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Georg Fischer

Wege in die Bibel

Leitfaden zur Auslegung

Unter Mitarbeit von
Boris Repschinski
und Andreas Vonach

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5., durchgesehene Auflage 2019

eISBN 978-3-460-51068-5

Alle Rechte vorbehalten

Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Vorwort

Vorwort zur 3. Auflage

TEIL IEin eigener Weg zur Bibel

Einführung

Bewusstwerdung

1.Kapitel: Textwahrnehmung

1.1Annäherung

1.1.1Abgrenzung und Kontext

1.1.2Textkritik

1.1.3Übersetzung

1.2(Gesamt-) Gestalt

1.2.1Aufbau

1.2.2Bewegung

1.3(Fein-) Gestaltung

1.3.1Gefüge

1.3.2Künstlerischer Ausdruck

1.4Gehalt

1.4.1Inhalt

1.4.2Werthaltungen

2.Kapitel: Textdeutung

2.1Vorgehensweisen

2.1.1Beobachten

2.1.2Sammeln und Sichten

2.1.3Vergleichen und Unterscheiden

2.1.4Benennen

2.1.5Bewerten

2.1.6Empfinden und Fühlen

2.1.7Deuten

2.1.8Erster Entwurf

2.2Dialog

2.3Eigene Auslegung

Rückblick

TEIL IIVielfalt exegetischer Methoden

3.Kapitel: Von den Anfängen bis zur Moderne − ein Methodenüberblick (A. Vonach)

3.1Traditionelle Weisen der Auslegung

3.1.1Frühformen der Schriftinterpretation

3.1.2Die frühen Rabbinen

3.1.3Die frühchristliche Bibelauslegung

3.1.4Die jüdische Exegese des Mittelalters

3.1.5Christliche Exegese im Mittelalter

3.1.6Die jüdische Exegese der Neuzeit und Moderne

3.1.7Tendenzen christlicher Exegese in der Neuzeit

3.2Moderne und postmoderne Ansätze

3.2.1Literaturwissenschaftlich geprägte Ansätze

3.2.2Leserorientierte Ansätze

3.2.3Kultur- und sozialhistorisch geprägte Ansätze

4.Kapitel: Die historisch-kritische Methode (B. Repschinski)

4.1Formanalyse

4.2Gattungsanalyse

4.3Überlieferungskritik und Literarkritik

4.3.1Umgang mit Quellen

4.3.2Das synoptische Problem

4.4Redaktionskritik

5.Kapitel: Neuere Ansätze der Auslegung

5.1Neuere Literarkritik (B. Repschinski)

5.1.1Narrative Analyse

5.1.2Rhetorische Analyse

5.1.3Intertextualität

5.1.4Strukturalismus

5.1.5Analyse im Filmblick

5.2Kontextuelle Bibelauslegung

5.2.1Feministische Exegese (A. Vonach)

5.2.2Befreiungstheologische Exegese (A. Vonach)

5.2.3Psychologische Schriftauslegung (B. Repschinski)

5.2.4Sozialwissenschaftliche Analyse (B. Repschinski)

6.Kapitel: Geschichtswissenschaftlich geprägte Zugänge (A. Vonach)

6.1Biblische Archäologie

6.2Geschichte Israels

6.3Religionsgeschichte der biblischen Länder und ihrer Umwelt

6.4Der Beitrag anderer historisch orientierter Wissenschaften

Rückblick

TEIL IIIZum Verstehen von Texten

7.Kapitel: Texte als sprachliche Kommunikation

7.1Sprache und Schrift

7.1.1Sprachen als Zeichensysteme

7.1.2Der Wechselbezug von Sprache und Leben

7.1.3Entscheidungsprozesse bei der Sprachverwendung

7.1.4Von der Sprache zur Schrift

7.1.5Die Eigenart schriftlichen Ausdrucks

7.1.6Schrift und Rede

7.2Texte und Kommunikation

7.2.1Was ist ein Text?

7.2.2Grundlagen der Kommunikation mit Texten

7.2.3Weitere Aspekte textlicher Kommunikation

7.3Lesen, Verstehen, Auslegen

7.3.1Die Adressaten

7.3.2Deuten von Texten

7.3.3Voraussetzungen für Verstehen und Deuten

8.Kapitel: Grundlagen biblischer Auslegung

8.1Die Eigenart der Bibel

8.1.1Die Bibel als Wort Gottes

8.1.2Die Bibel als Schriftensammlung von Gemeinschaften

8.1.3Kanon: Festlegung verbindlicher Schriften

8.2Zum Lesen der Bibel für Glaubende

8.2.1Die Bibel ist Zeichen Gottes für alle Zeit

8.2.2Im Geist geschrieben und zu lesen (DV 12)

8.2.3Der Bezug zur Gemeinschaft

8.2.4Die Früchte des Bibellesens

8.3Die Rolle der Exegese in der Theologie

8.3.1Exegese als zentrale theologische Wissenschaft

8.3.2Die Beziehungen zu anderen Wissenschaften

8.3.3Ziele der Exegese

9.Kapitel: Vom Wort zum Text − Bausteine und Dimensionen

9.1Wort − Satz − Text

9.1.1Die Ebene der Wörter

9.1.2Die Ebene der Sätze

9.1.3Die Ebene des Textes

9.2Die Abbildung der Welt im Text

9.2.1Der Umgang mit der Zeit

9.2.2Die Darstellung des Raumes

9.2.3Der Bezug zur ‚Wirklichkeit‘

Rückblick

TEIL IVBibel studieren − Bibel leben

10.Kapitel: Das Studium der Bibel

10.1Vorlesungen und Prüfungen

10.2Der Umgang mit der Literatur

10.3Eigenes Arbeiten und Forschen

11.Kapitel: Die Bibel in der pastoralen Praxis

11.1Wege der Aktualisierung

11.2Arbeit mit Bibelgruppen

11.2.1Methode Lumko − Sieben Stufen

11.2.2Methode Bludesch − Fünf Fragen

11.2.3Das Amos-Programm

11.2.4Weitere Methoden

11.3Schwierigkeiten mit der Bibel

11.3.1Harte Gottesvorstellungen

11.3.2Feinde und Gewalt

11.3.3Zur Geschichtlichkeit der Bibel

11.3.4Die Beziehung zwischen AT und NT

11.3.5Einige Regeln

12.Kapitel: Die Bibel im Alltag

12.1Persönliche Schriftlesung

12.1.1Geistliche Lesung − Lectio divina

12.1.2Ignatianische Schriftbetrachtung

12.2Beten mit der Bibel

12.3Erfahrungswerte

12.4Reisen in biblische Länder (A. Vonach)

