Jasmin Jülicher

 

Der Hüter

Stadt der Asche

 

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Der Hüter Stadt der Asche

 

© Jasmin Jülicher Annastraße 87

47638 Straelen Deutschland

 

Coverillustration: Hannah Böving

Lektorat & Satz + Layout: Ka & Jott, Bernau bei Berlin

 

Illustrationen: www.pixabay.de www.shutterstock.com www.123rf.com

 

 

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Kapitel 1

 

Benommen stolperte Alexander aus der Luke des Golems, in dem Oliver, Nic und er die letzten zwei Wochen verbracht hatten. Seine Beine sackten unter ihm weg und er landete mit Händen und Knien im schwarzen Sand.

Hinter ihm kletterte Nic aus der Maschine und half Oliver heraus, der mit schmerzverzerrtem Gesicht eine Hand auf die Schusswunde in seiner Schulter drückte.

Alexander ließ den schwarzen Sand durch seine Finger rieseln. Endlich wieder fester Boden unter den Füßen. Er blickte hinauf. Da war er, der Himmel. Blau, mit winzigen weißen Wolken, endlos. In Biota hatte er ihn nicht sehen können, niemals. Dort hatte es nur Wasser gegeben, Wasser überall um die Stadt herum. Und dunkel war es gewesen auf dem Grund des Meeres.

Dieser Himmel Er bekam eine Gänsehaut. Bereits als sie mit dem Golem auf ihrer Flucht kurz aus dem Meer aufgetaucht waren, hatte er sich fast in ihm verloren. Von dem Gefühl der Unendlichkeit wurde ihm schwindelig. Er richtete seinen Blick wieder nach unten.

Erschrocken wich er zurück. Nur wenige Meter von ihm entfernt standen fünf Männer. Stumm starrten sie ihn an. Alle trugen braune Stoffhosen und ausgeblichene blaue Hemden, über denen eine braune Lederweste hing. Zwei von ihnen hatten sich einen Gürtel über die Brust geschnallt, an dem kleine metallische Gegenstände glänzten. Und sie alle zielten mit etwas auf ihn, das Alexander verdächtig an die Waffen des Golems erinnerte, der Oliver auf ihrer Flucht aus Biota verletzt hatte.

»Hallo.« Alexander richtete sich auf. »Bitte Wo sind wir?«

»Wen haben wir denn da?«, fragte der Mann ganz links, ohne ihm zu antworten, und legte den Kopf schräg. Er war Mitte vierzig und auf seinem Kinn spross ein stoppeliger dunkelblonder Bart. Seine ebenfalls dunkelblonden Haare waren seitlich gescheitelt und makellos glatt.

Erst glaubte Alexander, der Mann benutze eine völlig andere Sprache als die, die in Biota gesprochen wurde, dann jedoch erkannte er, dass es lediglich die breite und schleppende Aussprache war, die die Worte so fremdartig wirken ließ.

»Ich weiß nich’, Jesse, frische Beute würd’ ich sag’n!« Die anderen Männer grölten vor Lachen.

Ängstlich betrachtete Alexander den Sprecher aus dem Augenwinkel. Er trug ein Halstuch und einen zerlumpten schwarzen Zylinder, der ihn kleiner wirken ließ, als er es eigentlich war. Unordentliche blonde Locken quollen darunter hervor.

Verärgert wandte sich der angesprochene Jesse ihm zu. »Ach, halt die Klappe, McCarty!« Zu den anderen sagte er mit einem Nicken hinüber: »Schnappt sie euch!«

Die drei anderen Männer, jeder von ihnen sehr viel größer und breiter als Alexander, kamen auf ihn, Nic und Oliver zu.

»Stopp!« Nic war vorgetreten und hatte die Hand gehoben. Sie schob Oliver hinter ihren Rücken. »Ich verlange, zu erfahren, wo wir sind und wo Sie uns hinbringen wollen.«

»Sie verlangt es, habt ihr das gehört?« McCarty schlug sich auf die Schenkel und lachte schrill und höhnisch.

Alexanders Augen zuckten von einem Mann zum anderen.

»Ihr solltet mir antworten!« Nics Stimme bebte geradezu vor Autorität, doch die Männer waren nicht nur unbeeindruckt, sie lachten so laut, dass ihnen die Tränen über die Wangen liefen. Nur der Anführer, derjenige, der den anderen die Befehle erteilte, blieb ernst.

»Sollten wir das?«, fragte er Nic gedehnt.

»Ja.« Nic deutete auf die Wände hinter ihnen und die Hügel rundherum. »Wo sind wir?«

»Ihr seid in Narau.«

Narau. Endlich hatte ihr Ziel einen Namen.

»Und jetzt nehmt sie endlich gefangen.« Der Anführer machte einen Schlenker mit seiner Waffe und die Männer setzten sich sofort in Bewegung. McCarty griff nach Alexanders Armen, doch Alexander schlug seine Hände zur Seite.

»Finger weg!« Sein Mund war trocken und er wich nach hinten aus. »Ihr könnt uns nicht mitnehmen. Wir sind frei, wir können tun, was wir wollen.«

»Junge, du bis’ in Narau, du bis’ nich’ frei«, höhnte McCarty und griff erneut nach seinen Armen. Diesmal war Alexander zu langsam, seine Bewegungen waren zu träge von den Wochen im Inneren des Golems. McCarty schlang ein Seil um seine Handgelenke und wich den Tritten, die Alexander ihm verpassen wollte, mühelos aus. »Na, na, na, tu dir lieber nich’ weh.« Alexander wusste, dass er verloren hatte, doch er hatte nicht vor, es diesem McCarty leicht zu machen, und versuchte, ihm ruckartig das Seil aus den Händen zu reißen, doch er schürfte sich dabei nur die Handgelenke auf.

»Hey!« Nics Schrei ließ ihn herumfahren. Einer der Männer, ein grobschlächtiger Kerl von fast zwei Meter Körpergröße, wollte Oliver ebenfalls Fesseln anlegen. Der Junge schwankte, schrecklich bleich im Gesicht. Nic stieß den Mann mit beiden Händen in die Seite. »Lass ihn in Ruhe.« Ihre Augen funkelten und sie stellte sich wieder schützend vor Oliver.

»Oh, die hat ja Feuer.« McCarty kicherte.

»Er ist verletzt, sehen Sie das nicht?« Nic deutete auf Olivers Schulter. Zwar hatten sie während der Reise versucht, sie zu verarzten, doch irgendetwas stimmte nicht mit der Wunde.

»Na und?« Der riesige Mann zuckte mit den Schultern.

»Nicht unser Problem.« Wieder griff er nach Oliver, doch Nic sprang ihm in den Weg.

»Nein!«

»Na, dann nehme ich halt erst dich, mir auch egal.« Der Mann schwenkte herum und griff nun nach Nics Händen, doch sie reagierte rasch und zog sie weg, dann hastete sie nach vorn, zum Anführer. Dieser hob seine Waffe und ein gewaltiger Knall erschütterte die Felswand in ihrem Rücken, sein Echo hallte nach. Sand stob vor Nics Füßen auf.

»Einen Schritt weiter und die nächste Kugel trifft dich. Dann habt ihr beide so ein hübsches Loch.« Jesse deutete auf Oliver.

