Richard Wagner
Lohengrin
Wagners Lohengrin bezeichnet man als »große romantische Oper«, in der Wagner dem Hörer zwei grundsätzlich verschiedene Welten eröffnet. Auf der einen Seite ist es die mystische Welt des Gralsritters, die man als Verkörperung des christlichen Elements im Lohengrin bezeichnen könnte, auf der anderen trifft man auf die gegensätzliche Zauberwelt der Ortrud. Wagner hat sich mit dem Ursprung der mittelalterlichen Sage vom Schwanenritter jahrelang intensiv beschäftigt, wobei Wolfram von Eschenbachs Werk mit Sicherheit die beste Quelle für Wagners Textdichtung bot.
Richard Wagner
Lohengrin
Textbuch
Einführung und Kommentar
von Kurt Pahlen
unter Mitarbeit von Rosmarie Künig
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
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Bestellnummer SDP 45
ISBN 978-3-7957-9191-9

Originalausgabe März 1982
© 2014 Schott Music GmbH & Co. KG, Mainz
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Inhalt
7
Zur Aufführung
9
Textbuch mit Erläuterungen zu Musik und Handlung
166
Inhalt
200
Zur Geschichte des Lohengrin
235
Lohengrin: Mythos, Sagen und Wagners Quellen
246
Erklärungen und Briefstellen Wagners zu Lohengrin
260
Anmerkungen und Gedanken zu Lohengrin
279
Wagner über das Vorspiel zu seiner Oper Lohengrin
281
Wie Lohengrin zu Wagners populärster Oper wurde
284
Biographische Daten aus dem Leben Richard Wagners
307
Die Bühnenwerke Richard Wagners
Richard Wagner
Nach einer Zeichnung von E. B. Kietz, Paris (1850).
6
Zur Aufführung
TITEL
Lohengrin
BEZEICHNVNG
Oper (ursprünglich: Romantische Oper) in drei Akten,
der letzte geteilt in zwei Bilder.
Uraufführung:
28. August 1850 in Weimar
PERSONENVERZEICHNIS
Heinrich, deutscher König
(genannt »der Vogler«
oder »der Finkler«) ................................... Baß
Lohengrin, Gralsritter ................................... Heldentenor
Elsa von Brabant ............................................ lyrischer Sopran
Friedrich von Telramund,
brabantischer Graf .................................. Heldenbariton
Ortrud, seine Gemahlin ............................... Mezzosopran oder
dramatischer Sopran
Der Heerrufer des Königs .......................... Baß
Brabantische Edle ........................................ Tenöre und Bässe
Edelknaben .................................................... Soprane und Alt
Herzog Gottfried von Brabant,
Elsas Bruder ........................................... Stumme Rolle
Große Chöre: Edle und Volk aus Brabant, Thüringen und Nieder-
sachsen, Edelfrauen usw.
SCHAUPLÄTZE
Im damaligen Herzogtum Brabant (etwa dem späteren Flandem,
in und um Antwerpen).
I. Akt: Am Ufer der Schelde
II. Akt: Im Palast von Antwerpen, Hofansicht, Eingangsfront
      mehrerer Gebäude
III. Akt, 1. Bild: Brautgemach im Palast
2. Bild: dem II. Akt gleich, am Ufer der Schelde.
7
ZUR AUFFÜHRUNG
ZEIT
Der in der Oper vorkommende deutsche König Heinrich (I.) regierte von 919–36. Die erwähnten Kriege gegen die Ungarn sind historisch.
ORCHESTERBESETZUNG
3 Flöten (dritte auch Piccolo), 2 Oboen, Englischhom, 2 Klarinetten, Baßklarinette, 3 Fagotte; 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Baßtuba; ein Paar Pauken, Schlagzeug, Harfe; stark besetztes Streichorchester (wegen der vielfachen »Teilungen« des Streicherkörpers, wie Wagner sie vorsieht).
   Auf der Bühne zudem: 12–16 Trompeten, Piccoloflöte, 2 Flöten, 3 Oboen, 3 Klarinetten (in C-Stimmung), 2 Fagotte; 4 Hörner, 3 Posaunen; Pauken, Becken, Orgel, Harfe, Triangel, Glokken (auf den Ton Egestimmt), Trommeln.
SPIELDAUER
etwa 4 Stunden
8
Textbuch
mit Erläuterungen
zu Musik und Handlung
ERLÄUTERUNGEN
In mehrfachem Sinn gebührt diesem Vorspiel die Bezeichnung: erstmalig, einmalig, neuartig. Was Wagner selbst dazu bemerkte, ist auf Seite 279 dieses Buches nachzulesen. Wir haben es hier mit einem Tonstück zu tun, dem fast der Charakter eines »sinfonischen Gedichts« zuzuschreiben ist. Der Komponist »malt« in Tönen. Ja, das Wort »Malerei« hat hier sogar einen sehr konkreten Sinn, denn Wagner schreibt vom »klarsten, blauen Himmels-
äther«, den er mit den ersten Takten dargestellt habe.