Zum Ausklang

Teil VAnhänge

Anhang 1:Auflösung der Übungen

Kapitel 1

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 7

Kapitel 9

Kapitel 10

Anhang 2:Raster für Analysen

2/1 Eigene Erarbeitung ganzer biblischer Bücher

2/2 Einfaches Schema für Erzählanalyse

2/3 Raster für die Auslegung von Psalmen

Anhang 3:Zeitrahmen (A. Vonach)

Anhang 4:Hinweise für ausführlichere Textuntersuchungen

Hilfsmittel zur Literatursuche und -bewertung (B. Repschinski)

Die Bibel am Computer (B. Repschinski)

Anhang 5:Umschriften

Hebräische Umschrift

Griechische Umschrift

Anhang 6:Glossar (A. Vonach)

Anhang 7:Literaturliste

Texte

Übersetzungen

Hilfsmittel

Anhang 8:Bibelstellenregister

Anhang 9:Stichwortverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

ÄE

Äußerungseinheit

ao

altorientalisch

AT

Altes Testament

BHS

Biblia Hebraica Stuttgartensis

BHSt

BHS transcripta → S. 187

c

Kapitel

dtrG

Deuteronomistisches Geschichtswerk*

DV

Dei Verbum

E

Empfänger

ELB

Elberfelder Bibel

Einheitsübersetzung

f

folgend(e)

griech.

griechisch

hebr.

hebräisch

hg./Hg.

herausgegeben, Herausgeber

Jh.

Jahrhundert

Kap.

Kapitel

KN

Kommunikationsniveau

lat.

lateinisch

LXX

Septuaginta*

MT

Masoretischer* Text

n

Anmerkung

NT

Neues Testament

ntl.

neutestamentlich

P.

Person

par

parallel (bei Synoptikern*)

Pl.

Plural

Q

(Logien-) Quelle; mit Zahl: Qumran

S

Sender

S.

Seite

Sing.

Singular

v

Vers(e)

siehe

*

Verweis auf Glossar → S. 183 ff

„Selig der Mensch, der …
an Jahwes Weisung sein Gefallen hat und
über seine Weisung
nachsinnt bei Tag und bei Nacht!“
(Ps 1,1f)

Vorwort

Am Anfang der Beschäftigung mit der Bibel fühlen sich viele hilflos: Kann ich diese alten Texte wirklich verstehen? Wie gelange ich zu einer richtigen Auslegung? Gibt es Weisen, die den Zugang zum Wort Gottes auch einem Nicht-Fachmann − diese und andere Anreden im Buch sind nicht geschlechtsspezifisch gemeint − erschließen?

Solche und ähnliche Fragen bewegen Menschen, wenn sie intensiver die Bibel lesen wollen, sei es für sich persönlich, sei es in der pastoralen Arbeit, sei es an einer Universität. Für sie wollten wir jenes Buch schreiben, das wir selber gerne am Beginn unserer Beschäftigung mit der Bibel gehabt hätten.

Die Freude und Kraft, die wir selbst mit dem Wort Gottes erfahren haben, bewegte uns, diese auch anderen mitzuteilen. Nach Jahren des Wartens und Überlegens wagen wir nun, aus unserer Sicht grundlegende Schritte, Unterscheidungen und Informationen in knapper Form zu präsentieren. Wer sind ‚wir‘? Wir alle sind Mitarbeiter der Biblischen Abteilungen an der Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck. Zu Grundausbildungen an deutschsprachigen Fakultäten kommen Spezialstudien in Jerusalem bei Andreas Vonach, in Chicago bei Boris Repschinski, und in Rom, am Päpstlichen Bibelinstitut bei Georg Fischer hinzu, sowie das Unterrichten der Bibel in verschiedenen Ländern Asiens, Amerikas, Afrikas und Europas; diese internationale Weite und Offenheit hat uns tief geprägt und ist auch Basis für unser Buch.

Eine weitere gemeinsame Grundlage ist die Überzeugung der Zusammengehörigkeit von AT und NT. Sie wirkt sich in der Zusammenarbeit des Neutestamentlers Boris Repschinski mit zwei Alttestamentlern aus. Das ganze Buch ist Frucht eines gemeinschaftlichen Prozesses über lange Zeit. Die Namen der Mitarbeiter im Inhaltsverzeichnis verweisen auf sie als jeweils verantwortliche Autoren.

Was können Leser in diesem Leitfaden erwarten? Unser Hauptziel ist, mit Teil I einen eigenen Weg der Auslegung vorzustellen, den prinzipiell alle selbständig gehen können. Er soll zusammen mit Teil II, der eine geordnete Übersicht über die Vielfalt der exegetischen Methoden einschließlich neuer Zugänge gibt, Orientierung gewähren in der unüberschaubar gewordenen Fülle von Auslegungsweisen, die nicht nur für Laien fast einem Dschungel gleicht.

Die Hintergründe und Zusammenhänge für diesen eigenen Weg und die Methodenfülle möchte Teil III erklären; er ist anspruchsvoll, weil er auch theoretische Fragen behandelt. Zugleich aber stellt er die notwendige wissenschaftliche Grundlage für die übrigen Teile dar. Dabei erhalten auch die Eigenart der Bibel und die Beziehung mit dem Glauben in Kap. 8 eigene Aufmerksamkeit.

Das Bemühen, dass die Ausführungen praktisch und anwendbar sind, hat uns immer bewegt. Teil IV geht noch eigens auf drei Gebiete ein: das Umfeld des Studiums, die pastorale Arbeit und den persönlichen Umgang mit dem Wort Gottes. Diese Hinweise stammen aus der Erfahrung und sollen für die Praxis dienen. Die Anhänge in Teil V stellen dazu weitere wesentliche und brauchbare Informationen zusammen.

Der Weg des Verstehens von Texten weist viele Ähnlichkeiten mit anderen Prozessen der Wahrnehmung auf. Deswegen wollten wir diese Parallelen sowohl bei der Darlegung der Methoden erwähnen als auch grafisch anschaulich machen. Dafür hat Mag. art. Elke Staller eine Reihe von Bildern gezeichnet, die Lesenden das Erfassen der entscheidenden Momente der Wahrnehmung bei den einzelnen Schritten oder Methoden erleichtern sollen. Zusätzlich hat Mag. Mira Stare manche Zusammenhänge in Diagrammen verdeutlicht; alle mit Ausnahme der Schaubilder 3-5 und 7-10 stammen von ihr. Ihnen beiden gilt dafür unser herzlicher Dank. Wir hoffen, damit die Beziehung zwischen dem Auslegen der Bibel und sonstigen Vorgängen des täglichen Lebens aufzuzeigen und so die Schritte beim Verstehen biblischer Texte transparenter zu gestalten.

