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2017

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© by Athesia AG, Bozen

Grafik Titel: Klaus Pobitzer, Schlanders / Wien,

Der Totentanz nach Albin Egger-Lienz

Design & Layout: Athesia-Tappeiner Verlag

Druck: Athesia Druck, Bozen

ISBN: 978-88-6839-269-7

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buchverlag@athesia.it

Inhalt

Im Andenken an jene, die im Kampf um den Col di Lana ihr Leben gaben. Alla Memoria dei Militi Ignoti caduti sul Col di Lana.

Ein schroffer Felsen steht im Sturm, ein Gipfel von atemberaubender Schönheit. Seine Geschichte ist in Blut geschrieben. Die Angreifer verfluchten ihn als »Berg des Blutes« und die Verteidiger als »Berg des Eisens«.

Tausende gaben ihr Leben – für »mia Patria« oder für »mein Vaterland«.

Vergessen ist der Mut des Einzelnen. Jedoch die Legende vom heroischen Stand der 300 Tiroler Standschützen und dem ebenso heldenhaften Mut der Angreifer lebt weiter.

Col di Lana am 17. April 1916

Prolog

Südtiroler Dolomiten, Kaiserreich Österreich-Ungarn. Mitternacht des 18. Juni 1915.

… Der Bub mit dem silbernen Edelweiß auf seiner Feldkappe steht Wacht am Spielplatz des Todes. Seine Augen spielen ihm Streiche; jeder Schatten wird zum Feind, das leiseste Geräusch fordert seine Sinne. Aufgetürmte Felsbrocken schützen ihn vor der Kugel des Heckenschützen. Zumindest hofft er es. Er starrt hinauf ins Firmament zu den Tausenden leuchtender Sterne – jeder ein Kamerad von gestern. Seine besten Freunde warten auf ihn, an der Himmelstür – oder unten, wo das Feuer der Hölle lodert. Wann schlägt seine Stunde? Er kann nur beten: »Der Herrgott stehe mir bei …«

»Alter, sag’s mir, wann kimmt der Welsche1?«, flüstert er in seinem Gadertaler Dialekt.

»Früher als uns allen liab ischt«, kommt die Antwort vom bärtigen Zangerl, seinem Patrouillenführer. Der Alte zieht an seiner Pfeife. Sein Gesicht ist geprägt vom harten Leben des Bergbauern mit seinen Gefahren: Kälte und Schnee, reißende Bergbäche, dann wieder Wassernot, Blitz und Waldbrände – und immer wieder diese verfluchten Lawinen; sie reißen den Wald nieder und verschütten die Häuser. Gegen die Macht der Natur ist der Mensch hilflos. Dennoch ist das harmlos im Vergleich zu diesem verdammten Krieg. Und jetzt fragt ihn dieses 15-jährige Kind, das gestern noch an der Mutterbrust lag, wann der Welsche kommt.

Der Bub Johann hat Schweißperlen auf der Stirn, und sie sind nicht von der Hitze. Seine Handflächen sind feucht, er wischt sie an der Hose ab. Es ist keine Schande, Furcht zu zeigen. Eine Schande ist es nur, groß zu reden, und wenn es dann so weit ist und der Feind kriecht den Berg rauf, wegzurennen. Unabhängig von seinem angeborenen Patriotismus für die gerechte Sache zu streiten, schlummert tief in ihm der Urinstinkt jedes Menschen: der Selbsterhaltungstrieb. Denn ob Bauer, ob Soldat, jeder will wieder am Morgen die Sonne über den Bergen aufgehen sehen. Die Angst vor dem Tod, zusammen mit einem mächtigen Überlebenswillen, motiviert jeden. Ein Soldat stellt sich nie die Frage; er zielt und drückt ab. Denn sonst ist er verloren. Vielleicht – sollte er diesen Wahnsinn überleben –, vielleicht wird der junge Johann dann und Hunderte wie er von dieser stechenden Furcht um sein Leben erlöst.

Erik Durschmied am Eingang zum San-Andrea-Stollen (Archiv Erik Durschmied)

Dazu braucht es Zeit, und die hat er nicht, hat keiner, hier oben, wo der Adler haust.

In diesem ersten Kriegsjahr, in dem Millionen in Flandern und Galizien für einen universellen Wahnsinn ihr Leben lassen, ist dieser Gipfel in Südtirol nur ein »strategisch unbedeutendes Beiwort«. Niemand berichtet darüber und niemand wird davon erfahren.


1 Welsche oder auch Walsche, Italiener im Tiroler Dialekt

Das letzte Aufgebot

»Wie viele Männer stehen vor einem wütenden Löwen und haben dabei den Mut, ihm ins Gesicht zu schauen? Vier der Mutigsten, die einander nicht kennen, werden es niemals wagen, den Löwen anzugreifen. Dagegen vier weniger mutige Männer, die sich aber gut kennen und auf gegenseitige Hilfe zählen können, werden entschlossen und tapfer angreifen.« Militärstratege Ardant du Picq, Etudes sur le combat 1860

1

»Vater, was ischt Krieg?«, fragt ihn der Sohn.

»Krieg ischt wia wann der Kirschbaumer-Lois und i über ’n Acker streiten und, anstatt miteinander z’ reden, aufeinander schiaß’n. Nur ischt’s anstatt mia und dem Kirschbaumer a Kaiser und a König, die si streiten, und wir sind’s, die nachher aufeinander schiaß’n. Bis einer von den noblen Herrschaften ein’ großen Wirbel macht und schreit, er hat g’wonnen. Dann packt er seine Soldaten ein und geht wiada z’ Haus. Z’vor gibt’s no a paar Schlachten, die dauern net lang, aber dafür lass’n an Haufen Tote herumliagen. Aber außer an Tag mit vül Lärm g’schicht net vül.«

Dies allerdings ist nicht der Fall im Tiroler Land anno 1915.

August 1914. »Dieser Krieg wird kurz und siegreich sein.« Diese Siegeseuphorie hält auch das Land Tirol in Bann. Es ist immer so. Generäle reden, Soldaten sterben.

Zu Beginn des 16. Jahrhunderts, sich voll bewusst, dass die Tiroler die beste Landesverteidigung gegen päpstliche Armeen und Schweizerhorden stellen, besiegelt Kaiser Maximilian mit seinem Landlibell von 1511 jedes Tirolers Freiheit. Seine Waffenpflicht ist nur dann gefordert, wenn es um die Verteidigung seines Heimatlandes Tirol geht. Dennoch werden im August 1914 alle Männer zwischen 21 und 43 Jahren zu den Waffen gerufen. Österreichs Gebirgseliten, die k. u. k. Tiroler Kaiserjäger, werden ins ferne polnische Galizien verfrachtet. Als die Männer an die russische Front marschieren, denken nur wenige an das kommende Unheil. In den Sümpfen Weißrusslands werden sie in knapp drei Wochen von russischen Maschinengewehren niedergemäht.

Jeden Tag nagelt Hochwürden mehr Namen an die Tür der Dorfkirche.

