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Über dieses Buch:

Sie wünscht sich Poesie – und reicht stattdessen 150 Gramm Gehacktes über den Tresen: Die Burgi hat’s weiß Gott nicht leicht! Täglich schuftet sie in der Schweinsteiger’schen Familienmetzgerei im bayrischen Untermarktlbrunn, während ihr Traum von einem Restaurant in Paris und der großen Liebe in weite Ferne rückt! Obendrein zofft sie sich immerzu mit ihrem Vater, dem alten Hallodri. Als dieser leichtsinnig einen kleinen Unfall mit katastrophalen Folgen verursacht, muss Burgi tricksen, was das Zeug hält, um die Metzgerei zu retten. Und wie soll in dem ganzen Chaos, bitte schön, noch Zeit für ein bisschen Romantik bleiben? Das stellt Burgi tatsächlich vor ganz eigene Herausforderungen …

»Unbedingt lesenswert!« Münchner Merkur

Über die Autorin:

Franziska Weidinger, Jahrgang 1968, hat Rechtswissenschaften und Sprachen studiert und einige Zeit in Italien gelebt. Während ihres Studiums arbeitete sie als Kioskverkäuferin auf der Zugspitze und hat jahrelang die Werdenfelser Hornschlittenfahrer vor ihrem waghalsigen Rennen mit Schnaps und aufmunternden Worten versorgt.

Von Franziska Weidinger erscheint bei dotbooks ebenfalls

Auch Hühner träumen von der Liebe

Die Website der Autorin: www.fiona-blum.de

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eBook-Neuausgabe März 2019

Copyright © der Originalausgabe 2013 Knaur Taschenbuch. Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur NAchf. GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Bildmotiven von shutterstock/Irin-K, demarcomedia, RB-Photo und Stock Vector One

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mm)

ISBN 978-3-96148-392-1

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Franziska Weidinger

Keine Sau hat mich lieb

Roman

dotbooks.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Burgis Glossar

Kurzes bayerisches Wörterbuch

Rezepte

Böfflammott

Dampfnudlgulasch

Bsoffne Jungfern

Quellennachweis

Danksagung

Lesetipps

Kapitel 1

Männer sind wie Leberkäs. Ich kenn mich da aus. Vielleicht nicht, was alle Männer anbelangt, das wäre doch etwas zu viel verlangt, aber mit der bayerischen Spezies Mann bin ich bestens vertraut: Denn ich, Burgi Schweinsteiger aus Untermarktlbrunn, besitze eine Metzgerei, und wenn es um den bayerischen Mann geht, kann man nirgends besser Feldforschung betreiben als dort. Eine Alternative wäre höchstens noch die Dorfwirtschaft, aber da trüben oft äußere Einflüsse in Form größerer Mengen Alkohol den Blick, und man kommt zu keinem zuverlässigen Ergebnis. Bei uns in Bayern nennt man das »sich jemanden schön saufen«, und es führt in der Regel zu ernüchternden Erlebnissen am nächsten Morgen. Darum verlasse ich mich lieber auf meine Metzgereierfahrungen. Die sind ehrlich, gradheraus und ungeschönt. Doch leider ist das Resultat meistens recht deprimierend.

Und damit kommen wir zum Leberkäs. Diese urbayerische »Wurscht« ist ja nicht das, was sie vorgibt zu sein – womit wir bei der ersten Parallele zu vielen Männern wären. Der Leberkäs besteht nämlich weder aus Leber noch aus Käse. Aber trotzdem ist er eine sehr schmackhafte, im Rahmen seiner Möglichkeiten grundehrliche Wurscht. Man weiß, was man an so einer Scheibe Leberkäs hat, und der Fettgehalt ist sowieso sensationell. Da braucht’s nicht mehr viel, um auf seine Tagesration zu kommen. Ich hab mir übrigens sagen lassen, dass es in der Mensa diverser bayerischer Universitäten noch eine ganz ausgefuchste Art der Zubereitung gibt, die »Studentenschnitzel« genannt wird und bei der der Leberkäs paniert und in der Fritteuse gebacken wird. Ich weiß nicht, welche Auswirkungen ein solches Fünftausend-Kalorien-Gericht auf die Gehirne der Studierenden hat, aber aus kulinarischer sowie männervergleichender Sicht ist das natürlich der Gipfel: eine Wurscht, die Leberkäse heißt, obwohl sie weder aus Leber noch aus Käse besteht, und dann auch noch vorgibt, ein Schnitzel zu sein! Das sucht sogar in der Männerwelt seinesgleichen.

Obwohl, da fällt mir der Hurla Dodi ein, der vor ein paar Jahren probiert hat, den Untermarktlbrunner Fußballverein »im großen Stil« zu sponsern. Er hatte die Trikots und die Banden unseres Sportplatzes mit dem Logo seiner Firma bedrucken lassen, Hurlacher FinanzImmoWelt, und ist mit seinem Porsche Carrera jeden Vormittag ein paarmal über den Dorfplatz gebraust. Auf einmal wollte er nur noch Champagner trinken, und weil unser Dorfwirt, der Biermeier Joschi, so was Fremdländisches nicht auf seiner Karte stehen hatte, ist der Dodi eines Tages selber mit einer ganzen Wagenladung voll angekommen und hat sie beim Joschi in den Keller gestellt. Er hat also beim Dorfwirt seinen eigenen Champagner gesoffen. Aber er war ja sowieso der Einzige, alle anderen sind beim Bier geblieben. Seine Frau Ivana, die er sich aus Russland hat kommen lassen, hat im Haus von Dodis Großeltern, direkt neben der Polizeiwache, ein Studio für Permanent-Make-up und Botoxbehandlungen eröffnet. Dort ist aber vom Dorf niemand hingegangen. Alle hatten Angst, dass die Ivana ihnen Hurlacher FinanzImmoWelt auf die glatt gespritzte Stirn tätowiert. Nach einem guten Jahr war’s vorbei. Aus der Oligarchentraum vom Hurla Dodi, trotz russischer Ehefrau. Die FinanzImmoWelt war pleite, die geprellten Anleger haben den Dodi verklagt, und er hat für zwei Jahre nach Stadlheim einrücken müssen. Dodis restliche Champagnerkisten hat der Joschi dann fürs jährliche Feuerwehrfest gespendet, und die Feuerwehrler haben ihn in die Weißbierbowle geschüttet. Wär ja sonst bloß schlecht geworden, das Zeug. Als der Hurla Dodi wieder rausgekommen ist, war die Ivana längst über alle Berge und der Botoxladen geschlossen. Er hat dann einen Lottoladen eröffnet, womit er sich in gewisser Weise sogar treu geblieben ist: Er verkauft den Leuten immer noch den Traum vom großen Geld. Allerdings fährt er jetzt nicht mehr mit dem Porsche über den Dorfplatz, sondern mit dem Radl. Ist eh viel gesünder, für die Umwelt und so … Ja, der Hurla Dodi, der ist so ein Leberkäs im Schnitzelmantel. Eindeutig!