Dieses Buch ist nicht vollständig, es kann es auch nicht sein. Wir haben ausgewählt, was sich bewährt hat, und wollten dies in knapper Form vorlegen. So ist die Mitarbeit von Ihnen als Lesenden gefragt. Dafür finden Sie wiederholt Beispiele und Übungen, die Ihnen helfen, das Erarbeitete zu überprüfen und anzuwenden. Weil wir die Darlegung so einfach wie möglich zu machen versuchten, haben wir oft auf Details oder längere Ausführungen verzichtet; die teilweise kommentierte Literaturliste in Anhang 7 öffnet zusammen mit den Hinweisen in den jeweiligen Kapiteln den Zugang zu weiterführender und speziellerer Literatur.

Wenn Ihnen dieser Leitfaden in solcher Weise als Orientierungs- und Arbeitsbuch dient und Ihnen hilft, selber besser die Heilige Schrift zu verstehen, dann erfüllt sich unser Bestreben. Dabei danken wir besonders auch Frau Isolde Faeth und Herrn Wolfgang Hein vom Verlag Katholisches Bibelwerk, die durch ihre Erfahrung in Layout und Lektorat vieles geklärt, schön gestaltet und verbessert haben. Unser Dank gilt auch Bernhard Heindl SJ und Clemens Sedmak für ihre wertvollen Hinweise.

Widmen wollen wir unser Buch all denen, die uns den Zugang zur Bibel eröffnet haben. Am Ende bleibt uns, Ihnen Freude mit diesem Buch, mehr aber noch mit dem Wort Gottes zu wünschen.

Innsbruck, im April 2000

Boris Repschinski SJ
Andreas Vonach
Georg Fischer SJ

Vorwort zur 3. Auflage

Die erfreuliche Aufnahme dieses in vielerlei Hinsicht besonderen Methodenbuches hat nun zu einer dritten Auflage geführt, auch dank des Einsatzes von Lektor Tobias Dulisch. Abgesehen von Korrekturen einiger Druckfehler wurde sie bei Literatur, Umgang mit dem Computer, u. a. auf den aktuellen Stand gebracht und in Manchem (Seitenverweise, Umschrifttabellen, …) noch benutzerfreundlicher gemacht. Möge dieses Buch so weiterhin Vielen helfen, Gottes Wort tiefer zu verstehen!

Innsbruck, im April 2008

Georg Fischer SJ

TEIL I

Ein eigener Weg zur Bibel

Einführung

Texte sind Geschenke. Sie sind Mitteilung einer Person an uns als Adressaten. Für Geschenke bedarf es der Wertschätzung, die sich richten kann auf die Beziehung oder auch auf den Inhalt. Dies gilt in noch vertieftem Maß für biblische Texte als göttliche Mitteilung. Wertschätzung gilt ihnen Gottes wegen und auch aufgrund der jahrtausendelangen Tradition ihrer Überlieferung. Zugleich aber ist ihr Inhalt für das Empfinden mancher Menschen heute fremd, alt. Sie brauchen Hilfen und Wege, diese Distanz zwischen dem Denken der Gegenwart und früheren Ausdrucksweisen zu überwinden. Ein biblischer Schlüsseltext dazu ist Apg 8,30−31. Philippus fragt den äthiopischen Beamten: „Verstehst du auch, was du liest?“, und dieser antwortet: „Wie könnte ich es denn, wenn mich nicht jemand anleitet?“ Im Griech. bedeutet das Wort für ‚anleiten‘ wörtlich „auf dem Weg führen“. Das ist das Anliegen dieses ersten Teiles.

Der hier vorgeschlagene Weg soll vor allem die Fähigkeit zu selbständigem Lesen, Verstehen und Auslegen fördern. Dies gilt zunächst für die Bibel, doch lassen sich viele Schritte auch für andere Texte verwenden. Hier besteht eine enge Verwandtschaft mit den Literaturwissenschaften.

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Die beiden Kap. 1 − Textwahrnehmung und 2 − Textdeutung wollen auf nachvollziehbare Weise einen eigenen und sicheren Zugang zu biblischen Texten öffnen. Darin geschieht Exegese*, wörtlich vom Griech. ‚auseinanderlegen‘: Die einzelnen Untersuchungsschritte entfalten das in einem Text verdichtet Ineinandergelegte.

Die Abfolge der Schritte im 1. Kap. möchte ein Modell vorgeben, das sich vielfach bewährt hat. Dieser Weg beginnt bei der Annäherung an den Text (1.1) und zieht sich weiter über die drei Hauptaspekte (Gesamt-) Gestalt (1.2), (Fein-) Gestaltung (1.3) und Gehalt (1.4), mit je zwei Untersuchungsschritten (Diagramm 1). Der Unterschied zwischen 1.2 und 1.3 liegt in der Blickweise: Bei Gestalt ist der Gesamttext im Blick; bei Gestaltung erhalten Details und kleinere Elemente die Aufmerksamkeit. Es geht bei allen diesen Schritten um den ganzen Text, doch ändert sich die Perspektive, mit der er betrachtet wird.

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Diagramm 1

Bei der Vorstellung finden sich jeweils

zuerst eine Art Steckbrief zur Orientierung, bei dem gleichbleibend zu wichtigen Gesichtspunkten kurze Informationen in Stichworten als Anleitung und Überblick gegeben werden, mit einem Bild als Wahrnehmungsparallele;

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dann Beispiele zur Veranschaulichung, ausgewählt aus Exodus 3−4 im AT und Lukas 4,14−30 im NT;

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anschließend Diskussion und Ergänzungen, wobei problematische Punkte angesprochen und weitere wesentliche Aspekte hinzugefügt werden;

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schließlich eine Übung, die helfen soll, das Dargelegte eigenständig anzuwenden und so zu sehen, ob der Weg richtig erkannt worden ist; die Auflösungen dazu stehen ab S. 173;

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gelegentlich Hinweise auf weiterführende oder hilfreiche Literatur. Diese Angaben sind sehr sparsam und beziehen sich oft auf nur einen Aspekt zuvor; das gilt auch für die anderen Teile des Buches. Mehr Literatur ist zu finden in der Liste im Anhang 7.

Die Vorstellung dieser einzelnen Schritte ist knapp, exemplarisch und auf das Wichtigste beschränkt. Sie möchte Impulse und Orientierung geben sowie einen Weg vermitteln, den jeder selbst gehen kann.

