsbereich des dortigen Konzerthauses. Hier träumte ich vor mich hin, während ich meinen Job machte: Die Tickets der prominenten Gäste entgegennehmen, Platzierungsprobleme lösen, Computer überwachen und nebenbei ein Dutzend Hostessen bei Laune halten, die sich mit meiner Software abmühten. Ich sollte sicherstellen, dass damit alles rundlief, als Mann für alle Fälle.

Vorbei die Zeiten, in denen mich die Sicherheitsbehörden als Teilnehmer von Gewaltexzessen führten, als »reisenden Chaoten« und »linksextremistischen Punker«. Als »Gefährder«, wie Leute meiner Sorte auf dem Höhepunkt der Terror-Hysterie einige Jahre später genannt werden sollten.

In meinen Augen stellte sich das natürlich anders dar. Dennoch hätte man mir diesen Job niemals anbieten dürfen – in einer Welt, in der alle das nächste Blutbad herbeiredeten. Weil aber die Security keine Telepathen beschäftigte, drückte niemand den Alarmknopf. Die Sirenen blieben stumm.

Nun stand ich hier im Tempel der Schleimer, Schönen und Mächtigen und amüsierte mich bei dem Gedanken, dass Axel Springer gerade jetzt im Grab rotierte. Denn die Lebenden traten das Erbe des Verlegers mit Füßen; sie hatten in ihrer Ahnungslosigkeit die Sicherheit hunderter Prominenter einer zwielichtigen Gestalt anvertraut, der offenbar alles zuzutrauen war – mir! Und das ausgerechnet zur Verleihung der Goldenen Kamera, dem pompösen Film- und Fernsehpreis des Axel-Springer-Verlags. Wie jedes Jahr gab sich aus diesem Anlass die TV-, Film und Politprominenz in Berlin ein Stelldichein und ließ sich vom ewig gutgelaunten Thomas Gottschalk Honig ums Maul schmieren.

Hier war ich also gelandet, mittlerweile 43 Jahre alt. Ohne bunte Haare, ohne Lederjacke, keine Chaostage – jetzt trug ich Schlips und Anzug bei der Goldenen Kamera. Ich stand nicht mehr mit den Heiligen Scheinen auf der Bühne, die Faust gereckt, sondern begrüßte den Botschafter Israels, schrie nicht »Niemals aufgeben«, bis der Saal tobte. Stattdessen sagte ich wie im Briefing empfohlen mein Sprüchlein auf: »Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend«. Immer wieder, bis zum Erbrechen.

Wir taten unsere Pflicht: ich, die Mädchen und eine Rotte Fotografen, die alle prominenten Neuankömmlinge mit einem Blitzlichtgewitter überfiel. Sobald sich die Tür einer Limousine öffnete und ein Gast den roten Teppich zum Konzerthaus beschritt, gab es kein Entkommen. Unzählige Gaffer bildeten ein Spalier, um sich der Existenz der Lichtgestalten aus Film und Fernsehen zu versichern.

Doch niemand sah den Film, den ich sah – sonst hätte sich der Laden in ein Tollhaus verwandelt! Nach außen hin posierte ich als gewöhnlicher Anzugträger, der in versierter Seelenruhe seine Arbeit tat, aber in mir kochte ein Hackfleischgericht ganz besonderer Art.

Ein fixer Griff unter den Tisch, und ich habe die Sporttasche in der Hand. Ziehe die Halbautomatische heraus, den Rucksack über. Munition gecheckt, den Promi-Mob im Blick: Keine zehn Meter von mir entfernt Veronica Ferres, die debil lächelnd ihr Kleid vor Zaungästen und VIP-Kameras präsentiert und auf Stöckelschuhen über den Teppich tänzelt. Die sieht sich bestimmt schon in der nächsten Gala.

Nix da, anlegen, ballern: »Hey, Vroni, nimm’ DAS!« Die Grinsefresse der Ferres erfriert, als die Kugel in ihre Brust einschlägt. Ihr letzter Auftritt vor der versammelten Presse endet jäh, sie kippt sofort um. Blut bespritzt die Fotografenmeute, die von der nächsten Garbe dahingemäht wird.

Ich stürme zum Eingang des Konzertsaales, hinter mir Geschrei und vor mir niemand, der mir den Weg versperrt. Doch, einer: Dieter Thomas Heck schwingt seine Arme wie Windräder, hält lautstark Volksreden. Der Schreihals ruft nach den Verantwortlichen des Radaus, das kann er haben: BRRRAAAKKSCH!!! Sein Kopf explodiert in einem blutroten Heiligenschein. Treffer, versenkt!

Im bereits gut gefüllten Saal mache ich Schluss mit der Präzisionsarbeit: RRRATTATTATTATT-RRRATTATTATTATTATTATTATTATT!!! Dank dieser gleichmäßigen Verteilung von Blei erwische ich den Großteil der Bande. Einer nach dem anderen fällt vom Stuhl, die Simulanten zuerst. Glauben sie etwa, ihr Ableben schauspielern zu können? Mir ist es gleich, ob jemand davonkommt. Solange es nur für die Top-Nachricht des Tages reicht!

Ich bin ein T-800 aus Terminator und scanne die Umgebung, ssss-ssssssss! Thomas Gottschalk erspähe ich nirgendwo. Klar, fällt der Groschen, der kommt erst, wenn die Kameras laufen – Glück für ihn! Bei Gottschalk drücke ich gerne ein Auge zu, weil er im Bayerischen Rundfunk vor seiner TV-Karriere die Sex Pistols gespielt hat. Auch die Klitschko-Brüder erschieße ich nicht, kann ich nicht, die mag ich. Dafür bekommt Mutter Beimer von der Lindenstraße die doppelte Ladung zwischen die Augen, sicherheitshalber. Die geht mir dermaßen auf den Zeiger, die ist fällig! Meine Art, jemanden aus einer Serie herauszuschreiben – sehr innovativ, wie ich finde.

Schade, dass Axel Springer himself nicht anwesend sein kann! Dem würde ich gerne persönlich was ins Gästebuch schreiben. Aber toter als tot geht nun mal nicht.

Nächste Runde: Rucksack abschnallen und Präsente auspacken! Im Supermarkt gibt’s bereits Oster-Süßkram – und von mir Eierhandgranaten! Zwei Dutzend von den Dingern, voll auf die Zwölf! JAAAAAAA! RRRRUUUMMMSSS! Wer braucht da Silvester?

Ich ziehe die Axt aus dem Rucksack, um allem, was noch zuckt, wimmert und atmet, den Rest zu geben. Hacken für den Frieden in meinem Herzen, harte Arbeit, wahrer Lohn!

Zum Abschluss der schweißtreibenden Großwildjagd ein gellender Tarzanschrei – danach ist Ruhe im Puff, der Saal ein planes Planquadrat. »Mit Gewalt geht alles« von den Heiligen Scheinen hätte auch gut gepasst.