Hier erhebt sich die große Frage, die jahrzehntelang, vom Lohengrin-Vorspiel ausgehend oder dieses als Zeugen berufend, die Gemüter vieler Musikliebhaber erfüllte: das »Farbenhören«. Stammen die Licht- und Farbvisionen, die den Hörer oftmals bei musikalischen Eindrücken überkommen, von der Instrumentation, der (klanglichen) »Lage« der Instrumente, der verwendeten Tonart? Das Lohengrin-Vorspiel, in A-Dur gehalten, erweckt wirklich den Eindruck, den der Komponist angibt: »blau«, himmelsblau, ätherisch, überirdisch (im wahrsten Sinne dieses Wortes: hoch über der Erde, weit von ihr entfernt). Ist dies den Violinen in höchster Lage zuzuschreiben, ihren Flageolett-Tönen, ihrer zartesten Spielweise, dem Fehlen aller tiefen (»irdischeren«) Töne, der weihevoll getragenen Melodie oder der
»hellen« A-Dur-Tonart?
(1)
Die Art der Instrumentation spielt sicher eine Rolle dabei: Wagner gibt vier einzelnen Violinen je eine Solostimme und teilt die übrigen (nach seinem Wunsche noch weit mehr als zwanzig!) in »vier gleichstark besetztePartien«. Das heißt also, daß allein die Geigen hier achtstimmig spielen! Eine kühne Neuerung von überwältigender Wirkung; daß sie als musikalische Darstellung des Grals zu gelten hat, steht wohl außer Zweifel (weshalb man
10
VORSPIEL
VORSPIEL
11
ERLÄUTERUNGEN
oft vom »Grals-Motiv« spricht). Dann verdichtet sich die Instrumentation, Holzbläser treten hinzu, später das Blech: Heldisch erstrahlt das Orchester nun, die andere Dimension des Dramas
taucht auf: Lohengrin, der Gralsritter:
(2)
Das Vorspiellenkt nach seiner äußersten Prachtentfaltung zurück in die ätherische Stimmung des Beginns, die Geigen in höchster Lage – und teilweise mit Flageolett-Klängen – schließen weltentrückt dieses Tonstück ab, dem in Wagners Schaffen ein besonderer
Stellenwert zukommt.
12
VORSPIEL
13
ERLÄUTERUNGEN
Der Vorhang geht auf, Hörner und Trompeten schmettern, die Musik ist nun »irdisch«. Von der Bühne her erklingen Fanfaren,
der Heerrufer läßt seine Stimme erschallen:
(3)
Aus der überirdischen A-Dur-Stimmung ist die Musik in das ebenfalls helle, aber gewissermaßen realere, konkretere C-Dur
gelangt.

Mit knappstem Übergang in das (noch »hellere«) E-Dur setzt der König ein, seine Ansprache berührt zwar »die Not des Reiches«, sucht aber, trotz der Ausmalung der drohenden Kriegsgefahr, Mut und
Kampfeslust der versammelten Männer anzusprechen:
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1. AUFZUG / 1. SZENE
ERSTER AUFZUG
ERSTE SZENE
(Eine Aue am Ufer der Schelde bei Antwerpen. König Heinrich unter der Gerichts-Eiche; zu seiner Seite Grafen und Edle vom sächsischen Heerbann; gegenüber brabantische Grafen und Edle, an ihrer Spitze Friedrich von Telramund, zu dessen Seite Ortrud. – Der Heerrufer ist aus dem Heerbann des Königs in die Mitte geschritten; auf sein Zeichen blasen vier Trompeter des
Königs den Aufruf)
Der Heerrufer:
Hört, Grafen, Edle, Freie von Brabant!
Heinrich, der Deutschen König, kam zur Statt,
mit euch zu dingen nach des Reiches Recht.
Gebt ihr nun Fried’ und Folge dem Gebot?
Die Brabanter:
Wir geben Fried’ und Folge dem Gebot!
(An die Waffen schlagend)
Willkommen, willkommen, König, in Brabant!
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ERLÄUTERUNGEN
(4)
Weite Strecken der Rede des Königs sind rezitativisch gehalten, hier soll vor allem das Wort deutlich werden. Trotzdem strahlt auch dieser Teil starke Dramatik aus: Trompeteneinwürfe sorgen immer wieder für die erregte Stimmung, die über diesem Aufruf liegen soll und die nun in der Entwicklung der eigentlichen Handlung
keine Unterbrechung mehr erfährt.
Der König wendet sich, von der Sorge um Brabants Einheit
bedrückt, an Friedrich von Telramund.
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1. AUFZUG /1. SZENE
König Heinrich (erhebt sich):
Gott grüß euch, liebe Männer von Brabant!
Nicht müßig tat zu euch ich diese Fahrt! (Sehr wichtig.)
Der Not des Reiches seid von mir gemahnt!
(Feierliche Aufmerksamkeit)
Soll ich euch erst der Drangsal Kunde sagen,
die deutsches Land so oft aus Osten traf?
In fernster Mark hießt Weib und Kind ihr beten:
»Herr Gott, bewahr uns vor der Ungarn Wut!«
Doch mir, des Reiches Haupt, mußt’ es geziemen,
solch wilder Schmach ein Ende zu ersinnen;
als Kampfes Preis gewann ich Frieden auf
neun Jahr’ – ihn nützt’ ich zu des Reiches Wehr:
beschirmte Städt’ und Burgen ließ ich baun,
den Heerbann übte ich zum Widerstand.
Zu End’ ist nun die Frist, der Zins versagt,
mit wildem Drohen rüstet sich der Feind.
Nun ist es Zeit, des Reiches Ehr’ zu wahren;
ob Ost, ob West, das gelte allen gleich!