»Nur einen Schritt.«

Wie erstarrt blieb Nic stehen, doch sie dachte offenbar nicht daran, klein beizugeben. »Bitte, er braucht einen Arzt, hier gibt es doch sicher einen Arzt, richtig?«

»Du has’ es offenbar nich’ kapiert, was Mädchen?« McCarty schüttelte betont tadelnd den Kopf und sein Zylinder hüpfte hin und her. »Du has’ hier gar nix zu melden, nix zu fordern. Du kanns’ gar nix machen.«

»Wollt ihr einen kleinen Jungen sterben lassen?« Nun hatte auch Alexander genug. »Bitte, ihr könnt uns ja mitnehmen, wohin auch immer, aber bringt ihn zu einem Arzt.«

Jesse schüttelte den Kopf. »Ist mir egal, was mit ihm ist. Das soll jemand anderes entscheiden. Wir bringen euch in die Stadt. Solange ihr noch lebt, krieg ich Geld für euch. Also los.« Wieder machte seine Waffe eine wippende Bewegung, und nun gingen gleich drei der Männer auf Nic los, während McCarty sie mit hämischen Kommentaren anfeuerte. Es dauerte nicht lange und auch Nic und Oliver waren gefesselt und hingen an Leinen, die die Männer fest in der Hand hielten.

»Na endlich. Dann los.«

»Was is’n das eigentlich für ein Ding?«, nuschelte McCarty, als Jesse sich schon umgedreht hatte, und deutete auf den Golem.

»Das ist –«, setzte Alexander an, doch wurde sogleich rüde von Jesse unterbrochen.

»Ist doch völlig egal, was das ist. Darum können wir uns später kümmern, kann man sicher einschmelzen. Vielleicht zahlt Wesson uns dafür ja was.«

Noch immer fiel es Alexander schwer, aus dem schleppenden Tonfall der Männer die einzelnen Wörter herauszuhören, aber er hatte langsam das Gefühl, sich daran zu gewöhnen.

»Was haben Sie jetzt genau mit uns vor?«, ertönte Nics Stimme hinter seinem Rücken.

»He, Jesse, die hier will genauer wissen, was wir mit ihr vorhab’n. Wills’ du es ihr sag’n?« Lachend stieß McCarty Alexander in die Seite.

»Das sieht sie noch früh genug«, erwiderte Jesse gelangweilt.

»Beweg dich mal lieber. Will wieder zurück in die Stadt, die geben sicher ein hübsches Sümmchen.«

Redeten die etwa davon, sie zu verkaufen? Mit weit aufgerissenen Augen sah Alexander von einem zum anderen. »Moment mal, Sie können doch nicht …« Keiner der Männer hörte ihm zu.

»Schau doch mal, wie hübsch die hier ist. Na ja, wieder sein wird. Die braucht erstma’ ein ordentliches Bad.«

Jesse ging gemächlich auf Nic zu und packte sie am Kinn. Wütend starrte sie ihm ins Gesicht und versuchte, sich seinem Griff zu entwinden, doch er war zu fest.

»Oh ja«, sagte Jesse langsam. »Die hat wirklich richtig Feuer, und das will hier schon was heißen.« Er lachte lauthals über seinen eigenen Witz, und nach wenigen Augenblicken stimmten auch die anderen Männer mit ein.

»Bin sicher, der alte Grady würde sie gern in die Finger bekommen, meinst du nich’ auch, Johnson?« Beifall heischend blickte McCarty zu dem Mann hinüber, der Nic am Seil hinter sich herführte.

Der zuckte nur mit den Schultern. »Kann schon sein«, murmelte er leise.

»So, dann lasst uns mal einen Zahn zulegen, ich will noch in den ›Old Hat‹«, verkündete Jesse und erhöhte sein Tempo.

»Willste deine hart verdiente Kohle gleich wie’er verlier’n?« McCarty betrachtete ihn feixend.

Jesse sah zurück, rollte nur mit den Augen und winkte den anderen über die Schulter zu, damit diese ihm folgten.

Alexander begriff nicht, worüber die Männer sprachen. Es lag nicht nur an der Art und Weise, wie sie alles aussprachen, es lag auch an den Wörtern, die sie benutzten.

»Deine Spielerei wird dich noch mal in die Hölle bringen!« Brüllendes Lachen war der Dank für diese Bemerkung.

»Da bin ich doch schon längst, sonst wäre ich nicht mit eurer Gesellschaft gestraft worden«, antwortete Jesse ebenfalls grinsend.

Alexander folgte ihrem Wortwechsel ratlos. Die »Hölle«? Was mochte das sein? Eine Art Gefängnis vielleicht?

»Also, das hier ist Narau, habt ihr gesagt?« Alexander deutete mit seinen zusammengebundenen Händen in die Richtung, in die sie gingen.

»Ja, Trottel.« McCarty gab ihm einen Stoß in den Rücken und er stolperte vorwärts.

Narau auf den Karten, die sie zur Navigation benutzt hatten, war kein Name eingezeichnet gewesen. Der einzige Hinweis auf einen Vulkan war ein unförmiger kleiner Berg gewesen, der unter den Inseln von Hawaii eingezeichnet war. Sie hatten ihn aus purer Verzweiflung angesteuert, als ihnen die Möglichkeiten ausgegangen waren, wo die in einem Vulkan verborgene Stadt noch liegen konnte. Alle anderen Vulkane waren unbewohnt und lebensgefährlich gewesen, einige wenige sogar unauffindbar.

Überhaupt hatten sie nur von dieser Stadt erfahren, weil sie in Biota verbotenerweise mit den Dunklen gesprochen hatten, Menschen, deren Gedächtnis im Gegensatz zu ihrem noch intakt war und die von den Oberen deshalb eingesperrt worden waren. Sie hatten sich an eine andere bewohnte Stadt als Biota erinnern können und einen Vulkan im Pazifik als einzigen Hinweis genannt.

Zu gerne würde er sich auch an etwas erinnern, an etwas außerhalb von Biota. Doch bei ihm hatte die Anpassung an die Stadt funktioniert, sein Gedächtnis war von den Wissenschaftlern schon vor Jahren gelöscht und manipuliert worden. Alles, was er jemals außerhalb von Biota gesehen hatte, war unwiederbringlich fort.

In Gedanken versunken stolperte Alexander erneut. Auf dem groben Weg fiel er hart auf die Knie und rang nach Luft. Er war so müde.

Ungeduldig zerrte McCarty an dem Seil, das er um Alexanders Hände geschlungen hatte.

»Mach schon. Keine Lust, hier hint’n festzusitz’n, nur weil du nich’ richtig lauf’n kanns’!«

Mühsam rappelte Alexander sich wieder auf. Seine Knie schmerzten, doch noch schlimmer war der Durst, der ihn seit Tagen quälte. Zwar hatten sie im Golem Süßwasser aus dem Meerwasser gewinnen können, das sie von allen Seiten umgab, doch während der letzten Tage ihrer Reise hatte der Mechanismus nach und nach den Geist aufgegeben. Wenige Stunden, bevor sie Narau erreicht hatten, war das Wasser genauso salzig gewesen, als hätten sie es direkt aus dem Ozean getrunken. Alexander verdrängte den Gedanken an ein kühles Getränk. Er hatte nicht vor, diese Männer um Wasser anzubetteln. Wenigstens hatten sie die Stadt erreicht, die Dunklen hatten also nicht gelogen. Sie existierte tatsächlich!