Noch ein Wort zu den Steckbriefen: Sie dienen sowohl für die Schritte in Kap. 1 als auch für die Methoden in Kap. 4−6 zu einer Kurz-Charakterisierung der jeweiligen Eigenart. Dabei informieren Aufgabe und Sinn über das Anliegen der entsprechenden Untersuchungsweise. Wahrnehmungsparallelen sprechen Zusammenhänge mit unserem sonstigen Erkennen an; das Analysieren von Texten hat nämlich viele Ähnlichkeiten mit anderen Formen des Wahrnehmens. Zusätzlich versuchen Bilder diese Verbindung anschaulich und einprägsam zu machen. Das überwiegend verwendete Motiv dazu stammt von einem Barockhaus aus der Innstraße in Innsbruck.

Kriterien zeigen dann die entscheidenden Gesichtspunkte, auf die es bei der Untersuchung ankommt. Sie führen so in die Methodik des Vorgehens ein. Anwendung verweist auf Bereich, Durchführbarkeit und Voraussetzungen, die für die jeweilige Methode gelten. Schwierigkeiten benennt häufiger sich stellende Probleme; diese erfahren unter ‚Diskussion und Ergänzungen‘ nach den Beispielen eine Fortführung und teilweise auch Vertiefung. Schließlich lässt Ergebnis den zu erwartenden Ertrag, die Früchte des untersuchenden Bemühens in den Blick kommen. Diese bei allen Methoden gleich durchgehaltenen Gesichtspunkte sollen zu einem raschen Erkennen des Wichtigen führen, während die weiteren Ausführungen dies dann breiter entfalten. Wer sich einmal vertraut gemacht hat mit diesen vier Schritten, kann mit ihnen die wesentlichen Aussagen einer Bibelstelle in relativ kurzer Zeit entdecken. Für dieses mehrfache Lesen genügen dann wenige Stunden, um ein dem Text nahekommendes Bild zu gewinnen. Zugleich aber kann derselbe Weg viel genauer gegangen werden: Wenn die Aufmerksamkeit sich auf die vielen Verbindungen und auch die kleinen Details richtet sowie wissenschaftliche Präzision anstrebt, dann können diese Untersuchungen zusammen mit dem Deuten von Kap. 2, das die Schritte von Kap. 1 in eine Gesamtinterpretation zusammenfasst, ebenso Wochen oder Monate dauern.

Es wäre falsch, einen dieser Schritte oder auch den gesamten Weg der Auslegung im Sinn einer chemischen Formel oder eines Kochrezeptes als rein technische Anweisungen zu verstehen, die eine Maschine ausführen könnte. Jeder Schritt der Wahrnehmung verlangt Personen als Ausführende, Menschen mit ihrer je eigenen Beobachtungsfähigkeit und einem möglichst feinen Gespür.

Noch mehr gilt das für die Textdeutung in Kap. 2, das vor allem für jene gedacht ist, die sich, etwa für eine Seminar- oder Diplomarbeit, länger mit einem Text auseinander setzen müssen. Gerade für sie ist die Unterscheidung zwischen Wahrnehmung und Deutung eines Textes wesentlich, auch wenn grundsätzlich viele Beobachtungen von vornherein gedeutet werden. Doch verlangt eine verantwortliche Exegese deren Auseinanderlegen (vgl. Bild) und somit ihre Trennung.

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Das 2. Kap. verweist zuerst nochmals auf die Bewusstwerdung (siehe hier unten, anschließend) zurück und lenkt so das Interesse auf Ausgangspunkt und Voraussetzungen der eigenen Deutung. Nach der Klärung dieser Grundlagen kann in den drei Schritten Vorgehensweisen (2.1), Dialog (2.2) und eigene Auslegung (2.3) dem Ziel eines selbständigen Verstehens nahegekommen werden.

Gerade der zweite Punkt Dialog, in dem es um das Gespräch mit anderen Personen geht, entweder im direkten Austausch oder indirekt über deren Veröffentlichungen, wehrt einer isolierten oder gar individualistischen Auslegung. Das Verstehen biblischer Texte erfolgt in großem Maß innerhalb einer sehr langen und breiten Tradition, die bereits viel Wertvolles und Richtiges erbracht hat. Es lohnt sich, ihre guten Früchte zu kennen.

Wer selber den Weg durch die Schritte des 1. Kapitels gegangen ist, wird mit offeneren Augen und besserem Verständnis andere Deutungsversuche lesen und schätzen können. Die eigene Vertrautheit mit dem Text ist die Basis, auf der erst Auslegungen des Textes durch andere sinnvollerweise angesehen werden. Die Abkürzung, sich die Deutung gleich von anderen in Gesprächen oder ihren Artikeln bzw. Büchern vorgeben zu lassen, macht abhängig und kann die Chance verbauen, persönlich in je eigener Weise vom biblischen Text bereichert zu werden. Bibellesen ist so alt wie die Bibel selbst. So haben sich im Lauf der Zeit auch gebräuchliche Weisen des Lesens, Methoden* (vom griech. ‚Nach-Weg, Nachgehen‘), entwickelt. Meistens waren sie von besonderen Interessen bestimmt oder durch wissenschaftliche Standpunkte geprägt und haben teils großen Einfluss gewonnen.

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Im II. Teil wollen wir auf die wichtigsten und verbreitetsten dieser Zugänge eingehen. Dabei kommen sowohl traditionelle Weisen des Bibellesens (3. Kap.) als auch die in der historisch-kritischen* Exegese verwendeten Methoden (4. Kap.) und ebenso neuere Ansätze zur Sprache (5. und 6. Kap.).

Wenn im folgenden gelegentlich griechische oder sogar hebräische Zeichen erscheinen, so geschieht das wegen der gewünschten Genauigkeit. Es soll in keinem Fall abschrecken. Immer wird auch die deutsche Bedeutung mit angegeben, und die Erklärung ist ebenso zu verstehen ohne Kenntnis dieser alten Sprachen.

Manche der im 1. Kap. (und auch in Teil II) angegebenen Untersuchungsweisen verlangen zu einer präzisen Durchführung die Arbeit am Text in der Originalsprache. Wer sie beherrscht, kann alle Schritte der Reihe nach vollziehen. Wem diese alten Sprachen unbekannt sind, der möge bitte vor allem bei 1.1.2, 1.1.3 und 1.3 die Hinweise bei Anwendung beachten. Mit jenen Einschränkungen kann auch eine des Griechischen oder Hebräischen nicht kundige Person sinnvoll diesen Weg der Auslegung beschreiten. Das Diagramm 2 zeigt die entsprechenden Schritte bei Verwendung einer Übersetzung.

Bevor der Weg zur Auslegung nun frei wird, sei noch der Standort bedacht: Von der Einstellung zu Beginn als dem Ausgangspunkt hängt das weitere Gehen ab. Zur Reflexion darauf mag auch der folgende Abschnitt Bewusstwerdung helfen. Interesse, Offenheit und Wertschätzung gegenüber den Texten sind ausgezeichnete Voraussetzungen für eine fruchtbare Beschäftigung mit ihnen.