Was deutsches Land heißt, stelle Kampfesscharen,
dann schmäht wohl niemand mehr das
Deutsche Reich!
Die Sachsen und Thüringer (an die Waffen schlagend):
Wohlauf! Mit Gott für Deutschen Reiches Ehr’!
König (hat sich wieder gesetzt):
Komm ich zu euch nun, Männer von Brabant,
zur Heeresfolg’ nach Mainz euch Zu entbieten,
wie mußt mit Schmerz und Klagen ich ersehn,
daß ohne Fürsten ihr in Zwietracht lebt!
Verwirrung, wilde Fehde wird mir kund;
drum ruf ich dich, Friedrich von Telramund!
Ich kenne dich als aller Tugend Preis,
jetzt rede, daß der Drangsal Grund ich weiß.
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ERLÄUTERUNGEN
Dieser tritt unter feierlichen Klängen vor, aber schon seine ersten Worte sind nach Moll gewendet. Starker Tonartenwechsel könnte (bei Kenntnis Wagnerscher Technik) auf seine innere Unsicherheit, auf die Unhaltbarkeit seiner schweren Klage gegen Elsa deuten
         – obwohl er selbst zweifellos an sein Recht glaubt.
Das Thema, das »Motiv der Anklage«, erklingt in voller Ausdehnung, als Friedrich seine Gattin Ortrud – die eigentliche Triebkraft der Handlung, die wahre Gegenspielerin Lohengrins – vorstellt, auf deren (falsches) Zeugnis er seine Beschuldigung
Elsas aufbaut:
(Fortsetzung des Notenbeispiels S. 20)
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1. AUFZUG / 1. SZENE
Friedrich (feierlich):
Dank, König, dir, daß du zu richten kamst!
Die Wahrheit künd ich, Untreu’ ist mir fremd. –
Zum Sterben kam der Herzog von Brabant
und meinem Schutz empfahl er seine Kinder,
Elsa, die Jungfrau, und Gottfried, den Knaben;
mit Treue pflag ich seiner großen Jugend,
sein Leben war das Kleinod meiner Ehre.
Ermiß nun, König, meinen grimmen Schmerz,
als meiner Ehre Kleinod mir geraubt!
Lustwandelnd führte Elsa den Knaben einst
zum Wald, doch ohne ihn kehrte sie zurück;
mit falscher Sorge frug sie nach dem Bruder,
da sie, von ungefähr von ihm verirrt,
bald seine Spur – so sprach sie – nicht mehr fand.
Fruchtlos war all Bemühn um den Verlornen;
als ich mit Drohen nun in Elsa drang,
da ließ in bleichem Zagen und Erbeben
der gräßlichen Schuld Bekenntnis sie uns sehn.
Es faßte mich Entsetzen vor der Magd;
dem Recht auf ihre Hand, vom Vater mir
verliehn, entsagt’ ich willig da und gern
und nahm ein Weib, das meinem Sinn gefiel
(Er stellt Ortrud vor, diese verneigt sich vor
dem König)
Ortrud, Radbods, des Friesenfürsten Sproß.
(Er schreitet feierlich einige Schritte vor.)
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ERLÄUTERUNGEN
(5)
Der Chor, in dieser Oper von besonderer Wichtigket, drückt – mit Mollharmonien und verminderten Dreiklängen – die Schwere der Anklage aus, die besorgte Stimmung, die sich mit Friedrich von
Telramunds Worten über die Szene gelegt hat.
20
1. AUFZUG /1. SZENE
Nun führ ich Klage wider Elsa von
Brabant; des Brudermordes zeih ich sie.
Dies Land doch sprech ich für mich an mit Recht,
da ich der Nächste von des Herzogs Blut,
mein Weib dazu aus dem Geschlecht,das einst
auch diesen Landen seine Fürsten gab.
Du hörst die Klage, König! Richte recht!
Alle Männer (in feierlichem Grauen):
Ha, schwerer Schuld zeiht Telramund!
Mit Grau’n werd ich der Klage kund!
König:
Welch fürchterliche Klage sprichst du aus!
Wie wäre möglich solche große Schuld?
Friedrich (immer heftiger):
O Herr, traumselig ist die eitle Magd,
die meine Hand voll Hochmut von sich stieß.
Geheimer Buhlschaft klag ich drum sie an:
(Immer mehr einen bitter gereizten Zustand verratend)
Sie wähnte wohl, wenn sie des Bruders ledig,
dann könnte sie als Herrin von Brabant
mit Recht dem Lehnsmann ihre Hand verwehren
und offen des geheimen Buhlen pflegen.
König (durch eine ernste Gebärde Friedrichs Eifer unterbre-
chend):
Ruft die Beklagte her!
(Sehr feierlich) Beginnen soll nun das Gericht!
Gatt laß mich weise sein!
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ERLÄUTERUNGEN
Mit Elsas Eintritt ändert sich der Charakter der Musik. Trotz Elsas sichtbarer Bedrückung verbreitet das Orchester tröstliche Zuversicht. Die Oboen und das (mit ihnen verwandte) Englischhorn stimmen ein lichtes Thema an, das nach und nach an Konsistenz gewinnt und statk ausgeprägt als Motiv von Elsas Hoffnung gelten kann, jener traumhaften (und tatsächlich einem Traum entstammenden  oder durch ihn   bekräftigten)  Gewißheit der
                      Erlösung von ungerechter Anklage:
(6)
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1. AUFZUG /1./2. SZENE
Der Heerrufer (schreitet feierlich in die Mitte):
Soll hier nach Recht und Macht Gericht gehalten sein?
