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Michael Brückner

Die Gerechtigkeits-Lüge

Die Ausbeutung des Mittelstandes im Namen der sozialen Gerechtigkeit

INHALT

Vorwort

Soziale Gerechtigkeit ein politischer Evergreen

Der Neid als „Brandbeschleuniger“

Der starke Staat – ein „Nanny-Staat“?

Soziale Gerechtigkeit – ein politisches Narkotikum

Endnoten

Autor

Impressum

VORWORT

Auch wenn sich die Welt derzeit „in einer erheblichen Unordnung“ präsentiere, so sei es ihr insgesamt noch nie besser gegangen als heute, sagt der britisch-US-amerikanische Ökonom und Nobelpreisträger Angus Deaton. In der Tat: Die Zahl der Menschen, die in bitterster Armut leben, ist in knapp 30 Jahren signifikant zurückgegangen, obwohl die Weltbevölkerung deutlich wuchs. Staaten wie Deutschland und Österreich geben einen Großteil ihrer Wirtschaftsleistung für soziale Zwecke aus. Und trotzdem plädieren die Politiker in ihren Parteiprogrammen so vehement für mehr soziale Gerechtigkeit, als fegte der eiskalte Wind eines rücksichtslosen Kapitalismus durchs Land. Und der Ruf nach mehr sozialer Gerechtigkeit ertönt ausgerechnet in jenen Staaten am lautesten, in denen die Sozialbudgets am üppigsten sind.

Niemand wird bestreiten, dass auch in diesen Ländern in Teilbereichen soziale Probleme bestehen oder künftig entstehen könnten. Doch der Ruf nach mehr sozialer Gerechtigkeit wirft zumindest zwei Fragen auf. Erstens: Wenn tatsächlich noch soziale Defizite bestehen, weshalb haben dann die größtenteils in Regierungsverantwortung stehenden Politiker nicht längst gehandelt? In Deutschland zum Beispiel sind – abgesehen von der noch jungen AfD – alle im Bundestag vertretenen Parteien entweder auf Bundes- oder Landesebene in Regierungen vertreten. Sie haben also, wie es so schön heißt, Gestaltungsmöglichkeiten. Sollte es einen Mangel an sozialer Gerechtigkeit geben, so drängt sich die Frage auf, ob diese Parteien und die handelnden Personen in den vergangenen Jahren sozial ungerecht regiert oder schlicht geschlafen haben. Und zweitens: Was erwarten die Politiker, wenn sie nach mehr sozialer Gerechtigkeit rufen? Noch üppigere Sozialetats, noch mehr Umverteilung, noch mehr Geld für ihre Wählerklientel?

Genau das ist der entscheidende Punkt. Die Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit legitimiert scheinbar, dass der Staat den hart arbeitenden Bürgern immer dreister in die Tasche langt. Dass Steuererleichterungen insbesondere für den Mittelstand zwar regelmäßig als wünschenswert bezeichnet, dann aber in ebensolcher Regelmäßigkeit auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden (Standardargument: „Es gibt derzeit keinen Raum für Steuererleichterungen.“). Und dass die Sozialmilliarden den entsprechenden Milieus zugutekommen, womit sich die Parteifunktionäre ihre Wiederwahl sichern. Der Ökonom und Jurist Friedrich August von Hayek, zusammen mit seinem schwedischen Kollegen Gunnar Myrdal im Jahr 1974 mit dem Nobelpreis geadelt, brachte es schon vor Jahrzehnten auf den Punkt: Wo immer Staatseingriffe im Namen der sozialen Gerechtigkeit gefordert würden, gehe es in Wirklichkeit darum, Privilegien bestimmter Personen oder Gruppen zu schützen und aufrechtzuerhalten. Doch damit nicht genug. Eine milliardenschwere Sozialindustrie sichert sich Geld und Einfluss, indem sie larmoyant angebliche Defizite in der sozialen Gerechtigkeit anprangert.

Schluss damit. Lassen wir uns von dem narkotisierenden Begriff der sozialen Gerechtigkeit nicht länger hinters Licht führen. Gehen wir den Funktionären in Politik und Sozialindustrie nicht länger auf den Leim, denen es vor allem darum geht, uns die Früchte unserer harten Arbeit aus der Tasche zu ziehen. Bleiben wir gerecht und handeln wir sozial. Doch wehren wir uns mit dem Stimmzettel sowie mit laut und deutlich vorgebrachten Meinungsäußerungen gegen immer mehr Umverteilung, die Leistung dreist bestraft. Denn Leistung zu bestrafen ist weder gerecht noch sozial.

Michael Brückner, März 2019

1. SOZIALE GERECHTIGKEIT – EIN POLITISCHER EVERGREEN

Zwischen 1840 und 1843 verfasste der italienische Theologe und Jesuit Luigi Taparelli d’Azeglio sein Werk „Versuch eines auf Erfahrung begründeten Naturrechts“. Vielleicht wäre dieses Werk längst schon in Vergessenheit geraten, fände sich darin nicht ein Begriff, der nicht nur Jahrhunderte überdauerte, sondern heute aktueller denn je zu sein scheint. Der Italiener verwendete erstmals den Begriff soziale Gerechtigkeit. Man darf den Theologen somit wohl als den Erfinder eines politischen Evergreens bezeichnen. Sehr schnell machte dieser Begriff in der katholischen Kirche Karriere: Im Jahr 1931 fand er nach der Veröffentlichung in der Enzyklika Quadragesimo anno von Papst Pius XI. Eingang in die Lehrmeinung des Papstes.