Nur den Empfang hatte er sich anders vorgestellt.

Gequält verzog Alexander das Gesicht, als der Mann vor ihm am Seil riss und sich die groben Fasern schmerzhaft in seine Handgelenke gruben.

»Ich mache, so schnell ich kann«, krächzte er und eilte McCarty hinterher.

Von Oliver und Nic war den ganzen Weg über kaum etwas zu hören, nur ab und zu ein Stöhnen von Oliver und gemurmelte Worte von Nic. Das änderte sich jedoch, als sie den Gipfel des kleinen Hügels erreichten, der, wie sich jetzt herausstellte, das Innere des Vulkans war, das zu den Seiten sanft anstieg.

»Unglaublich«, flüsterte Nic hinter ihm und auch von Oliver kamen bewundernde Laute. Gesprochen hatte der Junge seit zwei Tagen nicht mehr. Die Schussverletzung an seiner Schulter verheilte kaum und es ging ihm zusehends schlechter. Von Zeit zu Zeit hatten Alexander Gewissensbisse geplagt. Vielleicht wäre es Oliver besser ergangen, wenn sie ihn in Biota zurückgelassen hätten. Doch diese Gedanken hatte er immer schnell wieder verdrängt. Hätten sie ihn bei den Dunklen gelassen, wäre er vermutlich von ihnen ermordet worden. Dann war eine Schusswunde auf der Flucht aus der Stadt doch die bessere Wahl.

Hinter dem vermeintlichen Hügel war der Rest von Narau sichtbar geworden. Eine Stadt inmitten eines Vulkankraters. Die Wände des Kraters ragten so hoch in die Luft, dass sie sich in dem Dunst verloren, der wie ein Schleier über der Stadt hing. Sie waren schwarz und zerklüftet, spitz und massiv. Vor ihrer kleinen Gruppe erstreckte sich ein langer Weg aus schwarzen Steinquadern, der zu der eigentlichen Stadt aus unwirklich schwarzen und rotbraunen Häusern führte. Obwohl die Sonne schien, konnte sie den seltsamen Nebel, der die Stadt einhüllte, kaum durchdringen. Wie scheußlich es hier roch! Nach faulen Eiern und Kohlefeuern ohne Lüftung. Krampfhaft holte Alexander Luft, sein Hals kratzte und seine Augen tränten, doch er sah sich weiter um.

Auf der linken Seite der Stadt erhob sich eine etwa fünfzig Meter hohe Konstruktion aus Metall, von der aus ein breiter Steg in der Höhe einmal quer über den Krater führte.

»Was ist das?« Nic war neben ihn getreten und sah auf die Konstruktion in schwindelerregender Höhe.

»Nich’ dein Problem, würd ich sag’n.« McCarty kicherte hämisch.

»Das ist der Steg.« Im Gegensatz zu McCarty schien Jesse kein Problem damit zu haben, ihnen etwas über Narau zu erzählen. »Da oben gibt es Fabriken und all so was. Alles, was viel Dreck macht, und viel Rauch absondert.«

»Interessant.« Nic beobachtete den Steg, wo sich offenbar Menschen tummelten, denn Alexander nahm vage Bewegungen im Nebel wahr.

Die Häuser der Stadt schienen wie die Jahresringe eines Baumes nach einer Art Ringsystem angelegt zu sein: Kreise aus Gebäuden, die immer enger wurden. Flachere Häuser standen im äußeren Ring, es folgten höhere Häuser, dann Häuser mit zahlreichen Schildern und Beschriftungen und schließlich – direkt in der Mitte der Stadt riesenhafte Villen, mit großen Gärten und Säulen neben dem Eingang.

Ganz Narau war eingehüllt von einer brütenden Hitze, die Alexander den Schweiß auf die Stirn trieb. Da seine Hände gefesselt waren, liefen die Schweißtropfen ungehindert über sein Gesicht und rannen ihm in die Augen. Hektisch blinzelnd tappte er seinem Begleiter hinterher und trat ihm versehentlich in die Hacken.

Wütend wirbelte McCarty herum und gab Alexander einen Schubs. Gleichzeitig zog er aus einer Ledertasche an der Seite seines Gürtels eine Waffe. Das dünne, silbern glänzende Metallrohr war direkt auf Alexander gerichtet, der braune Griff schmiegte sich perfekt in die Hand des Mannes. Verängstigt starrte Alexander darauf. Diese Dinger waren der Grund für den Großen Krieg gewesen. Wussten die Menschen hier denn nicht, wie gefährlich sie waren?

McCarty lachte angesichts Alexanders ängstlichen Gesichtsausdrucks. »So ist’s brav«, knurrte er und steckte die Waffe wieder ein.

Sie folgten dem Weg weiter in die Stadt. Einige Minuten herrschte Schweigen, und Alexander fiel auf, wie porös die Steine waren, auf denen sie liefen. Jeder Einzelne von ihnen bestand aus unterschiedlich großen Blasen und hatte eine etwas andere Form als der nächste neben ihm. Rechts entdeckte er eine große Wiese, die fast ein Viertel des Kraters einnahm und sich bis zu seinem Rand hinzog. Mehrere Menschen und metallene Maschinen waren darauf mit ihrer Arbeit beschäftigt. Dichte Rauchschwaden schwebten über ihren Köpfen, und Alexander hätte zu gern gewusst, was sie dort taten, doch McCarty zog ihn unerbittlich weiter.

Nach wenigen Minuten passierten sie den ersten Ring aus heruntergekommenen Häusern. Sie erinnerten Alexander an die Stadt der Dunklen in Biota. Viele der schwarzen Steine, aus denen die Hauswände bestanden, waren zerbrochen, die Türen aus Holz waren gesplittert und Unrat säumte die Straße, die einmal im Kreis um den Häuserring herumlief. Vor den Häusern spielten Kinder auf der Straße. Sie waren so dünn, dass Alexander problemlos ihre Rippen zählen konnte. Ihre Gesichter waren eingefallen und schmutzig. Die wenigen Erwachsenen, die er sah, trugen dicke Metallringe um den Hals und starrten mit leerem Blick vor sich hin. Neugierig betrachtete Alexander die Menschen, deren Aussehen er nicht einordnen konnte. Sie hatten eine dunklere Haut als er selbst, ein flacheres Gesicht mit hohen Wangenknochen und einer scharf geschnittenen Nase. Ihre tiefbraunen Augen folgten der kleinen Gruppe, bis sie durch eine Gasse in den nächsten Häuserring eintauchten.