Aber zurück zu den normalen Exemplaren von Leberkäs und Mannsbildern. Die Parallelen sind ja schon recht deutlich geworden, oder? Dann können wir weiter ins Detail gehen.

So eine Scheibe Leberkäs ist schon was Gutes: gschmackig, nahrhaft, macht Lust auf eine Halbe Bier in der Sonne. Aber, sind wir doch mal ehrlich, möchte man immer Leberkäs essen? Ist das nicht ein wenig fad? Ein wenig fantasielos (wenn man mal die studentische Schnitzelvariante außer Acht lässt)?

Der durchschnittliche bayerische Mann sieht das nicht so. Er kann jeden Tag eine stattliche Anzahl Leberkässemmeln verdrücken, und es wird ihm nicht zu viel.

Nie.

Ich finde, das sagt sehr viel über die Seelenbeschaffenheit des bayerischen Mannes aus. Über seine Fantasie zum Beispiel. Über sein Verhältnis von Genuss und Sättigungswert. Und damit wären wir schon beim Punkt: Können Sie sich diese Einstellung im übertragenen Sinn vorstellen?

Was das für seine Lust am Außergewöhnlichen bedeutet?

Für die Lust auf Abenteuer?

Für den Sex?

Ich denke, man kann verstehen, warum ich dem leberkäseessenden Mann grundsätzlich etwas skeptisch gegenüberstehe. Ich sitze ja direkt an der Quelle, und aus dieser Perspektive ist es schon deprimierend, wie viele Leberkässemmeln ich Tag für Tag verkaufe. Das Traurigste daran ist, dass so viele durchaus ansehnliche Mannsbilder unter meinen Leberkässemmelkunden sind: knackige Filetstücke in Blaumännern, sehnige Spareribs unter Arbeitsoveralls, saftige Hinterschinken in engen Jeans … und nichts als Leberkäs. Jeden Tag. Schon traurig.

Und dann gibt es noch die ganz Schlimmen, die Verblendeten, die hoffnungslosen Fälle: Das sind die Liebhaber von Pizzaleberkäse! Ich meine, was soll das sein? Ein Leberkäs, der nach Pizza schmeckt? Ich stelle ihn her, ja, zähneknirschend; ich rühre Oregano und Tomatengewürz ins Brät, weil mein Leberkäs selbst als Pizzaleberkäse immer noch der beste im Umkreis von fünfzig Kilometern ist und ich es mir außerdem nicht leisten kann, dass noch einer von meinen Kunden seine Brotzeit im Supermarkt holt. Aus meinen geballten Metzgereierfahrungen heraus habe ich aber eine eiserne Regel abgeleitet: Niemals einen Mann, der Pizzaleberkäse isst! Männer, die sich eine solche Geschmacksverirrung kaufen, würdige ich keines Blickes, selbst wenn ihr Hinterschinken noch so saftig ist.

Es gibt noch eine andere, meine zweite Regel in puncto Männer, die nichts mit Fleisch und Wurst zu tun hat, aber darauf komme ich später zu sprechen, denn sie hat mehr mit intellektuellen Genüssen zu tun. Und das ist ja sowieso ein schwieriges Thema bei Männern. Kennen Sie zum Beispiel diesen saublöden Männerstammtischwitz, den mir meine Nachbarin Hedi Zankl erzählt hat: Warum kann eine Frau nicht schön und klug gleichzeitig sein? Weil sie dann ein Mann wäre.

Haha.

Meine Nachbarin weiß eine ganze Menge dummer Männersprüche, ich glaube, sie sammelt sie. Aber sie kennt auch eine Menge saftiger Witze über Männer, die sie ihnen bei passender Gelegenheit um die Ohren haut. Hedi hat ein scharfes Mundwerk und lässt sich von niemandem etwas gefallen, schon gar nicht von einem einfältigen Mannsbild. Manchmal, wenn ich so richtig schlecht drauf bin und den Glauben an die Menschheit verloren habe, gehe ich hinüber, um mich von ihr trösten zu lassen. So schlimm kann die Welt gar nicht sein, dass Hedi es nicht schafft, einen wieder aufzubauen.

Aber zurück zu den schönen und klugen Frauen. Mal ehrlich: Warum sind so viele schöne Frauen mit hässlichen Männern zusammen? Doch nicht, weil sie keine Augen im Kopf haben. Nein. Sie haben einfach zu viel Grips, um sich mit einem saftigen, aber hirnlosen Hinterschinken zufriedenzugeben. Und deshalb schließen sie die Augen und küssen stattdessen einen schmalbrüstigen, bebrillten Frosch mit Geheimratsecken, auch wenn er sich niemals in einen Prinzen verwandelt. Dafür kann man mit ihm wenigstens reden. Was wirklich nicht zu verachten ist. Wenn man mal einen Abend nahe des Stammtisches des Burschenvereins zugebracht und deren »Unterhaltung« belauscht hat, ist man geneigt, auf der Stelle alle schmalbrüstigen, bebrillten Frösche der Erde auf einmal zu küssen. Hauptsache, man kann mit ihm ein normales Wort wechseln!

Aber so weit bin ich noch nicht. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Auch bei Metzgerinnen. Und ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, die eierlegende Wollmilchsau unter den Männern zu finden: nicht den Leberkäs, sondern das Filetstück, den zarten Pfaffenschnitz, die perfekte Mischung zwischen Muskeln, Grips und Herz, mit Fantasie, Geschmack und Humor …

Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass ich seit geraumer Zeit Single bin?

Übrigens gibt es noch zwei besondere Spezies Männer, bei denen es sich von vorneherein erübrigt, Regeln aufzustellen, weil sie einen ausnahmslos zur Verzweiflung bringen: Brüder und Väter. In meinem Fall sind das mein Bruder, Luis Schweinsteiger junior, und mein Vater, Luis Schweinsteiger senior.

Letzterer sitzt mir gerade gegenüber am Küchentisch und tunkt eine altbackene Rohrnudel in seinen Kaffee. Seine ganze Haltung drückt trotzige Abwehr aus, und obwohl er schon vierundsechzig ist, schaut er gerade aus wie ein schmollendes Kleinkind.

»Gehst jetzt mit?«, frage ich.

»Naa.« Er beißt von seiner Rohrnudel ab und spült sie mit einem Schluck Kaffee hinunter.

»Du hast es versprochen.«

»An Pfeifendeckl hab i.«

»Doch. Die Furtnegger Liesi war immerhin mit uns verwandt.« Zwar nur weitläufig, über ziemlich viele Untermarktlbrunner Ecken, aber immerhin.

»Pfeifendeckl. I geh auf keine Beerdigung ned. Und erst recht ned zu der von der oiden Gurgl.«

Er hat schon irgendwie recht, mit der Furtenegger Liesi war zu Lebzeiten tatsächlich nicht gut Kirschen essen, sie war sehr direkt, und wenn ihr etwas nicht gepasst hat, ist man ihr besser nicht in die Quere gekommen. Aber das spielt doch jetzt keine Rolle mehr. Sie ist tot, und sie war mit uns verwandt. Außerdem hat sie uns zu Kirchweih immer frische Krapfen vorbeigebracht. All die Jahre, auch noch, als sie schon nicht mehr gut zu Fuß war. Da kann man doch wenigstens auf die Beerdigung gehen. Aber ich habe keine Lust, mit meinem Vater zu streiten. Es bringt ja sowieso nichts.