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Diagramm 2

Das Hauptgebot im Deuteronomium heißt „Höre, Israel!“ (Dtn 6,4). In dieser Haltung des Hörens öffnen sich biblische Texte leichter. Wer ihnen Aufmerksamkeit schenkt, Fragen an sie stellt, wird mit Freude entdecken, dass sie vieles und Tiefes, auch Neues und Schönes zu sagen haben.

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Bewusstwerdung

Jede Person, die einen Text auszulegen beginnt, trägt teils auch unbewusst viele Prägungen und Vorentscheidungen in sich. Sie zu erkennen ist unerlässlich für eine dem Text gerecht werdende Deutung und ebenso für eine wissenschaftliche Interpretation. Letztere steht ja unter dem Anspruch, dass sie das eigene Vorgehen reflektiert sowie ihre Deutungen bewusst und begründet vornimmt.

Die Bewusstwerdung richtet sich vor allem auf drei nie auszulassende Momente: die Person der Auslegenden; das Umfeld, innerhalb dessen die Deutung erfolgt; der Text selbst.

Die ganze Person der Auslegenden ist mitbeteiligt am Vorgang der Deutung, mit Standpunkt, Zielen, Absichten, Haltungen, Geschlecht (Frau, Mann), Religionszugehörigkeit, Vorurteilen …

Die Bewusstwerdung richtet sich auf

Person

Umfeld

Text

„Selig ihr Armen“ (Lk 6,20) klingt anders für hungernde, ausgebeutete Menschen als für vom Reichtum Übersättigte. So wird die Bibel verschieden wahrgenommen aus der Sicht lateinamerikanischer Befreiungstheologie, aus der Sicht der westlichen Wohlstandswelt oder aus der Sicht asiatischer Min-jung-Theologie. Je nach Standpunkt verändert sich die Wahrnehmung.

Gleiches gilt für die Interessen und Ziele, mit denen ich an einen Text herangehe. Was ich suche, bestimmt mit darüber, was ich bemerke. Die Entscheidung, die Zahl der Buchstaben oder die historische Entstehung oder die inhaltliche Botschaft zu untersuchen, führt zu je entsprechenden Resultaten.

Ähnliches trifft auch für all die anderen Faktoren wie Absicht, Haltungen, persönliche Situation usw. zu, die sich mit dem Auslegen verbinden. Sie alle beeinflussen ebenso wie die eigenen Kenntnisse, Defizite und Schwerpunkte die Deutung. Manche Menschen sind z. B. in Traurigkeit nicht in der Lage, einen biblischen Text aufzunehmen, andere wiederum sind gerade dann besonders offen und dankbar dafür. Einige verwenden die Bibel, um ihre eigene Belesenheit und Schriftbewandtheit zu zeigen, andere zum Trösten und Aufbauen. Grundsätzlich ist auch die Stellung in bzw. zu einer Gemeinschaft für die Deutungen entscheidend; dazu mehr in Teil III.

Auch wenn Lesen und Verstehen eines Textes zunächst oft eine Person alleine betreffen, so kommen doch beim Auslegen und Deuten noch weitere Aspekte in den Blick. Das soziale und zeitliche Umfeld beeinflusst jede Person bei ihrer Interpretation. Dabei spielen auch mögliche Adressaten eine ganz wichtige Rolle.

Für wen ich auslege hat Einfluss auf die Auswahl dessen, was ich suche, sowie darauf, was und wie ich es sage. Die Teilnehmer an einem Gottesdienst erwarten anderes als exegetische Fachkollegen, Kinder anderes als Erwachsene. So hat sich die Deutung auch nach dem Zielpublikum zu richten, ihre Vorbildung, Bedürfnisse und Interessen ernst zu nehmen. Zugleich ist die Auslegung oft geprägt durch Erfahrungen mit der Gemeinschaft, durch deren Werte und durch die Vorstellungen der jeweiligen Zeit. Viele gesellschaftlich geprägten Ansätze in der Schriftauslegung der Gegenwart (→ Kap. 5) tragen dem Rechnung.

Je nach Standpunkt verändert sich die Wahrnehmung.

Schließlich ist sich dessen bewusst zu werden, dass in der Bibel ein fremder Text als Mitteilung an uns ergeht. Wir Menschen des dritten Jahrtausends sind nicht die Erstadressaten, die ihre Autoren beim Schreiben vor Augen hatten. Viele der in ihr enthaltenen Aussagen sind uns aufs erste fern, in einem scheinbar weiten Abstand zu unserer Zeit und deren Fragen.

Dieses Moment der Distanz soll und darf nicht vorschnell zur Seite geschoben werden. Auch fehlen uns oft viele Informationen oder Hintergründe, die sehr hilfreich zur Deutung der Texte wären, ebenso wie Menschen, die noch kompetent, aus eigener Sprachbeherrschung, den Sinn mancher Formulierungen in den Originalsprachen zuverlässig klären könnten. So bleibt ein Element der Fremdheit trotz aller Bemühungen immer bestehen.

Wichtige Fragen am Beginn:

Was ist mein Standpunkt?

Was suche ich?

In welchem Umfeld und

für wen geschieht meine Auslegung?

Anderseits aber sind diese Texte Mitteilungen, geschrieben mit der Absicht der Kontaktaufnahme und Weitergabe. So gilt es auch für Lesende heute, sich hineinnehmen zu lassen in diese Beziehung und ungeachtet des Abstandes dennoch zu hören, was sie uns zu sagen haben.

imageBeispiel

Jesu Verkündigung in Nazaret (Lk 4) klingt anders für jemand, der sich etwa als Kirchenbesucher in der Rolle eines gläubigen Zuhörers sieht, als für eine Person, die selber wiederholt predigen muss. Je nach Standpunkt erfolgt eine erste unbewusste Identifizierung mit den Synagogenbesuchern oder mit Jesus. Die Auslegung von Lk 4 gewinnt im heutigen Umfeld des Elends eines großen Teils der Menschheit und des Widerstandes gegen kirchliche Verkündigung neue Brisanz. Jesu Botschaft erweist sich auch in der Gegenwart als äußerst aktuell.

1. Kapitel

Textwahrnehmung

Ähnlich wie bei menschlichen Begegnungen gibt es auch bei Texten anfangs eine Phase des Nahekommens. Sie hilft zu einer ersten Vertrautheit und macht mit wichtigen Merkmalen bekannt.

1.1Annäherung

Die anfängliche Begegnung mit dem Text soll zu einem möglichst genauen, zutreffenden Bild von ihm führen.