Staunend betrachtete Alexander die Häuser in diesem Ring. Sie waren höher als in der Reihe zuvor, er schätzte sie auf zehn Meter, zwei Stockwerke mit einer kleinen Veranda auf der Vorderseite. Die Fassaden waren von dunkelbrauner Farbe, hatten eckige und ovale Fenster und wirkten gepflegt. In den Fenstern der meisten Gebäude standen Pflanzen, viele mit Stacheln, aber alle ohne Blüten. Auch hier befanden sich Menschen auf den Straßen, nur ähnelten sie denen aus dem ersten Ring nicht im Geringsten. Wie er selbst waren sie weiß und keiner von ihnen trug einen Metallreif um den Hals. Die Frauen trugen entweder Kleider aus Leinen oder Baumwolle, mit Rüschen und ohne, oder lange braune Hosen, die Männer braune Hosen und blaue Hemden. Alle, Frauen und Männer, trugen diese metallischen Waffen bei sich, die auch ihre Bewacher hatten, entweder auf dem Rücken oder in einer Ledertasche an der Hüfte. Alexander hätte nur zu gerne gewusst, wozu sie dienten und wie sie funktionierten. Denn darüber hatten die Oberen ihnen leider nichts erzählt. Er verrenkte sich fast den Hals, als er versuchte, die länglichen Waffen auf dem Rücken einer Frau näher zu betrachten, bis sein Entführer ihn mit einem harten Ruck weiterzog.

»Ich verlange, dass Sie uns endlich zu einem Arzt bringen.« Mit verschränkten Armen war Nic stehengeblieben. »Er kann nicht mehr weiter. Bitte, ich mache mir wirklich Sorgen.« Auf Olivers Stirn standen Schweißperlen. Seine Augenlider waren halb herabgesunken und er hielt sich eher dadurch aufrecht, dass er am Seil ihrer Bewacher hing, als dass er aus eigener Kraft stand.

»Jetzt hör mir mal zu.« Jesse trat so dicht vor Nic, dass seine Nase fast ihre berührte. »Ihr gehört nicht hierher. Ihr habt nichts zu melden. Ihr habt kein Geld, keine Macht, keine Waffen. Nichts, was uns auch nur irgendwie interessieren könnte. Das einzige, das mich an euch interessiert, ist das Geld, das ihr mir einbringen werdet. Sonst nichts, verstanden?«

Für ein paar Momente war es absolut still. Alexander sah, wie es hinter Nics Stirn arbeitete. Er wusste, dass sie nicht nachgeben wollte, doch er hoffte, dass sie es tat. Ein Streit würde ihnen nichts außer Probleme bringen. »Wenn wir in Biota wären …«, zischte Nic, dann trat sie einen Schritt zurück.

»Geht doch.« Jesse winkte den anderen und sie zogen weiter. Im nächsten Viertel wurde die Straße ebener und silberne Laternen, in denen kleine Flammen brannten, standen in gleichmäßigen Abständen am Rand. Der seltsame Nebel war hier weniger dicht, doch noch immer atmete Alexander keuchend und konnte alles nur durch einen Schleier erkennen. Die Häuser im dritten Ring hatten verschiedene Formen, nicht wie in den Ringen zuvor, wo jedes Haus dem nächsten glich. Eins von ihnen hatte sogar eine riesige Schere auf dem Dach montiert. »Dan’s Schleiferei«, entzifferte Alexander mit zusammengekniffenen Augen.

Ein anderes hatte ein abgeflachtes Dach, auf dem ein riesiger metallischer Golem mit rot glühenden Augen stand. In seinen ausgestreckten Händen hielt er eine große Waffe, die aus zwei Metallrohren bestand. Es sah beinahe so aus, als ziele er auf die Besucher, die den Laden betreten wollten. Auf dem Metallschild, das schief an der Häuserecke angebracht war, stand

»Smith & Wesson«.

»Verdammt!« McCarty deutete genervt zum Himmel. »Jetzt hat Wesson schon wieder mit der Schmelze begonn’n. Von dem Geld für den Schrotthaufen könn’ wir uns schon ma’ verabschied’n.«

Alexander blickte ebenfalls hinauf und blinzelte krampfhaft. Aus der Luft rieselten die ganze Zeit kleine Flocken auf ihn hinab, die in seinen Augen kratzten und brannten. Nach wenigen Sekunden entdeckte er im grauen Nebelschleier jedoch den schwarzen Umriss des Stegs, der sich einmal quer durch den Vulkankrater zog.

»Krieg’ dich wieder ein, dann halt nächste Woche.« Grob klatschte Jesse seine Hand auf McCartys Schulter und ging an ihm vorbei. Leise vor sich hin murmelnd trottete McCarty ihm hinterher und sie betraten den letzten und innersten Ring der Stadt. Hier gruppierten sich sechs Häuser in einem engen Kreis, in dessen Inneren ein Garten angelegt war. Riesige schwarz glänzende Säulen säumten die Eingänge. Doch die Männer schleiften sie nicht in eines der Häuser, wie Alexander es erwartet hatte, sondern gingen an ihnen vorbei und betraten durch eine gegenüberliegende Gasse wieder den dritten Häuserring. Häuser zu beiden Seiten der Straße bildeten einen langen Gang, nur durchbrochen von Wegen, die in die anderen Ringe führten. Zielstrebig steuerten die Männer auf ein hüfthohes Podest aus schwarzem Stein zu, neben dem ein Mann stand. Er hatte die Haare mit einem Lederband aus dem Gesicht gebunden. Am Leib trug er schwarze Hosen, nur eine Lederweste auf der nackten Brust und hatte sich eine Art geflecktes Tierfell um die Handgelenke geschlungen.

»Hey, Jim!«, begrüßte Jesse ihn.

Jim nickte nur und betrachtete die Gruppe mit hochgezogenen Augenbrauen. »Was habt ihr denn da Schönes für mich?«, fragte er mit monotoner Stimme. Trotz seiner Frage schien es ihn nicht sonderlich zu interessieren.

»Neue Ware.« Jesse deutete auf Nic, Oliver und Alexander.

Das also waren sie jetzt? Nur eine Ware?

»Neu sehen die nicht gerade aus. Und auch nicht, als könnten die arbeiten. Dafür kriege ich sicher nicht viel.« Abschätzig glitt sein Blick über Alexander und dann weiter zu Oliver, der gekrümmt dastand und sich kaum noch auf den Beinen halten konnte.

»Schau’ dir doch ma’ die hier an.« McCarty deutete auf Nic.

»Wenn die nich’ viel einbringt, dann weiß ich auch nich’. Allein die Haare!« Grob fuhr er Nic durch ihre langen dunkelblonden Locken. Wütend schüttelte sie den Kopf, doch McCarty schnalzte nur mit der Zunge und tätschelte ihre Wange.

»Und Temperament hat sie auch noch.«

Jim wiegte seinen Kopf hin und her. »Ich weiß nicht …«

Jesse tippte mit den Stiefelspitzen auf den Steinboden. »Ja oder nein? Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit für deine Spielchen.« Fest blickte er Jim in die Augen. Als Jim nichts sagte, zuckte er nach wenigen Sekunden mit den Schultern und wandte sich zum Gehen.

»Abmarsch, Jungs!« Auch die anderen Männer drehten sich um und zogen die Gefangenen an den Seilen hinter sich her.

»In Ordnung, alles klar!«, rief ihnen Jim genervt hinterher.

»Du hast gewonnen, verdammter Hund!«

»Wie viel?«, knurrte Jesse.