»Wie du meinst.« Ich stehe auf und lege den forstgrünen Anzug, den ich für ihn aus der Reinigung geholt habe, über die Stuhllehne. »Ich geh jetzt jedenfalls. Wenn du dir’s noch anders überlegst, da ist dein Anzug.«

»Ich überleg’s mir ned anders, Kreizkruzifix. Ich geh auf keine Beerdigung und in keine Kirch ned. Ich bin Atheist.«

Er trinkt seinen Kaffee aus.

Atheist! Ich mustere meinen Vater resigniert. Die dunklen Bartstoppeln an seinen unrasierten Wangen schimmern bläulich, sein noch immer tiefschwarzes, dichtes Haar ist ungekämmt und steht in allen Himmelsrichtungen ab. Er ist gerade erst aufgestanden. War wohl wieder ein lustiger Abend.

Mein Vater, der »Steiger Lois«, ist so etwas wie eine Legende in unserem Dorf. In jungen Jahren war er ein Hallodri, der seinesgleichen suchte, ein Raufbold und Weiberheld, der begnadet Diadonische spielen konnte. Viel hat sich nicht geändert in den Jahren, nur dass mein Vater altersbedingt das Raufen eingestellt hat und an die Stelle der Frauen immer mehr das Bier getreten ist, vor allem seit dem Tod meiner Mutter. Wunderbar Akkordeon spielen kann er noch immer, sogar wenn er betrunken ist. Und ich mag es sehr, wenn er spielt. Ich glaube, das sind die einzigen Momente, in denen ich wirklich gern mit meinem Vater zusammen bin.

Jetzt allerdings könnte ich schreien.

Mein Vater hat sich in seinem Leben immer die Sachen und Situationen ausgesucht, die ihm größtmögliche Schwierigkeiten eingebracht haben: Er war eine Zeitlang Kommunist, hat die Grünen gewählt, als die hier bei uns noch unter Terrorismusverdacht standen, und dies lautstark jedem Stammtischbruder unter die Nase gerieben. Er hat so lange politische Spottlieder in den Wirtshäusern gesungen, bis die Polizei kam, hat seinen Freunden die Frauen ausgespannt, sich in jede Rauferei eingemischt, das Geld versoffen und meiner Mutter tausend Mal das Herz gebrochen. Eine altbekannte Wut steigt in mir auf.

»Von wegen Atheist! Dass ich nicht lach!«

Ich verschränke meine Arme vor der Brust und ignoriere das warnende Gefühl in meiner Magengegend: Nicht weiterreden!

Die Kirchturmuhr schlägt drei viertel neun. Ich muss mich beeilen, sonst komme ich zu spät. Doch ich kann nicht. Ich kann meinen Mund nie halten. Auch nicht, wenn es klüger wäre. Vor allem dann nicht.

»Du hast doch bloß ein schlechtes Gewissen«, sage ich deshalb. »Darum gehst in keine Kirch mehr und auf keine Beerdigung.«

»A schlechtes Gewissen?« Endlich dreht mein Vater sich zu mir um und sieht mich an. Seine blauen Augen sind blutunterlaufen. Es war eindeutig lustig gestern. »Weswegen sollt ich denn ein schlechtes Gewissen haben?«

Das warnende Gefühl in meinem Magen wird stärker. Und es ist nicht mehr nur mein Gefühl, ich kann die Warnung auch in den Augen meines Vaters sehen: Sei still, Burgi!, sagen sie. Halt dein vorlautes Mundwerk!

Ich wende mich schnell ab.

»Ich muss jetzt gehen. Pfiadi.«

Er gibt keine Antwort, und während ich die Treppe hinunterlaufe, versuche ich, die Erinnerung an den Ausdruck in seinen Augen wegzuschieben. Seine Sache, wenn er sich etwas vorlügt. Ich habe genug eigene Probleme, da kann ich mich nicht auch noch um die seinen kümmern.

Kapitel 2

»Grüß dich, Burgi.« Gerade als ich, noch immer wütend, die Haustür aufreiße und gleichzeitig versuche, in den Ärmel meiner schwarzen Jacke zu schlüpfen, kommt Ferdi die Straße herauf und bleibt bei mir stehen. Ferdinand Schwinghammer, semmelblond und rotbackig und seit der fünften Klasse in mich verliebt. Allerdings genauso lange unerwidert.

»Grüß dich«, antworte ich knapp. Ich habe keine Lust, mich mit Ferdi zu unterhalten. Das Gespräch mit meinem Vater liegt mir wie ein Stein im Magen.

Wieder Kirchengeläut. Diesmal klingt es drängender. Ich knöpfe meine Jacke zu und haste los, doch Ferdi lässt sich nicht abschütteln. Er läuft neben mir her.

»Ich wollt dich was fragen …«

Ich seufze und gehe ein bisschen langsamer. Der Schwinghammer Ferdi hat noch nie nachgegeben.

»Dann frag halt!«

»Wegen dem Poetry Slam …«

»Ja?« Ich bleibe stehen. Der Poetry Slam war eine Idee von mir und meiner Freundin Anni. Wir hatten gehofft, damit ein bisschen frischen Wind in den Veranstaltungskalender unseres Dorfes zu bringen, der sonst nur aus Vereinsversammlungen, Stammtischen und dem jährlichen Sommerfest der Feuerwehr besteht. Die Resonanz war bisher allerdings mäßig. Oder, um genauer zu sein, sie war gleich null. Wenn man mal von den blöden Sprüchen der Leberkäsfraktion in meinem Laden absieht: »Slam? Meinst du vielleicht Schlammcatchen oder was?« »Gibt’s da a paar fesche Hasen mit nasse T-Shirts zum Anschaun?« So was in der Art eben. Dabei hatten wir uns große Mühe gegeben, alle Bevölkerungsschichten von Untermarktlbrunn anzusprechen. Wir haben ein tolles Plakat entworfen (Anni ist recht geschickt am Computer), mit cooler Graffitischrift und trotzdem ein bisschen bayerisch angehaucht, und extra noch »bayerischer« Poetry Slam eingefügt, damit niemand verschreckt wird und meint, er müsste in Englisch oder gar Hochdeutsch dichten. Aber niemand hat sich bisher bereit erklärt aufzutreten. Keine Sau. Wir haben sogar Plakate im Gymnasium in Marktlkirchen aufgehängt. Man möchte meinen, Schüler wären ein bisschen aufgeschlossener, oder? Keine Chance. Und jetzt, wo wir schon überlegt hatten, das Ganze abzublasen, kommt plötzlich der Ferdi daher.

»Kann man sich noch anmelden?«, fragt er und wird ein bisschen rot dabei.

»Du willst da mitmachen?« Ich kann es nicht glauben.