Wer die Originalsprachen Griechisch oder Hebräisch nicht versteht, möge die Übersetzung langsam, aufmerksam lesen und 1.1.1 Abgrenzung und Kontext auszuführen versuchen. Manche Anmerkungen in der Bibel und der evtl. Vergleich mit einer anderen Übersetzung lassen zusätzliche Momente am Text erfassen.

Wer dagegen in der Originalsprache den Text untersuchen kann, vermag nach der Abgrenzung mit dem zweiten Schritt (1.1.2 Textkritik) eine gesicherte Textbasis zu erstellen und bei der eigenen Übersetzung (1.1.3) in intensiven Kontakt damit zu treten.

1.1.1Abgrenzung und Kontext

Aufgabe und Sinn

Grenzen und Einfügung einer (kleinen) Texteinheit erkennen

Wahrnehmungsparallelen

Voraussetzung für weitere Untersuchungen erkennen von Einzel-Gegenständen innerhalb einer Gesamtheit, z. B. ein Haus in einer Häuserfront, eine Symphonie in einem musikalischen Gesamtwerk

Kriterien

Wechsel in der Handlung, bes. von Ort, Zeit, Personen

Einleitungs- und Schlussformeln oder -signale

Veränderungen in Vokabular, Stil, Gattung, Thema

innere Zusammengehörigkeit (Kohärenz*) größer als Verbindungen nach außen

neue Information, so eher am Beginn, oder Redundanz*, wiederholend, mehr am Ende

Anwendung

notwendige Untersuchung, für alle Arten von Texten; kann weitgehend auch an einer Übersetzung erfolgen

Schwierigkeiten

Oft sind an den „Grenzen“ Übergänge, die Verbindungen in beide Richtungen zeigen. Auch können Überschneidungen mit der „Untergliederung“ (1.2.1) innerhalb einer Texteinheit auftreten. In beiden Fällen geht es um das Abwägen, welche Momente (Trennen oder Zusammenhalt) stärker sind.

Ergebnis

ein klares Untersuchungsobjekt, in seiner ganzen Gestalt und den wichtigsten Beziehungen

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imageBeispiele

ATExodus 3,1 − 4,17

a)Beginn in 3,1: Gegenüber dem Ende von Ex 2 ändern sich Person (Mose, betont anfangs genannt), Ort (Steppe, Gottesberg) sowie Handlung (hüten).

Im Hebr. gibt es überdies zwischen c2 und 3 ein masoretisches* Signal für Textgliederung, eine Setuma* (image s „geschlossen“), und in v1a einen gleichmäßigen Rhythmus von Hebungen und Senkungen, der sich von zuvor abhebt.

b)innere Kohärenz: Mose und Gott kommen ins Gespräch und verbleiben dabei bis 4,17.

c)Ende mit 4,17: In v18 kehrt Mose zurück zu Jitro, was eine Veränderung in Ort, Person und Handlung bedeutet; auch das Vokabular ist mit „zurückkehren“ neu. 4,17 dagegen enthält kein einziges neues Wort mehr, es ist redundant; alle Wörter von 4,17 finden sich bereits in 4,2.9.15.

Nach 4,17 steht im Hebräischen eine Petucha* (image p „offen“), ein noch stärkeres Signal für eine Abschnittgrenze als die Setuma.

d)Kontexte: Das Ende von Ex 2 berichtet intensiv Gottes Wahrnehmung, ohne Konsequenzen im Handeln (v24f). In direkter Folge dazu kann die Berufung des Mose in Ex 3,1 − 4,17 als Gottes Reaktion auf die Not der Israeliten und ihr Schreien gesehen werden. − Hatten im Dialog die Einwände des Mose die Ausführung des Befehls Gottes fünfmal hinausgezögert, zeigt 4,18−20 Moses Gehorsam gegenüber der Sendung. Sein Widerstreben geht zusammen mit der grundsätzlichen und nachfolgenden Bereitschaft zur Übernahme des Auftrags.

So erscheinen Ex 2,23−25 und 4,18−20 (und weiter bis v31) wie Übergänge zwischen c2, der Berufung des Mose und c5.

NTLk 4,14−30

a)Beginn: In 4,13 endet die Geschichte der Versuchung Jesu in der Wüste, in v16 beginnt die Geschichte von Jesu Lehre in der Synagoge von Nazaret. V14−15 bilden eine Brücke, oder eine Naht, zwischen den beiden Geschichten, indem sie sowohl zurück als auch voraus blicken. V14: Rückkehr nach Galiläa, neue Verfassung Jesu als „erfüllt vom Geist“, die Kunde verbreitet sich. V15: „Lehre in den Synagogen“ bereitet auf die Synagoge von Nazaret vor, „geehrt von allen“ auf die überraschende Reaktion der Nazarener.

b)Innere Kohärenz: Fast die ganze Geschichte spielt in der Synagoge von Nazaret. Dreimalige Anrede Jesu an die Nazarener mit deren dreimaliger Reaktion: i) Schriftlesung → Erwartungshaltung; ii) „Heute ist erfüllt“ → „Ist dieser nicht…“; iii) „Wahrlich, ich sage euch …“ → Wut, Rand des Abgrundes.

c)Ende: 4,30: „er ging weg“; 4,31: Ortswechsel nach Kafarnaum

d)Kontexte: Nach der Versuchung ist Jesus von der Kraft des Geistes erfüllt; nachfolgend viele Wunder, die Reaktion der Menschen wird langsam positiver (4,36; 4,39). In der Geschichte Jesu nach Lukas steht die Perikope an sehr exponierter Stelle als erstes öffentliches Auftreten Jesu. Somit ist der Predigt und dem Schriftwort wahrscheinlich hohe Bedeutung zuzumessen; aber auch die negative Reaktion der Nazarener ist bedeutungsvoll für die weitere Entwicklung des Evangeliums.

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Diskussion und Ergänzungen

Was unter (textlicher) ‚Einheit‘ zu verstehen ist, stellt sich hier als Grundfrage. Für Untersuchungen praktisch sind jene relativ selbständigen, abgeschlossenen Abschnitte, die eine eigene Aussage entfalten wie die beiden ausgeführten Beispiele. Doch sind diese kleinen Einheiten als Teile größerer Einheiten wahrzunehmen: Ex 3f innerhalb der Befreiungserzählung Ex 1−15, diese wiederum innerhalb des Buches Exodus, und letzteres im Gesamt der Tora*. → 7.2.1. Beide Beispiele belegen, dass Texteinheiten nicht mit Kapitelgliederungen übereinstimmen müssen. Vorsicht ist auch gegenüber den Überschriften und Unterteilungen mancher Bibelausgaben geboten. Diese Angaben können zutreffen, leiten aber gelegentlich auch abseits.

