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Über dieses Buch:

Ein Notruf erreicht die Besatzung der NAUTILUS! In Grönland stecken einige Forscher in ernsthaften Schwierigkeiten. Sofort nehmen Mike und seine Freunde den Kurs auf. Die Koordinaten führen sie zu einem eisbedeckten Berg, den die Inuit den »Berg der Geister« nennen. Können sie das Geheimnis dieses merkwürdigen Ortes lüften und die Forscher befreien? Bald finden sie einen verborgenen Zugang zu einem Höhlensystem – doch dort erwartet sie eine atemberaubende Entdeckung und eine ungeahnte Gefahr …

Über den Autor:

Wolfgang Hohlbein, 1953 in Weimar geboren, ist Deutschlands erfolgreichster Fantasy-Autor. Der Durchbruch gelang ihm 1983 mit dem preisgekrönten Jugendbuch MÄRCHENMOND. Inzwischen hat er 150 Bestseller mit einer Gesamtauflage von über 44 Millionen Büchern verfasst. 2012 erhielt er den internationalen Literaturpreis NUX.

Der Autor im Internet: www.hohlbein.de

Die Romane der Operation-Nautilus-Reihe:

Die vergessene Insel – Erster Roman

Das Mädchen von Atlantis – Zweiter Roman

Die Herren der Tiefe – Dritter Roman

Im Tal der Giganten – Vierter Roman

Das Meeresfeuer Fünfter Roman

Die schwarze Bruderschaft – Sechster Roman

Die steinerne Pest – Siebter Roman

Die grauen Wächter – Achter Roman

Die Stadt der Verlorenen – Neunter Roman

Die Insel der Vulkane Zehnter Roman

Die Stadt unter dem Eis Elfter Roman

Die Rückkehr der Nautilus – Zwölfter Roman

Bei dotbooks erscheint von Wolfgang Hohlbein:
Der weiße Ritter – Erster Roman: Wolfsnebel
Der weiße Ritter – Zweiter Roman: Schattentanz
Nach dem großen Feuer

Teufelchen
Schandmäulchens Abenteuer

Ithaka
Der Drachentöter

Saint Nick – Der Tag, an dem der Weihnachtsmann durchdrehte

NORG – Erster Roman: Im verbotenen Land

NORG – Zweiter Roman: Im Tal des Ungeheuers

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eBook-Neuausgabe Dezember 2018

Copyright © der Originalausgabe 2000 by Verlag Carl Ueberreuter, Wien

Copyright © der Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/adike

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (aks)

ISBN 978-3-96148-674-8

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Wolfgang Hohlbein

Die Stadt unter dem Eis

Operation Nautilus – Elfter Roman

dotbooks.

»Das lerne ich nie!« Chris schüttelte den Kopf, zog eine Grimasse und blickte niedergeschlagen auf das Blatt, das auf dem Pult vor ihm lag. Es war nur eines von zahlreichen Blättern, die er im Laufe der letzten beiden Stunden mit seiner winzigen, gestochen scharfen Handschrift bedeckt hatte. Leider war das, was er geschrieben hatte, ebenso präzise vollkommen unleserlich. Buchstabensalat, der nur so aussah, als ob er einen Sinn ergäbe, es aber nicht tat.

»Wer wird denn so schnell aufgeben?«, fragte Ben spöttisch. »Du musst nur ein paar Jahre fleißig üben. Ich habe es schließlich auch gelernt.«

Chris schob den Kopfhörer nach hinten und sah Ben ärgerlich an. »Werde ich dann auch so wie du?«, fragte er spitz. »Ich meine, wenn ja, dann verzichte ich lieber darauf.«

Ganz gegen seine Gewohnheit ging Ben nicht auf die Provokation ein, sondern lachte nur meckernd, drehte sich auf dem Absatz herum und verließ den Salon. Mike blickte ihm stirnrunzelnd nach. Ben war schon den ganzen Tag ausgezeichneter Laune. Und wenn Ben guter Laune war, dann war das für den Rest der Besatzung immer ein Grund, ganz besonders vorsichtig zu sein.