»Warum nicht?« Er wirft mir einen beleidigten Blick zu. »Was dagegen?«

»Nein, freilich nicht.« Ich schüttle den Kopf, noch immer verblüfft. Der Schwinghammer Ferdi war immer der Schüchternste von allen. Als Kind hat er einmal in der Schule in die Hose gebieslt, weil er sich nicht hat fragen trauen, ob er aufs Klo gehen darf. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie er es jetzt schaffen will, auf einer Bühne zu stehen und Gedichte vorzutragen. Und das vor einem Publikum, das nasse Schlammcatcherinnen mit Riesentitten erwartet.

»Ich schreib nämlich Gedichte, weißt.« Seine Gesichtsfarbe erinnert mich an die Farbe von Parmaschinken, was nicht gut mit seinen semmelblonden Haaren harmoniert.

»Echt?« Das wird ja immer interessanter. Ferdi ein Poet?

»Ja. In der Schule hab ich damit angefangen. Mit dem Dichten, mein ich. Und da hab ich mir gedacht, ich könnt doch bei euch auch ein Gedicht vortragen. Man muss sich ja mal was trauen, so als Lyriker, oder?« Er schiebt sich unsicher eine blonde Strähne aus dem roten Gesicht.

»Schon.« Ich nicke, vollkommen baff. »Das ist … äh … der Wahnsinn.«

»Und? Hast jetzt noch einen Platz für mich frei?« Er schaut mich mit einer Mischung aus Angst und Eifer an. »Ich weiß, ich bin sauspät dran, aber vielleicht kannst mich irgendwo dazwischen reinschieben. Ich red auch nicht lang.« Er ist ganz außer Atem vor Verlegenheit, und ich bringe es nicht über mich, ihm zu gestehen, dass er bisher die einzige Anmeldung ist. Sein ganzer mühsam zusammengekratzter Mut, den man in seinem Fall schon fast als Tollkühnheit bezeichnen könnte, würde wie eine angestochene Schafsblase in sich zusammensacken, wenn er wüsste, dass er, so wie’s aussieht, mutterseelenallein auf der Bühne stehen wird. Doch besser einer als keiner, überlege ich weiter und klopfe ihm daher aufmunternd auf die Schulter.

»Ich werd schauen, was sich machen lässt.«

»Mei, super!« Ferdis rundes, rotes Gesicht strahlt wie eine frischpolierte Bierkugel. »Du bist echt a Schatz.«

Ich nicke gnädig. »Für dich doch immer, Ferdi.«

Er trollt sich in Richtung Rathaus, und ich schaue ihm mit gemischten Gefühlen nach. Nie hätte ich erwartet, dass ausgerechnet der Ferdi, der, wenn ich mich recht erinnere, in der Schule eine Lese- und Rechtschreibschwäche hatte, Gedichte schreibt. Er war kein Dummer, das nicht, nur eben so furchtbar schüchtern und znieflig mit seinen schmalen Schultern und den dünnen, blonden Haaren, die ihm jetzt auch schon langsam ausgehen. Außerdem arbeitet er im Abfallamt, da würde man doch im Leben keinen Poeten vermuten, oder? Aber vielleicht ist das bei ihm so ähnlich wie bei mir. Da würde auch keiner darauf kommen, dass ich auf Gedichte stehe. Und das ist noch untertrieben. Neben Wurst- und Fleischwaren gilt meine größte Liebe Wörtern. Ich schreibe zum Beispiel interessante Sätze und Wörter aus Zeitschriften oder Büchern ab und klebe sie daheim bei mir an die Wand neben dem Bett. Sie müssen nicht unbedingt schön sein oder etwas Gutes bedeuten, Hauptsache, sie sind etwas Besonderes.

Zum Beispiel: Kräuter schwingen in wisperndem Wasser und drehen zarte, silberne Wedel.

Oder auch dieser Satz: Rufe aus offenem Fenster erschrecken Abend in viereckigem Hof.

Die Sätze sind beide aus Ulysses von James Joyce. Schon mal gehört? Ein trauriger Ire war das. Hat aber recht viel Erfolg gehabt mit seinen Büchern. Trotzdem kann ich nicht behaupten, dass das jetzt meine Leib-und-Magen-Lektüre wäre. Ich mag Bücher mit Herz und Schmerz und Happy End, die an schönen, romantischen Orten spielen, in Paris zum Beispiel, meiner Traumstadt, oder am Meer. Von all dem gibt’s in diesem Buch, jedenfalls soweit ich das herausfinden konnte, kein bisschen. Auch nichts zu lachen. Und auch keine Gedichte.

Um ehrlich zu sein, ich weiß eigentlich überhaupt nicht, worum es darin geht. Ich wäre auch nie auf die Idee gekommen, mir das Buch zu kaufen. Es ist ganz zufällig zu mir gekommen. Eine Frau hat es bei mir im Laden vergessen. Sie hat zwei Kilo Rindfleisch aus Keule und Schulter gekauft und gemeint, sie wolle daraus ein bœuf en daube kochen. Allein das hat mich bereits ganz aufgeregt werden lassen, denn noch nie, ich schwöre, niemals wollte jemand in meinem Laden Rindfleisch für ein bœuf en daube. Ich bezweifle, dass es jemanden in Untermarktlbrunn gibt, der dieses Gericht überhaupt kennt. Ich kenne es ja auch nur, weil ich es in meiner Kochlehre gelernt habe. Neben einem zarten, saftigen Steak ist es meiner Meinung nach die beste Art, Rindfleisch zuzubereiten. Man schmort dabei das in Würfel geschnittene Rindfleisch mit Gemüse und Kräutern stundenlang in bestem französischem Rotwein. Da kann man jeden bayerischen Rinderbraten vergessen. Aber das nur am Rande.

Die Frau jedenfalls war eine Fremde, und ich habe sie danach nie wiedergesehen. Sie war zierlich, dunkelhaarig und rehäugig, so der Typ Audrey Hepburn, also das genaue Gegenteil von mir. Als sie gegangen war – sie war die letzte Kundin an dem Tag – , habe ich das Buch auf der Ablage der Vitrine liegen sehen. Für mich war sofort klar: Jemand, der so aussieht und noch dazu ein bœuf en daube zubereiten kann, muss einfach ein interessanter Mensch sein. Und daher muss auch interessant sein, was so jemand liest. Deshalb habe ich das Buch mitgenommen.

Tja, was soll ich sagen? Ich habe das Buch zu lesen versucht, aber interessant fand ich es nicht. Ich musste auch nicht weinen oder lachen, noch nicht einmal seufzen. Ich bin eingeschlafen. Kennt eigentlich irgendjemand irgendjemanden, der dieses Buch tatsächlich gelesen hat? Ich meine, so richtig gelesen, von vorne bis hinten? Vom Verstehen brauchen wir gar nicht erst reden. Ich kenne niemanden. Keinen einzigen Menschen. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass Untermarktlbrunn nicht gerade eine Literaturhochburg ist, obwohl wir sogar eine Gemeindebücherei haben.