König (hängt mit Feierlichkeit den Schild an der Eiche auf):
Nicht eh’r soll bergen mich der Schild,
bis ich gerichtet streng und mild!
Alle Männer (die Schwerter entblößend, welche die Sachsen
und Thüringer vor sich in die Erde stoßen, die Brabanter
flach vor sich niederstrecken):

Nicht eh’r zur Scheide kehr’ das Schwert,
bis ihm durch Urteil Recht gewährt!
Heerrufer:
Wo ihr des Königs Schild gewahrt,
dort Recht durch Urteil nun erfahrt!
Drum ruf ich klagend laut und hell:
Elsa, erscheine hier zur Stell’!
ZWEITE SZENE
(Elsa tritt auf in einem weißen, sehr einfachen Gewande; sie verweilt eine Zeitlang im Hintergrunde; dann schreitet sie sehr langsam und mit großer Verschämtheit der Mitte des Vordergrundes zu; Frauen, sehr einfach weiß gekleidet,folgen ihr, diese bleiben aber zunächst im Hintergrund an der äußersten Grenze des
Gerichtskreises.)
Die Männer:
Seht hin! Sie naht, die hart Beklagte!
Ha! Wie erscheint sie so licht und rein!
Der sie so schwer zu zeihen wagte,
wie sicher muß der Schuld er sein!
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ERLÄUTERUNGEN
Das Motiv beherrscht ihren Auftritt, ihre Begrüßung durch den
    König, ihre Anerkennung seiner richterlichen Oberhoheit.
Fast unbemerkt ist das starke Modulieren in das nun für längere Zeit vorherrschende As-Dur übergegangen – eine Tonart, die bei Wagner (vor allem wohl im zweiten Akt von »Tristan und Isolde«) die Milde und unendliche Ruhe der Nacht auszustrahlen scheint. Hier bildet sie das Fundament von Elsas Traumerzäh-
lung:
(7)
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1. AUFZUG / 2. SZENE
König:
Bist du es, Elsa von Brabant?
(Elsa neigt das Haupt bejahend.)
Erkennst du mich als deinen Richter an?
(Elsa wendet ihr Haupt nach dem König, blickt ihm ins Auge und
bejaht dann mit vertrauensvoller Gebärde.)
So frage ich weiter:
Ist die Klage dir bekannt,
die schwer hier wider dich erhoben?
(Elsa erblickt Friedrich und Ortrud, erbebt, neigt traurig das
Haupt und bejaht.)
Was entgegnest du der Klage?
(Elsa durch eine Gebärde »Nichts!«)
König (lebhaft):
So bekennst du deine Schuld?
Elsa (blickt eine Zeitlang traurig vor sich hin):
Mein armer Bruder!
Alle Männer (flüsternd):
Wie wunderbar! Welch seltsames Gebaren!
König (ergriffen):
Sag, Elsa! Was hast du mir zu vertraun?
(Erwartungsvolles Schweigen)

Elsa (ruhig vor sich hinblickend):
Einsam in trüben Tagen
hab ich zu Gott gefleht,
des Herzens tiefstes Klagen
ergoß ich im Gebet.
Da drang aus meinem Stöhnen
ein Laut so klagevoll,
der zu gewalt’gem Tönen
weit in die Lüfte schwoll:
Ich hört’ ihn fernhin hallen,
bis kaum mein Ohr er traf;
mein Aug’ ist zugefallen,
ich sank in stüßen Schlaf.
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ERLÄUTERUNGEN
Wagner ist in seinen vorhergehenden Werken (»Der Fliegende Holländer«, »Tannhäuser«) schrittweise von der Arie, dem Hauptrequisit der älteren, vor allem italienischen Oper, abgerückt. Es gibt immer weniger» geschlossene« Musikstücke in seinen Partituren, und längere Einzelgesänge sind immer fester im dramatischen Ablauf verankert. So auch hier, wo Elsas Traumvision vom rettenden Ritter dichterisch und musikalisch sich zum
    geschlossenen Musikstück – beinahe zur Arie – verdichtet.

Nach einer ersten Strophe, einem leisen Choreinsatz und des Königs Ermahnung, zur Verteidigung zu sprechen, ersteht vor
Elsa das Bild des Ritters.

Die Musik bringt das »Grals-Motiv« (Nr. 1), um dessen – von Elsa noch ungeahnte – Herkunft anzudeuten, und danach ein schärfer profiliertes neues Motiv, das der Person Lohengrins
zugeordnet erscheint:
(Fortsetzung des Notenbeispiels S. 28)
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1. AUFZUG / 2. SZENE
Alle Männer (leise):
Wie sonderbar! Träumt sie? Ist sie entrückt?
König (als wolle er Elsa aus dem Traume wecken):
Elsa, verteid’ge dich vor dem Gericht!
(Elsas Mienen gehen von dem Ausdruck träumerischen Entzückt-
seins zu dem schwärmerischer Verklärung über.)
Elsa:
In lichter Waffen Scheine
ein Ritter nahte da,
so tugendlicher Reine
ich keinen noch ersah:
ein golden Horn zur Hüften,
gelehnet auf sein Schwert –
so trat er aus den Lüften
zu mir, der Recke wert;
mit züchtigem Gebaren
gab Tröstung er mir ein;
(mit erhobener Stimme)
des Ritters will ich wahren,
(schwärmerisch)
er soll me in Streiter sein!