Wozu Osama Bin Laden, Al-Kaida und die Taliban – es gibt ja KARL NAGEL, den LETZTEN PUNK!

image

Licht an: Statt zu schießen, drückte ich mir eine Handvoll Gummibärchen in den Mund und beließ es dabei. Ich kaute, schmatzte, schluckte und wurde nicht zum Massenmörder, obwohl ich gerne mitangesehen hätte, wie die Welt aus Lügenpresse, Stars und TV-Moderatoren zusammenfällt. So wie früher, in Straßenpunk-Zeiten, als Chaos und Anarchie meine besten Freunde waren.

Schon damals hatte ich eine eigenwillige Vorstellung von Spaß. Der Tumult wartete immer nur einen Steinwurf entfernt – es reichte, mit einem Dutzend Kamikaze-Kandidaten durch eine x-beliebige Fußgängerzone zu laufen. Pöbel und Gesocks gegen den Normalzustand: Spätestens nach einer Viertelstunde stand ich grinsend im Bombenhagel und das Chaos trieb frisches Adrenalin durch die Adern.

Irgendjemand fand sich immer, der uns sein »Euch müsste man vergasen!« nachrief; wenn wir nicht asozial genug aussahen, untermauerte eben der Mutigste von uns (der meist der Besoffenste war!) mit einem Tritt gegen einen Mülleimer unsere Glaubwürdigkeit.

Nun, zwanzig Jahre später, erschien mir dieser fast vergessene Tanz auf dem Vulkan so unwirklich wie Szenen aus Mad Max oder Die Klapperschlange, aber im Gegensatz zu Snake Plissken hatte ich einen Amoklauf im Alleingang nicht im Repertoire. Ich zeigte lediglich milde lächelnd die Zähne, statt sie als ausgewiesener Splatterexperte ins Fleisch prominenter Leichen zu schlagen oder fotogen mit herausquellenden Gedärmen zu spielen. Der Ego-Shooter tobte sich ausschließlich im Kopf aus und verzichtete auf das Blutbad meiner Träume.

Dumm gelaufen, klasse Schlagzeile verpasst: NIE WIEDER ›DEUTSCHLAND SUCHT DEN SUPERSTAR‹ – DIETER BOHLEN VON KANNIBALEN GEFRESSEN! Ich wäre unsterblich geworden, zum Helden unzähliger Punk-Songs und Namensgeber von Bands wie Nagel Youth oder Killer Karls. Verehrt von Millionen Fans weltweit – Je suis Karlie!

Eine einmalige Chance hatte ich da vertan! Just als mir Helmut Kohls Mantel der Geschichte zugeworfen wurde, fehlte ein Zehn-Punkte-Plan. Stattdessen landete ein Löffel Dünnes in der Hose, weil ich Angst um den leckeren Mammon bekam. Und vorm Knast.

Nicht mal ein Amokläufchen wagte ich, eines mit Ketchup, faulen Eiern oder Juckpulver. Das wäre auf jeden Fall drin gewesen und hätte eh besser zu mir gepasst; jenseits ausufernder Splatterphantasien wurde ich nie vom Verlangen getrieben, im echten Leben Menschen umzubringen.

Trotzdem war ich weder fähig noch willens, diesen günstigen Moment für eine Programmänderung zu nutzen; wie alle anderen an jenem Abend funktionierte ich; phantasielos, zuverlässig und bar jeder Bedrohung für Vroni, Dieter und den Rest der Bande.

image

Weil ich ahnte, versagt zu haben, verfolgten mich die Geschehnisse vom Februar 2004 in den Jahren darauf mehr als einmal bis in den Schlaf. Ich fürchtete, nie wieder eine vergleichbare Gelegenheit zu erhalten, den medialen Windmachern und Blendern ins Gesicht zu scheißen. Was konnte noch kommen? Würde ich von nun an dahindämmern wie ein stillgelegter Gaskessel? Dein Schwanz wird für immer schlaff bleiben – das plärrte Berger auch in dieser Nacht per Zaubertelefon in meinen Schlaf. Nur noch zum Pissen da.

image

Ich reihte mich ein in die Armee der Untoten, als Teil der Generation, die in den 60ern aufwuchs, in den 70ern pubertierte und sich in den 80ern im Zentrum des Zeitgeistes wähnte. Die Generation der Blender, Selbstdarsteller und Schaumschläger, die jede Ordnung zertrümmern wollte, Eltern, Rentner und Politiker verhöhnte und selbst zu GROSSEM bestimmt schien. Nur um später in Medienindustrie, Wohnzimmer, Fußballkneipe zu versacken. Oder abzukratzen zwischen Astra Urtyp und mit Hundescheiße gestrecktem Heroin.

Begründungen und Entschuldigungen, warum ich zu denen gehörte, die die welterschütternden Schlachtpläne der Sturm- und Drangzeit voll gegen die Wand gefahren hatten, hatte ich gleich dutzendweise auf Tasche: Machten es die anderen nicht ebenso? Wurden wir nicht alle reifer und vernünftiger? Ich dachte an Lena, die damals nicht mal ein Jahr alt war. Was konnte ein Einzelner ausrichten? Und überhaupt, die Miete musste bezahlt werden, die Brötchen gebacken, die ganz kleinen.

Meine Entscheidung, die Füße stillzuhalten und mein Leben nicht auf dem Altar einbetonierter Prinzipien von einst zu opfern, lag in dieser Nacht fast 13 Jahre zurück. Die Ereignisse vom Februar 2004 holten mich ein letztes Mal ein, als Auftakt zu einem Albtraum.

Ich verließ den Zeitschlund und fand mich in einem National-Express wieder. Schleppte meinen Koffer auf den Bahnsteig von Wuppertal-Oberbarmen und blickte mich um. Ich erwartete, für mein Versagen zu büßen.

Vor mir ragte ein Betonbau in die Höhe und erleuchtete in dämonischem Glanz die Dunkelheit. KAUFLAND. Der Palast eines monströsen Kraken, der meine Flucht ins Mittelmaß mit einem brutal zupackenden Fangarm ein Ende bereitet hatte, um mich für immer in den Supermarkt zu verbannen.

Ich wälzte mich im Schlaf, getrieben vom Drehwurm. Wie ein Ertrinkender strampelte und kämpfte ich ums Überleben und war nicht bereit, jede Hoffnung fahrenzulassen. Die Lage war aussichtslos, dennoch wehrte ich mich mit Händen und Füßen gegen das Monster, das mich mit seinem hypnotischen Gesang einzulullen suchte: »Komm herein … folge mir … wehr dich nicht … kauf ein bei mir!«, imitierte es die Schlange Kaa.

Ich redete mir ein, es gäbe einen Ausweg: Du musst es nur wollen! Ich flehte das Schicksal an, mir noch eine Chance zu geben.

Und dann werde ich verficktnochmal alles klarmachen!

image

image

image

KAPITEL 2

THE DAY BEFORE TOMORROW

Donnerstag, 19.01.2017, 6:30 Uhr

AUFWACHEN, befahl das iPhone und hämmerte »Das wahre Leben« von Cotzbrocken in meinen Traum; Punkrock ohne Gnade. Das perfekte Vorspiel eines Wochenendes, das alles verändern würde. 36 Stunden später klangen alle Glocken.