»Ich lerne das nie«, sagte Chris noch einmal. »Und wozu überhaupt? Kein Mensch benutzt heute noch das Morsealphabet! Wozu gibt es schließlich Funk?«

»Sehr viele Menschen benutzen noch das Morsealphabet«, korrigierte ihn Mike. »Sogar die meisten – wenigstens auf See. Oder glaubst du, all die kleinen Fischerboote und Küstenschoner können sich teure Funkgeräte leisten?«

»In ein paar Jahren bestimmt«, maulte Chris. Trotzdem schob er die Kopfhörer wieder in die richtige Position, lauschte konzentriert und malte einige weitere Buchstaben auf seinen Block. Mike warf einen neugierigen Blick über seine Schulter. Neuer Buchstabensalat, mehr nicht. Chris schien wirklich enorme Schwierigkeiten zu haben, das Morsealphabet zu verstehen.

»Vielleicht solltest du eine Pause machen«, schlug Mike vor.

»Gute Idee«, knurrte Chris. »Ich schlage vor, so ungefähr zehn Jahre.«

Mike grinste, antwortete aber nicht. Er konnte den Jüngsten der NAUTILUS ja verstehen. Auch ihm war es seinerzeit alles andere als leicht gefallen, das Morsealphabet zu lernen. Er schlug dem Jüngeren aufmunternd auf die Schulter, drehte sich herum und ging ebenfalls aus dem Salon. Die NAUTILUS lag seit zwei Tagen still an der Meeresoberfläche, weil Trautman und Singh wieder einmal an den Maschinen herumbastelten. Seit ihrer Flucht aus Lemura taten sie das fast ununterbrochen, was außer ihnen an Bord niemand so richtig verstand. Die atlantischen Ingenieure hatten das Schiff nicht nur von Grund auf überholt, sondern auch in wesentlichen Teilen verbessert. Die Maschinen der NAUTILUS waren jetzt viel leistungsfähiger als noch vor ein paar Monaten. Es gab keinen Grund, ständig daran herumzuschrauben.

Mike blieb unschlüssig stehen und schloss den obersten Knopf seines Hemdes. Es war kalt. Ein eisiger Luftzug strich durch den Gang. Vermutlich war Ben an Deck gegangen und hatte wie üblich die Luke offen gelassen. Sie waren nur knapp fünfzig Seemeilen von der isländischen Küste entfernt und die Temperaturen draußen lagen nicht weit über null. Mike wandte sich um und stieg die Wendeltreppe zum Maschinendeck hinunter. Schon von weitem hörte er ein anhaltendes Hämmern und Klingen.

Trautman und Singh standen über einem halb auseinander gebauten Maschinenblock und arbeiteten um die Wette, ganz wie Mike erwartet hatte. Der Maschinenraum bot einen Anblick des Chaos. Überall lagen Einzelteile, Schrauben, Drähte, Werkzeuge und tausend andere Dinge herum und die Gesichter der beiden waren so ölverschmiert, dass Mike im allerersten Moment fast Schwierigkeiten hatte, sie auseinander zu halten.

»Hallo, Mike!«, begrüßte ihn Trautman. »Was tust du hier?«

»Dasselbe wollte ich Sie auch gerade fragen«, sagte Mike. »Und nicht erst seit heute. Funktionieren die Maschinen nicht richtig?«

»Besser denn je.« Trautman fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn und hinterließ dabei einen weiteren schmierigen Ölfleck, sodass er jetzt fast aussah wie ein alter Indianerhäuptling, der sich noch einmal entschlossen hatte auf den Kriegspfad zu gehen. »Das ist es ja gerade.«

»Aha«, sagte Mike. »Ihr nehmt die Motoren der NAUTILUS auseinander, weil sie zu gut funktionieren.«

»Weil wir nicht wissen, wie sie funktionieren«, korrigierte ihn Trautman. Mike sah ihn fragend an.

»Ich fahre seit fünfzig Jahren zur See«, fuhr Trautman fort, »und ich dachte immer, ich kenne jede Art von Maschine, die jemals gebaut worden ist. Aber so etwas habe ich noch nicht gesehen. Die alten Atlanter müssen uns technisch um Jahrhunderte voraus gewesen sein.«

»Das wussten wir doch schon immer«, sagte Mike.

»Nicht dass sie so weit waren«, entgegnete Trautman kopfschüttelnd. »Wir haben nicht einmal eine Vorstellung davon, wie diese Motoren arbeiten.«

»Und das bedeutet, dass wir sie auch nicht reparieren könnten, sollte es notwendig sein«, fügte Singh hinzu. »Jetzt verstehe ich«, sagte Mike. »Deshalb macht ihr sie gleich kaputt.«

Trautman blickte ihn einen Moment lang verblüfft an, dann lachte er schallend, schlug Mike auf die Schulter und setzte zu einer Antwort an.