»Habt’s scho g’hört«, flüstern die Frauen, »den Kallerer Schurli hat’s erwischt …«

Eine dunkle Wolke des Schweigens und der Trauer sinkt über Tirols Bergtäler. Niemand stellt sich vor, dass dies erst der Anfang ist und es noch viel schlimmer kommen soll.

2

Es geschieht an einem Frühlingstag im Mai 1915.

Der Schnee ist geschmolzen und frisches Gras bedeckt die Almen. Felsblöcke liegen wie geduckte Ungeheuer inmitten der grünen Matten. Ein strammer Bursch mit einem roten Haarschopf und einem breiten Grinsen im Gesicht hat das Vieh auf die hohe Weide getrieben. Eingewickelt in die abgetragene Jacke seines älteren Bruders Serafin liegt er auf dem Rücken im Gras, kaut an einem Grashalm und starrt auf die majestätischen Felstürme der Dolomiten … »Hier oben bin ich der König der Berge. Adler und Hirsch sind meine Gefährten und der Wind mein Spielgeselle.« Hoch über ihm schwebt das freieste aller Wesen, ein Adler – das Hoheitszeichen von Tirol.

Johann Irschara, 15 Jahre alt, ist der Sohn eines Bergbauern. In dieser, von schroffen Wänden begrenzten Welt, liebt er nichts mehr als die Heimat – sein heilig Land Tirol! Die viele Hunderte Jahre alte Pilgerstraße durchs Gadertal zieht am Campidellhof, seinem Geburtshaus, vorbei; sie führt vom Pustertal über Bruneck auf den Valparolapass und dann hinunter ins Welschenland. Johann war schon oben am Valparola und einmal sogar in Bruneck; dort hat er die Eisenbahn, die mit viel Dampf an ihm vorbeifuhr, bestaunt. Hinter Vaters Gehöft fängt der dichte Wald an. Der Bub starrt auf den finsteren Wald; breithüftig stehen sie da, die Riesenzirben, am Tor zur tiefgrünen Finsternis. So alt sind sie, dass sie schon den seligen Andreas Hofer bei seinem Marsch gegen die Franzosen vorbeiziehen sahen. Das war anno 1809.

Was ist für diesen Jungen das Heimatland? Es bedeutet Schutz und Geborgenheit. In den schroffen Bergen kann ein Einzelner den Winter nicht überleben. Sicherheit bietet nur die Gemeinschaft, Hilfe nach Naturkatastrophen, Pflege bei einem Unfall, die Versorgung im hohen Alter. Dazu kommt noch der Schutzverband der Standschützen im Fall einer Invasion. Nicht zu vergessen: Tradition. Die ist heilig. Wer gegen diese Regeln verstößt, wird bestraft oder ausgestoßen.

In den knotigen Zirben hoch oben an der Baumgrenze wohnt der Nordsturm; er braust erbost ins Tal, stürzt Bäume um, peitscht Bergbäche zu Schaum. Dahinter liegen die schroffen Felsen, feuchtglänzend schimmern sie in der Morgensonne. Diese Wände kennen keine Gnade. Wie diese Geschichte mit diesen Stadtlern; in die Felsen stiegen sie ein und kamen nie mehr zurück. Auf sie wartete der Tod am Berg. Doch jetzt ist alles friedlich, kein Sturm und keine verrückten Bergkraxler: nur seine Kühe und der Adler hoch oben. Er ist das einzige Wesen weit und breit. Der König der Berge! Der Bub schließt die Augen …

… der Klang einer Glocke bricht die Stille. Und nicht irgendeine Glocke …

»Himmel Vatter – s’ ischt die Sturmglock’n …«

Die Sturmglocke! Das Land ist in Gefahr! Ihr Geläut’ ruft die Männer zum heiligen Schwur. Tiroler, dein Land ist in Gefahr!

Der junge Johann springt auf. Die Kühe müssen sich um sich selbst kümmern. Der Bauernbub rutscht auf seiner Hose den steilen Hang hinab und rennt ins Dorf. Von überall strömen die Dorfbewohner zur Kirche und hören dem Herrn Pfarrer zu, als er die Proklamation des Kaisers vorliest:

»An meine Völker!

Der König von Italien hat uns den Krieg erklärt …

Ich habe volles Vertrauen in mein Volk, sich zu erheben und für sein heiliges Recht zu kämpfen. Ich bete zum Allmächtigen, dass er unsere Fahnen segnet.

Franz Joseph I.«

Die Tiroler können es nicht fassen. Italien – gestern noch Österreichs Verbündeter – hat die Seite gewechselt!

»Der Welsche hat uns verraten!«

»Mit all uns’ren Mandern an der russischen Front, jetzt ham’ an Hefen auf«, fluchen die Alten.

Der Friede in den Alpen ist eine Sache der Vergangenheit. Seit August 1914 hat sich der Konflikt weit von den Tälern Tirols abgespielt. So fern sind die Schauplätze der Kämpfe, dass sie kein Bub auf einer Schulkarte findet. Gegen Russland und Frankreich und England … und wie die Feinde alle heißen.

»Vater, was ischt Krieg?«, fragt der Bub, als sein Vater und Serafin, der älteste Bruder, nach Galizien abmarschieren. Das war zwei Monate, bevor der Briefträger die offizielle Nachricht über den Campidellbauern und seinen Sohn Serafin ins Haus bringt. Beide werden nie wieder in ihre Heimat zurückkehren. An diesem düsteren Tag zieht der Krieg in die Stube der Familie Irschara ein.

Jetzt läutet die Sturmglocke … und ein Bub ist sich eines bewusst: »Der Krieg und großes Leid kommen über den Berg auf uns zu …«

3

Die Sonne scheint. Ein geflochtener Distelkranz hängt am Zaun: Schutz gegen böse Geister. Eine Herde Kühe zieht mit Gebimmel durch die enge Dorfgasse, vorbei an der Kirche und dem Friedhof mit der hohen Steinmauer. Die Alpentäler und ihre Dörfer beidseitig der Dolomitenkette haben sich während Jahrhunderten kaum verändert. Die Natur hat damit zu tun. Tiefe Schluchten, schroffe Kalksteinwände, reißende Bäche und in den Himmel ragende Gipfel. Ein Postkartenland. Aber was wäre schon Tirol ohne sein gigantisches Bergpanorama? Es ist nicht nur eine idyllische Kulisse für Bergsteiger, die schroffen Felsen sind seit Jahrtausenden das Bollwerk gegen römische Legionen, plündernde Söldnerhorden und Napoleons Bataillone. Für die Eindringlinge waren die Berge zu hoch und die Schluchten zu finster und tief. So ist auch das Tiroler Bergbauernvolk. Tiefgründig und dunkel, mit dem Verlass auf nachbarliche Bruderschaft.

