Johann Georg Hamann

Sokratische Denkwürdigkeiten

für die lange Weile des Publicums zusammengetragen von einem Liebhaber der langen Weile.

 

Mit einer doppelten Zuschrift

an Niemand und an Zween.

O curas hominum! o quantum est in rebus inane!

Quis leget haec? – – – Min' tu istud ais? – –

Nemo hercule – – Nemo? –

Vel DVO vel NEMO – – –

Pers.


Philosophie-Digital Nr. 35


Impressum

Covergestaltung: andersseitig

Bearbeitung: andersseitig


ISBN: 9783961180325

2019 andersseitig.de


andersseitig Verlag

Helgolandstraße 2

01097 Dresden


info@new-ebooks.de

An das Publicum, oder Niemand, den Kundbaren.

od' OYTIS, poy 'stin;

Eurip. Kyklop

 

Du führst einen Namen, und brauchst keinen Beweis Deines Daseyns, Du findest Glauben, und thust keine Zeichen denselben zu verdienen, Du erhältst Ehre, und hast weder Begrif noch Gefühl davon. Wir wissen, daß es keinen Götzen in der Welt giebt. Ein Mensch bist Du auch nicht; doch must Du ein menschlich Bild seyn, das der Aberglaube vergöttert hat. Es fehlt Dir nicht an Augen und Ohren, die aber nicht sehen, nicht hören; und das künstliche Auge, das Du machst, das künstliche Ohr, das Du pflanzest, ist, gleich den Deinigen, blind und taub. Du must alles wissen, und lernst nichts1; Du must alles richten, und verstehst nichts, lernst immerdar, und kannst nimmer zur Erkenntnis der Wahrheit kommen2; Du dichtest, hast zu schaffen, bist über Feld, oder schläfst vielleicht, wenn Deine Priester laut ruffen, und Du ihnen und ihrem Spötter mit Feuer antworten solltest. Dir werden täglich Opfer gebracht, die andere auf Deine Rechnung verzehren, um aus Deinen starken Mahlzeiten Dein Leben wahrscheinlich zu machen. So eckel Du bist, nimmst Du doch mit allem für lieb, wenn man nur nicht leer vor Dir erscheint. Ich werfe mich wie der Philosoph zu den erhörenden Füssen eines Tyrannen. Meine Gabe besteht in nichts als Küchlein, von denen ein Gott, wie Du, einst barst. Überlaß sie daher einem Paar Deiner Anbeter, die ich durch diese Pillen von dem Dienst Deiner Eitelkeit zu reinigen wünsche.

Weil Du die Züge menschlicher Unwissenheit und Neugierde an Deinem Gesichte trägst; so will ich Dir beichten, wer die Zween sind, denen ich durch Deine Hände diesen frommen Betrug spielen will. Der erste arbeitet am Stein der Weisen, wie ein Menschenfreund, der ihn für ein Mittel ansieht, den Fleiß, die bürgerliche Tugenden und das Wohl des gemeinen Wesens zu befördern. Ich habe für ihn in der mystischen Sprache eines Sophisten geschrieben; weil Weisheit immer das verborgenste Geheimnis der Politick bleiben wird, wenn gleich die Alchymie zu ihren Zweck kommt, alle die Menschen reich zu machen, welche durch des Marqvis von Mirabeau fruchtbare Maximen bald! Frankreich bevölkern müssen. Nach dem heutigen Plan der Welt bleibt die Kunst Gold zu machen also mit Recht das höchste Project und höchste Gut unserer Staatsklugen.

Der andere möchte einen so allgemeinen Weltweisen und guten Münzwaradein abgeben, als Newton war. Kein Theil der Kritick ist sicherer, als die man für Gold und Silber erfunden hat. Daher kann die Verwirrung in dem Münzwesen Deutschlands so groß nicht seyn, als die in die Lehrbücher eingeschlichen, so unter uns gang und gebe sind. Es fehlt uns an richtigen Verhältnis-Tabellen, die uns bestimmen, wie viellöthig an Korn und Schrot ein Einfall seyn müsse, wenn er eine Wahrheit gelten soll u.s.w.3

Weil diese Küchlein nicht gekaut, sondern geschluckt werden müssen, gleich denjenigen, so die Cosmische Familie zu Florenz in ihr Wapen aufnahm; so sind sie nicht für den Geschmack gemacht. Was ihre Wirkungen anbetrift; so lernte bey einem ähnlichen Gefühl derselben Vespasian zuerst das Glück Deines Namens erkennen, und soll auf einem Stuhl, der nicht sein Thron war, ausgeruffen haben: VTI PVTO, DEVS FIO!

 

An die Zween

smikra men tad', all' omos

a 'xo

Sophocles in Electra.

 

Das Publicum in Griechenland laß die Denkwürdigkeiten des Aristoteles über die Naturgeschichte der Thiere, und Alexander verstand sie. Wo ein gemeiner Leser nichts als Schimmel sehen möchte, wird der Affect der Freundschaft Ihnen, Meine Herren, in diesen Blättern vielleicht ein mikroskopisch Wäldchen entdecken.

Ich habe über den Sokrates auf eine sokratische Art geschrieben. Die Analogie4 war die Seele seiner Schlüsse, und er gab ihnen die Ironie zu ihrem Leibe. Ungewißheit und Zuversicht mögen mir so eigenthümlich seyn als sie wollen; so müssen sie hier doch als ästhetische Nachahmungen betrachtet werden.

In den Werken des Xenophons herrscht eine abergläubische, und in Platons eine schwärmerische Andacht; eine Ader ähnlicher Empfindungen läuft daher durch alle Theile dieser mimischen Arbeit. Es würde mir am leichtesten gewesen seyn denen Heyden in ihrer Freymüthigkeit hierin näher zu kommen; ich habe mich aber bequemen müssen meiner Religion den Schleyer zu borgen, den ein patriotischer St. John und platonischer Shaftesbury für ihren Unglauben und Misglauben gewebt haben.

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