Doch er kam nicht dazu. Vor der Tür wurden hastige Schritte laut und dann stürzte Ben herein, vollkommen außer Atem und mit rot gefrorenem Gesicht. »Weg!«, keuchte er. »Wir müssen ... weg!« Sein Atem ging so schnell, dass er kaum sprechen konnte. Er musste gerannt sein wie der Teufel.

»Jetzt beruhige dich erst einmal«, sagte Trautman. »Was ist passiert?«

»Ein Schiff!«, japste Ben. »Ein Schiff kommt!«

Von einer Sekunde auf die andere wurde Trautman todernst. »Was für ein Schiff?«

»Ein ... deutsches Kriegsschiff«, antwortete Ben atemlos.

»Es hält direkt auf uns zu! Ich glaube, sie haben uns gesehen!«

»Verdammt!« Trautman wirbelte auf dem Absatz herum. »In die Zentrale! Los!«

Hintereinander stürmten sie aus dem Maschinenraum und die Treppe hinauf. Mike stürzte dicht hinter Trautman und Singh in den Salon und ein einziger Blick aus dem riesigen Bullauge, das fast die Hälfte der rechten Wand einnahm, ließ sein Herz schneller schlagen.

Ben hatte Recht gehabt. Nur ein paar Meilen entfernt stampfte ein riesiges grau gestrichenes Ungetüm durch die Wellen. Es musste ein Kreuzer sein, vielleicht sogar ein kleines Schlachtschiff, denn sein Deck starrte nur so vor Geschützen und das weiß umrandete Kreuz an seinem Bug ließ keinen Zweifel an seiner Nationalität aufkommen.

»Alle Mann auf Tauchstation!«, schrie Trautman. »Ben! Sind die Luken dicht?«

Ben nickte und Trautman begann wie ein tollwütig gewordener Pianist auf sein Instrumentenpult einzuhämmern. Singh war mit einem Satz neben ihm und tat es ihm gleich. Mike dachte voll neuem Unbehagen an die halb auseinander gebaute Maschine, die er gerade unten gesehen hatte, aber die Motoren der NAUTILUS sprangen sofort an. Das metallene Deck unter seinen Füßen begann zu zittern und für einen kurzen Moment flackerte das Licht.

Mike sah wieder zu dem Kriegsschiff hinaus. Es war bereits deutlich näher gekommen und es hatte seine Geschwindigkeit offensichtlich stark erhöht. Die Männer an Bord des Schiffes mussten sie gesehen haben. Und Mike hatte das sehr sichere Gefühl, dass sie nicht in freundlicher Absicht kamen. Sie hatten schon zu viele unangenehme Erfahrungen mit Vertretern der kaiserlichen deutschen Kriegsmarine gemacht, als dass er ihnen noch traute.

»Das schaffen wir nicht!«, flüsterte Ben. »Sie sind in zwei Minuten hier!«

»Abwarten«, sagte Trautman. »Singh?«

Der Inder nickte. Trautman und er betätigten ein paar Schalter. Die Maschinen tief im Rumpf der NAUTILUS heulten auf – und dann stürzte das Wasser regelrecht vor dem Fenster in die Höhe. Mike klammerte sich erschrocken an einem Regal fest und auch Ben wäre um ein Haar gestürzt, als die NAUTILUS plötzlich wie ein Stein in die Tiefe sank. Das Licht flackerte. Das ganze Schiff zitterte und stöhnte wie ein lebendes Wesen und auf Trautmans Pult wechselten etliche Lichter ihre Farbe von grün zu rot. Offensichtlich belastete Trautman das Schiff bis an seine Grenzen.

Doch so schlimm es auch war, es dauerte nur wenige Minuten. Mike konnte spüren, dass die NAUTILUS bereits langsamer wurde. Nach einer oder zwei weiteren Minuten hörten sie völlig auf zu sinken und das Schiff schwebte lautlos im Wasser. Vor dem Bullauge war jetzt nichts mehr als vollkommene Schwärze.