Trotzdem habe ich es immer wieder in die Hand genommen, so wie einen rätselhaften Schlüssel, von dem man nicht weiß, zu welchem Schloss er gehört, und bin dann beim Lesen auf solche Dinge wie die wispernden Wasser und schwingenden Kräuter gestoßen. Und mal ganz ehrlich: Sind das nicht starke Sätze? Man muss sie gar nicht verstehen, um fasziniert zu sein. Es reicht der Klang. Die Melodie.

Später habe ich dann noch bei Google herausgefunden, dass es James Joyce in seinem regnerischen Irland nicht lange ausgehalten hat und deshalb nach Paris gezogen ist. Ausgerechnet nach Paris! Meiner Stadt! Wenn das mal kein Zeichen ist. Seitdem schlage ich Ulysses immer wieder blind irgendwo auf, wenn ich Appetit auf ein paar schöne, rätselhafte Wörter habe. Zum Beispiel nach der Lieferung von gefühlten zwei Tonnen Kesselfleisch und Spanferkel fürs Feuerwehrfest oder nach dem Wursten von fünfzigtausend Paar Weißwürsten zum Gautreffen auf der Festwiese unten am Sportplatz. An solchen Tagen bin ich ziemlich ausgehungert nach James Joyce. Ich stelle mir dann vor, wie ich, statt halbtot am Fleischwolf zu lehnen, in einem der schönen Pariser Cafés sitze, die man aus den Filmen kennt, und James Joyce dabei zusehe, wie er solche Wahnsinnssätze schreibt.

Wo wir gerade bei komplizierten Rätselsätzen sind, komme ich zurück zu der Beerdigung, zu der ich gerade zu spät komme. Unser Pfarrer ist nämlich auch ein Spezialist in dieser Disziplin, was allerdings nicht so sehr an seinem literarischen Talent liegt, sondern daran, dass er schon auf die achtzig zugeht und daher langsam ein bisschen tattrig wird. Doch trotz seines hohen Alters hält unsere Gemeinde unerschütterlich an ihm fest und versucht, mit Hilfe von Ginsengtropfen, Vitaminampullen und Schwedenkräutern das Unvermeidliche noch so weit wie möglich hinauszuzögern: Wir wollen keinen neuen Pfarrer! Aus gutem Grund, denn man weiß ja nicht, was nachkommt. Am Ende geht es uns so wie der Nachbarpfarrgemeinde Birnbichl, die mangels deutschem Pfarrernachwuchses einen Inder bekommen hat. Der spricht überwiegend Indisch, zumindest hört es sich so an, und er ist so klein, dass er nicht einmal über den Blumenschmuck schauen kann, obwohl ihm der Mesmer schon einen Hocker hinter den Altar gestellt hat. Jetzt muss der Mütterverein, der sich um die Blumen kümmert, immer besonders niedrig wachsende Pflanzen aussuchen, und vorbei ist’s mit der Gladiolen- und Lilienherrlichkeit.

Unser hiesiger Mütterverein sieht dies als ein Zeichen für den Untergang des Abendlandes, den es zumindest für Untermarktlbrunn zu verhindern gilt. Und deshalb wird unser Pfarrer Lechner gehätschelt und gepflegt, dass es eine wahre Christenwonne ist.

Als ich die Tür zur Kirche öffne, verebbt gerade das einleitende Orgelgebrause, und unser Pfarrer hebt, gestützt von der heiligen Katt, wie Katharina Gschwendtner, die Vorsitzende des Müttervereins, wegen ihrer unglaublich anstrengenden Frömmigkeit genannt wird, mit zittriger Stimme zu seiner Ansprache für die Verstorbene an.

»Lasset die Kinder zu mir kommen, spricht der Herr …«

Leises Getuschel flackert unter den Trauergästen auf. Die ganze Gemeinde kennt inzwischen Pfarrer Lechners Ansprachen mehr oder weniger auswendig und weiß, dass dies seine einleitenden Worte für eine Taufe sind. Überdies war die verstorbene Liesl Furtnegger stolze siebenundneunzig Jahre alt.

Die heilige Katt flüstert dem Pfarrer etwas ins fast taube Ohr. Pfarrer Lechner lauscht angestrengt und nickt dann langsam und milde.

»Jaja … wenn ihr werdet wie die Kinder …«

Katt flüstert etwas lauter, zischt das Wort »Beerdigung« durch den weihrauchgeschwängerten Raum. Jemand kichert.

Pfarrer Lechner zwinkert verwirrt und versucht es dann erneut.

»Ah so … ja … liebe Pfarrgemeinde, wir sind heute hier versammelt, um unserer lieben Schwester … äh …«, er schaut einen Augenblick lang hilfesuchend in die Luft und fährt dann unsicher fragend fort: »… Katharina … äh … Gschwendtner … zu gedenken, die leider von uns gegangen ist. Sie war stets eine treue Stütze der Kirche …«

Die Katt wird blass wie die Wand hinter ihr, als ihr Name durch das Kirchenschiff schallt, und die Hälfte der Trauergemeinde beginnt zu lachen. Dann meldet sich eine laute Stimme energisch zu Wort. Es ist die Stimme von Gusti Zeisl, der Haushälterin des Pfarrers, die zwar fast genauso alt ist wie er, geistig aber noch voll auf der Höhe.

»Die Liesi is gstorbn, Barti, die Liesi Furtnegger!«, ruft sie, und der Pfarrer lächelt ihr dankbar zu.

»Ah so, des Lieserl! Ja mei!« Er räuspert sich und wirft einen melancholischen Blick nach oben in Richtung Ewigkeit. »Die gute alte Liesi. Ich kann mich noch erinnern, wie ich ein kleiner Bub war und die Liesi mir immer eine Birn aus ihrem Garten geschenkt hat …«

Die Erheiterung der Gemeinde weicht einer dumpfen Lähmung, die sich unweigerlich immer dann einstellt, wenn Pfarrer Lechner Geschichten aus seiner Kindheit und Jugendzeit zum Besten gibt. Leider sind solche Erinnerungen bei ihm sehr viel präsenter als alles andere, was die Predigten oft etwas ausufern lässt. Die heilige Katt, noch immer ganz blass um die Nase, vergewissert sich noch einmal, dass Pfarrer Lechner nicht umfallen kann, und geht dann mit Leidensmiene zurück an ihren Platz. Es hat sie sichtlich erschüttert, dass der Pfarrer ihres Todes gedenken wollte, obwohl sie quicklebendig neben ihm stand. Fast tut sie mir leid. Doch dann sehe ich den dunklen, kurzen Haarschopf meiner Freundin Anni, und mein Mitleid verfliegt so schnell, wie es gekommen ist: Seit Anni vor über dreizehn Jahren den Anda, Katts einzigen Sohn, geheiratet hat und auf den Gschwendtner-Hof gezogen ist, macht die heilige Katt ihr das Leben zur Hölle. Anda heißt eigentlich Andreas, aber kein Mensch nennt ihn so, genausowenig, wie mich die Leute Walburga nennen, obwohl ich so getauft bin, was schon schlimm genug ist. Aber das nur nebenbei. Jedenfalls ist die heilige Katt Annis Schwiegermutter, und das ist etwas, was man seiner schlimmsten Feindin nicht an den Hals wünscht.