Inmitten dieser Felsentürme bewegt sich niemand in großer Hast, außer ein paar depperte Touristen, »die auf die Wänd’ kraxeln und dann abifall’n und mir missn aufigehn und sie z’amklauben.« Oben auf den Höhen gibt es keine Schutzhütten, nur Steinringe mit Schieferplatten bedeckt, wo Hirten während der schneefreien Zeit Milch in Käse verwandeln, um dann im Herbst, bei Viehabtrieb, ihre Kühe mit den schweren gelben Käserädern zu beladen. Ein stilles Dorf, wo samstagabends das Mannsvolk zum »Postwirt« pilgert, denn dort gibt es Wein und Gaudi. Dort diskutieren sie über »mei Rindervieh, wia dem Krauthammer sei Heuboden vom Blitz ’troffen wurn ischt, und das Weib vom Resibauer mit einem Sommerfrischler durchbrennt ischt, nach Innsbruck, welch a Schand’ fürs Dorf …« Und wie das Wetter im nächsten Winter sein wird. Was wieder das Signal für den zahnlosen Köllerer-Anderl ist, der als lokales Wetterorakel verkündet, er kann es in den Knochen spüren, es wird ein langer und kalter Winter werden. Noch denkt niemand an einen feindlichen Einfall, zumindest nicht einen vom Süden her. Das »offene Wetterfenster« für eindringende Armeen ist bekanntlich kurz in den Bergen. Vier Monate schläft das Land unter einer weißen Decke. Stürme heulen und Lawinen blockieren die engen Passtäler. Und kommt dann die Schneeschmelze, so ist es wochenlang zu schlammig für Truppenbewegung und Tross. Ein wahrhaftig höllisches Terrain, um Krieg zu führen.

»Da kummt kaner durch. Unser seliger Hofer-Anderl hat’s den Franzosen g’zeigt.«

»Recht wohl. Des war damals, aber des hier ischt a moderner Kriag ohne Ehr’ und End’.«

Im Mai 1915 tritt das Land Tirol in seine düsterste Stunde. In den letzten Tagen vor dem offiziellen Kriegsbeginn mit dem Königreich Italien werden alle noch wehrfähigen Männer zu den Waffen gerufen. Die Alten, die Jungen, die Einäugigen. Alle, die imstande sind, ein Gewehr in ihren Fäusten zu halten – und dafür ist keine Altersgrenze gesetzt. Sie versammeln sich um ihre Schützenfahnen auf den Kirchplätzen von Bruneck, St. Kassian, Sankt Martin, Corvara, Andraz, Buchenstein. Jeder Standschütze bringt sein Gewehr, die Standard-Armeeausgabe M95-Steyr-Mannlicher, das gut geölt in jedem Tiroler Haus über dem Kamin seinen Ehrenplatz hat, gleich neben dem Geweih des gewilderten Steinbocks. Ein Gewehr zu tragen, ist das Erbe Kaiser Maximilians, das Zeichen des Bauernadels.

4

»Mander, ’s ischt Zeit.«

Dieser feurige Aufruf des Tiroler Landeshelden Andreas Hofer, der anno 1809 die Bauern Tirols um den Roten Adler vereinigte, gilt auch diesmal. In Enneberg steht die versammelte Menge auf der Festwiese vor dem Dorf. Tiroler und Ladiner, alle in der Gadertaler oder Grödner Tracht mit bestickten Lodenjuppen, breitkrempigen Hüten und knielangen schwarzen Lederhosen. Sie machen sich miteinander vertraut, denn sie werden Seite an Seite gegen den Feind antreten.

»Mander, jetzt hört’s mir guat zua. Ihr seid’s das letzte Aufgebot, Tirols eiserne Faust. Denkt’s d’ran, jetzt geht’s um die Heimat, unser heilig Land Tirol. So wann da ein Welscher vur euch sei G’sicht zeigt, dann druckt’s ab, bevur ers tuat. Denn er kennt keine Gnade. Für ihn geht’s um nix und für uns geht’s um alles!«, spricht ihr selbst gewählter Standschützenmajor, der Postwirt von Corvara, Franz Kostner. »Unsere Vorväter sind fest g’standen und haben mit ihrem Leben unser Land verteidigt. Dies ist die Pflicht und Würde, die uns der selige Kaiser Max vor 400 Jahren zuag’schrieben hat. Das macht aus uns, was wir sind. Bei’nander steh’n wir heut’, wo unser Leben viel mehr wert ist als nur vor ein paar Wochen. So, Mander, passt guat auf. Da oben«, seine Hand zeigt auf die Bergspitzen, »da oben kann euch weder die Vertrautheit der Berge noch euer Mut beschützen. Ein Augenblick der Unachtsamkeit bringt’s Verderben, nicht nur für dich und dich, auch für den Kameraden, der neben dir steht.«

Standschützenmajor Franz Kostner blickt über die murmelnde Menge. Der Postwirt versteht sein Geschäft, und er versteht die Psyche seiner Landsleute. Er geht breitspurig, steht breitspurig, und wie alle zünftigen Tiroler trägt er eine grüne Jacke, eine schwarze Lederhose und eine geflochtene Schützenschnur an der Brust – das Ehrenzeichen eines Mannes von Substanz. Im Wirtshaus wird er mit rauf- und sauflustigen Bauernburschen fertig. Die Dörfler von rundherum zeigen Vorliebe für diesen Wirt; erstens ist sein Wein gut, zweitens erzählt er lustige, wenn auch erlogene Wilderergeschichten. Noch dazu ist er einer der besten Schützen weitum. Man achtet ihn, und, sollte es je zum Streit kommen, stellen sich alle hinter ihn. Im Unterschied zu anderen Einheiten der österreichisch-ungarischen Armee haben die Tiroler Standschützen das Privileg, ihre Offiziere aus ihren Schießständen zu wählen. Kostner ist ein bekannter Bergführer und hatte seine Pflichtjahre bei den k. u. k. Kaiserjägern absolviert. Derselbige Postwirt von Corvara ist von nun an der von ihnen gewählte Standschützenmajor mit drei goldenen Sternen am Kragen und einem gelben »Quasterl« am Säbel.

Im Standschützenbataillon Enneberg hat er vier Kompanien unter seinem Kommando. Die 1. Kompanie aus Bruneck, St. Lorenzen, Pfalzen und Reischach, die 2. und 3. Kompanie sind Leute aus dem Gadertal, Sankt Martin, Untermoi, Abtei und Corvara, und in der 4. Kompanie sind die Buchensteiner zusammen mit ihren Ladiner Cousins aus Ampezzo und Cortina. Alles zusammen macht das 915 Mann mit 25 Offizieren, und alle bewaffnet mit Steyr-Mannlichern und deutschen Mauser-Gewehren. Artillerie haben sie keine.

Vor dem heiligen Fahneneid gibt er ihnen die Wahl: »Noch was will i euch sagen. Wenn einer von euch sich zu alt oder schwach fühlt, dann soll er’s jetzt sagen und sich nicht schuldig fühlen. Z’ Haus bleiben ist ka Schand – wegrennen, wenn der Welsche auf uns schiaßt, das ischt.« Sie sind sich der Gefahren voll bewusst, und der Tod zählt schwer darunter. Nicht einer zaudert. Hier sind ihre Berge, ihre Täler, und zum Teufel mit dem treulosen Welschen.

»I bin dabei«, schreit der Erste – und: »Ich auch«, verkünden sie mit einer Stimme.