27
ERLÄUTERUNGEN
(8)
Das Motiv wird (nach dem vorausgehenden Streichertremolo, das Elsas Worte »In lichter Waffen Scheine ... « untermalt) von den Holzbläsern (Flöten, Oboen, Englischhorn) und mit Harfen-
begleitung gebracht.

Nach dem schwärmerischen Ausklang von Elsas Gesang setzt – in derselben Tonart und mit Elsas Traum-Motiv (Nr. 6) – der Chor ein, hörbar unter dern starken Eindruck der Vision stehend, und auch der König beginnt noch in gleicher As-Dur-Harmonie, so als
unterliege auch er dem Zauber von Elsas Traumbild.

Erst Friedrich von Telramunds energische Widerrede bringt neue Dramatik in die Handlung: Er setzt sein in vielen harten Kämpfen erprobtes Schwert gegen. Elsas träumerische Entgegnung. Das
  Orchester unterstreicht, sehr bewegt, die wachsende Spannung.
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1. AUFZUG / 2. SZENE
Alle Männer (sehr gerührt):
Bewahre uns des Himmels Huld,
daß klar wir sehen, wer hier schuld!
König:
Friedrich, du ehrenwerter Mann, (lebhafter)
  bedenke wohl, wen klagst du an?

Friedrich:
Mich irret nicht ihr träumerischer Mut;
(immer leidenschaftlicher)
ihr hört, sie schwärmt von einem Buhlen!
Wes ich sie zeih, des hab ich sichern Grund.
Glaubwürdig ward ihr Frevel mir bezeugt;
doch eurem Zweifel durch ein Zeugnis wehren,
das stünde wahrlich übel meinem Stolz!
Hier steh ich, hier mein Schwert! Wer wagt von euch
zu streiten wider meiner Ehre Preis?
Die Brabanter (sehr lebhaft):
Keiner von uns!
Wir streiten nur für dich!
Friedrich:
Und, König, du! Gedenkst du meiner Dienste,
wie ich im Kampf den wilden Dänen schlug?
König (lebhaft):
Wie schlimm, ließ’ ich von dir daran mich mahnen!
29
ERLÄUTERUNGEN
Feierlich erklingt dann des Königs Entscheid: nur ein »Gottesgericht« kann und muß die schwere Frage lösen, wo das Recht zu finden sei. Zu dieser mittelalterlichen Zeremonie erfindet Wagner ein eigenes Thema oder Motiv – energisch, sicher, bestimmt, auf Gott vertrauend:
(9)
Mit des Königs Frage an Elsa, ob sie ihr Einverständnis für das Gottesgericht gebe und wen sie als ihren Streiter hierfür aus-ersehe, kehrt die träumerisch entrückte Stimmung wieder, aus früheren Elementen – vor allem dem Motiv Nr. 6 – formt Wagner eine breit strömend Melodie, der er nach dem Zitieren vorhergehender Stellen aus Elsas Traum einen neuen, zuversichtlich festen Abschluß gibt:
(Fortsetzung des Notenbeispiels S. 32)
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1. AUFZUG / 2. SZENE
Gern geb ich dir der höchsten Tugend Preis;
in keiner andern Hut, als in der deinen,
möcht ich die Lande wissen. –
(Mit feierlichem Entschluß) Gott allein
soll jetzt in dieser Sache noch entscheiden!
Alle Männer:
Zum Gottesgericht!
Zum Gottesgericht! Wohlan!
König (zieht sein Schwert und stößt es vor sich in die Erde):
Dich frag ich, Friedrich, Graf von Telramund!
Willst du durch Kampf auf Leben und auf Tod
im Gottesgericht vertreten deine Klage?
Friedrich:
Ja!
König:
Und dich nun frag ich, Elsa von Brabant!
Willst du, daß hier auf Leben und auf Tod
im Gottesgericht ein Kämpe für dich streite?
Elsa (ohne die Augen aufzuschlagen):
Ja!
König:
Wen wählest du zum Streiter?
Friedrich (hastig):
Vernehmet jetzt den Namen ihres Buhlen!
Die Brabanter:
Merket auf!
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ERLÄUTERUNGEN
(10)
Elsas wachsende Ekstase und ihr Gelönis, dem »Gottgesandten« alle ihre Habe und sich selbst als Gemahlin zu bieten, finden auch musikalisch einen äußerst wirksamen, wiederum als arienähnlich zu bezeichnenden Abschluß in einem leuchtenden, wenn auch fraulich weichen Fortissimo des Orchesters und ihrer
eigenen Stimme.
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1. AUFZUG / 2. SZENE
Elsa (hat ihre Stellung und schwärmerische Miene nicht verlas-
sen, alles blickt mit Gespanntheit auf sie; fest):
Des Ritters will ich wahren,
er soll mein Streiter sein!
(Ohne sich umzublicken.)
Hört, was dem Gottgesandten
ich biete zur Gewähr:
In meines Vaters Landen
die Krone trage er;
mich glücklich soll ich preisen,
nimmt er mein Gut dahin –
will er Gemahl mich heißen,
geb ich ihm, was ich bin!
Alle Männer (für sich):
Ein schöner Preis,
stünd’ er in Gottes Hand!