Ich erinnere mich gut, wie das vielarmige Ungeheuer verblasste und ich im Dunkeln nach dem Handy fingerte – abgesehen davon begann der Tag wie jeder andere: Ein Knopfdruck, ein paar Klicks, Twitter geöffnet, das Gesicht zur Grimasse verkrampft, ohne Chance, die zerquetschten Ameisen auf dem Display in Buchstaben zu verwandeln. Auch an diesem Morgen musste die Künstliche Intelligenz des iPhones ran.

»Hey Siri, ist die Welt noch da?«

»Ich bin mir nicht sicher, ob ich das richtig verstanden habe.« Ihre Stimme gefiel mir, für ihre Antworten hätte ich sie am liebsten ins Arbeitslager geschickt.

»Du willst mich bloß nicht verstehen«, versuchte ich sie zu provozieren.

»Ok.«

»Arschloch.«

»Ich versuche nur, dir zu helfen, Karl.«

»Du kannst mich mal.«

»Wenn du meinst.«

Ich hielt Siris an meinen Arsch, doch sie ließ keine Taten folgen. Ich gab auf und versuchte es mit den Augen, ganz altmodisch. Nach einer Weile gelang es mir, Worte und zuletzt Sätze zu entziffern; der Neustart der Sinne schien abgeschlossen.

Innerhalb von drei Minuten hatte ich mir einen Überblick verschafft, und wie jeden Morgen wurde meine Hoffnung auf das Jüngste Gericht enttäuscht. Raumschiff Erde war noch da – wenn ich dem Internet Glauben schenkte – und folgte unbeirrt seinem Kurs durchs All. Spiegel Online und Konsorten verbreiteten routiniert die Durchhalteparolen des Imperiums, unterstützt durch Schlaftabletten und Textbausteine von Merkel, Putin, Erdogan und weiteren geschwätzigen Lautsprechern.

Und morgen sollte Donald Trump als 45. Präsident der USA vereidigt werden. »Das ist das Ende der Welt, wie wir sie kennen«, hyperventilierte ein Schwätzer namens Flüstertüte in der Kommentarspalte der Welt. »Leere Versprechungen!«, murmelte ich. Darauf fiel ich nicht länger herein.

Anfang der 80er hatte ich »Deutschland, Deutschland, alles ist vorbei« skandiert und Zeilen wie »Alles geht kaputt, alles geht in Schutt, und ich lach!« mitgesungen, der Untergang konnte mich nicht schrecken. Vielleicht zog er es deshalb vor, sich häppchenweise in mein Leben zu schleichen.

Vor nicht einmal zehn Jahren war DAS ENDE DER WELT in erster Linie ein Steckenpferd von Science-Fiction-Autoren, religiösen Spinnern, Punks und Death-Metal-Musikern – nun schrien Wutbürger und Sparkassenangestellte die Apokalypse herbei, sie schien unvermeidlich. Daraus leitete ich den Anspruch ab, nicht länger vertröstet zu werden. Ich wollte keine schleppende Klimaerwärmung mit gemütlich schmelzenden Polkappen, sondern ein Feuerwerk: New York, vernichtet durch die Atombombe, die endgültige Seuche, entwischt aus einem vietnamesischen Hühnerstall oder geheimen Bio-Labor in Arizona. Der Bundestag gesprengt, egal von wem; Ideen dieser Qualität hatte ich zur Genüge.

Seit Jahren wartete ich darauf, dass der 11. September 2001 zur unbedeutenden Episode verblasste. Wischt die Scheiße ein für alle Mal vom Tisch, ihr Versager! Arnold Schwarzenegger hat’s vorgemacht – wo ist das Problem?

Die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, war eine abwegige Idee. Die Ereignisse am Berliner Gendarmenmarkt hatten bewiesen, dass ich für derartige Aufräumarbeiten nicht genügend Courage besaß. So sah es an diesem Morgen jedenfalls aus, weshalb ich ein reines Gewissen hatte. Es war nicht meine Schuld, wenn der Affenzirkus in die Luft flog.

Meine einzige Chance, das nächste Level zu erreichen, schien ein harter Reset zu sein. Auf dass die Spielkarten neu gemischt wurden und sich die mich umgebenden Gefängnismauern von einer Sekunde zur anderen in Luft auflösten – sich als sadistisches Trugbild entpuppten!

Dass ich gefangengehalten wurde, davon war ich überzeugt, auch wenn ich mir über die Natur meiner Unfreiheit bislang nicht im Klaren war. Ich befürchtete aber, dass ich für die Irrwege meines Lebens büßen sollte. Die Länge der Strafe kannte ich nicht, aber wenn ich nicht die Kurve bekam, sah es nach lebenslänglich aus.

Eine Situation, in der ich nicht das erste Mal steckte. Mit zwanzig hatte ich tagelang in meiner 25-Quadratmeter-Wohnung in Wuppertal-Oberbarmen auf dem Bett gelegen, an die Decke geglotzt und auf Erlösung gewartet. Bis ich die Realität zertrümmerte und meine eigene aus Nieten und Leder zusammenklöppelte. Den Job wollte mir ja niemand abnehmen.

Nun war ich 56, lebte mit unzähligen Schundheften und einem Untermieter auf 75 Quadratmetern in Hamburg-Bahrenfeld und hatte mein Pulver verschossen. Der Trick von ’81 würde 2017 nicht funktionieren – dafür war ich zu alt: ein in die Jahre gekommener Joe Dalton, in der Zelle tobend, Eisenkugel am Bein, doch ohne William, Jack und Averell chancenlos, auch nur einen Bonbonladen auszurauben. Ohne meine Brüder fehlte mir jede Idee, was ich in der Welt da draußen anstellen sollte, also verbrachte ich die meiste Zeit allein in der Bude. Die nicht nur ein Knast war, sondern auch ein Bunker, mein letztes Asyl. Was mich nicht davon abhielt, tagtäglich Explosionen und einstürzende Mauern zu ersehnen. Ich wollte, dass es knallte.

Damit diese Träume wahr wurden, musste ich den Arsch in Bewegung setzen. Jetzt!

image

Wettercheck, 4 Grad plus, in den Mails nichts als Spam. Ich stieg vom Hochbett und blickte aus dem Fenster. Mein iPhone log nicht: Alles noch da, die Autos vorm Haus standen in Reih und Glied, die Bäume ohnehin. Eine S-Bahn fuhr quietschend in den Bahnhof Diebsteich, um die besinnungslosen Massen durch die Dunkelheit zur Arbeit zu bringen, aus einem Lautsprecher verkündete eine glucksende Roboterstimme die Anweisungen der Ordnung.

Das waren Momente, in denen ich mir einen Kasten Bier herbeiwünschte. Oder einen anderen Trick, dem Tag nicht in die verlogene Visage blicken zu müssen. Aber derartige Zirkusnummern hatte ich nie erlernt; außerdem brauchte ich jederzeit einen klaren Kopf für die Flucht aus Alcatraz.