»Kriag! Kriag!«, schreien die Jungen begeistert, ahnungslos was dahinter blüht. Auf ihren Schultern sitzt noch der knabenhafte Übermut. Andere mit krummen Rücken und nach vorne geneigten Schultern, auf deren Brust ihr grau-weißer Bart wie ein tiefer Graben ruht, heben ihre Hand. Stolz überkommt den Bataillonskommandeur der Enneberger Standschützen.

»Wenn der Welsche kimmt, und euch die Eier im Bauch z’sammschrumpfen, steht’s alle z’samm. Denn nur der Mann neben dir kann dir helfen. Gott mit uns!«

»Gott mit uns!«, brüllen sie und stellen sich hintereinander in die Reihe.

»Der Nächste … Dei Namen? … Da, unterschreib …« Viele unterzeichnen mit einem gekratzelten X. Das ist auch keine Schande. Für einen Bergbauern ist ein prächtiges Vieh wichtiger als das Alphabet. »Schreib’n kann i net, schiaß’n aber scho’ …«

5

Der Major der Enneberger Standschützen wirft einen Blick auf den Jungen vor ihm, der sein Bestes tut, um älter zu wirken. »Ja, Bua, wie alt bischt denn du wirkli?«

»Siebzehn, Herr Major«, antwortet der Junge. Er ist 15, aber sein Land zählt auf jedes Gewehr. Schießen kann er, und kämpfen will er für seine Heimat.

»Mit ’m Vater und dem Serafin scho’ nimmer da, wer schaut denn nach eurem Hof?«

»Mei Bruda, der Zenz, der tuat’s«, antwortet der Bub, wohlwissend, dass Vinzenz bereits vor ihm unterzeichnet hat. »I kann schiaß’n, und i kenn’ die Berg wia mei Hosentaschl.«

»Hmh, kannst schreiben, Bua?«, fragt der Herr Major mit ernstem Gesicht und schiebt ihm das Buch über den Tisch.

»Natürli kann i des, Herr Major.«

»Guat. Dann setz dein’ Namen auf die List’n.«

Der Junge bringt eine Reihe von Buchstaben zu Papier, so wie es ihm der Herr Lehrer gezeigt hat:

IRSCHARA JOHANN.

Daraufhin gibt ihm der Zugführer eine Feldkappe. Das Wichtigste daran ist das silberne Edelweiß, denn nur k. u. k. Kaiserjäger und Tiroler Standschützen dürfen solch eine Ehrennadel tragen. Nicht einmal im Bett wird er die Kappe abnehmen.

»Standschütz’ Johann, stell di hier um fünfe in der Früh.«

»Jawohl, Herr Major.«

Als der frisch gebackene Standschütze Johann Irschara nach Hause kommt und seine Mutter die Feldkappe mit dem silbernen Edelweiß sieht, bricht sie in Tränen aus. »Honnes«, sagt sie, denn niemand redet ihn mit Johann an, »Honnes, was tuast denn du mit dem Kapperl?«

»I bin a Tiroler Standschütz’.«

»Du bischt ja no a Bua …«

»Wohl, aber alt gnua, Muatter, um die Heimat z’ verteidigen.«

Ihr 17-Jähriger, der Vinzenz, hat ihr schon gestanden, dass er am nächsten Morgen »auf’ n Berg aufigeht.« Und jetzt zieht auch ihr Jüngster in den Krieg. Die Mutter starrt in die Gesichter ihrer Söhne. Groß sind sie, und fesch, ihre Buben. Aber was hat Schönheit damit zu tun, wenn die Eltern der unverheirateten Maiden von Untermoi »a guate Partie« für ihre Töchter aushandeln. Und dafür sind die »Buam« vom Campidellhof, wie man so schön sagt, in der falschen Schublade. Ihr Mutterherz ist leer, ihr ist elend zumute, aber sie darf es nicht zeigen. Ihre Buben brauchen die Härte und Moral des Bergbauern – und die muss sie nun ihnen mit auf den hohen Berg geben.

Sie packt zwei Rucksäcke mit Wollsocken, einem gewaschenen Hemd, langen Unterhosen. Vinzenz gibt sie den gestrickten Pullover vom Vater, damit er keinen Schnupfen kriegt, denn oben bläst der Wind kalt. Johann gibt sie Serafins genagelte Bergschuhe, denn der k. u. k. Kaiserjäger Serafin Irschara, 23, hat dafür keine Verwendung; er liegt unter einem Holzkreuz in einem Ort mit unaussprechlichem polnischen Namen.

In dieser Nacht treffen sich die Jungrekruten im »Wirtshaus zur Post«. Bald sind sie sturzbetrunken; der Wirt schenkt kostenlos den Rotwein aus: »Für’s Land Tirol!« Wein, Schnaps und Begeisterung feuert sie an. Der Zusammenprall mit den Italienern »wird a große Gaudi werden. Morg’n gemma Welsche schiaß’n …«.

Der 17-jährige Emil Crazzolara springt auf den Tisch und schreit: »Trutz Tod, kumm her, i fürcht’ di net …«

Ein anderer schreit: »Hast recht, Emil, besser der Tod nimmt di, ansunsta schleppt di der Vater von der Trudi zum Herrn Pfarrer.« Es ist allgemein bekannt, dass seine Trudi mit ’m Kind ist. (Am 11. Juli 1915 fällt Emil Crazzolara am Col di Lana.)

»Honnes, sauf di net an, morgen in aller Früh muasst g’rade stehen und dein’ Eid ablegen.« Rotwein und Schnaps sind gut. Nur hat der junge Irschara zu viel davon. Um Mitternacht ist ihm so schlecht, dass er sterben will, »und zur Höll’ mit den Welschen«.

»Morgen gemma Welsche schiaß’n …«, singen sie im Chor.

»Blut!«, murmelt der Alte in der Ecke in seinem Methusalembart. In seinen Gesichtszügen, wie aus harter Eiche geschnitzt, ballt sich das Elend der ganzen Welt. »Blut wird euch den Sand aus den Augen waschen. Ströme von Blut.«

6

»Wir sind die heil’ge G’meind und steh’n in Christi Huld …«

Mit der Mütze in der Hand stehen sie Spalier und singen ihre traditionelle Lobeshymne. Danach legt Standschützenmajor Franz Kostner seine Hand auf die Bibel, umklammert Tirols Rote-Adler-Fahne und spricht die Angelobung:

»Ich schwöre vor Gott, dem Allmächtigen, einen reinen und wahren Eid … gegen jeden Feind tapfer und mannhaft zu streiten …« Sie erheben ihre Hand und schwören, ihrem Eid treu zu bleiben, bis ihr Herz aufhört zu schlagen. Ein Ruf erhebt sich in den klaren Himmel: »Für Gott, Kaiser, und das heilige Land Tirol!«

Pater Alvera, der Pfarrer des Enneberger Bataillons segnet die Männer: »Der Herr blickt gnädig auf uns herunter. Wir glauben an Ihn, denn Er sieht nach unserem Heil.« Nach dem Fahneneid inspiziert ein Oberstleutnant die Verteidiger des Landes Tirol. Mit viel glitzerndem Messing an der Brust marschiert er entlang des Spaliers. Er kann es kaum glauben, was da so vor ihm steht. Dieser Bub könnte sein Enkel sein.