»Achtzig Meter«, seufzte Trautman. »Das sollte reichen. Himmel, das war verdammt knapp! Wie konnte das passieren?«

»Sie haben uns wahrscheinlich zufällig entdeckt«, sagte Ben. »Ich nehme an, dass sie auf Patrouillenfahrt waren und –«

»Das meine ich nicht!«, unterbrach ihn Trautman in ärgerlichem Ton. »Wieso hat sie niemand gesehen? Ich habe eindeutig angeordnet, dass immer jemand an den Ortungsgeräten Wache halten muss, solange die NAUTILUS aufgetaucht ist! Verdammt noch mal, wisst ihr eigentlich, was alles hätte passieren können? Wenn der Kapitän des Kreuzers uns für ein englisches U-Boot gehalten hätte, dann hätte er vermutlich zuerst geschossen und dann die Trümmer aus dem Wasser gefischt um nachzusehen, was er getroffen hat!« Sein Blick wanderte von einem zum anderen. »Also? Wer hatte Wache?«

Mike senkte betreten den Blick und auch Ben schien plötzlich etwas furchtbar Interessantes auf dem Boden zwischen seinen Schuhen entdeckt zu haben, während Chris, der noch immer am Funkgerät saß, nach Kräften versuchte unsichtbar zu werden.

»Also gut«, grollte Trautman. »Wir klären das später. Aber glaubt bloß nicht, die Sache wäre damit erledigt. Singh, wir gehen auf Nordkurs. Hundertfünfzig Meilen mit voller Kraft. Ich hoffe, unseren schießwütigen kaiserlichen Freunden ist es dort zu kalt!«

»Da ... stimmt etwas nicht«, sagte Singh plötzlich. »Etwas –«

Er kam nicht weiter. In der endlosen Dämmerung draußen glomm plötzlich ein winziger gelboranger Funke auf, der im Bruchteil einer einzigen Sekunde zu einer brodelnden Feuerkugel heranwuchs, die unmittelbar neben der NAUTILUS zu lodern schien. Ein gewaltiger Donnerschlag erklang und nur einen Moment später erbebte das Schiff wie unter einem gewaltigen Hammerschlag. Abgesehen von Trautman und Singh, die sich am Kontrollpult festklammerten, wurden alle von den Füßen gerissen und kugelten haltlos durcheinander. Die gesamte NAUTILUS legte sich auf die Seite und richtete sich schwerfällig wieder auf.

»Mein Gott!«, keuchte Mike, während er sich wieder hochrappelte. »Was war das?«

»Eine Wasserbombe«, antwortete Trautman. »Die schießen auf uns! Sie müssen vollkommen wahnsinnig geworden sein!«

Wie um seine Worte noch zu bestätigen, flammte eine zweite Feuerkugel im Meer auf; diesmal aber so weit entfernt, dass die NAUTILUS nur sacht erzitterte.

»Wasserbomben?«, stammelte Ben. »Aber ... aber warum denn? Wir haben keinen Streit mit dem Kaiserreich!«

Trautman zog den Kopf zwischen die Schultern, als die NAUTILUS unter einer dritten, diesmal wieder näheren Explosion erzitterte. »Sag das denen da!«, antwortete er mit einer Kopfbewegung zur Decke. »Singh! Volle Kraft voraus!«

Die NAUTILUS nahm Fahrt auf. Noch zweimal erbebte das Schiff unter den Druckwellen explodierender Wasserbomben, dann waren sie aus der Gefahrenzone heraus und Trautman atmete erleichtert auf. »Das war knapp«, sagte er noch einmal.

Die Tür flog auf und Serena und Juan stürzten herein. »Was ist passiert?«, keuchten beide wie mit einer Stimme.

»Jemand schießt auf uns«, antwortete Ben. »Offenbar sind wir in der Gegend hier nicht sehr beliebt.«

»Jemand schießt auf uns?«, wiederholte Juan ungläubig.

»Wer?«, fragte Serena.

Trautman machte eine rasche Handbewegung. »Jetzt nicht«, sagte er. »Wir müssen möglichst schnell von hier weg. Singh – Kurs Nordnordwest. Volle Kraft voraus!«

Sie brauchten vier Stunden, um die hundertfünfzig Seemeilen zurückzulegen, die Trautman als Sicherheitsabstand zu dem deutschen Kreuzer als nötig erachtete – ein Bruchteil der Zeit, die ihr Verfolger für dieselbe Strecke brauchen würde. Mike verbrachte fast die gesamte Zeit in seiner Kabine und irgendwann schlief er sogar ein.

Als er erwachte, lag ein pelziges Gewicht auf seiner Brust und das Erste, was er sah, war Astaroths einziges gelb glühendes Auge, das ihn aus wenigen Zentimetern Abstand anstarrte.