Nachdem ich den Fernseher eingeschaltet hatte und das ZDF-Morgenmagazin den Bunker mit der Soundkulisse einer Wohngemeinschaft zu füllen begann, stieg ich in die Pantoffeln und schlurfte ins Büro; eine übersichtliche Aufgabe, weil nur ein Zimmer weiter gelegen. Dort startete ich den Computer. Während der Laptop hochfuhr, versank der Morgenschiss im Klo, begleitet von murmelnden Stimmen, die vom anderen Ende der Wohnung zu mir herüberdrangen.

Auf die Waage, 99 Kilo, noch mal davongekommen! Dann im Stechschritt zurück ins Wohnzimmer, wo ich auf ein Gesicht prallte, das mich auf 55 Zoll angaffte. »Die USA sind ein gespaltenes Land«, verkündete die Moderatorin mit besorgter Miene, und vermutlich erwartete sie, dass ich genauso beunruhigt zurückblickte. »Wie sehr wird Trump Amerika verändern?«

Keine Ahnung, weshalb fragte sie das mich?

Ich nahm die Vortagsklamotten vom Boden und schlüpfte hinein. Dann ging es endgültig ins Büro, wo mich mein kampfbereites MacBook samt angeschlossenem Monitor anstrahlte, der digitale Altar für eine neue Runde durchs Web. Die ganze Chose von vorn: volles Brett auf 33 Zoll statt Handy-Mäusekino, die Fürze des Systems in der ersten Reihe schnuppern!

SO LITTEN DIE 13 GESCHWISTER IM HORRORHAUS ++ KINDER WURDEN ANGEKETTET, GESCHLAGEN UND STRANGULIERT ++ NUR EINE MAHLZEIT AM TAG ++ EINMAL IM JAHR DURFTEN SIE DUSCHEN – mit diesem prickelnden Grusel-Krimi befriedigte BILD meine Lust an einer teuflischen Geschichte, was fürn geiler Scheiß!

Dann fiel mir UNTENRUM RASIEREN LOHNT SICH IM DSCHUNGEL NICHT ins Auge, dazu drei TV-Fressen – eindeutig Dschungelcamp, schnarch.

DEUTSCHER ISIS-TERRORIST DESO DOGG IST TOT lag eher auf meiner Wellenlinie. Metzelvideos sprudelten aus der Erinnerung, wie unter Zwang wechselte ich die Front. Ab zu YouTube, mich mit Blutfontänen aus Syrien besudeln lassen. Zerfetzte Kinderleichen frei Haus, Horrorfilme fern von Hollywood.

image

Bereits vorm Frühstück hing mein Schädel schwer wie eine Bowlingkugel über die Reling des Schreibtischs und kotzte Fischfutter in den Ozean. Keine Chance, den digitalen Fraß zu verdauen.

Ich trank zwei Gläser Wasser und drückte ein paar Käsebrote rein. Kohlenhydrate, Proteine und Fett braucht das Volk. Duschen kann ich morgen. Achselschweiß ist ok, Menschen stinken – mein Bunker, meine Regeln! Pass bloß auf, Berger – wie oft habe ich dir schon gesagt: Was Punk ist, bestimme ich!

Sogleich ärgerte ich mich, dass ich wieder einen Gedanken an Berger verschwendet hatte. Lieber wäre es mir gewesen, jede Erinnerung an den widerlichsten Quälgeist des Universums hätte sich in Wohlgefallen aufgelöst. Ich musste ihn komplett ignorieren, um meinen Schlachtplan für den Ausbruch zu schmieden. Heute!

image

Ich posierte vorm Spiegel, stemmte die Hände in die Hüften und zog den Bauch ein. Zeit für meine Lieblingsrolle. Es galt, Erstaunliches zu vollbringen; ohne Ziel, ohne Sinn, Hauptsache, es reichte für die Geschichtsschreibung.

»Nicht lange fackeln!«, rief ich mir zu. »Rücken gerade, Arschbacken zusammen, den Belagerungsring der feindlichen Horden sprengen – der Kampf geht weiter! Bis zur letzten Patrone! Parole für heute, wie immer: RAUS AUS DEM BUNKER, RAN AN DIE FRONT!«

Genau: Volles Vertrauen in die ultimative Wunderwaffe, die ein Ingenieur in meinem Hinterkopf konstruierte, die den Krieg entschied!

»Eva, ab sofort wird zurückgeschossen!«, fuhr ich fort und versuchte, meiner Stimme einen scharfen und entschiedenen Klang zu verleihen. Das Volksgemurmel aus dem Wohnzimmer deutete ich als Zustimmung.

Dabei hatte ich gar keine Eva. Ich war ein Schwätzer, ein Nerd und Spinner, den niemand ernstnahm, wenn er seine Entdeckungen der Welt offenbarte. Stattdessen tratschten sie hinter vorgehaltener Hand über mich. Über den alten Punk, der seine Bude mit Comics, Perry-Rhodan-Heften, Büchern, Platten und Punk-Devotionalien vollgemüllt hatte und die angeblich Verschwörungstheoretikern als Treffpunkt diente. Was an sich keine schlechte Idee war: mein Führerhauptquartier im Kampf um Das Wahre Leben!

Und jetzt? Gedanken ordnen, aaaaatmen, eins, zwei, drei, vier. He … was soll das? Meine Maushand entwickelte ein Eigenleben, klick-klick-klick! Spiegel Online. Welt. BILD. Zeit. Süddeutsche. Sie übernahmen die Kontrolle! Die Hand war scharf auf Erschütterungen aller Art und wollte nichts verpassen. Irgendetwas musste passiert sein!

Aber nix los im Internet. Seit heute früh ein dutzend Mal die gleichen Nachrichten verschlungen, mit unterschiedlicher Würze und doch überall derselbe fade Geschmack. Neues? Fehlanzeige! Entweder die Selbstmordattentäter, Despoten und Triebtäter schliefen noch – oder die Journalisten!

Welt, dreh dich schneller!, tobte es in mir. Lass krachen, Amigo! Warum gab es den Hähnchenbrater »Los Pollos Hermanos« in Breaking Bad, aber nicht hier im Block? Ich forderte Pogo mit der Drogenmafia! Oder eine Nazi-Kneipe vor der Tür, mit Aufmärschen dafür und dagegen! Chaostage wären auch ok gewesen, solange niemand erwartete, dass ich deshalb den Bunker verließ. Ein bequemer Fensterplatz reichte mir.

Wenigstens der DHL-Bote könnte klingeln! Ich war nicht anspruchsvoll.

Ab ins Wohnzimmer zur Glotze, aber auch dort passierte nichts. Keine EILMELDUNG, sondern gespielte Aufregung um die Frage WAS WUSSTE WINTERKORN? Interessierte das wen? Mich jedenfalls nicht.

Ich verfolgte eine Weile das Treiben der Anzugträger und Machtmenschen. Betrachtete auf dem Flachbildfernseher Wesen, für deren Existenz ich meine Hand nicht ins Feuer gelegt hätte. Und niemand war da, mit dem ich den Ernst der Lage beraten konnte; mein Mitbewohner war seit sieben aus dem Haus und ging längst irgendwo am Flughafen seiner Arbeit nach.