(Unter sich)
Wer urn ihn stritt’, wohl setzt’ er schweres Pfand!
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ERLÄUTERUNGEN
Der König läßt die Vorbereitungen für den Gotteskampf treffen. In energischem Aufschwung bereiten die tiefen Streicher das Gottesgerichts-Motiv Vor, Nr. 9, das von 4 Trompeten auf der
Bühne geblasen wird.
Bei ihrem Verhallen tritt der Heerrufer vor und fordert das Erscheinen eines Kämpfers, der bereit ist, für Elsas Schuldlosigkeit
gegen Telramund in den Kampfring zu treten.
Elsa bittet den König um einen nochmaligen Ruf: Eine klagende Oboenmelodie drückt dabei ihre Sorge aus, sehr zum Unterschied zu Telramunds deutlich hörbarer Siegesstimmung. Abermals die Trompeten auf der Bühne (Motiv Nr. 9) und noch einmal die klare
Stimme des Heerrufers:
(Fortsetzung des Notenbeispiels S. 36)
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1. AUFZUG / 2. SZENE
König:
Im Mittag hoch steht schon die Sonne:
so ist es Zeit, daß nun der Ruf ergeh’ !
(Der Heerrufer tritt mit den vier Trompetern vor, die er, den vier
Himmelsgegenden zugewendet, an die aüßersten Grenzen des
Gerichtskreises vorschreiten und so den Ruf blasen läßt.)
Der Heerrufer:
Wer hier im Gotteskampf zu streiten kam
für Elsa von Brabant, der trete vor!
(Gespanntes Stillschweigen. – Elsa, welche bisher in ununter-
brochen ruhiger Haltung verweilt, zeigt entstehende Unruhe der
Erwartung.)
Alle Männer:
Ohn’ Antwort ist der Ruf verhallt!
Friedrich (auf Elsa deutend):
Gewahrt, ob ich sie fälschlich schalt?
Alle Männer:
Um ihre Sache steht es schlecht!
Friedrich:
Auf meiner Seite bleibt das Recht!
Elsa (etwas näher zum König tretend):
Mein lieber König, laß dich bitten,
noch einen Ruf an meinen Ritter! (Sehr unschuldig)
Wohl weilt er fern und hört ihn nicht.
König (zum Heerrufer):
Noch einmal rufe zum Gericht!
(Auf das Zeichen des Heerrufers rirhten die Trompeter sich
wieder nach den vier Himmelsgegenden.)
Der Heerrufer:
Wer hier im Gotteskampf zu streiten kam
für Elsa von Brabant, der trete vor!
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ERLÄUTERUNGEN
(11)
Doch auch dieser Ruf scheint ungehört Zu verhallen. Ein immer ferneres, leiseres Echo der Trompete, dann des Horns, dann nur noch dumpfe, vereinzelte Paukenschläge. Zu dunklen Posaunen-Tuba-Akkorden singt der Männerchor pianissimo sein Urteil: Gott scheint entschieden zu haben. Aber Elsa hält in höchster Not, in höchstem Glauben an ihrer Traumvision fest; Englischhorn, dann Oboe stützen mit lichten Farben ihre flehende Stimme,
die zuletzt in begeisterter Zuversicht endet.
Drei Trompeten im Orchester stimmen ganz leise wie in großr Spannung Lohengrins Motiv an (Nr. 8, Takt 4 und 5), die vielfach geteilten hohen Geigen »flimmern« wie im Vorspiel (als öffne sich der Himmel), und die dem Fluß zunächst stehenden Volksgruppen erblicken das herannahende Gefährt, den von einem Schwan         gezogenen Nachen mit dem silbergepanzerten Ritter darin.
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1. AUFZUG / 2. SZENE
Alle Männer:
In düstrem Schweigen richtet Gott!
(Elsa sinkt zu inbrüstigem Gebet auf die Knie. Die Frauen, in
Besorgnis um ihre Herrin, treten etwas näher in den Vorder-
grund.)
Elsa:
Du trugest zu ihm meine Klage,
zu mir trat er auf dein Gebot:
o Herr, nun meinem Ritter sage,
daß er mir helf’ in meiner Not!
Die Frauen (kniend):
Herr! Sende Hilfe ihr!
Herr Gott, höre uns!
Elsa (in wachsender Begeisterung):
Laß mich ihn sehn, wie ich ihn sah,
(mit freudig verklärter Miene)
wie ich ibn sah, sei er mir nah!
(Die auf einer Erhöhung dem Ufer des Flusses zunächststehenden Männer gewahren zuerst die Ankunft Lohengrins, welcher in einem Nachen, von einem Schwan gezogen, auf dem Flusse in der Ferne sichtbar wird. Die vom Ufer entfernter stehenden Männer im Vordergrunde wenden sich, zunächst ohne ihren Platz zu verlassen, mit immer regerer Neugier fragend an die dem Ufer näher Stehenden; sodann verlassen sie in einzelnen Haufen den Vor-
dergrund, um selbst am Ufer nachzusehen.)
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ERLÄUTERUNGEN
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1. AUFZUG / 2. SZENE
Chor I:
Seht! Seht! Welch ein seltsam Wunder! Wie? Ein Schwan?
Ein Schwan zieht einen Nachen dort heran!
Chor II:
Wie? Wie? Wie?
Chor I:
Ein Ritter drin hochaufgerichtet steht!
Chor II:
Was ist?
Chor I:
Ein Ritter!