»20 Gramm. Mehr ist aber nicht drin!«

»25 und wir sind uns einig.«

»Du ruinierst mir noch mein Geschäft.« Jim seufzte demonstrativ. »25 Gramm, alles klar.«

Er kramte in einer kleinen Ledertasche an seinem Gürtel, dabei schlugen die zwei Waffen daran klirrend aneinander. Schließlich zog er fünf kleine goldene Plättchen aus dem Beutel und drückte sie Jesse in die Hand. »Da! Und jetzt verzieht euch von hier!«

»Nur zu gerne«, erwiderte Jesse und gab den anderen das Zeichen zum Aufbruch. Sie übergaben Jim die Seilenden und verschwanden in der nächsten Gasse. Dumpf tönte McCartys leiser werdende Stimme herüber. »Jetz’ gib’ mir schon mein’n Anteil!«

Unsicher sah Alexander Jim an. Der grinste nur und zog an ihren Seilen.

»Los, kommt mit!« Unsanft riss er an den Fesseln, doch sie bewegten sich nicht von der Stelle. Was geschah nun mit ihnen? »Ach, ihr sprecht unsere Sprache wieder nicht, immer das Gleiche …«

»Nein«, sagte Alexander. »Aber wir bewegen uns erst, wenn Sie ihm helfen. Er braucht einen Arzt.« Er deutete auf Oliver.

»Helfen?« Jim lachte schallend. »Ich werd’ dir gleich helfen. Du bewegst dich jetzt.«

Doch Alexander schüttelte den Kopf. Nic trat an seine Seite.

»Nein«, sagte auch sie. »Er wird nicht mehr lange durchhalten.« Sie griff nach Olivers Hand.

»Mir völlig egal. Ihr geht da jetzt endlich rein.« Er deutete auf ein kleines Gebäude mit vergitterten Fenstern.

»Das werden wir nicht tun«, erklärte Nic mit fester Stimme und der steifen Haltung der Botania, die sie in Biota gewesen war.

Schimpfend wandte der Mann sich ab und bückte sich. Plötzlich wirbelte er ruckartig wieder herum. Er hatte etwas in der Hand, das aussah wie ein Stock mit Fransen daran. Klatschend landeten die Fransen auf Alexanders nackten Armen und er schrie auf. Rote Striemen bildeten sich auf seiner Haut.

»Willst du noch mehr?«, knurrte Jim mit einem fiesen Grinsen. Alexander schnappte vor Schmerz nach Luft und schüttelte den Kopf. Er konnte es nicht auf einen Kampf mit diesem Mann ankommen lassen. Er hätte keine Chance. »Und du?« Jim deutete mit dem Stock in seiner Hand auf Nic. Auch sie schüttelte den Kopf, wenn auch mit einem mörderischen Gesichtsausdruck. »Na, geht doch.« Jim zog an ihren Fesseln und führte sie zu dem Gebäude, in dem bereits zwei weitere Personen saßen. Ebenso wie die Menschen im ersten Häuserring hatten sie hohe Wangenknochen und dunkle Haut. Mit verängstigtem Blick sahen sie die Neuankömmlinge an. Alexander versuchte es mit einem Lächeln, doch er war so ausgelaugt und dehydriert, dass es ihm wohl nicht richtig gelang, denn die beiden anderen Gefangenen rutschten auf der schmalen Bank noch ein Stück weiter von ihm fort. Seufzend ließ Alexander sich an der Wand herabrutschen und setzte sich auf den Boden. Nic jedoch drehte sich um und versetzte Jim einen Stoß. »Lass uns hier raus! Du kannst uns nicht einfach gefangen halten!«

Sichtlich überrascht stolperte Jim einen Schritt zurück, fing sich aber gleich wieder und grinste Nic an.

»Schön und kampflustig, das wird meine Kunden sicher freuen.« Er machte einen schnellen Schritt auf Nic zu und griff ihr mit einer Hand an den Hals. Gurgelnd versuchte sie, sich aus dem Griff zu befreien, doch Jim drückte sie gegen die Wand.

»Mach’ das nicht noch einmal, hast du mich verstanden?« Er stieß Nic mit Wucht zurück und verließ den Raum. Mit einem Knall fiel die Tür hinter ihm ins Schloss.

»Au!« Mit schmerzverzerrter Miene strich Nic sich über den Hinterkopf. Als sie die Hand wieder löste, waren ihre Finger blutverschmiert. »Er hat dich verletzt!« Alexander sprang auf, um ihr zu helfen, doch sie winkte nur ab.

»Schon gut, das ist nur eine winzige Platzwunde, nichts Schlimmes. Ich bin ja selber schuld. Was habe ich auch erwartet? Dass er uns einfach wieder gehen lässt?« Sie lachte bitter.

»Ich bin nichts hier, Alex. Ich bin keine Botania mehr! Und ohne meinen Titel Wer bin ich da schon?«

Betroffen senkte Alexander seinen Blick. Natürlich hatte sie recht. In Biota war sie eine Biologin gewesen, eine der Leiterinnen der Stadt, die Leute hatten Respekt vor ihr gehabt, mehr noch: Sie hatten sie verehrt. Ihrem Status war es überhaupt erst zu verdanken gewesen, dass sie die Mordfälle in ihrer Heimatstadt hatten aufklären können.

Doch sie würden einen Weg hier raus finden, dazu brauchten sie keinen Titel!

Ein Stöhnen unterbrach seine Gedanken. Oliver war auf dem Boden zusammengesunken. Frisches Blut sickerte unter der Hand hervor, die er auf die Wunde an seiner Schulter gepresst hatte. Sofort waren Alexander und Nic an seiner Seite.

»Oliver?« Besorgt strich Nic ihm über die Stirn, auf der kalter Schweiß stand. Er reagierte nicht. Alexander hockte sich neben ihn, doch wagte nicht, ihn zu berühren.

»Was ist los?«, flüsterte er leise.

»Er ist ohnmächtig. Ich vermute, die Anstrengung heute und die Wunde waren einfach zu viel. Außerdem glaube ich, dass die Wunde ihn langsam vergiftet, sie heilt einfach nicht und die Bakterien werden sicher bald zu einer Blutvergiftung führen.«

Hilflos sah Nic ihn an. Alexander wusste, dass sie ohne Hilfsmittel auch nichts tun konnte, trotzdem war er ein klein wenig enttäuscht. Sie war immer diejenige gewesen, die gewusst hatte, was zu tun war. Erst jetzt merkte er, wie sehr er sich auf sie verlassen hatte.

Er bemühte sich, sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Langsam fuhr er Oliver durchs Haar. »Wir kommen hier ganz sicher wieder raus, ich lasse mir was einfallen.« Er hatte Oliver schließlich nicht aus seinem Gefängnis unter Biota gerettet, damit er nun hier in Narau starb. Gemeinsam legten sie Oliver flach auf den Boden und Nic bettete seinen Kopf auf ihren Schoß.

Alexander lehnte sich mit dem Rücken gegen die Steinmauer. Sie war warm, ebenso wie der Boden. Vorsichtig strich er mit der Hand darüber. Der Stein fühlte sich unter seinen Fingern scharf und grobkörnig an. Er konnte sich nicht daran erinnern, dieses Material jemals in Biota gesehen zu haben. Ganz leicht kratzte er mit seinem Fingernagel darüber und kleine Brocken brachen ab.