Ich riss mich zusammen und kehrte ins Büro zurück. Schluss mit den Ausflüchten und Ablenkungen, ich musste mich fokussieren, es stand Essentielles auf dem Zettel: AUSBRUCH hieß der erste und wichtigste Punkt auf der Tagesordnung! Der SCHLACHTPLAN! Tunnel buddeln, Wärter austricksen, Klamotten wechseln! Im Vergleich dazu war alles andere nebensächlich, weshalb ich meinen Job auf den Nachmittag verschoben hatte.

Ohne Ziel würde der Ausbruch scheitern, so viel war klar. Ich musste etwas wollen. Wollen. Trommelte mit den Fingern eine Weile auf dem Schreibtisch herum, begann an den Fingernägeln herumzunagen. Weil ich genau jetzt eine Idee brauchte, mit der ich das Spiel herumreißen konnte! Jeder Vorschlag war willkommen, jeder hingeworfene Knochen.

image

So sehr ich mir auch die Birne zermarterte, ich hatte nicht den Hauch einer Idee. Nur abgegessene Misserfolgsrezepte. Ich war längst ein Experte in Ausbrüchen, die garantiert fehlschlugen.

Ok, dann eben mit der Brechstange: 30 Sekunden später stand ich nach einen erneuten Sprint ins Wohnzimmer wieder vor dem Schreibtisch, Stahlhelm aufgesetzt, mit erhobener Axt. Bereit zuzuschlagen. Der Helm stammte aus Beständen der Roten Armee, bei eBay abgegriffen. Das Beil besaß ich schon seit über 30 Jahren, ich hatte ihm den Namen Anwalt gegeben.

Anwalt hatte einen festen Platz an meinem Hochbett, wo er griffbereit auf seinen Einsatz wartete. Der Gedanke, in schwierigen Situationen mit dem Anwalt drohen zu können, hatte mir gefallen.

Weil sich die Ideenlosigkeit nicht per Anwalt in die Flucht schlagen ließ und mich die im Wohnzimmer ausgetragene Handball-WM nicht interessierte, legte ich Axt und Russenhelm beiseite und wandte mich wieder dem Spektakel zu, das im Internet bereitstand: Würde mich die Muse bei Spiegel Online küssen? Mit Fassbomben? Giftgas? Erdogan? Donald Trump? NEIN! AUS! Konzentration! Durchhalten, Karl! LOS, BLITZ, SCHLAG EIN! DIE UHR LÄUFT!

Ohne Vorwarnung blies mir der faulige Atem des Internets aus einer anderen Richtung ins Gesicht. Eine unbezwingbare Kraft trieb mich zu Facebook. Widerstand war zwecklos. MUSS-DA-HIN!

Ganze Hundertschaften ehemaliger Kumpels und Weggefährten wohnten dort, so auch ich. Weil ich nicht einsam im Bunker verrotten wollte. Punkrock hatte bei Facebook ein Reservat gefunden, und Zuckerberg diktierte den rebellischen Indianern von einst die Spielregeln. Kein Platz für Ausbrüche. Eher für Einbrüche. Meiner Konzentration.

Hör auf zu lachen, Berger! Ich hatte nicht vergessen, worüber das blitzgescheite Scheusal bereits vor Jahren doziert hatte: »Ohne Facebook wirst du zum sozialen Paria! Die Leute tauschen sich da aus, alle Freunde und Bekannte sind mit an Bord, keiner will von gestern sein; wer bei Facebook nicht mitmacht, sitzt bald einsam als Waldschrat in einer Holzhütte.«

image

Ok, gewonnen! Hände an die Hosennaht und prüfen, was sich in den letzten Stunden an der Front getan hatte: Dreizehn neue Kommentare, meine Follower hofften, dass Karl Nagel öffentlich die Hose runterließ und auf die Tastatur onanierte, als Beweis, dass er nicht gestorben war.

Unangenehmer waren die Giftspritzer, die sich Anerkennung verdienen wollten, indem sie mir vor die Tür schissen. Besonders dann, wenn ich bei Facebook über Facebook abkotzte – den Guten Diktator. Damit machte man sich keine Freunde.

Ich löschte ein Arschloch. »Deinen Dreck will hier niemand lesen, alter Mann! Leg’ dich in die Kiste!«, hatte da gestanden. »Als Sänger der Heiligen Scheine warst du ein geiler Typ. Aber jetzt HALT EINFACH DIE FRESSE und jammere uns nicht die Ohren voll!«

Das war der Ton, der in Zeiten wie diesen vorherrschte. Früher gab es die SS, in der digitalen Gegenwart räumten Hater hinter der Front auf; die Freude am Tritt in die Eingeweide wollte nicht aussterben.

Gut, hielt ich eben die Fresse. Lieber widmete ich mich eh den Profilen der Weiber, die ihre Spuren auf meiner Seite hinterlassen hatten. Facebook war das Tinder für Arme, ohne die Möglichkeit, nach links oder rechts zu wischen. Nur Wichsen ging.

Aber nicht an diesem Tag. Da funkte nichts. Keine Erektion aus der gähnenden Leere, und erst recht keine Gesichter, die es mit meinen Phantasien aufnehmen konnten. Noch nicht mal mit meiner Ex.

Ich trank einen Schluck Wasser aus der Flasche.

»Hey Siri, was habe ich mit Barbara falsch gemacht?«

»Ich finde dich cool.«

Dass Siri mein Elend nutzte, mich vollzuschleimen, gab mir den Rest. In diesem Moment bedauerte ich zum ersten Mal aufrichtig, das Lügengebäude nicht in die Luft gejagt zu haben. Damals, bei der Goldenen KameraDAS wäre ein Ausbruch gewesen! Dann säße ich jetzt zwar ebenfalls hinter Gittern, aber immerhin echten! Die Kuh wäre vom Eis, mein Statement klar. Vorbei das lächerliche Anrennen gegen unsichtbare Mauern. Kein Internet mehr, kein Telefon, kein Siri, nur herrliche Ruhe.

»Du feige Sau!«, brüllte mir Biff Tannen aus Zukunft oder Vergangenheit ins Hirn – noch so ein Arschloch!.

Das leere Wasserglas neben dem Monitor verwandelte sich unvermittelt in eine Cruise Missile für HB-Männchen und zersplitterte an der Wand. »NIEMAND NENNT MICH FEIGE SAU!«, kreischte ich und tänzelte wie ein Wrestler auf Adrenalinzäpfchen durchs Büro. Insgeheim hoffte ich, dass Doc Brown endlich auftauchte und mich mit dem Delorian aus dem Treibsand zog.

image

Als mir bewusst wurde, dass ich mich zum Affen machte, atmete ich tief durch und setzte mich wieder.

Lass dich nicht provozieren!, dachte ich. Sei lieber froh, dass die Trennung von Barbara ohne größere Kriegshandlungen über die Bühne gegangen ist! Dank einer Wagenladung konstruktiver Lösungen und gegenseitigem Verständnis, ganz ohne Amoklauf. Das war einwandfrei die bessere Alternative, nicht wahr? NICHT WAHR?