»Ist das alles, was es von euch gibt?«

»’s ischt wohl«, stottert der Irschara-Johann. Schließlich steht ein Herr Oberst vor ihm. »Wir sind alles, was noch im Dorf ist, Herr Oberst.«

Der Berufsoffizier starrt den Jungen an, in ein Gesicht ohne Stoppeln, und denkt, »… du, mein Kind, bist viel zu jung dafür. Herrgott, welch ein Risiko, die Arbeit eines Mannes den Jungen zu überlassen, auch wenn diese bereit sind, dafür zu sterben. Uns bleibt keine Wahl. Buben wie dieser sind bereit, ihrem heiligen Eid zu folgen. Und was Disziplin anbelangt, die werden sie durch Eifer und Treue ersetzen. Dann noch etwas: ein Tiroler Bauer braucht keine Waffenausbildung und keine langen Erklärungen, um was es hier geht. Sein Haus ist die Front und der Kirchturm sein Mahnmal.«

Disziplin kommt auf dem Land immer etwas zäher. Bergbauern sind für ihre Dickschädel bekannt – stur wie der Stier. In Friedenszeiten haben sie ihren Anteil an faustdickem Streit: über eine Weide, den Zugang zum Wasser oder eine Jungfer im heiratsfähigen Alter, eine Wahl, die wenig mit Liebe und mehr mit der Größe der Rinderherde zu tun hat. All dies wird sich in einer Nacht ändern, denn nichts verbindet mehr als ein gemeinsamer Feind. Dies hier sind harte Bauern und mit besonderen Fähigkeiten. Oft geschieht dies auf eine Methode, die Berufsoffiziere als äußerst unkonventionell bezeichnen. Aber nicht dieser Bub, der vor ihm steht und versucht, alt zu erscheinen; dazu ist er zu jung und unschuldig.

»Standschütze, was einen guten Soldaten ausmacht, ist seine Bereitschaft, den Ehrenschwur zu halten.«

Der Bub fühlt sich unsterblich; er weiß noch nicht, was der Offizier damit meint. Er steht stramm und grinst: »Jawohl, Herr Oberst, des wer’n mia scho tuan.«

7

Die anrückende Streitmacht ist nicht die einzige Sorge des Enneberger Bataillonskommandanten. Um zu kämpfen, benötigt man mehr als Tapferkeit und Mut. Wie, zum Beispiel, Kugeln und Erdäpfel. Franz Kostner und seine Leutnants stellen eine Liste auf. Es ist eine lange Liste. Munition steht ganz oben darauf, Maschinengewehre und Handgranaten. Waffen allein geben keine Sicherheit, aber mit der Waffe in der Hand fühlt sich ein Mensch sicherer. Das zählt.

Ein Güterzug dampft in die Station Bruneck der Pustertalbahn, voll beladen mit Kisten; Kugeln, Granaten und Militärbekleidung. Kappen mit der Insignie der österreichischen Gebirgselite, dem silbernen Edelweiß. Die Uniformröcke und Kappen sind zwar nicht neu; sie sind gewaschen und geflickt und kommen von jenen, die sie nicht mehr benötigen. Das Tragen einer Uniform macht den Dorfmilizen zum Soldaten, denn in Zivilkleidung ist er ein Freischärler und wird an der Friedhofsmauer erschossen. So ist das Kriegsgesetz.

Standschützenmajor Kostner präsentiert seine Wunschliste dem k. u. k. Quartiermeister.

»Was können S’ meinen Männern zuteilen?«

»Mein lieber Herr Major, nicht viel«, antwortet der gestresste Verpflegungsoffizier, im Zivilleben ein kaiserlicher Stubenhocker im Kultusministerium. »Ihr Standschützenbataillon ist nicht das einzige in Tirol.«

Improvisation ist schon seit Cäsars Zeiten die Tugend eines Soldaten. Kostners Feldwebel ist der Dorfgendarm von Corvara. Als Hüter des Gesetzes hat er reichlich Erfahrung, wie es Diebe treiben. »Wenn dieser Knödelhauptmann nichts für uns tun will, dann mach’ ich es halt auf die feine Art. Postwirt, kannst mir einen Wagen verschaffen?«

Eine Stunde vergeht, und der Gendarm kommt mit einem hoch beladenen Heuwagen zurück. Unter der Plane liegen stapelweise Holzkisten mit Munition; darauf sind Uniformen und Decken. Und ganz obendrauf ein Fass Schnaps.

»I hab nix anders als Beschwerer für die Plache g’fundn …«

»Woher kommt das Zeug?«, fragt Kostner, obwohl er es gar nicht wissen will.

Der Gendarm schmunzelt: »Ischt vom an Lastwaggon g’fallen.«

Kostner klopft ihm auf die Schulter. »Guat so. Für unsere Mander, hab Dank.«

Die Szenen rund um die beladene Kutsche erinnern an die Bescherung unterm Weihnachtsbaum. Die Männer stehen herum, in langen Unterhosen und Laiberln, und probieren die neuen Hosen und Jacken an. Niemand fragt, wo dieser Geschenkkorb herkommt.

»Vom Waggon abig’fallen …«, grinsen sie.

Der Gendarm dreht den Hahn zum Schnaps auf, und die Männer füllen ihre grün lackierten Feldflaschen. »Ein Hoch den Enneberger Standschützen.«

Noch eine letzte Inspektion, dann sind sie bereit, »kimm Höll oder der Teifi«.

8

Das letzte Aufgebot ist nicht perfekt – aber perfekt war nicht das am häufigsten verwendete Wort im Tiroler Dialekt. Allein beim Anblick des Paradespaliers kommt dem inspizierenden Berufsoffizier das Grausen. Kinder mit Gewehren und neben ihnen bärtige Alte. Dazu noch dieser von ihnen gewählte Zivilist, ein Gastwirt, den seine Soldaten respektlos mit »du« ansprechen. Wie kann ein Weinausschenker diesen Haufen als Einheit in den Kampf führen? Was der Berufsoffizier nicht versteht, ist der Unterschied zwischen einem Kleiderverkäufer oder Beamten aus der Stadt und einem listigen Wilddieb, Meister seiner Kunst. Die Hauptaufgabe für einen Soldaten ist, genau zu zielen und gerade zu schießen. Ein Wilddieb hat so etwas im Blut.

Dazu kam noch der feste Glauben an ihren Herrgott. Jeden Sonntag knieten sie in ihrer Dorfkirche und gelobten, die christlichen Tugenden zu wahren, darunter das Gebot: »Du sollst nicht töten.« Nachdem Hochwürden sie segnete, nahmen sie dann ihre Stutzen und wanderten zum Schießstand – daher der Name Standschützen – »denn über Schiaßn steht ja nix in der Bibel … Und ist das Schwarze noch so klein, so muss ein jeder Schuss hinein …« Ihr Ziel waren kunstvoll bemalte Holzscheiben … und manchmal, nach Sonnenuntergang, traf ihre Kugel den strammen Gamsbock vom Herrn Baron – aus 400 Meter Entfernung! Ja, das Schießen war »a Gaudi«, und jeder Tiroler war ein Scharfschütze. Es gab im Tiroler Land keinen größeren Ruhm, als Schützenkönig des Jahres zu werden.