Einige Momente lang beobachtete er Nic, die Oliver hin und wieder die Hand auf die Stirn legte. Danach hob sie das Tuch, das seine Schulter bedeckte, hoch und betrachtete die Wunde, deren Ränder so dunkelrot waren, dass sie fast schwarz wirkte. Eine Hand auf seinem Kopf, die andere an ihrem Ärmel, riss sie den Stoff entzwei und tauschte das Tuch mit dem Teil ihres Ärmels.

Alexanders Blick glitt wieder hinüber zu ihren Mitgefangenen. Sie hatten ihre Köpfe von ihm abgewandt und so musterte er ungeniert ihr Profil. Eine scharf geschnittene Nase, die sich nach unten hin deutlich verbreiterte, braune Hautfarbe und Haare, die wie Kohle glänzten. Einer der beiden Männer, die er auf Mitte dreißig schätzte, hatte seine Nase mit etwas durchbohrt, das aussah wie Holz oder Knochen. Beide trugen Ohrringe in leuchtendem Rot und sanftem Grün.

»Entschuldigen Sie«, begann Alexander und hob eine Hand, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. »Hallo?« Die beiden Gefangenen würdigten ihn keines Blickes. Mühsam erhob Alexander sich und ging hinüber auf ihre Seite der Zelle.

»Hallo«, versuchte er es noch einmal und streckte seine Hand aus. Diesmal musterten die beiden ihn aus ihren dunklen, unergründlichen Augen. Er ließ seine Hand wieder sinken.

»Also Können Sie uns vielleicht sagen, wo wir sind?« Keine Reaktion.

»Dann vielleicht, was mit uns geschehen wird? Was hat dieser Mann mit uns vor?« Die einzige Antwort, die die beiden ihm gaben, war Schweigen. »Will er uns wirklich verkaufen?« Verzweiflung machte sich in Alexander breit. Es musste doch irgendetwas aus ihnen herauszukriegen sein. »Warum hat man uns gefangen genommen? Und warum Sie?«

Die Augen des einen Mannes hefteten sich wieder auf ihn und sein Gesicht verzog sich verächtlich. Dann schnaubte er und wandte sein Gesicht wieder zur Wand.

»Lass es gut sein, Alex, die sagen uns nichts. Vielleicht verstehen sie uns auch gar nicht.« Nic streckte ihm die Hand entgegen und zog ihn wieder hinab auf den Boden. »Ruh dich lieber aus, ich habe das ungute Gefühl, wir können unsere Kräfte noch gebrauchen.«

 

Eine Weile später, Alexander hatte in der dunklen Zelle jedes Zeitgefühl längst verloren, öffnete sich die Tür endlich wieder. Licht flutete herein und alle Gefangenen blinzelten in der plötzlichen Helligkeit.

Jim erschien in der Tür. »Alle in einer Reihe aufstellen, macht keinen Unfug, dann passiert euch auch nichts«, bellte er und wedelte mit den Händen. »Los, los!«

Alexander und Nic erhoben sich und traten zur Tür.

Jims Blick fiel auf Oliver. »Was ist denn mit dem los? Der ist doch jetzt nicht etwa verreckt, oder?«

Der genervte Tonfall des Mannes reizte Alexander, doch er bemühte sich, völlig ruhig zu antworten. »Nein, er ist nur ohnmächtig. Das ist die Anstrengung und wir hatten ja auch nichts zu trinken. Er muss unbedingt zu einem Arzt, bitte …«

Abrupt wurde er von Jim unterbrochen. »Jaja. Spar dir deine traurige Geschichte für jemanden, den es interessiert. Ihr beide tragt ihn einfach, klar?« Mit schmutzigen Fingern deutete er auf Nic und Alexander, dann verschwand er. Mit Mühe nahmen sie Oliver in ihre Mitte und trugen ihn aus der Hütte. Obwohl er kaum etwas wog, bereitete sein Gewicht ihnen einige Schwierigkeiten. Auch sie waren mit ihren Kräften fast am Ende, Alexanders Beine waren wackelig, bei jedem Schritt zitterten die Muskeln in seinen Oberschenkeln, als stünden sie unter Strom. Sein Kopf dröhnte, seine Zunge klebte am Gaumen und alles in ihm schrie nach Wasser. Und Nic erging es sicher nicht viel besser.

Außerhalb der Hütte war es noch wärmer. Es musste jetzt später Nachmittag sein und der Nebel in der Stadt hatte sich noch weiter verdichtet. Zwar konnte Alexander die Häuser im Umkreis erkennen, doch über allem lag dieser merkwürdige Schleier.

Jim deutete auf das Steinpodest in der Mitte des Platzes vor der Hütte und Alexander stieg umständlich hinauf. Mit einigen Schwierigkeiten zog er Oliver hoch, während Nic von unten schob. Bei ihren Bemühungen öffnete Oliver die Augen und sah sich hektisch um.

»Ganz ruhig, alles in Ordnung.« Alexander nickte ihm zu. »Dir passiert nichts.« Er sah, dass Oliver etwas sagen wollte, doch kein Wort kam aus seinem Mund. Seine Lippen hatten tiefe Risse und die Mundwinkel waren verkrustet und bluteten an manchen Stellen.

»Wasser«, brachte er schließlich krächzend heraus. Bedauernd schüttelte Alexander den Kopf. »Wir haben keins, noch nicht. Gleich. « Er unterbrach das Gespräch, da Jim mit seiner Peitsche wedelte und ihn zur Eile antrieb.

Die beiden anderen Gefangenen waren ihnen gefolgt. Mit klopfendem Herzen stand Alexander auf dem Podest. Was würde nun geschehen? Was hatte Jim mit ihnen vor? Vor ihrer Flucht hatten sie keinen Gedanken daran verschwendet, wie andere Städte ihren Besuch wohl aufnehmen würden.

Nach und nach versammelten sich Menschen vor dem Podest. Immer schneller wuchs die Menge an, bis Alexander über zweihundert Zuschauer zählte.

Schließlich trat Jim nach vorn an den Rand der kleinen Bühne. Er streckte die Arme in die Luft und das Gemurmel auf dem Platz erstarb.

»Liebe Mitbürger, es ist wieder so weit! Ich habe neue Ware für euch! Lasst uns doch mal sehen, was sie euch wert ist!« Applaus brandete auf. Jim nickte begeistert und die vielen Ringe an seinem rechten Ohr klimperten leise. Er griff nach Nics Hand und zog sie zu sich heran. »Als Erstes möchte ich euch diese Schönheit hier präsentieren. Ein wenig schmutzig, ja, aber mit viel Leidenschaft! Na, wer bietet 10 Gramm?« Zustimmendes Gemurmel wurde laut. Erste Hände hoben sich.

»20!«

»30!«

Alexanders Gedanken rasten. Aus irgendeinem Grund wollte Jim sie verkaufen. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Er musste es beenden oder zumindest unterbrechen. Nach einem kurzen Zögern trat er vor und stellte sich direkt neben den Verkäufer.

»Was soll der Scheiß?«, zischte der ihm aus dem Mundwinkel zu. »Verzieh dich wieder nach hinten, du bist später dran!« Er gab ihm einen leichten Stoß vor die Brust.

Alexander ignorierte Jim und wandte sich direkt an das Publikum zu seinen Füßen.