Manche Übergänge sind Brücken wie hier Lk 4,14 f. Ähnlich stellt Ex 2,23−25 eine Art Kommentar zu c1f dar und bereitet gleichzeitig c3f vor.

Die beiden scheinbar entgegenstehenden Aspekte Grenze und Verbindung als zusammengehörig zu sehen, ist für diesen Schritt entscheidend.

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Übungen

ATWo endet die Einheit, die in Gen 11,1 beginnt? Warum?

NTIn Phil 1 berichtet Paulus über sich selbst und seine Situation im Licht der Verkündigung Christi. Wo beginnt der Abschnitt, wo endet er?

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Literatur: EGGER, Methodenlehre § 6.

1.1.2Textkritik

Dieser und der folgende Schritt sind nur am Original möglich. Wer dazu keinen Zugang hat, möge die Hinweise bei ‚Schwierigkeiten‘ beachten und zu 1.2 übergehen.

Aufgabe und Sinn

Von keinem biblischen Text ist uns das Original überliefert. Uns liegen nur verschiedene Abschriften, Manuskripte* und Ausgaben vor. Die Textkritik kann versuchen, über sie zu einem dem Original möglichst nahekommenden Text zu gelangen.

Wahrnehmungsparallelen

Zufügungen bzw. Veränderungen an einem Bau, wie Gasthausschild, Schaukasten und Satellitenantenne, stellen die Frage nach dem ursprünglichen Zustand. Musikstücke werden meist für die Herausgabe bearbeitet, manchmal auch für andere Besetzungen umgeschrieben.

Kriterien

In der Textkritik werden seit langem vor allem zwei Prinzipien verwendet, die lateinisch benannt sind: lectio difficilior* (= schwierigere Lesart) und lectio brevior* (= kürzere Lesart). Bei Varianten verdienen normalerweise jene Formen Vorrang, die kürzer und/oder schwerer zu verstehen sind. Weiters gebührt jener Form der Vorzug, aus der sich leichter die andere als abgeleitet erklären lässt.

Anwendung

Unerlässliche und weitgehend zuverlässige Hilfsmittel sind die kritischen Ausgaben der Bibel in den Originalsprachen, mit ihren ‚Apparaten‘, das sind geordnete Verweise auf andere Lesarten, meist am unteren oder seitlichen Rand.

Schwierigkeiten

Die beiden Schritte Textkritik und Übersetzung sind nur am Original möglich. Wem die alten Sprachen nicht vertraut sind, der kann sich behelfen, indem er mehrere Übersetzungen vergleicht. Die Unterschiede zwischen ihnen geben manchmal einen Spielraum der Deutung wieder oder machen auf Schwierigkeiten beim Verstehen des Originals aufmerksam. Gute Übersetzungen enthalten Informationen dazu auch in den Anmerkungen am Fuß der Seiten. In der Regel bewährt es sich, vor allem für Anfänger, bei den von den kritischen Bibelausgaben im Haupttext gebotenen Lesarten zu bleiben. Davon abzuweichen erfordert ein hohes Maß an Erfahrung und Kenntnis größerer Zusammenhänge.

Ergebnis

eine zuverlässige Textbasis

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imageBeispiele

ATIn der Mitte von Ex 3,16 heißt es im Hebr. „… der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs“. Der griech. Text bietet statt dessen „… der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs“. − Die hebr. Fassung ist kürzer und unterscheidet sich von den Formulierungen in 3,6.15, zu denen die griech. Wiedergabe als Angleichung erscheint. Somit ist die hebr. Textform schwieriger, und aus ihr wird leichter das Entstehen der griech. Form verständlich als umgekehrt. Also ist anzunehmen, dass „der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs“ in Ex 3,16 eher dem Original entspricht.

NTIn Lk 4,24 heißt es wörtlich: „Amen, ich sage Euch …“ Einige Manuskripte haben hier „Amen, amen, ich sage Euch …“ Dies lässt sich vielleicht durch die Unaufmerksamkeit eines Kopisten erklären. Vielleicht hat auch das Johannesevangelium hier Einfluss genommen, da es das Wort ‚Amen‘ immer verdoppelt. Von Lukas ist jedenfalls der doppelte Gebrauch des Amen sonst nicht bekannt. Auch Matthäus und Markus ist die Doppelung fremd.

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Diskussion und Ergänzungen

Für das AT ist die BHS (Biblia Hebraica Stuttgartensis = Stuttgarter Hebräische Bibel) am gebräuchlichsten. Eine neue Ausgabe (Biblica Hebraica Quinta = „Fünfte Hebräische Bibel“) ist in Vorbereitung. Neben diesem auf der Muster-Handschrift des Leningradensis* basierenden Werk haben jüdische Gelehrte eine Herausgabe auf der Grundlage des Aleppo-Codex* begonnen. Die Unterschiede sind jedoch in den meisten Fällen nicht bedeutend. Beide Handschriften gehören zur masoretischen* Tradition, von daher die Abkürzung MT (= masoretischer Text). Für das NT hat sich das Novum Testamentum Graece (= Griechisches Neues Testament) in der jeweils neuesten, inzwischen schon 27., Auflage durchgesetzt.

Wir sind heute dank der Anstrengungen und Fortschritte vieler Fachleute in der glücklichen Lage, einen in hohem Maß zuverlässigen biblischen Text in preiswerten Ausgaben zugänglich zu haben. Der Text des NT ist auf weite Strecken sicher, und der überwiegende Teil der Varianten hat kaum oder keinen Einfluss auf die Bedeutung. Dabei ist der Text des griechischen NT − im Unterschied zu MT − ein ‚Mischtext‘, zusammengesucht aus vielen verschiedenen Manuskripten*.

Allein für das NT existieren etwa 5000 solcher Manuskripte. Manche enthalten nur kurze Abschnitte, manche sind nur kleine Fetzen, andere wiederum enthalten große Teile und komplette Texte des NT. Dazu kommen noch antike Übersetzungen ins Lateinische, Syrische und Koptische, sowie von den Kirchenvätern zitierte biblische Texte. Das älteste neutestamentliche Manuskript stammt aus dem zweiten Jahrhundert. Es ist berühmt geworden unter dem Namen „Papyrus 52“ und enthält ein kleines Fragment aus dem Johannesevangelium. Alle diese Manuskripte werden für einen kritischen Text miteinander verglichen. Da durch neue Ausgrabungen und Funde immer wieder Manuskripte zu Tage treten, ist diese Aufgabe nie abgeschlossen. Aber die große Zahl schon bekannter Manuskripte ergibt eine relativ sichere Textbasis.