Während der Pfarrer jetzt von Liesi Furteneggers Buttercremtorte schwärmt, die er sonntags nach der Kirche immer probieren durfte, gehe ich verstohlen ein paar Schritte den Gang entlang und drücke mich neben Anni auf die Kirchenbank. Sie ist ganz rot im Gesicht, und in ihren Augen stehen Lachtränen. Als sie mich sieht, ist es mit ihrer Beherrschung vorbei, und sie prustet los. Da kann ich natürlich nicht anders und muss mitlachen. Wir platzen fast in dem Bemühen, leise zu bleiben, und es dauert nicht lange, da laufen auch mir Tränen über das Gesicht, und mir entkommt ein Geräusch, das so ähnlich klingt wie das Quieken eines Ferkels, was wiederum bei Anni einen neuerlichen Lachschauer auslöst.

So geht es uns andauernd. In den unmöglichsten Situationen müssen wir lachen. In der Schule hat man uns deshalb immer so weit wie möglich auseinandergesetzt, und auch in der Kirche mussten wir getrennt sitzen. Einmal wurde ich deswegen von unserer Religionslehrerin, dem essigsauren, ewig leidenden Fräulein Birzer, sogar in die Bubenreihen geschickt, ganz hinüber auf die andere Seite. Doch während wir das »Lamm Gottes« gesungen haben, ist mein Blick – vollkommen aus Versehen, ich schwöre! – hinüber zu den Mädchen gerutscht und bei Anni hängengeblieben. Es war nicht meine Schuld, dass Anni genau im gleichen Moment herübergeschaut hat. Wirklich nicht. Ich konnte nichts dafür. Aber in dem Moment, als wir uns in die Augen schauten, war es vorbei.

Das Ende jenes denkwürdigen Lachanfalls ist schnell erzählt: Ich bin mit einem lauten Rumms von der Bank gefallen. Mein damaliger Banknachbar war Adrian Biermeier, der Sohn unserer jetzigen Bürgermeisterin, und ich erinnere mich noch an seinen entgeisterten Blick, als ich dort am Boden lag und mir vor Lachen den Bauch hielt. Der Adrian machte damals gerade eine schwer religiöse Phase durch, was man kaum glauben kann, wenn man den arroganten Schwachkopf heute sieht. Und ich glaube, die Tatsache, dass ich nicht auf der Stelle vom Blitz getroffen worden bin, hat seinen Glauben in die göttliche Gerechtigkeit nachhaltig erschüttert.

Der Lachanfall hat mir eine längere Moralpredigt von Fräulein Birzer eingebracht, sowie einen ganzen Nachmittag Nachsitzen. Hundert Mal musste ich eine Seite aus dem Katechismus abschreiben, während meine Freunde zum Ramsacher Weiher zum Baden fuhren. Ich hab keine Erinnerung mehr daran, worum es auf dieser Seite ging, obwohl ich an diesem Nachmittag drei Mal eine neue Tintenpatrone in meinen Füller einlegen musste und am Ende eine Blase am Finger hatte. Lachanfälle bekomme ich auch immer noch. Allerdings bin ich seitdem nicht mehr von der Bank gefallen. Also, zumindest nicht von einer Kirchenbank.

Die heilige Katt hat für solche Unfälle natürlich keinerlei Verständnis. Als sie nach der Messe allen voran ausmarschiert, die gestickte Standarte des Müttervereins stolz vor ihrem nicht vorhandenen Busen ausgestreckt, wirft sie Anni und mir einen vernichtenden Blick zu. Nach ihr kommt, milde lächelnd, Pfarrer Lechner. Zittrig schiebt er seinen Rollator, den er neben der Kanzel geparkt hatte, an den Bankreihen vorbei und nickt dabei immer wieder nach links und rechts. Gusti Zeisl geht dicht hinter ihm. Sie meint immer, sie könnte ihn stützen, falls er mal das Gleichgewicht verlieren sollte, aber das kann ich mir nicht vorstellen: Sie ist höchstens ein Meter sechzig groß und so dünn wie ein Zahnstocher. Allerdings hat sie Energie und Scharfsinn für mindestens zwei.

Seit über vierzig Jahren schmeißt sie Pfarrer Lechners Haushalt. Sie kümmert sich – angetan mit einer blauen Arbeitslatzhose und Gummistiefeln – um den Pfarrgarten, erledigt seinen Bürokram und macht jeden Sonntag einen riesigen Schweinsbraten für ihn, den sie immer montags pünktlich um halb neun in meiner Metzgerei vorbestellt und am Samstag um drei viertel zwölf abholt. Ich habe keine Ahnung, wie die beiden alten Leutchen es schaffen, jeden Sonntag einen Braten zu vertilgen, der für eine fünfköpfige Familie reichen würde, aber bitte, mir soll es recht sein. Und es liegt ja schließlich im Interesse von uns allen, wenn Pfarrer Lechner noch lange einen gesegneten Appetit hat. Ich mag Gusti Zeisl, und vor allem mag ich auch Pfarrer Lechner. Nicht weil er unser Pfarrer ist, sondern eher, weil davon so wenig zu spüren ist. Er hatte nie diesen salbungsvollen Tonfall, nie diese polypenlastige Art, von oben herab auf seine Schäflein herunterzunäseln. Im Gegenteil. Bei offiziellen Veranstaltungen sitzt er meist still da und hört den Leuten beim Schwadronieren zu, ohne etwas zu sagen, und dann plötzlich macht er dazu eine kleine, aber überaus treffende Bemerkung, die schon so manches Mal für Irritationen gesorgt hat. Er hat außerdem ein verschmitztes, fast lausbübisches Lächeln, sogar jetzt noch, wo er doch schon ziemlich verrunzelt ist. Ich war immer der Meinung, dass er es faustdick hinter den Ohren hat.

Darf man das überhaupt sagen? Dass es ein Pfarrer faustdick hinter den Ohren hat? Die heilige Katt würde mir den Mund mit Kernseife auswaschen, wenn sie das hörte. Anni hat mir erzählt, dass ihre Schwiegermutter dies einmal als Erziehungsmethode vorgeschlagen hat, um einen ihrer Söhne daran zu hindern, »endgeil« zu sagen.

Kapitel 3

Anni und ich schließen uns der ausziehenden Trauergemeinde an und wechseln einen Blick stummen Einverständnisses, als wir ins helle Sonnenlicht hinaustreten. Den Marsch zum Friedhof, den Rosenkranz, die Blasmusik, die zweite Ansprache des Pfarrers und die salbungsvolle Rede der heiligen Katt am offenen Grab schenken wir uns.

»Cappuccino?« Anni zwinkert mir zu.

Ich nicke. »Und Zwetschgendatschi.«

»Gegrüßet seist du Maria voll der Gnade …«, intoniert die heilige Katt mit eintönig leiernder Stimme. »Der Herr ist mit dir, du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes …«

Während die Trauergemeinde sich langsam wieder in Bewegung setzt, seilen wir uns schnell in die andere Richtung ab, zur Bäckerei Angelbauer, die seit einiger Zeit ein kleines Café am Dorfplatz betreibt und den besten Cappuccino und den besten Zwetschgendatschi weit und breit hat.