»Hallo, ich bin Alexander, das ist Nic und das ist Oliver. Wir sind erst heute in eurer schönen Stadt gelandet, nicht, weil wir euch schaden wollen, sondern weil wir unsere Heimat Biota verlassen mussten.« Erste Rufe ertönten. Alexander konnte zwar nicht verstehen, was die Leute riefen, aber der Inhalt war ganz klar gegen ihn gerichtet. Er schluckte und sprach dann hastig weiter: »In Biota war Nic eine Biologin, ich war ein Hüter und wir waren damit beauftragt, einen Mord aufzuklären. Das ist uns auch gelungen, aber leider haben die Ermittlungen Geheimnisse zutage gefördert, die die Leiter unserer Stadt schützen wollten. Wir sind geflohen, bevor sie uns töten konnten.«

Er schwieg. Die Rufe in der Menge waren verstummt, jetzt war lediglich ein Murmeln zu hören. Die Leute sprachen mit ihren Nachbarn und blickten dabei immer wieder zu ihm hinauf. Er konnte nicht erkennen, ob seine Rede ihre Wirkung erzielte, doch er fuhr fort: »Wir haben nur nach einem Ort gesucht, an dem wir uns ausruhen können, und sind dabei in eurer Stadt gelandet.« Ein wenig außer Atem blickte er in die Menge.

Einzelne Einwohner erwiderten seinen Blick und nickten ihm sogar zu. Unsicher nickte er zurück. Ein unerwartet harter Schlag gegen seine Rippen ließ ihn zurücktaumeln. Der Händler hatte ihn mit ausgestrecktem Arm fortgestoßen und stellte sich nun direkt vor ihn.

»Liebe Mitbürger, der Zwischenfall tut mir sehr leid, wir werden natürlich sofort mit der Versteigerung fortfahren.« Er zog Nic zu sich heran und drückte sie an seine Seite, sodass sie sich kaum noch rühren konnte. »Also, wer bietet mehr als 30?«

»Ihr solltet uns erst anhören«, rief nun Nic, während sie sich in Jims Arm wand. »Wir sind als Gäste nach Narau gekommen, als Besucher.« Sie hielt kurz inne und ließ ihren Blick über die Menge gleiten. »Behandelt man so in Narau vielleicht seine Gäste?«

Alexander sah an Jim vorbei in die Menge. Viele der Menschen wirkten unsicher, sahen zu Boden und warfen einander verwirrte Blicke zu.

»Kommt schon, Leute, die hier hat wirklich beste Qualität!« Verzweiflung hatte sich in Jims Stimme geschlichen. »Vielleicht legst du mal die hier ab.« Der Händler deutete auf Nics zerrissene Bluse.

»Ganz sicher nicht!« Nics Stimme zitterte vor Empörung.

»Eine Botania entblößt sich nicht in aller Öffentlichkeit.«

Jim beugte sich zu ihr und flüsterte so leise in ihr Ohr, dass Alexander es gerade noch verstand. »Du bist nichts hier, gar nichts, hörst du?«

Schwungvoll holte Nic aus, Jim einen ungelenken Kopfstoß zu verpassen, doch dieser ging ins Leere, als der Händler zurückwich und lachte. Er hob die Hand wie zur Ohrfeige, doch eine Frau in der Menge trat vor. Sie räusperte sich lautstark und die Menge verstummte. Sie war etwa Ende dreißig, hatte leuchtend rote Haare und trug ein gewagt geschnittenes schwarzes Kleid, das für Biotas Verhältnisse zu viel Haut gezeigt hätte. In aller Ruhe ging sie zum Podest hinüber, legte eine Hand auf den Stein und schwang sich elegant hinauf. Oben klopfte sie sich einen imaginären Staubfleck vom Kleid und legte Jim eine Hand auf den Arm. Dann verkündete sie: »Meine lieben Freunde, diese drei hier sind unsere Gäste. Sie suchten nur nach einer Unterkunft, nicht nach Streit oder Krieg. Gewähren wir ihnen doch einen, sagen wir, zweiwöchigen Aufenthalt, ja? Sie sollen sehen, dass wir hier keine Barbaren sind. Lasst uns ihnen zeigen, wie schön Narau ist.« Ihre schmeichelnde Stimme verklang und sie ließ ihren durchdringenden Blick über die Menge wandern. Mit kurzer Verzögerung brach das Publikum in Applaus aus. Offenbar war das Publikum mit ihrem Vorschlag einverstanden, nicht jedoch Jim, der protestierend die Hände hob.

»Moment, Moment, Apolonaria, ich habe ein Vermögen für die drei bezahlt.« Jim schob die Hand der Frau von seinem Arm und schüttelte den Kopf. Seine rechte Hand wanderte zu seinem Gürtel und berührte die Spitze der Waffe, die dort hing, ein bronzefarbenes Gebilde mit Einlegearbeiten aus Messing.

»Wage es nicht.« Schneller, als Alexander reagieren konnte, hatte die Frau nach der Waffe gegriffen, sie Jim aus der Hand gerissen und sie auf ihren Besitzer gerichtet. »Das hat doch keinen Zweck. Lass es einfach geschehen, hörst du?« Ihre Stimme war dunkel geworden und so leise, dass sie nicht bis zum Publikum drang.

Jims Augen zuckten von der Waffe ins Publikum. Dann hob er die Hände wie zur Kapitulation.

»Aber woher, glaubst du, bekomme ich jetzt mein Geld?« Der Kopf des Händlers war puterrot angelaufen.

Die Frau wirbelte die Waffe in der Hand herum und schob sie mit einer einzigen schnellen Bewegung zurück in die Tasche an Jims Gürtel. Dann legte sie den Kopf schief und lächelte – ein breites, einnehmendes Lächeln. »Jim, also bitte. Von mir natürlich. Hier, 40 Gramm sollten genügen, oder?« Vergnügt ließ sie einige goldene Plättchen in die Hand des verdutzten Verkäufers fallen. Anschließend wandte sie sich um und breitete ihre Arme aus, als verkündete sie den Beginn eines wunderbaren Festes. »Herzlich willkommen in Narau!« Immer noch strahlte sie Nic, Oliver und Alexander an. »Ich bin sicher, ihr werdet euch hier wohlfühlen!«

Unsicher erwiderte Alexander ihren Blick.

»Was ist mit dem Jungen geschehen?«, fragte die Frau einen Moment später und runzelte die Stirn, als ihr Blick auf Oliver fiel, der sich nicht allein auf den Beinen halten konnte.

»Eine Schusswunde«, beantwortete Nic mit rauer Stimme die Frage. »Er braucht unbedingt Hilfe.«

»Ah, eine Schusswunde, sehr gut, damit kennen wir uns hier aus. Der Kleine wird in Nullkommanichts wieder auf den Beinen sein, keine Sorge.« Verschwörerisch blinzelte sie Nic zu.

»Ihr werdet mit zu mir kommen, dort könnt ihr euch erst einmal waschen und ausruhen.«

»Gibt es da auch etwas zu trinken?«, krächzte Nic und die Frau lachte. »Natürlich, so viel ihr wollt.«

»Hast du gehört?«, flüsterte Oliver Alexander zu. »Etwas zu trinken.« Seine Augen schlossen sich und sein Kopf sackte zur Seite.