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Papyrus 52

Für das AT hat sich durch die Entdeckung von Qumran eine neue Situation ergeben. Einerseits bestätigen die dort gefundenen Handschriften die außergewöhnliche Treue des uns überlieferten hebr. Textes (MT), insofern sie teils bis auf den Buchstaben genau mit den uns bisher bekannten ältesten Handschriften übereinstimmen, obwohl sie bis etwa 1000 Jahre früher, ins 2./3. Jh. v. Chr., zurückreichen. Anderseits hat man in Qumran auch stark abweichende Textformen gefunden, wobei sich aber die Frage nach ihrer Qualität, Herkunft und Funktion stellt. Daneben gibt es auch griech. Bücher im AT mit ihnen eigenen Problemen.

Bei Problemen mit dem Verstehen des Textes hat man bis in jüngere Zeit gerne Konjekturen*, das sind Vorschläge für Veränderungen, verwendet. Gegenüber solchen durch keine Handschrift belegten Eingriffen hat sich heute zu Recht eine skeptische Haltung durchgesetzt.

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Übungen

ATWie ist „und den Turm“ am Ende von Gen 11,8 bei Septuaginta und Samaritanus zu beurteilen?

NTGehört die Geschichte von der Ehebrecherin in Joh 7,53 − 8,11 zu den ältesten Texten?

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Literatur

AT: WÜRTHWEIN, Text; TOV, Criticism; ZENGER, Einleitung, für die griech. Bücher des AT; NT: ALAND, Text.

1.1.3Übersetzung

Aufgabe und Sinn

Der oben erstellte, kritisch gesicherte Text bildet die Basis für eine weitgehend getreue Wiedergabe in einer lebenden Sprache. Eine solche Übertragung erleichtert gerade für weniger mit den alten Sprachen Vertraute die weitere Beschäftigung mit dem Text, ist aber auch für Fachleute wegen der mit der gesprochenen Sprache verbundenen Gefühle und Gedankenverbindungen unersetzlich.

Wahrnehmungsparallelen

Das ‚Original-Haus‘ bleibt an seiner Stelle; nur über die Sehorgane entsteht im menschlichen Gehirn eine Summe von Reizen, die zu einer Abbildung zusammengefügt werden. Diese hat mit dem wirklichen Haus manches gemeinsam, ist aber nicht mit ihm identisch.

Kriterien

Für die Übersetzung ist zunächst eine möglichst wörtliche, aber noch verständliche Übertragung sinnvoll. Diese erfährt im Laufe der Untersuchungen Korrekturen, so dass am Ende der Auslegung eine Überarbeitung erfolgen soll (2.3). Unter Umständen ist es dann auch angebracht, eine freiere und leichter zugängliche Wiedergabe zu erstellen.
Eine Untergliederung des Textes in Äußerungseinheiten (S. 135) empfiehlt sich; sie hilft sehr, sich später genauer auf Versteile zu beziehen.

Anwendung

sinnvoll nur möglich vom Original; Ersatz durch Vergleich mehrerer Übersetzungen

Schwierigkeiten

Der Vorgang des Übersetzens erfordert dauernd Entscheidungen, die auch mit der Deutung des Textes zusammenhängen. Von daher ist die oben nahegelegte Überprüfung und eventuelle Überarbeitung am Ende der Auslegung notwendig.

Ergebnis

ein erster Verstehensversuch, als Grundlage für alle weiteren Untersuchungen

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imageBeispiele

ATEx 3,9 verwendet den sehr häufigen Ausdruck bne-jiśraɔel, wörtlich „Söhne Israels“, freier „Israeliten“. Bei der wortgetreuen Wiedergabe ist zu bedenken, ob die Wahl von „Söhne“ zutreffend ist angesichts dessen, dass auch Frauen (3,22) mit im Blick sind.

Der letzte Satz von Ex 3,22 wird meist mit „und ihr werdet die Ägypter ausplündern“ oder ähnlich wiedergegeben. Dabei stimmen zwei Ausdrücke nicht: Eigentlich steht ‚Ägypten‘, wie auch oft sonst in der Exoduserzählung (z. B. in Ex 14,30f), womit symbolisch eine Macht benannt ist, die sich gegen Gott stellt. Und zweitens bedeutet naal auch im Piel* ‚retten‘ (siehe Ez 14,14) und nicht ‚ausplündern‘. In Übereinstimmung mit dem Kontext des friedlichen Abschiednehmens von v21f sagt Gott damit auch die Rettung Ägyptens an.

NTDer Beginn des Jesajazitates Lk 4,18 ist auf schwierige Weise konstruiert, weil am Beginn ein Verb fehlt. Wörtlich heißt es: „Der Geist des Herrn auf mir …“ Die nachfolgende Konstruktion ist noch schwieriger, weil unklar ist, ob die Verkündigung der frohen Botschaft an die Armen von der Salbung abhängig ist oder von der Sendung. Dementsprechend sind zwei Übersetzungen möglich: „Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat, Armen gute Botschaft zu verkündigen; er hat mich gesandt, Gefangenen Freiheit auszurufen …“ (ELB) oder „Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde …“ (EÜ). Beide Übersetzungen interpretieren einen unklaren Originaltext.

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Diskussion und Ergänzungen

Für keine der biblischen Sprachen (das alte Hebräisch, Aramäisch und Koine-Griechisch*) gibt es heute jemand, der mit ihnen als ihrer Muttersprache vertraut wäre. So kann der Sinn mancher Wendungen oft nur noch erahnt werden, und es bedarf für einen Anderssprachigen beträchtlichen Feingespürs, manchmal die genauen Nuancen zu erfassen. Vier kleine Beispiele:

In Ex 3,3 hat ɔamar, sonst meist ‚sagen‘, eher die Bedeutung „denken“ oder „sich sagen“, weil kein Adressat genannt ist.

Das Zeitwort bacar, in v2 zuvor mit ‚brennen‘ übersetzt, muss in der Frage „Warum verbrennt der Dornbusch nicht?“ mit der Nuance ‚verbrennen‘ wiedergegeben werden.

Der letzte Satz von 3,7 ist mit ki eingeleitet, das oft begründend als ‚denn, weil‘ verwendet ist. Hier aber betont es eine neue Aussage: „Ja, ich kenne …“

Im Vaterunser heißt eine Bitte „unser tägliches Brot gib uns heute“ (Lk 11,3; Mt 6,11). Das griech. Wort für täglich, epiousios, ist jedoch sonst nicht bekannt. Es könnte auch ‚für den nächsten Tag‘ oder gar ‚für die Existenz nötig‘ übersetzt werden.

Besonders bei schwierigen Passagen bewährt sich, Übersetzungen in andere moderne Sprachen heranzuziehen.

imageLiteratur

Wörterbücher von GESENIUS, KOEHLER-BAUMGARTNER