Zu den führenden Apologeten des ethischen Gebots der Gerechtigkeit gehörte später der US-amerikanische Philosoph John Rawls (1921-2002), der sich dieses Themas in seinem Hauptwerk „A Theorie of Justice“ annahm. Aus seiner Sicht galt es erstens, Grundsätze der sozialen Gerechtigkeit zu finden, welche die Zuweisung von Rechten und Pflichten in den grundlegenden Institutionen ermöglichen. Und zweitens sollten sie die richtige Verteilung der Früchte und Lasten der gesellschaftlichen Zusammenarbeit festlegen.

Heute stellen wir fest: Kaum ein anderer Begriff kommt in den Parteiprogrammen – von links bis rechts – so inflationär vor wie soziale Gerechtigkeit, wobei es an dieser Stelle schon anzumerken gilt, dass die Quantität keine Aussage über die Qualität einer Sache zulässt. Mit anderen Worten: Die Tatsache, dass kein Parteiprogramm, keine Parteitagsrede und kaum eine politische Talkshow ohne flammendes Plädoyer für soziale Gerechtigkeit auskommt, lässt keine Rückschlüsse zu, ob es solcher immer wiederkehrenden Plädoyers überhaupt bedarf; sprich: ob es in Staaten wie Deutschland und Österreich tatsächlich sozial ungerecht zugeht, oder ob dies den Menschen nur oktroyiert werden soll. Dass auch der deutsche Bundestagswahlkampf 2017 ganz im Zeichen der sozialen Gerechtigkeit stand, ist vorrangig den Kommunikationsregeln des politischen Marketings geschuldet. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel, sicher kein „neoliberales“ Zentralorgan, stellte vor den Bundestagswahlen 2017 goldrichtig fest, die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit sei „ein Wahlversprechen, das zwar gut klingt, aber möglichst unkonkret ist“.1 Auf Nachfrage präsentierten die Parteien dann ein wahres Sammelsurium von Forderungen, die bei ihrer jeweiligen Klientel gut ankommen – oder von denen die Parteifunktionäre glauben, dass sie gut ankommen könnten. Die SPD plädierte für kostenlose Kindertagesstätten und Unis, die Linke für den „Abbau von Zukunftsängsten“, die Grünen wollten Armut und Ausgrenzung überwinden (was immer man darunter verstehen mag), und die AfD plädierte für Steuersenkungen. Heißt soviel wie: Freibier für alle. Das ist in der Tat das Faszinierende an dem Begriff soziale Gerechtigkeit – jeder kann den damit verknüpften Forderungen freudig zustimmen; als Partei macht man insofern nichts verkehrt, wenn man sich zur sozialen Gerechtigkeit bekennt. In den USA würde man einen solchen Begriff vermutlich als „Motherhood and Apple Pie“ bezeichnen, also als Mutterschaft und Apfelkuchen – kein Mensch kann etwas dagegen haben.

Hinzu kommt, dass Wissenschaft, Gesellschaft, Kirche und Staat den Begriff soziale Gerechtigkeit unterschiedlich interpretieren. „Untersuchungen zeigen, dass zunehmend viele Menschen nicht wissen, was sie unter sozialer Gerechtigkeit verstehen, und immer häufiger zeigt sich, dass die inhaltliche Bedeutungszuschreibung bei Befragungen weiter auseinanderdriftet“, schreibt die Wissenschaftlerin Pia Jaeger.2

Gleichzeitig eignet sich der Begriff soziale Gerechtigkeit auch vortrefflich, um dem politischen Gegner eins auszuwischen. Ein Beispiel: Ende August 2018 berichtete die Wiener Tageszeitung Der Standard, rund 55 Prozent der Österreicher glaubten nicht, dass die ÖVP/FPÖ-Koalition für soziale Gerechtigkeit sorge.3 Es wäre interessant zu wissen, wie die Frage an die Bürger formuliert war. Die Frage: „Finden Sie, dass die Regierung für die soziale Gerechtigkeit in unserem Land genug tut?“, wird wohl in den meisten Ländern negativ beantwortet werden. Da könnten die Bundeskanzler und Minister wie weiland der Kaiser während des „Immerwährenden Reichstags zu Regensburg“ (1663-1806) ihren Bürgern Goldmünzen aus dem Fenster des Regierungssitzes zuwerfen – am Ende würden sich viele Bürger beschweren, die „Großen mit den langen Armen“ hätten Vorteile gehabt und mehr Goldmünzen bekommen als die anderen Bürger. Das sei sozial höchst ungerecht.

Obwohl der Begriff soziale Gerechtigkeit also auf seltsame Weise inhaltsleer ist, genießt er bei den meisten Menschen einen hohen Stellenwert (und zwar merkwürdigerweise ausgerechnet in den Staaten mit den höchsten Sozialbudgets, doch davon gleich mehr). Schon vor einigen Jahren förderte eine Umfrage Bemerkenswertes zutage. Demnach wünschen sich rund 74 Prozent der Bevölkerung soziale Gerechtigkeit. Soweit, so gut. Doch jetzt kommt das wirklich Erschreckende: Nur 49 Prozent wünschen sich Freiheit.4 Anscheinend ist eine imaginäre soziale Gerechtigkeit für viele Menschen wichtiger als die Freiheit. Kaum zu glauben.

Soziale Gerechtigkeit in den Medien

Am 8. Mai 2018 ließ der deutsche TV-Moderator Frank Plasberg seine Gäste über das Thema soziale Gerechtigkeit diskutieren. Da saßen die Richtigen zusammen: Plasberg, der laut Medienberichten pro Sendung ein Honorar in stattlicher fünfstelliger Höhe absahnt, ein millionenschwerer Immobilienunternehmer, ein Schlossbesitzer von der FDP, die Gemahlin des ebenfalls nicht schlecht verdienenden Wirtschaftschefs der FAZ, ein deutscher Hochschullehrer (gleichfalls alles