Wie glänzt sein Waffenschmuck!
Chor II:
Wie, ein Schwan?
Chor I:
Das Aug’ vergeht vor solchem Glanz!
Chor II:
Wo? Vor einem Nachen?
Einen Nachen zieht er heran!
Chor I:
– Seht, näher kommt er schon heran!
(Lohengrin ist in der Biegung des Flusses rechts hinter den Bäumen dem Auge des Publikums entschwunden; die Darstellenden jedoch sehen ihn rechts in der Szene immer näher
kommen.)

Chor II:
Wen führt er? Einen Ritter!
Ein Ritter drin naht dem Strand.
Wie? Was? Seht, seht!
Ein Ritter und ein Schwan!
Seht, näher kommt er an!
Wahrlich, ein Ritter ist’s!
Welch seltsam Wunder!
Chor I:
Seht, immer näher kommt er schon heran.
An einer goldnen Kette zieht der Schwan!
Chor II:
Seht dort! dort!
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ERLÄUTERUNGEN
Ein Raunen geht durch die Menge, schwillt an, steigert sich zu mächtigster Klangentfaltung, zu dessen Orchesterbegleitung Lohengrins Motiv (Nr. 8, Takt 4 und 5) breit und strahlend alles
übertönt.
Lohengrins Ankunft ist einer der klanglichen Höhepunkte des Werks; hier kommt auch die Bedeutung des Chors zu vollster Wirkung. Sechsstimmig (Sopran, Alt, geteilte Tenöre, geteilte Bässe) wächst der Klang des vom Wunder. überwaltigten Volkes – Frauen als Begleiterinnen Elsas und Krieger – aus geheimnis-
vollstem Pianissimo in brausendsten Jubel hinein.
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1. AUFZUG / 2./3. SZENE
(Auch die letzten eilen hier noch nach dem Hintergrunde; im Vordergrunde bleiben nur der König, Elsa, Friedrich, Ortrud und
die Frauen.)
Chor II:
Seht, immer näher kommt zum Ufer er heran.
An einer goldnen Kette zieht der Schwan.
Chor I:
Seht hin, er naht!
Chor II:
Seht hin, er naht!
(Von seinem erhöhten Platze aus übersieht der König alles: Friedrich und Ortrud sind durch Schreck und Staunen gefesselt; Elsa, die mit steigender Entzückung den Ausrufen der Männer gelauscht hat, verbleibt in ihrer Stellung in der Mitte der Bühne;
sie wagt gleichsam nicht, sich umzublicken.)
Chor I und II (in höchster Ergriffenheit nach vorn stürzend):
Ein Wunder! Ein Wunder!
Ein Wunder ist gekommen,
ein unerhörtes, nie gesehnes Wunder!
Die Frauen (auf die Knie sinkend):
Dank, du Herr und Gott,
der die Schwache beschirmet!
(Hier wendet sich der Blick aller wieder erwartungsvoll nach
dem Hintergrunde.)
DRITTE SZENE
(Der Nachen, vom Schwan gezogen, erreicht in der Mitte des Hintergrundes das Ufer; Lohengrin, in glänzender Silberrüstung, den Helm auf dem Haupte, den Schild im Rücken, ein kleines goldnes Horn zur Seite, steht, auf sein Schwert gelehnt, darin. – Friedrich blickt in sprachlosem Erstaunen auf Lohengrin hin. – Ortrud, die während des Gerichtes in kalter, stolzer Haltung verblieben, gerät bei dem Anblick des Schwanes in tödlichen
Schreck. Alles entblößt in höchster Ergriffenheit das Haupt.)
41
ERLÄUTERUNGEN
Nach einem Aufschrei bleibt Elsa stumm; ihre Erregung ist zu stark, um sich in Gesang zu äußern – einfeiner psychologischer
Zug.
Langsam ebbt der Tumult abo Aus dem Orchester werden wieder die überaus zarten, fast mystisch entrückten Geigentö ne in
höchster Lage hörbar.
Dann ergreift der Ankömmling das Wort mit einer innigen Melodie des Dankes an den Schwan. Und während er noch, wie in Gebet oder Gedanken versunken, bei diesem steht (die Bedeutung des Schwans wird erst zu Ende des Werkes klar), stimmen die Chöre einen leisen Gesang an, aus früheren Elementen – vor allem des Vorspiels – melodisch entwickelt,
getragen, feierlich, von tiefstem Gefühl durchdrungen:
(12)
Mit einer leisen Trompetenfanfare wird die Handlung gewisser-maßen ins Irdische, Reale zurückgeholt. Lohengrin grüßt den
König würdevoll.
42
1. AUFZUG / 3. SZENE
Elsa (hat sich umgewandt und schreit bei Lohengrins Anblick
laut auf):
Ha!
Alle Männer und Frauen:
Gegrüßt, du gottgesandter Held!
Sei gegrüßt, du gottgesandter Mann!
(Sowie Lohengrin die erste Bewegung macht, den Kahn zu ver-
lassen, tritt bei allen sogleich das gespannte Schweigen ein.)

Lohengrin (mit einem Fuß noch im Nachen, neigt sich zum
Schwan):
Nun sei bedankt, me in lieber Schwan!
Zieh durch die weite Flut zurück,
dahin, woher mich trug dein Kahn,
kehr wieder nur zu unserm Glück!
Drum sei getreu dein Dienst getan!