Die Geschichte mit Barbara hatte ich an die Wand gefahren, weil ich ein unverbesserlicher Sonderling war, daran gab es trotz Siris Stiefellecken nichts zu rütteln. Ich war nicht für das Konstrukt »Ehe« geschaffen.

Auch nach der Trennung wohnten wir weiter im gleichen Mietshaus – Barbara und Lena in der vierten Etage, ich in der ersten. Ich zog nicht weg, weil ich unsere Tochter täglich sehen wollte; außerdem hatten die Mieten in Hamburg mittlerweile schwindelerregende Höhen erreicht, was jeden Umzug innerhalb der Stadt zum Scheitern verurteilte. Ich hatte mich damit abgefunden, in diesem Haus alt zu werden – eine Vorstellung, die mir erträglich schien, weil die Nachbarn ein umgängliches Biotop bildeten und mit Barbara friedlich auszukommen war.

Die Trennung war mir nicht leichtgefallen, meine Flucht hatte ein paar unschöne Spuren hinterlassen. »Manche Dinge muss ein Mann mit sich ausmachen«, erklärte ich, wenn jemand mehr wissen wollte; das hörte sich erwachsen an. Tja.

Die Scheidung im Juli vergangenen Jahres war das I-Tüpfelchen, ein kurzer Prozess: 13 Minuten, zack, bumm, aus!

Hinterher in die Bäckerei, zur Nachbesprechung.

»Alles bleibt wie gehabt«, hatte ich gesagt. »Ich schleppe deine Einkäufe hoch, Lena bekommt mein altes iPhone. Uns trennen nur drei Stockwerke, du kannst dich weiterhin auf mich verlassen.«

Mein neues Leben roch nach Freiheit. Ich fand mit David einen Mitbewohner, und zusammen lebten wir in einer »Jungsbude«, wie Barbara treffend bemerkt hatte.

»Sollte mal ’ne Putzfrau durchwirbeln, Karl«, sagte sie. »Besonders übers Klo.«

»Kannst gerne bei uns saubermachen«, antwortete ich, wir lachten.

So war das mit Barbara und mir. Es herrschte kein Krieg, wir pflegten einen entspannten Umgang, der Blick nach vorn war frei. Wobei ich keinen blassen Schimmer hatte, was es da zu sehen geben könnte.

Die Zeiten, in denen ich mich als Superpunk Nagel im Zentrum der Apokalypse gesuhlt hatte und durch bloße Anwesenheit Ordnung in Chaos verwandelte, waren vorbei, dafür gab es zahllose Belege. Jetzt herrschte das Chaos nur noch im Kopf, in meinem Leben passierte gar nichts. Nichts. Überhaupt nichts.

Wie eine verzweifelte Kakerlake tanzte ich auf der heißen Herdplatte. Die Tage und Nächte schienen nach einem immergleichen, unveränderlichen Schema abzulaufen, meine Ausbruchspläne kamen keinen Millimeter voran. Dennoch standen sie jeden Morgen ganz oben auf der Liste. Niemals aufgeben!

Manchmal dachte ich, ich sei in einer Zeitschleife à la Star Trek gefangen. Ich schrie nach der Enterprise und auch nach Perry Rhodan, aber die hatten genug damit zu tun, ihr Schiff und die Menschheit zu retten. Keine Antwort aus dem All.

Im Marvel-Universum war der Gewaltige Hulk mehr als einmal zum schwächlichen Bruce Banner geschrumpft – in meinem Leben Prinz Eisennagel zur Heftzwecke. Alles wird ein schlimmes Ende nehmen!, heulte ich in mich hinein.

image

image

KAPITEL 3

NIE WIEDER PUNK

Ich ging in die Küche, nahm ein Glas aus dem Schrank und füllte es am Wasserhahn; ich soff von früh bis spät, die ganze Woche – nur eben keinen Alkohol. An manchen Tagen bedauerte ich das; mir fehlte eine Entschuldigung, nie konnte ich sagen: »Tut mir leid wegen gestern, ich war sturzbesoffen!«

Eine hübsche Selbstzerstörung hatte schon ihre Vorteile, besonders, wenn man sie in aller Öffentlichkeit zelebrierte – so lautete ein elementarer Punk-Glaubenssatz!

Wo war eigentlich DESTROY geblieben? Mit Siri über Punk zu reden, war sinnlos; also buddelte ich eine Weile im Kleiderschrank, bis ich fündig wurde.

Ich zog das Shirt auf einen Kleiderbügel und klemmte es in Augenhöhe ans Regal.

»Hey DESTROY!«, fragte ich. »Wie geht’s denn so?«

»DESTROY!«, kam es zurück.

Die Reliquie der Punk-Religion war mein ganzer Stolz. Ein Vivienne-Westwood-Design aus den späten 70ern, gefertigt aus Mull-Stoff und mit Bondage-Elementen bestückt – Johnny Rotten von den Sex Pistols hatte eins davon gelegentlich getragen.

DESTROY war in einem besseren Zustand als ich; der dünne, empfindliche Mullstoff hätte meinen Bauchumfang nicht überlebt. Bei eBay ließ sich dafür ein Batzen Geld einsacken – angeblich rund 1500 Euro!

Im Fernseher plapperte ein Nachrichtensprecher mit öliger Wichtigmiene über die morgigen Feierlichkeiten in Washington; es war ein beruhigendes Gefühl, dass der labernde Lackel auf einer Einbahnstraße unterwegs war. Noch konnten die Fernsehfritzen nicht in meinen Bunker schauen, um Livebilder daraus über den Sender zu jagen; sonst würden Mr. Wichtig und Kollegen zur Jagd auf das Böse schlechthin blasen – auf mich, den NAZI!

Man hätte mich in diese Schublade gepackt, weil der Fetzen an meinem Regal einen expliziten Aufdruck trug: ein unübersehbares Hakenkreuz über die volle Brustfläche, kombiniert mit einem Bild der Queen und einem umgedrehten Kruzifix. Embleme der Welt, in der wir lebten und die wir als Punks ZERSTÖREN wollten. Weshalb das Shirt von einem großen, fetten DESTROY-Schriftzug gekrönt war und damit eine eindeutige Aussage machte.

Eher winzig hingegen das Glaubensbekenntnis aus »Anarchy In The UK«, dem bekanntesten Song der Pistols: »I am an anarchist, I am an antichrist, I don’t know what I want, but I know how to get it« – es konnte ja nicht alles großflächig und markant nach Aufmerksamkeit schreien, dafür fehlte der Platz.

»Wie zeitlos!«, musste ich gegen meinen Willen feststellen. »Soll ich dich verkaufen?«

»DESTROY!«, kam es zurück.

»Aha. Wie viel ist drei mal sieben?«

»DESTROY!«

So war das mit dem Punk. Auf alle Fragen der Welt gab es nur eine Antwort! DESTROY – für immer und ewig! Bis ich an jenem Abend im Februar 2004 Teil der Maschine wurde. Seitdem gab es kein Vor und kein Zurück mehr, ich hatte die Orientierung verloren.