»Was soll das?«, murmelte Mike schlaftrunken. »Willst du mich umbringen? Irgendwann werde ich aufwachen und feststellen, dass ich tot bin, weil du mich im Schlaf erstickt hast«

Alles Verleumdung, erklang Astaroths Stimme in seinen Gedanken. Katzen tun so etwas nicht Das ist nur ein Gerücht, das von katzenhassenden Hundeliebhabern in die Welt gesetzt wurde.

Mike war noch nicht wach genug, um einem so komplizierten Gedankengang zu folgen. Benommen setzte er sich auf und schwang die Beine vom Bett. Astaroth wurde mehr oder weniger unsanft von seiner Brust hinuntergeschleudert und landete mit typischer Katzengeschicklichkeit auf allen vier Pfoten. Trotzdem schenkte er Mike einen beleidigten Blick.

»Was willst du eigentlich?«, fragte Mike, während er ein Gähnen unterdrückte und sich mit beiden Händen über die Augen rieb.

Entschuldige, dass ich deinen Schönheitsschlaf gestört habe, antwortete Astaroth beleidigt Obwohl du ihn weiß Gott nötig genug hättest Trautman schickt mich. Wir haben unser Ziel erreicht und tauchen gleich auf Außerdem ist das Essen fertig.

»Essen?«, fragte Mike misstrauisch. »Wer hat heute Küchendienst?«

Ben, antwortete Astaroth. Er klang jetzt eindeutig schadenfroh. Aber an deiner Stelle würde ich mich nicht zu laut beschweren. Trautman ist nicht besonders gut gelaunt.

Mike stand auf und begann sich anzuziehen. »Ist er immer noch sauer wegen der Wache?«

Sauer ist gar kein Ausdruck antwortete Astaroth. Mit Recht. Ist dir eigentlich klar, dass wir alle um ein Haar in den Tang gebissen hätten?

»In den Tang gebissen?«

Sagt ihr Menschen das nicht so?

Mike überlegte einen Augenblick, aber dann grinste er. »Ins Gras gebissen, meinst du.«

Wir sind hier auf dem Meeresgrund, erwiderte Astaroth. Da gibt es kein Gras.

Mike grinste. Er zog sich schnell an, verließ seine Kabine und steuerte den Salon an.

Trautman, Singh, Serena, Ben und Chris saßen bereits an dem großen Tisch im Salon und stocherten in dem herum, was sich auf ihren Tellern befand.

Trautman begrüßte ihn mit einem wortlosen Nicken und deutete auf den einzigen noch freien Platz. Mike setzte sich, warf aber vorher noch einen raschen Blick aus dem Fenster. Die NAUTILUS war aufgetaucht und lag jetzt wieder reglos an der Wasseroberfläche. Trotzdem konnte er draußen nicht viel sehen. Die Sonne war untergegangen und der Himmel war so bewölkt, dass so gut wie keine Sterne sichtbar waren.

Eine Weile war nur das Klappern des Bestecks zu hören, dann räusperte sich Trautman vernehmlich. »Ich möchte mich noch bei euch entschuldigen«, sagte er. »Ich war vorhin vielleicht ein bisschen heftig. Es tut mir Leid, dass ich die Beherrschung verloren habe. Aber seine Pflichten auf der Wache zu vernachlässigen ist wirklich eine der schlimmsten Verfehlungen an Bord eines Schiffes. Ihr habt ja gesehen, was passieren kann.«

Wieder kehrte für endlose Sekunden ein betretenes Schweigen ein. Dann räusperte sich Chris und sagte: »Ich war es.«

Trautman runzelte die Stirn. »Was?«

»Es war meine Wache«, gestand Chris niedergeschlagen. »Wenn ich die Instrumente im Auge behalten hätte, hätte ich das Schiff bestimmt früh genug bemerkt. Aber ich war ... abgelenkt.«

Trautman schwieg, dann sagte er überraschend sanft: »Ich werde dir jetzt keine Standpauke halten, wenn du das erwartest. Du hast ja erlebt, was geschehen kann. Denk das nächste Mal daran.«

»Bestimmt«, versprach Chris.

Plötzlich lächelte Trautman. Er griff nach seinem Löffel, schob sich eine gewaltige Portion Essen in seinen Mund und kaute.

Einmal.

Sein Lächeln gefror. Ganz langsam senkte er den Löffel, kaute noch einmal und schluckte die ganze Portion dann mit sichtlicher Mühe hinunter.

»Stimmt irgendetwas mit dem Essen nicht?«, fragte Ben.