Seit 1511 hatte jeder Tiroler, ob Hofherr oder Knecht, das Bürgerrecht. Damit kam als erstes Gebot das Tragen einer Waffe zur Landesverteidigung. Einst mit der Lanze konnte er im Einzelkampf einen Schweizer Spießknecht aufspießen, aber mit einem modernen Repetiergewehr das Zwanzigfache aus der Ferne abknallen. Und so war es jetzt. In den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts wurde auf Anordnung des Kaisers Franz Joseph der Frontladerstutzen der Grenzbewohner gegen das moderne Armeegewehr ausgetauscht. Der 1888 /1895-Steyr-Mannlicher-Repetierer, bekannt wegen seines unkomplizierten Aktionsbolzen als »Ruckzuck«, war für seine Zielpräzision bekannt und deshalb die Idealwaffe für eine Verzögerungstaktik in gebirgigem Gelände. Ein Gewehr ist nicht übermäßig kompliziert: ein langes Stahlrohr, ein Hahn und eine Kugel. Das Wichtigste aber ist ein Schütze, der das Schwarze trifft. Und darin waren Standschützen die Experten, seit dem Seitenwechsel der Italiener zudem »mit aner schiachen Wut im Bauch«. Das machte sie doppelt gefährlich. Bei Ausbruch der Feindseligkeiten gegen das Königreich Italien waren Tausende dieser modernen Steyr-Mannlichers in den Händen der Tiroler – und hinter jedem Gewehr ein Scharfschütze.

»Stell dir nur vor, Seppi, vor dir steht plötzli’ der Bock des Herrn Baron. So, wenn dieser Bock an grünen Mantel anhat und a Rabenfeder am Huat, ziel guat und drück ab. Zuerst schiaßt – dann salutierst.« Denn: »Verlässt die Kugel erst den Lauf … hält sie kein Welschenkönig auf!« Die Kugel kennt nur eine Sprache. Diese Tatsache ignorierten Italiens taktische Kriegsplaner. Ja, die alten Tiroler gingen langsam – aber sie schossen präzise.

9

»Mander, ’s ischt Zeit, so gemma wohl …«

Es ist ein schöner Morgen, es könnte fast der Ostersonntag sein, beim Kirchgang. Aber der ist schon vorbei, mit seiner rauen Kälte und Schneeluft … Heute ist Auferstehung … »Christ ist erstanden, freue dich, kleiner Mensch …« Die Uhr des Großvaters in der Stube schlägt zehn. Mutter Irschara steht in der Hoftür. Ihre Augen sind feucht. Sie denkt an die Zeiten, als die Gnade Gottes über dem Säen und Ernten ruhte. An die friedvollen Weihnachten, als der Bauer das Schwein schlachtete, die Speckseiten im Rauch hingen und das duftende Schmalz die Steinguthäfen füllte. Nach dem festlichen Mahl in der Stube stapften sie durch kristallharten Schnee zur Mitternachtsmette in die mit Lichtern geschmückte Kirche. An solch einem Festtag kam ihr Vinzenz zur Welt. Er hatte dunkles Haar und blaue Augen. Mutter Irschara denkt an den Tag mit zwiespältigem Herzen, denn jetzt geht ihr Vinzenz weg, mit dem Patronengürtel um den Bauch und dem Gewehr über der Schulter. Neben ihm stapft ihr Jüngster, der Johann. Aus Mutter Irscharas groben Bauernbuben werden jetzt Männer, wie aus dem Kücken der Adler. Unzertrennlich und einig wie noch nie zeigen sich die Irscharabrüder. Der jüngere Johann blickt noch einmal zurück; er sieht den Campidellhof, Geburtsstätte von Generationen Irscharas. Er sieht die Mutter. Sie winkt ihren Buam nach. Eine Mutter begräbt ihre heimlichen Ängste … hoch oben am Berg grinst der Tod; er liebt besonders die Jungen und Reinen.

»Herrgott, hilf uns aus dieser Not. Ich flehe dich an, hilf uns allen.«

Ein Dorf zieht in den Krieg … allen voran, der Sensenmann, er führt sie an zum Tanz …

Die strahlenden Tage des Monats Mai

»Le radiose giornate di Maggio …«

Gabriele D’Annunzio, Dichter-Philosoph, am Tag der Kriegserklärung Italiens an Österreich am 23. Mai 1915.

1

Achttausend Meilen und zwölf Monate vor dem »Abmarsch des letzten Tiroler Aufgebots« saß ein 30-jähriger Mann im amerikanischen Bundesstaat Idaho am Fenster und hörte zu, wie der Regen auf das Blechdach trommelte. Er las eine Zeitung; sie war schon drei Wochen alt, und die Nachrichten über die Ereignisse in Europa waren nicht gut. Auf der ersten Seite stand etwas über die Ermordung des österreichischen Thronfolgers in einer obskuren Stadt auf dem Balkan und dass sich düstere Wolken über Europa ballten. Der Artikel schrieb von einem explosiven Gemisch von Interessen und Bündnissen, alle schlecht: Österreich gegen Serbien; Russland mit Serbien gegen Österreich; Deutschland mit Österreich gegen Russland; Russland mit Frankreich und England gegen Deutschland … In einer Welt, in der das Wort Barmherzigkeit und Mitgefühl allen Wert verloren hatte, und das Endergebnis Zerstörung und Tod waren, bedurfte es keiner übermäßigen Fantasie, um dieses Szenario in bittere Realität zu verwandeln …

*

Seit jenem heißen Sommertag, an dem ein bosnischer Anarchist den österreichischen Thronfolger erschoss, stolperte eine moribunde österreichisch-ungarische Monarchie blind in die Katastrophe. Der österreichische Generalstab drängte auf einen Vergeltungsschlag gegen Serbien. Dabei spielten sie Poker ohne Asse, denn sie wussten, dass ein Angriff auf Serbien deren russische Verbündete in den Konflikt ziehen musste. So geschah es auch. Wien stellte Belgrad ein Ultimatum – und die Russen stürmten ins österreichisch-polnische Galizien. In drei Wochen verlor Österreich ein Drittel seiner Armee. Nur die Inkompetenz russischer Generäle verhinderte Österreichs totalen Zusammenbruch. Das Fiasko in Galizien zeigte, dass Österreichs Strategen seit ihrer Niederlage bei Königgrätz (1866) nichts gelernt hatten und ihre strategischen Pläne in ein Militärmuseum gehörten.