ALLES KAPUTTMACHEN schien die einzig passende Reaktion auf meinen Absturz zu sein. Und viel verlockender, als mich weiter im Selbstmitleid zu suhlen.

Punk ist meine letzte Hoffnung!

Angesichts dieser Gedanken musste ich lachen – »letzte Hoffnung«, von wegen! In Wahrheit klebte Punk wie Kacke an meinem Sack. An allem, was ich tat. Immer wieder Punk, Punk, Punk! Besonders wenn ich hoch und heilig schwor: NIE WIEDER PUNK!

Wie war das doch? »Denken Sie jetzt nicht an einen rosa Elefanten!« Egal wie oft ich die Spültaste drückte, der Schiss kam wieder hoch. Obwohl es tausendmal der Zeitgeist von vorgestern war.

Seit Jahren stocherte ich im Nebel herum. Ich rannte einer Idee hinterher, die nicht zu fassen war. Punk war mein Fundament und zugleich tonnenschwerer Ballast. Die Sex Pistols und alles, was danach geschehen war, durchdrangen noch immer mein Leben, obwohl meine Pubertät 40 Jahre zurücklag und ich nach dem Ende der Heiligen Scheine gedacht hatte, einen finalen Haken machen zu können.

Wie konnte ich die ewige Rückschau in eine Expedition jenseits des Horizonts verwandeln? Mit Vernunft und einer abgefuckten Erwachsenenhaltung war nichts zu reißen, so viel war sicher: Wenn ich bei »Anarchy In The UK« den Gesang wegdachte, erkannte ich lahmen, vorsintflutlichen Rumpel-Rock; auf diesem Monument der Steinzeit randalierte jedoch eine nicht zu ignorierende, hysterische Stimme und schlug alles in Stücke. Wie ein Betonklotz, auf dem ein Irrer tanzt. Nein, nicht Johnny Rotten. Der Irre war ich. »The problem is YOU, what you’re gonna do?«

Hört das jemals auf?, fragte ich mich. Würde ich in 30 Jahren mit Krückstock oder Rollator durch die Gegend wackeln und von alten Punkzeiten schwadronieren? Im Stil von »Opa hatte Stalingrad, wir die Chaostage«?

Mein Stalingrad nahm kein Ende, ohne die erhofften Wunderwaffen würde ich bald mit erhobenen Armen aus dem Bunker marschieren. Weil ich seit der Trennung von Barbara vor sechs Jahren daran scheiterte, einen neuen Anfang zu finden – und ebenso an dem Buch, das ich schreiben wollte und von dem ich gerne erzählte.

Damals – es scheint mir Jahrmillionen her, vor der Vernichtung der Dinosaurier durch einen Asteroiden! – war ich davon überzeugt, mit der Geburt des Punk sei eine Armee aus Godzilla, King Kong und sämtlichen Superhelden und -schurken des Universums in mein Leben einmarschiert und die lästigen Fragen von vorgestern Geschichte. Wir waren Tank Girl und Mad Max, die Türken von morgen, die Zukunft und zugleich bar jeder Chance auf diese Zukunft. Wir wollten anders vögeln und tanzen, dem Tod und auch dem Leben ins Gesicht rotzen. Unsere Gewalt sollte überzeichnet und lächerlich erscheinen, wie aus Comicheften und schlechten Horrorfilmen, unsere Freiheit so grobschlächtig, dass niemand sie missbrauchen konnte. Nicht die Kulturmaschinerie und auch nicht Politik jedweder Art.

Wir hatten den Gordischen Knoten durchschlagen und gaben uns ewigem Rausch hin. Ähnelten Stars, die in Stadien vor Zehntausenden spielen, um Jahre später festzustellen, dass sie nur noch als Witzfiguren ihr Dasein fristen. Oder auf dem Elternabend den nächsten Schulflohmarkt organisieren.

Der Theaterdonner unserer Jugend, die Aufbruchstimmung, die Entschlossenheit, anders zu sein – alles Selbstbetrug! Eine Zeit, in der es für eine Weile von Bedeutung war, ob jemand »Punk« oder »Skinhead« war – oder »Waver«, »Hippie«, »Psycho«, »Ted«, »Popper«. Und doch waren wir lediglich in Banden organisierte Gestörte und Selbstmörder, die mit dem gewagten und erfinderischen Punk von ’76 und ’77 wenig anfangen konnten. Stattdessen entwickelten wir wie ein Indianerstamm Riten und Traditionen, die noch Jahrzehnte später bis zum Erbrechen nachgespielt wurden.

Die Erinnerung daran schien so unwirklich, künstlich und bizarr, dass eine Schlussfolgerung nahe lag:

Es ist immer noch 1975, unseren Tanz auf dem Vulkan hat’s nie gegeben! Alles eine Fata Morgana, ein Furz der Geschichte! Wir haben uns Punk nur eingebildet!

Ich vergewisserte mich, dass auf meinem Handy das Jahr 2017 angezeigt wurde. Die Zukunft. Ein dystopischer Film, in dem es Facebook, Botox und sicher bald Kopfverpflanzungen gab. Es war nur eine Frage der Zeit, bis es möglich war, 30 Milliarden Songs per Apple Music oder Spotify direkt ins Gehirn zu streamen. Aber nur in eine Hirnhälfte – die andere würden Amazon Prime, Netflix und Konsorten für ihre Filme und Serien beanspruchen!

Nicht zum ersten Mal beschlich mich das Gefühl, eine Statistenrolle in einer geträumten Parallelwelt zu spielen, deren Drehbuch ein unbekannter Herrscher über Raum und Zeit geschrieben hatte. War das Leben echt, in dem ich dahinvegetierte?

Real ist aufm Platz, Facebook ist real!, redete ich mir ein. Eigentlich hätte ich in der Fußgängerzone Volksreden darüber halten müssen, wie das Bombardement aus Internet und Fernsehen unser Leben zerschredderte. Ohne das Wort »Punk« auch nur einmal zu erwähnen. Konnte doch echt keiner mehr hören, diese Worthülse!

Und dann, wenn der Einkaufsmob in der City am Jungfernstieg um mich herumstand und sich kopfschüttelnd fragte, was das jetzt wieder für ein Irrer war … ja, was dann? Stinkefinger? Oder draufhauen?

image

Ein Glas Wasser später die Erkenntnis: Ich hatte mich in der Wüste Gobi verlaufen und konnte es beweisen – durch eine winzige sprachliche Änderung. So wie früher in den Fix-und-Foxi-Heften, wo die Schlümpfe ihren ersten Auftritt in Deutschland hatten.

Ich hatte immer zwischen allen Schlumpf-Welten gestanden. Nie konnte ich mich entscheiden, ob ich mich wie ein 77er-Schlumpf radikalster Individualität verschreiben sollte – oder lieber als Straßenschlumpf mit der besoffenen Schlumpfmeute durch die Stadt ziehen und die Welt in Angst und Schrecken versetzen.