Alexander kniete sich neben ihn und fühlte seine Stirn. Sie war so heiß, viel zu heiß. Sie konnten nur hoffen, dass sich diese Frau an ihr Angebot hielt und die Wunde versorgen ließ. Er konnte es noch nicht wirklich glauben. Wieso war sie so nett zu ihnen? Gerade noch hatten sie verkauft werden sollen und nun

»Ich bin übrigens Apolonaria Garrett, aber nennt mich doch bitte einfach Apolonaria.« Wohlwollend blickte er von einem zum anderen.

»Danke Apolonaria«, presste Alexander schließlich hervor und die Frau schenkte ihm ihr allgegenwärtiges zufriedenes Lächeln. Es wirkte fröhlich, doch Alexander glaubte, dahinter noch etwas anderes zu erkennen. Ein Ausdruck, der sich auch durch das strahlendste Lächeln nicht aus ihren Augen vertreiben ließ. Dynamisch sprang Apolonaria vom Podest herunter und half zunächst Nic, dann Alexander, der Oliver auf den Arm genommen hatte, um ihn zu tragen, beim Herabsteigen. Die Menschenmenge scharte sich bereits wieder um das Podest, während Jim den einen der anderen gefangenen Männer zum Rand schob und den Zustand seiner Zähne anpries.

Apolonaria führte sie den Häuserring entlang bis zum Eingang in den innersten Kreis, und Jims Rufe und die der Menge verstummten allmählich. »Das hier ist das Zentrum der Stadt: Mavoria. Hier wohnen die sieben Caeles. Wir leiten die Stadt.« Stolz deutete sie auf den schwarzen Steinbogen, der den Übergang in das innere Viertel markierte. In den Fels waren Buchstaben eingeritzt und Alexander trat ein wenig näher, um sie entziffern zu können. »Paid with blood.« Bezahlt mit Blut? Verwundert las Alexander die Inschrift noch einmal, doch er wurde nicht schlau daraus.

Apolonaria führte sie hinein in das Viertel und deutete auf eines der Häuser. Alle waren gleich groß und aus dem gleichen Material gebaut, sie unterschieden sich lediglich durch die eingravierten Symbole auf der Hauswand. Apolonarias Haus zierte das Symbol eines Schwerts, gleich oberhalb der Haustür. Kurz blieb Alexander stehen und betrachtete die Arbeit. Das Schwert war offenbar mit Silber ausgegossen worden, denn das bloße Abbild des Schwertes funkelte täuschend echt. Noch während er es betrachtete, veränderte sich das Schwert. Es drehte sich klickend zur Seite und klappte nach vorn, als wollte es jeden aufspießen, der es wagte, das Haus zu betreten. Apolonaria bemerkte seinen Blick. »Ja, das ist was, nicht? Mein Mann hat es anfertigen lassen.« Sie schob die Tür auf und betrat das Haus. Nic folgte ihr und als Letzter übertrat

Alexander die Schwelle mit Oliver auf dem Arm.

Als Alexander im dämmrigen Flur stand, wusste er nicht so recht, wie er sich verhalten sollte. Warum hatte diese Frau sie freigekauft? Warum hatte sie nicht einfach zugelassen, dass sie versteigert wurden? Zögernd sah er sich in dem großen Haus um. Die inneren Wände waren mit einer Art schwarzem Glas überzogen, das im Licht der Leuchtrohre schimmerte, die an der Decke entlangliefen. Der Flur war bis auf dunkle Löcher an den Wänden leer, doch bevor Alexander diese näher betrachten konnte, führte Apolonaria sie weiter in das Wohnzimmer, wo sie ihnen einen Platz auf dem Sofa anbot, das sich über die gesamte rechte Seite des Raumes erstreckte. Seufzend ließen sie sich auf dem steinernen Möbelstück nieder, das mit dicken Fellen gepolstert war.

»Einen Moment bitte.« Apolonaria verschwand im Zimmer jenseits des Flurs und kam kurze Zeit später mit einem Krug voller Wasser und drei Bechern zurück. »Hier, bitte.« Vorsichtig setzte sie das Tablett auf einem Tisch aus Kupfer ab, dessen fein geschwungene Beine reich mit Ornamenten verziert und auf Hochglanz poliert waren. Versonnen blieb Alexanders Blick daran hängen. Dieses Möbelstück erinnerte ihn an Biota, alles andere in dieser Stadt war fremd, aber ein solches Möbelstück

Er zuckte zusammen, als Apolonaria sich respektvoll räusperte, und sah, dass ihre Gastgeberin ihn interessiert betrachtete. »Nun, ihr fragt euch sicherlich, warum ihr jetzt hier seid, nicht wahr?« Auf einmal überzogen Sorgenfalten die gebräunte Stirn der Frau. Er wollte nicht gierig wirken, doch Alexander war so durstig, dass er sich nicht für die Gründe ihrer Rettung interessierte, sondern hastig nach dem Wasserkrug griff. Mit zitternden Händen goss er etwas von dem Wasser in eines der Gläser.

»Gib mir das.« Nic griff ebenfalls nach dem Krug und füllte sich mit zitternder Hand ein Glas. Alexander trank so schnell, dass einige Tropfen über sein Kinn flossen und auf seine Jacke tropften. Peinlich berührt wischte er sie fort. »Entschuldigen Sie bitte …«, murmelte er leise.

»Entschuldige bitte, wenn überhaupt«, verbesserte Apolonaria ihn schmunzelnd. »Es ist nicht nötig, mich oder einen der anderen zu siezen. Wie gesagt, ich bin Apolonaria.« Sie bedachte Alexander noch einmal mit einem breiten Lächeln und strahlte dann auch Nic an, die die Stirn runzelte. Erneut griff Alexander nach dem Krug und füllte nun, langsamer diesmal, alle drei Gläser. Nic griff erneut nach ihrem Glas, Oliver war inzwischen zwar wach, aber zu schwach, um das Glas zu halten, und so half Alexander ihm beim Trinken.

»Wir brauchen Hilfe für ihn. Für Oliver.« Nic setzte ihr Glas wieder ab und schob ihre gefalteten Hände zwischen die Knie.

»Sehen Sie …«

»Ich bin Apolonaria, das habe ich doch schon gesagt.« Apolonaria strahlte weiterhin so begeistert, als hätte sie mit ihnen als Gäste das große Los gezogen.

»Sehen Sie«, fuhr Nic unbeeindruckt fort. »Wir brauchen unbedingt Hilfe für Oliver, Sie haben gesagt, Sie können das arrangieren. Bevor wir irgendetwas besprechen, muss ich wissen, dass er behandelt wird.« Sie beugte sich vor. »Ich mache mir Sorgen, die Wunde heilt einfach nicht.«

Apolonaria nickte und ihr Lächeln verlor kurz an Strahlkraft.

»Ah ja. Ich sehe schon.« Wieder nickte sie. »Aber so einfach wird das leider nicht. Ich habe euch schließlich nicht freigekauft, damit ihr hier Urlaub macht. Ich brauche eure Hilfe und ich brauche sie jetzt.« Von einem Moment auf den anderen war das Lächeln erloschen, keine Spur mehr von der so fröhlichen Frau. Nic wurde blass und auch Alexander spürte Panik in sich aufsteigen. Es gab also doch einen Haken, einen