Zsùsha, die neue Angestellte, die die Bäckerei extra für den Cafébetrieb eingestellt hat, begrüßt uns mit einem strahlenden Lächeln.

»Hallo, Mädels. Keine Lust auf Rosenkranz?« Sie grinst breit, und ihre gepiercte Augenbraue blitzt im Sonnenlicht. Zsùsha Csordás ist in unserem Dorf eine mittlere Sensation. Sie stammt eigentlich aus Budapest, hat aber einige Jahre in Berlin gelebt, bevor sie nach Untermarktlbrunn gekommen ist. Weiß der Himmel, wieso es sie ausgerechnet hierher verschlagen hat. Sie hat mehr Piercings, als man zählen kann, und damit meine ich nur die unmittelbar sichtbaren, außerdem eine ziemlich extravagante Frisur mit diversen farbigen Strähnen und einen ausgefallenen Kleidergeschmack, sowohl was Farbe und Muster als auch Zusammenstellung der einzelnen Teile anbelangt. Das meiste näht sie selbst. Zsùsha ist nämlich gelernte Schneiderin, und ihr Traum ist es, Modedesignerin zu werden. Da hat sie sich mit Untermarktlbrunn genau das richtige Pflaster ausgesucht! Hier gilt es schon als revolutionär, wenn jemand im Winter statt einer Multifunktionsfleecejacke einen Mantel trägt, ohne auf eine Beerdigung gehen zu müssen. Zsùshas pinkfarbene Plateaupumps und schrill geblümte Zipfelröcke gelten daher bei den meisten Dorfbewohnern überhaupt nicht als Bekleidung, sondern als gspinnert’s Glump, total verrücktes Zeug, für das niemand auch nur einen Cent lockermachen würde und über das man sich höchstens das Maul zerreißt. Keiner von denen käme je auf den Gedanken, Zsùshas Kreationen zu kaufen, geschweige denn anzuziehen. Warum sie trotzdem bei Bäcker Angelbauer eine Stelle bekommen und bis heute behalten hat, liegt an drei Dingen, die sie trotz Piercings und Blümchenmini unschlagbar machen.

Erstens: Sie ist nett.

Zweitens: Sie ist tüchtig.

Und drittens: Sie hat ein Wahnsinnstattoo, das sich über ihren schlanken Oberkörper windet wie die Schlange aus dem Garten Eden und das im letzten Sommer alle Burschen, die das Glück hatten, an Zsùshas erstem freien Tag am Ramsacher Weiher zu sein, schier um den Verstand gebracht hat. Noch nie hat man so viele junge Männer Semmeln kaufen sehen wie an den Tagen nach jenem denkwürdigen Nachmittag.

Bäcker Angelbauers Umsatz ist seitdem sprunghaft gestiegen. Er hat noch drei Tische zusätzlich auf die Straße gestellt, und seit diesem Frühjahr bietet er außerdem selbstgemachtes Eis an, das Zsùsha mit so aufreizenden Bewegungen aus den Behältern kratzt, dass die armen Burschen auf der anderen Seite der Theke kein vernünftiges Wort mehr herausbringen und stumm wie die Fische nach der Eiswaffel greifen. Muss ich erwähnen, dass der Eiskonsum der männlichen Bevölkerung von Untermarktlbrunn ungeahnte Ausmaße angenommen hat?

Auch heute lungert schon wieder einer im Café herum. Ich kann seinen Schemen durch die Glastür sehen, während wir uns an einen der bunten Tische setzen und angrinsen wie zwei Schulschwänzerinnen. Aus der Ferne wehen noch Fetzen des Trauermarschs der Blaskapelle herüber. Selbst beim Tempo des Pfarrers müssten sie jetzt aber langsam den Friedhof erreicht haben.

Zsùsha bringt uns zwei Maxi-Cappuccino, Zwetschgendatschi für mich und vier Kugeln Vanilleeis für Anni. Anni ist vanilleeissüchtig. Wahrscheinlich enthält Vanilleeis einen Stoff, der die ständigen Sticheleien ihrer Schwiegermutter neutralisiert. Gegen anstrengende Väter und faule Brüder hilft dieser Stoff aber leider nicht. Ich habe es probiert.

»Hat dich die Katt wieder geärgert?«, will ich wissen.

»Wieso?« Anni schiebt sich einen riesigen Löffel Eis in den Mund.

Ich deute stumm auf die große Kristallschale, die sich erstaunlich schnell leert.

»Ach, nein, nicht mehr als sonst.« Anni schaufelt weiter. »Aber ich muss heute Nachmittag zum Schuldirektor.«

»Oje.« Ich nicke verständnisvoll. Das erklärt so einiges. Obwohl Anni genauso alt ist wie ich, also fast dreiunddreißig, hat sie es irgendwie geschafft, schon drei Kinder zu bekommen, während ich es noch nicht einmal zu einem Mann gebracht habe. Noch nicht mal zu einer Ahnung von einem Mann! Die ersten beiden Jungs, Hannes und Anton, sind im Doppelpack gekommen, als Anni gerade mal neunzehn war. Ein paar Jahre später kam dann noch ein Bub, für den Anni den Namen Leon durchgesetzt hat, gegen den erbitterten Widerstand der Schwiegermutter, die für diesen »fremdländischen Schmarrn« keinen Heiligen in ihrem bayerischen Namenstagskalender finden konnte.

»Haben’s was arg Schlimmes angestellt?«

Hansi und Toni sehen nicht nur nahezu identisch aus, sie sind beide identisch ausgefuchste Rotzlöffel.

»Nicht die Zwillinge. Der Leon.«

»Der Leon?« Ich staune. Annis süßer, dunkelgelockter Musterknabe, der in die dritte Klasse geht und meines Wissens noch niemals irgendetwas Verbotenes getan hat.

»Er hat seinem Banknachbarn, dem Riederer Flori, zwei Zähne ausgschlagen.«

»Was?« Ich schüttle den Kopf. »Das glaub ich nicht. Bist du sicher, dass es der Leon war?«

»Absolut. Er hat die Zähne sogar mit heimgebracht. In seinem Federmapperl. Sorgfältig in Klopapier eingewickelt. Wie eine Trophäe.« Anni schaufelt noch einen Löffel Eis in sich hinein und redet mit vollem Mund weiter: »Und er sagt mir nicht, wieso er das gemacht hat. Keinen Mucks, der Hundskrüppl.« Sie kratzt den Rest Vanilleeis aus der Schale. »Willst den Kommentar meiner Schwiegermutter dazu hören?«

Als ich nicke, verzieht sie ihr hübsches, herzförmiges Gesicht zu einer moralinsauren Grimasse und äfft den leidenden Tonfall ihrer Schwiegermutter nach: »Mei, beim heiligen Herrgott, dass i so was noch erleben muss! Aber kein Wunder! Wenn du dem Buben einen gescheiten Namen gegeben hättst, einen, den man bei uns auch kennt, dann wär so was ned passiert. Heiligemariamuttergottes, naa, naaa! Der Bub muss ja narrisch werden mit so einem depperten Namen!«

Anni verdreht die Augen und seufzt.