Nun grummelte ich als Miesepeterschlumpf in meiner Bude vor mich hin und war weder Alt- noch Jungschlumpf, vielleicht noch nicht mal Ex-Schlumpf. Mein letzter Rest Schlumpf waren ein paar Brocken Schlumpfscheiße am Sack. Ich gehörte nicht mehr zu den Schlümpfen, ach, eigentlich war ich nie ein echter Schlumpf, sondern nur ein Schlumpf.

Das war auch anderen bereits aufgefallen.

»Wie hast du es so lange in der Schlumpf-Szene ausgehalten?«, hörte ich dann. Ohne Suff, Drogen und andere Varianten der Hirnamputation. Gute Frage, nächste Frage!

Vor einiger Zeit schrieb jemand in einem Facebook-Kommentar: »Der Nagel hat mit Schlumpf nichts zu schaffen. Der will nur provozieren.« Wenn das stimmte, sollte ich wieder meine alte Schlumpfjacke anziehen, als weitere Demonstration des Aberwitzes. Auf 22 machen, obwohl ich 56 war. In einer Schlumpfkneipe oder auf einem Schlumpfkonzert. Dann würde ich schreien: »Was Schlumpf ist, bestimme ich!« Und was wäre dann passiert?

So weit, so Schlumpf, ein Sturm im Wasserglas. Mich auf Punk zu berufen, das erschien mir lächerlich. Zumal ich bei der Goldenen Kamera bewiesen hatte, dass alle Punk-Schwüre Geschwätz waren und ich höchstens zur Witzfigur taugte. Zum Schlumpf.

Zwar wusste außer Barbara kaum jemand von meinem Job bei Springer, aber ich wäre mir wie ein Karnevalsdepp vorgekommen, hätte ich noch mal die alte Punk-Kluft übergezogen. Andererseits – das ließ sich als Steinbruch für ein bizarres Buchkapitel verwenden! Ich musste die frischen Gedanken Fleisch werden lassen, bevor sie wegrieselten, also kloppte ich sie fix in die Tasten: »Ich zog die alte, schwere Nietenjacke über und merkte gleich, dass sie nicht mehr passte. Der Reißverschluss ging nicht zu, mein Bauch, na ja, fast 30 Kilo mehr als damals. Ich betrachtete mich im Spiegel und lachte, dann marschierte ich auf die Straße und prüfte aus den Augenwinkeln, ob mich jemand wegen meiner Verkleidung scheel ansah. Es war Sommer, und mit Lederjacke …«

PLING!

»He, Alter, was geht?«, quoll es aus dem Facebook-Chat. Oje. Irgendeine Pappnase, ein »Freund«, der sich hier »Herbert Hass« nannte. Machte auf vertraulich, obwohl wir uns nie über den Weg gelaufen waren. Wenn ich schon die Fresse halten sollte – warum konnte die Welt nicht mit leuchtendem Beispiel vorangehen? Oder wenigstens so lange, bis ich besser drauf war?

Stattdessen spuckte der Chat den nächsten Satz aus.

»Bin echt dein größter Fan!«

Ich tippte »Fans sind Sklaven«, während aus dem Wohnzimmer ein »DESTROY!« herüberröhrte.

»Geiler Joke! Wie in alten Zeiten!«, meldete sich Herbert wieder zu Wort.

Ich schloss die Augen und sah ihn vor mir, klar und deutlich: mit Basecap, in einem oft gewaschenen Shirt der Heiligen Scheine.

»Du warst immer mein Vorbild«, sagt der Fan und blickt verlegen zu Boden. »Du hast mein Leben verändert!«

Er sucht nach Worten. Dann findet er welche.

»Niemals aufgeben, nie vergessen … Wir sind wir, weil wir wir sind, und weil wir wir sind, sind wir wer!«. Das Fußballgejohle, mit dem er das absingt, klingt grenzdebil. »Nie vergessen!«, wiederholt er.

»Mach mal halblang«, sage ich. »Mein Gedächtnis ist gut.« Wie könnte ich einen derartigen Ohrwurm vergessen? Hab den Song doch selbst geschrieben. Den größten Hit der Heiligen Scheine.

»Du bist immer wieder aufgestanden, wenn das Leben dich umgehauen hat. Fucking MooOO-PED! – du wirst auch diesmal der Welt zeigen, dass sie dich kreuzweise kann! So wie Kevin von den Böhsen Onkelz.« Er macht auf Klitschko und ballt seine Pranken zu Fäusten.

»HALLELUHJA!«, schreie ich und recke beide Arme. »Ich bin Jesus Christus! Ich werde wiederauferstehen!«

Mein Gegenüber greift sich an den Kopf. Der Typ ist unsicher, ob ich ihn verarsche oder er das unfassbare Glück hat, Zeuge eines oberwitzigen Auftritts seines Idols zu sein. Oder denkt »Heilige Scheiße! Den Nagel hat’s erwischt!«

Auf keinen Fall weiß er, dass ich weiß, dass das hier alles nur Kopfkino ist. Der Fan als mein eigener Geistesfurz durch die Gegend läuft. Ganz normal bei mir – durch meine Birne rattern mehr Tweets als in jeder Timeline, ohne Gesprächspartner gehe ich nicht ins Bett. Tags zuvor habe ich mit Elvis gesprochen, vor 40 Jahren mit Perry Rhodan.

Ich lege der Puddingbirne meinen Arm um die Schultern.

»Nimm’s nicht so schwer, Herbie – du mein größter Fan!«, tröste ich ihn. »Wir haben einiges gemeinsam. Wir fressen, scheißen und pissen. Und wenn der Hammer fällt, gehen die Lichter aus. Würdest du nicht gerne in der Altsteinzeit leben? Als Menschen noch mit Keulen aufeinander einschlugen, weil sie weder Internet noch Handy besaßen? UGA-UGA!«

»Weiß nicht, was du meinst«, kommt es zurück. »Kenne mich in Geschichte nicht so gut aus.«

»Hast du außer Harry Potter schon mal ein Buch gelesen?«

»Nee«, antwortet Herbie. »Bin doch nicht bescheuert. In der Zeit kann ich ewig lang mit der Playstation daddeln. Oder Nudeln mit Ketchup futtern. Odern büschen figgen. Mösenschleim und Nillenkäs gibt die beste Majönäs. Hehe.«

Der Kerl ist wirklich ein Fan, sein ganzes Vokabular mit unseren Songs durchsetzt.

Ein letzter Versuch: »Schau dir Frankenstein mit Boris Karloff an! Dann checkst du vielleicht was!«

»Klar, mach ich!«

Wird er natürlich nicht tun, wenn er herausfindet, dass der Film über 80 Jahre alt ist. Kein Dolby Surround, kein CGI, kein 3D, nichts Animiertes, nur ödes Schwarzweiß.

Ich klappte den Laptop zu. Letzter Ausweg Filmriss, das Gedankengelaber stoppen. Zeit für einen Ortswechsel, überstürzte Flucht ans rettende Ufer.

SOFORT!

image

image

KAPITEL 4

SCHMUTZIGE FILME