Dann kam der 26. April 1915 und eine Verschiebung der internationalen Konstellation. Der Dreibund von 1882, der Italien mit Deutschland und Österreich verbündete, wich einem Londoner Geheimvertrag: Italien verbündete sich mit Frankreich, England, Russland. »Trento e Trieste!« Roms Preis waren territoriale Ansprüche: Dalmatien und Triest, dazu Südtirol bis zum Brenner. Italiens Konzept, seine Streitkräfte für einen politischen und territorialen Vorteil einzusetzen, war in ihren Augen völlig rational. In Galizien hatten die Österreicher fürchterlich gelitten. Somit war die Verteidigung der Alpengrenze Österreichs den lokalen Milizen überlassen. Von diesem untrainierten, undisziplinierten Bauernhaufen war kaum Widerstand zu erwarten. In diesem Sinne wurde der Strategieplan des Oberbefehlshabers der italienischen Armee, der Durchbruch über die Alpenpässe nach Innsbruck, als realistisch akzeptiert. Mit der Parole: »In zwei Wochen in Innsbruck …«

Die Italiener feierten schon den ruhmreichen Sieg der »radiose giornate di Maggio …«

*

Aber was ging all dies den Mann im Wilden Westen Amerikas an? Abenteuer hatte er jede Menge vor seiner Tür. Jeder Tag brachte neue Herausforderungen. Er war jung, er war reich, und das Leben als Teilhaber an einer Silbermine war mehr als befriedigend. Nun war dieser Mann aber ein Patriot von nobelster Abstammung. Er konnte nicht auf seinem Hintern sitzen und von Weitem zuschauen, wie die Welt brannte, und damit auch sein Patria Italia. Kurz entschlossen kehrte er in das Land seiner Ahnen zurück. Drei Monate später stieg il Principe Gelasio Caetani di Sermoneta in Genua vom Schiff und fand die Nationen Europas im wilden Streit miteinander. Nur sein Heimatland Italien stand noch an der Seitenlinie und verfolgte mit Interesse die Entwicklung des Krieges. Außer einer Handvoll Politiker in Rom war Niemandem bewusst, dass schon seit Monaten geheime Verhandlungen mit den Alliierten im Gange waren. Die Neutralität Italiens war nur noch eine Frage der Zeit.

Als Offiziersreservist im Genio, dem Pionierkorps der italienischen Armee, meldete Gelasio Caetani dem Kriegsministerium seine Rückkehr. Die Antwort ließ auf sich warten. Am 22. Februar 1915 kam seine Einberufung. Am 23. Mai 1915 griff Italien an.

2

Und während der Herzog von Sermoneta in seiner Ahnenburg auf einen Brief vom Kriegsministerium wartete, standen im fernen Galizien drei österreichische Offiziere vor ihrem Regimentskommandeur. An alle stellte der Oberst dieselbe Frage: »Was halten Sie von den Italienern?«

Zwei antworteten sofort: »Italien ist unser Verbündeter.« Korrekt. Italien war ein Teil einer zentraleuropäischen Dreierkoalition Deutschland – Österreich – Italien.

Der dritte, ein 27-jähriger Leutnant, ließ sich Zeit: »Herr Oberst, ich bin ein Südtiroler. Bei uns nennen wir sie die Welschen.«

Am selben Tag noch saß der junge Leutnant im Zug – abkommandiert nach Innsbruck. Er konnte sein Glück nicht fassen; für ihn schien es wie ein endloser Heimaturlaub. Toni, oder besser: Anton von Tschurtschenthaler, der jüngste Sohn eines Bankiers, Weinhändlers und Vizebürgermeisters von Bozen, war Student an der Universität Innsbruck. Neben dem Studium hatte er nur eine Passion: Die Berge, je schroffer, je besser. Paternkofel, Tofana, Drei Zinnen, keine Wand war zu steil, kein Felsen zu hoch. Wie er es seinem besorgten Vater erklärte, muss man nur an sich selbst glauben, denn der Glaube allein macht selbst das Unmögliche möglich. Mit diesem Glauben stieg er in die Wand, manchmal zu zweit, manchmal allein. Auf dem Gipfel, im Bann seiner Leidenschaft, war er ein anderer Mensch. Hoch oben waren sein Königreich, seine Alpen, sein Tirol.

Manchmal, nachdem er von den Bergen heruntergestiegen war und im Wirtshaus seinen Durst löschte, hörte er den Einheimischen zu. So gerne die Bauern auf der Bierbank die Staatsgeschäfte auf ihre Art aufs Korn nahmen, von der Politik außerhalb ihres Tals verstanden sie nichts. Sie waren Tiroler, allenfalls kaisertreue Österreicher, mit einer engen Freundschaft zu ihren ladinischen Nachbarn. Jedoch mit einer scharfen Zurückhaltung gegenüber allem Welschen. »Denan da unten glaub’ ma ka Wort …«

Im August 1914 wurde Toni von Tschurtschenthaler zu den k. u. k. Kaiserjägern einberufen. Er zeigte bald seine Führungsqualitäten. Ein guter Offizier muss imstande sein, harte Entscheidungen zu treffen, und die Verantwortung für das Leben seiner Truppe übernehmen. Leutnant Toni besaß diese Qualitäten. Kurz nach seiner Versetzung nach Innsbruck wurde er zum Oberleutnant befördert und übernahm das Kommando der 6. Kompanie im 2. Bataillon des k. u. k. Tiroler Kaiserjäger-Regiments.

»Wie macht sich denn dieser junge von Tschurtschenthaler?«, fragte der Innsbrucker Regimentsoberst den Bataillonskommandeur.

»Eine gute Wahl, etwas rau vielleicht, aber er traut sich, von seiner Truppe mehr zu verlangen als die meisten anderen. Wenn das Glück ihn nicht verlässt, wird man von ihm noch hören.«

Der Regimentskommandeur notierte den Namen, und als die Frage für einen Kommandanten für den Abschnitt des Col di Lana aufkam, fiel die Wahl auf Anton von Tschurtschenthaler.

Das Schicksal wollte es, dass zwei der fähigsten Offiziere im Gebirgskrieg, der Sohn eines Bozner Weinhändlers und der Nachkomme eines Papstes, im Kampf um einen Berggipfel aufeinanderprallen sollten. Beide hatten vieles gemeinsam. Beide waren passionierte Bergsteiger, und beide waren von einem tief greifenden patriotischen Gefühl besessen.

Der Bozner Toni von Tschurtschenthaler und der Sermontese Gelasio Caetani.

3

Der österreichische Generalstab wusste, dass italienische Vorbereitungen für eine Offensive in Tirol im Gange waren. Die einst mächtige österreichische Armee, besonders die Bergelite der Kaiserjäger, fiel in Galizien. Mit den aufgebrauchten operativen Reserven war die Hoffnung geschwunden, Österreichs Südfront mit regulären Truppen zu stabilisieren. Der Kommandeur der Landesverteidigung von Tirol, Oberstleutnant Rudolf Pfersmann von Eichthal, bangte schon vor Italiens Kriegseintritt um die Sicherheit der alpinen Regionen. Er schrieb alarmierende Berichte nach Wien. Als Antwort erhielt er: »Mein lieber Oberst, haben S’ keine Angst, die Italiener sind ein Volk, das theatralische Gesten liebt. Was Sie sehen, ist nichts als ein Militärmanöver, wo ein paar Generäle ihre Soldaten hin und her marschieren lassen. Sonst ist nix dahinter.« Und als Italiens wechselhafte Absichten klarer wurden: »Jegliche Unbesonnenheiten gegenüber Italien sind zu vermeiden.« In anderen Worten: »Tun Sie ja nichts, das die Italiener aufregt.«

Die Nachrichten aus Tirol wurden immer alarmierender. »Was geschieht, wenn die Italiener wirklich …?«, fragten sich nun die Wiener Neinsager. »Na, des dürfen’s ja net. Es ist ja gegen alle Abmachungen im Bündnisvertrag.« Durch solche Argumente fand sich die Südgrenze der Monarchie nahezu entblößt. Reguläre Truppen gab es nur wenige in Tirol – und dazu noch schlecht ausgerüstet. Ein paar veraltete Straßensperren mit antiken Vorderlader-Kanonen … »Alles z’samm halt a bisserl wenig …«

Nur auf die Tiroler Bauern war Verlass. Sie hingen mit religiöser Inbrunst am österreichischen Herrscherhaus. Loyaler als Kroaten, Tschechen oder Ungarn. Ohne auf Unterstützung von oben zu warten, organisierten die Bergbewohner das Aufgebot der Tiroler Standschützen. Eine Woche vor dem Einbruch italienischer Truppen in das Trentino schickte Oberstleutnant von Pfersmann, nun verantwortlich für den Tiroler Grenzschutz, eine scharfe Depesche an die imperiale Heeresleitung in Wien.