Ich muss lachen. »Die soll sich nicht so aufführen. Manche Leute nennen ihre Kinder Pumuckl. Oder Navajo. Oder Fanta!«

Anni sieht mich böse an. »Leon ist ja wohl was anderes als Fanta!«

»Ja, ich glaub, Fanta ist eher für Mädchen gedacht.«

Anni schnaubt empört, doch dann sieht sie an meinem Gesichtsausdruck, dass ich sie nur aufziehe, und sie lacht mit.

»Weißt du eigentlich, dass die Katt mit zweitem Namen Rosina heißt?« Anni kichert. »Ich hab ihr geantwortet, dass man früher nur unehelichen Kindern so peinliche Namen wie Rosina gegeben hat und dass sie mal drüber nachdenken soll, warum ausgerechnet sie so heißt.«

»Das hast du dich getraut?« Ich staune über Annis Mut, und das nicht zum ersten Mal. Ich wage es nicht mal, »Kruzifix« zu denken, wenn die heilige Katt in der Nähe ist, aus Angst, von ihr eine saftige Abreibung zu bekommen.

»Ja.« Anni nickt befriedigt. »Und sie ist ganz weiß geworden vor Wut und hat gemeint, ich soll mein freches Mundwerk halten und an Paulus denken.«

»Was hat denn der Paulus damit zu tun?«

»Das ist ihr Lieblingsapostel. Der sagt doch immer, dass Frauen zu schweigen haben oder so.«

Ich nicke grimmig. »Der hat sicher auch so eine Schwiegermutter gehabt.«

»Ja, genau!« Anni lacht laut auf. »Saublöd, dass mir das nicht eingefallen ist. Die hätt …«

Anni unterbricht sich mitten im Satz und starrt mit offenem Mund auf etwas, das hinter mir steht und einen langen Schatten wirft. Ich drehe mich erstaunt um. Da steht ein Mann. Ach, was sag ich: ein Bild von einem Mann! Mindestens eins neunzig groß, mit breiten Schultern, schmalen Hüften und einem äußerst attraktiven, blonden Dreitagebart. Er trägt eine schwarze Schlaghose aus Cord, dazu ein weißes, weites Hemd und eine schwarze Weste mit Silberknöpfen. Auf seinem blonden Kopf thront ein staubiger Schlapphut, und er hat einen merkwürdig verdrehten Wanderstock und ein kleines Bündel geschultert.

Offenbar ein Zimmermann auf der Walz. Ein ausnehmend gutaussehender noch dazu. Ich richte mich ein wenig auf und bemerke aus den Augenwinkeln, dass Anni bereits kerzengerade auf ihrem Stuhl sitzt und ihren ohnehin kaum vorhandenen Bauch eingezogen hat. Da ich meinen Bauch leider nicht bis zum Verschwinden einziehen kann, strecke ich stattdessen meinen Busen vor, um die Relationen ins richtige Licht zu rücken.

»Moin«, sagt der Hüne und grinst. Er muss aus dem Café gekommen sein, denn er schleckt an einem Eis, das fast in seiner großen Hand verschwindet.

»Äh. Guten Morgen.« Ich räuspere mich und blinzle gegen die Sonne. Anni schweigt. Auf ihrem Gesicht liegt ein versonnenes Lächeln. So schaut sie sonst nur, wenn Zsùsha ihren Eisbecher bringt. Fehlt nur noch, dass sie sich die Lippen leckt.

Der Blonde wechselt das Standbein und richtet seinen Blick auf meine Freundin. »Schönes Wetter heute, nich wahr?«

Anni strahlt ihn an. »Ja. Voll schön.«

Ich bin ein bisschen enttäuscht. Das war jetzt nicht gerade das, was man als fantasievolle Eröffnung eines Gesprächs bezeichnen könnte. Aber seinem »Moin« nach zu schließen, kommt er wohl aus dem Norden, und die da oben sind ja nicht gerade für ihre Schwatzhaftigkeit bekannt.

Ich schließe für einen Moment die Augen und schicke ein Stoßgebet zum Himmel: Bitte, bitte, lieber Gott, lass dieses Prachtexemplar nicht auf Pizzaleberkäs stehen!

»Woher kommst du denn?«, frage ich, um korrektes Hochdeutsch bemüht.

»Von ganz oben. Pellworm«, antwortet er und zwinkert mir zu. Mir wird ganz warm ums Herz. Nach einem kurzen Moment des Schweigens ergänzt er noch: »Kuck mich nach n’büschen Arbeit um. Hübsch hier. Würde gern für ’ne Weile bleiben.«

Hat er dabei jetzt speziell mich angesehen? Ich nicke eifrig.

»Gute Idee … es ist wirklich … ähm … sehr hübsch hier.« Unbestimmt wedle ich mit der Hand herum, als wäre der Dorfplatz gespickt mit Sehenswürdigkeiten, dabei gibt es hier außer dem Rathaus, der Bäckerei, dem Dorfwirt und einem pleitegegangenen Drogeriemarkt nichts zu sehen. Rein gar nichts. Also, außer uns natürlich.

Anni sagt kein Wort mehr. Sie sitzt reglos auf ihrem Platz und lächelt wie Mona Lisa. Wobei reglos nicht ganz stimmt, sie rutscht immer wieder auf ihrem Sitz hin und her, schlägt ein schlankes Bein über das andere und klappert dabei mit ihrem Eislöffel.

So kenne ich sie gar nicht. Immerhin ist sie verheiratet. Nachdem sie keine Anstalten macht, das Gespräch am Laufen zu halten, muss ich den Typen bei der Stange halten.

»Du suchst also Arbeit?«

Er nickt. Ich warte, doch mehr kommt nicht. Oje, zähe Angelegenheit.

»Vielleicht unten im Sägewerk …?«

»Da war ich schon.«

Ich runzle die Stirn und überlege krampfhaft, wer einen Zimmermann gebrauchen könnte.

»Also, ich habe eine Metzgerei«, sage ich schließlich. »Ich kann dich mit Brotzeit versorgen, wenn du Hunger hast«, ich verstumme abrupt und werde knallrot. Was rede ich da für einen Schmarrn? Er sieht nicht so aus, als wäre er kurz vorm Verhungern, nur weil er auf der Wanderschaft ist.

Doch er schenkt mir ein nettes Lächeln, und ich bemerke, dass er Grübchen hat. Wie süß.

»Danke. Da komme ich sicher drauf zurück.«

Ich entspanne mich etwas. Vielleicht war das gar nicht so blöd. Soll er nur vorbeikommen. Dann sehe ich gleich, wie fantasievoll sein Brotzeitgeschmack ist.

»Unser Dach!«, platzt Anni plötzlich heraus. »Wir haben a kaputtes Stalldach. Eigentlich wollten wir’s erst im Herbst richten lassen, wenn’s Jungviech von der Weide kommt, aber mei, warum eigentlich nicht gleich?«