»Nein, nein«, antwortete Trautman hastig. »Es ist ganz ausgezeichnet. Wirklich. Wenn man bedenkt, dass du erst seit fünf Jahren versuchst das Kochen zu lernen, ist es sogar hervorragend ... Chris, darf ich fragen, was dich auf der Wache so sehr abgelenkt hat?«

Chris hob seinen Löffel, roch daran und warf Ben einen schiefen Blick zu. »Ich habe versucht das Morsealphabet zu lernen«, sagte er.

»Aber hast du das nicht schon vor Wochen?«, fragte Trautman interessiert. Er beugte sich vor und schob dabei ganz zufällig seinen Teller so weit von sich, wie es ging.

»Ich dachte, ein bisschen praktische Übung tut mir ganz gut«, antwortete Chris. »Deshalb habe ich einfach den Fernverkehr abgehört.«

»War etwas Interessantes dabei?«

Chris schob seinen Teller von sich, ging zum Funkpult und kam mit den vollgekritzelten Zetteln wieder, die Mike schon vorhin gesehen hatte. »Ich fürchte, nein«, sagte er. »Ich habe alles so aufgeschrieben, wie Sie es mir gezeigt haben, aber es ist nur Unsinn dabei herausgekommen. Sehen Sie selbst.«

Trautman griff nach den Zetteln, blätterte sie durch und schüttelte ein paar Mal lächelnd den Kopf. Dann erlosch sein Lächeln und an seiner Stelle machte sich ein überraschter Ausdruck auf seinen Zügen breit. »Das ist sehr seltsam«, murmelte er. »Das ist Norwegisch. Ein ziemlich seltener Dialekt, aber ich kenne ihn.«

»Und Sie können das lesen?«, fragte Chris aufgeregt.

»Ja und nein«, erwiderte Trautman kopfschüttelnd. »Das meiste kann ich entziffern ... Aber es ergibt trotzdem keinen Sinn.«

Plötzlich wirkte er sehr aufgeregt. Er sprang hoch, lief mit den Zetteln in der Hand zum Bücherregal und rief über die Schulter zurück: »Räumt den Tisch frei! Ich brauche Platz!«

Nicht nur Mike hatte es plötzlich sehr eilig, seinem Befehl zu folgen. Nur Ben rührte sich nicht, sondern stopfte weiter Löffel um Löffel in sich hinein. »Aber ihr seid doch noch gar nicht fertig mit dem Essen!«, beschwerte er sich.

»Die Wissenschaft geht vor«, sagte Juan.

»Außerdem tut allen ein Fasttag dann und wann ganz gut«, fügte Serena hinzu. »In meiner Heimat war das so üblich, glaub mir. Zu gutes Essen ist auf die Dauer nicht gesund.«

»Deshalb sind die Atlanter wahrscheinlich auch ausgestorben«, maulte Ben. »Aber gut, wenn du meinst ... Trotzdem – jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen. Wenn ihr wollt, übernehme ich morgen noch einmal freiwillig den Küchendienst.«

Niemand antwortete.

Trautman arbeitete zwei Stunden, aber danach sah der Salon aus, als hätten Dschingis Khans Horden zwei Wochen lang darin gewütet: Überall lagen Bücher herum und lose Blätter, vollgekritzelte Notizzettel und Stifte, Radiergummis und zerknüllte Papierkugeln. Niemand nahm auch nur Notiz davon. Sie alle waren viel zu aufgeregt.

Trautman hatte es tatsächlich geschafft.

»Es ist ein Notruf«, sagte er schließlich. Er wirkte erschöpft, aber zufrieden.

»So?«, machte Ben zweifelnd. Er beugte sich ein wenig vor und sah über Trautmans Schulter auf den kleinen Zettel hinab, auf dem die Übersetzung allmählich Gestalt angenommen hatte. »Für mich sieht es immer noch aus wie Buchstabensalat.«

»Es ist ein sehr alter Code«, antwortete Trautman. »Es scheint sich um eine Gruppe von Forschern zu handeln, die in Schwierigkeiten geraten sind. Das hier –«, er tippte mit dem Zeigefinger auf eine Reihe von Buchstaben und Zahlen, »– sind ziemlich genaue Koordinaten. Ich schätze, dass wir zwei Tage brauchen werden, um dorthin zu kommen.«

»Wohin?«, fragte Juan.

»Grönland.«

»Grönland?« Ben sah nicht begeistert aus.