»Bezüglich ihrer Anweisung, was können wir tun? Aus nichts ist nichts zu machen. Wir sind ohne Offiziere, ohne Pferde und Kanonen. Wir sind ohne Kugeln für die Gewehre. Der Feind ist bereits im Anmarsch, warum bleibt das Oberste Kriegskommando immun auf unsere Hilferufe? Zwischen Mailand und Innsbruck stehen nur Bataillone von Buben und Greisen.«

Dieses Telegramm erzeugte in Wien den Effekt einer Bombe. Die halsstarrigen Absolventen der Militärakademien fanden plötzlich Grund zur Sorge. Mit einem Verbündeten als unerwartetem Feind, mit seiner Armee nur wenige Tagesmärsche von Tirols Hauptstadt entfernt – und zwischen ihm und der Katastrophe eine untrainierte, undisziplinierte Miliz aus Bauern, Holzfällern, Wilderern und Schmugglern … In Wien alles Männer mit Vorurteilen und persönlichen Eifersüchteleien; wo einem, der bei der Kommandantenwahl am lautesten schrie, der höchste Feldrang zuteil wurde; wo ein Grundbesitzer unter dem Befehl seines Knechts gestellt wurde und derjenige mit einem Onkel im Bürgermeisteramt die Aufsicht über Sardinendosen, 50 Kilometer hinter der Front, erhielt … »Der Onkel wird’s schon richten …« Wie konnte dieser Haufen von Schuhplattlern ohne die taktische Führung von professionellen Offizieren gegen eine Armee mit modernen Kanonen und Maschinengewehren standhalten?

Zu Beginn der Feindseligkeiten passten sich die Tiroler an die spezifischen Umstände und das vorhandene Material an. Tirol musste mit dem klarkommen, was zur Hand war. Steine gab es in Unmengen. Die Notwendigkeit zwang sie zu Methoden, die auf keiner Offiziersakademie gelehrt wurden. Männern, die der Eigeninitiative und ihrer Schießkunst überlassen waren, militärischen Drill und Disziplin aufzuerlegen, war eine verlorene Sache. Während einer Divisionsbesprechung schnitt ein Stabsoffizier das heikle Thema der Disziplin an: »Herr Feldmarschallleutnant, ich frage gehorsamst …«

Divisionskommandeur Feldmarschallleutnant Goiginger unterbrach den Oberst: »Meine Herren, Sie vergessen, vor uns ist der Feind – und hinter uns ist nichts. Diese Dörfler kennen ihre Berge. Mehr noch, sie kennen sich untereinander und vertrauen ihren Nachbarn. Auch ohne militärische Ausbildung oder zweifelhafte Disziplin, wie Sie bemerken, sind sie eine standfeste Mauer gegen den Feind.« Goigingers Hauptziel war es, dem Italiener den Einbruch nach Tirol zu verhindern. Dieser Aufgabe würde er mit allen verfügbaren Mitteln nachkommen. Er verstand die Mentalität der Standschützen: Sie waren Individualisten, die sich an den Feind heranpirschten wie an das kostbare Wild. Dieser Gamsbock war nun ein Welscher, und ein Tiroler der richtige Mann dafür. Eigensinnig, standhaft und bereit, sich mit jedem Eindringling zu streiten, denn für ihn waren Kampf oder Unterwerfung die einzigen Alternativen. In vielen historischen Konflikten hatten lokale Milizen eine feindliche Übermacht in Schach gehalten.2

Gerade in einem alpinen Gelände, wo kein Ruhm zu gewinnen war und keine Heldengedichte in die Ewigkeit eingingen, war dies der Fall. Wenn eine Seite nicht über die Mittel für einen Angriff verfügt, ist Verteidigung die einzige Lösung. Dabei waren die Reichweite des Mannlicher-Gewehrs und die Zielgenauigkeit der Dorfmilizen ausschlaggebend. Wenn die Scharfschützen den Feind in respektvollem Abstand halten konnten, hatte die österreichische Verteidigungsstrategie eine Chance.

Strategie in Tirol ist vorerst von seinen geologischen Formationen bestimmt. Seit Beginn der Feindseligkeiten ist es eine Frage des »zuerst am Gipfel, immer am Gipfel«. Österreich besetzt und hält die Gipfel. Damit wird der Krieg zum Kampf um die Gipfel. Dazu kommt noch ein im Krieg häufig übersehener Faktor: Die Italiener kämpfen für die Ehre – und die Tiroler um ihr Leben. Dies verwandelt Bauern in Löwen.

In eisigen Höhen, wo bisher niemand an einen Krieg dachte, stehen Großvater und Enkel Seite an Seite und sterben Seite an Seite.

4

In den Jahren des späten 19. Jahrhunderts, einer Zeit ohne nennenswerte Konflikte, kamen die meisten Aspiranten zu ihren Generalssternen, indem sie den richtigen Leuten salutierten. Die wahre Prüfung ihrer Fähigkeiten kam am Tag, als die Schießerei losging. Da sie vom Gemetzel an der Front durch die Erfindung des Telefons abgeschirmt waren, hatte nun jede Armee eine Anzahl von Inkompetenten und Brutalen. Einer von ihnen, ein italienischer Oberbefehlshaber, ging ins Buch der Geschichte ein, weil er mehr seiner eigenen Leute erschießen ließ als irgendein anderer Weltkriegsgeneral.

General Luigi Graf Cadorna, ein 65-jähriger Mann aus dem Piemont, Sohn eines Generals aus der Zeit Garibaldis, war einer dieser Kommandeure, der nie die Vernichtungskraft der Waffen des 20. Jahrhunderts voll einzuschätzen wusste. Die technologischen Fortschritte in der Rüstungsindustrie hatten weitgehend die Strategie der Kriegsplaner überholt. Cadorna sah nicht die Notwendigkeit, seine strategischen Pläne daran anzupassen. Seine Strategie hatte ihre Grundlage in Julius Cäsars 2000 Jahre altem »Peninsula-Prinzip«: ein Land, umgeben von Wasser an drei Seiten, muss sich nur um seine barbarische (nördliche) Grenze kümmern.