Leb wohl, leb wohl, mein lieber Schwan!
(Der Schwan wendet langsam den Nachen und schwimmt den
Fluß zurück. Lohengrin sieht ihm eine Weile wehmütig nach.)
Die Männer und Frauen (flüsternd):
Wie faßt uns selig süßes Grauen!
Welch holde Macht hält uns gebanht!
Wie ist er schön und hehr zu schauen,
den solch ein Wunder trug ans Land!
Lohengrin (der das Ufer verlassen hat und langsam und feier-
lich in den Vordergrund vorgeschritten ist, verneigt sich vor
dem König):
Heil, König Heinrich! Segenvoll
mög’ Gott bei deinem Schwerte stehn!
Ruhmreich und groß dein Name soll
von dieser Erde nie vergehn!
43
ERLÄUTERUNGEN
Und ebenso feierlich antwortet dieser, noch überwältigt von dem
 Wunder, dessen Zeuge er gerade geworden ist.
Lohengrin weicht der Frage nach göttlicher Herkunft unmerklich aus und erklärt nur, »gesandt« zu sein, um gegen »schwere Klage« zu kämpfen. Er wendet sich an Elsa, die er sofort in der Menge erkennt. Sowohl seine Worte wie die Erwiderung Elsas sind durch eine stark gefühlsbetonte Melodik gekennzeichnet,
ausdrucksvoll und innig.
Das Orchester greift frühere Motive auf (vor aliem Nr. 1 und 6), als Lohengrin sich nun in eindringlicheren, aber auch zärtlicheren
Worten an Elsa wendet.
Seine Rede wird zusehends ,ernster und gipfelt in der Ermahnung, die zum Schlüsselmotiv des Werkes werden soll, im strengen Verbots-Thema, das Lohengrin zweimal singt (das zweite Mal noch
eindringlicher, um einen halben Ton höher):
(Notenbeispiel S. 46)
44
1. AUFZUG /3. SZENE
König:
Hab Dank! Erkenn ich recht die Macht,
die dich in dieses Land gebracht,
so nahst du uns von Gatt gesandt?
Lohengrin:
Zum Kampf für eine Magd zu stehn,
der schwere Klage angetan,
bin ich gesandt. Nun laßt mich sehn,
ob ich zu Recht sie treffe an!
(Er wendet sich etwas näher zu Elsa.)
So sprich denn, Elsa von Brabant:
Wenn ich zum Streiter dir ernannt,
willst du wohl ohne Bang’ und Grau’n
dich meinem Schutze anvertraun?
Elsa (die, seitdem sie Lohengrin erblickte, wie in Zauber re-
gungslos festgebannt war, sinkt, wie durch seine Ansprache
erweckt, in überwältigend wonnigem Gefühle zu seinen
Füßen):
Mein Held, mein Retter!
Nimm mich hin;
dir geb ich alles, was ich bin!
Lohengrin (mit gräßerer Wärme):
Wenn ich im Kampfe für dich siege,
willst du, daß ich dein Gatte sei?
Elsa:
Wie ich zu deinen Füßen liege,
geb ich dir Leib und Seele frei.
Lohengrin:
Elsa, soll ich dein Gatte heißen,
soll Land und Leut’ ich schirmen dir,
soll nichts mich wieder von dir reißen,
mußt eines du geloben mir:
45
ERLÄUTERUNGEN
(13)
Schneidende Bläserklänge haben hier die vorhergehende Weichheit der Streicher abgelöst, aber auch in ihnen liegt die Ahnung von
Überirdischem.
Elsa, nun ganz liebende, ja leidenschaftliche Frau, gelobt, was Lohengrin verlangt: nie zu fragen, wer er sei, noch woher er zu
ihr entsandt wurde.
Mit einem großen Orchestercrescendo zieht Lohengrin Elsa an
seine Brust, erklärt ihr seine Liebe.
Zu den pianissimo fortgesetzten Orchesterklängen drückt der Chor – in dieser Oper dramaturgisches und musikalisches Requisit höchster Wichtigkeit – sein innig angesprochenes
Mitgefühl aus.
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1. AUFZUG / 3. SZENE
Nie sollst du mich befragen,
noch Wissens Sorge tragen,
woher ich kam der Fahrt,
noch wie me in Nam’ und Art!
Elsa (leise, fast bewußtlos):
Nie, Herr, soll mir die Frage kommen!
Lohengrin (gesteigert, sehr ernst):
Elsa! Hast du mich wohl vemommen?
(Noch bestimmter)
Nie sol1st du mich befragen,
noch Wissens Sorge tragen,
woher ich kam der Fahrt,
noch wie mein Nam’ und Art!
Elsa (mit großer Innigkeit zu ihm aufblickend):
Mein Schirm! Mein Engel! Mein Erlöser,
der fest an meine Unschuld glaubt!
Wie gäb’ es Zweifels Schuld, die größer,
als die an dich den Glauben raubt?
Wie du mich schirmst in meiner Not,
so halt in Treu’ ich dein Gebot!
Lohengrin (Elsa an seine Brust erhebend):
Elsa, ich liebe dich!
(Beide verweilen eine Zeitlang in der angenommenen Stellung.)
Die Männer und Frauen (leise und gerührt):
Welch holde Wunder muß ich sehn?
Ist’s Zauber, der mir angetan?
Ich fühl das Herze mir vergehn,
schau ich den hehren, wonnevollen Mann!
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