»Es ist ein Notruf«, wiederholte Trautman in leicht tadelndem Tonfall. »Wir müssen darauf reagieren, das schreibt das internationale Seerecht vor. Und ich würde es auch tun, wenn es nicht so wäre. Jemand ist in Schwierigkeiten und braucht Hilfe.« Er reichte Singh seinen Zettel. »Singh, würdest du bitte den Kurs berechnen?«

Der Inder ging wortlos zu den Kontrollinstrumenten. Während er tat, was Trautman ihm aufgetragen hatte, sagte Ben noch einmal: »Grönland.«

»Das ist ziemlich weit«, sagte Juan und Chris fügte hinzu: »Und kalt«

»Was wird das?«, fragte Trautman. »Eine Meuterei? Habt ihr mir nicht zugehört? Ich sagte doch wohl deutlich genug: Es ist ein Notruf. Ihr würdet doch auch erwarten, dass man euch zu Hilfe kommt, wenn ihr in Schwierigkeiten wärt, oder?«

Für einen kurzen Moment breitete sich ein betretenes Schweigen im Salon aus. Der Einzige, der bisher nichts gesagt hatte, war Mike. Er sah Trautman nur sehr nachdenklich an. Er konnte das Gefühl nicht begründen, aber er war fast sicher, dass Trautman ihnen etwas sehr Wichtiges verschwieg.

Als hätte er seine Gedanken gelesen, sah Trautman für einen Moment auf und blickte ihm direkt ins Gesicht. Er wirkte nervös.

»Kurs liegt an«, sagte Singh knapp, bevor Mike eine entsprechende Frage stellen konnte.

»Dann sollten wir losfahren«, meinte Trautman. »Halbe Kraft voraus. Wir brauchen noch ein wenig Zeit, um die Motoren wieder komplett zusammenzusetzen. Die Gewässer dort sind schwierig. Ich möchte nicht mit einem halb auseinander gebauten Schiff zwischen treibenden Eisbergen manövrieren.«

Mike sah aus den Augenwinkeln, dass Ben erneut zum Widerspruch ansetzte, aber Singh kam ihm zuvor: »Ich schlage trotzdem vor, dass wir etwas schneller fahren«, sagte er.

»Wieso?«

Aller Aufmerksamkeit wandte sich dem Inder zu. Singh blickte stirnrunzelnd auf seine Instrumente hinab und fuhr fort: »Wir bekommen Gesellschaft. Sieht so aus, als ob unsere deutschen Freunde nicht so schnell aufgeben.«

»Das Kriegsschiff?«, fragte Ben.

»Ja«, antwortete Singh. »Es hält genau auf uns zu. Aber keine Sorge.« Er hob beruhigend die Hand, ehe sie auch nur Zeit fanden, richtig zu erschrecken. »Sie werden Stunden brauchen, bis sie hier sind.«

»Sie dürften überhaupt nicht wissen, wo wir sind!«, protestierte Ben. »Das ist unmöglich!«

»Trotzdem ist es so«, sagte Singh achselzuckend. »Vielleicht haben sie irgendein neues ... Ortungssystem entwickelt.«

»Mit dem sie uns auf eine Entfernung von hundertfünfzig Seemeilen entdecken können?« Ben schüttelte den Kopf: »Unmöglich.«

»Da ist noch etwas«, murmelte Singh. »Ich kann es nicht genau erkennen, aber es scheint sich ... um ein weiteres Schiff zu handeln.«

»Es scheint?« Trautman stand auf und ging zu Singh hinüber. Auf seinem Gesicht erschien derselbe nachdenkliche Ausdruck wie auf dem des Inders, als er auf die Instrumente hinabsah.

»Merkwürdig«, murmelte er. Dann zuckte er mit den Schultern. »Aber das ist jetzt egal. Wir laufen die halbe Strecke mit voller Kraft und gehen dann wieder auf halbe Geschwindigkeit. Das sollte reichen, um sie endgültig abzuhängen. Also los – alle auf eure Posten. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns!«

Die Küste schimmerte wie eine Wand aus poliertem, milchigem Glas. Die Sonne war gerade aufgegangen und ihre Strahlen brachen sich auf dem schimmernden Eis und ließen Millionen goldener und weißblauer Lichtreflexe aufwirbeln. Die Wand erhob sich drei Meter senkrecht vor der NAUTILUS aus dem Meer und erstreckte sich in beide Richtungen, so weit der Blick reichte.

»Beeindruckend«, sagte Mike. »Man kommt sich irgendwie winzig vor, meint ihr nicht?«

Ben, der neben ihm und Serena auf dem Verandadeck der NAUTILUS stand, warf ihm einen Blick zu. »Ich komme mir vor allem kalt vor«, maulte er.

Mike seufzte. »Das könnte daran liegen, dass diese ganze Küste aus Eis besteht«, sagte er. »Hat man dir schon einmal gesagt, dass du ein furchtbar unromantischer Mensch bist?«

Ben grinste. »Mehrmals. Aber das ändert nichts daran, dass ich schon halb erfroren bin. Ich gehe jetzt nach unten und lasse euch zwei Turteltäubchen allein. Passt nur auf, dass ihr nicht aneinander festfriert – wenigstens nicht in einer Position, die euch peinlich sein könnte.«

Er lachte, drehte sich herum und kletterte die kurze Eisenleiter zum Turm der NAUTILUS empor. Mike sah ihm nach, bis er im Inneren des Schiffes verschwunden war, dann schüttelte er den Kopf. »Blödmann.«

Aber er grinste, während er das sagte, und als er sich wieder zu Serena herumdrehte, entdeckte er auch in ihren Augen ein spöttisches Funkeln. Mike fragte sich, ob sie Bens Bemerkung einfach nur komisch fand oder sich genau wie er über das Wort Turteltäubchen amüsierte. Und einen Moment lang war er ganz dicht davor, ihr endlich zu gestehen, dass an Bens gutmütigen Sticheleien weitaus mehr dran war, als Serena vielleicht ahnte. Sie alle mochten Serena, aber Mike hatte vom ersten Tag an viel mehr für sie empfunden.

Dann drehte sich Serena wieder herum und sah zur Eisküste hinüber und der Moment war vorbei. Später, dachte Mike. Er würde es ihr später sagen. Bald. Ganz bestimmt.

Warte nicht zu lange damit, erklang Astaroths telepathische Stimme in seinem Kopf. Sonst kommt eines Tages ein Prinz auf einem weißen Delfin und reitet mit ihr in den Sonnenuntergang und du heulst dir die Augen aus.

Mike zog es vor, nicht darauf zu antworten. Astaroth hatte ja Recht – aber im Moment war wirklich nicht der richtige Augenblick für eine Liebeserklärung.

Auch wenn Serena in ihrer weißen Felljacke wirklich ganz entzückend aussah ...

»Es ist unglaublich«, sagte Serena. »Ich war schon einmal hier, weißt du? Aber damals ... sah es ganz anders aus. Dieses Land war von Wäldern und fruchtbaren Wiesen und Sümpfen bedeckt.«

»Ich weiß«, antwortete Mike. »Daher kommt der Name. Die alten Wikinger nannten diese Insel Grünland, wegen ihrer grünen Küsten. Jetzt ist hier alles tot. Ich frage mich, was hier passiert ist.«

»Das, was Winterfeld mit der ganzen Welt vorhatte«, sagte eine Stimme hinter ihnen. Mike drehte sich erschrocken herum und entdeckte Trautman, der in eine dicke Pelzjacke gehüllt und in gefütterten Stiefeln vom Turm heruntergeklettert kam. Obwohl er erst seit einigen Sekunden im Freien war, glitzerten in seinem weißen Bart bereits Eiskristalle.

»Die vorherrschende Meinung ist, dass der Golfstrom seine Richtung geändert hat«, fuhr er fort, während er näher kam. Die schwere Kleidung, die er trug, ließ seine Bewegungen ungelenk und schwerfällig erscheinen. »Dadurch blieb der Zustrom von warmer Luft aus den Tropen aus. Gleichzeitig kam immer mehr kalte Luft aus dem Norden, vom Polarkreis her. Es dauerte wahrscheinlich nur ein paar Dutzend Jahre, bis die ganze Insel buchstäblich eingefroren war. Dasselbe wäre mit einem großen Teil von Europa geschehen, hätte Winterfeld mit seinem wahnsinnigen Plan Erfolg gehabt«

»Aber das haben wir ja gottlob verhindert«, sagte Mike. »Wie kommen Sie ausgerechnet jetzt wieder auf Winterfeld? Er ist seit Jahren tot«

Trautman zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung«, sagte er. »Vielleicht weil wir auf dieses deutsche Kriegsschiff gestoßen sind ... Ich hatte gehofft, dass wir sie endgültig los wären.«

»Das sind wir auch«, behauptete Mike. »Es war bestimmt nur ein Zufall.« Er deutete zur Küste. »Was haben Sie jetzt vor? Wollen wir anlegen und die Eiswand hinaufsteigen?«